Kapitel 16
Am nächsten Morgen ging Jane wieder spazieren, aber sie wählte einen anderen Weg. Als sie den Garten betrat, richteten sich die Pflanzen in der Nähe ohne ihr Zutun auf. Das Gras unter ihren Sohlen ergrünte und wurde saftig. Ihre Fähigkeiten hinsichtlich der Flora wuchsen von Tag zu Tag.
Sie zu verlieren wäre gleichbedeutend mit dem Amputieren eines Körperglieds, aber sie musste sie zerstören, bevor ihr Ehemann irgendetwas bemerkte. Bevor Außenstehende es taten.
Wenn die Kräuter, die sie für ihre Medizin brauchte, auf den Ländereien ihres Mannes wuchsen, dann wären sie sicher in schattigen Regionen zu finden, nicht im Sonnenlicht. Sie wandte sich in Richtung Wald und fragte sich, ob er sie dieses Mal durchlassen würde.
Das Gras war feucht, an manchen Stellen vom heftigen Regen der letzten Nacht morastig, und ab und zu musste sie eine Matschpfütze umgehen. Auf halbem Weg den Hügel hinauf kam sie auf eine Lichtung und drehte sich um, um zu sehen, wie weit sie gekommen war.
Vor den Mauern des Kastells schickte die Luft blendende Sonnenstrahlen über die Wiesen und bleichte sie mit flirrenden Hitzewellen. Es war nicht zu erklären, warum die Temperatur auf den Satyr-Ländereien konstant und angenehm blieb.
Jane betrat den Wald und verspürte vorsichtiges Willkommen. Er kannte sie inzwischen, witterte vielleicht die Berührung seines Herrn auf ihrer Haut. Sie ging eine Weile mit gesenktem Blick, suchend.
Etwas zog sie tiefer in den Wald. Sie passierte Eichen, Holun derbüsche und Weißdornsträucher, die dicht mit Efeu bewachsen waren, wanderte durch ein Meer aus Farnwedeln und stieg schließlich über eine alte Natursteinmauer.
Auf der anderen Seite wuchsen Löwenmäulchen, dunkelblauer Phlox, Zierlauch und roter Klee. Kleine Wolken von rosafarben blühendem Thymian schmiegten sich an den Boden. Die Luft roch nach von der Sonne gerösteten Kiefernnadeln und Blauregen.
Und dann war sie da, ohne Vorwarnung: die spitze, glockenförmige, goldene Blüte des Goldlauchs. Jane kniete sich davor und untersuchte sie mit zitternden Fingern.
Vorsichtig zog sie die Pflanze aus dem Boden und befreite sie von den warmen Erdkrümeln, die sich an ihre Wurzeln geheftet hatten. Sie legte sie in ihren Korb, richtete sich auf und wandte sich wieder dem Kastell zu.
Den Sonnenstrahlen nach zu urteilen, die juwelengleich durch das Blätterdach des Waldes fielen, war es später Nachmittag. Sie war ein ganzes Stück gelaufen. Nicht einmal den mit Zinnen versehenen Turm der ehemaligen Burg konnte sie von hier oben sehen.
Vor ihr im unerforschten Dickicht leuchtete es plötzlich blau auf. Ein weiteres Licht, rosafarben, erschien wie durch Zauberhand daneben. Und noch ein drittes, silbriges.
Vorsichtig schlich sie darauf zu und lugte durch das Unterholz. Vor ihr lag eine Lichtung, und die Lichter bewegten sich in einem kleinen, offenen Tempel, der von Karyatiden und ionischen Säulen umstanden war.
Vor ihren Augen dehnten sich die Lichter aus und verdichteten sich – sie nahmen weibliche Gestalt an! Die glitzernden Frauen schwebten zu einem großen Steinaltar in der Mitte des Tempels und begannen mit schlangenähnlicher Grazie damit, eine andere, größere Gestalt zu liebkosen, die dort auf sie gewartet hatte. Es war ein Mann. Und er war nackt.
Aber was um alles in der Welt machten sie mit ihm?
Sie trat einen Schritt zurück. Unter ihrem Fuß knackte ein Zweig.
Die drei durchsichtigen Figuren hielten inne, schoben sich dann nebeneinander und schützten instinktiv den Mann in ihrer Mitte. Sie schauten sie mit merkwürdig leerem Blick an, aber hinter ihnen funkelte ein goldenes Augenpaar in ihre Richtung. Diese Augen waren die eines Mannes. Und sie sahen sie.
Im Wald wurde es unnatürlich still, das Schreien der Vögel und das Summen der Insekten verstummten.
Finger der Angst griffen nach ihr. Der Wald, der sie zuvor willkommen geheißen hatte, legte sich um sie wie ein Totenhemd. Dicke Äste schienen sich dicht um sie herumzubiegen.
Sie drehte sich um und floh, vor dem Wald – vor sich selbst. Warum hatte sie so etwas gesehen? Verlor sie den Verstand?
Bei jedem ihrer Schritte schoss ein kleiner Kreis zierlicher Pilze aus dem Boden um ihre Füße. Sie fing an zu rennen. Die Kreise markierten ihren Weg, verschwanden, sobald sie den Fuß hob, und erschienen neu, wenn sie ihn wieder auf den Erdboden setzte.
Eine Schlingpflanze wand sich um ihren Knöchel und brachte sie zu Fall. Sie stürzte auf die Knie, verlor ihren Korb. Der starke Geruch nach verrottender Vegetation auf dem Waldboden stieg ihr in die Nase. Sie stützte die Hände auf den Boden. Sie konnte es nicht verhindern. Sie verschmolz. Bilder erschienen vor ihrem geistigen Auge …
… Bilder von schwitzenden Körpern, die sich in leidenschaftlicher Euphorie wanden und aneinander rieben. Bilder von Frauen, die zur Befriedigung der Lust von Männern, die mehr als Menschen waren, gefangengehalten wurden. Bilder davon, was ihr bevorstand, hier an diesem Ort …
Überwältigt glitt Jane ins Dunkel.
Als sie erwachte, lag sie auf einer Bank im Garten hinter dem Kastell. Wie sie dahin gekommen war, wusste sie nicht. Sie war sich nicht sicher, ob sie vielleicht alles nur geträumt hatte, aber der Saum ihres Kleides war feucht von Tau, und ihr Korb mit dem Goldlauch stand ordentlich neben ihr.
»Deine Frau war heute Nachmittag im Wald. In der Nähe eines der Tempel rund um den Versammlungsort«, sagte Lyon.
Nicks Herz schlug schneller. »Was ist passiert?«
»Ich habe gefickt. Ich glaube, sie hat mich gesehen.«
»Sie hat nichts dergleichen erwähnt«, sagte Nick.
»Ja, also, irgendwas bewirkte, dass sie in Ohnmacht gefallen ist, und –«
»Verdammt! Sie ist in Ohnmacht gefallen?«
»Ich habe sie in deinen Garten zurückgetragen«, sagte Lyon.
»Warum hast du da überhaupt am helllichten Nachmittag gefickt?«, donnerte Nick los.
Lyon vergrub die Hände in den Hosentaschen. Er war leicht verlegen. »Als hättest du selbst so etwas noch nie getan! Wie auch immer, ich hatte seit dem Morgengrauen im Weinberg gearbeitet. Ich brauchte eine Pause.«
»Wenn du so müde warst, wie hast du dann überhaupt die notwendige Energie aufgebracht?«
Lyon warf ihm einen Blick zu. »Na ja, es gibt eben müde und müde.«
»Verdammt noch mal, Lyon!«
»Wann und wo ich ficke, geht dich überhaupt nichts an, Bruderherz. Ich erzähle es dir nur, falls Jane dich darauf anspricht. Wenn sie die Nebelnymphen gesehen hat, die ich heraufbeschworen habe, wird sie dir früher oder später Fragen stellen.«
»Da hast du recht, natürlich.« Nick rieb sich den verspannten Nacken. »Aber ich verstehe das nicht. Wie konnte sie überhaupt in deine Nähe kommen, ohne dass der Wald sie abhielt?«
»Die Mächte, die den Wald beschützen, haben möglicherweise ihr Feenblut gewittert und waren verwirrt. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es passiert ist.« Lyon zögerte. »Da ist noch etwas anderes. Sie hatte einen Korb dabei, mit Goldlauch, den sie aus unserem Wald geholt hat.«
»Sie hat eine Heilpflanze gesammelt? Wofür denn?« Nicks Blick wanderte zur Tür. Er dachte an seine Frau und die Zeit, die sie gestern Abend miteinander verbracht hatten. Sie waren miteinander verschmolzen, zwar nur kurz, aber es war gefährlich gewesen. Er konnte seine Geheimnisse keiner Frau anvertrauen und würde sich zukünftig in Acht nehmen. Vielleicht dachte sie genauso. Am Morgen hatte sie fast ängstlich gewirkt.
»Glaubst du, sie spürt die Bedrohung und will sie abwehren?«, fragte Lyon.
»Welche Bedrohung?«
»Die von Jane und ihren Schwestern«, erklärte Lyon genervt. »Die, von der König Feydon in seinem Brief geschrieben hat. Also wirklich, hat dich die Ehe um den Verstand gebracht?«
Nick wurde rot und riss sich zusammen. »Diese Bedrohung – also, ich habe es noch nicht gänzlich durchdacht, aber ich glaube, dass sie aus Janes irdischer Familie hervorgeht.«
»Auch wenn du mir vielleicht den Kopf abreißt, aber darf ich fragen, wann du ihr endlich sagen wirst, was sie ist? Was wir sind?«, fragte Lyon.
»Ich kümmere mich um sie auf meine Art.«
»Warum in diesem Schneckentempo? Sie ist deine Frau und muss dich so akzeptieren, wie du bist. Mach ihr einfach beim nächsten Vollmond ein Kind und bring es hinter dich.«
»Muss ich dich daran erinnern, was passierte, als Raine sich gehenließ?«
Sie hatten alle noch mit den Nachwirkungen dieses Fehltritts zu kämpfen. Nach Raines missglücktem Versuch, seiner Erdenfrau bei Vollmond beizuwohnen, war sie in die Nacht geflohen und später völlig hysterisch im Lager der Bediensteten aufgetaucht.
Nick hatte sie dort aufgesucht. Es war ihm gelungen, den Schaden zu minimieren, indem er sie mit einem einfachen Zauber belegt hatte. Als er sie schließlich bei ihrer Familie absetzte, erinnerte sie sich an nichts außer einer unbestimmten Angst vor seinem Bruder. Nichtsdestotrotz ließ sie sich von ihm scheiden, und nach den Geschichten, die sie in der Nacht verbreitet hatte, kursierten Gerüchte.
»Es hat nicht an schlechter Planung gelegen«, sagte Lyon. »Seine Frau war ein reinrassiger Mensch, und sein einziger Fehler bestand darin, dass er sie vorher nicht verhext hatte.«
»Du kannst dich darauf verlassen, dass ich das tun werde, wenn es so weit ist.«
»Wenn es je dazu kommt«, stichelte Lyon.
»Wir werden ja sehen, wie leicht es dir fallen wird, wenn du selbst eine Frau hast«, entgegnete Nick.
Lyon schnaubte und griff nach seinem Hut. »Na gut. Lass sie von mir aus über dein wahres Ich im Ungewissen, solange du willst. Bis du’s ihr sagst, solltest du sie aber von unserem Versammlungsort fernhalten, es sei denn, du möchtest, dass sie wieder in Ohnmacht fällt, wenn sie dort diejenigen von uns sieht, die ihre Natur nicht verleugnen.«
Knallend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Nick setzte sich und brütete einige Minuten lang vor sich hin. Dann stand er auf und machte sich auf die Suche nach seiner Frau.
Jane erschrak, als ihr Gemahl plötzlich ins Gewächshaus trat. Sie hoffte, er würde nicht ansprechen, was in der letzten Nacht zwischen ihnen vorgefallen war.
»Es wird Zeit, dass ich Euch die Ländereien zeige«, erklärte er.
»Das würde mir gefallen«, antwortete sie.
Aber nicht jetzt, dachte sie und zappelte mit den Zehen in ihren Schuhen. Sie hielt den Korb mit Goldlauch, den sie vorhin gesammelt hatte, hinter ihrem Rücken, so dass er ihn nicht sehen konnte.
Nicholas schaute auf die Ansammlung von kleinen Gartengeräten zu ihren Füßen. »Würde es jetzt passen?«
»Natürlich«, sagte sie und seufzte innerlich. Die Wurzeln der Pflanzen waren gewässert und in Papier eingeschlagen. Sie konnten noch etwas warten, bis sie eine endgültige Heimat in der Gartenerde fanden.
Und wenn er plötzlich daran interessiert war, ihr seine Ländereien zu zeigen, so war sie auf jeden Fall auch daran interessiert, sie zu sehen. Es war eine gute Gelegenheit zu erfahren, welche anderen Pflanzen es möglicherweise gab. Und angesichts dieses bizarren Erlebnisses, das sie kürzlich im Wald gehabt hatte, würde sie sich in seiner Begleitung wohler fühlen.
Nachdem sie sich in den Ställen mit Pferden versorgt hatten, ritten sie einen steinigen Pfad entlang, der sie stetig bergauf in das Herz der Ländereien führte. Nach einer Weile saßen sie an einem mit knorrigem Blauregen bewachsenen Laubengang ab, an dessen Ende eine Eisenpforte den Eingang zu den Weinbergen markierte. Sie traten durch die Pforte und setzten ihren Weg zu Fuß fort. Nicholas machte sie auf die Arbeiter aufmerksam, denen sie unterwegs begegneten, und erklärte ihr, womit jeder einzelne gerade beschäftigt war.
Jane genoss ihren Aufenthalt zwischen den Reben. Ihr Interesse an der Arbeit war nicht gespielt. Die Reben waren nicht dafür verantwortlich, welches Gebräu aus ihnen hergestellt oder wie es verwendet wurde, sagte sie sich. Es lag an den Menschen.
Sie machten auf einer Hügelkuppe halt. Jane hob eine Hand an die Stirn und beschattete ihre Augen. Unter ihr erstreckten sich die Weinstöcke in schier endlosen Reihen.
»Es sieht aus wie eine riesige, lebende Decke«, sagte sie. »Viel größer, als ich es mir vorgestellt habe.«
»Wir besitzen gut dreihundert Hektar, aber weniger als die Hälfte davon wird zurzeit als Anbaufläche genutzt. Und nur auf etwa hundertzwanzig wächst Wein. Auf dem Rest stehen Oliven- und Obstbäume.«
Jane trat dicht an einen Weinstock und nahm eine Traube voll mit winzigen kleinen, grünen Kugeln, kaum größer als Pfefferkörner, in die Hand. »Sind das die Reben?«
»Die Blüten«, erklärte Nick. »Nach der Blüte im Juni entwickeln sich die Früchte. An einem einzigen Stock können hundert Reben wachsen, aber der Geschmack wird nicht gut, wenn so viele genährt werden müssen. Sie werden ausgedünnt, bis nur noch ungefähr zwei Dutzend Reben pro Stock übrig sind.«
»Habt Ihr schon Anzeichen für die Seuche entdeckt?«, fragte Jane. »Ich habe gehört, wie sich einige beim Empfang bei der Villa d’Este darüber unterhielten.«
»Bisher noch nicht.«
»Wie gefährlich ist es?«
Er zuckte mit den Achseln. »Es hat schon immer Krankheiten und Schwierigkeiten gegeben. Wenn es zu viel regnet, kann es zu Befall durch Mehltau kommen. Wenn das Erdreich zu schwer ist, wachsen die Trauben nicht richtig. Aber darüber brauchen wir uns hier keine Gedanken zu machen.« Er ging in die Hocke und nahm eine Handvoll trockener, vulkanischer Erde und ließ sie durch die Finger rieseln. Schließlich stand er auf und klopfte sich die Hände ab. »Regen, Sonnenschein und das Erdreich entscheiden über die Qualität der Trauben zur Lese.«
»Wann wird gelesen?«
»Wir fangen im September an. Jede Sorte wächst und reift zu einer etwas anderen Zeit, so dass eine nach der anderen gelesen werden kann. Dann wird gepresst. Im Spätherbst setzt schließlich die Fermentierung ein.«
Er deutete auf einen Bereich, wo die Weinstöcke nicht gepflegt waren. Zwischen Wildblumen und Unkraut standen uralte Mühlsteine und kündeten von den Mühen der Arbeiter, die in der Vergangenheit hier geschuftet hatten.
»Diese Weinstöcke sind für Lyons Tiere reserviert. Die kommen aus den Hügeln wie die Heuschrecken, wenn die Trauben reif sind. Es ist sinnlos, sie vollständig von den Reben fernhalten zu wollen, deshalb haben wir gelernt, mit ihnen zu teilen.«
Eine wohlgenährte Katze kam auf sie zu und strich Jane um die Beine. Unter einem abgebrochenen, halbverdorrten Weinstock warf sie sich auf den Boden.
Nicholas sprach weiter. Er hatte eine Rebe angehoben, damit sie sie sich betrachten konnte. »Seht Ihr, wie dieser Zweig nach oben gerichtet ist? Das Gewicht der Trauben wird ihn mit der Zeit nach unten ziehen und …«
Nick bemerkte, dass sie ihm nur mit halbem Ohr zuhörte und ihr Blick immer wieder zu dem halbverdorrten Weinstock dort drüben wanderte. Er entschuldigte sich, um mit einem der Arbeiter zu sprechen. Als er zu ihr zurückkehrte, war alles, wie er es erwartet hatte. Der Weinstock, der eben noch verdorrt war, wuchs nun gesund und stark. Weil sie ihn während seiner kurzen Abwesenheit berührt hatte.
Faszinierend. Sie gab vor, den Wein, der aus den Trauben gewonnen wurde, zu hassen, und doch konnte sie es nicht ertragen, wenn einer der Weinstöcke litt.
Wie weit und wie tief ging ihr Talent mit Pflanzen? Wusste sie es womöglich selbst nicht? Er spürte, dass sie sich ihrer Fähigkeiten schämte. Das war nur allzu verständlich, denn schließlich hatte sie ihr ganzes Leben in der Erdenwelt zugebracht, und dort wurde so etwas nicht geschätzt.
Er lächelte und nahm ihren Arm. Unsicher lächelte sie zurück.
Als sie am Irrgarten vorbeikamen, erinnerte sich Nick daran, wie er sich in seiner Jugend hier die Zeit mit dem Dienstmädchen vertrieben hatte. Zwischen seinen Beinen zuckte es.
Auf den Hügeln um sie herum wuselten Arbeiter wie die Ameisen herum. Es war weder die rechte Zeit noch der rechte Ort, mit seiner Frau zu schlafen. Er zwang sich, an etwas anderes zu denken.
»Ihr interessiert Euch mehr für die Reben, als Ihr zugeben wollt«, sagte er und hob einen überhängenden Zweig des Blauregens an, so dass sie unter die Pergola treten konnten. »Das ist ein gutes Zeichen für unsere gemeinsame Zukunft. Die Wurzeln meiner Familie reichen tief in diesen Boden, in dieses Gewerbe. Unsere Weine schmücken seit Jahrhunderten die Tafeln der Regierenden und Reichen dieser Welt.«
Sie blieb still.
Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Versuche ich gerade zu sehr, Euch von den Verdiensten meiner Vorfahren zu überzeugen?«
»Es liegt nicht an mir, über Eure Verdienste zu urteilen. Intelligenz und der Wille, hart zu arbeiten, sind in Eurer Familie offensichtlich. Beides sind bewundernswerte Eigenschaften.«
»Dann seid Ihr also nicht länger darüber besorgt, dass Ihr einen Trunkenbold geheiratet haben könntet?«
Sie lächelte schüchtern. »Nein, ich bin zufrieden mit meiner Ehe.«
Ihm kam der Gedanke, dass sie selbst wie die Blüte eines Weinstocks war, sich erst nach und nach widerstrebend öffnete und bedacht war, nicht zu viel von ihrem Inneren zu enthüllen.
»Warum habt Ihr zugestimmt?«, fragte er. Plötzlich war er neugierig geworden.
Sie warf ihm einen wachsamen Blick zu. »Ich wollte eine Familie, in der Emma und ich einen Platz finden, in der wir um unserer selbst willen angenommen werden.«
Er legte eine Hand auf ihre. »Die habt Ihr hier gefunden.«
Sie neigte den Kopf, sie hoffte es, wagte aber nicht, ihm zu glauben. »Danke.«