52

Winter und Macdonald fuhren zurück, über Findochty und Portnockie. Der Tag war immer noch strahlend, größer als das Leben. Am Cullen Bay war es leer. Vor zwei Monaten waren die Delphine hier gewesen.

Sie fuhren unter den Viadukten hindurch, die lange Schatten auf die Stadt warfen, wie Arme oder Beine eines Riesen. Oder wie die Kathedralen Schatten auf ganz Moray und Aberdeenshire warfen.

In Seatown schien Bewegung zu herrschen. Die Sonne fiel so, dass die kleinen Häuser eine merkwürdige Neigung bekamen.

Macdonald hatte westlich von Seatown geparkt, bei Cullen Sands.

Sie konnten das Ufer sehen und das offene Meer. Winter las auf einem Schild: Water never failedE. U. tests.

Weit entfernt war eine Gestalt am Ufer, nur eine Silhouette.

Sie gingen durch die namenlose Straße, die die Stadt am Meer zerschnitt, vorbei an der Methodistenkirche. Im Garten des Hauses gegenüber der Kirche hing Kinderkleidung auf der Wäscheleine.

Von dort konnten sie den Hafen sehen.

Die Telefonzelle war immer noch rot und stand immer noch da. Die Sonne beschien die Risse im roten Anstrich. Die Tür stand halb offen.

Winter und Macdonald schauten hinein. Das Telefon hatte noch eine Schnur. Macdonald hob ab und hörte das Freizeichen in der Leitung. Es gab ein Telefonbuch. Es gab kein Geschmier. Keine Telefonnummern von Prostituierten. Kein Gestank nach Urin. Keine leeren Bierdosen. Keine Glasscherben.

»Diese Zelle ist einzigartig«, sagte Macdonald.

»Wir sind alle einzigartig«, sagte Winter.

»Was meinst du damit?«, fragte Macdonald.

Winter antwortete nicht. Er drehte sich um.

»Da unten wohnt er«, sagte er, »hier in Seatown.«

»Mhm.«

»Hier kann man ein ganzes Leben als Unsichtbarer verbringen«, sagte Winter.

Macdonald nickte.

»Wollen wir von Haus zu Haus gehen?«, fragte er. Winter sah ihn an.

»Vielleicht steht er mit einer Luger da. Übrig geblieben von der Schmuggelware.«

Macdonald lächelte nicht. Er hielt es nicht für einen Scherz.

»Warum sollte er das tun?«, fragte er nur.

»Es geht um seine Geheimnisse«, sagte Winter. »Wir sind eine Bedrohung für ihn.«

»Ja.«

Winter sah wieder in die Telefonzelle. Sie lag im Halbschatten. Er konnte sein halbes Spiegelbild in der Scheibe sehen. Er drehte sich um und sah nach Süden, über die Häuser am Abhang nach Castle Terrace, zum Viadukt und dem Hochplateau dahinter. Auf der anderen Straßenseite mündete eine weitere Straße. Er erinnerte sich an den Pub an der Kreuzung.

»Der Mann, der sich nicht rührte, als wir in dem Pub dort oben waren«, sagte er zu Macdonald. »Nur ein Rücken. Es war ein älterer Mann. Ich erinnere mich, dass er total bewegungslos dagesessen hat, als wir dort waren. Nicht eine Bewegung.«

»Vielleicht hat er geschlafen«, sagte Macdonald. »Das ist in den Pubs in Schottland nicht ungewöhnlich.«

»Nein«, sagte Winter. »Ich hab gesehen, dass er zugehört hat, sehr genau zugehört.«

Macdonald dachte nach.

»Es war etwas mit der Frau hinter der Theke«, sagte er nach einer kleinen Weile.

»Sie hat einmal zu viel zu diesem Rücken gesehen«, sagte Winter.

»Ist dir das auch aufgefAllen?«, fragte Macdonald.

»Jetzt, wo ich es sage. Aber ich weiß es nicht.«

»Vielleicht war es seine Tochter«, sagte Macdonald. »Die Tochter des Rückens.«

Winter schaute auf die Uhr.

»Wir können hingehen und fragen. Die Pubs öffnen um elf.«

Aneta Djanali fuhr in Richtung Süden. Die Straße war leer. Die Sonne schien sehr stark, und Aneta hatte keine Sonnenbrille. Der Himmel war so blau, wie er nur sein konnte.

»Finden Sie es jetzt?«, fragte Susanne Marke.

»Ich bin nur einmal dort gewesen«, sagte Aneta Djanali.

»Ich auch«, sagte Susanne Marke. Sie klappte den Sonnenschutz herunter, als die Straße eine Biegung machte. Sie sah Aneta Djanali von der Seite an. »Was werden Sie machen, wenn wir ankommen?«

»Nachschauen, ob alles in Ordnung ist.«

Sie bogen von der Särö-Schnellstraße ab und fuhren durch Felder, die im Sonnenschein zu schweben schienen. Bald würde das Meer auftauchen. Davor lagen das Stück Wald und der Hügel, den Aneta Djanali hinaufgeklettert war. Diesmal wollte sie nicht klettern.

Sie fühlte sich seltsam sicher mit Susanne Marke an ihrer Seite. Susanne Marke war ruhig. Sie bewegte sich nicht.

Aneta Djanali fuhr zwischen den Bäumen dahin.

Plötzlich sah sie ihre Mutter, ihre Mutter aus dem Traum! Die Mutter stand mitten auf der Straße. Aneta Djanali trat jäh auf die Bremse.

»Was zum Teu...« Susanne Marke wurde nach vorn geschleudert, aber vom Sicherheitsgurt gehalten. Die Reifen quietschten.

Aneta Djanali schloss die Augen, schaute wieder. Die Straße war leer. Dort stand keine schwarze Frau mit erhobenen Händen, um sie aufzuhalten, nichts, nur eine Ahnung des Meeres zwischen den Bäumen.

Halders überholte in Höhe von Skalldalen einen Laster, und der verdammte Fahrer scherte plötzlich nach links aus, als Halders ihn fast überholt hatte. Er geriet auf die gegenüberliegende Fahrbahn, darüber hinaus, das Auto wurde gegen einen Steinblock geschleudert, der nicht dort sein sollte, absolut nicht dort, und das Auto überschlug sich, jedoch nur einmal, und blieb stehen, als ob es weiterfahren wollte, aber Halders konnte nicht fahren. Er war eingeklemmt und dachte, wie sonderbar es war. Ich sitze hier in Skalldalen, und mein Kopf ist noch dran und voller Gedanken wie diesem.

Dann verlor er das Bewusstsein.

Aneta Djanali parkte vorm Haus. Rundum war es still. Keine Seevögel schrien oder lachten. Kein Wind. Das Meer war wie ein Spiegel, und dort draußen waren keine Schiffe, die sich darin spiegelten, und darüber keine Wolken.

Susanne Marke war noch nicht ausgestiegen, als Aneta Djanali schon vor der Haustür stand. Sie war nicht ruhig, aber auch nicht mehr so erregt wie noch vor einer Weile. Sie sah ihre Hand an die Tür klopfen, ein-, zwei-, dreimal. Sie rief. Sie öffnete die Tür. Sie rief wieder: »Hallo! Ist da jemand?«

Sie drehte sich zu Susanne Marke um, die immer noch nicht ausgestiegen war. Das Auto stand im Halbschatten.

Dahinter bewegte sich etwas, ein anderer Halbschatten.

Winter und Macdonald überquerten die Bayview Road. Die Tür zum »Three Kings« war halb offen. Es war viertel nach elf.

Die Frau, die kürzlich hinter der Theke gestanden hatte, stand auch jetzt dort. Es war dieselbe Frau. Sie gingen über den glänzenden Fußboden. Die Sonne schien in den Raum. Die Frau bearbeitete ein Glas mit einem Lappen, während sie ihnen entgegensah. In ihrem Blick war kein Wiedererkennen. Wahrscheinlich guckt sie geradewegs durch uns hindurch, dachte Winter.

Jetzt nickte sie.

»Yes?«

Macdonald sah Winter an. Er zeigte auf eins der Aleschilder vor den Zapfhähnen, vier in einer Reihe.

»Zwei Pints, bitte.«

Die Frau stellte das Glas ab, das sie poliert hatte, und reckte sich nach zwei Gläsern im Regal hinter sich. Sie ließ das frische trübe Bier in die Gläser laufen und stellte sie auf die Bardecke.

Macdonald bezahlte. Die Frau entfernte sich ein paar Schritte.

»Ich frage mich, ob Sie uns helfen können«, sagte Macdonald.

Sie blieb stehen. Winter sah die Anspannung in ihrem Gesicht. Sie wusste es. Ihr hatte sofort etwas geschwant, als die beiden Fremden hereingekommen waren.

Sie wusste, wusste etwas.

»Wir suchen einen Mann«, sagte Macdonald.

Die Frau sah Winter an und dann Macdonald. Dann drehte sie ihnen das Profil zu.

»Ja?«

»Einen älteren Mann. Einen Schweden. Er heißt John Osvald.«

»John Osvald«, wiederholte Winter mit schwedischer Aussprache.

»Ja?«

Sie stand immer noch im Profil da. Ein Muskel in ihrem Nacken bewegte sich. Sie fragte nicht, worum es ging. Was sollen wir antworten, wenn sie fragt?, dachte Winter.

»Wir glauben, er wohnt hier in Cullen«, sagte Macdonald.

»Er könnte sich auch Johnson nennen«, sagte Winter.

»Wir glauben, er hat gestern Nachmittag hier gesessen, als wir hier waren.« Macdonald nickte zu dem leeren Tisch und dem leeren Stuhl am Fenster.

Dorthin schien die Frau zu schauen. Die Sonne beschien den halben Tisch und den halben Stuhl. Alles war hell vorm Fenster.

»Ich kenne keinen Schweden«, sagte sie, ohne sich zu rühren.

Sie hat Angst, dachte Winter plötzlich. Sie hat Angst vor uns. Nein. Angst, etwas zu sagen. Angst vor jemand anders.

»Er hat lange in Schottland gewohnt«, sagte Macdonald.

»Vielleicht spricht er nicht mehr mit schwedischem Akzent.«

Sie fragte immer noch nicht, warum sie fragten. Sie schaute aus dem Fenster. Winter sah eine Hausecke auf der anderen Straßenseite und einen kleinen Teil des Strandes.

Er ging zu dem Tisch am Fenster. Jetzt konnte er mehr von der Straße, den Häusern und dem Strand sehen, und er sah das Meer. Die Dächer von Seatown. Das Ufer wurde durch Three Kings Rocks geteilt und ging auf der anderen Seite weiter. Winter sah den Golfclub bei den Klippen, den Parkplatz, auf dem einige Autos standen.

Winter trat näher ans Fenster, um eine bessere Sicht zu haben. Er drehte sich um und sah, dass die Frau an der Bar noch immer an ihm vorbei aus dem Fenster blickte.

Er sah eine Gestalt im Sand, diesseits der Königsklippen. Es könnte dieselbe Gestalt sein, die sie vorhin gesehen hatten. Die Gestalt schien sich nicht bewegt zu haben.

Winter drehte sich wieder um und sah der Frau ins Gesicht, und er wusste. Er schaute wieder aus dem Fenster zu der Gestalt am Strand und zurück zur Frau, und alles war erklärt, alles war in ihrem Gesicht abzulesen. Macdonald schien es auch zu verstehen, ohne es richtig zu verstehen, trat ans Fenster und sah, was Winter sah.

»Das ist er«, sagte Macdonald. Er drehte sich zu der Frau um. »Das da draußen ist Osvald, oder?«

Sie antwortete nicht, und das war auch eine Antwort.

Sie wandten sich um und gingen zur Tür.

»Ich habe die Lebenslüge nicht mehr ausgehalten«, sagte sie.

Sie drehten sich zu ihr um. »Wie bitte?«, sagte Winter.

»Ich habe Va... Vaters Lebenslüge nicht mehr ausgehalten«, sagte sie, ohne ihren Blick vom Fenster zu nehmen.

»Vaters.?«, sagte Macdonald.

»Hab sie nicht mehr ausgehalten«, sagte sie, »und er hat sie auch nicht mehr ausgehalten.«

Winter und Macdonald schwiegen.

»Ich habe einen Brief geschrieben«, sagte sie.

»Er ist angekommen«, sagte Winter.

Sie wandte ihnen das Gesicht zu, heftig.

»Seien Sie vorsichtig am Strand!«

Als sie die Bayview Road überquert hatten und die Treppen nach Seatown hinunterstiegen, konnte Winter den Hafen und die Wellenbrecher und die wenigen Fischerboote am Kai sehen.

Er sah auch den Trawler aus Stahl, der kurz vor der Hafeneinfahrt lag. Er war blau, blau wie der Himmel und das Meer an diesem Tag.

Er sah den Namen.

Aneta Djanali stand zum Auto gewandt. Hinter der Scheibe Susanne Markes Silhouette.

Bei ihrem letzten Besuch hatte ein Plastikboot am Anleger vor der Hütte gelegen. Das war jetzt weg. Das bedeutete etwas.

Hinter dem Auto bewegte sich jemand.

»Ich will Sie hier nicht haben«, sagte Hans Forsblad und trat ins Sonnenlicht.

»Wo ist Anette?«, fragte Aneta Djanali.

»Wo ist Anette? Wo ist Anette?«, äffte Forsblad sie nach.

»Sie hat ein Recht auf ihr eigenes Leben«, sagte Aneta Djanali.

»Nicht, solange Sie sich einmischen«, sagte Forsblad. »Die ganze Zeit mischen Sie sich ein!« »Ich bin mit Ihrer Schwester hier«, sagte Aneta Djanali. »Das weiß ich wohl.«

Er hatte einen Glanz in den Augen, der kam nicht von der Sonne.

Aneta Djanali machte einen Schritt vorwärts.

»Was haben Sie mit Anette gemacht?«, fragte sie, aber sie kannte die Antwort schon.

Halders konnte den Kopf bewegen. Er war vor einer Weile zu sich gekommen, er war nicht lange weg gewesen aus der Welt. Menschen standen um das Auto herum. Er sah Kollegen in Streifenwagen und Uniformen. Ich sehe keinen Krankenwagen. An mich verschwenden sie keinen Krankenwagen.

Jemand hatte die Autotür geöffnet, ohne das Blech aufzuschneiden.

Er konnte aussteigen!

Es gelang ihm mit fremder Hilfe.

»Der Krankenwagen ist unterwegs«, sagte Jansson oder Jonsson oder Johansson oder wie zum Teufel der nun hieß, der Polizeiinspektor aus Frölunda.

»Den kannst du nehmen«, sagte Halders. »Ich brauche keinen Krankenwagen.«

Er ging ein paar Schritte und nach einer Weile noch ein paar.

»Wie spät ist es?«, fragte er.

Der Kollege antwortete. Halders versuchte auf seine Armbanduhr zu schauen, aber er konnte seinen Arm nicht klar erkennen. Er sah den uniformierten Jungen an.

»Kannst du mich wohin bringen?« Plötzlich spürte er, dass es eilig war. Er sah klarer. »Es ist verdammt eilig«, sagte er und tastete nach seinem Handy, gab jedoch auf. »Kannst du jemand für mich anrufen?«

Winter und Macdonald gingen am Strand entlang. Seatown lag in ihrem Rücken. Winter sah die Autos auf dem Parkplatz des Golfclubs. Er meinte es grün blinken zu sehen, wie grünmetallic.

Sie gingen auf die Gestalt zu. Es war ein Mann. Er stand gebeugt da und schaute übers Meer. Sie sahen sein Profil. Er richtete sich auf, war aber immer noch im Profil.

Winter wusste, wer es war, Macdonald wusste es. Es war dasselbe Profil.

Er wusste es jetzt. Da kamen sie, Seite an Seite, ein Heller und ein Dunkler, Wildlederjacke, Lederjacke. Als ob ihnen die ganze Welt gehörte. Aber nein! Denen gehörte nichts.

Als er sie vor einer Stunde oder so gesehen hatte, war ihm klar gewesen, dass sie wieder da waren. Dass sie zu ihm kommen würden. Und er wartete.

Es war vermutlich das Telefon. Er glaubte nicht, dass sie etwas gesagt hatte, das würde sie sich nicht trauen. Konnte man so etwas herausfinden? Das Telefon? Wahrscheinlich war das möglich.

Er hatte nicht die Absicht, Fragen zu beantworten.

Dies war sein Strand, seine Stadt, sein Haus, sein Leben.

Nicht antworten, nichts sagen.

Er konnte sie erschrecken. Nicht hier sollte es ein Ende nehmen. Sie konnten ihm nichts anhaben.

Es war niemand mehr da, der etwas sagen konnte.

Sie waren drei Meter entfernt von dem alten Mann stehen geblieben. Er drehte sich um, ihnen zu.

»John Osvald?«, fragte Winter.

Der Mann sah sie an, als ob sie unsichtbar wären. Er schien etwas hinter ihnen zu fixieren, vielleicht sein Haus. Oder das Viadukt.

»Wir möchten nur wissen, ob Sie John Osvald sind«, sagte Winter auf Schwedisch.

Der Mann antwortete nicht, sah sie weiter mit seinem trüben Blick an.

»Sind Sie John Osvald?«

»Wer sind Sie?«, fragte der Mann. Auf Schwedisch.

»Ich bin von zu Hause«, sagte Winter. »Ich habe eine Nachricht von zu Hause.«

Der Streifenwagen fuhr durch das Wäldchen zum Meer. Halders sah das Meer. Kollege Jonsson hatte Aneta nicht erreicht. Halders hatte es selbst versucht. No reply.

Sie fuhren am Strand entlang und sahen das Haus, das Lindstens sein musste. Er sah das Auto, das Aneta gehörte. Andere Autos sah er nicht.

Er sah eine Frau beim Auto knien. Er kannte sie. Es war Susanne Marke.

Er sah einen Mann fünfzehn Meter entfernt, übers Wasser gebeugt. Er kannte ihn. Er sah, wie Hans Forsblad plötzlich tauchte und davonschwamm. Halders sah Forsblads Schuhe Wasser treten.

Er sah Aneta am Ufer. Sie stand still.

Der Alte hatte nichts mehr gesagt, sich nicht gerührt. Alles war still. Es gab keine Vögel, keine Fische, keine Menschen, nichts dazwischen. Sie waren allein in dieser nördlichen Welt.

»Was ist Ihrem Sohn passiert?« Winter machte einen Schritt vorwärts. »Was ist Ihrem Sohn Axel passiert?«

Langsam wurde der Blick des Alten klar. Das ließ ihn jünger wirken. Er trug eine Kappe mit schmalem Schirm und eine grobe Strickjacke unter dem Tweedjackett. Er war groß, wenn er sich nicht krümmte. Seine Gesichtszüge waren scharf. Winter sah einen blauen Fleck an seiner Wange.

Seine Jacketttasche beulte sich aus. »Was ist mit Axel passiert?«, fragte Winter. »Er hat sich reingewaschen«, sagte John Osvald. »Wie meinen Sie das?«

»Er hat die Sünden abgewaschen. Er wollte es. Ich konnte nicht eingreifen.«

»Er war unbekleidet«, sagte Winter.

»Das kann nur tun, wer Gott liebt«, sagte Osvald. Winter meinte, der Blick des Alten trübe sich wieder ein. »Wie es auch geht, für den, der Gott liebt, wird alles gut.«

»Die Sünden«, sagte Winter. »Welche Sünden meinen Sie?«

»Meine Sünden«, sagte John Osvald. »Was sind das für Sünden?«, fragte Winter. Osvald antwortete nicht.

»Geht es um Dinge, die im Krieg passiert sind?«, fragte Winter.

Osvald fixierte ihn oder vielleicht auch jemand anders. Der Blick war wieder klar.

»Comes a time«, sagte er.

»Wie bitte?«, sagte Winter.

»There comes a time«, sagte Osvald, der schottisches Englisch sprach.

»A time for what?«, fragte Macdonald, der jetzt neben Winter stand.

Keine Antwort.

»A time for what?«, wiederholte Macdonald.

»A time to tell«, sagte Osvald. Er machte eine Handbewegung. Winter sah auf seine Jacketttasche. Es wa...

»To tell what?«, fragte Macdonald.

Er machte einen Schritt näher.

»Stay away from me!«, schrie Osvald plötzlich.

»To tell what?«, wiederholte Macdonald.

»Take it easy, Steve«, sagte Winter.

Er sah auf Osvalds Jacketttasche. Er sah Macdonald an. Er öffnete wieder den Mund, um ihn zu war.

»Tell me what there is to tell«, sagte Macdonald, der Osvald jetzt fast erreicht hatte.

»NOOOOO!«, schrie Osvald plötzlich und riss eine Pistole aus der Jackentasche und schoss. Winter konnte gerade noch die Luger registrieren und hörte die Kugel zwischen sich und Steve vorbeifliegen. Winter hatte sich schon abgewandt, ein Reflex. Er hatte keine Waffe. Steve hatte auch keine Waffe. Winter hörte einen weiteren Schuss und noch einen, er hörte keine Kugel, aber er sah, wie Steve schräg von hinten in den Hals getroffen wurde, er sah das Blut wie eine Fontäne hervorspritzen. Ein gurgelnder Laut von Steve, eine offene Wunde in seiner Schulter, wo die Kugel wieder ausgetreten sein musste, eine langsame Bewegung, als Steve zu fAllen begann, der Geschmack nach Sand im Mund, von widerlichem Sand, der Winters Gesicht füllte, das Bild der Erde, die sich drehte und drehte und zu einer blauen Kugel aus Himmel und Meer wurde, und dann plötzlich das Geräusch von Schritten, die aus der anderen Richtung an ihm vorbeigingen, und wie durch einen Sandnebel sah er Erik Osvalds Profil, und er hörte einen Schrei von vorn und noch einen. Er wusste nicht, woher er kam, und er dachte daran, dass er Steve in die Sache hineingelockt hatte, dass er verantwortlich war und niemand anders, dass er gezwungen sein würde, Sarah zu begegnen und ihr ins Gesicht zu sehen, und sie wiederum musste den Kindern gegenübertreten, den Zwillingen, und er wischte sich den Sand aus dem Gesicht, sprang auf und warf sich vorwärts und schrie und schrie, schrie wie ein Wahnsinniger.