XIV
Panik herrschte in der Feste Cugluch.
Die Kunde von den Schwierigkeiten sickerte von den Leibdienern zu den Bediensteten, zu den Arbeitern und selbst zu den niedrigen Arbeitslehrlingen, die sich in den tiefsten Höhlengräben plackten und sich unaufhörlich mühten, den allgegenwärtigen Schlamm daran zu hindern, die Untertunnelungen zu überfluten.
Gerüchte kamen auf. Die Arbeiter flüsterten von einem Flammenregen, der aus dem Himmel gefallen war und Hunderte von Brutplattformen zerstört hatte. Oder sie erzählten von Tonnen sorgfältig gehorteter Nahrung, die durch eingedrungene Sporenfäule verdorben worden waren. Oder daß an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Sonne geschienen hatte oder daß mehrere Angehörige des Imperialen Hofs dabei entdeckt worden waren, wie sie sich vom Körper eines einfachen Arbeiters nährten und sofort ausgestoßen worden waren.
Die Wahrheit war weit schlimmer als die Gerüchte. Jene, die informiert waren, verbargen sich in Furcht und blickten während ihres Tagewerks ängstlich über die Schultern (diejenigen, die dazu imstande waren, denn einige hatten keine Hälse... und einige keine Schultern).
Jagdtrupps nutzten jede Gelegenheit, sich aus der Hauptstadt zu entfernen, unter dem Vorwand, die schon enormen Vorräte noch weiter zu ergänzen. Buchhalter und Revisoren beugten sich tief über ihre Listen. Alle standen unter der Wirkung der Panik, einer Panik, die über die Vernunft hinausreichte, über die normale Angst zu sterben, und sogar die zuckenden und zitternden Larven in ihren Kokons erreichte.
Die Kaiserin Skrritch tobte ihre Wut aus. Blut und Fleischstücke markierten ihren Weg, als sie durch die Kammern und Räume des labyrinthischen Zentralpalastes stürmte.
Sicher vor ihrem Grimm, exerzierten endlose Legionen mandibelbewehrter, facettenäugiger Truppen meachanisch auf den moosbewachsenen Feldern vor der Stadt. Schwächlich nur durchdrangen die Strahlen der Sonne den graubraunen Himmel, so als fürchteten sie, den Boden zu erreichen.
Wachen und Diener, umherhuschende Boten und Bürokraten bekamen gleichermaßen den Zorn der Kaiserin zu spüren. Schließlich verbrauchte sich die Wut, und sie ließ sich in einer der unbedeutenderen Audienzkammern nieder.
Ihre Gedanken galten ihrer eigenen Angst. Beiläufig knabberte sie an dem kopflosen Leichnahm eines immer noch zuckenden Blaukäfer-Kämmerers, der nicht schnell genug gewesen war, ihr aus dem Weg zu gehen. Chitin krachte unter ungeheuer kräftigen Kiefern.
Es verging einige Zeit, bis Kesylict, der Minister, es wagte, bebende Antennen um die Ecke des gewölbten Durchgangs zur Kammer zu strecken. Da er nur nachlassenden Zorn und keine blinde Wut spürte, schob er zunächst den Kopf und dann den Rest des ameisenhaften Körpers in den Raum.
Sein erster Blick fiel auf einen kopfgroßen Rubin, der roter war als sein Blut. In der obersten Facette sah Kesylict das Spiegelbild der Kaiserin. Sie ruhte auf vier Beinen. Der Körper des unglücklichen Kämmerers baumelte von einer Hand, während das wundervoll symmetrische, mit eingelegtem Porzellan geschmückte Gesicht der Kaiserin nach draußen starrte, ohne daß sie ihn zu sehen schien.
Obwohl nicht so verschwenderisch geschmückt wie die Hauptaudienzkammer oder die düstere Lagerstatt des Todes, die als imperiales Schlafzimmer bestimmt war, war diese Kammer immer noch überreich an Juwelen und edlen Metallen. Die Grünauen waren voll von solchen natürlichen Reichtümern, als habe die Erde das Land für seine widerwärtige, übelriechende Oberfläche und ewige Wolkendecke entschädigen wollen.
Sie wurden von den hartschaligen Einwohnern dieser Lande hoch geschätzt – ihr Funkeln und ihre Farben lieferten viel Schönheit. Alle Formen von Korrund wurden in großen Mengen geschürft: Beryll, Saphir, Rubin. Seltenere Diamanten rahmten die Fenster des Raumes und Tausende minderer Gemmen, von Topas bis Chrysoberyll, übersäten Mobiliar, Skulpturen und sogar die Decke.
Aber Kesylict hatte den Kopf nicht dadurch behalten, daß er seine Zeit verschwendete, indem er gewöhnlichen Tand bestaunte, wie ein gerade Ausgeschlüpftes. Er wartete und war bereit, als der dreieckige, smaragdgrüne Schädel herumfuhr und vielfacettige Augen mit falschen schwarzen Pupillen wild auf ihn herunterstarrten.
Kesylict erwog, ob es nicht klug sei, sich zurück zuziehen und noch etwas zu warten, bevor er der Kaiserin seine Aufwartung machte. Allerdings – Feigheit konnte ihn auf denselben Weg bringen, den der Kämmerer gegangen war. Dieser war jetzt nur noch eine leere, von der unersättlichen Kaiserin säuberlich ausgeschabte Hülle.
»Warum verkriechst du dich in den Durchgang, Kesylict? Ja, ich erkenne dich.« Ihre Stimme war rauh und kratzend wie geöltes Sandpapier. Nutzlose Flügel zitterten unter einem langen fließenden Umhang aus reiner Seide, an dem die kaiserlichen Näherinnen Zehntausende von den besten Steinschneidern des Reiches gefertigte Amethyste und Rauchquarze befestigt hatten.
»Pardon, Euer Majestät«, sagte der hoffnungsvolle Kesylict, »aber ich verkrieche mich nicht. Ich zögere nur, weil ich in den vergangenen Stunden mit Euch zu sprechen hoffte, Eure Stimmung in der letzten Zeit aber einem Gespräch nicht zuträglich war.« Er deutete auf die Schale des Kämmerers.
»Gegenseitiger Austausch ist schwierig, wenn einer der Teilnehmer der Konversation gezwungen ist, ohne seinen Kopf zu funktionieren.«
Die stierende, starre Skelettgestalt konnte ihre Mundpartie nicht zu einem Lächeln verziehen, und ein solcher Gesichtsausdruck wäre ihr auch fremd gewesen. Trotzdem spürte Kesylict, wie etwas von der Spannung aus dem Raum entwich.
»Sinn für Humor im Angesicht der möglichen eigenen Entlassung ist durch ihren Mut eine bessere Empfehlung als die trockenste und ernsteste Brillanz, mein guter Kesylict.« Sie warf die leere Hülle des Kämmerers in eine Ecke, wo sie klirrend und klappernd auftraf. Ein paar Beine sprangen ab und rollten vor eine entfernte Tür. Die Ecke war rund, wie alles in dem Raum. Den Einwohnern der Grünauen mißfielen scharfe Winkel.
Sie wandte sich vom Fenster ab. »Wie dem auch sei, ich bin gefüllt und müde. Aber da ist mehr als nur das.« Die beiden scharfkantigen Arme kreuzten sich vor dem grünen Thorax, und der geschmückte Kopf ruhte in dem Kreuz, das sie bildeten – das erstarrte Bild einer insektoiden Odaliske »Ich bin besorgt.«
»Besorgt, Euer Majestät?« Kesylict eilte in die Kammer versuchte aber unauffällig, außerhalb ihrer Reichweite zt bleiben – man konnte dem blitzschnellen Griff der Fangschrecke nicht entgehen, wenn man sich ihr entsprechend genähert hatte. Also trat Kesylict nicht weiter vor, als das Protokoll es verlangte. Niemand konnte sagen, wann die quecksilbrigen Wünsche der Kaiserin von dem Verlanger nach Beratung in die Gier nach einem Dessert umschlagen mochten.
»Was denn nur könnte ausreichen, Euer Majestät Besorgnis zu bereiten? Die Vorbereitungen?« Er zeigte zum Fenster. Draußen lagen weit unten die geschäftigen Straßer von Cugluch, Hautpstadt des Reichs der Auserwählten, ihre mächtigste Metropole. Tausende hingebungsvoller Bürger wirbelten und schwärmten dort durcheinander, schufteten pflichtbewußt für den Ruhm ihrer Kaiserin und ihrer Gesellschaft. Ihr Leben war erfüllt vom gemeinsamen Ruhm ihrer Gattung, und jeder niedrige Arbeiter war bereit, seinen Beitrag zu den kommenden Eroberungen zu leisten Die Vorbereitungen schritten mit der üblichen Zielstrebigkeit voran.
»Wir wappnen uns besser als je zuvor in der Geschichte des Reiches, und diesmal können wir nicht scheitern, Majestät.«
»Es hat keine Probleme mit Vorräten und Ausrüstung gegeben?«
»Nicht die mindesten, Majestät.« Kesylict klang aufrichtig beunruhigt. Auch wenn er Angst um seine persönliche Sicherheit hatte, war er doch ein loyaler und ergebener Diener seiner Kaiserin, und sie schien tatsächlich besorgt.
»Auch die Ausbildung und die Mobilisierung schreiten reibungslos voran. Mit jedem Tag zerschneiden mehr Larven ihre Kokons und entwickeln Arme und den Wunsch, Waffen zu tragen. Nie ist unsere Armee so machtvoll gewesen, nie war das Verlangen und die Entschlossenheit ihrer Kämpfer größer. Nicht eines, sondern drei große Heere stehen begierig bereit, um den endgültigen Schlag gegen die Länder des Westens zu führen. Der Sieg ist in Reichweite. So sagen es zumindest die Generale Mordeesha und Evaloc seit über einem Jahr. Das ganze Reich pulsiert vor Kampfbereitschaft und dem Verlangen nach der Schlacht.
Und doch warten wir aus Klugheit weiter, werden immer noch stärker, so daß wir inzwischen die verhaßten Weichen mit nur einem Drittel unserer Kräfte überwältigen könnten.«
Sie seufzte; ein tieftönendes Zischen. »Trotzdem, wir haben viele tausend Jahre des Scheiterns hinter uns, die uns die Torheit mutiger Worte bezeugen. Ich werde den Befehl zum Angriff nicht eher geben, als ich vom Erfolg überzeugt bin, Kesylict.« Ihr Kopf zuckte zur Seite, und sie säuberte eines der hervorstehenden Augen mit einem Arm. »Keine Probleme also dann mit der Manifestation?«
»Aber nein, Majestät!« Kesylict war entsetzt von der Vorstellung. Denn trotz seiner Worte über Stärke und Verlangen wußte er, daß die Kaiserin und der Generalstab ihre größten Hoffnungen letztlich auf die Manifestation setzten. »Was könnte daran nicht stimmen?« Sie schüttelte warnend eine Klaue. »Wo Magie im Spiel ist, ist alles möglich. Diese Neuentwicklung ist so anders daß sie selbst Eejakrat ängstigt, der für sie verantwortlich ist. Man muß die sorgfältigste und umsichtigste Fürsorge treffen, um seine Sicherheit und die seiner Umgebung zu; gewährleisten.«
»So ist es geschehn, Euer Majestät. Alle Unautorisierten, die sich ihr auf hundert Zequets genähert hatten, wurden getötet, ihre Körper begraben, sogar ohne daß ihr Fleisch verzehrt wurde. Größere Sicherheit wurde in der ganzen Geschichte des Reiches nicht entfaltet.« Er sah sie eindringlich an.
»Und doch sorgt sich meine Kaiserin?«
»Und doch.« Sie schickte sich an, aus ihrer hockenden Stellung hochzukommen. Kesylict trat nervös einen Schritt zurück. Sie gestikulierte beiläufig mit einem gepanzerten Arm.
»Sei beruhigt, mein geschätzter Diener, ich bin körperlich gestättigt! Mein Geist jedoch hungert nach einer Unterbrechung, und mich verlangt nach deiner wohlerwogenen Meinung, nicht nach deinem Fleisch.«
»Ich schätze mich glücklich, Euer Majestät meinen armseligen Rat anbieten zu dürfen.«
»Das gilt nicht für dich allein, Kesylict. Ruf Hochgeneral Mordesha und den Zauberer Eejakrat! Ich bedarf auch ihrer Gedanken.«
»Es wird getan, Euer Majestät.« Der Minister drehte sich um, seine gepolsterten Schuhe scharrten auf dem gemeißelten Steinboden. Er war dankbar für die Möglichkeit, sich zurück ziehen zu können, gleichzeitig aber besorgt um die Gesundheit seiner Kaiserin.
Es lief alles so gut. Was konnte nur geschehen sein, um sie soweit aufzuregen, daß sie sich Sorgen um den Ausgang der Großen Unternehmung machte?
Später, als er neben den anderen hockte, empfand sich Kesylict sowohl körperlichem Mißbrauch als auch Kritik gegenüber als der bei weitem Verletzlichste.
Links von ihm ruhte die schwer gepanzerte und gealterte Käfergestalt von Hochgeneral Mordeesha. Schlachtpanzerung hing an dem weichen Unterkörper herunter. Die Insignien seines Ranges und die weniger symmetrischen Wunden des Krieges waren in die dicken Flügeldeckel des Rückens geschnitten. Spitze gekrümmte Metallhörner ragten aus dem Helm, der den hornigen Schädel eng umschloß. Ausladende Metallflanschen beschirmten die Augen.
An seinem Hals hingen Zähne und winzige Schädel, die von den Leichen derjenigen stammten, die der General persönlich niedergeworfen hatte. Sie klirrten hohl gegen die metallene Thoraxplatte, als er seine Haltung änderte.
In der Nähe stand der Großzauberer Eejakrat, eine dünne zarte Gespensterheuschrecke. Reines weißes Email schmückte die Flügelhüllen, sein ganzes Chitin. Schnüre aus länglichen weißen und silbrigen Perlen hingen fransenartig an beiden Seiten des Oberkiefers hinunter. Ein künstlicher Haarbusch in denselben Farben zog sich von der Stirn zwischen den dunklen vielteiligen Augen hindurch und verschwand im Rücken. Er umschloß die Insignien des Amtes, der Weisheit und des Wissens, und kennzeichnete Eejakrat als den kunstfertigen Handhaber höchster und erhabenster Magie.
Im Vergleich zu dem General, der ihn mit seinen großen physischen Fähigkeiten problemlos zerquetschen, und Eejakrat, dessen zauberische Fähigkeiten ihn in eine Larve zurück verwandeln konnten, fühlte sich der Minister wahrlich höchst unzulänglich. Und doch kauerte er in der Audienzkammer zwischen den glitzernden Juwelen und Tausenden von Lichtstrahlen, die sie von den vielen Dutzend Kerzen und Kristallkandelabern an der Decke zurückwarfen, als ein Gleichberechtiger. Denn Kesylict verfügte über einen außergewöhnlichen Vorrat an praktischem, alltagsorientiertem Denken, eine Fähigkeit, die den meisten Angehörigen des Volkes der Gepanzerten fehlte. Das war der Grund, warum die Kaiserin in so wertschätzte, als Gegengewicht zu dem blinden Drang des Generals und den ausgeklügelten, verwickelten Ränken und Tücken des Zauberers.
»Wir haben von Eurer Besorgnis gehört, Majestät«, begann der General taktvoll. »Ist sie so bedeutend, daß Ihr uns jetzt zum Rat zusammenrufen müßt? Der kritische Zeitpunkt nähert sich. Drill und nochmals Drill, Ausbildung und Schulung sind erforderlicher denn je.«
»Dennoch wünschte ich«, erwiderte Eejakrat mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern zwischen seinen Mandibeln war, »ich könnte dich dazu bewegen, noch ein Jahr zu warten, General. Ich meistere die Manifestation noch nicht überzeugend genug.«
»Warten und warten«, brummte der General, und die Schädel klimperten gegen seinen Thorax. »Wir haben schon mehr als ein Jahr gewartet. Immer aufbauen, immer vorbereiten, immer unsere Reserven verstärken. Aber es kommt eine Zeit, guter Bruder, so sehr ich deine Gelehrsamkeit auch respektiere, da selbst ein Soldat, der so bedenkenlos ergeben ist, wie die Soldaten des Reiches, übertrainiert ist und jene begeisterte Leidenschaft zum Gemetzel verliert, die ihm sein Offizier so lange und mühevoll eingeflößt hat. Die Armee kann sich nicht ewig in fiebriger Bereitschaft halten.
Wahrscheinlich werden wir die Weichen diesmal durch bloße Überzahl niederwerfen und keinen Bedarf an deinem dunklen Wissen haben. Dann kannst du dich in deinem hohen Alter entspannen und mit dem Wunder spielen, das du heraufbeschworen hast. Der Endsieg wird auf jeden Fall unser sein.«
Die Stimme des Generals zitterte bei dem Gedanken an die Große Eroberung, die ihn erwartete, eine Eroberung, die die Geschichte der Welt für immer ändern würde.
»Und doch«, sagte der Zauberer weich, »bist du froh, sowohl mein hohes Alter als auch mein Wunder in Reserve zu haben, denn seit zwanzigtausend Jahren haben wir uns trotz all unserer Vorbereitungen und Prahlereien als unfähig erwiesen, die Weichen zu besiegen.«
Wie immer war der General bereit, etwas darauf zu erwidern. Skrritch schwenkte einen scharfkantigen grünen Arm. Für sie war die Bewegung langsam, furchteinflößend schnell für ihre Untertanen. Sie wurden still, warteten respektvoll auf das, was sie sagen mochte.
»Ich habe euch nicht gerufen, um Zeitplanung und Strategie zu diskutieren, sondern um euch die Erinnerung an einen Traum anzuhören.« Sie sah Mordeesha an. »Was Träume angeht, General, ist Eejakrat der Meister. Aber mich mag nichtsdestotrotz nach deiner Meinung verlangen.« Gehorsam verbeugte sich der General.
»Ich bin kein eifersüchtiger Narr, Majestät. Gerade jetzt müssen wir kleinliche Rivalitäten beiseite schieben, um zum größeren Ruhme von Cugluch zu arbeiten. Ich werde meine Meinung äußern, wenn sie verlangt wird, und ich werde mich der uralten Weisheit meines brüderlichen Kollegen beugen.« Er nickte Eejakrat zu.
»Ein Weiser kennt seine Grenzen«, stellte Eejakrat befriedigt fest. »Beschreibt den Traum, Majestät!«
»Ich ruhte im Schlafgemach«, begann sie langsam, »noch nicht ganz erwacht von der Orgie des Paarens und Plauderns mit meinem neuesten Gemahl, die seine rituelle Tötung vorbereitete, als ich ein großes Unbehagen verspürte. Es war, als ob viele verborgene Augen mich bespitzelten. Es waren fremdartige Augen, und sie brannten. Heiß und schrecklich feucht schienen sie. Ich glaubte, daß sie in meine tiefsten Tiefen blickten.
Ich zuckte heftig zusammen, so sagte mir mein anwesender Gatte später zumindest, und schlug instinktiv wild auf die leere Luft ein. Die Polster und Kissen meines Boudoirs sind aufgeschlitzt wie die Unterbäuche von einem Dutzend Sklaven, weil ich ungestüm gegen nichts kämpfte.
Einen winzigen Augenblick schien ich meine Peiniger zu sehen. Sie hatten Gestalt und doch nicht Gestalt. Form ohne Substanz. Ich schrie laut, und sie verschwanden. Ganz erwacht, floh ich in eine mißmutige Raserei, von der ich mich gerade erst erholt habe.« Sie sah Eejakrat gespannt an.
»Zauberer, was zeigt das an?«
Eejakrat fand eine saubere Stelle zwischen den kaiserlichen Exkrementen und hockte sich auf seine Hinterbeine, Die Spitze seines Bauches berührte kaum den Boden. Minims, unterarmlange Subdiener, beschäftigten sich damit, sein Chitin zu reinigen.
»Euer Majestät sorgt sich übermäßig um nichts.« Er zeigte eine Art Schulterzucken und schwenkte eine dünne Hand. »Es dürfte sich bloß um eine unangenehme Halluzination gehandelt haben. Ihr seid dieser Tage mit soviel befaßt, daß solche Aufregungen nur insofern überraschend sind, als daß Ihr nicht schon viele vor dieser erfahren habt. In der Nachbenommenheit postkoitalen Abspannens sind solche Einbildungen einfach zu erwarten.«
Skrritch nickte und verscheuchte die verwirrten Minims.
»Den Weichen ist es immer gelungen, uns in der Schlacht zu besiegen.« General Mordeesha verlagerte unbehaglich sein Gewicht.
»Sie sind schnell und stark. Vor allem sind sie schlau und raffiniert. Wie verlieren nicht, weil es unseren Truppen an Stärke oder Mut fehlt, sondern weil es uns im Krieg an Vorstellungskraft und Phantasie mangelt. Vielleicht ist meine Einbildung im Grunde ein gutes Zeichen. Schau nicht so verdrießlich, General! Du bist im Begriff, das Wort zu hören, auf das du so lange gewartet hast.
Ich glaube die Zeit zum Handeln ist gekommen.« Mordeesha sah aufgeregt aus. »Ja, General. Du darfst den Rest des Stabes darüber informieren, daß er mit den abschließenden Vorbereitungen zu beginnen hat.«
»Majestät«, warf Eejakrat ein, »ich hätte sehr gerne noch weitere sechs Monate zum Studium der Weiterungen der Manifestation. Ich verstehe sie immer noch nicht gut genug.«
»Du wirst noch einige Zeit haben, mein guter Ratgeber«, sagte sie ihm, »weil es eine Weile dauern wird, eine so gewaltige Streitmacht in Bewegung zu setzen. Aber General Mordeeshas Äußerungen, die Moral und die Bereitschaft der Truppen betreffend, müssen akzeptiert werden. Ohne unsere Soldaten wird uns all deine Magie nichts nützen.«
»Ich werde dir soviel Zeit geben, wie irgend möglich«, sagte Mordeesha. »Ich möchte deine Unterstützung.« Seine Augen glitzerten im Kerzenlicht, als er sich zur Laufposition erhob. Er verbeugte sich noch einmal.
»Mit Eurer Erlaubnis, Majestät, werde ich mich jetzt zurückziehen und die Vorbereitungen einleiten. Es gibt viel zu nun.«
»Bleib noch einen Moment, General!« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Hexer zu. »Eejakrat, es gefällt mir nicht, die Weisen und Klugen unter uns anzutreiben, die mit dir zusammen in diesem großen Unternehmen dienen. Wir sind in der Vergangenheit besiegt worden, weil wir ohne Geduld oder Heimlichkeit gehandelt haben. Aber ich fühle, daß die Zeit richtig ist, und Mordeesha pflichtet mir bei. Ich möchte, daß du verstehst, daß ich seinen Rat nicht deinem vorziehe.« Sie sah Kesylict an.
»Ich bin weder General noch Hexer, Majestät«, sagte der Minister zu ihr, »aber meine Instinkte sagen: ›Handle jetzt!‹ Das ist übrigens auch die Stimmung unter all den Arbeitern.«
Eejakrat seufzte. »So sei es dann. Was die Traumhalluzinationen angeht, Majestät... es gibt viele Meister der Magie unter den Weichen. Wir können sie wegen ihrer Körper verachten, aber nicht wegen ihrer Geisteskräfte. Vielleicht bin ich paranoid, da unsere Pläne ihrer Erfüllung so nahe sind, aber es ist nicht unvorstellbar, daß die Gestalten, von denen Ihr Euch beobachtet fühltet, Wissende aus dem Volk der Weichen waren. Obwohl«, gab er zu, »ich von keiner hexerischen Kraft weiß, die stark genug wäre, den ganzen Weg von den Warmlanden bis nach Cugluch zu greifen und dann auch noch die ›Schleier Der Verwirrung Und Des Widerstreits‹ zu durchdringen, die ich über die Manifestation ausgebreitet habe. Wie dem auch sei, ich werde versuchen, mehr über das heraus zufinden, was sich ereignet hat.
Wenn meine Vermutung allerdings wahr sein sollte, bedeutet das, daß wir der Überraschung und des Sieges um so sicherer sein können, je früher wir handeln.« Er wandte sich dem General zu. »Du siehst, Mordeesha, wie meine Überlegungen deine Wünsche gegen die meinen unterstützen. Vielleicht ist es so am besten. Vielleicht werde ich in meinen späten Jahren übervorsichtig.
Falls du bereit bist, falls die Heere bereit sind, werde ich mich zwingen, auch bereit zu sein. Zum Endsieg, dann?«
»Zum Endsieg!« deklamierten sie alle unisono.
Skrritch drehte sich um und zog an einer Kordel. Vier Bedienstete tauchten auf. Jeder trug ein frisch abgetrenntes tropfendes Glied irgendeines unglücklichen, ungesehenen Lieferanten. Die vier im Rat saugten die Arme aus, während sie sich gegenseitig gratulierten.
Dann verabschiedeten sich die drei Untertanen von ihrer Kaiserin: der General, um sein Stabstreffen einzuberaumen, Eejakrat, um in seinen Räumen über ein mögliches unmögliches geistiges Eindringen nach Cugluch nach zudenken, und Kesylict, um die alltäglichen Angelegenheiten von Mahlzeiten und offiziellen Verabredungen für den nächsten Tag zu arrangieren.
Der Minister hatte guten Grund, über die Worte der Kaiserin nachzusinnen, die notorische Schlauheit der Weichen betreffend. Er hatte durch eine vergleichbare Gewandtheit seinen Kopf auf dem Hals behalten, was sogar so weit ging, daß er den anderen zugestimmt hatte, daß die Zeit zum Zuschlagen gekommen sei. Persönlich glaubte er, daß Eejakrat alle Zeit gegeben werden sollte, die dieser wünschte. Kesylict hatte die verbotenen Aufzeichnungen gelesen, kannte die Litanei des Scheiterns der vergangenen Schlachten mit den Weichen. Der Verwicklungen und Komplikationen der Manifestation also unkundig, wußte er doch sehr wohl, daß in deren Handhabung durch Eejakrat die Hoffnung der Gepanzerten auf einen endgültigen Sieg über ihre uralten Feinde lag und nicht in Mordeeshas Prahlereien von überlegener militärischer Stärke.
Allein jetzt, zog Skrritch an einer zweiten Rufkordel. Ein Bediensteter tauchte mit einem schmaltülligen Trinkgefäß auf. Die Kaiserin wusch die Reste ihrer letzten Zwischenmahlzeit ab, drehte sich dann um und starrte erneut aus dem Fenster.
Nebel verdichtete sich und verbarg selbst die Zinnen der Feste. Cugluch und das tausendfache Gewimmel seiner Einwohner wurden ausgelöscht, als existierten sie nicht.
Dunst und Nebel wurden dunkler; der Tag wandelte sich zur Nacht.
Mordeesha und seine Mitgeneräle hatten sich ihre Verärgerung seit mehreren Legeperioden verbissen. Sie hatte aufgeschoben, so lange es ging, um Eejakrat noch mehr Zeit zum Studium seiner Manifestation zu geben. Aber wer den Hexer kannte, wußte, daß solche Studien auf ewig weitergehen konnten.
Die Zeit der Geduld war jetzt vorbei. In den Grünauen würde sich bald die Nachricht verbreiten, daß der Krieg begonnen hatte.
Einen kurzen Augenblick lang dachte sie wieder an die beunruhigende Vision. Vielleicht war sie nicht mehr als ein Tagalptraum gewesen. Selbst Kaiserinnen wurden Opfer von Überanstrengung. Eejakrat schien nicht übermäßig besorgt darüber, also gab es keinen Grund, sich noch weiter deshalb zu beunruhigen.
Beförderungen und Degradierungen waren anzuordnen, Hinrichtungen mußten befohlen, Bestrafungen beschlossen und Belohnungen ausgehändigt werden. Der morgige Hofhaltungsplan, den der prosaische Kesylict so tüchtig und geschickt organisiert hatte, war ziemlich angefüllt.
Solche alltäglichen Aktivitäten schienen überflüssig, jetzt, da die ersten Schritte zum endgültigen Sieg eingeleitet waren. Sie kostete den Gedanken aus. Von allen Kaisern und Kaiserinnen des ausgedehnten Reichs würde sie die erste sein, die besitzergreifend durch die freundlichen Lande der Weichen schritt, die erste, die reiche Beute und Tausende von Sklaven von der anderen Seite der Welt mit zurück bringen würde.
Und danach... was konnte sie nicht erreichen? Selbst Eejakrat hatte Gedanken über die Möglichkeiten geäußert, die die Manifestation wohl eröffnete. Solche Möglichkeiten reichten weit über die Grenzen einer einzelnen Welt hinaus.
Sie drehte sich zur Seite und lehnte sich gegen scharlachfarbene Kissen und Hunderte glutroter Rubine. Ihr Ehrgeiz war so grenzenlos wie das Universum, so weitreichend wie Eejakrats Magie. Sie konnte es kaum erwarten, daß der Krieg begann. Ihr und Cugluch würde großer Ruhm zuteil werden. Mit der Unterstützung des Hexers – warum sollte sie nicht Kaiserin des Universums werden, höchste Herrscherin noch unbekannter Horizonte und ihrer Einwohner?
Ja, sie würde das außerordentliche Vergnügen haben, über Zerstörung und Eroberung zu herrschen, anstatt über Aufzeichnungen und dumme, schmeichlerische, friedfertige Bürger. Cugluch marschierte, wie es ihm bestimmt war. Und dieses Mal würde es anwachsen und gedeihen, anstatt schändlich zum Stillstand zu kommen!
Die Halluzination verblaßte, bis sie nur noch eine amüsante und unbedeutende Erinnerung war...