XIX
Ihre Unterkünfte waren spartanisch, aber zufriedenstellend. Falameezar erklärte sich mit dem von den Ställen hereingebrachten Stroh zufrieden. Es war in der Konsistenz natürlich trockener, aber ansonsten dem vertrauten Schlamm seines Lieblingsflußbodens vergleichbar.
»Es gibt da einige Weiterungen der kommunalen Verwaltung, die ich gern mit dir diskutieren möchte, Genosse«, sagte er zu Jon-Tom, als dieser zu seiner Unterkunft ging.
»Später, Falameezar!« Jon-Tom gähnte, war durch den hektischen Tag völlig erschöpft. Draußen war es dunkel geworden. Die Fenster Polastrindus waren wie ein Schwärm Feuerfliegen zum Leben erwacht.
Außerdem war er es ziemlich leid, die unermüdliche Neugier des Drachen zu befriedigen. Sein begrenztes Wissen über den Marxismus wurde langsam etwas fadenscheinig, und in ihm wuchs die Sorge, einen gefährlichen philosophischen Fehler zu machen. Falameezars Freundschaft beruhte auf einer vermuteten gemeinsamen Zuneigung zu einem bestimmten sozioökonomischen System; unter den irisierenden Schuppen lag aber auch eine verheerende Reizbarkeit. Eine Hand umfaßte seinen Arm, und er fuhr zusammen. Es war nur Mudge.
»Nimm's ein bißchen leichter, Kumpel! Du bist ja verknoteter als 'n Jungferngürtel. Wir 'aben es bis'ier'er geschafft, und das is das Wichtige, wa? Heute abend ge'en wir aus und suchen uns 'n paar weniger streitbare Damen als die, mit denen wir unterwegs sind, und machen uns 'ne vergnügte Nacht, hm?«
Jon-Tom machte entschlossen seinen Arm frei. »Oh, nein! Ich erinnere mich an das letzte Mal, als du mich in eine Taverne mit nahmst. Es hätte nicht viel gefehlt, und mir wäre der Bauch aufgeschlitzt worden. Ganz zu schweigen davon, wie du mich in der Gildenhalle sitzen ließest.«
»Nun, dafür war Talea verantwortlich, nich ich.«
»Wofür war ich verantwortlich?« Der Rotschopf tauchte in der vor ihnen liegenden Tür auf.
»Ach nichts, Liebchen!« sagte Mudge unschuldig.
Sie betrachtete ihn noch einen Moment und entschied dann, seine Bemerkung zu überhören. »Hat jemand bemerkt, daß an beiden Enden dieses Schuppen Schlafsäle liegen? Und zwar voller Soldaten. Sie haben uns die Offiziersunterkünfte zugewiesen; aber es gefällt mir nicht, von den anderen umgeben zu sein.«
»Angst, im Schlaf ermordet zu werden?« Mit dieser Bemerkung gesellte sich Flor zu der Gruppe.
Talea funkelte sie an. »Es ist bekannt, daß so etwas passiert, besonders solchen, die ihre Betten für sicher halten. Außerdem behauptete dieser Major Maskengesicht, hier lebte normalerweise nur ein Instandhaltungstrupp. Wo kommen dann diese Söldnertypen her, und warum?«
»Wie viele sind es?« wollte Caz wissen.
»Mindestens fünfzig an jedem Ende. Opossums, Wiesel, Menschen – eine hübsche Mischung. Für eine Bande von Besenschwingern sahen sie doch ziemlich wachsam aus. Sind außerdem gut bewaffnet.«
»Es ist nur natürlich, daß man in der Stadt wegen unserer Anwesenheit nervös ist«, argumentierte Jon-Tom. »Ein paar Wachen sind verständlich.«
»Ein paar, ja – um die hundert, ich weiß nicht.«
»Willst du damit sagen, daß wir Gefangene sind?« fragte Flor.
»Ich will sagen, daß ich nicht gut schlafen werde, wenn ich weiß, daß über hundert nervöser, gut bewaffneter Soldaten gleich nebenan schlafen.«
»Wäre nicht das erste Mal«, murmelte Mudge.
Sie blickte ihn scharf an. »Was? Was hast du gesagt, du struppelgesichtiger kleiner Furz?«
»Daß es nicht das erste Mal wäre, daß wir umzingelt sind, Liebchen.«
»Oh!«
»Es gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden.« Caz ging zu der kleinen Tür, die in eines der riesigen Schiebepaneele eingelassen war. Er öffnete sie und sprach mit jemand Unsichtbarem. Schließlich tauchte der Biberoffizier auf, den sie schon kannten. Er sah unglücklich aus und versuchte ihre Blicke zu meiden.
»Wie ich höre, wünscht ihr ein Abendmahl.«
»Das ist richtig«, antwortete Caz.
»Die Tspeitsen werden unvertsüglich hereingebracht, dats Betste, wats die Tstadt tsu bieten hat.« Er wollte gehen, Caz hielt ihn zurück.
»Einen Moment, bitte! Das ist ein wirklich freundliches und großzügiges Angebot, aber ein paar von uns zögen es doch vor, sich Ort und Art ihrer Mahlzeit selbst zu wählen.« Er zupfte sich abwesend am Schwanz; die Schnurrhaare zuckten. »Das geht doch in Ordnung, oder?«
Er machte einen Schritt in Richtung der geöffneten Tür.
Der Offizier vertrat ihm zögernd den Weg. »Ets tut mir ehrlich leid...« Er klang, als sei es ihm ernst. »Aber Major Ortrum gab tstrickte Intstruktionen, wie ihr untergebracht und vertsorgt werden sollt. Eure Tsicherheit itst der Verwaltung autserordentlich wichtig. Ets herrscht die Tsorge, dats betstimmte radikale Narren unter der Bevölkerung vertsuchen könnten, euch antsugreifen.«
»Diese Sorge um unser Wohlergehen ist höchst freundlich«, erwiderte Caz, »aber nicht notwendig. Wir können auf uns selbst achtgeben.«
»Dats weits ich durchauts«, gab der Biber zu, »aber meine Vorgetsetsten tsehen dats anderts. Ets itst tsu eurem eigenen Schuts.« Er zog sich rückwärts gehend zurück und schloß die Tür fest hinter sich.
»Das wäre es dann«, schnappte Talea wütend. »Wir stehen unter Hausarrest. Ich wußte, daß sie irgend etwas vorhatten.«
Flor spielte mit ihrem Messer und reinigte sich die langen Fingernägel. Wie sie so mit überkreuzten Beinen an der Wand lehnte und ihr schwarzer Umhang die Figur umschmeichelte, fand Jon sie wieder einmal wirklich hinreißend.
»Das ist doch kein Problem. Un poco sangre, und wir gehen, wohin wir wollen, no es verdad? Oder wir wecken Johnny- Toms feuerspuckenden compadre und machen Holzkohle aus diesem Holz.« Sie deutete mit dem Messer auf die mächtigen Schiebepaneele.
»Die Leute hier sind nicht der Feind, Flor. Jetzt ist die Zeit für Diplomatie«, sagte er zu ihr. »Auf jeden Fall kann ich es nicht riskieren, Falameezar allein zu lassen.«
Schwarze Augen blitzten ihn an, sie stieß sich von der Wand ab und rammte ihr Messer in das Holz. »Vielleicht, aber hier geht es mir wie Talea. Ich mag es nicht, wenn man mir sagt, wohin ich gehen darf und wohin nicht, selbst wenn es möglicherweise zu meinem ›eigenen Schutz‹ ist! Ich habe zwanzig Jahre mit älteren Brüdern und Schwestern hinter mir. Ich will verdammt sein, wenn ich mir jetzt dasselbe von irgendeinem übergroßen affektierten Waschbären diktieren lasse.«
»Tz, tz... Kinder, Kinder!«
Sie wandten sich alle um. Clodsahamp beobachtete sie und schnalzte mißbilligend mit der Zunge.
»Ihr werdet in dem bevorstehenden Krieg auf dem Schlachtfeld alle von großem Wert sein, aber dieser Krieg findet noch nicht statt, nicht hier. Die Fleischtöpfe der Stadt interessieren mich nicht im mindesten, also werde ich«, er lächelte zu Jon-Tom hoch -, »hierbleiben, um das Bedürfnis deines großen Freundes nach Konversation zu befriedigen.«
»Ich habe mir euer Geplauder genau angehört, und du hast mich gut eingewisen. Die zugrunde liegenden Prinzipien der Anschauungen, denen der Drache so fanatisch verhaftet ist, sind leicht zu handhaben. Ich kann mit ihm fertig werden. Außerdem gehört es zur Natur von Drachen und Hexern, daß sie gut mit einander auskommen. Es gibt andere, gemeinsame Themen über die wir reden können.
Ihr aber solltet alle gehen, wenn ihr es wünscht. Ihr habt bisher alles getan, worum ich bat, und verdient ein wenig Entspannung. Also werde ich die Aufmerksamkeit des Drachen beanspruchen, falls nötig, und euch dabei helfen weg zu schleichen.«
»Ich weiß nicht recht.« Jon-Tom blickte auf die schnarchende Gestalt des Drachen. »Er hat ein außergewöhnlich eindringliches und scharfes Einspurdenken.«
»Ich werde mich bemühen, unser Gespräch von der Ökonomie wegzulenken. Das scheint sein Hauptinteresse zu sein. Nachdem ihr gegangen seid, werde ich die Tür wieder von außen verriegeln... eine kleine Levitationsübung. Die Riegel an Ort und Stelle und Gesprächsfetzen von innen werden die Wachen vermuten lassen, daß ihr immer noch da seid.
Das müßte sich 'übsch leicht 'inkriegen lassen, wa?« Mudge zuckte zusammen. Der Hexer hatte seine Stimme perfekt nachgeahmt.
Eine dunkle Gestalt löste sich aus den Dachbalken. »Wasch ischt mit mir, Meischter?« Pog sah Clodsahamp fast flehend an.
»Geh mit ihnen, wenn du willst! Ich habe heute abend keine Verwendung für dich. Aber bleib den Bordellen fern! Das hat dich erst in diese Lage gebracht, vergiß das nicht! Du wirst damit enden, daß du dich einem zweiten Meister verpflichtest.«
»Keine Schorge, Bosch. Und danke!« Er verbeugte sich in der Luft.
»Ich glaube dir nicht, aber ich will dich nicht zurückhalten, wenn ich die anderen gehen lasse. Moralische Auszehrung«, murmelte er angewidert. Pog blinzelte Jon-Tom einfach nur zu.
»Sie werden uns helfen hinaus zukommen? Was werden Sie tun?« wunderte sich Flor. »Die Wand auflösen?«
Clodsahamp runzelte die Stirn, soweit sein starres Gesicht das zuließ. »Du unterschätzt die Mittel, die einem so erfahrenen und kultivierten Zaubermächtigen, wie ich es bin, zur Verfügung stehen. Falls ich so vorginge, wie du es vorschlägst, würde unseren Wächtern sofort offenbar, was sich ereignet hat. Eure zeitweilige Abwesenheit muß unbemerkt vonstatten gehen.
Sobald es ein wenig dunkler ist, werde ich es euch ermöglichen, sicher und ungesehen in die Stadt zu gelangen.«
Also standen sie nach einiger Zeit zusammen gedrängt in einer schmalen Seitenstraße und sahen sich ihre Umgebung an. Öllampen flackerten im Nachtnebel, Licht kämpfte sich hinter geschlossenen Fensterläden hervor. Um sie herum trieben die leisen Geräusche einer Stadt durch die Dunkelheit, die zu groß und zu geschäftig war, um nachts zu schlafen.
Hinter ihnen, auf der anderen Seite des verlassenen Platzes, zeichneten sich die schattenhaften Umrisse des scheunenartigen Gebäudes ab, in dem sie noch vor wenigen Augenblicken eingesperrt waren.
Jon-Tom hatte von Clodsahamp etwas Außergewöhnliches erwartet – daß er sie zum Beispiel in einem anderen Gebäude materialisierte.
Statt dessen war der Hexer zu einer anderen kleinen Seitentür gegangen und hatte dort mit der magisch oder nichtmagisch nachahmenden Stimme einer dösenden Wache wüste Beleidigungen auf die Vorfahren eines Kameraden ausgestoßen. Der weckte seinen vermeintlich pöbelnden Kollegen unsanft auf, und bald ging ihre mündliche Auseinandersetzung in eine körperliche über.
An diesem Punkt war es Talea und Caz ein leichtes, hinter die Streithälse zu schleichen und durch den sinnvollen Einsatz loser Pflastersteine den Disput für den weiteren Verlauf des Abends zu beenden.
Das war zwar nicht gerade die wundersame Handhabung von Magie, die Jon-Tom von Clodsahamp erwartet hatte, aber er mußte zugeben, daß sie wirkungsvoll war.
Sie wurden von niemandem gestört oder behindert, als sie durch die verlassene Straße schlenderten. Die Bürger machten freiwillig oder auf Befehl einen großen Bogen um den Militärbereich.
Die Gruppe stieß jedoch schon bald auf den abendlichen Fußgängerverkehr, erregte aber trotz Jon-Toms und Flors hohem Wuchs wenig Aufmerksamkeit. Talea und Mudge waren noch nie in einer Stadt von der Größe Polastrindus gewesen. Sie gaben sich alle Mühe, blasiert zu wirken, aber ihre wahren Empfindungen reichten an ehrfürchtiges Staunen.
Da auch Jon-Tom, Flor und Pog die Stadt nicht kannten, lag es unausgesprochen an Caz, sie zu führen. Nach einer Weile fühlte Jon-Tom sich fast wohl dabei, das Cape über den Kopf geschlagen, durch die regennassen Straßen zu gehen. Mit ihren überhängenden Balkonen und den flackernden Öllampen waren sie den Gassen Lynchbanys nicht unähnlich. Der grundlegende Unterschied bestand darin, daß die Geräuschkulisse weit lauter war: das Schimpfen und Zanken, die Laute der Liebe und des Spiels, das Fluchen und das Weinen und Kreischen von Jungen.
Wie in Lynchbany waren die oberen Stockwerke von den verschiedensten flügeltragenden Bürgern bevölkert: Fledermäusen wie Pog oder kilttragenden Vögeln. Nachtinsekten füllten den Himmel, tanzten vor der halb hinter Wolken verborgenen Mondsichel.
Eine Gruppe betrunkener Wasch- und Nasenbären schlenderte an ihnen vorbei. Ihre Umhänge und Westen zeigten Wein- und Bierflecken. In ihrer Mitte ging ein weiblicher Rotfuchs. Sie trug ein wundervolles fließendes Kleid und einen breitrandigen Hut. Mit ihrem kurzen zuckenden Schwanz und den in die Nacht spähenden Augen hatte sie etwas Elfenhaftes; die Art und Weise, wie ihr Nasenbärbegleiter sie betätschelte, war indessen alles andere als märchenhaft.
Dann kam ihnen ein Trupp aus Opossums und Fuchskusus auf dem Weg zur Arbeit entgegen. Gerade von langem Tagschlaf erwacht, hatten es die Arbeiter eilig, zu ihren Jobs zu kommen. Die Zecher wollten sie nicht vorbeilassen. Es gab einiges – hauptsächlich gutgelauntes – Geschiebe und Gedränge, bis die Arbeiter ihren Weg fortsetzen konnten.
»Hier entlang!« dirigierte sie Caz. Sie schwenkten in eine schmale gewundene Straße ein. Hier war die Beleuchtung greller, der Lärm aus den diversen geschäftigen Etablissements lauter und rauher. Hinter einer Vielzahl von Fenstern stellten stark geschminkte Gesichter extreme Haut- und Pelzfarben zur Schau; ihre durchaus nicht durchgängig weiblichen Träger winkten ihnen auffordernd zu. Besonders Flor studierte sie so interessiert, als handelte es sich um einen Studienkurs über das Theater des neunzehnten Jahrhunderts.
Hin und wieder betrachteten diese Gesichter sie mit mehr als dem üblichen Interesse. Die intensiven Blicke galten hauptsächlich Flor und Jon-Tom. Einige der Kommentare, die dieses Starren begleiteten, waren ebenso anerkennend wie saftig obszön.
»Meine Füße tun mir langsam weh«, wandte sich Jon-Tom an Caz. »Wie weit ist es noch? Weißt du, wo du uns hinbringst?«
»In genereller Weise ja, mein Freund. Wir suchen nach einem Etablissement, das das Bestmögliche aller Welten in sich vereint. Nicht jede Taverne bietet Sport an. Nicht jedes Spielhaus kann mit Erfrischungen dienen. Und unter den wenigen, die alles bieten, gibt es nicht viele, die so achtbar und anständig sind, daß man den Fuß hinein setzen könnte.«
Sie bogen um eine weitere Ecke. Zu seiner Überraschung bemerkte Jon-Tom, daß Talea dicht neben ihm ging.
»Es ist angenehm, draußen zu sein«, sagte er im Plauderton.
»Nicht, daß es in den Quartieren unbequem gewesen wäre, aber es geht ums Prinzip. Wenn die merken, daß sie uns in unserer Bewegungsfreiheit einschränken können, werden sie das immer mehr verstärken und außerdem Clodsahamps Informationen gegenüber weniger respektvoll sein.«
»Das ist schon so«, sagte sie mit belegter Stimme. »Aber das macht mir momentan keine Sorgen.«
»Nein?« Er legte probehalber seinen Arm um ihre Schulter. Sie widersetzte sich nicht. Er dachte an jenen Morgen zurück, als er im Wald aufgewacht war und sie zusammen gerollt an seiner Schulter gelegen hatte. Dieselbe Wärme wie damals drang jetzt durch ihr Hemd und ihren Umhang, wanderte durch seine Finger und seinen Arm bis in tiefere Regionen.
»Was macht dir dann Sorgen?« fragte er warmherzig.
»Daß man uns seit ein paar Minuten verfolgt.« Verblüfft wollte Jon-Tom sich umsehen, als ihm eine Hand schmerzhaft in die Rippen stieß.
»Sieh sie nicht an, du Idiot!« Resolut zwang er seinen Blick nach vorn. »Es sind sechs oder sieben, glaube ich.«
»Vielleicht ebenfalls nur Vergnügungssüchtige«, meinte er.
»Das glaube ich nicht. Sie sind die ganze Zeit immer im gleichen Abstand hinter uns geblieben.«
»Was sollen wir dann also tun?« fragte er.
»Vielleicht in die nächste Taverne einkehren. Wenn sie irgend etwas von uns wollen, wird ein Raum voller Zeugen sie möglicherweise bremsen.«
»Dessen können wir nicht sicher sein. Warum schicken wir nicht Pog zurück, um sie zu überprüfen«, schlug er schlau vor, »bevor wir irgendwelche Entscheidungen treffen? Zumindest wird er uns genau sagen können, wie viele und wie gut bewaffnet sie sind.«
Sie sah ihn anerkennend an. »Das läßt sich hören! Je mißtrauischer du wirst, Jon-Tom, desto länger wirst du leben. Pog! Pog!?« Die anderen blickten sich neugierig zu ihr um.
»Pog! Nichtsnutziger, schmarotzender, geflügelter Dreckskerl, wo zum Teufel...?«
»Bremsch dich, Schwester!« Die Fledermaus flatterte unvermittelt vor ihnen in der Luft. »Ich habe schlechte Nachrichten für euch.«
»Das wissen wir schon«, sagte Talea.
Er schien verblüfft und blieb flatternd vor ihnen in der Luft hängen, während sie weitergingen. »Tatschächlich? Wie dasch? Ich flog vorausch, weil mir langweilig wurde, und ihr könnt doch bestimmt nicht schehen...?«
»Warte, warte eine Sekunde!« bat Jon-Tom. »Voraus?« Er wies mit dem Daumen über die Schulter. »Aber wir sprechen von dem Trupp, der...«
»Das ist weit genug!« rief eine fremd klingende Stimme aus.
»Whupp... wir sehen uns!« Pog schoß plötzlich senkrecht in die Dunkelheit davon.
Jon-Tom suchte hastig die Straße ab. Die nächste offene Tür, aus der Musik und Gelächter drangen, war mindestens einen halben Block entfernt. Direkt neben ihnen waren nur zwei dunkle Portale; das linke führte in eine kurze Sackgasse, die in ein Labyrinth von Treppen überging; das andere war massiv mit eisenverstärkten Läden verbarrikadiert.
Sonst war niemand zu sehen, weder ein einzelner herumstreunender Zecher noch, was viel besser gewesen wäre, eine der Nachtstreifen der Stadtwache.
Vor ihnen wartete etwa ein Dutzend schwerbewaffneter Menschen. Die meisten hatten langes wirres Haar und noch längere Gesichter. Sie trugen Keulen, Streitkolben, Bauernspieße und Bolas, eine insgesamt beeindruckende Ansammlung von Waffen. Es war allerdings (ohne daß es Jon und seinen Begleitern auffiel) keine einzige tödliche Waffe darunter, weder ein Messer noch ein Speer oder ein Schwert.
Die Menschen hatten sich im Halbkreis über die Straße verteilt und blockierten sie vollständig. Jon-Tom sah sich noch einmal die schmale Sackgasse an, sie machte mehr den Eindruck einer Falle als den einer Fluchtmöglichkeit.
Zwei Drittel der Menschen waren männlich. Anständige Kleidung oder überhaupt ein ansprechendes Aussehen war nirgends zu erkennen. Alle hatten in etwa Taleas Größe, selbst Caz überragte die meisten. Ihre Aufmerksamkeit galt Jon-Tom und Flor, die sie mit unverhohlenem Interesse betrachteten.
»Wir würden es begrüßen, wenn ihr mit uns kämt.« Diese Aufforderung kam von einem stämmigen blonden Burschen in der Mitte der Gruppe. Sein Vollbart schien einschließlich des Schnäuzers direkt in die Behaarung seiner unbedeckten Brust überzugehen. Tatsächlich stellte er soviel Haar zur Schau, daß Jon-Tom sich in der Dunkelheit fragte, ob er wirklich ein Mensch und nicht einer der pelzigen Bürger der Stadt war.
Das brachte ihn dazu, über die ungewöhnliche Einheitlichkeit des Trupps nachzudenken. Bisher waren alle Gruppen und Ansammlungen, denen er begegnet war, rassisch gemischt gewesen.
Er sah sich um. Der Trupp, der ihnen gefolgt war, hatte sich verteilt, um jeden Rückzug zu blockieren, und – ja! war ebenfalls ausschließlich menschlich und vergleichbar bewaffnet.
»Das ist sehr nett von euch«, erwiderte Caz auf die Einladung, »aber wir haben unsere eigenen Pläne.« Er sprach für alle seine Begleiter. Jon-Tom holte beiläufig seinen Stab vom Rücken und schob die Duar aus dem Weg. Taleas Hand senkte sich auf ihr Schwert. Unter den Menschen, die ihnen gegenüberstanden, gab es unruhiges Gedränge.
»Es tut mir leid. Wir bestehen darauf.« Die beiden Gruppen begannen die Reisenden von vorn und hinten einzukreisen.
Mit einem leisen metallischen Klingen erschien Taleas Schwert in ihrer Hand. »Die erste von euch Pestbeulen, die es wagt, Hand an mich zu legen, wird zu kaltem Fleisch.«
Im schummrigen Licht der Öllampen schien sie Jon-Tom schöner denn je. Aber das galt auch für Flores Quintera, die mit kurzem Schwert und ausgestrecktem Streitkolben amazonengleich dastand; das Licht schimmerte auf der Sägezahnkante des Stahls.
»Qvejas y putas, kommt und holt uns... wenn ihr könnt!«
»Meine Damen, bitte!« protestierte Caz, entsetzt über die Art, wie seine Diplomatieversuche von hinten unterminiert wurden.
»Es wäre besser, wenn... oh, Verzeihung!« Er hatte zu Talea und Flor zurückgeblickt, ihre Belagerer aber nicht aus den Augen verloren. In dem Moment, als einer von diesen vorgesprungen war und versucht hatte, Caz eine kleine Keule über den Schädel zu ziehen, war dieser zur Seite gehüpft und hatte seinen Fuß der Schuhgröße fünfundsiebzig ausgestreckt. Sein Angreifer war darüber gestürzt.
»Tut mir schrecklich leid«, murmelte Caz. Seine Entschuldigung bremste den darauf folgenden Ansturm der beiden Menschengruppen nicht.
Die Enge der Straße vereinfachte die Verteidigung. Die Angegriffenen stellten sich Rücken an Rücken in einem engen Kreis auf und schlugen und hackten auf ihre Gegner ein, die sich mit schockierend selbstverleugnerischer Verwegenheit gegen den gezückten Stahl warfen. Das Licht, der Schweißgeruch und die Schreie verschwammen für Jon-Tom ineinander. Die Duar schlug ihm als schweres Gewicht unter den Arm, als das stumpfe Ende seiner Stabkeule nach ungeschützten Gesichtern oder Unterleibern suchte.
Ihm fiel ein, daß ein wenig Magie die Angreifer vielleicht verscheucht hätte. Er verfluchte sich, weil ihm der Gedanke nicht früher gekommen war. Jetzt war es zu spät zum Singen; er konnte seine Verteidigung nicht lange genug unterbrechen, um die Duar herum zuschwingen.
Drei entnervte Angreifer versuchten, seine enorme Reichweite zu umgehen; er hielt sie mit dem Keulenende zurück. Einer schlüpfte schließlich doch unter dem Stab durch und hob einen Streitkolben. Jon-Tom preßte einen der Stifte des Stabs und schwenkte ihn herum, wie man es ihm gezeigt hatte. Die herausgefederte Speerspitze schnitt quer über die Schenkel des Kolbenschwingers, der zusammenklappte und sich stöhnend die Beine hielt.
Irgend etwas Dunkles legte sich über Jon-Toms Augen, als er von unten am Hinterkopf getroffen wurde. Wild mit dem Stab herumfuchtelnd, wandte er sich um. Der Stab traf auf etwas Nachgiebiges, das einmal aufjaulte.
Etwas Schweres legte sich über seine Sinne, einschließlich seiner Augen. Dann verwischte und verschwamm alles. Seine Gedanken trieben träge dahin, als versuchte er durch zähen Sirup hindurch zu denken. Undeutlich und weit entfernt konnte er noch das Schreien und Kreischen der fortdauernden Schlacht vernehmen.
Er erkannte die hellstimmigen Herausforderungen Taleas, in die sich die Schmähungen und Flüche von Mudge mischten. Flor stieß Kriegsschreie in einer interessanten Mischung aus Spanisch und Englisch aus. Das letzte, was er sah, bevor das schwarze Tuch oder was immer es war, über seinen Kopf glitt, war ein klarer Sternenhimmel mit sich auflösenden Regenwolken und einer Mondsichel, die bläulich zwischen Spitzdächern hindurchschien, die wie gefaltete Hände über der Straße hingen. Er hoffte, daß sie diese Haltung zu einem Gebet für ihn eingenommen hatten.
Dann schwand selbst dieser Wunsch zusammen mit den letzten Resten von Bewußtsein...