8

 

 

Meine Privatgemächer waren völlig verstaubt. Es roch modrig. Ich knallte das Rapier mit der Flachseite gegen einen Stuhl, eine graue Wolke stieg auf. Dann setzte ich mich und starrte Panshi an, der mir gefolgt war. Die anderen hatte ich fortgescheucht.

»Hol mir etwas zu essen und zu trinken, Panshi. Schick einen Diener los. Du mußt mir erzählen, was sich hier ereignet hat.«

»Jawohl, Herr.«

Eine Fristle-Dienerin eilte mit einem Tablett herein. Sie schien verängstigt zu sein. Als sie fort war, sagte ich: »Du hast von einem Prinzen Zeg gesprochen.«

»Jawohl, Prinz. Er heißt nicht mehr Prinz Segnik. Er wollte das nik an seinem Namen nicht mehr dulden und stellte sich deswegen sogar gegen Prinz Vanden, dessen Vater gerade einen Besuch machte. Er hat dem mißratenen Kerl – Verzeihung, mein Prinz – die Nase blutig geschlagen.«

Das sah ihm ähnlich. Der Vater des jungen Prinzen Vanden war niemand anderer als Varden Vanek, Prinz des Hauses Eward in Zenicce, ein guter Freund Dray Prescots. Die alten Verbindungen bestanden also noch.

»Sprich weiter, Panshi.« Ich hatte mich inzwischen etwas beruhigt. Dies war nicht das Willkommen, das ich erwartet, nach dem ich mich gesehnt hatte. Die Leere in mir schien meine früheren Hoffnungen zu verspotten. Aber wie hatte ich nach so langer Zeit damit rechnen können, alle hier anzutreffen?

»Prinz Segnik zog fort – an einen unbekannten Ort – und nannte sich bei seiner Rückkehr Prinz Zeg.«

Ich glaubte zu wissen, wo Segnik gewesen war – und Sie, der Sie sich diese Bänder anhören, wissen es sicher auch.

»Und die Prinzessin Majestrix ist dort ebenfalls gewesen?«

»Ich nehme es an, Prinz. Genau weiß ich es nicht.«

»Erzähl mir mehr.«

»Männer kamen. Fremde. Sie sprachen allein mit der Prinzessin; Turko der Schildträger wollte nicht einsehen, daß sie nicht gestört werden durfte. Wir warteten unruhig, und als die Prinzessin den Männern Remberee sagte, sah sie – bitte verzeih mir, Herr – da sah sie traurig und erschöpft aus. Wir wollten ihr helfen, aber sie vertraute sich uns nicht an.«

»Hat Prinz Drak nichts dazu gesagt?«

»Er war in Vandayha wegen eines Silberschmieds, der sein Rohmaterial vermengt hatte. Es gab einen Skandal, und Prinz Drak ...«

»Ja, ja.« Ich erkannte, daß Prinz Drak während meiner Abwesenheit die Amtsgeschäfte geführt hatte. Nun, gehörte sich das nicht auch für einen pflichtbewußten Sohn?

»Der junge Prinz und die junge Prinzessin ...«, begann Panshi, doch ich unterbrach ihn ungeduldig.

»Und Turko und Balass und Naghan und Melow die Geschmeidige – sie alle haben die Prinzessin begleitet?«

Er sah mich nachdenklich an und zupfte seine Robe zurecht. »Das weiß ich nicht genau, mein Prinz. Sie wurden mit dem Elten von Avanar fortgerufen, um sich um das ... äh ... Ärgernis mit dem Strom von Vilandeul zu kümmern. Der Mann kam plötzlich auf die Idee, daß er Anspruch habe auf Länder westlich der Varamin-Berge, und führte ein Expeditionsheer ...«

Diese Nachricht ärgerte mich mehr, als daß sie mich schockierte. Der Elten von Avanar war mein alter Kampfgefährte Tom Tomor ti Vulheim. Er kommandierte die Armee von Valka. Wenn es sich der Strom von Vilandeul, ein Strom vom Festland Vallias, in den Kopf setzte, ihm gehörten Gebiete auf meiner Insel Can Thirda, dann gab es Ärger. Entsetzt war ich besonders wegen der Feststellung, daß so etwas in Vallia überhaupt passieren konnte. Der Herrscher war doch nicht schon so weit verkalkt, daß er Gesetz und Ordnung nicht mehr aufrechterhalten konnte! Um diese Sache mußte ich mich kümmern. Aber nicht sofort. Im Augenblick ging es mir um Delia. Die Kinder lebten offensichtlich ihr eigenes Leben. An erster Stelle kam meine Delia.

»Bei dieser Unruhe wäre der junge Prinz ...«, begann Panshi.

»Die Prinzessin Majestrix ist also allein gereist?«

Mein Tonfall beunruhigte ihn. Er hob die dünnen Schultern. »Sie wollte keinen Rat annehmen, mein Prinz. Wir haben es ehrlich versucht – sie reiste etwa zu der Zeit ab, als der Strom von Vilandeul von sich reden machte. Wenn ich mich frei äußern darf – ich glaube, der Strom sah seine Chance gekommen, als die Prinzessin fort war.«

»Tom wird sich um ihn kümmern«, sagte ich. Mit Vanger und der Luftflotte, mit der Kavallerie und der Luftkavallerie und den hervorragenden valkanischen Bogenschützen sollte mein Stromnat in der Lage sein, sich den Eroberungsplänen dieses aufmüpfigen Stroms zu widersetzen.

»Herr, die Prinzessin hat Begleitung – eine kleine Leibwache und Melow die Geschmeidige ...«

»Ah«, sagte ich und fühlte mich plötzlich viel besser.

Ich blickte mich in dem verstaubten Zimmer um und überlegte. Mein Blick fiel auf die Waffen an den Wänden, die hervorragend gepflegt und geölt waren, ich sah die langen Bücherreihen, die Bilder, die Banner, all die Erinnerungsstücke, die meine Gemächer zu einer Zuflucht machten, zu einem Ort der Entspannung.

»Warum liegt hier soviel Staub, Panshi?«

»Die Prinzessin hat allen den Zutritt verwehrt, nachdem du ... äh ... fortgingst, mein Prinz. Es wurde sogar gemunkelt, du wärst tot. Aber wer dich kennt, wußte es natürlich besser. Der junge Prinz aber hat gezweifelt.«

»Ist dir eine Botschaft an mich anvertraut worden?«

»Nur, daß ich dir bei deiner Rückkehr sagen sollte, was ich eben schon dargelegt habe. Vielleicht liegt hier irgendwo ein Brief für dich, Majister.«

Dieser Ansicht war ich auch und begann zu suchen. Ich suchte die Schreibtische und Bücherregale ab und all die typischen Einrichtungsgegenstände, die ein kregisches Zuhause besonders farbenfroh machen. Aber ich fand keine Nachricht von Delia. Nun, ich wußte genug. Es galt nur noch eine Einzelheit zu erfahren, eine letzte Tatsache. Ich zögerte die Frage hinaus, hatte ich doch Angst vor der Antwort. Aber man muß mit der Nadelspitze leben, heißt ein Sprichwort auf Kregen.

»Wann ist die Prinzessin abgereist?«

»Im siebenten Monat der Jungfrau mit dem Vielfältigen Lächeln.«

Nach irdischer Zeitrechnung war das über ein Jahr her! Die Zeitmessungen auf Kregen sind sehr kompliziert; Jahreszeiten und Monate koppeln sich an die Phasen der drei wichtigsten Mondgruppierungen und an die Sonnenumläufe. Wieder spürte ich eine schwere Last auf meinem Herzen, eine höchst unangenehme Leere in mir.

»Panshi, laß Prinz Drak und die Prinzessinnen verständigen«, sagte ich und versuchte meine Stimme möglichst fest klingen zu lassen. »Zum Briefeschreiben habe ich keine Zeit. Laß ihnen ausrichten, daß ich zurückgekehrt bin und mich auf die Suche nach ihrer Mutter mache.« Ich begann das karierte Hemd auszuziehen. »Und laß eine Vollerflotte bereitstellen, gut versorgt und bewaffnet. Die Waffen werde ich selbst aussuchen.«

»Es soll geschehen, wie du befiehlst, Herr. Und der junge Prinz?«

»Da er wahrscheinlich an dem Ort ist, den ich aufsuche, kann ich selbst mit ihm sprechen.«

Panshi hob kurz die Augenbrauen, dann nickte er und eilte davon.

Ich hatte keine Zeit mehr für das Neunfache Bad; Delia mochte zwar vor über einem Jahr abgereist sein, ich wollte dennoch keine einzige Mur vergeuden. Was die Waffen betraf, so plünderte ich die Waffenkammer und wählte sorgfältig. Ich suchte mir ausreichend Kleidung aus und ließ sie in einem bestimmten Flugboot unterbringen. Dabei achtete ich darauf, daß ausreichend roter Stoff vorhanden war. Immerhin reiste ich in eine Gegend, da die Krieger anders kämpften als die Vallianer und Zeniccer und Pandahemer. Auf eine Weise, die – ich will es ganz ehrlich sagen – vorteilhaft und nachteilig zugleich war.

Panshi schilderte mir den Zustand Valkas und meiner anderen Ländereien: die Armee war in bester Verfassung, die Werften hatten viel zu tun; wir erholten uns von einer schlechten Samphron-Ernte; die Prinzessin Majestrix hatte in Delphond Sorgen, um die sich jedoch der Anführer der Hochversammlung Valkas kümmerte, der alte Tharu ti Valkanium. Er übte sein Amt nach wie vor mit Würde und Entschlossenheit aus.

Wie so oft wanderten meine Gedanken zu meinen Kampfgefährten Seg Segutorio und Inch – beide würden mir in dieser Not sicher beistehen. Ich mußte mir die Zeit nehmen, ihnen zu schreiben. Die Feder fuhr kratzend über das Papier. Ich brachte beiden gegenüber zum Ausdruck, daß ich zurück war und ihre Hilfe brauchte. Ich fügte hinzu, daß sich Inch vielleicht mit Seg in Verbindung setzen sollte, damit beide zusammen reisen konnten.

Ich wußte, welche Forderung ich da stellte – nach so langer Zeit waren die beiden sicher sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Durfte ich wirklich erwarten, daß sie alles stehen und liegen ließen, um einem querköpfigen Onker wie mir nachzufliegen, der sie nur wieder in neue gefährliche Abenteuer führen würde?

Aber ich war fest davon überzeugt, daß neue schreckliche Prüfungen auf mich warteten. Dies war kein läppischer Ausflug – und meine Delia war allein dorthin geflogen!

Nun, nicht ganz allein. Der Gedanke, daß ein wilder Menschenjäger sie begleitete, erleichterte mich sehr.

Als ich das Flugboot erblickte, das Panshi mir zur Verfügung stellte, preßte ich unwillkürlich die Lippen zusammen. Es gehörte nicht gerade zu den besten Modellen. Er bemerkte meinen Gesichtsausdruck und sagte hastig: »Herr, bis auf wenige sind alle Flugboote fort. Sogar die Segeleinheiten. San Evold und Khe-Hi begleiten Prinz Drak.«

Ich wußte, was diese Worte bedeuteten. Die Geheimnisse der Silberkästen aus den Vollern waren also noch immer nicht erforscht.

Kurz vor dem Abflug kam ein junger Hikdar der valkanischen Bogenschützen zu mir. Er knallte sich einen rotweißgestreiften Ärmel vor die Brust und machte mir das Angebot, ihn und seine Männer zu meinem Schutz mitzunehmen.

»Ich bin sicher, daß deine Pastang dem Vierten Regiment alle Ehre macht, Hikdar Naghan Ovoinach«, antwortete ich. »Aber deine Aufgabe ist der Schutz Valkas.«

Sein Gesicht hellte sich auf, als er merkte, daß ich seinen Namen wußte. Energisch salutierte er und kehrte in die Reihen seiner Bogenschützen zurück. Ich erkannte, daß die Armee während meiner Abwesenheit unter strenger Führung gestanden hatte. Als der Voller in das zweifarbige Lichte der Sonnen emporstieg, überlegte ich, ob ich dahinter wohl meinen Sohn Drak vermuten durfte. Wie seltsam – chronologisch gesehen war ich über neunzig Jahre alt – trotzdem war mein zweiunddreißigjähriger Sohn älter als ich. Ich war dreißig gewesen, als ich in den Taufteich von Aphrasöe stieg, der mir ein tausendjähriges Leben schenkte.

Obwohl niemand offen davon gesprochen hatte, war mir bewußt, daß Drak inzwischen als Strom von Valka galt, während ich der alte Strom von Valka sein würde.

Ich steuerte das Flugboot genau nach Westen und legte den Geschwindigkeitshebel vor. Allmählich wurde es mir zur Gewohnheit, einen Voller mit Höchsttempo fliegen zu lassen. Dieser Flug sollte keine Ausnahme sein.

Ich blickte über die Bordwand. Dieses Vollermodell gehörte zu der allgemein gebräuchlichen Sorte, die im Flug auf Wind und Wetter reagierte, unabhängig von der antreibenden Kraft der Silberkästen. Wenn das Boot über dem Meer einen Defekt hatte ... Nun, das wäre das Ende Dray Prescots, des Onkers aller Onker.

Es sei denn, die Herren der Sterne brauchten mich noch immer. Endlich war ein Teil des Geheimnisses um die Everoinye gelüftet worden – ich hatte einen ersten kurzen Blick auf Rätsel werfen können, die einer Lösung harrten, ich hatte einen ersten Eindruck von möglichen Konflikten, die mich ängstigten, von Katastrophen, denen ich ausweichen wollte.

Unter mir versank Valkanium, gekrönt von der prachtvollen Burg. Der Voller tauchte in die Wolken ein, und ich war auf mich gestellt.

Wieder einmal war ich unterwegs zu neuen Abenteuern.