18

 

 

Vor meinem inneren Auge erschien eine Vision Delias. Klar, deutlich, unendlich anziehend. Meine Entscheidung stand fest.

In der nächsten Mur mußten die Wächter ins Zimmer stürzen. Ich sprang auf Zenkiren zu, legte ihm energisch eine Hand auf den Mund und hielt mit der anderen seinen rechten Arm fest. Gleichzeitig lachte ich – ich brüllte vor Lachen, ich schrie meine Freude hinaus.

»Aye!« brüllte ich. »Aye, Jernu, ist das nicht lustig?«

»Äh?« machte Duhrra.

»Lache, lache, Duhrra«, forderte ich ihn auf. »Nur ein wenig. Dein Lachen hilft uns aus der Klemme.«

Zenkiren wand sich in meinem Griff. Doch er war entscheidend geschwächt durch Hunger und Entbehrungen. Ich hielt ihn fest. Ich beugte mich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

»Hör zu. Wir waren einmal befreundet. Was mich angeht, so bleiben wir Freunde. Wenn ich jetzt sage, ich bringe dich um, wenn du noch einmal nach den Wächtern rufst, so würdest du rufen, das weiß ich – um der Bruderschaft willen.«

Er rollte mit den Augen, und wir wußten beide, daß ich die Wahrheit gesagt hatte.

»Der Azhurad ist ergangen. Ich bin nicht gekommen. Ich leugne ja nicht, daß ich versagt habe. Aber die Art meines Versagens erfordert doch Erläuterung.« Ich spürte Zenkirens Interesse, als ich mich nun daranmachte, meinen Fall vorzutragen. Es gab zwei Unmöglichkeiten, die einander ausschlossen. »Ich bin – war – ein echter Krozair. Ich bin gewillt, jeden zu töten, der mir das abstreitet. Trotzdem habe ich den Ruf nicht gehört. Welchen Ausweg gibt es aus diesem Dilemma, Zenkiren? Wenn du dich mit diesem Problem befaßt, beachte bitte zweierlei.

Erinnere dich an den Tag in Pattelonia, als du mich batest, dir im Kampf in Proconia beizustehen. Du ließest ein Schiff kommen, und wir segelten los, aber da kam ein Unwetter, und der Donner grollte, und Blitze zuckten herab. Dir war klar, daß mir das Schicksal damals eine Reise nach Osten beschieden hatte. Du solltest in dieser Angelegenheit mit Pur Zazz sprechen. Ich weiß nicht, was er dir gesagt hat ...« Ich spürte, wie Zenkiren sich aufbäumte, als wolle er etwas sagen. Ich griff aber noch fester zu und fuhr fort: »Aber es muß dir klar sein, daß ich kein gewöhnlicher Mensch bin.«

Ich kam mir wie ein billiger Betrüger vor.

»Das ist das erste. Zweitens bedenke etwas, das uns beide angeht. Sicher, ich weiß, wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Ich habe inzwischen zu viele Orte besucht und zu viele Wunder gesehen und viele Dinge getan, von denen ich viele lieber nicht getan hätte. Aber auf allen meinen Wegen habe ich mich stets als Krzy betrachtet und gefühlt. Immer. Die Mitgliedschaft im Orden ist der wichtigste Grundstein für mein Leben gewesen – nach meiner Delia!«

Aber noch während ich sprach, kamen mir Zweifel. Nach der Apushniad – was konnte mir da das Binnenmeer bedeuten? Ich redete wieder einmal Unsinn! Nicht das Auge der Welt war wichtig, sondern mich faszinierte die geheimnisvolle innere Haltung der Krozairs von Zy, die die höchsten Gipfel der Stratemsk überragte.

Ich bewegte mich leicht zur Seite und machte Anstalten, Zenkiren loszulassen.

»Dies alles ist ohne Belang für die Diskussion oder das beschriebene Dilemma. Dieses Dilemma kannst du überwinden, wie du willst. Eins möchte ich jedoch noch erwähnen: wir waren Freunde, Zenkiren, Schwertbrüder. Ich habe dich nicht vergessen und sehe dich auch jetzt noch mit brüderlicher Zuneigung. Das ist natürlich unwichtig, ein winziges Staubkorn im großen Ganzen – und ich kann nur für mich selbst sprechen. Aber für mich ist das wie der Kiel eines Ruderers, der durchs Meer schneidet.«

Duhrra sagte: »Äh ... bei Zair, Dak! Und du bist ein ...«

»Einen Augenblick, guter Duhrra. Ich liebe diesen alten Mann, aber sollte er schreien wollen, muß er dennoch zum Schweigen gebracht werden.«

Die Gezeiten von Kregen hatten mich emporgehoben und wieder abgesetzt, hatten mich willkürlich hierhin und dorthin geschwemmt. In diesem Augenblick ahnte ich, daß die Ebbe zu Ende war. Jetzt kam wieder die Flut.

Ich nahm die Hand von Zenkirens Mund.

Ich fragte mich, ob ich Zenkiren töten konnte – sollte er rufen wollen, mußte ich ihn irgendwie zum Schweigen bringen. Er sah mich an und fuhr sich langsam mit der Hand über den Mund. Sein Blick versenkte sich in meine Augen.

»Pur Dray, gibt es denn kein Lahal zwischen uns?«

»Lahal, Pur Zenkiren.«

»Zuerst wollte ich gar nicht glauben, daß du es wirklich bist ... als Apushniad! Mit der Sache habe ich nichts zu tun, auch wenn ich meine Stimme gegen dich abgegeben habe.«

»Das ist mir bekannt. Du konntest gar nicht anders.«

»Aber was du mir erzählt hast ... das ist alles so lange her und doch im Vaol-Paol-Kreis der Dinge erst gestern geschehen. Ich verstoße womöglich gegen meinen Schwur, wenn ich mit dir spreche – aber ist eine Diskussion nicht besser, als sich gleich die Schädel einzuschlagen?«

»Oder das Ib des anderen zu vernichten? Auf jeden Fall, Zenkiren! Aber du brichst deinen Schwur nicht, denn das Urteil gegen mich ist falsch. Ich bin noch immer ein echter Krozair, wenn auch ausgestoßen und zum Apushniad erklärt.«

»Deine Worte sind hochinteressant, denn sie enthalten den klassischen Fall zweier unvereinbarer Voraussetzungen.«

Ich wußte, daß dieses Problem nicht aufgeknotet werden konnte: der Knoten mußte vielmehr durchschlagen werden. Konnte ich es wagen, Zenkiren das Schwert in die Hand zu geben und ihm zu zeigen, wo er zuhauen mußte? Würde er mir glauben? Hätte ich mich Pur Zazz anvertraut, hätte er meinem Bericht von der Erde vielleicht geglaubt. Er hätte tröstende Worte für mich gefunden. Ich beschloß, Zenkiren nicht zu dem ersten Menschen auf Kregen zu erwählen, dem ich von meiner irdischen Herkunft erzählte. Es gab da jemanden, der ein größeres Recht darauf hatte. Und wenn der Knoten nun unverändert blieb und sich allerlei Weiterungen daraus ergaben, so konnte ich es nicht ändern. Meine Stimmung war nicht besonders gut, und ich war der Ungeduld und der Verachtung gegenüber den mächtigen und mystischen Krozairs von Zy in diesem Augenblick sehr nahe.

Wir unterhielten uns ausführlich. Erfrischungen wurden nicht geboten; Shazmoz war bedroht, und ich kannte Zenkiren gut genug, um zu wissen, daß er eher noch seine Ration unter seinen Männern verteilte. Er sagte, von den anwesenden Krozairbrüdern kenne mich niemand aus der alten Zeit. Fünfzig Jahre – das ist auf Kregen eine Viertel-Lebensspanne. Eine lange Zeit, trotz der Langlebigkeit. Hätte ich nicht gewußt, daß Zenkiren die Stadt befehligte, hätte ich ihn vielleicht nicht wiedererkannt. Die fürchterlichen Veränderungen, die mit ihm vorgegangen waren, ließen sich nicht so sehr auf die Zeit zurückführen, es handelte sich vielmehr um Auswirkungen der Belagerung und um die tiefergreifenden Nachwirkungen seiner Nichtwahl zum Ersten Abt des Ordens.

Er weigerte sich, über das traurige Thema mit mir zu sprechen, und erging sich statt dessen in einer leidenschaftlichen Tirade gegen den neuen Führer der Grodnim, der seine Kämpfer von Erfolg zu Erfolg führte. Es handelte sich nicht einmal um einen Oberherrn aus Magdag. Der Mann war an der grünen Nordküste emporgewachsen wie ein Unkraut, das über Nacht entsteht. Sein Name, so hieß es, lautete Genod Gannius.

Genod Gannius?

Ich kannte den Namen Gannius. Ich hatte ihn für den Tag im Gedächtnis bewahrt, da ich Anstalten machte, die Ziele der Herren der Sterne zu ergründen. Hatte dieser Genod Gannius mit jenem Gannius zu tun, dem ich am Auge der Welt begegnet war?

Meine Überlegungen gerieten ins Stocken, als ich Zenkirens nächste Worte erfaßte. Er hatte sich gesetzt und wirkte erschöpft und niedergeschlagen. Offensichtlich hatte er das Krozairdilemma erst einmal ausgeklammert; er schien zu dem Schluß gekommen zu sein, daß doch einiges für meine Version sprach, aus welchem Grunde auch immer, und wollte eine bessere Gelegenheit abwarten, den entscheidenden Beweis zu suchen. Seine Worte galten nun Genod Gannius und den Armeen der Grodnim, Streitkräfte, die er »neue« Armeen nannte.

Ich hörte zu und spürte, wie eine seltsam beklemmende Ahnung mich beschlich. Ich möchte seine Schilderung nicht Wort für Wort wiedergeben, auch wenn mir das alles noch deutlich im Gedächtnis ist. Es lief darauf hinaus, daß die Grodnim eine neue und wirkungsvolle Kampfform gefunden hatten, die sie allerdings nicht den Oberherren von Magdag verdankten. Es waren Gerüchte im Umlauf. Genod Gannius hatte eine Armee trainiert und eine der typisch undisziplinierten, individuell kämpfenden zairischen Horden zerschlagen.

Im einzelnen sah die Lage so aus: Stiegen die Zairer in die Sättel und trieben ihre Sectrixes zum Galopp an, stellte sich ihnen eine Mauer aus riesigen Speeren entgegen, raffiniert gehalten wie eine dicke Hecke. Versuchte die Infanterie mit geschwungenen Schwertern vorzugehen, wurden Armbrüste abgeschossen, und ein Hagel von Pfeilen ergoß sich über sie, durchschlug ihre Körper, warf sie zu den Überresten der Kavallerie. Die Armbrüste schossen einen Pfeil nach dem anderen ab. Das Schlachtfeld war mit Leichen übersät gewesen, und die grünen Banner flatterten siegreich.

So war es mehrmals gewesen, bis sich schließlich die Zairer in der heutigen verzweifelten Lage sahen. Traten die roten Bogenschützen in Aktion, so setzten die grünen Reihen die Waffe des Feiglings ein, den verabscheuungswürdigen Schild.

O ja, ich wußte Bescheid.

Wer von Ihnen meine früheren Abenteuer am Auge der Welt kennt, meine Taten in den Slums von Magdag mit der Sklavenphalanx, den alten Voskschädeln, dem ist klar, was ich in diesem Augenblick empfand – Scham.

Bei Zair!

Ich hatte die Sklaven und die Arbeiter für den Kampf ausgebildet, damit sie eine Chance gegen die Oberherren hatten. Ich hatte sie trainiert im Umgang mit Lanze, Schild und Armbrust. Wir waren im Begriff gewesen, die verhaßten Oberherren zu schlagen, als es den Herren der Sterne gefiel, mich aus Magdag zu entführen und mich in Upalion abzusetzen, das östlich des Binnenmeeres liegt. Es hatte jetzt nach meiner Rückkehr nicht lange gedauert festzustellen, daß meine Ängste Wirklichkeit geworden waren – daß die Oberherren meine Freunde, die Arbeiter und Sklaven der Slums, besiegt hatten. Sie mußten gesiegt haben, sonst hätte es Magdag nicht mehr gegeben. Die unvermeidliche Konsequenz aus dieser Entwicklung sah ich nun vor mir.

Wie blind ich gewesen war! Ein Idiot! Freunden hatte ich eine Waffe in die Hand gegeben – scharf, tödlich. Was für ein Dummkopf war ich doch!

Es bedurfte keines Genies, um die Techniken zu übernehmen die die rebellierenden Sklaven eingesetzt hatten, auch wenn aus den Schilderungen geschlossen werden mußte, daß Genod Gannius durchaus ein militärisches Genie war. Es war Gannius, der in seinem eigenen Machbereich mein Geschenk an die Sklaven übernommen, seine Männer ausgebildet und Magdag in seine Gewalt gebracht hatte. Er hatte die Oberherren gestürzt, ihre Macht und ihren Reichtum für sich gewonnen und sich an die Verwirklichung eigener Pläne gemacht.

Er hatte sich auf den hohen Thron von Magdag gesetzt, und alle Menschen warfen sich vor ihm zu Boden.

»Als ich von der neuen Kampfmethode der Grodno-Rasts erfuhr«, sagte Zenkiren und musterte mich mit einem gelassenen und nachdenklichen Blick, der mir ziemlich unangenehm war, »mußte ich an etwas denken, das ich fast vergessen hatte. Ich erinnerte mich eines Krozairbruders, der in den Slums von Magdag einen Aufstand anzettelte. Es wollte mir scheinen, als habe er die Sklaven trainiert, um die Oberherren aus Magdag zu vertreiben. Ich mußte daran denken – habe aber mit niemandem darüber gesprochen.«

»Ich hatte angenommen«, sagte ich, »daß dies vielleicht ein weiterer Grund für meine Verbannung war.«

»Nein. Gibt man Kindern eine scharfe Waffe in die Hand, muß man damit rechnen, daß Blut fließt.«

»Und doch ist das Dilemma, von dem ich sprach, durch diese ... unglückliche ... Konstellation weiter verstärkt worden. Denn es gehört irgendwie zusammen.«

»Ich werde daran denken.«

»Zenkiren, es gibt Kräfte in meinem Leben, die außerhalb jeder ... ach, ich kann nicht davon sprechen, selbst wenn ich es dürfte, denn ich begreife das alles selbst nicht.« Ich wollte ihm nichts von meinen Gedanken über Genod Gannius anvertrauen. Dieses Schrecknis mußte warten, bis ich die Wahrheit kannte.

Duhrra wurde langsam unruhig; er trat von einem Bein aufs andere und pfiff tonlos zwischen den Zähnen.

Zenkiren hob den Blick, nahm eine Gänsefeder zur Hand und schrieb etwas auf die Rückseite eines alten Befehls – in Belagerungszeiten mußte jeder Fetzen Papier genutzt werden. »Geh damit zu Molyz ti Sanurkazz. Er ist ermächtigt, das notwendige Leder und Eisen zu verarbeiten.«

»Vielen Dank, Jernu.« Duhrra nahm das Blatt und sah mich an.

»Wir treffen uns an dem Tor, durch das wir gekommen sind.«

»Zair wache über dich.« Duhrra verließ den Raum, um sich eine Ersatzhand anpassen zu lassen.

Zenkiren nutzte die Unterbrechung, um einige Anordnungen zu geben. Die Belagerung war zu einem Problem der Logistik geworden, zu einem Problem leerer Lagerhäuser und der Aufrechterhaltung der Moral. Gekämpft wurde nur noch ab und zu. Sollte er mich auffordern, zu bleiben und mit ihm zu kämpfen, mußte ich leider ablehnen. Draußen warteten viel wichtigere Aufgaben auf mich. Er äußerte die Bitte nicht. Dafür war ich dankbar; meinen Stolz in solchen Dingen hatte ich längst verloren.

Wir unterhielten uns ausführlich, denn es war viel Zeit vergangen. Die erhaltenen Informationen werde ich wie bisher am passenden Platz in meinem Bericht verwenden. Jedenfalls sammelte ich weitere unangenehme Erkenntnisse über die neuen teuflischen Kräfte der Grodnim.

»Sturmangriffe halten wir nicht mehr lange durch. Die neue Kampfmethode hilft den Grodnim wenigstens nicht bei der Belagerung.« Zenkiren tippte auf Zahlenreihen, die auf den Papieren standen, die seinen Tisch füllten. »Wir haben sie abgewehrt. Zweifellos könnten wir sie hinhalten, bis die Eisgletscher Sicces verdampfen – wenn wir nur zu essen hätten. Solange sie keine größere Armee heranschaffen, werden wir nicht im Kampf untergehen. Der Hunger ist unser größter Feind.«

Er blickte mich von der Seite an. »Geht es Roz Nath gut?«

Ich spürte den Blick des Pachak Logu Pa-We, als ich antwortete: »Ich meine, du solltest deine Hoffnungen nicht auf Roz Nath gründen.«

»Ja!« sagte er mit einem seltsamen Laut – ob es ein Lachen oder ein Schluchzen war, wußte ich nicht. »Ich habe nie erwartet, daß er vorrückt und uns rettet. Dennoch erfüllt er eine nützliche Funktion, denn Roz Nazlifurn wird es dafür um so leichter haben.« Plötzlich hielt er inne, sichtlich zusammenzuckend. Er raschelte mit den Papieren auf seinem Tisch und sagte beiläufig: »Wir nehmen jeden Tag an Zahl ab, jeden Tag gibt es weniger Mäuler zu stopfen. Wir halten bestimmt durch.«

Die Ablenkung war offensichtlich. Roz Nazlifurn war von einem Geheimnis umgeben. Ich wollte Shazmoz wieder verlassen und würde dabei durch feindliche Linien kommen. Was ich nicht wußte, konnte ich nicht verraten.

Als wollte mich Zenkiren noch weiter von der Spur abbringen, fügte er lebhafter hinzu: »Wir Krozairs halten nicht viel von Adelstiteln. Würdest du nicht bereitwillig eine Prinzenkrone hergeben, nur um Mitglied im Orden zu sein?« Er verzog die Lippen zu einem verkrampften Lächeln.

Ich lächelte nicht. Er hatte keine Ahnung von meinen Erlebnissen. Seine Frage schmerzte dennoch. Vor meiner Verbannung hätte ich sicher ebenfalls so gedacht. Und jetzt ... Ich stand auf und fand höfliche Worte. Ich hatte meine Pläne geändert – und glaubte damit eher meiner Natur zu entsprechen, glaubte das Richtige zu tun unter erschwerten Umständen – zur Hölle mit jedem, der anders dachte!

»Es wird Zeit, dir Remberee zu wünschen, Pur Zenkiren. Ich bedaure die langen und leeren Jahre. Es war ein Fehler, daß ich nicht eher zum Auge der Welt zurückgekehrt bin. Aber bedenke bitte das Dilemma, dem ich mich als Krozair gegenübersehe. Das zumindest müßte ein vorzügliches Diskussionsthema abgeben.«

Er schüttelte mir die Hand, wie es am Binnenmeer üblich ist – seit langer Zeit spürte ich wieder einmal den vertrauten Krozairgriff. Er lächelte, ein warmes, freundliches Lächeln. »Siehst du, Pur Dray. Ich nenne dich Pur und gebe dir die rechte Hand der Bruderschaft. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß du zu Unrecht zum Apushniad erklärt worden bist. Nur muß das bewiesen werden.«

Seine Worte bewegten mich.

»Du tust mir Ehre an, Zenkiren. Ich bin ein Onker gewesen, und doch sind die Sklaven in Magdag ... sie sind Menschen und hätten ihre Freiheit verdient. Ich tat, was ich für richtig hielt, damals.«

»Zair herrscht über alles, und wenn es sein Wille ist ...« Er erschauderte und zupfte an seinem Gewand, und nun sah ich, warum das aufgestickte Symbol so zerschlissen war. »Möge sich alles zum Guten wenden. Bestimmt will Zair es nicht anders.«

»Remberee, Pur Zenkiren.«

»Remberee, Pur Dray.«

Minuten später marschierte ich durch die nächtlichen Straßen und fand Duhrra am Tor. Er hatte die rechte Hand in seinen zusammengefalteten Mantel gesteckt. Die Wächter brachten unsere Sectrixes. Sie wünschten uns alles Gute. Wir verließen das belagerte Shazmoz; die Sterne schimmerten am Himmel, ein kleiner Mond spendete spärliches Licht.

Der Pachak Hyr-Paktun Logu Pa-We und sein Bruder würden uns zurückbegleiten. In dieser Hinsicht brauchten wir uns keine Sorgen zu machen. Während ich im Sattel saß, hing ich meinen Gedanken nach.

Ich konnte dafür einstehen, was ich mit der Sklavenphalanx mit meinen Voskschädeln, eingeleitet hatte. Damals hatten wir um unser Leben, unsere Freiheit gekämpft. Was später daraus wurde, ging uns nichts an. Aber ...

Aber als ich von den Herren der Sterne ans Auge der Welt gebracht wurde, hatten sie mir einen ersten klaren Befehl gegeben: ich hatte zwei junge Menschen vor den scheußlichen Felsaffen, den Grundals, retten müssen. Das hatte ich getan. Ich hatte dafür gesorgt, daß Gahan Gannius und Valima weiterlebten. Sie hatten geheiratet und einen Sohn zur Welt gebracht. Dieser Sohn mußte Genod Gannius sein. Ich, Dray Prescot, war also auch direkt verantwortlich für die Katastrophe, die meine geliebten Zairer befallen hatte!