20

 

 

»Warum nennst du dich Dak, wenn dich unsere Unterlagen als Dray Prescot ausweisen?«

Akhram ließ seinen Blick auf mir ruhen. Wir saßen in seinem Arbeitszimmer, das ich schon von meinem ersten Besuch her kannte, inmitten von Rechentafeln, Zirkeln, Globen und anderen Geräten seines Standes.

»Seit meinem letzten Besuch sind viele Ereignisse eingetreten. Der Name Dray Prescot ist am Binnenmeer bekannt – die eine Seite jagt mich, und sollte die andere erfahren, daß ich noch lebe und mich hier aufhalte, wäre ich sofort das Ziel eines Angriffs. Der Name Dak dagegen steht in Ehren.«

»Wir halten uns von den Roten und von den Grünen fern, das weißt du. Allerdings verstehen wir die Leidenschaften, die die Menschen am Auge der Welt bewegen. Ja, ich sorge dafür, daß du den Damm der Tage besuchen kannst, und du darfst sicher sein, daß wir dich nur als Dak kennen.«

»Das ist sehr freundlich.«

So ritten Duhrra, ich und eine kleine Eskorte aus drei jüngeren Todalphemen auf Sectrixes nach Westen. Unsere Vorräte waren sorgfältig in Blätter eingewickelt. In langsamem Tempo mochte die Reise etwa fünfzehn Burs dauern – eine Zeit, die mir meine Delia sicher zugestand, ehe ich meine Pläne, nach Vallia zurückzukehren, weiter verfolgte. Vielleicht spürte ich schon damals hinter diesem Ausflug mehr als bloße Neugier auf den Damm der Tage.

Wenn Sie meine Geschichte kennen, wissen Sie, daß in mir noch ein ganz anderes und für mich typisches Motiv schlummerte – die Schiffe beförderten havilfarische Voller. Vielleicht ergab sich für mich, den alten Räuber, den alten Paktun, die Gelegenheit, mir einen Voller unter den Nagel zu reißen und damit auf direktem Wege zu Delia zurückzukehren. Das hätte jenem Dray Prescot ähnlich gesehen, den ich noch in mir hoffte.

Das Wasser im Großen Kanal war nicht tief, kaum achthundert Meter. Das war der Wasserstand, den die Todalpheme zu halten versuchten – durch ihre Agenten, die Oblifanter, die den Damm der Tage verwalteten. Wenn die Flut gegen die äußere Küste anrannte, gab es Tidenunterschiede ähnlich wie in der Fundy-Bucht – das wußte ich noch aus meiner Zeit in Zenicce und Vallia. Solche Dinge sind eine Frage der Wissenschaft – die Einwirkung von Sonnen und Monden, die Springfluten erzeugten. Mit sieben Monden, die mit- und gegeneinander arbeiteten, und den beiden Sonnen, die in diesem Zusammenhang als eine einzige Schwerkraftquelle gerechnet wurden, ergaben sich für Kregen faszinierende Möglichkeiten. Die Todalpheme leiteten ihre Unentbehrlichkeit von dieser komplizierten Materie her.

Während unseres Ritts hatte ich viel nachzudenken. Duhrra hatte einen Haken angepaßt bekommen, wobei die Ärzte der Todalpheme mit der Art der Amputation nicht zufrieden gewesen waren. Duhrra hatte mir einen amüsierten Blick zugeworfen, und ich hatte den gelehrten Herren die Wahrheit geschildert. Zum Glück war eine weitere Amputation nicht erforderlich gewesen.

Schließlich erreichten wir den Damm der Tage.

Wie soll ich dieses Bauwerk beschreiben?

In überschwenglichen Tönen, in Begriffen der Größe, Pracht und Majestät? Mit wissenschaftlichen Daten, die Kubikmaße, die vielen Tonnen Wasser, die den Damm passierten, die technischen Anlagen der Senkkästen? Nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten – auch wenn Elektrizität hier nicht bekannt war und auch ich damals noch keine Ahnung davon hatte? Jedenfalls hätten die hier möglichen Megawatt das ganze Binnenmeer erleuchten können. Nach künstlerischen Kriterien, wenn das Sonnenlicht auf den Felsauffüllungen schimmerte und die eindrucksvolle Pracht einer Alpenszenerie entfaltete?

Der Damm erstreckte sich quer zur Kanalmündung, die sich zu einer Bucht erweitert hatte. Die Bucht selbst umfaßte eine große Wasserfläche. Der Damm ragte zu ungeheurer Höhe auf; dennoch wirkte er wie eine lange niedrige Mauer vor dem Meer, wenn der Blick an seiner Oberkante entlangglitt, von Landmasse zu Landmasse. Ein Holländer hätte diese technische Leistung sicher besonders zu schätzen gewußt. Das Bauwerk war vor langer Zeit vom Sonnenuntergangsvolk errichtet worden. Inzwischen hatte ich erfahren, daß die Savanti aus Aphrasöe die letzten Nachkommen jener einst stolzen und weltumspannenden Rasse waren. Sie hatten für die Ewigkeit gebaut; dennoch waren an vielen Orten ihre Städte vernichtet worden; so konnten die Kharoi-Steine auf meiner Insel Hyr Khor in Djanduin als Überreste aus ihrer Blütezeit gelten.

Der Große Kanal und der Damm der Tage aber wirkten absolut neu. Das Sonnenuntergangsvolk hatte diese Bauwerke mit besonderer Liebe geschaffen.

»Siehst du den Wasserfall, der sich am Nordufer ins Meer ergießt, Tyr Dak?« Der junge Todalpheme hob einen Arm und bezeichnete mir die Stelle. Er war ein Novize, der seinen Beruf erst lernen mußte. In hundert Jahren, wenn er Glück hatte, mochte er Akhram sein. Ich nickte. Das Wasser ergoß sich ins Meer, und dahinter, landeinwärts, schimmerte ein See.

»Wenn die Flut steigt, füllt sich der See, und so braucht der Fluß ihn lediglich nachzufüllen. Das ist das Reservoir, aus dem die Stärke des Damms der Tage kommt.«

Wir ritten weiter. Auf einer weiten Ebene erhoben sich die Zelte und Hütten einer nicht gerade kleinen Armee – Grodnim. Duhrra zog die verachtete grüne Robe enger um seinen Körper. Ich wußte, daß man uns leicht entlarven und versklaven konnte, und war bereit, mich meiner Haut zu wehren.

Die drei Todalpheme brauchten sich solche Sorgen nicht zu machen, denn sie waren immun; dennoch machten sie einen Bogen um das Lager. Es erzürnte sie, daß nackte Gewalt angewendet wurde an einem Ort, an dem das reine Licht der Wissenschaft leuchten sollte.

Jenseits des Damms schweifte der Blick in die Ferne. Zur Rechten bewegte sich die graugrüne See bis zum Horizont. Ein Unwetter zog auf. Links zeigte das Wasser die blauere Tönung des Binnenmeeres, obwohl nur der massige Damm dazwischenlag. Wir begaben uns auf die Mitte und verweilten eine Weile stumm. In Abständen gab es Öffnungen im Damm der Tage. Sie waren so gestaltet, daß sie dem Wasserdruck von Osten und von Westen widerstanden – und nicht nur von einer Richtung wie bei einem Schleusentor. Sie hatten die Form riesiger Zylinder, die sich in breiten Gesteinsschienen hoben und senkten. Als modernen Vergleich kann ich anführen, daß sie wie Kolben aussahen. Wurde durch Leitungen Wasser aus dem See herbeigeführt, sanken sie hinab und verschlossen die Öffnungen.

Die Anhebung dieser Senkkästen, im Grunde einfach, erforderte eine Technologie, die den damaligen Wissensstand eigentlich überstieg. Daß seit Bestehen des Damms nur eine einzige Stahltrosse gerissen war, ist ein Beweis für die Qualität der Arbeit des Sonnenuntergangsvolks. Neben jedem Senkkasten befand sich ein riesiger Reservoirtank, der sich ebenfalls in Schienen auf und ab bewegen konnte. Über eine Anordnung von Rollen führten zahlreiche Stahlseile vom Senkkasten zum Tank. Wurde der Tank aus einer separaten Leitung mit Seewasser gefüllt, sank er hinab. Da der Tank größer war als das Senkkastenvolumen, das sich unter der Meeresoberfläche befand, zog der Tank im Absinken den Senkkasten empor. Im Senkkasten ließen sich Abflußschlitze öffnen, durch die das Wasser entweichen konnte. Der Senkkasten seinerseits war in der höchsten Stellung und leer noch massiger als das Wasser, das im Tank verblieben war, nachdem seine Füllung sich der Meeresoberfläche angeglichen hatte, und so füllte sich der Senkkasten wieder und sank ab und zerrte damit den Tank empor. Das war alles perfekt durchdacht und wirtschaftlich gebaut; den Antrieb lieferte die Schwerkraft durch das fallende Wasser.

Ich sollte in diesem Zusammenhang erwähnen, daß die Oblifanter die Anlagen mit großen Scharen von Arbeitern in Gang hielten, die insbesondere die Reibungsflächen immer wieder schmierten. Damit sich die Senkkästen gegen den enormen Wasserdruck bewegen konnten, waren auf jeder Seite ganze Serien von Rädern angebracht, die sich dem Druck von vorn und hinten entgegenstellten.

Das ließ mich stutzen. Die Todalpheme gaben ihre Befehle zum Senken oder Anheben der Senkkästen, um die Wassermenge zu regulieren, die ins Binnenmeer strömte. Gewöhnlich führte eine Flut dazu, daß die Durchlässe geschlossen wurden. Warum hatte das Sonnenuntergangsvolk aber Räder angebracht, die einen Druck auch von der Rückseite des Damms regulierten? Ich vermutete, daß in der fernen Vergangenheit der Damm nicht nur zum Regulieren der Gezeiten verwendet worden war.

Einer der jungen Todalpheme legte die Hand über die Augen und blickte auf das Meer hinaus. »Ich glaube ...«, sagte er und hob den Arm.

Der Novize war es gewöhnt, in seiner Zelle zu sitzen und Papiere zu bearbeiten. Mein Seemannsauge erfaßte die vertrauten Umrisse sofort – Argenter, mit prallen Segeln vor dem auffrischenden Wind laufend, in voller Fahrt durch die schaumgekrönten Wellen pflügend. Der Wind peitschte mir ins Gesicht, während ich mir die Schiffe ansah und mich fragte, wie viele in Stücke geschlagen werden würden, ehe sie die Dammtore erreichten.

Ich sah die Flaggen wehen. Vier grüne diagonale Streifen, vier blaue diagonale Streifen von rechts nach links, das Blau und Grün durch dünne weiße Streifen getrennt.

Menaham.

Das war logisch.

Als die verrückte Königin Thyllis die Insel Pandahem angriff, hatte sie ein Land nach dem anderen überrannt, bis ihre siegreichen Armeen und Voller in der Schlacht von Jholaix besiegt wurden. Von allen pandahemischen Nationen hatten sich die Menahamer als einzige mit ihr verbündet – eine Allianz, die auch nach dem Friedensvertrag noch andauerte. Hamal besaß nur wenige Schiffe, während Pandahem ein Inselreich mit weitreichenden Handelsbeziehungen war – ähnlich wie Vallia. Was war also logischer, als daß Hamal Schiffe aus Menaham einsetzte?

Wenn Sie mich fragen, warum große und langsame Argenter eingesetzt werden, um schnelle Voller zu transportieren, die die Strecke ja auch im Flug zurücklegen konnten, so vergessen Sie die Raffinesse der Hamaler und die Tücken ihrer Voller. Ich wußte durchaus, daß die angelieferten Flugboote eine Zeitlang gut funktionieren, dann aber versagen würden. O ja, wie oft hatte ich das selbst erlebt! Konnten die Hamaler also einen Flug von Hamal zum Binnenmeer riskieren, in solch anfälligen Flugbooten?

Genod Gannius war seinerseits so scharf auf die Voller, daß er die möglichen Defekte als Teil des Geschäfts akzeptierte. Dasselbe hatte Vallia getan, wie auch Zenicce und alle anderen, die Voller aus Hamal bezogen. Sperrten sie sich gegen diese Bedingung, bekamen sie eben keine Flugboote mehr.

Die Schiffe wurden hervorragend geführt. Sie ritten die Brandung ab wie stolze Schwäne. Die Wimpel flatterten im starken Wind, die Segel knatterten und wogten, als das Wendemanöver eingeleitet wurde. Der Bug der Schiffe richtete sich auf die Tore im Damm, die weiße Gischt sprühte von den Bugsprieten. Sie zogen durch die Brandung und segelten durch den Damm der Tage in die dahinterliegende Bucht, die in den Großen Kanal einmündete.

Ich ging zur anderen Seite des Damms und beobachtete die Schiffe, die sich im geschützten Gewässer nun viel ruhiger bewegten. Sie hielten auf die Kanalmündung zu. Wahrscheinlich machten sie in dem Hafen fest, der auf halber Strecke lag oder im Hafen am Ostende des Kanals, je nach den Vereinbarungen. Dann wurden die Voller aus den riesigen Laderäumen heraufgebracht. Die Männer des Luftdienstes von Hamal würden die Maschinen noch einmal durchsehen und dann den Grünen überlassen. Zweifellos hatte Genod Gannius seine Männer an den Kontrollen ausbilden lassen. Und dann ...

Ich hatte eine apokalyptische Vision ganzer Horden von Grodnim, die vom Himmel stürzten, den Widerstand in Shazmoz brachen und dann andere Städte an der Südküste niederkämpften, zuletzt das Heilige Sanurkazz.

Nun, diese Vision mochte apokalyptisch sein, aber sie ging mich nichts mehr an.

Und Mayfwy und Felteraz?

Ich schlug mit der Faust auf die Steinbalustrade und fluchte leise. Warum mußte ich ausgerechnet jetzt an Mayfwy denken? Was bedeutete sie mir, wenn ich sie mit Delia verglich?

Aber das war es ja – sie waren keine Gegner Delias. Ein Wert kann den anderen nur aufheben, wenn ein Interessenkonflikt besteht. Würde Delia mir nicht einpauken, daß es meine Pflicht war, Mayfwy zu schützen, die mit uns befreundet war? Aber ich wollte mit dem Binnenmeer nichts mehr zu schaffen haben. Ich wollte nach Hause zurückkehren. Der Anblick der menahamischen Argenter hatte einen teuflischen Funken in mir aufsprühen lassen. Ich wollte im Licht der Monde hinabschleichen, einen Voller stehlen und nach Valka zurückkehren. Dabei mochte ich einen Argenter in Brand stecken, das wäre nicht übel. Allerdings nahm ich nicht an, daß ich den Versuch machen wollte, die ganze Flotte zu vernichten. Genod Gannius schien mir ein General zu sein, der eine solche Gefahr in seinen Plänen berücksichtigte.

Ein heftiger Windstoß traf mich von hinten. Ich machte kehrt. Das Meer war nun wirklich in Bewegung, die Brecher rollten schwer heran, und Gischt fetzte mit dem Wind durch die Luft. Es war noch kälter geworden.

Männer in der braunen Kleidung der Arbeiter drängten sich vorbei, liefen die Straße auf der Kammkrone entlang. Ich sah einen Oblifanter, der ihnen Befehle gab, eine befehlsgewohnte Gestalt, an deren brauner Tunika allerhand Litzen und Goldknöpfe schimmerten.

»Wir müssen umkehren, Tyr Dak«, sagte einer der Novizen erschaudernd. »Die Flut steigt. Nachdem die Schiffe durch sind, werden die Tore geschlossen. Wir müssen zurück.«

»Wird auch Zeit«, sagte Duhrra, der nicht wußte, was die Schiffe geladen hatten. »Wir haben das Wunderwerk des Damms gesehen, Herr. Jetzt sollten wir uns um meinen Haken kümmern, bei der Gesegneten Mutter Zinzu.«

Mich bedrückte die Entscheidung, die ich treffen mußte. Ich dachte an Delia, an Mayfwy, an Nath und Zolta und auch an Duhrra. Es war nicht fair – aber was ist schon fair in diesem Leben?

Fluchend stapfte ich hinter den anderen her. Daß ich kein Krozair von Zy mehr war, änderte nichts an den Erwartungen, die Delia in mich setzte. Wäre sie jetzt neben mir gewesen, würde sie verlangt haben, daß ich mich für meine Freunde einsetzte.

Die Flut stieg schnell.

Der Oblifanter, ein barscher, wettergegerbter Mann, der seinen Balassstock kreisen ließ, behandelte die Todalpheme mit großer Höflichkeit, obgleich es sich nur um Novizen handelte. Duhrra und mich bedachte er mit einem vagen Entgegenkommen, in dem seine Ansicht über Grodnim zum Ausdruck kam, die sich anmaßten, seine Arbeit zu überwachen. Wir gingen weiter. Der Wind umtoste uns. Die Flaggen knatterten oder standen steif wie Bretter im Wind. Das ganze Meer schäumte weiß. Die Bucht hinter dem Damm blieb ruhig. Die Argenter segelten mit halb gerefften Segeln vor dem Wind in Richtung Kanal.

Ein lautes Knirschen lag in der Luft, als scheuerten Eisblöcke der Gletscher von Sicce gegeneinander.

Der Oblifanter fluchte und lief zu einem der großen Kettentürme. »Tut Fett auf die Seile, ihr Onker!«

Sollte er diesen Ton gegenüber einem Hikdar der Grodnim anwenden, so würde er wohl nicht lange seine Zähne behalten. Die Grodnim sind ziemlich rücksichtslos.

Als wir die Stelle erreichten, hatte der Lärm nachgelassen. Wir blickten in die Tiefe und sahen die braungekleideten Arbeiter auf einem Laufsteg; sie schütteten eimerweise Schmierfett über die Trossen und Rollen. Ganz in der Nähe bewegte sich die Masse eines Senkkasten langsam abwärts, während sich auf der anderen Seite der ebenso riesige Tank als Gegengewicht hob. Das Schauspiel hätte die Herzen viktorianischer Techniker entzückt, die sich gerade dem Gigantismus in Eisen zu verschreiben begannen. Ich ging weiter. Die Sache ging mich nichts an.

Vor meinem inneren Auge tauchte Delia auf, die mich verächtlich ansah ...

Die Hähne, die den Zufluß des Wassers in die Senkkästen regelten, befanden sich unter einem kleinen Steindach, das aus dem Damm herausragte. Ich blieb stehen und sah zu, wie die braungekleideten Arbeiter die Hähne bedienten. Die Todalpheme drehten sich um und bedeuteten mir, ich solle ihnen folgen. Der Oblifanter zog seinen Balassstock über den Rücken eines Arbeiters, der nicht mit vollem Herzen bei der Sache war.

»Oblifanter«, sagte ich, »du tätest mir einen Gefallen, wenn du den Zufluß zu den Tanks öffnen und die Leitungen zu den Senkkästen schließen würdest.«

Er starrte mich verständnislos an. Dann begann er mit den Armen zu rudern. Sein Gesicht rötete sich hektisch.

»Das geht nicht! Dann öffnen sich die Tore – und die Flut wird durchgeschwemmt!«

»Trotzdem wirst du es tun!«

»Aber die Flut! Die Flut!«

»Du läßt soviel durch wie nötig. Wenn mein Ziel erreicht ist, kannst du die Senkkästen wieder herablassen, damit die Flutwelle nicht ganz bis zum Binnenmeer durchschlägt. Sie wird sich totlaufen, ehe sie Shazmoz erreicht.« In diesem Augenblick fiel mir etwas ein – ich dachte an die Grodnimschiffe, die wie Meeres-Leem vor Shazmoz lauerten und jede Kontaktaufnahme mit der Stadt verhinderten. »Oder wir lassen die Senkkästen oben, bis die Flutwelle Shazmoz erreicht.« Ich war erstaunlich gut gelaunt. Zwar lächelte ich nicht, doch erfüllte mich eine große Energie. »Ja, das ist ein guter Plan!«

»Du bist ja verrückt!«

»Zweifellos!«

»Hierher!« brüllte der Oblifanter, dem die Augen aus dem Kopf zu treten drohten. Sein Ruf galt einer Gruppe Grodnim, die mit anderen Arbeitern davoneilen wollten. »He! Ihr! Verdient euch euren Sold! Schafft mir diesen Irrsinnigen vom Hals ...«

Das waren seine letzten Worte; ich versenkte ihn in Tiefschlaf und legte ihn vorsichtig auf die Steinstraße. Die Arbeiter starrten ausdruckslos zu mir herauf. »Schließt die Senkkastenzuflüsse. Laßt die Tanks vollaufen! Los!«

Sie blickten mir ins Gesicht, erschauderten – und kamen meinem Befehl nach.

Die Grodnim näherten sich verwirrt. Die Todalpheme standen abseits und begriffen zuerst nicht recht, was hier vorging. Duhrra warf mir einen kritischen Blick zu und schlenderte an meine Seite.

Es wurde sehr dunkel; die Wolkendecke verdichtete sich noch mehr. Der Wind heulte. Bald mußte der Sturm richtig losbrechen. Und unaufhaltsam stieg das Wasser, eine enorme kregische Flut, die wie eine Erdbebenwoge alles vor sich her schwemmen würde, ganze Städte und Dörfer vernichtend.

»Was ist hier los?«

Zufällig befand sich ein Jiktar in der Gruppe der Grodnim. Ein Jiktar muß in der Hierarchie einer Armee schon etliche Stationen zurückgelegt haben, denn er befehligt ein Regiment, einen Ruderer oder eine Galleone.

»Schluß jetzt, Rast!« Er sprach ganz sachlich. Dann brüllte er die erschrockenen Arbeiter an: »Schließt die Tankzuflüsse! Auf der Stelle!«

»Macht sie auf!« sagte ich ruhig.

Der Jiktar zögerte nicht. Das gehörte zu den Gründen, warum er Jiktar war.

»Ergreift ihn!« befahl er, ganz ohne Erregung. »Wenn ihr ihn dabei umbringen müßt, bitte sehr. Aber lieber hätte ich es, wenn ich den Verrückten verhören könnte.«

Die Grodnim stellten sich mit blanken Langschwertern zum Kampf. Mir war egal, wie viele umkamen.

Ich sah, daß Duhrra unter seinem Mantel herumtastete.

»Zurück, Duhrra!« brüllte ich. »Halte dich aus der Sache heraus!«

Er antwortete nicht.

Ich mußte mich so vor den Arbeitern aufstellen, daß ich meinen Befehlen Nachdruck verleihen konnte; gleichzeitig mußte ich verhindern, daß die Grodnim an mir vorbei auf die Aktion Einfluß nahmen. Die unmittelbare Zukunft versprach einigermaßen anregend zu werden.

Die Details dieser Minuten sind mir noch lebhaft im Gedächtnis: der Wind, dessen Heulen immer mehr zunahm, die verängstigten Arbeiter, die unter meinem bösen Blick verzweifelt an den Hähnen drehten; das Klappern der Soldatenstiefel auf der Dammstraße; das Schimmern ihrer Kettenhemden und grünen Gewänder; Duhrra, der hinter den anrückenden Gegnern herumhüpfte, das Gesicht so wild verzerrt, daß es in einem anderen Augenblick und an einem anderen Ort denkbar komisch gewirkt hätte – und schließlich das Gefühl des Schwertgriffs in meiner Faust. Die Waffe hatte keine besonderen Qualitäten und gestattete nicht den Krozairgriff, der mir zusätzliche Vorteile verschafft hätte. Diese Waffe war für ein primitives Zustechen im Nahkampf bestimmt. Nun, dazu mochte sie ausreichen.

Die Grodnim legten es im ersten Augenblick darauf an, mich einzuschüchtern; wild brüllend und waffenschwenkend drangen sie auf mich ein. Es schien mir unsportlich und eines Jikai nicht würdig zu sein, den ersten einfach zu töten, so parierte ich seinen Hieb und versetzte ihm einen Schlag über seinen metallenen Kopfschutz. Er stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden. Die nächsten beiden kamen zusammen, schon ernüchtert, kampfbereit, nach Art der Grünen bestrebt, den Kampf schnell zu beenden.

Ihre Schwertstreiche zischten vorüber, und ich hieb einmal zu ließ einen Rückhandschlag folgen und rettete mich durch einen Sprung vor einem dritten, der mir seine Schwertspitze in die Brust rammen wollte.

Mein Schwertstreich trennte ihm den Kopf vom Rumpf. Eine Blutfontäne rieselte auf die Arbeiter hinab, die nun reglos an den Handrädern standen.

»Weiterdrehen! Füllt die Tanks!«

Das Blut besudelte sie, und im gleichen Augenblick schwang ich zurück und verwickelte die nächsten beiden Gegner in den Kampf.

Weitere Männer liefen brüllend herbei, angetrieben von dem Jiktar, der weniger erzürnt als entrüstet herumbrüllte. Ich erledigte die beiden, die vor mir standen, und setzte den Kampf fort. Mir war bei meinem neuerlichen Aufenthalt am Auge der Welt aufgefallen, daß die Grodnim ein zweites Schwert an der Hüfte führten, ein Kurzschwert. Vielleicht ging dies auf eine Anregung Genod Gannius' zurück. Wenn dies der Fall war, hätte er sich jetzt aufregen müssen, weil seine Kämpfer unklugerweise beharrlich bei ihren vertrauten Langschwertern blieben. Ich trug keine Rüstung. Mit einem Kurzschwert hätte man unter meiner langen Klinge hindurchtauchen und mich erledigen können. In mancher Hinsicht hat ein Kurzschwert nämlich erhebliche Vorteile. Nur – man muß sie kennen.

Ein Grodnim-Deldar, der sich zwischen seinen Männern hindurchdrängen wollte, um an mich heranzukommen, erstarrte plötzlich mit hervorquellenden Augen. Ich bemerkte eine blutende Schwertwunde an seinem Hals. Duhrra, die Klinge mit der linken Hand führend, erschien hinter dem stürzenden Gegner.

»Hai Jikai!« brüllte er und hieb um sich.

Der Sturm nahm an Heftigkeit zu. Grodnim sanken schreiend zu Boden. Ich nutzte die Vorteile der schweren Klinge und versuchte an den Jiktar heranzukommen.

Er sah mich kommen und ließ sein Schwert hochzucken. Zwei weitere Männer mußten fallen, ehe wir den Kampf aufnehmen konnten. Duhrra schaltete einen weiteren Gegner aus – und dann waren auf dem Damm nur noch die braungekleideten Arbeiter, die drei Todalpheme und der Grodnim-Jiktar zu sehen – und überall tote Grodnim.

Der Jiktar sagte: »Du bist wahnsinnig! Das wird dein Tod sein.«

Ich hätte nicht geantwortet, doch als ich zum Angriff überging, erblickte ich einen seltsamen Schatten auf dem Pflaster, einen Umriß mit weit ausgebreiteten Flügeln. Die Sonne, die grüne Sonne brach einen Augenblick lang durch die Wolken. In ihrem grünen Lichtstrahl erschien der Schatten des Vogels zu meinen Füßen. Ehe ich den Kopf hob, sprang ich von dem Jiktar fort.

Ja, ja, da oben kreiste der verdammte rotgoldene Raubvogel der Gdoinye, der Herren der Sterne!

Der Anblick erzürnte mich mehr als der ganze Kampf.

Blaue Strahlung begann mich einzuhüllen. Vage erschien der Umriß des riesigen Skorpions vor meinen Augen. Ich versuchte zu schreien, brachte aber nur ein Flüstern heraus, fühlte, wie ich zu stürzen begann. Die blaue Strahlung hielt sich. Vor langer Zeit hatte mir einmal jemand erzählt, daß bloße Willenskraft den Ruf des Everoinye abwenden könnte. Nun versuchte ich es. Ich kämpfte dagegen an. Allein hätte ich es nie geschafft.

Die schmerzend harten Pflastersteine unter meinen Knien verrieten mir, daß ich mich doch auf der Krone des Damms der Tage befand. Noch wartete ein Kampf auf mich, noch mußte das Jikai errungen werden. Ich krallte mich verzweifelt auf Kregen fest. Die blaue Strahlung veränderte sich, fing an zu wirken, begann sich zusammenzuziehen. Ein seltsames Unbehagen überkam mich. Ein Hauch von Gelb schlich sich in das Blau – eine Erscheinung, die ich in solchem Augenblick bisher nicht wahrgenommen hatte.

»Ich will hierbleiben, ihr Herren der Sterne!« schrie ich verzweifelt und versuchte auf die Beine zu kommen. Ich hörte ein seltsames Klirren, als fielen Wassertropfen in einen Blecheimer. »Laßt mich in Ruhe, ihr Kleeshes! Ich bleibe!«

Das Blau begann zu flackern, das Gelb wurde intensiver.

Die Riesengestalt des Skorpionphantoms nahm groteske Ausmaße an – und zerplatzte. Hellgelbes Licht explodierte ringsum, begleitet von hellem Zimbelklang wie im Hohen Pantheon von Opaz in Vallia.

Ich kniete auf dem Damm der Tage. Ich hob den Blick. Der Jiktar bedrängte Duhrra, der abwehrend die Klinge hob. Duhrras Schwert wies bereits fürchterliche Kerben auf, und es fiel ihm schwer, in den Rhythmus des Kampfes zurückzufinden. Daß er bis jetzt durchgehalten hatte, war ein Beweis für seine außerordentlichen Körperkräfte und seine Entschlossenheit.

Mit einem fürchterlichen Schrei, der an das Brüllen von Leem erinnerte, die ins Jikhorkdun getrieben werden, sprang ich auf und griff an.

Der Jiktar hauchte sein Leben aus.

»Du bist unverletzt, Duhrra?«

»Aye.« Schweratmend senkte er die Klinge. »Ich dachte, es wäre um dich geschehen, obwohl ich nichts sehen konnte ...«

»Nein.«

Ich betrachtete den riesigen Mann mit dem Idiotengesicht, den hervorquellenden Muskeln und dem nutzlosen rechten Armstumpf. Ernst hob ich das Schwert zum Gruß.

»Hai Jikai, Duhrra. Fortan werde ich dich Duhrra der Tage nennen.«

Er starrte mich verblüfft an. Der Bezug zum Damm der Tage lag auf der Hand.

»Wenn du ...« Er begann von neuem. »Es liegt an dir ...«

Ich deutete mit dem Schwert auf die Zuleitungen. Die Arbeiter waren geflohen, nicht ohne das Wasser abgedreht zu haben. Ich konnte es ihnen nicht verübeln.

Als ich die Leitungen wieder öffnete, um das Wasser aus dem Reservoirsee in die Tanks fließen zu lassen und auf diese Weise die Senkkästen anzuheben, eilten die drei Todalpheme auf mich zu. Der barbarische Kampf hatte sie erschüttert; für diese Sache aber glaubten sie zuständig zu sein. Ich wies sie zurück.

Ich bemühte mich um Zurückhaltung, als ich sagte: »Wenn ihr mich behindern wollten, muß ich euch niederschlagen.«

Das schienen sie zu verstehen.

Die flache Seite einer Klinge ist manchmal auch ganz nützlich.

Einer sagte: »Die Flut steigt schnell, und der Sturm nimmt zu. Wenn du nur ein Tor öffnest, wird das Wasser ...«

Ich hatte alle Leitungen offen. »Das Wasser wird Zair helfen. Danach könnt ihr die Tankleitungen wieder schließen und die Senkkästen herunterlassen.«

Sie wußten, daß ich mit blankem Schwert bei den Leitungen ausharren würde, bis alles vorbei war. Das Blut an der Klinge war inzwischen getrocknet.

In den nächsten Murs würden sich ungeheure Kräfte entwickeln. Das Wasser aus dem Reservoirsee lief durch das verzweigte Rohrleitungssystem aus den von mir geöffneten Hähnen und füllte die Tanks, die das Gegengewicht bildeten. Der Wind zerrte an uns, an unserem Haar, machte ein Gespräch fast unmöglich. Das Brausen des Wassers steigerte sich ebenfalls. Die Tanks begannen abzusinken. Das Gewicht des Wassers zog sie hinab, und die Stahltrossen ächzten unter der Last. Duhrra legte das Schwert zu Boden und verteilte Schmierfett auf die zahlreichen Rollen; mit der linken Hand führte er den Holzstapel, mit dem rechten Arm hatte er den Eimer mit dem Fett festgeklemmt.

»Ja, schmier die Rollen, Duhrra!« brüllte ich mit meiner besten Seemannsstimme. Aber er hörte mich nicht. Schließlich kippte er den Eimer über den Rollen aus.

Die Senkkästen begannen sich zu heben. Kamen sie nicht hoch genug, ehe das volle Gewicht der Flut gegen sie preßte, war alles zu spät: dann ließen sie sich nicht mehr bewegen. Ich hatte eine ungefähre Ahnung von dem ungeheuren Druck, der hier wirksam wurde. Ich wartete ab, während wir die Tore zur Hölle öffneten.

Wolken eilten über den Himmel; die Scheiben der Sonnen verschwanden. Irgendwo dort oben standen die Monde in einer tödlichen Konjunktion, die in jeder ungesicherten Küstenstadt großen Schaden anrichten mußte.

Der Damm erbebte.

Das Riesengebilde unter unseren Füßen vibrierte im Ansturm der Kräfte, die sich dagegen warfen.

Der Sturm raubte uns den letzten Fetzen Vernunft. Die Flut brach durch.

Der Sturm dröhnte mit ungeheurer Gewalt, verstärkte den infernalischen Tumult der Elemente. Ich klammerte mich an der Balustrade fest, während mir das Haar ins Gesicht geblasen wurde. Ich starrte auf den Großen Kanal.

Die Mündung wirkte klein in der Ferne, und die Argenter waren Punkte in der Dämmerung – doch ich bin phantasiebegabt. Außerdem wurde mir die Szene später von einem Augenzeugen geschildert, der alles aus unmittelbarer Nähe miterlebte.

Die Gezeitenwoge raste über die Bucht.

Ein Wasserberg, gespickt mit den boshaften Fangzähnen von Brechern, hoch aufragend, umkippend, sich weiterwälzend, von ungeheurer Kraft. Wie groß war die Erscheinung?

Die berühmte Flutwelle im Severn erreicht bis zu zwei Meter. Die Flut von Fundy ist jedem Schuljungen bekannt – die Woge schwemmt durch die ganze Bucht und erreicht am Ende phantastische zwanzig Meter Höhe. Die Wucht von vielen Millionen Tonnen Wasser bringt auch den größten Skeptiker zu der Überzeugung, daß genaugenommen allein die Natur Herr über die von uns bewohnten Welten ist.

Und all diese Energien, diese kolossale Bewegung bei nur einer Sonne und nur einem Mond!

Wie hoch würde sich die Welle hier auftürmen?

Der Damm erbebte unter dem Druck unzähliger Millionen Tonnen Wasser, die nur einen winzigen Ausfluß fanden in den von mir geschaffenen Öffnungen. Ja, wie hoch würde die Flutwelle sich emporschwingen?

Ich sah, wie einer der winzigen Argenterpunkte emporgerissen und zerfetzt wurde. Die Teile flogen förmlich auseinander. Planken, Masten, Ballen, schattenhafte, jämmerliche Gegenstände, brausten durch den Aufruhr der Wellen, besprenkelt von der Gischt, die das Konfetti des Todes war.

Schrecklich, bösartig, zerstörerisch! Am liebsten möchte ich die Vernichtung der Flotte gar nicht schildern, denn ich bin ein alter Seemann, der Schiffe liebt.

Die Flotte wurde auseinandergerissen, zerschellte an den Uferterrassen des Kanals; die Schiffe zerplatzten wie Seifenblasen, verstreuten kreischende kleine Lebewesen, die einmal Menschen gewesen waren. Der Wind trieb das Meer erbarmungslos weiter. Die Flutwelle brauste durch den Kanal.

Ja, wie hoch war sie? Hoch genug zum Töten, hoch genug, um eine Terrasse des Großen Kanals nach der anderen zu bezwingen um den Einschnitt mit der Gewalt des entfesselten Wassers zu füllen, erbarmungslos weiterrollend über die Trümmer einer ehemals stolzen Flotte.

So endete Genod Gannius' Plan, gegen die Zairer hamalische Voller einzusetzen.

Durch das Brausen des Windes erreichte mich Duhrras Stimme. »Es wird Zeit, daß wir weiterkommen, Dak, mein Herr. In den Schatten hinter dem Damm regen sich die Grünen.«

Die Sturmwolken schufen eine düstere Atmosphäre. Die Todalpheme wollten die Senkkästen herablassen. Ich ging an dem toten Jiktar vorbei und versicherte mich seines Schwertes, das sicher von guter Qualität war. Die Novizen wollten wir zurücklassen; wir mußten einen Ausweg aus dieser Situation finden.

»Eine Bitte habe ich«, sagte ich zu einem Todalphemen. »Die Flutwelle wird Shazmoz erreichen, dabei aber kaum Schaden anrichten. Verratet den Grodnim die Namen nicht, die ihr von uns gehört habt.«

»Was für Namen sollten wir denn nennen? Sie sind rücksichtslos und werden sehr zornig sein.«

»Sagt, ihr habt gehört, daß wir uns Krozairs genannt haben.«

Das Gesicht des Todalphemen verzog sich nachdenklich. »Das wird ihren Zorn noch mehr steigern.«

Ich lachte. »Es tut mir leid, daß ich ihre Gesichter nicht sehen kann!«

Lachend eilten Duhrra und ich vom Damm der Tage.

Kaum waren wir in den Sturmschatten am anderen Ende verschwunden, da konnten wir einen Haken schlagen und uns unter die Grodnim mischen, ohne daß ein Verdacht auf uns fiel. Wir waren nun zwei einfache Paktuns, die Grodno dem Grünen dienten.

Ich hatte dem Jiktar das Langschwert genommen, eine vorzügliche Waffe, die aber nicht an die Qualitäten eines Krozairschwertes herankam. Auch Duhrra hatte sich eine neue Klinge beschafft.

So marschierten Duhrra und ich unauffällig durch das Lager Genod Gannius', das unter dem Kommando seines Chuktars des Westens stand. Schließlich hatten wir die Massen hinter uns gelassen und befanden uns am Nordufer des Großen Kanals.

»Ich bin für Magdag, Duhrra. Dort finde ich bestimmt eine Galleone, ein großes Schiff der Äußeren Ozeane. Dann sage ich dir Remberee.«

»Das werden wir sehen«, antwortete er.

Seine Skepsis schien angebracht. Nach der Heimsuchung auf dem Damm hatte ich jeden Augenblick mit der Rückkehr des verdammten Gdoinye gerechnet. Ich war sicher, daß ich die Herren der Sterne nicht endgültig aus dem Felde geschlagen hatte; ich rechnete damit, daß sie mich von Kregen fortholen würden. Sollten sie sich entscheiden, mich in neue Abenteuer zu stürzen, so war mir das recht: ich würde mir größte Mühe geben, mich durchzukämpfen und Valka und Delia zu erreichen. Schickten sie mich jedoch verächtlich zur Erde zurück, dann glaubte ich den Verstand verlieren zu müssen. Es schien mir unmöglich, daß ich weitere zwanzig Jahre auf meinem Heimatplaneten durchhalten konnte.

Wir hatten drei Sectrixes gestohlen und auf dem dritten Tier genug Ausrüstung verstaut, um einige Zeit unabhängig zu sein. Wir ritten langsam, denn der Weg war weit. Der Sturm war abgeklungen, der Himmel spannte sich klar über uns. Mit dem neuen Tag brannten über uns die Sonnen von Scorpio und hüllten uns in ihr vermengtes Licht.

Rechts von uns schimmerte das Meer, und die desolate Gegend ringsum bezeugte die Wildheit der Menschen am Binnenmeer. Außerdem bewies sie, daß das Meer seine Fesseln sprengen und grausam wüten konnte, solange der Damm der Tage die Gezeiten von Kregen nicht regelte. Vor uns bereitete eine kleine Anhöhe die üblichen Probleme. »Wir sind Grüne, Duhrra der Tage«, sagte ich. »Vergiß das nicht. Wir reiten geradewegs darauf zu.«

»Aye, Dak, mein Herr. Aber wenn es nicht zu viele sind ...«

Ich betrachtete seinen Armstumpf. Haken und Lederfutteral hatte Duhrra in der Satteltasche.

»Du mußt erst einmal deine neue Hand ausprobieren.«

»Dafür soll Onkel Zobab sorgen, denn ...«

Unsere Sectrixes gerieten aus dem Tritt. Duhrra richtete sich im Sattel auf, und sein großes Mondgesicht zeigte einen Ausdruck der Verblüffung. Ich blickte auf.

Eine rotgoldene Gestalt saß dort auf einem Zhyan.

Der riesige weiße Vogel mit dem roten Schnabel und den roten Klauen schwang sich in die Luft und landete mit einigen lässigen Schlägen seiner Flügel an meiner Seite. Ich musterte die Frau, die auf dem Rücken des Vogels saß.

»Lahal, Pur Dray«, sagte sie und lächelte mich an.

»Ich bin nicht mehr Pur Dray, Madame Iwanowna.«

»Und auf Kregen bin ich nicht Madame Iwanowna. Du darfst mich Zena Iztar nennen.«

Ihr Gewand funkelte im Licht der Sonnen. Scharlachrot und rosa, kirsch- und rubinrot, durchwirkt mit Goldgewebe und herrlichen Edelsteinen und Stickereien, bot sie einen prachtvollen Anblick. Sie trug eine Rüstung, raffiniert geschnittene Metallteile, die ihre atemberaubende Figur erkennen ließen, eine kraftvolle, geschmeidige, verführerische Erscheinung. Ich erwiderte ihr Lächeln nicht.

»Was willst du von mir, Zena Iztar?«

»Hat das Gelb nicht den blauen Schimmer des Skorpions überwunden.«

»Gewiß.«

»Bist du mir also keinen Dank schuldig?«

»Nach deinem Besuch in London habe ich drei lange Jahre gewartet!«

»Gewiß.«

Wir starrten uns an.

Dann berührte sie ihre roten Lippen mit einem golden lackierten Fingernagel. »Du bist kein Krozair von Zy mehr.«

»Nein. Aber das ist nicht mehr von Belang.«

»Ich glaube, das ist eine Lüge.«

Der Meinung war ich nicht. »Nein, das ist keine Lüge. Wenn die zairverfluchten Cramphs von Everoinye mich nicht erwischen segle ich nach Valka. Dort werde ich gebraucht.«

Die wunderbare Erscheinung hatte nicht die Macht, mich zu rühren. Ich war bedrückt. Endlich wußte ich, was ich wollte – es wurde auch langsam Zeit –, und begann zu ahnen, daß ich wieder einmal daran gehindert werden sollte, mich frei zu entscheiden.

»Ich bin unterwegs nach Valka«, sagte ich.

»Und was ist mit dem Auge der Welt? Was soll aus deinen Freunden hier werden? Und aus Zair?«

»Ich bin ein Apushniad!«

»Und doch wissen wir beide, daß Dray Prescot diesen Zustand ändern könnte, wenn er nur wollte.«

»Er will aber nicht!«

»Das habe ich befürchtet. Ich hoffte ...«

»Hör mal, Zena Iztar! Ich will nach Hause. Ich möchte Delia wiedersehen. Ist das so verwunderlich? Man hat mich rücksichtslos herumgestoßen, hat mich zum Sklaven gemacht, hat mich zwischen die Grodnim geworfen – jetzt brauche ich ein wenig Ruhe.«

»Delia befindet sich in Esser Rarioch und in bester Gesundheit.«

»Nun gut. Dort möchte ich ebenfalls sein.«

»Warum hast du aber den Damm der Tage geöffnet und die Voller aus Hamal vernichtet? War das die vernünftige Handlungsweise eines Menschen, dem im Grunde alles egal ist?«

»Ich bin eben kein vernünftiger Mensch! Mir ging es darum, eine kleine Chance für Sanurkazz und Zy und Felteraz herauszuholen. Mehr nicht!«

»O doch, da ist doch mehr! Ich muß dich jetzt verlassen. Aber ich sage dir etwas: mit deinem sturen Stolz, mit deinem Egoismus wirst du nicht durchkommen. Man wird dir nicht gestatten, nach Valka zurückzukehren.«

»Wer ist ›man‹ – die Herren der Sterne?«

»Nein.«

Ehe ich eine weitere Frage herausbrüllen konnte, bewegte der Zhyan seine Flügel und ließ eine riesige Staubwolke aufsteigen, ehe er sich selbst in die Luft schwang. Ich blickte der Erscheinung nach. Die rotgoldene Gestalt hatte sich zur Seite geneigt und blickte auf mich herab, bis sie aus meinem Blickfeld verschwand. Aber selbst dann noch, so nahm ich an, konnte mich diese Madame Iwanowna, diese herausgeputzte Zena Iztar sehen, mich, einen zornigen Kämpfer, der am liebsten um sich gehauen hätte, weil er nicht zu Frau und Kinder zurückkehren durfte.

»... äh ... denn ich würde gern mal ausprobieren, ob ich mit der rechten Hand einen Schwertkämpfer besiegen kann.«

»Was?« fragte ich.

»Herr! Was ist denn?«

Ich zwang mich dazu, mich in dem unbequemen Sattel aufzurichten, die Zügel zu ergreifen und die dumme Sectrix wieder in den Griff zu bekommen.

»Nichts, Duhrra der Tage, eine Vision. Schon vorbei. Ich reite nach Magdag und suche mir eine Galleone. In den Äußeren Ozeanen wartet Arbeit auf mich. Ich schüttle den Staub Grodnos und Zairs von meinen Füßen und empfehle mich.«

Viel war mir erklärt worden, allerdings nicht in Worten; trotzdem blieb noch manches rätselhaft, blieben noch unerklärliche Geheimnisse. Ich wollte darüber nachdenken, sobald ich Valka erreicht hatte und Delia wieder in meinen Armen hielt.

»Äh ... ich werde mich nie von Zair abwenden. Trotzdem möchte ich dich zu den wilden und wunderbaren Äußeren Ozeanen begleiten, Herr. Wenn ich dich begleiten darf.«

Ich sammelte meine Gedanken. Was sollte Duhrra anfangen wenn ich ihn allein in Magdag zurückließ, in der Festungsstadt der Megalithen, der Heimat der Oberherren von Magdag, der Erzfeinde von Zair? Ich blickte ihn lange an.

»Na schön, Duhrra der Tage, dann begleite mich.« Ein Lächeln brachte ich nicht zustande, aber ich sagte freundlich: »Ich bin froh, dich als Reisegefährten zu haben.« Und ich meinte es ehrlich.

»Äh«, sagte Duhrra, »und morgen probiere ich vielleicht, wenn alles gutgeht, meinen neuen Haken aus. Was meinst du dazu, Herr?«

»Er wird uns sicher gute Dienste leisten.«