XVIII

Während der nächsten zwei Tage erklommen sie die Stromschnellen. Die einzige Gefahr, die Jon-Tom zu bewältigen hatte, war das Brennen seiner Ohren, während er die immer blumenreicheren Ausschmückungen von Mudges Fluchtgeschichte ertragen mußte. Als das gehörnte Chamäleon zur doppelten Größe von Falameezar angewachsen war, drohte selbst Flor dem Otter Prügel an.

Am vierten Tag waren sie wieder im Wasser und stießen auf Anzeichen von Zivilisation: Gepflügte Felder, Häuser mit hübschen Strohdächern oder Schieferschindeln, rauchende Schornsteine und kleine Landestege mit vertäuten Booten glitten an ihnen vorbei.

Falameezar glitt tief im Wasser dahin, hielt nur Augen, Ohren und Passagiere über die Oberfläche und atmete durch die Kiemen. Jeder, der die Reisenden vom Ufer aus sah, nahm an, sie saßen in einem sonderbar niedrigen Boot.

Am zehnten Tag bemerkte Clodsahamp linkerhand in größerer Entfernung eine Kette niedriger Hügel. Direkt vor ihnen lagen wieder Stromschnellen, die allerdings bei weitem nicht so reißend waren wie die, die unweit vom unterirdischen Pfeiffunmunter durch die Dugakurra-Hügel schnitten.

»Du kannst uns hier an Land setzen, Freund Drache. Wir sind der Stadt ziemlich nahe.«

»Aber warum?« Falameezar klang enttäuscht. »Der Fluß ist immer noch tief und die Strömung nicht besonders stark.« Er stieß Rauchwölkchen aus. »Ich komme leicht voran.«

»Ja, aber deine Gegenwart könnte die Einwohner in Panik versetzen.«

»Ich weiß.« Der Drache stieß einen deprimierten Seufzer aus.

»Dann werde ich euch also an Land setzen. Was soll ich als nächstes tun?«

Jon-Tom warf Clodsahamp einen Blick zu, und der Hexer sank in der Achtung des jungen Mannes. »Ich werde mit den Kommissaren der Polastrindu-Kommune reden. Vielleicht akzeptieren sie dich als Mitglied.«

»Glaubst du wirklich? Ich hatte keine Ahnung, daß eine so aufgeklärte Gemeinschaft existiert.« Feurige Augen starrten Jon- Tom hoffnungsvoll an. »Das wäre wundervoll. Ich bin selbstverständlich bereit, meinen Anteil an Arbeit zu leisten.«

»Du hast mit dieser Reise bereits mehr als das getan, Genosse Falameezar. Clodsahamp hat allerdings recht mit seinem Vorschlag, du solltest hier am Fluß warten. Selbst gebildete Genossen reagieren manchmal gedankenlos, wenn sie sich mit dem Unvertrauten konfrontiert sehen.« Er beugte sich vor, und der Drache senkte den Hals, als Jon-Tom ihm zuflüsterte: »Die Konterrevolutionäre sind überall!«

»Ich weiß. Sei wachsam. Genosse Jon-Tom!«

»Das bin ich.«

Der Drache ließ sich am Ufer nieder. Sie marschierten vom Rücken über den Schwanz auf den Strand und reichten ihr Gepäck von Hand zu Hand weiter. Ein stark benutzter Weg, mehr als nur ein breiter Pfad, aber noch keine Straße, führte über die Hügel. Jon-Tom sah einem Moment lang zurück. Die anderen hatten sich bereits in Bewegung gesetzt. Flor war schrecklich aufgeregt wegen der Aussicht, die fremde Stadt kennenzulernen; ihre Begeisterung ließ sie geradezu aufglühen.

Jon winkte dem Drachen zu. »Laß es dir wohl ergehen, Genosse! Es lebe die Revolution!«

»Es lebe die Revolution!« rumpelte der Drache zurück und grüßte ihn mit einem Feuer- und Rauchstoß. Dann senkte sich der grimmige Kopf unter die Oberfläche. Aufschäumende Blasen und schwindende konzentrische Wellen markierten als Wasserblume die Stelle, wo der Drache versank. Dann war auch sie verschwunden.

Jon-Tom schritt kräftig aus, die langen Beine und der Wanderstab brachten ihn trotz der Last der Schuld, die er trug, bald zu seinen Begleitern. Falameezar war ein viel zu netter Drache, um so schändlich betrogen zu werden. Aber vielleicht hatten sie ihn ja glücklicher zurück gelassen, als er zuvor gewesen war.

»Was wird er wohl tun?« Caz gesellte sich zu Jon-Tom.

»Wird er auf deine Rückkehr warten?«

»Wie soll ich das wissen? Ich bin kein Experte für die Beweggründe von Drachen. Seine politischen Überzeugungen scheinen unerschütterlich, aber er neigt wohl mehr zum Philosophieren als zum Handeln. Vielleicht langweilt er sich bald und schwimmt zu seinen Futtergründen zurück.« Er blickte den Hasen scharf an. »Warum? Rechnest du mit Ärger in Polastrindu?«

»Das kann man nie wissen. Je größer die Stadt, desto arroganter die Bürger, und wir sind nicht gerade Überbringer guter Nachrichten. Wir werden sehen.«

Nach einer Stunde hatten sie die Kuppe des letzten Hügels erreicht. Endlich lag das Ziel so vieler Tagesreisen vor ihren Augen.

Es ist wundervoll, ja, aber warum soll sich diese Stadt so sehr von irgendeiner anderen unterscheiden? dachte Jon sarkastisch, als sie den Hügel hinabschritten.

Eine massige Steinmauer umgab die Stadt. Sie war mit komplizierten mächtigen Basreliefs geschmückt und mit Strebepfeilern abgestützt. Mehrere Tore unterbrachen die Mauer, durch die nur spärlicher Verkehr passierte.

Es war kein Markttag, wie Caz erläuterte; weder brachten Bauern ihre Produkte in die Stadt noch Handwerker und Händler ihre Waren.

Im Süden der Stadt herrschte etwas mehr Aktivität. Dort reichte die große Mauer fast bis ans Meer. Mindestens ein Dutzend Schiffe war an den verrottenden Docks vertäut. Einige ähnelten dem Segel- und Stakschiff, von dem Caz geflohen war. Jon-Tom fragte sich, ob es sich wohl unter den Schiffen befand, die da sanft auf und ab schaukelten. Barken und Fischerboote stellten den Rest der buntgemischten, aber zweckdienlichen Flottille.

»Das Haupttor befindet sich auf der anderen Seite der Stadt, im Nordwesten gegenüber der Schwertgau«, erklärte Caz weiter.

»Was ist das?« fragte Flor. »Bist du schon da gewesen? Mir scheint, du warst bereits überall.«

Caz räusperte sich. »Nein, ich war noch nicht hier, und ich bin nur durchschnittlich weit herumgekommen, würde ich sagen. Die Schwertgau ist ein gewaltiger – manche sagen ein endloser – Ozean aus Vegetation, von widerwärtiger Urwesen und gefährlichen Kreaturen bewohnt. Wir müssen nicht um die ganze Stadt herum laufen. Das Hafentor bietet einen bequemen Zugang.«

Sie folgten weiter dem gewundenen Pfad, der sich jetzt auf Straßenbreite ausgedehnt hatte. Andere Reisende blickten der ungewöhnlichen Gruppe neugierig nach.

Von Echsen gezogene Wagen und Karren rumpelten ar ihnen vorüber, dazwischen drängte sich hin und wieder ein Reiter auf einer Hüpf- oder Laufechse. Einmal begegneten sie sogar einer wohlhabenden Familie auf einer Reitschlange.

Clodsahamp war zufrieden und guter Dinge. Es fiel ihm erheblich leichter, den Hügel hinunter zusteigen, als ihn hinauf zuklettern. Sein Blick richtete sich nach oben. »Pog! Hast du irgend etwas zu berichten, du nutzloser Tunichtgut?«

Die Fledermaus flog tiefer und schrie nach unten: »Die übliche Luftpatrouille. Vor 'n paar Minuten schind 'n paar bewaffnete Eichelhäher über uns weggeflogen. Ich glaube aber nicht, dasch schie unsch mit dem Drachen geschehen haben. Schie schind schon längscht wieder umgekehrt und schum Bericht schurückgeflogen. Haben schich nicht scho verhalten, alsch ob schie aufgeregt wären.«

Clodsahamp schien zufrieden. »Gut. Ich habe keine Zeit für Zwischenträger. Polastrindu ist zu groß, als daß sie sich um jede sonderbare Reisegruppe kümmern könnten, selbst wenn wir ein wenig sonderbarer sind als die meisten.«

»Von der Luft aus mögen wir gar nicht so erscheinen«, stellte Jon-Tom fest.

»Sehr richtig, mein Junge.«

Sie schlenderten in die Docks, ohne daß sie jemand anrief. Sie sahen, wie geschäftige Schauerleute, hauptsächlich breitschultrige Wölfe, Luchse und Tigerkatzen, mühselig Stöße aus Kisten und Ballen verluden. Exotische Güter und Handwerkserzeugnisse wurden ordentlich am Ufer aufgestapelt oder sorgfältig auf Lastkarren verstaut, die sie in die Stadt transportierten.

Direkt an den Docks war der Geruch durchdringend, aber nicht ganz so exotisch. Selbst das Wasser war hier dunkler als in der Mitte des Flusses. Die graue Färbung stammte nicht aus dem hiesigen dunklen Erdreich, sondern von einer Vielzahl von Röhren und Kloaken, die sich in den Strom ergossen. Die primitive Kanalisation stumpfte den Glanz merklich ab, den Jon ursprünglich mit Polastrindu assoziiert hatte.

Flors Gesicht verzog sich angewidert. »In der Stadt wird es doch bestimmt nicht so schlimm sein.«

»Das hoffe ich doch.« Talea schnaubte und versuchte ihren Geruchssinn auszuschalten.

»Es heißt, je größer die Stadt, desto schmutziger die Angewohnheiten der Bewohner.« Caz schritt leichtfüßig über das schmierige Pflaster, um das Leder seiner ellenlangen Schuhe nicht mehr als nötig zu beschmutzen. »Das erwächst aus der Konzentration der Bewohner auf den Erwerb von Geld. Luxus folgt auf finanzielle Unabhängigkeit, nicht auf harte Arbeit.«

Ein schmaler Steinbogen überbrückte einen offenen Graben. Als sie ihn überquerten, ließ der Gestank Flor fast ohnmächtig werden. Jon-Tom und Caz mußten sie stützen. Auf der anderen Seite war sie imstande, allein zu stehen und in tiefen Zügen etwas bessere Luft einzuatmen.

»Mierda, welch ein Geruch!«

»Er dürfte nicht mehr so überwältigend sein, wenn wir das Stadttor hinter uns haben.« Clodsahamp klang nicht sonderlich entschuldigend. »Dort sind wir weiter von den Hauptausgängen der Kloaken entfernt.«

Eine rasselnde Warnung fiel auf sie herunter, als Pog herabtauchte. »Meischter, vom Tor kommen Scholdaten. Vielleicht war die Patrouille, die unsch überflogen hat, doch nicht scho gleichgültig, wie esch schien. Vielleicht schteht unsch Ärger bevor.«

Clodsahamp wedelte ihn beiseite wie eine übergroße Hausfliege. »Sehr gut, Pog, aber du machst dir zuviel Sorgen. Ich werde mich ihrer annehmen.«

Der Trupp von Soldaten, der bald in Sicht kam und auf sie zu marschierte, war bunt gemischt, aber gut bewaffnet. Zwischen zwanzig und dreißig, schätzte Jon-Tom. Er nahm seinen Keulenstab aus den Schnüren, die ihn hielten, und stützte sich erwartungsvoll darauf. Andere Hände bewegten sich in die Nähe von Schwertgriffen. Mudge machte eine Schau daraus, seinen Bogen zu inspizieren.

Der Trupp wurde von einem schwer gepanzerten Biber angeführt, einem untersetzten Burschen mit grimmig entschlossenem Schimmern in den Augen. Die Stauer und Matrosen, die die Marschkolonne sahen, verdrückten sich in irgendwelche Ecken. Hatten sie die Neuankömmlinge anfangs übersehen, mieden sie sie jetzt, als hätten sie die Pest.

Stiefel, Sandalen und nackte Füße erzeugten ein sonderbares leises Geräusch, als sich auch andere und weiter entfernte Zuschauer schutzsuchend zurückzogen. Zehn Soldaten trennten sich mit betonter Beiläufigkeit vom Haupttrupp. Eilig marschierten sie links an den Neuankömmlingen vorbei, um hinter ihnen zu sein und ihnen jeden möglichen Rückzug abzuschneiden.

»Das sieht nicht gut aus.« Jon-Tom umklammerte seinen Stab fester, während er das Manöver beobachtete.

»Ruhig, mein Freund!« Der unerschütterliche Caz trat vor.

»Ich werde das erledigen.«

»Sie würden es nicht wagen, uns anzugreifen«, sagte Clodsahamp wutentbrannt. »Ich bin ein Emissär des Rates der Hexer und als solcher in meiner Person unantastbar und unverletzlich.«

»Sagen Sie das nicht mir, guter Hexer, sagen Sie das denen da!« meinte Caz und zeigte auf den näher kommenden Trupp.

»Sagen Sie es ihnen!«

Jetzt waren die Stadtmauern drohend und nicht mehr schön. Die Steintürme warfen dräuende Schatten auf die Reisenden. Von den Schiffen und anderen Orten der Verschanzung war das Murmeln der zusehenden Matrosen und Handelsleute zu hören.

Schließlich kam der Haupttrupp der Soldaten heran und stellte sich den Reisenden gegenüber in einem Halbkreis auf. Ihr Anführer trat vor, schob seinen Helm mit einer muskulösen Pfote halb aus der pelzigen Stirn und betrachtete sie neugierig. Zusätzlich zu Kettenpanzerhemd, Helm und dicken Stahlplatten, die besonders verwundbare Stellen schützten, war eine ungewöhnliche Eisenplatte an den dicken breiten Schwanz geschnürt. Sie war von scharfen Spitzen übersät und bildete im Nahkampf sicher eine verheerende Waffe.

»Nun, wats haben wir hier?« fragte er mit deutlichem Lispeln.

»Tswei Giganten, eine hartgetsotten autssehende kleine Frau«, – Talea spuckte auf den Boden, »eine verrufen scheinende Ottertype, einen Geck und ein älteres Semester der amphibischen Tsorte.«

»Guter Herr«, Caz verbeugte sich leicht, »wir sind Reisende aus dem unteren Flußbereich und auf einer Mission, die von großer Bedeutung für Polastrindu und die ganze Welt ist.«

»Dats itst höchtst interretsant. »Wen reprätsentiert ihr?«

»Im großen und ganzen repräsentieren wir uns gegenwärtig selbst, hauptsächlich in der Person des großen Hexers Clodsahamp.« Caz deutete auf den ungeduldigen alten Zauberer.

»Er bringt Informationen, von denen unser aller Überleben abhängt und die er dem Stadtrat unterbreiten muß.«

Der Biber wirbelte beiläufig einen häßlichen Schädelspalter von Streitkolben herum. »Dats itst allets tsehr nett, aber ets bleibt dabei, dats ihr keine Bürger dietser Tstadt oder dietsets Betsirkts tseid. Tsumindetst vermute ich dats. Natürlich nur tso lange, wie ihr nicht eure Identitätsmarken vorweitsen könnt.«

»Identitätsmarken?«

»Jeder, der in Polatstrindu oder im Betsirk der Tsatdt lebt, hat eine Identitätsmarke.«

»Nun, da wir weder aus der Stadt noch aus dem Bezirk kommen, wie du gerade informiert wurdest, verfügen wir offensichtlich nicht über so ein Ding«, sagte Jon-Tom gereizt.

»Dats itst nicht notwendigerweitse tso«, meinte der Biber.

»Wir haben viele Betsucher. Tsie alle haben ordentlich geprägte Identitätsmarken. Um frei in die Tstadt eingelatsen tsu werden, mütst ihr nur um eine ordentliche Marke nachtsuchen und tsie in Empfang nehmen.« Er lächelte und enthüllte enorme Zähne.

»Ets wird mir ene Freude tsein, euch damit autsustatten.«

Jon-Tom entspannte sich ein wenig. »Gut. Wir brauchen sieben.«

»Du bitst tsehr komisch, grotser Mann. Da du über tsoviel Humor verfügtst, wird ets für deine Gruppe nur«, – der Biber überlegte schweigend -, »tsiebenhundert Tsilberstücke kotsten.«

»Siebenhundert!« stieß Clodsahamp aus. »Das ist erpresserischer Wucher! Offener, brutaler Raub! Ich bin in meiner Ehre zutiefst gekränkt. Ich, der große, kluge und weise Clodsahamp, bin seit hundert Jahren nicht mehr so gröblich beleidigt worden!«

»Ich glaube, daß der Führer unserer Gruppe«, erklärte Caz ruhig, »nicht gewillt ist zu zahlen. Wenn du also bitte nur die Nachricht über unsere Ankunft an deine Vorgesetzten weitergeben würdest! Wenn man erfährt, warum wir gekommen sind...«

»Tsie werden tsich nicht anhören, warum ihr gekommen tseid«, unterbrach ihn der Biber, »tsolange ihr nicht betsahlt habt. Und tsie werden auch nicht hören, warum ihr überwältigt wurdet, wenn ihr nicht betsahlt.« Er grinste wieder. Seine mächtigen Zähne waren durch irgendeine braune Flüssigkeit unappetitlich verfleckt. »Eigentlich itst der Betrag für eine Identifikationskarte achttsig Tsilberstücke pro Individuum, aber meine Männer und ich mütsen ja auch irgendwie leben, nicht wahr? Tsoldaten werden tsiemlich schlecht betsahlt.«

Ärgerliches Murmeln in dem Trupp hinter ihm bestätigte seine Worte.

»Dann werden wir uns friedlich entfernen«, erklärte Caz.

»Dats glaube ich nicht«, erklärte der Biber. Die zehn Soldaten, die sich vorhin hinter die Reisenden geschlichen hatten, kamen jetzt dicht heran und schnitten ihnen den Weg ab.

»Ich möchte nicht, dats ihr autsen herum tsu den anderen Toren geht.«

»Sind alle eure Städte so gastfreundlich?« flüsterte Flor Mudge zu.

Der hob die Schultern. »Wo es Wohlstand gibt, Liebchen, da gibt es Korruption. Und in Polastrindu gibt es ziemlich viel Wohlstand, wa?« Nervös beäugte er die Soldaten.

Einige hantierten bereits erwartungsvoll an Schwertern und Keulen herum. Sie sahen gesund und wohlgenährt, wenn auch nicht besonders hygienisch aus.

»Also, Euer 'Exerschaft, warum bezahlen wir nich einfach? Diese Kerle sehen aus, als käme ihnen 'n 'übsches kleines Massaker nur gelegen. Wenn wir noch länger warten, werden wir keine große Wahl mehr 'aben.«

»Ich werde nicht zahlen.« Clodsahamp rückte halsstarrig seine Brille zurecht. »Außerdem kann ich mich gerade nicht auf den dummen Silberspruch besinnen.«

»Du willtst nicht tsahlen, ha?« Der Biber watschelte heran, bis er und der Schildkrötenhexer sich wild in die Augen starrten.

»Du bitst altso ein grotser Hexer, wie? Wollen mal tsehen, wie hexerisch du wirklich bitst!« Er schwenkte den Streitkolben herum, knickte das Handgelenk ein und schlug Clodsahamp quer über den Schnabel.

Der Zauberer stieß einen verblüfften Schrei aus und setzte sich hart auf die Straße. »Also du unverschämtes junges Balg!« Er tastete nach seiner Brille, die von ihrem Platz gerutscht, aber nicht zerbrochen war. »Ich werde dir zeigen, wer ein Hexer ist. Ich werde dich ausweiden, ich werde...«

»Legt an!« bellte der Biber. Augenblicklich zeigte eine Sammlung von Speeren und Keulen direkt auf die Reisenden.

»Ich habe jetst wirklich genug von euren Narreteien«, erklärte der Offizier säuerlich. »Ich weits nicht, wer ihr seid, woher ihr kommt oder wats für ein Tspiel ihr mit mir vorhabt. Aber wir tsind hier nicht betsonders freundlich zu Landtstreichern. Tsu den Tsellen werdet ihr geschleppt, und tswar unvertsüglich, wenn ihr nicht mit Barem rausrückt.«

Rechts von ihm erhob sich eine Steinmauer, vorn und hinten drohte scharfer Stahl, aber Jon-Tom wurde nicht aufgehalten, als er sich zum Wasserrand vorarbeitete. Er legte die Hände an den Mund und schrie verzweifelt: »Falameezarrrr!«

»Wats denn, dann gibt ets noch mehr von euch?« Die Schnurrhaare des Bibers zuckten, als er sich umdrehte, um auf das träge schmutzige Wasser zu blicken. »Wo itst derjenige? Vertsteckt tsich wohl in einem Boot? Dats wird euch weitere hundert Tsilbertstücke kotsten. Ich habe jetst genug. Entweder ihr betsahlt jetst oder...« Drohend wirbelte er seinen Streitkolben durch die Luft.

Ein lautes, müdes Krachen übertönte die letzten Worte der Drohung, als zwei Schiffe leibhaftig beiseite gedrängt wurden. Dockplanken gaben unwiderstehlichem Druck von unten nach. Darunter tauchte ein gewaltiger schwarzer Schädel auf, von dem Wasser und zerschmetterte Bohlen regneten. Große Klauen, gruben sich in zerbrochenen Stein, und Kohlenaugen starrten wild auf die Gruppe hinunter.

Der Biber stierte offenen Mundes auf die feuchten schimmernden Zähne, die sich direkt über ihm schlössen.

»Dddd...« Es gelang ihm nicht, das vollständige Wort auszusprechen, aber er schaffte es, an der Hälfte seiner Untergebenen vorbeizuwatscheln, die mit ihm zum Stadttor rannten.

Matrosen verließen ihre Schiffe, Händler und Stauer ließen ihre Waren im Stich, alles raste wie verrückt zum Tor. Auf der Stadtmauer brach Panik aus, brutal aufgescheuchte Truppen rannten sich beinahe gegenseitig um, als sie ihre Verteidigungspositionen einnahmen.

Die jetzt einsame Reisegruppe ergriff ihre eigenen Waffen.

»Genau zum richtigen Zeitpunkt aufgetaucht, Genosse Falameezar!« rief Jon-Tom. »Ich hoffte, daß du noch in der Nähe warst, hatte aber keine Ahnung, daß es so nahe war.« Falameezar blickte auf die entsetzten Gesichter, die über den Mauerrand spähten. »Was ist los mit ihnen?« Er war mehr neugierig als ärgerlich. »Ich hörte deinen Ruf und kam wie versprochen, aber ich dachte, sie behandeln euch als Genossen und Waffenbrüder in dem bevorstehenden großen Streit.«

»Ja, aber erinnerst du dich an das, was ich dir über die Anwesenheit von Konterrevolutionären sagte?« fragte Jon-Tom düster.

»Oho, so ist das also!« Falameezar stieß ein wildwütendes Zischen aus, und drei kleine nebeneinanderliegende Läden brachen in Flammen aus.

»Vorsichtig! Wir wollen nur hineinkommen, aber nicht die Stadt niederbrennen.«

Ein massiger Schwanz peitschte ins Wasser, und die Flammen wurden augenblicklich gelöscht, was den unschuldigen Geschäften ebensowenig guttat wie das Feuer.

»Halt deine Wut unter Kontrolle, Falameezar!« riet ihm Jon- Tom. »Ich bin sicher, daß wir alles aufklären werden, sobald wir mit den Stadtkommissaren sprechen können.«

»Das will ich doch meinen!« sagte der Drache gereizt. »Die Vorstellung, daß Konterrevolutionäre unschuldigen Reisenden etwas verbieten dürfen!«

»Es ist oft schwer, die Revolutionäre von ihren geheimen Feinden zu unterscheiden.«

»Das wird wohl so sein«, gab der Drache zu.

»Es könnte sogar noch schlimmer kommen«, informierte ihn Jon-Tom, als sie alle zu dem festverschlossenen Holztor hinübergingen.

»In welcher Hinsicht, Genosse?«

»Revisionisten«, flüsterte Jon-Tom.

Falameezar schüttelte den Kopf und murmelte müde: »Gibt es denn keinen Anstand mehr in der Welt?«

»Beherrsch dich ein wenig!« bat Jon-Tom. »Wir wollen ja nicht unabsichtlich irgendwelche ehrlichen Proletarier einäschern.«

»Ich werde vorsichtig sein«, versicherte ihm der Drache, »aber innerlich zittere ich vor Empörung. Doch selbst ein schmutziger Revisionist kann umerzogen werden.«

»Ja, es ist klar, daß der Aufbau von Instruktionskadern hier Vorrang haben sollte«, pflichtete ihm Jon-Tom bei.

Polastrindu hatte plötzlich das Aussehen einer Geisterstadt. Mit dem Näherkommen des Drachen waren alle interessierten Gesichter von der Mauer verschwunden. Nur hier und da zeigte sich ein schwankender Speer, das war alles.

Jon-Tom spürte die Blicke der verborgenen Matrosen und Schauerleute im Rücken, aber aus dieser Richtung waren keine Probleme zu erwarten. Tatsächlich war so gut wie überhaupt nichts zu befürchten, solange Falameezar bei ihnen blieb.

Er sah Caz an. Der Hase lächelte und nickte ihm zu. Da er derjenige war, der die Kontrolle über den Drachen hatte, oblag die Gesprächsführung Jon-Tom. Also marschierte er zum Tor und klopfte arrogant gegen das Holz.

»He, Torhüter, zeig dich!« Als weder eine Antwort noch ein Anzeichen von Bewegung erfolgte, fügte er hinzu: »Zeig dich, oder wir brennen dein Tor nieder und machen dich zum Aschehüter!«

Von der anderen Seite drangen die Geräusche eines Streits herüber. Dann öffnete sich mit hölzernem Stöhnen ein Portal gerade weit genug, um eine vertraute Gestalt durch zulassen, und schloß sich rasch hinter ihr.

»Das ist besser.« Jon-Tom musterte den Biber, der jetzt erheblich weniger streitlustig aussah. »Wir haben über irgendwelche Identitätsmarken diskutiert.«

»Tsie werden in dietsem Augenblick vorbereitet«, unterrichtete ihn der Offizier, dessen Blick immer wieder zu dem feueräugigen Gesicht des Drachen hochschnellte.

»Das ist nett. Es war auch die Rede von einer großen Zahl von Silberstücken.«

»Nein, nein, nein! Tsei doch nicht albern! Ein abtsurdets Mitsverständnits!«

Einen Augenblick später breitete sich Dankbarkeit über sein Gesicht, als sich das Tor wieder öffnete. Er verschwand im Innern und kehrte mit einer Handvoll winziger Metallrechtecke zurück. In jede Karte waren winzige Symbole und ein paar Worte geprägt.

»Bitte tsehr!« Er reichte sie rasch herüber. »Ihr mütst eure Namen hier eingravieren latsen.« Er zeigte auf eine unbeschriftete Fläche auf einer der Marken. »Wenn es euch beliebt, natürlich«, fügte er unterwürfig hinzu.

»Aber es sind nur sieben Marken.« Der Biber sah ihn verwirrt an. »Hast du vergessen, daß unsere Gruppe jetzt aus acht Individuen besteht?«

»Ich vertstehe nicht«, murmelte der nervöse Offizier. Er wies mit einer angedeuteten Kopfbewegung in Falameezars Richtung.

»Tsicherlich wird das da nicht in die Tstadt kommen.«

»Die bourgeoiseste Äußerung, die ich je hörte!« Der Drache beugte sich so weit vor, daß der Geruch von Feuer und Schwefel den Gestank der Abwässer überdeckte. Daß er den Biber mit einem Biß verschlucken konnte, war ein Umstand, der dem wackeren Streiter nicht entging.

»Nein, nein... ein Mitsverständnits, dats itst allets. Ich... es tut mir ehrlich leid, Herr Drache. Ets war mir nicht klar, dats Ihr ein Mitglied dietser Gruppe tseid... nicht genau... wenn Ihr mich bitte entschuldigt!« Er verschwand schneller, als Jon-Tom es bei solchen Säbelbeinen für möglich gehalten hätte.

Diesmal vergingen einige Minuten, bis er wieder auftauchte.

»Die letste Marke«, sagte er keuchend und streckte die frischgeprägte Metallplatte vor.

»Ich werde auf sie achtgeben.« Jon-Tom ließ sie in eine Hemdtasche gleiten. »Und wenn du jetzt so freundlich wärst, das Tor zu öffnen!«

»Macht auf da drinnen!« schrie der Offizier. Die Neuankömmlinge schlenderten hinein. Falameezar mußte den Kopf einziehen und schaffte es kaum, seinen Körper durch die Öffnung zu quetschen.

Sie fanden sich auf einem verlassenen umbauten Platz wieder. Hunderte interessierter Augen beobachteten sie durch kaum geöffnete Fensterläden.

Auf allen Seiten erhoben sich mächtige Steinbauten. Wie in Lynchbany erweckten sie den Eindruck, als seien sie aus Dutzenden kleinerer Gebäude zusammengewachsen, nur daß hier der Maßstab größer war. Die Stadt vermittelte das Bild einer grauen Sandsteinburg. Einige der Gebäude waren sechs oder sieben Stockwerke hoch. Zerklüftete Wohnbauten zeigten sonderbar geformte Fenster und unterschiedlichste Balkone.

Die Straßen, die sie sahen, waren erheblich breiter als im provinziellen Lynchbany, obwohl vorstehende Erker und Fensterkästen sie schmaler erscheinen ließen. Da die Straßen über den Platz alle zum Hafentor führten, war es verständlich, daß sie breiter waren als der Durchschnitt. Zweifellos verfügte auch diese Stadt über ihren Anteil an Gassen und verwinkelten Hinterhöfen.

Hinweise auf relativ starken Verkehr waren überreichlich vorhanden, von den abgenutzten Pflastersteinen bis zu den gewaltigen Haufen weggeworfenen Abfalls. Mehrere Dutzend Verkaufsstände und Buden umringten den großen Platz.

Jon-Tom vermutete, daß sie noch vor kurzem von geschäftigen Verkäufern bevölkert gewesen waren, die ihre Waren an Matrosen und andere Käufer verhökert hatten. Ein paar Kaufleute kauerten sich immer noch in ihnen zusammen, zu schwach oder zu gierig, um zu fliehen. Die meisten der Gesichter waren bepelzt, ein paar menschlich glatt.

»Sieh sie dir an, wie sie sich 'inter ihre Bäuche zurückzie'en!« Mudge schnitt den halbverborgenen Zuschauern beleidigende Grimassen. Falameezars Masse direkt hinter sich, fühlte er sich so gut wie unverletzlich. »Willkommen im wundervollen Polastrindu! Pah! Die Straßen stinken, die Leute stinken. Je e'er wir mit der ganzen Sache fertig sind und in den sauberen Wald zurückkehren können, desto besser wird es diesem Otter 'ier gefallen.« Er legte die Pfoten an den Mund und rief lauthals: »'ört ihr mich, ihr zitternden, feigen, blutschänderischen Lumpen? Eure ganze Stadt ist ein miefiges Stinkloch! Will sich jemand mit mir darüber streiten?«

Niemand wollte. Mudge sah befriedigt aus und wandte sich zu Jon-Tom: »Und was jetzt, Kumpel?«

»Wir müssen uns mit den örtlichen Zauberern und dem Stadtrat treffen«, sagte Clodsahamp entschieden. »Und während dieses Treffens wirst du mir den Gefallen tun, deine pubertären Ergüsse zurückzuhalten.«

»Äh, sie verdienen nichts anderes, Chef!«

»Rat?« Das fragende Rumpeln kam von Falameezar.

»Rat der Kommissare«, erklärte Jon-Tom hastig. »Es ist alles eine Frage der Semantik.«

»Ja, natürlich.« Der Drache klang verlegen.

Jon-Tom sah sich um und entdeckte den Biber, der unsicher in einem nahegelegenen Durchgang herumlungerte. »Du da, komm her!« Der Biber zögerte so lange wie möglich.

»Ja, du!«

Zögernd trat der Offizier aus dem Schatten. Auf der Hälfte des Weges, als er sich der möglicherweise vielen zuschauenden Augen bewußt wurde, schien er etwas von dem Stolz und der Würde zurückzugewinnen, die er anfänglich gezeigt hatte. Falls er schon in den Tod ging, so schien seine Überlegung zu sein, konnte er auch eine gute Figur dabei machen. Jon-Tom mußte seinen Mut bewundern, wenn er auch ein wenig spät kam.

»Nun gut«, sagte der Biber ganz ruhig. »Ihr habt euch durch Einschüchterung euren Weg in die Tstadt erzwungen.«

»Was notwendig war, weil du uns draußen einzuschüchtern versuchtest«, erinnerte ihn Jon-Tom. »Sagen wir, wir sind quitt. Schwamm drüber!«

Der Biber warf der bewegungslosen Gestalt Falameezars einen schnellen Blick zu, bevor er Jon-Tom wieder fragend ansah.

»Meinen Tsie dats wirklich tso? Tsie wollen tsich nicht an mir rächen?«

»Nein. Schließlich hast du«, fügte Jon-Tom in der Hoffnung hinzu, einen hiesigen Verbündeten zu gewinnen, »nur deine Pflicht getan, wie du, äh, sie gesehen hast.«

»Ja. Ja, dats tstimmt.« Der Offizier zögerte immer noch in seinem Glauben, daß man nicht über ihn herfallen wollte und daß Jon-Toms Freundschaftsangebot echt war.

»Wir hegen keinen Groll gegen dich, genausowenig wie gegen jeden anderen Bürger Polastrindus. Wir sind hier, um euch zu helfen.«

»Und jedem intelligenten Bewohner der Warmlande«, ergänzte Clodsahamp gewichtig.

Der Biber grunzte. Offensichtlich zog er es vor, mit Jon-Tom zu sprechen, obwohl ihm das dauernde Aufblicken zu dem hochragenden Menschen im Nacken schmerzte.

»Wats kann ich dann altso tun, um dir behilflich tsu tsein, mein Freund?«

»Du könntest ein Treffen mit dem Stadtrat, den militärischen Befehlshabern und den Repräsentanten der Hexer dieser Region für uns vereinbaren«, teilte ihm Jon-Tom mit.

Die Augen des Bibers weiteten sich. Schwere Schneidezähne klickten gegen ihre kürzeren Gegenstücke. »Dats itst wirklich ein Wunsch, Freund! Hatst du eine Ahnung, worum du da bittetst?«

»Es tut mir leid, wenn das schwierig für dich wird, aber wir können uns wirklich mit nichts Geringerem zufrieden geben. Wir wären nicht diesen weiten Weg gereist, wenn es sich nicht um eine Sache von entscheidender Bedeutung handeln würde.«

»Dats glaube ich schon. Aber ihr mütst verstehen, dats ich nur ein Unteroffitsier bin. Ich bin nicht in der Potsition, um...«

Hinter ihm klangen Rufe auf. Mehrere seiner Soldaten tauchten aus der Tür auf, hinter der sie sich verborgen hatten, und deuteten die Hauptstraße hinauf.

Dort näherte sich eine kunstvolle Sänfte. Sie wurde von sechs keuchenden Mäusen getragen, die beim ersten Anblick Falameezars zögerten. Aber Rufe aus dem Innern der Sänfte und ein Peitschenknall des elegant in Spitze und Seide gekleideten Sänftenführers, eines Hamsters, zwangen sie weiter.

Die Sänfte hielt in maßvoller Entfernung. Der keinen Meter große Hamster stieg rasch von seinem Sitz und öffnete mit tiefer Verbeugung die Tür des feudalen Transportmittels. Die mißbrauchten Träger sackten ihn ihren Geschirren zusammen, rangen nach Atem. Sie waren offensichtlich den größten Teil der Strecke gerannt.

Das Individuum, das sich durch die Tür zwängte, war in eine mehr dekorative denn zweckdienliche Rüstung gekleidet. Sie war massiv vergoldet und verschnörkelt und entsprach der hohen Stellung und dem hochmütigen Gebaren ihres Besitzers. Dieser begutachtete die Situation auf dem Platz und schlenderte herüber.

Als der Neuankömmling herangekommen war, salutierte der Biber, indem er sich mit der offenen Pfote auf die linke Brust schlug. Ein schwaches Winken war alles an Gegengruß, was der Offizier bekam.

»Ich bin Major Ortrum, Kommandant der Stadtwache«, sagte der Waschbär salbungsvoll. Es gelang ihm bemerkenswerterweise, Falameezar zu ignorieren, während er zu den Ankömmlingen sprach.

Der Drache lenkte Jon-Toms Aufmerksamkeit auf sich, der sich neben die schwarze Masse stellte, während der Waschbar mit gelangweilt klingender Stimme irgendeine offizielle Begrüßung herunterspulte.

»Diese armen Burschen da«, sagte der Drache verärgert und wies mit dem Kopf auf die erschöpften Sänftenträger, »scheinen mir der konzentrierte Ausdruck des ausgebeuteten Arbeiters zu sein. Und der, der da gerade redet, gefällt mir ganz und gar nicht.«

Jon-Tom dachte sehr schnell. »Ich schätze, daß sie sich abwechseln. Das ist nur fair.«

»Vermutlich«, sagte der Drache zweifelnd. »Aber diese Arbeiter«, – er wies mit dem Kopf auf die keuchenden Mäuse -, »gehören alle zur selben Art, während der Sprecher eindeutig anders ist.«

»Jaa, schon, aber was ist mit dem Führer? Er ist auch anders.«

»Ja, aber... ach, vergiß es! Das ist meine mißtrauische Natur.« Fast zu mißtrauisch, dachte Jon-Tom und stieß innerlich einen erleichterten Seufzer aus, weil er den Drachen einmal mehr getäuscht hatte. Er hoffte inbrünstig, daß der Major es sich nicht erlaubte, einem der Träger einen Tritt zu verpassen.

»Ich denke mir«, sagte der Waschbär und nahm geziert etwas Schnupftabak, »daß ihr in irgendeiner albernen wichtigen Mission hier seid.«

»Das trifft zu.« Clodsahamp betrachtete den Major angewidert.

»Ah, Ihr müßt der Hexer sein, der mir gegenüber erwähnt wurde.« Ortrum vollführte eine glatte aristokratische Verbeugung. »Ich beuge mich vor dem, der die geheimen Künste gemeistert hat und zu dem alle aufblicken müssen.« Der über ihnen flatternde Fledermaus-Famulus stieß ein kurzes heftiges Lachen aus, aber Clodsahamps Einschätzung des Majors erfuhr einen radikalen Wandel.

»Endlich jemand, der den Wert von Wissen erkennt! Vielleicht kommen wir jetzt weiter.«

»Das kommt darauf an«, meinte der Major. »Man sagt mir, daß Ihr vor dem Rat und den magischen Repräsentanten zu sprechen wünscht.«

»Genau«, sagte Mudge, »und wenn sie wissen, was gut für sie is, werden sie uns genau zu'ören, werden sie.«

»Oder...?«

»Oder...« Mudge blickte Clodsahamp hilflos an. »Eine Krise, die die gesamte zivilisierte Welt bedroht, kommt mit jedem Tag näher«, erklärte der Hexer, »Ihr zu begegnen, wird alle Reserven der Warmlande erfordern.«

»Bitte begreift, daß ich nicht Eure Erklärung in Zweifel ziehe, Wissender«, sagte der Major und klappte seine silberne Schnupftabakdose zu, »aber ich bin nur höchst unzureichend dazu gerüstet, solche Angelegenheiten zu beurteilen. Daher, vermute ich, werdet Ihr Eure Zuhörerschaft haben müssen. Ihr müßt Euch aber darüber im klaren sein, wie schwierig es sein wird, alle Notabeln, die ihr zu sehen wünscht, in einer kurzen Zeitperiode zu versammeln.«

»Nichtsdestotrotz muß es getan werden.«

»Und vor der Versammlung werdet Ihr selbstverständlich Eure Behauptungen konkretisieren und erhärten.«

»Natürlich«, erwiderte der Hexer gereizt. Jon-Tom bemerkte die versteckte Drohung in der Äußerung des Majors. Hinter Ortrum steckte mehr, als sich dem Auge oder der Nase enthüllte. Es bedurfte bemerkenswerten Mutes, um da zu stehen und offensichtliche Mißachtung für die massige Gegenwart Falameezars zu zeigen. Sogar Jon-Tom ließ viele Bewohner dieser Welt auf den ersten Blick stutzen.

Dann fiel ihm ein, daß Mut gar nichts damit zu tun haben mochte. Er fragte sich, was die Schnupftabakdose wirklich enthielt. Es konnte durchaus sein, daß Major Ortrum total bekifft war.

»Es wird ein wenig dauern.«

»Sobald wie möglich dann also!« sagte Clodsahamp mit ungeduldigem Schniefen.

»Natürlich werdet Ihr mich über die näheren Umstände dieser angenommenen Gefahr informieren, damit die Zauberer zumindest wissen – entschuldigt meine Kühnheit! -, daß sie nicht wegen der Wahnideen eines altersschwachen Hochstaplers aus ihren Lagern und Höhlen gerissen werden.« Er hob beschwichtigend die Hand. »Aber, aber. Überlegt doch bitte einen Moment! Sicherlich würdet auch Ihr eine gewisse Sicherheit wünschen, wenn die Lage umgekehrt wäre.«

»Das scheint mir angemessen vernünftig. Die Hexer der größeren Territorien sind eine hochmütige Bande. Sie müssen dazu gezwungen werden, die Gefahr zu begreifen. Ich werde Ihnen ausreichende Informationen mitgeben, um sie dazu zu bewegen, die Versammlung zu besuchen.« Er durchforschte die Schubladen in seinem Panzer.

»Hier!« Er holte eine Handvoll winziger Schriftrollen hervor.

»Sie sind fluchversiegelt.«

»Ja, ich sehe das Zeichen«, erwiderte der Waschbär, als er sie vorsichtig entgegennahm.

»Nicht, daß es etwas ausmachen würde, falls Sie ihren Inhalt sehen würden; die ganze Welt wird sehr bald davon erfahren. Aber es gibt bestimmte snobistische Typen, die das Eindringen bloßer Laien in Zaubererangelegenheiten übelnehmen.«

»Seid versichert, daß sich niemand unbefugt an ihnen zu schaffen machen wird«, erklärte der Major mit albernem Lächeln und verstaute die Rollen in einer Seitentasche.

»Und jetzt zu weniger schrecklichen Dingen. Es wird spät. Ihr müßt doch durch die Ereignisse des Tages«, – er warf dem unglücklichen Biber einen scharfen Blick zu -, »und durch eure anstrengende Reise müde sein. Außerdem würde es die Bevölkerung beruhigen, wenn ihr euch zurückzögt.«

Caz strich geziert über seine Spitzenmanschetten und sagte: »Ich für meinen Teil hätte mit Sicherheit gute Verwendung für ein Bad. Ganz zu schweigen von etwas Feinerem als Lagerküche. Äh, ein Süßzwiebel- und Großbohnensalat mit gewürzter Sauerrahmsoße zum Beispiel!«

»Ein Feinschmecker.« Major Ortrum sah den Hasen mit neuem Interesse an. »Sie werden meine Offenheit sicherlich entschuldigen, aber ich verstehe nicht, wie Sie in diese Art von Gesellschaft geraten konnten.«

»Ich empfinde meine gegenwärtige Gesellschaft durchaus zufriedenstellend, danke.« Caz lächelte dünn.

Ortrum zuckte die Schultern. »Das Leben versetzt uns oft in die unerwartetsten Situationen.« Es war offensichtlich, daß er sich für so etwas wie einen Philosophen hielt. »Wir werden ein Bad für Sie finden und Quartier für alle.«

Der Biber beugte sich herüber, immer noch in steifer Habachtstellung, und wies mit dem Kopf auf den Drachen.

»Quartier, Major? Selbst für das da?«

»Ja, was ist mit Falameezar?« fragte Jon-Tom. »Genossen sollten nicht getrennt werden.« Der Drache strahlte.

»Überhaupt kein Problem«, versicherte der Waschbär. »Das dritte große Gebäude links hinter Ihnen«, sagte er mit ausgestrecktem Arm, »ist sowohl Kaserne als auch Militärlagerhaus. Es wird gegenwärtig nur von einem kleinen Instandhaltungstrupp bewohnt, der abgezogen werden wird.

Sollte Ihr beträchtlicher reptilischer Freund wünschen, in seine natürliche nasse Umgebung zurückzukehren, sei es nun auf Dauer oder nur zu einem kurzen Bad, wird er den Fluß dichtbei finden. Und ansonsten ist dort ausreichend Raum für Sie alle, so daß Sie zusammen bleiben können.

Wenn Sie mir bitte folgen wollen?« Er ging zu seiner Sänfte zurück. Deren Führer kletterte auf seinen Sitz und stieß mit schriller, quäkender Stimme Befehle aus, gefolgt von Flüchen, die sich durch außergewöhnliche Bösartigkeit auszeichneten.

Teile und fördere einige auserwählte Wenige! dachte Jon- Tom wütend. So sorgt man dafür, daß die Unterdrückten spuren. Die Art, wie die kleineren Nager behandelt wurden, war eine Quelle beständigen Unbehagens für ihn.

Sie folgten der Sänfte zum Eingang eines mächtigen Holzgebäudes. Zwei hohe Schiebetüren boten Platz genug, um Falameezar einzulassen.

»Dieser Bau wird oft zur Unterbringung großer Maschinen verwendet«, erklärte Ortrum. »Daher die Notwendigkeit für das übergroße Portal.

Ich werde euch hier verlassen. Ich muß zurück, um meinen Bericht abzufassen und die Einladungen einzuleiten, um die ihr gebeten habt. Falls ihr irgend etwas braucht, zögert nicht, die Angehörigen des Stabs im Innern um Hilfe zu bitten. Ich heiße euch als Gäste der Stadt willkommen.«

Er winkte mit der Hand, die Sänfte wendete und entfernte sich leicht schwankend auf den angespannten Muskeln der Mäuse...