51
Aneta Djanali fuhr nach Hause. Es war ein strahlender Tag, wirklich strahlend. Der Himmel über den Hausdächern war blau. In der Sveagatan lagen scharfe Schatten. Der Wind brachte frische Düfte mit sich.
Nachdem sie das neue Schloss geprüft hatte, ging sie rasch durch den Flur ins Schlafzimmer. Dort zog sie die Bluse und das dünne Hemd aus. Als sie ihren Gürtel öffnete, gefror ihre Bewegung.
Sie zog den Gürtel wieder fest, nahm die Bluse und fühlte ihren Puls. Was hatte sie gesehen? Nein. Was hatte sie wieder gesehen?
Langsam ging sie in den Flur.
Das Schneckenhaus.
Das Schneckenhaus lag wieder an seinem Platz auf der Kommode!
Langsam ging sie näher. Sie wollte es nicht berühren.
Sie lauschte jetzt auf Geräusche, lauschte nach innen, hinter sich. Sie drehte sich langsam nach dem Geräusch von nackten Füßen um.
»Ich hatte nicht gedacht, dass Sie so schnell wiederkommen würden«, sagte Susanne Marke.
Die Frau stand barfuß in ihrem Flur, in ihrem Flur!
Aneta Djanali hörte immer noch Hammerschläge im Kopf, den Vorschlaghammer zwischen den Ohren. Sie hörte sich selbst:
»Wa. was machen Sie hier?«
»Ich warte auf Sie«, sagte Susanne Marke. Sie hatte einen eigentümlichen Ausdruck in den Augen.
»Irgendwann mussten Sie ja nach Hause kommen.«
»Wa. warum?« Das war die wichtigste Frage. Nicht wie, wann, was, wer.
»Haben Sie es immer noch nicht begriffen?«, fragte Susanne Marke.
Aneta Djanali wollte sich nicht bewegen. Susanne Marke stand still. Sie hatte nichts in den Händen.
»Was soll ich verstehen?«
Plötzlich lachte Susanne Marke, hart, schrill.
»Das mit Anette und mir.«
»Anette . und Ihnen?«
Susanne Marke machte einen Schritt auf sie zu und noch einen. Sie war immer noch einige Meter entfernt.
»Warum, meinen Sie, sind alle so schweigsam?«, sagte sie. »Inklusive Anette? Warum, meinen Sie?«
»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen«, sagte Aneta Djanali, und plötzlich konnte sie sich bewegen. »Sie sind in meine Wohnung eingebrochen. Das ist ein Vergehen, und jetzt.«
»Das ist mir doch scheißegal!«, schrie Susanne Marke und machte noch einen Schritt vorwärts. »Und auf alle anderen scheiß ich auch. Warum, meinen Sie, kann mein lieber Bruder seine liebe Frau nicht in Ruhe lassen, wie? Oder warum will der Vater der lieben Ehefrau nicht, dass was rauskommt? Wie? Wie?«
»Sie haben doch alles getan, um Hans Forsblad zu schützen«, sagte Aneta Djanali.
»Das hab ich keineswegs«, sagte Susanne Marke. »Aber ich konnte nicht alles sagen. Ich musste auch Rücksicht auf Anette nehmen. Was sie wollte, auf ihren Willen.«
»Wo ist sie jetzt?«
»Sie ist am Ende ihrer Kräfte«, sagte Susanne Marke.
Sie sah selber aus, als wäre sie am Ende ihrer Kräfte.
»Wer ist Bengt Marke?«, fragte Aneta Djanali.
»Mein Exmann. Er hat mit der Sache nichts zu tun.«
»Ihm gehört das Auto, das Sie fahren.«
»Es war ein Geschenk. Glauben Sie mir, Bengt hat nichts damit zu tun. Er wohnt nicht mal in Schweden.«
»Wo ist Hans? Wo ist Ihr Bruder?«
»Er wollte ein letztes Mal mit ihr reden. Ich hab versucht, das zu verhindern.«
»Wo sind sie?«
»Anette wollte, dass er es versteht. Ein letzter Versuch.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Aneta Djanali.
»Aber dass hier jederzeit jemand eindringen kann, das glauben Sie?« Susanne Marke sah sie mit funkelnden Augen an.
»Ich sehe ja, dass Sie da sind«, sagte Aneta Djanali.
»Und vorher?«, sagte Susanne Marke. »Wer war es vorher? Das war ich nicht.« Sie zeigte plötzlich auf das Schneckenhaus, das matt im nackten Licht der Flurbeleuchtung schimmerte. »Ich hab es wiedergebracht! Mein lieber Bruder hatte es. Glauben Sie mir jetzt?«
»Ja ... ich weiß nicht, was das erklären soll«, sagte Aneta Djanali. »Ich verstehe die Logik nicht.«
Susanne Marke starrte weiter auf das Schneckenhaus, als ob es ihnen etwas sagen könnte. Manchmal hatte sich Aneta Djanali das Haus ans Ohr gehalten. Darin war das Rauschen des Meeres.
Sie fragte nach dem Kontöme.
»Dort hat ein Bild gehangen«, sagte sie, »ein Bild von einem Geist aus Afrika.«
Sie sah, dass Susanne Marke nichts verstand und nichts wusste.
»Ich hab sein Spezialwerkzeug genommen«, sagte Susanne Marke. »Damit kommt man überall rein.« Sie sah Aneta Djanali an. »Wissen Sie, woher Hans es hat?«
»Ich kann's mir denken«, sagte Aneta Djanali.
»Sie sind jetzt da unten«, sagte Susanne Marke. Sie sah Aneta Djanali an. »Das ist falsch.«
»Falsch? Falsch? Was ist falsch?«
»Er hätte nicht runterfahren sollen. Und sie hätte nicht runterfahren sollen.« Sie sprach weiter mit einer dünnen Stimme, die gar nicht ihre eigene zu sein schien. »Es kann etwas passieren.«
Aneta Djanali ging rasch durch den Flur an Susanne Marke vorbei. Im Schlafzimmer rief sie erst in Lindstens Haus in Fredriksdal an, aber dort meldete sich niemand. Dann rief sie im Haus am Meer an, doch auch dort meldete sich niemand. Sie wählte Anette Lindstens Handynummer, aber niemand ging ran.
Sie musste eine Entscheidung treffen.
Susanne Marke hatte keine richtige Angst, sie tat nur so. Alles, was bis zu dem hier geführt hatte, konnten sie später in einem Puzzle zusammenfügen, aber jetzt wusste Aneta Djanali, dass sie handeln musste, und zwar schnell.
Sie kehrte zurück in den Flur.
»Sind Sie ganz sicher, dass sie in der Hütte sind?«, fragte sie.
»Sie sind dort.«
»Wer genau ist dort?«
»Hans und Anette.«
Aneta Djanali nahm ihre Jacke vom Bügel. Susanne Marke rührte sich immer noch nicht. »Kommen Sie mit?«, fragte Aneta Djanali. »Mitkommen? Wohin?«
»Dorthin«, sagte Aneta Djanali und zog die halb hohen Stiefel an.
Susanne Marke sah auf ihre Füße. Sie ging in die Küche und kam mit ein paar grauen Joggingschuhen zurück.
»Ich komme mit«, sagte sie.
Sie verließen rasch das Haus.
Im Auto rief Aneta Djanali Halders an und erzählte es ihm.
»Bleib zu Hause«, sagte er.
»Ich glaube Susanne Marke«, sagte Aneta.
»Das spielt keine Rolle. Du könntest dich in Gefahr bringen.«
»Sie fährt mit«, sagte Aneta Djanali.
»Soll sie dich schützen?«
»Ich mach keine Dummheiten«, sagte Aneta Djanali. »Und ich bin bewaffnet.« Sie hörte ihn etwas murmeln. »Was hast du gesagt, Fredrik?« »Wo seid ihr jetzt?«
»Auf der Umgehung. Ich sehe die Skyline von Frölunda.«
»Wo genau liegt die verdammte Hütte?«
Verdammte. Ja.
Sie beschrieb ihm den Weg.
»Ich bin schon unterwegs«, sagte Halders.