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Ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von – nein, nein, ich war ja kein Angehöriger des Zy-Ordens mehr! Das durfte ich nicht vergessen! Ich konnte es nicht vergessen. Diese Tatsache war in mein Bewußtsein eingebrannt wie mit einem glühenden Eisen.

Ich, der schlichte Dray Prescot, der auf Kregen unter Antares viele Namen getragen hatte, mußte mir wieder einmal eine neue Identität beschaffen.

Die Gründe lagen auf der Hand: fand man in dieser Armee, in der zahlreiche Krozairbrüder dienten, einen Mann namens Prescot, so konnten die Folgen nicht lange auf sich warten lassen.

Die neue Identität war mir durch Duhrra gegeben worden – ich wollte den Namen Dak in Ehren halten. Der weißhaarige alte Mann hatte wie ein echter Jikai gekämpft. Trotz meiner Niedergeschlagenheit war ich entschlossen, sein Andenken hochzuhalten.

Am nächsten Tag besah man sich den Schaden im Lager.

Die Grodnim hatten allerhand zerstören können, doch ihrer rächenden Hand war auch viel entgangen. Ihr Vorstoß kam einem Nadelstich gleich, der für sich allein gesehen die Armeen der Zairer nicht wesentlich schwächte, der aber im Zusammenhang mit anderen ähnlichen Überfällen die Mühen der Roten gefährden konnte.

Ich war kein Krozair mehr – was ging mich das alles an? Ich dachte an mein Gefühl für Mayfwy und Felteraz. Ich sah, wie der Krieg hier lief. Aber ich dachte auch an meine eigene Zukunft. Delia hatte mir das Ziel vorgegeben, im vollen Bewußtsein meiner Seelenqualen wegen des unehrenhaften Ausstoßes aus der Bruderschaft von Zy. Und doch ... War das Dasein als Krozairbruder so überragend wichtig im Lichte der Dinge, die an den Äußeren Ozeanen auf mich warteten? Nein. Nein, wie üblich war ich ein großer Dummkopf gewesen.

Einundzwanzig elende Jahre lang hatte ich meine Delia nicht mehr gesehen, um sie dann nach einer bloßen Bur in der Zelle von Zy wieder zu verlieren.

Während ich mich in dem überfallenen Lager umsah, während ich Arbeitern und Soldaten zuschaute, die Zelte reparierten, Vorräte neu aufstapelten und verkohlte Reste fortschafften, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen.

Stolz.

Mehr war es nicht gewesen – dummer Stolz.

Mein idiotisches Selbstbewußtsein war angekratzt gewesen, weil mich die einzige Gruppe von Männern, die mir etwas bedeutete, ausgestoßen und entehrt hatte. Dabei verstand ich die Gründe für dieses Handeln. Als die Savanti mich aus dem Paradies Aphrasöe verbannten, hatte ich nicht feindselig reagiert, wußte ich doch, daß ich gegen die dort herrschenden Gesetze verstoßen hatte. Ähnlich erging es mir jetzt – nach kregischen Begriffen hatte ich mich von neuem außerhalb der Gemeinschaft gestellt. Was immer ich vorbringen konnte – die Meinung eines Krozairs ließ sich damit nicht ändern, geschweige denn die Einstellung von Pur Kazz, dem Ersten Abt.

Nein. Die Antwort war ganz einfach – ich war zur Vernunft gekommen.

Ich würde mir oder Delia nicht vorenthalten, was mir gehörte.

Bei Krun – damit war die Sache erledigt!

Wie boshaft und grausam waren doch die verdammten Herren der Sterne! Einundzwanzig Jahre lang hatten sie mich zur Erde verbannt. Diese schmerzhaft lange Zeit hatte Delia auf mich gewartet. Bei früheren Trennungen von Delia – beispielsweise zur Zeit, da ich in der Arena des Jikhorkdun von Huringa gekämpft hatte oder zum König von Djanduin ernannt worden war – hatte sie nur einen Bruchteil dieser Perioden warten müssen. Die Herren der Sterne hatten auf ihre phantastischen Fähigkeiten zurückgegriffen und eine Art Zeitschleife geschaffen, die mich in die Vergangenheit zurückversetzte, so daß Delia von der wahren Dauer meiner Abwesenheit keine Ahnung hatte.

In dem beruhigenden Bewußtsein, daß Delia nicht unruhig auf mich wartete – und daß eine so vollkommene Frau auf einen Kerl wie mich wartete, erfüllte mich noch immer mit Erstaunen –, hatte ich gehandelt, als befände ich mich in einer Zeitschlaufe, die die Qual des Wartens nur für mich spürbar gemacht hatte.

Jetzt aber teilte Delia diesen Schmerz.

Ich war schlimmer als der schlimmste Idiot, ein Onker aller Onker. Ich war undankbar, ein Folterknecht, ein vom Stolz Verblendeter, ich verdiente das Schicksal, das mir zugedacht war.

Die Entscheidung war gefallen.

Ich suchte Duhrra auf, um mich von ihm zu verabschieden.

Sein Armstumpf war versorgt und verbunden worden, und er war bei einigermaßen guter Laune.

»Remberee, Duhrra.«

»Ich habe Naghan den Schausteller gefunden. Man hatte ihm den Schädel eingeschlagen.«

»Das tut mir leid.«

»Mit einer Hand kann ich nicht ringen.«

»Ich bitte dich! Du hast mit zwei Händen jeden Gegner sofort gelegt! Denk an die Reklame! Der berühmte Ringer kämpft mit nur einer Hand! Du könntest dir ein Vermögen verdienen.«

»Der Gedanke gefällt mir nicht mehr.«

»Was willst du tun?«

»Du willst nach Westen? Dort kämpft die Armee.«

»Ja. Aber ich will nicht kämpfen.«

Er hob eine buschige Augenbraue und musterte mich von der Seite. Seine mächtigen Schultern rollten.

»Man will mir einen Haken besorgen.«

»Willst du als Duhrra der Haken bekannt werden?«

»Nein!«

»Ich möchte mir ein Schiff suchen«, sagte ich. »Vielleicht muß ich dazu bis zum Akhram reisen.«

»Ich bin schon dort gewesen.«

»Es liegt an der Nordküste der Grünen.«

»Richtig. Aber der Große Kanal und die Todalpheme des Akhram halten sich aus dem Krieg heraus. Das ist ihre Pflicht.«

Er wirkte unverändert – sein schweres, aufgeschwemmtes, ausdrucksloses Idiotengesicht blickte mich an wie bei unserer ersten Begegnung im Ring. Doch seine dunklen Augen waren vielsagend auf mich gerichtet.

»Die Todalpheme sind sehr klug«, bemerkte ich.

»Ich glaube, ich werde dich begleiten«, meinte er. »Es wird mir seltsam vorkommen, nicht länger mit verschränkten Armen und dummem Gesicht dazustehen und den Sprüchen Naghans des Schaustellers zuzuhören. Ein seltsames Gefühl, wieder durch die Welt zu ziehen. Ich bin kein kluger Mann, Dak, das weiß ich. Aber vielleicht bin ich auch nicht ganz so blöd, wie ich einmal angenommen habe.«

Mehr war dazu nicht zu sagen.

Meine gute Laune erstaunte mich.

Nachdem die Entscheidung gefallen war, erschien mir Kregen plötzlich in anderem Licht – ich fühlte mich frei von der Last meiner Niedergeschlagenheit.

»Ich besitze nur noch zwanzig Silber-Zinzers, denn ich habe mir heute früh ein Frühstück gegönnt und wie ein König gespeist.«

»Ja, Naghan war immer auf seinen Vorteil bedacht. Ich wette, er hat dir ein kleineres Goldstück gegeben als das, was er immer in die Höhe warf.«

»Einen Nikzo.«

Ein halbes Zo-Stück. Nicht sechzig Silber-Zinzers, sondern nur dreißig – mein Gewinn war um die Hälfte reduziert worden. Duhrra überraschte mich, indem er in die flache Ledertasche an seinem Schultergurt griff und einen anderen Nikzo hervorholte.

Er reichte mir die Münze: »Dies gehört rechtmäßig dir, denn du hast mich besiegt.«

»Mehr durch Glück als durch Können«, entgegnete ich und hoffte, er würde die Bemerkung durchgehen lassen. »Aber eine Wette ist eine Wette, und ich brauche das Geld.« Ich nahm die Münze. Im Augenblick hatte ich meinen Stolz tief unter dem kregischen Erdboden begraben.

Die Wahrheit lag in dem Umstand, daß ich diesen Mann bewunderte wie einen Zhantil: die Wildheit dieses Tiers fand ihr Gegengewicht in dem schlichtmütigen Unterordnungsbedürfnis des Mannes. Die Vorstellung, daß er mich begleiten würde, erfreute mich.

Duhrra hob den verbundenen Armstumpf und musterte ihn kritisch. »Ich muß auf meinen Haken warten. Gib mir einen Rat. Vor uns liegt Shazmoz, aber es wird belagert. Dort könnte man mir so ein Ding anbringen.«

Ich traf meine Entscheidung.

»Wir gehen nach Shazmoz. Ich muß dort mit einem Mann sprechen. Anschließend geht es zum Akhram.«