17
Unsere Reise nach Shazmoz würde nicht einfach sein.
Wir zügelten unsere Sectrixes am Hang und ließen sie verschnaufen, während wir hinab auf das Lager der zairischen Armee blickten. Zu unserer Rechten schimmerte das blaue Meer. Auf der riesigen Fläche war kein einziges Segel zu sehen. Der klare Himmel erhob sich über uns, und das vermengte Licht der Sonnen erfüllte die Welt.
»Wie man hört, sind es dreißigtausend«, sagte Duhrra.
»Und wie viele Soldaten haben die zairverfluchten Grodnim?«
Er schwenkte den Armstumpf. »Genau weiß das niemand. Es ist von ... äh ... sechzigtausend die Rede.«
»Aber sie müssen Shazmoz belagern und zugleich Front machen gegenüber unserer Feldarmee. Das ist keine Kleinigkeit.«
»Zair möge ihre Knochen zerfallen und ihre Leber grün werden lassen.«
Shazmoz war ein vager Umriß am Ende einer Bucht – weiße Dachkuppeln und Türme, helle Mauern, die in der Sonne buken. Dort drüben war eine erbitterte Belagerung im Gang: das Feldlager unter uns dagegen schien zu schlummern.
Ich hatte erfahren, daß ein gewisser Roz Nath Lorft{*} kommandierender General dieser Armee war. Er hatte einen guten Ruf. Er war kein Krozair. Seine Aufgabe, Shazmoz zu entsetzen, war sehr schwierig, und ich ahnte, daß er die Armee nur vorsichtig in Kontakt mit dem Feind halten würde, um ihn so lange wie möglich zu stören. Wenn Shazmoz dann fiel, konnte er zurückweichen. Es sah so aus, als hätten die Zairer die Fähigkeit verloren, sich den Grodnim in offener Schlacht zu stellen.
Duhrra erwartete meine Befehle. Es ärgerte mich, daß er mich so einfach als Herrn ansah. Er war meistens mürrisch und schweigsam, was mir durchaus paßte, da wir in dieser Hinsicht ähnlich waren. Aber ich wollte, daß er sich mir gegenüber als Gefährte benahm, wozu er wohl weder bereit noch in der Lage war. Ich schüttelte die Zügel unserer Reittiere.
»Ans Werk!«
Das Lager braucht nicht im einzelnen beschrieben zu werden; es war ein ganz normales Armeelager mit der einen Besonderheit, daß hier eben die individualistisch veranlagten Zairer kampierten. So gab es keine geraden Zeltreihen – jede Art von Reglementierung war über Bord geworfen worden. Gewiß, man hatte Regimenter und Titel und Tagesbefehle, und sicher gab es in irgendeinem staubigen Büro des verantwortlichen Pallans entsprechende Unterlagen. Aber im Grunde kämpften die Zairer, wie sie lebten – temperamentvoll, ungezügelt, jeder Mann begierig, dem Gegner zu zeigen, was er von ihm hielt. Die Kavallerie senkte die Lanzen und galoppierte los, sobald sie einen geeigneten Gegner vor sich zu haben glaubte. Die Infanteristen wogten dann schreiend durcheinander in ihrem Bemühen, Schritt zu halten. Nur bei den Varteristen gab es eine Art Disziplin, aber auch nur deswegen, weil ihr Handwerk in Theorie und Praxis eine strenge Ordnung erforderte.
Eine säbelrasselnde Bande – ja, so konnte man die Zairer wohl nennen. Jeder Haudegen eine Armee für sich.
Wir ließen unsere Sectrixes im Schritt den Hang hinabgehen. Duhrra war das Erbe Naghans des Schaustellers zugefallen; mit dem Geld hatten wir die nötige Ausrüstung für unsere Reise erstanden, so auch die Sectrixes, sechsbeinige Reittiere, die mir eigentlich wenig behagten.
Im Lager stießen wir auf eine Gruppe Pachak-Söldner. Pachaks sind mittelgroße Diffs mit zwei linken Armen, einem peitschenähnlichen Schwanz mit einer Hand am Ende und strohgelbem Haar. Sie gelten als sehr loyal und kampfstark.
»Ich bin Logu Pa-We«, stellte sich ihr Anführer vor. »Mein Nikobi gilt Roz Nath na Hazernal.«
»Mein Name ist Dak, und dies ist Duhrra.« Ich warf einen kurzen Blick auf den kleinen goldenen Zhantilkopf, den der Anführer an einer Seidenschnur im obersten Knopfloch trug. »Du bist Hyr-Paktun, Logu Pa-We. Wir fühlen uns geehrt.«
Der Pachak strich sich das blonde Haar aus dem Gesicht. Er war sichtlich stolz auf den Pakzhan, den goldenen Zhantilkopf, der ihn als hervorragenden Kämpfer auswies – und zu Recht.
»Und du, der du dich Dak nennst. Bist du ebenfalls Paktun?«
»Ich war einmal Paktun.«
»Dann bist du es immer noch!«
»Aber ich habe nie den Pakzhan getragen.«
Der Hyr-Paktun betastete sein goldenes Ehrenzeichen. »Du trinkst mit mir?«
»Aye, gern«, sagte Duhrra.
Der Pachak warf einen Blick auf meinen Begleiter und krümmte in einer Geste der Zustimmung den Schwanz. Ich habe großen Respekt vor den Pachaks als intelligente Lebewesen. Als Söldner sind sie mir hochwillkommen, denn sie sind ihren Auftraggebern treu und kämpfen bis in den Tod. Zu dritt suchten wir das nächste Zelt auf und bestellten eine Erfrischung. Ich bat um Tee, denn ich hatte Durst.
Wir unterhielten uns, wie es unter Kämpfern üblich ist, mit knapp hingeworfenen Stichworten, in professionellen Begriffen, die in kurzer Zeit ein Maximum an Informationen vermittelten.
Danach steckte die Armee sehr in der Klemme. Die Grodnim schienen es immer wieder zu schaffen, die Zairer im Kampf zu besiegen. »Uns fehlt es an Disziplin«, bemerkte Logu Pa-We dazu. »Ich glaube, ich werde mein Nikobi nicht erneuern, wenn der Vertrag ausläuft.«
»Du würdest für die Grodnim kämpfen?« Mit dieser Frage bewies Duhrra sein Unwissen – typisch für die meisten Zairer, denen die kregischen Diffs fremd waren.
Logus Schwanzhand zuckte, aber er blieb gelassen. »Das wäre eine Schande.«
»Du Onker!« sagte ich zu Duhrra und trank Tee.
»Ja, Herr.«
»Und ich bin nicht dein Herr, bei den stinkenden Eingeweiden Makki-Grodnos!«
»Da bin ich nicht deiner Meinung, Dak.«
Der Pachak, der uns offenbar für zwei höchst unprofessionelle Zairer hielt, gab dem Gespräch eine allgemeine Wende. Ich brachte in Erfahrung, was ich konnte. Als ich sagte, wir wollten durch die feindlichen Linien nach Shazmoz vorstoßen, schürzte er die Lippen.
»Das wäre sehr riskant.«
»Ich muß in der Stadt einen Mann sprechen.«
»Und ich brauche einen Haken.«
»Ja, dafür gibt es einen Fachmann in der Stadt.«
Der Vertrag, den die Pachaks mit ihren Auftraggebern schließen, heißt Nikobi – eine ungefähre Entsprechung des Obi, das bei meinen segesthischen Klansleuten höchste Bedeutung hat. Chuliks, Rapas und Fristles arbeiteten nach anderen Prinzipien.
Die Vielfalt der Rassen auf Kregen fasziniert mich immer wieder. Sie unterscheiden sich physisch so sehr wie in ihrer Einstellung zum Leben. Und doch sind sie menschlich und besitzen menschliche Attribute. Wie einseitig wäre in den Augen dieser Wesen die Erde gewesen, die nur eine einzige Rasse intelligenter Wesen kannte!
Der fortschreitende Abend brachte Stimmung und Gesang. Die Sonnen gingen unter, und nach Art des zairischen Militärs vergaßen die Soldaten ihr blutiges Tagewerk bei Wein und Gesang. Die Pachaks unter Logu Pa-Wes Kommando sangen ebenfalls mit, aber andere Lieder als die Apim von der Südküste.
Zwischendurch erzählte Logu von dem geheimnisvollen Land Tambu, das in großer Entfernung südwestlich von Loh liegen sollte. Er gehörte zu den wenigen, die mir erzählten, sie seien wirklich dort gewesen – ein Erlebnis, das tiefe Spuren hinterlassen hatte. Er wolle nie dorthin zurückkehren. O ja, dieser Pachak kannte die Länder an den Äußeren Ozeanen, vielleicht sogar besser als ich, und es war klar, daß er es bedauerte, seine Leute ans Binnenmeer geführt zu haben, und daß er sich den Roten verpflichtet hatte und nicht den Grünen.
Die zairischen Swods sangen Das Leben und Treiben des Fischhändlers von Magdag, ein ziemlich saftiges Lied, zu dem krachend die Kelche auf die Sturmholztische geknallt wurden. »Denn die Fischköpfe werden abgehackt, abgehackt, abgehackt!«
Ein Stich durchfuhr mich: was wußten diese lebensfrohen Burschen, die abgeschieden am Binnenmeer lebten, von den Fischköpfigen der Äußeren Ozeane?
Panshi hatte berichtet, es hätte nach jenem ersten Angriff keine neuen Überfälle der Shanks mehr gegeben. Gleichwohl wußte ich, daß der Kampf zwischen den Roten und Grünen hier am Auge der Welt von vergleichsweise geringer Bedeutung war angesichts der Konflikte, die draußen drohten.
Diese Abgeschiedenheit war sicher ein wesentliches Element der liebenswerten Anziehungskraft, die das Auge der Welt auf mich ausübte, und meiner Zuneigung für die Krozairs.
Ich fing Duhrras Blick auf und gab ihm ein Signal. Logu entging das natürlich nicht. Zu dritt standen wir auf und entfernten uns von den Lagerfeuern und den singenden Männern.
»Ihr wollt euch also nach Shazmoz hineinschleichen?«
»Ja, das ist unsere Absicht.«
»Vielleicht läßt sich da ein Weg finden. Dazu müßt ihr schnell und lautlos handeln ... und euch durchsetzen können.«
Damit wollte er wohl sagen, daß unser Vorgehen auch Mut erforderte, aber er war so höflich, diesen Gedanken nur indirekt zum Ausdruck zu bringen.
»Ihr könnt alles mir überlassen«, fuhr er fort.
Ich hielt es für angebracht, ihn zu warnen. »Einverstanden. Aber wir behalten die Hände auf den Schwertgriffen und die Klingen locker in der Scheide.«
Er lachte leise.
Wir wanderten durch die mondhelle Nacht auf einige Zelte zu, die weniger eng standen als die anderen. Eine kleine Gruppe Pachaks bildete sich um uns, ernste Männer, die in den Schwanzfäusten Klingen hielten. Schon nach kurzer Zeit waren wir alle aufgestiegen und ritten leise aus dem Lager. Diese zairische Armee enthielt Abordnungen zahlreicher freier roter Städte der Südküste und anderer, weiter entfernt liegender Länder. Würden wir uns als solche ausgeben? Schließlich passierten wir die letzten Vorposten – Männer aus Tremzo, bei denen es sich um besonders kampferprobte Burschen handelte – und führten dann unsere Sectrixes langsam in das Niemandsland zwischen den Armeen.
»Du bist entschlossen, dir deinen Haken zu holen?«
»Aye, Dak. Sobald du deinen Mann gesprochen hast.«
In einer kleinen Senke stiegen wir ab, und die Pachaks öffneten die Satteltaschen. Der Anblick der grünen Umhänge und der grünen Federn erfüllte mich mit Widerwillen, doch ich ließ mir nichts anmerken.
»Es geht nicht anders«, sagte Logu nüchtern. »Ihr müßt die Sachen anziehen.«
Wir erhoben keinen Widerspruch. Als wir weiterritten, hatten wir uns in eine zurückkehrende Grodnimpatrouille verwandelt. Für die Rückkehr war es vielleicht doch ein wenig zu früh, aber als unser Hyr-Paktun die ersten Grodnim-Wächter mit schnellen und grob-zornigen Worten zufriedengestellt hatte, wurde mir klar, daß sich Logu bestens auskannte. Wir erreichten einen vielbenutzten Weg, in dessen wassergefüllten Fahrrillen sich das Mondlicht fing. Vorräte und Varter waren hier transportiert worden. Die verdammten Grodnim waren bestens organisiert. Ich hatte am eigenen Leibe erfahren, wie sie mit ihren Sklaven umgingen; selbst die Katakis konnten ihnen in dieser Beziehung nicht das Wasser reichen.
Zu unserer Linken tauchten die Umrisse eines Lagers auf. In regelmäßigen Abständen schimmerten Lampen. Wir ritten weiter. Nach einer Weile bogen wir scharf nach rechts ab, in Richtung Küste. Sand knirschte unter den Hufen unserer Tiere. Eine große Gestalt stellte sich uns in den Weg, und die Monde schimmerten auf einer Speerspitze. Ich konnte Logus Flüstern nicht verstehen, aber der Speer wurde wieder angehoben, und der Wächter gab uns den Weg frei. Es handelte sich um einen Fristle, dessen Katzengesicht uns gleichgültig nachblickte. Wir ritten schweigend weiter.
Nach einiger Zeit zügelte Logu seinen Sectrix neben mir.
»Mein Bruder ist ganz in der Nähe. Du schwörst mir, daß deine Mission nichts mit den Armeen hier zu tun hat, mit dem Kampf, der hier vorgeht?«
»Nichts, dafür soll Zair mein Zeuge sein.«
»Und Papachak der Allmächtige sei der meine!«
Wir verstanden uns.
Sein Bruder war aus dem gleichen Holz geschnitzt. Die beiden Pachaks unterhielten sich einen Augenblick lang von Sectrix zu Sectrix, dann hörte ich die Worte: »... ein Paktun ohne Anstellung.«
Wenn Sie sich wundern, daß zwei Brüder in zwei einander feindlich gegenüberstehenden Armeen dienten, dann haben Sie das starre kregische Söldnersystem nicht begriffen. Trafen die beiden in der Schlacht aufeinander, würden sie kämpfen. Das gehörte zu ihrem Dasein als Paktun, auf eine entsprechende Frage hätten sie sicher nur geantwortet: »Das ist unser Nikobi!«
Nach dem Gespräch wurden Duhrra und ich durchgelassen und Logus Bruder sagte barsch: »Eure grünen Sachen laßt ihr lieber hier.«
Wir legten das verhaßte Grün ab und ritten weiter durch die Dunkelheit. Nach etwa einer Bur erreichten wir die Mauern von Shazmoz und die ersten Patrouillen. Erstaunt begrüßt von den Wächtern, wurden wir in die bedrängte Stadt geführt.
Der Anblick einer belagerten Stadt ist bedrückend. Alles bewegt sich wie in Trance. Die Männer wirkten ausgezehrt. Wir kamen an Feuern vorbei, die von den Trümmern zerstörter Häuser zehrten, und sahen zerlumpte Frauen, die uns die Hände entgegenstreckten. Wir warfen ihnen ein paar Goldstücke hin, doch sie spuckten aus und warfen das Geld zurück. Was konnte ihnen Gold nützen? Gold kann man nicht essen.
Ein Hikdar trat uns unter der Lampe des Zitadellentors entgegen. Die Burg erhob sich hoch über den schweren Befestigungsanlagen der Stadt, die auch den Hafen einschlossen. Ich sagte: »Ich muß Pur Zenkiren sprechen.«
»Dein Begehr! Du kommst von Roz Nath?«
»Nein. Ich habe eine private Angelegenheit vorzutragen.«
Der Hikdar war kein Krozair. Ich fragte mich, ob ich es wagen konnte, ihm eine Andeutung zu machen, aber ich nahm an, daß die Nachricht vom Ausschluß Pur Dray Prescots bereits bis hierher vorgedrungen war. Der Mann musterte uns unentschlossen. Duhrra bewegte sich unbehaglich auf seiner Sectrix und stieg schließlich ab.
»Hikdar, gibt es in der Stadt einen Mann, der Molyz ti Sanurkazz genannt wird? Molyz der Hakenmacher?« Duhrra hielt seinen Armstumpf empor.
»Ja, der Mann ist bei uns.«
Der Hikdar machte keine Anstalten, uns einzulassen. Eine Gruppe Wächter hielt sich mit gespannten Bögen in der Nähe auf. Der Empfang war enttäuschend. Aber das konnten wir dem Hikdar nicht übelnehmen. Fremde, die nachts durch feindliche Linien kamen und den befehlshabenden General einer belagerten Stadt sprechen wollten? Das roch penetrant nach Verrat und Schurkerei!
So sagte ich denn einige knappe Worte, die einem Krozairbruder verraten würden, daß einer seiner Kameraden ihn sprechen wollte. Der Hikdar nickte. »Ich will sehen, was ich tun kann. Bleibt hier.«
Wir mußten ziemlich lange warten, ehe er zurückkam. »Kommt«, sagte er und winkte uns.
Wie oft bin ich schon durch eine abweisende graue Burg geführt worden, umgeben von Wächtern?! Oft sind es meine Leute gewesen, oft aber auch Gegner, die meine Flucht verhindern wollten. Unsere Schritte hallten auf den Fliesen. Fackeln leuchteten und kennzeichneten unseren Weg mit zuckenden Schatten. So erklommen wir zahlreiche Treppen, stiegen immer höher empor, vorbei an Wächtern, die ausnahmslos die Spuren langen Hungerns zeigten.
In einem Korridor dämpfte plötzlich ein Teppich unsere Schritte, dann erreichten wir eine eisenbeschlagene Lenkholztür. Der Hikdar klopfte dagegen; sie wurde geöffnet, und wir wurden in einen Vorraum geführt, der voller Helfer war, jungen herausgeputzten Männern, die überreichlich Rot trugen. Eine weitere Tür, ein weiteres Anklopfen, dann traten wir ein. Von der Einrichtung sah ich nichts. Ich spürte nichts von den Wächtern, die sich um mich drängten, von Duhrra, der mir heiser ins Ohr atmete.
Mein Blick war auf den Mann konzentriert, der mitten im Raum stand, halb nach hinten gewandt, um den Krozairbruder zu begrüßen, der in der Nacht angekommen war.
Pur Zenkiren.
Ich starrte ihn an. Bei Zair! Ich wußte, ich hatte mich im Laufe der Jahre nicht sehr verändert, ich hatte noch große Ähnlichkeit mit dem Mann, dem er vor langer Zeit in Pattelonia an der Ostküste Remberee gesagt hatte. Um so mehr war Pur Zenkiren gealtert! Mein Herz begann heftig zu schlagen. Das früher einmal gebräunte, furchtlose Gesicht wirkte grau und erschlafft. Der verwegene schwarze Schnurrbart krümmte sich noch immer unter der vorspringenden zairischen Nase – diese Nase war aber inzwischen sehr schmal geworden, scharf wie eine Messerklinge. Das lockige Haar fiel so dicht herab wie früher. Zenkiren war von einer Aura der Niederlage und Verzweiflung umgeben.
Er trug einen langen weißen Umhang und ein Krozair-Langschwert. Auf seiner Brust schimmerte das Symbol des nabenlosen Speichenrades, das Gewebe wirkte zerschlissen, die roten Stickereien waren zum Teil aufgebrochen. Der Saum des weißen Mantels war schlammverkrustet.
»Du hast mir etwas Wichtiges mitzuteilen?«
Seine Stimme hatte den befehlsgewohnten Klang verloren. Im schwachen Lampenlicht versuchte er mich zu erkennen. Ich achtete darauf, daß Duhrras Schatten auf mich fiel.
»Mein Name ist Dak, Pur Zenkiren. Ich bitte dich ...« – und ich äußerte einige Worte, die nur einem Krozair bekannt sein konnten – »hör mich unter vier Augen an.«
Was immer aus diesem Mann geworden sein mochte, er blieb Krozair. Er hob die Hand, und die Wächter zogen sich zurück. Er starrte auf Duhrras Armstumpf.
»Ja, Jernu«, sagte Duhrra, der in dem kaum beleuchteten Zimmer riesig wirkte. »Ich suche Hilfe bei Molyz dem Hakenmacher.«
»Dazu braucht ihr meine Erlaubnis nicht.« Der Befehlshaber deutete auf mich. »Tritt vor, du, der du dich Pur Drak nennst, damit ich dich sehen kann.«
»Ich habe nicht behauptet, ein Pur zu sein«, sagte ich. »Aber ich muß dich bitten, dir anzuhören, was ich zu sagen habe, ehe du eine Entscheidung fällst. Man weiß im Lande um deine Klugheit und deine Aufrichtigkeit. Ich erbitte dein offenes Ohr.«
So glaubte ich einen mächtigen Lord ansprechen zu müssen, der das Kommando über eine Stadt führte – auch wenn sie belagert war. Ich wußte aus alter Zeit, daß Pur Zenkiren Wert auf eine blumige Sprache legte.
»Du sprichst in Rätseln. Tritt vor, damit ich dich sehen kann! Sofort!«
Da war er wieder, der alte Befehlston.
Langsam trat ich ins Licht.
Er starrte mich lange an.
Dann ging er einige Schritte zu einem Tisch, der voller Listen und Landkarten war; auf einer Seite, neben der rußenden Öllampe, stand eine leere Flasche. Er stemmte die Hand auf das Holz, ohne sich zu setzen.
»Warum rufe ich nicht die Wache? Bist du deinem Ib entkommen, um mich heimzusuchen? Bist du es wirklich? Nein, das kann nicht sein!«
»Ich stehe vor dir, ein Unschuldiger, der schuldig gesprochen wurde. Denk zurück, Pur Zenkiren! Denk an das Deck eines magdagschen Ruderers, denk an die Blutströme der Oberherren, denk an einen Sklaven mit einer Fackel in der Faust, denk an Felteraz und Mayfwy und die Prisen, die wir nach Sanurkazz heimführten. Denk an Zy und die Treue und Kameradschaft – und dann sage mir von Mann zu Mann, von Angesicht zu Angesicht, Pur Zenkiren, ob Pur Dray wirklich ...«
Er ließ mich nicht ausreden.
Er brüllte: »Apushniad!«
Er ließ mich nicht ausreden: er sprach meinen Satz zu Ende, auch er sprach das Urteil über mich.