19
19»Hör auf, so herumzuzappeln!«
»Entschuldigung.« Iseabail hielt ungefähr dreißig Sekunden still … dann fing sie wieder an.
»Izzy!«
»Tut mir leid. Ich war noch nie bei einer Party.«
»Mach so weiter, und du wirst zu dieser auch nicht gehen, weil du nichts anhast.«
Izzy die Gefährliche sah im Spiegel das Spiegelbild der Frau an, die sie zur Welt gebracht hatte. Sie war gerade damit beschäftigt, die Rückseite von Izzys Kleid zuzuschnüren. Es war Izzys erstes Kleid, seit sie sieben war. Und definitiv ihr erstes Erwachsenenkleid.
Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass es erst zwei Wochen her war, dass sich ihr Leben von Grund auf verändert hatte. Aus einem heimatlosen, mutterlosen Bastard, der mit drei armen Soldaten durch die Lande wanderte, war jetzt ein einfacher Bastard geworden. Aber jetzt hatte sie ein Zuhause. Und eine Mutter. Eine Mutter, die sie liebte. Sie hatte ihre Mutter schon geliebt, bevor sie sie kennengelernt hatte, doch es hatte immer das Risiko bestanden, dass sie sich als schreckliche, garstige Frau entpuppen würde. Das war sie nicht. Sie war toll. Und so lustig. Wenn es eines gab, das Izzy liebte, dann war das zu lachen. Ihre Mutter brachte sie zum Lachen – ständig.
»Endlich.« Talaith, die ihr die Entscheidung überlassen hatte, ob sie sie Mutter nennen wollte oder nicht, nahm sie an den Hüften und drehte sie herum, sodass Mutter und Tochter einander gegenüberstanden. Tiefe Falten erschienen auf Talaiths Stirn, als sie auf Izzys Brust sah. »Mir gefällt es nicht besonders, wie tief ausgeschnitten das ist.«
Izzy sah an sich hinab. »Warum? Es ist ja nicht so, dass ich etwas Nennenswertes vorzuweisen hätte.«
»Noch nicht. Wenn du auch nur annähernd nach mir kommst, bist du eine Spätentwicklerin. Trotzdem ist es furchtbar tief ausgeschnitten.« Plötzlich griffen die Hände ihrer Mutter nach dem Mieder des Kleides und zogen es nach oben.
Sie verdrehte die Augen und schlug nach den Händen ihrer Mutter. »Es werden noch andere Mädchen in meinem Alter dort sein, und sie werden ähnliche Kleider tragen.«
»Mir egal. Es ist Sache ihrer Mütter, ob sie wollen, dass sie aussehen wie Huren.«
Die zwei sahen sich an. Es war Izzys Schnauben, das beide loskichern ließ.
»Das ist ja schrecklich, so etwas zu sagen!«
»Vielleicht.« Talaith hob einen Rosenblütenkranz vom Bett auf. Izzy war noch nicht alt genug, um Blumen ins Haar zu flechten wie ihre Mutter. Doch der Kranz war schön und roch wundervoll. »Denk dran, Tochter: Achaius wird heute Abend auf dich aufpassen.« Achaius hatte Annwyls Angebot angenommen zu bleiben, während ihre beiden anderen Beschützer nach dem Festmahl nach Hause zu ihren Familien zurückzukehren wollten.
»Wenn irgendeiner von diesen lüsternen Soldaten näher als fünf Fuß an dich herankommt, wird er es bereuen!«
»Du und Achaius habt wieder Strategien ausgeheckt«, beschwerte sich Izzy. Das taten sie in letzter Zeit oft.
Talaith setzte Izzy den Kranz auf den Kopf, rückte ihn zurecht und schnaufte zufrieden. »Das müsste passen.«
Sie trat zurück und besah sich ihre Tochter von oben bis unten. Sie lächelte, doch das Lächeln verwandelte sich rasch wieder in ein Stirnrunzeln. Sie kauerte sich nieder und hob ein wenig den Saum von Izzys Kleid an. »Was ist das an deinen Füßen? Wo sind die Pantoffeln, die ich dir gegeben habe?«
Izzy blickte hinab auf die Lederstiefel, die sie trug und an denen an beiden Seiten Dolche befestigt waren. Annwyl hatte sie ihr geliehen. Sie hatten beide gleich riesige Füße. »Pantoffeln? Was, wenn ich um mein Leben laufen oder ein Tier umbringen muss? Das kann ich schließlich nicht mit diesen Mädchenpantoffeln machen, oder?«
Sie drehte sich um und ging zur Tür, hörte hinter sich aber noch ihre Mutter vor sich hinmurmeln: »Ja, du bist meine Tochter, ganz eindeutig.«
Fearghus seufzte. »Beweg deinen Hintern, Frau.«
»Zügle dich, Drache«, schrie Annwyl aus dem Nebenraum zurück, den sie für sich reserviert hatte. Er war voll von ihren Kleidern, Rüstungen, Waffen und Büchern. Annwyl und ihre Bücher. Doch wenn sie zusammen waren, teilten sie das Bett.
»Erklär mir noch mal, warum wir diese Party geben.« Er hätte den Abend viel lieber damit verbracht, etwas Herzhaftes zu essen und sich dann bis zum Morgen in seiner Frau zu vergraben. Partys – wie auch die meisten anderen Dinge außer Annwyl – langweilten ihn.
»Es ist keine Party. Es ist ein Festmahl. Und es ist zu Ehren meiner Männer, ihrer Familien und was du dir sonst noch vorstellen kannst.«
Auf dem Bett ausgestreckt, warf Fearghus einen Arm über seine Augen. »Können sie dieses Festmahl nicht ohne uns haben?«
»Du quengelst, Fearghus. Quengel nicht. Also, wie sehe ich aus?«
Er nahm den Arm vom Gesicht, und ihm stockte der Atem bei ihrem Anblick. Annwyl hatte nicht einmal bei ihrer Krönung ein Kleid getragen. Er hatte keine Ahnung, warum sie heute Abend beschlossen hatte, eines zu tragen, aber er würde ewig dafür dankbar sein. Das moosgrüne Kleid umschmeichelte ihre Kurven und brachte ihre großen Brüste zur Geltung. Die schmalen Ärmel reichten bis zur Mitte ihrer Hand, bedeckten Fearghus’ Brandmale, und eine Samtschlaufe schlang sich um den Mittelfinger jeder Hand und hielt die Ärmel so an Ort und Stelle. Ihr goldbraunes Haar, in das grüne Blumen geflochten waren, reichte ihr bis zu den Hüften.
Aber eines konnte nur Annwyl – sie hatte sich trotzdem zwei Schwerter auf den Rücken geschnallt. Natürlich waren es nicht ihre großen Schlachtschwerter, sondern ein Paar, das sie extra hatte anfertigen lassen: die Griffe waren mit Edelsteinen besetzt, die Klingen aber rasiermesserscharf.
»Du siehst wunderschön aus.«
Nach allem, was sie zusammen getan hatten, allem, was sie zusammen erlebt hatten, konnte er sie immer noch zum Erröten bringen.
»Ähm … danke.«
Er streckte die Hand nach ihr aus. »Komm her, Königin Annwyl.«
Sie machte einen Schritt auf ihn zu, dann hielt sie inne. »Oh nein. So leicht kriegst du mich nicht, Ritter.« Unbewusst nannte sie ihn immer, wenn sie ihn begehrte, so wie damals, als sie noch nicht wusste, dass der Drache und der Mann dasselbe Wesen waren. »Sie warten auf uns. Wir müssen unsere Gäste begrüßen.«
Fearghus knurrte. »Ich sagte, komm her.«
Mit einem für eine Königin sehr unpassenden Kreischen stürmte Annwyl zurück in ihr Zimmer. Bevor sie verschwand, sah Fearghus, dass sie Lederstiefel trug, in deren Seiten sie Dolche geschoben hatte. Meine Annwyl. Er hätte sie gar nicht anders gewollt … es sei denn, auf dem Rücken liegend.
Er sprang vom Bett auf und riss die Tür auf, die von ihrem gemeinsamen Zimmer in den Flur führte. Sie kam gerade aus dem anderen Zimmer. Als sie ihn sah, kreischte sie noch einmal und rannte auf die Treppe zu. Er folgte ihr und sie drängelten sich an einigen Mitgliedern der höchsten Königshäuser von Menschen und Drachen vorbei, die es im Land gab. Ein paar von ihnen schubsten sie gegen die Wand. Es kümmerte sie nicht.
»Komm her, Weib!«
»Das wirst du nicht erleben, Drache!«
Sie schaffte es bis nach unten und entkam gerade noch Fearghus’ ausgestreckter Hand. Aber sein anderer Arm schlang sich um ihre Taille und hob sie vom Boden hoch.
»Lass mich los!«
»Ich hab dich, meine Königin. Die Frage ist jetzt: Was werde ich mit dir machen?«
»Mistkerl!«
»Mit Schmeicheleien kommt man überall hin.«
Die beiden lachten und rauften, bis sie aufsahen und feststellten, dass sowohl Brastias als auch Morfyd sie anstarrten.
»Muss das sein?«, wollte Morfyd in barschem Flüsterton wissen. »Vor allen?«
»Na ja, eigentlich …«, begann Annwyl, aber Fearghus fürchtete, was sie sagen würde und legte er ihr eine Hand über den Mund.
»Entschuldige, Schwester. Wir hören auf.«
»Gut.«
Morfyd und Brastias gingen weiter, doch sobald Fearghus Annwyl losließ, schrie sie hinter ihnen her: »Wir geben unser Bestes, um brave kleine Monarchen zu sein!«
Morfyd wirbelte so schnell herum und bleckte ihre Reißzähne, dass Annwyl zurückwich und sich hinter Fearghus versteckte.
»Na, sind wir heute wieder ganz die mutige Königin, meine Liebe?«
»Halt den Mund, Gefährte.«
Er war einer der jungen Soldaten in Ausbildung. Er gab schon seit fünf Minuten damit an, während er pausenlos seine weißblonden Locken über seine Schulter warf.
Izzy mochte ihn nicht. Und sie hatte das beinahe überwältigende Bedürfnis, ihm seinen aufgeblasenen Schädel zu rasieren und dann ihr Kissen mit all diesen blonden Haaren zu stopfen.
Plötzlich strömte Musik durch den Saal, und der Tanz begann. Izzy wollte so gerne tanzen, weil sie es nie zuvor getan hatte.
Sie wandte sich von dem Jungen ab – als Mann würde sie ihn niemals bezeichnen – und hoffte, einen Tanzpartner zu finden, der ihr keine Schauer über den Rücken jagte. Sie erstarrte, als eine Hand fest nach ihrem Arm griff.
Sie blickte auf die Hand hinab und dann hinauf zu dem Jungen, dem diese Hand gehörte.
»Lass mich los.«
»Wir waren noch nicht fertig mit unserem Gespräch.«
»Jetzt sind wir es.«
Er schenkte ihr ein nachsichtiges Lächeln, das sie ihm zu gern aus dem Gesicht geboxt hätte.
»Komm. Tanz mit mir.« Er ignorierte ihren Versuch, sich von ihm loszumachen und steuerte auf die Tanzfläche zu. Doch drei große Männer versperrten ihm den Weg.
»Probleme, Izzy?«, fragte Achaius in ruhigem Ton, doch Izzy hatte neun Jahre mit ihm zusammen gelebt. Sie wusste, in welchen Situationen er durchdrehen und dabei ein paar Köpfe einschlagen konnte.
»Nein. Alles klar.«
Der Junge war ein Dummkopf, aber nichts, womit sie nicht fertigwurde.
Ihre Beschützer blickten auf die Hand hinab, die ihren Arm hielt, und dann zurück zu ihr.
»Sieht nicht so aus«, bemerkte Achaius.
»Achaius …«
»Vielleicht gehst du mir jetzt besser aus dem Weg, alter Mann.«
Izzy zuckte zusammen und dachte, dass das Schicksal des Jungen besiegelt wäre.
Achaius ignorierte den Jungen allerdings und konzentrierte sich auf Izzy. »Was haben wir dir beigebracht, Izzy, wenn dich jemand ohne deine Erlaubnis anfasst?«
»Aber …«
»Izzy?«
Mit einem Seufzen drehte sie sich zu dem Jungen um, der immer noch ihren Arm festhielt. Dann knallte sie ihm die Faust ihres freien Arms gegen die Kehle.
Erschrocken und nach Atem ringend, taumelte er rückwärts.
»Braves Mädchen.« Achaius tätschelte ihr den Rücken. »Und jetzt ab mit dir. Wir übernehmen den Rest.«
»Achaius, es war wirklich nicht …«
»Zwing mich nicht, deine Mutter zu holen, Iseabail.«
»Nein, nein. Nicht nötig«, antwortete sie hastig.
Dem Jungen war es wahrscheinlich nicht klar, aber er war wirklich besser dran, wenn er von diesen drei Männern in einer dunklen Ecke eine Abreibung bekam, als wenn er mit ihrer Mutter konfrontiert würde. Sie hatte gesehen, was diese Frau anrichten konnte und erinnerte sich lebhaft an die Leichen auf dem Schlachtfeld.
Nein, es war das Beste, ihre Mutter herauszuhalten.
»Dann geh und amüsier dich«, sagte Achaius und schob sie sanft in Richtung Tanzfläche. »Wir kommen in ein paar Minuten zurück.«
Sie warf einen Blick auf den Jungen und verspürte einen kleinen Stich des Mitleids, aber das hatte er sich wirklich selbst zuzuschreiben.
Talaith brachte gerade noch einen Aufschrei heraus, als eine starke Hand sie in einen leeren Flur zerrte. Sie griff nach ihrem versteckten Dolch, merkte aber schnell, dass es nur Morfyd war.
»Ausgebildete Assassininnen zu schnappen und sie in dunkle Ecken zu zerren ist keine gute Idee, Morfyd.«
Morfyd tat ihre Worte mit einer Handbewegung ab. »Vergiss das alles. Ich habe etwas viel Interessanteres.«
Die beiden Frauen blieben stehen, als ein junger Mann mit weißblonden Haaren an ihnen vorbeistürmte. Er war wohl zusammengeschlagen worden, sein Gesicht war blutverschmiert.
Talaith sah ihn um eine Ecke verschwinden. »Sollte ich fragen …«
»Nein«, unterbrach sie Morfyd. »Wahrscheinlich nicht.«
Die Drachenhexe hatte wahrscheinlich recht. Es war viel besser, wenn Talaith nicht wusste, was los war.
»Also, was ist so interessant?«
»Der Hauptmann der Wache findet dich ziemlich attraktiv.«
Talaith starrte die Drachenhexe an, die ihre menschlicher Gestalt angenommen hatte, sagte aber nichts.
»Also?«, drängte Morfyd, die offensichtlich aufgeregt war, denn sie wippte auf den Zehenspitzen.
»Also was?«
»Geh mit ihm tanzen!«
Bei den Göttern, sie will mich verkuppeln.
»Auf keinen Fall.« Talaith drehte sich um und wollte zurück zur Party gehen, als Morfyds Worte sie abrupt stoppten.
»Ich dachte, du bist über ihn hinweg?«
Talaith wirbelte zu ihrer neuen Freundin und momentanen königlichen Nervensäge herum. »Wir werden nie wieder über ihn sprechen. Verstanden?«
»Warum, wenn er dir nichts mehr bedeutet?«
Talaith schob Morfyd zurück in die dunkle Nische. »Würdest du bitte leiser sprechen! Ehrlich, ich weiß nicht, warum du immer wieder davon anfängst!«
»Ich will, dass du glücklich bist.«
»Ich bin glücklich. Mit meiner Tochter.«
»Und das ist alles, was du willst?«
»Das ist alles, was ich je wollte. Also lass es gut sein, Morfyd.«
Talaith ging, und sie ging auch weiter, als Morfyd viel zu laut flüsterte: »Was ist mit dem Herzog von Winsley? Er ist ziemlich süß und steinreich.«
Annwyl dachte darüber nach, sich selbst anzuzünden. Alles musste besser sein als diesem Mann zuzuhören, der pausenlos redete. Wer war er noch mal? Lord Winsley? Herzog Winsley? Egal. Er war langweilig, und seine Nase war übermäßig lang. Sie hatte das Bedürfnis, sie ihm zu brechen. Würde er weinen wie ein Baby? Oder es wie ein Mann nehmen? Sie hätte auf Weinen gesetzt. Er sah schwach aus. Sie hasste schwache Männer. Sie hasste schwache Frauen. Sie hasste Schwäche im Allgemeinen.
Abgesehen davon nannte er sie ständig Königin. Sicher, Morfyd hatte gesagt, kein Köpfeabhacken während des Festmahls. Aber was war mit einem Arm? Oder einem Bein? Natürlich würde es viel Geschrei geben, aber es war ihr lieber, wenn dieser Mann schrie, als wenn er sie zu Tode langweilte.
Annwyl sah über den Kopf des Mannes hinweg – selbst barfuß würde sie ihn überragen – und sah Fearghus am Eingang einer Nische stehen. Als er merkte, dass er ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, lächelte er und deutete mit dem Kopf in Richtung der Nische. Dann verschwand er darin.
Wohl wissend, was sie erwartete, sah sie auf den Herzog oder Graf oder was auch immer er war hinab, und sagte: »Das ist faszinierend, aber ich muss gehen.«
Ohne abzuwarten, ob er noch ein weiteres quälend langweiliges Wort sagte, schlängelte sie sich durch die Menge und ging in die dunkle Nische. Sobald sie sie betrat, glitten Fearghus’ Hände um ihre Taille und zogen sie tiefer hinein. Er drückte sie an die Wand, seine Lippen an ihrer Kehle, und seine Hände schoben ihr Kleid hoch.
Sie vergrub ihre Finger in seinen Haaren und biss sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien. Es half allerdings nicht. Nicht, wenn Morfyds persönlicher »Kampfhund« jeden ihrer Schritte überwachte.
»Meine Lehnsherrin?«
Fearghus’ Hände hielten inne, und Annwyl spürte, wie ihre Wut langsam an die Oberfläche hochkochte.
Durch zusammengebissene Zähne knurrte sie: »Was denn, Brastias?«
»Deine bescheidenen Diener erwarten dich, M’lady.«
»Und sie können auch noch länger warten«, knurrte sie zurück.
»Nein, meine Königin, ich glaube nicht, dass sie das können.«
»Brastias …«
»Zwing mich nicht, Morfyd zu holen, meine Ladyschaft.«
Verdammt. Er nannte sie nur so, um sie zu ärgern. Und das mit Erfolg.
»Na schön!«
Annwyl machte sich von Fearghus los, ignorierte dessen warnendes Knurren und stapfte aus der Nische heraus.
»Zufrieden?«
»Aye. Das bin ich wirklich, meine …«
»Wenn du mir noch einen Titel gibst, schneide ich dir die Kehle durch, das verspreche ich dir!«
Brastias grinste. Der Mistkerl. »Ganz nach deinen Wünschen, Annwyl.«
»Eigentlich nicht. Sonst wäre ich noch da drin.«
Brastias lachte und warf einen Blick zurück in die dunkle Nische. »Und du, Mylord? Wirst du dich ebenfalls zu uns gesellen?«
Ein tiefer Seufzer kam aus der Dunkelheit, dann antwortete Fearghus’ Stimme gereizt: »Im Moment nicht, nein.«
Annwyl verzog das Gesicht. Sie war vielleicht ein wenig feucht zwischen den Beinen, aber ihr langes Kleid verbarg das gut. Doch sie wusste, die Kettenpanzerhose des armen Fearghus würde die Erektion, die sie nur Augenblicke zuvor an ihren Bauch gepresst gespürt hatte, niemals verbergen können.
»Weißt du, so alt siehst du wirklich nicht aus.«
Talaith hielt Izzy die Hand vor den Mund. Sie schenkte dem Herzog, den ihre Tochter soeben beleidigt hatte, ein gezwungenes Lächeln und zerrte das Mädchen weg.
»Also gut, Fräulein, ich will, dass du deine Zunge im Zaum hältst.«
Izzy sah ihre Mutter finster an und nickte. Sie zog die Hand ihrer Mutter von ihrem Mund weg. »Es tut mir leid. Ich wollte ihn nicht beleidigen. Ich konnte einfach nicht fassen, wie alt er ist!«
»Und wie hast du sein Alter herausgefunden?«
»Ich habe ihn gefragt.«
Talaith seufzte. »Das kannst du nicht machen, Izzy.«
»Warum nicht?«
Ihr Drachenbeschützer hatte ihrer Tochter ganz eindeutig nicht viel beigebracht, was Manieren anging. Aber wenn Talaith recht darüber nachdachte, passten Drachen und Manieren sowieso nicht gut zusammen. Brutale Ehrlichkeit und Direktheit – darin lagen ihre Stärken.
»Weil es als unhöflich gilt.«
»Es tut mir leid.« Sie schien entsetzt, dass sie den Mann beleidigt haben könnte. »Ich gehe mich entschuldigen.«
»Nein.« Talaith schnappte den Arm ihrer Tochter, bevor diese losgehen konnte – das Mädchen bewegte sich blitzschnell. »Ich bin sicher, er hat es schon vergessen. Aber es so zu betonen …«
Izzy schloss die Augen. »Ich bin nicht gut darin, was?«
»Izzy, du hast die letzten neun Jahren mit drei harten Soldaten zusammengelebt. Du machst das gut.« Nur ihr Eifer riss sie ständig mit. »Achte einfach auf deine Zunge und versuche nachzudenken, bevor du sprichst.«
Izzy nickte. Plötzlich beugte sie sich vor, umarmte Talaith und küsste sie auf die Wange, dann löste sie sich wieder von ihr.
Mutter und Tochter lächelten einander an, bevor Izzy davonhüpfte und sich auf die Suche nach weiteren Leuten machte, die sie versehentlich beleidigen konnte.
Brastias beobachtete die Besucher des Festes genau. Natürlich sollte er ein Partygast sein wie alle anderen, doch die beiden Assassinen, die ausgeschickt worden waren, um seine Königin zu töten, hatten ihn überaus misstrauisch gemacht.
Laut Morfyd, die ihn um sein Stillschweigen gebeten hatte, war Talaith eine von diesen Assassinen. Es überraschte ihn, dass sie noch lebte und sogar anscheinend zur besten Freundin der Königin und ihrer Schlachtenmagierin geworden war. Er hatte keine Ahnung, warum. Sowohl Annwyl als auch Morfyd bestanden darauf, dass sie ein Opfer der Umstände gewesen sei. Vielleicht. Brastias wusste es nicht genau. Aber er musste widerstrebend zugegeben, dass er Talaith inzwischen auch gern hatte. Vor allem mochte er ihre laute, schwatzhafte Tochter.
Bisher hatte Fearghus niemand erzählt, wie Talaith zu ihrer kleinen Gruppe gestoßen war, und er war so glücklich, Annwyl wiederzuhaben, dass er auch nicht nachfragte.
Es wird nicht lustig, wenn er es herausfindet.
Denn er würde es herausfinden. Er fand alles heraus.
»Kannst du mal damit aufhören, General?«
Brastias sah Danelin an. »Was meinst du?«
»Wenn du die Gäste noch ein bisschen mehr anstarrst, wirst du sie dazu bringen, sich auszuziehen und sich vorzubeugen.«
Brastias kicherte. »Bin ich so durchschaubar?«
»Aye, Sir. Übrigens« – er deutete durch den Raum – »ist da eine, bei der ich mir sicher bin, dass sie nichts dagegen hätte, wenn du sie um einen Tanz bitten würdest.«
Brastias sah in die Richtung, in die sein Stellvertreter blickte, und sein Blick fiel auf Morfyd. Heute Abend trug sie nicht ihre üblichen Hexengewänder. Stattdessen hatte sie ein funkelndes weißes Kleid mit tiefem Ausschnitt an, und ihre weißen lockigen Haare, die über und über mit weißen und silbernen Blumen durchflochten waren, fielen offen auf ihre Schultern und über ihren Rücken.
Es war definitiv das Schönste, was er in seinem ganzen Leben gesehen hatte.
»Na los, Sir.« Danelin gab Brastias einen Schubs mit der Schulter, und Brastias hätte ihn beinahe mit dem Schwert niedergeschlagen.
Stattdessen knirschte er mit den Zähnen. »Ich gehe ja schon. Dränge mich nicht!«
Tief Luft holend, ging er über die Tanzfläche auf Morfyd zu. Heute Abend würde er sie um einen Tanz bitten. Das Schlimmste, was sie sagen konnte, war Nein. Doch im Moment wollte er noch positiv denken. Sie würde Ja sagen, weil er wollte, dass sie Ja sagte.
Er trat vor sie. »Lady Morfyd.«
Sie grinste. »Lady Morfyd? Ist das nicht ein bisschen formell zwischen alten Freunden?«
Freunde? Er wollte nicht, dass sie Freunde waren. Eigentlich war er es leid, ihr Freund zu sein.
»Na ja, genau das ist es …« Doch bevor er seinen Satz beenden konnte, klatschte ihm eine große Hand auf den Rücken, sodass er fast gegen Morfyd fiel.
»Brastias, alter Freund!«
Mit finsterem Blick drehte er sich um und stand vor Gwenvael. Dieser war in einen Umhang und Felle gehüllt, das Gesicht fast vollständig unter der Kapuze verborgen; offensichtlich war er gerade erst angekommen. »Ich hatte keine Ahnung, dass heute Abend eine Party stattfindet! Gut, dass wir uns gewaschen haben, bevor wir uns verwandelt haben und herkamen.«
Gwenvael, der natürlich nicht einmal bemerkte, was er da gerade unterbrochen hatte, schob Brastias aus dem Weg, damit er seine Schwester auf die Wange küssen konnte.
»Du siehst heute Abend sehr schön aus, Schwester.«
Die sonst so verschlossene und beherrschte Morfyd überschlug sich förmlich, als sie den Arm ihres Bruders ergriff. »Bist du allein?«, fragte sie eindringlich.
Stirnrunzelnd antwortete er: »Nein. Ich habe Briec und Éibhear dabei. Warum?«
Sie wippte auf den Zehenspitzen: »Wo? Wo sind sie?«
Er deutete zum anderen Ende des Raums. Éibhear wirkte fröhlich und gutmütig wie immer. Und Briec sah aus, als wäre er lieber woanders – auch wie immer. Sie hatten beide die Kapuzen ihrer Umhänge über die Köpfe gezogen, sodass ihre Gesichter fast ganz im Dunkeln waren. Doch Brastias kannte sie gut genug, um zu erkennen, wer wer war. Und Brastias wusste aus Erfahrung, dass Briec wieder gehen würde, sobald er mit Fearghus gesprochen hatte. Wenn er es sich recht überlegte, war Briec vorher nur einmal hier gewesen. Und zwar als er und seine Sippe hergekommen waren, um Annwyl zu überzeugen, zu ihrem Gefährten zurückzukehren, nachdem sie ein Jahr voneinander getrennt gewesen waren. Sonst trafen sich die Brüder immer in den Dunklen Ebenen. Seltsam, dass er jetzt hier war. Die Informationen, die sie hatten, mussten extrem wichtig sein, wenn er diese Reise machte.
Es wurde ein schnelleres Lied gespielt, und einer von Iseabails Beschützern hob sie hoch und schwenkte sie auf der Tanzflächer herum. Sie quietschte aufgeregt, als er sie an einen anderen ihrer Beschützer weiterreichte und der an den Dritten.
Er bewunderte diese Männer. Sie hatten sich neun Jahre lang gut um das Mädchen gekümmert. Er war sich sicher, dass sie dafür gesorgt hatten, dass sie zu essen hatte, auch wenn sie selbst hungern mussten. Ihre Kleidung und Rüstungen hätten eine Reparatur nötig gehabt, doch Iseabails Kleider waren immer sauber und gut gepflegt. Und wehe dem, der ihr zu nahe kam, ganz zu schweigen davon, ihr etwas antun zu wollen. Nein, das Mädchen hätte nicht in besseren Händen sein können, bis sie zu ihrer Mutter zurückkehren konnte.
Einer der Beschützer streckte die Hand in die Menge und zog die schüchterne und peinlich berührte Talaith mit auf dieTanzfläche. Da hörte er Gwenvael überrascht nach Luft schnappen.
»Aber, warte mal … das ist …«
Seine Schwester umklammerte seinen Arm fester, sodass er schmerzlich das Gesicht verzog. »Ich weiß, ich weiß!« Das Wippen auf den Zehenspitzen wurde entschieden hektischer. Morfyd hatte eine Schwäche für Klatsch und Tratsch.
Brastias wandte sich wieder um und beobachtete Talaith. Die Beschützer hoben sie nicht hoch wie ihre Tochter, sondern schwangen sie sie einmal herum und reichten sie dann untereinander weiter. Sie lachte, auch wenn ihr Gesicht vor Verlegenheit dunkelrot anlief, weil ihr bewusst war, dass alle sie beobachteten. Manche allerdings mit entschieden mehr Anspannung als andere.
Vor allem Briec. Er trat aus der Menge heraus und starrte sie so intensiv an, dass Brastias unwillkürlich den Atem anhielt und wartete, dass Talaith ihn bemerken würde.
Sie bemerkte ihn auch … in dem Moment, als sie ausrutschte und mit dem Gesicht voran mit voller Wucht gegen seine Brust knallte. Lachend nahm sie seine Arme und schob sich von ihm weg. Höchstwahrscheinlich murmelte sie eine Entschuldigung, wie es ihre Art war. Doch als sie in das Gesicht des Mannes blickte – beziehungsweise das des Drachen –, der sie festhielt, erstarrte sie.
Die beiden blieben wie angewurzelt stehen und starrten sich an. Bis Briec endlich das Wort ergriff.
»Du hast mich verlassen!«
Das war kein wütender Vorwurf. Auch kein Schrei. Es war ein Brüllen. Und zwar so laut, dass es die Grundfesten der Burg erschütterte. Die Musik erstarb. Der Tanz endete. Selbst Fearghus war so überrascht, dass er Annwyl, die gerade fröhlich auf seinem Schoß gesessen hatte, auf den Hintern fallen ließ.
»Also?« Wieder dieses Brüllen.
Talaith hatte sich rasch wieder erholt, und offensichtlich schäumend vor Wut entriss sie Briec ihre Arme. »Wag es ja nicht, mich anzuschreien!«
»Du kannst ganz ruhig sein. Du bist einfach verschwunden!«
»Ich hatte noch eine andere Verabredung, die nichts mit dir zu tun hatte!«
Sie wandte sich ab, doch Briec griff wieder nach ihrem Arm. »Und dann sagst du nichts? Du schleichst dich einfach fort?«
»Warum sagst du nicht einfach, was du meinst? Dich stört doch nicht, dass ich dich verlassen habe! Dich stört, dass ich dich verlassen habe! Der großartige Briec der Arrogante – verlassen ausgerechnet von einer Bäuerin!« Sie riss ihren Arm los. »Wie demütigend für dich«, schnaubte sie mit genug Gift in der Stimme, um eine ganze Kleinstadt auszulöschen.
»Du scheinst zu vergessen, M’lady … du gehörst mir!«
Knurrend gab sie zurück: »Ich gehöre niemandem. Vor allem nicht dir!«
Rabenschwarzer Rauch kräuselte sich aus Briecs Nasenlöchern, doch da waren seine Brüder zur Stelle. Fearghus packte ihn fest im Nacken. »Lass uns irgendwo hingehen und reden, Bruder.«
»Wir sind noch nicht fertig!« knurrte er, ohne den Blick von Talaith abzuwenden.
»Oh doch«, beharrte Fearghus und schob Briec auf das große Tor zu; Gwenvael und Éibhear folgten ihren Brüdern.
Annwyl gab den Musikern ein Zeichen weiterzuspielen. Dann winkte sie Talaith und Morfyd mit dem Zeigefinger, ihr zu folgen.
Brastias sah Morfyd und Talaith nach, als sie mit Annwyl verschwanden, und seufzte schwer.
Werde ich je auch nur eine Sekunde mit dieser Frau allein sein dürfen?
Sie verließen die Burg und hielten erst an, als sie den Wald erreichten. Briec schlug Fearghus’ Hand von seinem Nacken. Das Letzte, was er im Moment wollte, war, dass jemand ihn anfasste.
»Du musst dich beruhigen, Bruder«, warnte Fearghus sanft.
»Und du musst zur Hölle fahren.«
Éibhear, der Friedensstifter, trat zwischen sie. »Beruhigt euch mal alle. Ich bin sicher, dass es eine logische Erklärung für all das gibt. Oder, Fearghus?«
Fearghus war wie immer die Ruhe selbst und starrte seinen jüngsten Bruder an, als sei er einfältig. »Woher zum Teufel soll ich das wissen? Ich habe keine Ahnung, was hier los ist!«
Gwenvael lehnte sich süffisant lächelnd an einen Baum. Briec hätte ihm am liebsten das Gesicht abgerissen. »Brüderchen hat eine Frau in Besitz genommen.«
»Talaith?«, fragte Fearghus verwirrt. »Diese Menschenfrau?«
»Ich habe sie nicht in Besitz genommen!«
Gwenvael rutschte mit dem Rücken an dem Baum herab und hockte sich hin, rupfte Grashalme ab und riss sie der Länge nach mit den Fingerspitzen in zwei Teile. »Auf jeden Fall benimmst du dich so.«
Der Mistkerl hatte recht. Aber Briec konnte nicht anders. Er hatte den Rittersaal seines Bruders betreten, um ihm die gewünschten Informationen zu überbringen und wieder zu gehen. Er war nicht in Stimmung für eine Party, daher hatte er nicht vorgehabt zu bleiben. Doch da war sie gewesen. Direkt vor ihm – in den Armen eines anderen Mannes. Mehrerer anderer Männer, die mit ihr tanzten, um genau zu sein. Sie trug ein dunkelblaues Samtkleid, das ihr eindeutig sehr gut stand. Ihre schwarzen Locken waren mit Blumen durchflochten, die dieselbe Farbe hatten wie ihr Kleid. Sie sah so schön aus. Sie sah … glücklich aus, vollkommen sorglos. Die ganze Zeit über, die sie zusammen verbracht hatten, hatte sie nie so entspannt ausgesehen, nur wenn sie in seinen Armen geschlafen hatte.
Was machte er falsch, was andere richtig machten?
Fearghus verschränkte die Arme vor der Brust. »Wer ist sie überhaupt?«
»Weißt du das nicht?« Es sah seinem Bruder gar nicht ähnlich, nicht zu wissen, wer in seine Höhle gekommen war.
»Ich habe Annwyl nach ihr gefragt, aber da wurde die offenste und direkteste Frau, die ich je getroffen habe, plötzlich überraschend vage. Genau wie Morfyd. Und ich hatte noch nicht viel Zeit, um Einzelheiten herauszufinden.« Hauptsächlich, weil Fearghus damit beschäftigt gewesen war, Annwyl zu vögeln.
»Briec hat sie in einem kleinen Dorf außerhalb von Madron gefunden.« Éibhear schob die Kapuze seines Umhangs zurück. »Er hat sie entführt.«
»Ich habe sie gerettet. Erzähl es wenigstens richtig!«
»Warum hat sie dich verlassen?«
»Glaubst du, das weiß ich? Glaubst du, ich habe auch nur die leiseste Ahnung, warum ich aufgewacht bin und festgestellt habe, dass sie fort war?«
»Vielleicht hatte sie die ganze Zeit einen anderen Mann.« Er hätte Gwenvael töten können, aber ihre Mutter hätte ihm das nie verziehen. »Vielleicht ist sie zu ihm zurückgegangen und hat nur so lange gewartet, bis du ihr genug vertraust.«
»Sie ist nicht wegen eines Mannes gegangen«, sagte eine weibliche Stimme aus dem Schutz der Bäume heraus. »Sie ist wegen mir gegangen.«
Gwenvael grinste. »Jetzt wird’s interessant.«
»Ich bringe dich auf der Stelle um, Bruder!«
»Schrei mich nicht an, nur weil deine Frau … eine Frau hat.«
»Ich will, dass ihr beide sofort damit aufhört«, befahl Fearghus ruhig. »Ich meine es ernst.«
Die Bäume raschelten ein wenig, und ein groß gewachsenes, aber sehr junges, braunhäutiges Mädchen trat hervor. Selbst in der Dunkelheit der Nacht, und obwohl der Vollmond fast vollständig von den Bäumen abgeschirmt wurde, konnte Briec das Mädchen deutlich sehen. Er schnappte verblüfft nach Luft.
»Bei den Göttern …«
Fearghus machte eine Handbewegung zu dem Mädchen hin. »Alles in Ordnung, Izzy. Sie sind harmlos.« Das Mädchen kam näher, und Fearghus stellte sie vor. »Ihr degenerierter Haufen, das ist Iseabail … Tochter der Talaith.«
Wie hätte es auch anders sein können? Sie sah genauso aus wie sie. Nur dass ihre Augen von einem viel helleren Braun waren, ebenso wie ihr Haar, und dass sie ein gutes Stück größer war. Abgesehen davon waren sie Mutter und Tochter.
»Sie hat mir nie von einer Tochter erzählt.«
Gwenvael schnaubte. »Ich sehe schon, du hast da eine wundervolle Vertrauensbasis geschaffen, Bruder.«
»Das ist nicht fair«, fauchte das Mädchen. Sie sah Briec an. »Sie konnte es dir nicht sagen. Sie konnte es dir wirklich nicht sagen.«
»Warum nicht?«
Sie trat näher, und Briec sah, wie jung sie tatsächlich war. »Sie hat mich beschützt. Und bis zu einem gewissen Grad auch sich selbst. Ihr wäre etwas angetan worden, wenn sie dir etwas erzählt hätte.«
»Wer hätte das tun sollen?«
»Arzhela.«
Gwenvael stand auf. »Die Göttin?«
Sie nickte. »Es ist kompliziert.«
»Es ist ja nicht so, dass wir heute Abend noch irgendwelche Pläne hätten«, neckte Éibhear. Iseabail lächelte, aber ihre Augen wurden groß, als plötzlich das Mondlicht durch die Blätter auf Éibhear fiel.
»Sind deine Haare blau?«
»Äh …«
»Darf ich sie flechten?«
»Nein!«
»Izzy.« Fearghus lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Konzentrier dich, Mädchen.«
Sie seufzte. »Wollt ihr wirklich, dass ich es erzähle?« Die Drachen nickten. »Es wird euch nicht gefallen.« Ihre hellen Augen huschten zu Fearghus hinüber. »Vor allem dir wird es nicht gefallen.«
»Warum vor allem mir nicht?«
»Weil es deine Gefährtin war, die zu töten ihr Auftrag war.«
»Du … und Briec?«
»Das fragst du mich jetzt schon zum achten Mal!«
»Aber es ist einfach …« Annwyl starrte sie mit offenem Mund an. »Du … und Briec?«
Talaith stolzierte kopfschüttelnd zum Fenster von Annwyls Schlafzimmer. Das musste wohl das größte Schlafzimmer sein, das sie je gesehen hatte. Offensichtlich brauchte es einiges, damit Fearghus der Zerstörer Zeit auf Garbhán verbrachte.
»Also, wie ist er so?«
»Das weißt du nicht? Er gehört zu deiner Familie!« Es gab einiges, was sie nicht von Briec gewusst hatte. Sie hatte geglaubt, Morfyd, Fearghus und Briec seien lediglich alle Drachen. Dieselbe Rasse. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass sie alle zur selben Familie gehörten. Zur selben Sippe, wie Briec sagen würde.
Annwyl lachte. »Das muss ein Witz sein. Er hasst mich.«
»Du hast ihn geschlagen«, schalt Morfyd.
»Er war mir im Weg.«
»Nein, war er nicht.«
»Aber fast.«
Talaith vergrub das Gesicht in den Händen. »Das ist ein Albtraum!« Sie blickte Morfyd anklagend an. »Du hast gesagt, dass er nie hierher kommt!«
»Normalerweise tut er das auch nicht. Und schrei mich nicht an!«
»Also hasst du ihn?«
Wütend wirbelte Talaith zu Annwyl herum. »Ich hasse ihn nicht!«
Verwirrt kratzte sich Annwyl am Kopf. »Was ist dann das Problem?«
»Alles!«
»Warum machst du es so kompliziert, Talaith? Wenn du ihn noch willst, dann sei mit ihm zusammen.«
»Ich kann nicht. Ich muss an Izzy denken.«
»Wie lange willst du sie noch als Ausrede vorschieben?«
Talaith wandte sich vom Fenster ab und sah Morfyd an. »Wie bitte?«
»Sie ist sechzehn Winter, Talaith. Bald wird sie versuchen herauszufinden, was sie mit ihrem Leben anfangen will. Vielleicht hier helfen, oder sie lernt jemanden kennen und will eine Familie gründen. Seien wir ehrlich, selbst mit ihrem Nolwenn-Blut wird sie nie eine Hexe. Sie hat absolut keine Macht.«
»Das ist meine Schuld«, seufzte Talaith. »Ich hätte Zauber wirken müssen. Opfer bringen.«
»Hast du nicht genug geopfert?«, fragte Annwyl und brachte Talaith damit zum Schweigen.
»Na ja«, fuhr Morfyd fort, »sie scheint es nicht zu vermissen, also würde ich mir keine allzu großen Sorgen machen. Aber du kannst dein Leben nicht nach ihr richten, denn sie wird bald ein eigenes Leben beginnen. Was willst du dann machen? Hierbleiben und einsam sein? Vielleicht die Frau von einem der Ritter werden? Willst du das wirklich?«
Alles, was sie wollte, war Briec. Sie würde Briec immer wollen.
»Briec ist keine Option.«
»Warum nicht?«
Sie blickte Morfyd finster an. »Weil er sehr deutlich gemacht hat, dass ich nur etwas Vorübergehendes bin. Ein Zeitvertreib.«
Annwyl warf sich in einen großen Ohrensessel. »Er hat sich aber nicht so verhalten, als wärst du etwas Vorübergehendes. Er hat sich verhalten, als hättest du ihm das Herz gebrochen.«
Talaith schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein.«
»Er sah aus, als hättest du ihm das Herz aus der Brust gerissen, es auf den Boden geworfen und darauf herumgetrampelt und dabei ein fröhliches Lied gesungen.« Annwyl zuckte die Achseln über Morfyds amüsierten Gesichtsausdruck. »Es könnte sein, dass ich diesen Gesichtsausdruck schon vorher einmal bei seinem Bruder gesehen habe.«
»Vielleicht, als du fast unseren Vater erstochen hättest?«
Annwyl lachte. »Nein. Da sah er nur stolz aus.«
»Er wird es nie verstehen«, seufzte Talaith. »Er wird mich für das hassen, wofür ich zu dir geschickt wurde.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ihm ehrlich nichts ausmachen wird. Der Einzige, dem es etwas ausmachen wird, ist Fearghus. Und ich habe nicht die Absicht, ihm irgendetwas zu erzählen, also …«
Die drei Frauen zuckten zusammen und Annwyl wurde das Wort abgeschnitten, als Fearghus die Tür eintrat.
Annwyl stand auf. »Was zum Teufel ist los mit …«
»Alle raus! Auf der Stelle!«
Morfyd zögerte nicht. »Nacht miteinander.« Und schon war sie wie der Blitz durch die zersplitterte Tür hinausgehuscht.
Talaith konnte sich vorstellen, was Fearghus erfahren hatte, und sie würde nicht hier stehenbleiben und warten, dass er seine Wut an ihr ausließ. Sie nickte den beiden zu, eilte an ihnen vorbei und zur Tür hinaus. Doch kaum hatte sie den Flur betreten, packte Briec ihren Arm und zog sie davon. Das Letzte, was sie sah, war ihre Tochter – gute Götter, was hatte sie ihnen nur erzählt? –, die ihr mit einer Hand zuwinkte und gleichzeitig mit der anderen nach Éibhears blauen Haaren griff. Erschrocken schlug der ihre Hand weg, bevor er durch den Flur davonrannte.
Dann stieß Briec eine Tür auf und schob sie in ein Schlafzimmer. Bis sie sich umgedreht hatte, hatte er schon die Tür verschlossen und den Schlüssel ins Feuer geworfen, das in dem kleinen Kamin in der Wand brannte.
Mistkerl.