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1»Komm mit!«, befahl er.

Große braune Augen blickten langsam und überrascht zu ihm auf. Dann murmelte sie, fast zu sich selbst: »Gute Götter, jetzt bewegen sich die Bäume schon von selbst.«

»Wie bitte?«

»Nichts. Ich meine nur deine ziemlich … unglaubliche Größe.«

Er sah an seinem menschlichen Körper hinab. Eigentlich fand er ihn selbst ziemlich klein, fast kümmerlich … wie die meisten Menschen. Und sie fand er geradezu winzig.

Kopfschüttelnd beschloss er, das alles später zu ergründen.

»Komm mit mir.« Er lächelte. »Ich begehre dich.«

Wie konnte es auch anders sein? Sie war schön. Eindeutig aus Alsandair: Ihre weiche braune Haut erzählte ihm von vielen Vorfahren, die unter den heißen Wüstensonnen gelebt hatten. Ihre Haare waren allerdings dunkler als bei den wenigen Wüstenmenschen, die er in seinem langen Leben gesehen hatte. Sie waren fast schwarz, ein Gewirr aus weichen, seidigen Locken, die ihr über den Rücken fielen und hinunter bis zu ihrem seiner Meinung nach unglaublichen Hintern.

»Das ist … äh … ganz reizend. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Ehemann ein Problem damit hätte.« Sie versuchte, um ihn herumzugehen, doch er versperrte ihr den Weg.

»Ehemann?«

»Aye. Ehemann.«

»Dieser Beschränkte, der dir gefolgt ist? Ich dachte, das sei dein Diener.«

Sie schnaubte, dann senkte sie rasch den Blick. Mit ihrer kleinen Hand hielt sie sich den Mund zu und schwieg mehrere Sekunden. Schließlich sah sie wieder zu ihm auf, aber er konnte das Lachen in ihren Augen erkennen. »Ja. Das ist er. Aber er ist mein Mann. Nicht mein Diener. Obwohl, an manchen Tagen …« Er erwartete, dass sie sich für ihren Gefährten beleidigt fühlte. Das tat sie nicht. Gut. Das ließ hoffen.

»Tja, du hast etwas Besseres verdient. Du verdienst mich. Also komm mit mir.«

Ihr Lächeln entfaltete sich langsam, aber als es zu einem satten Grinsen geworden war, meinte er, seine weichen menschlichen Knie würden nachgeben. So etwas Schönes hatte er noch nie zuvor gesehen.

»Du meine Güte. Da steckt aber eine Menge Arroganz in diesem großen Körper. Wie kommst du mit diesem Kopf durch Türen?«

»Ich bin arrogant, weil ich dir mehr bieten kann als dieser Schwächling. Ist das Arroganz oder Ehrlichkeit?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wer bist du?«

»Komm mit und finde es heraus.«

»Nein, nein. Ich werde heute mit keinem fremden Ritter davonlaufen. Auch wenn ich das Angebot zu schätzen weiß.«

Sie ging um ihn herum und murmelte dabei vor sich hin: »Ich werde diesen Tag in meinem Tagebuch niederschreiben müssen.«

Er konnte sie nicht gehen lassen. Er konnte jede andere Menschenfrau bekommen. Aber diese hier fand er absolut faszinierend. Vielleicht war es die Art, wie sie den Bäcker anfauchte, der sich anfänglich weigerte, sie zu bedienen. Sie war schon auf dem ganzen Markt ähnlich behandelt worden. Sie schienen sie alle zu fürchten, aber er wusste nicht recht, warum. Magie umgab sie, aber diese war ungenutzt, fast brachliegend. Ein normaler menschlicher Bauer hätte niemals von ihr wissen oder sie sehen können. Sie war auch nicht als Hexe gekennzeichnet wie seine Schwester und so viele andere Frauen mit Macht. Nichts beeinträchtigte dieses schöne Gesicht. Warum alle sie also zu hassen schienen, war ihm ein Rätsel.

»Warte.«

Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm um. »Ja?«

»Du bist hier nicht sicher.«

»Na, das ist ja mal ein ganz neuer Ansatz!«

»Ich scherze nicht. Siehst du es nicht?« Er blickte zu den Verkäufern, die sie beobachteten. »Sie verachten dich. Sie fürchten dich.«

Er kannte diese Art von Furcht. Er sah sie jedes Mal, wenn er über eine Siedlung flog oder ein Bataillon zu dicht an seinem Territorium entdeckte. Um ganz ehrlich zu sein … er liebte diese Furcht.

Das Lächeln schwand von ihrem Gesicht, und sie zog den abgetragenen Umhang, den sie gerade umgelegt hatte, enger um sich. Sie verdiente etwas Besseres als diese hässlichen Kleider. Dieser Körper verdiente die feinste Seide und Wolle als Hülle.

»Meinst du, das weiß ich nicht schon lange? Meinst du, du erzählst mir etwas Neues und Schockierendes?«

»Warum bleibst du dann?«

Er sah es. In ihren Augen. Eine überwältigende Müdigkeit, gepaart mit Furcht. »Weil ich keine Wahl habe.«

»Man hat immer eine Wahl.«

»Ritter wie du vielleicht. Aber ich habe nicht so viel Glück.«

Der, den sie ihren Ehemann nannte, kam aus der Dorfschenke und starrte sie beide finster an. »Komm jetzt!«, bellte er sie an.

»Aye«, rief sie zurück. Sie sah Briec an und lächelte. »Ich habe unser Gespräch genossen, Ritter. Es war nett, mit jemandem zu reden, der …«

»… vollständige Sätze bilden kann?«

Das Grinsen kehrte zurück, und für einen Augenblick blieb ihm buchstäblich das Herz stehen. »Nein. Es war nett, endlich jemanden zu treffen, mit dessen Arroganz es nur die Götter aufnehmen können. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest …« – sie beugte sich vor und flüsterte freundlich – »mein Diener wartet.«

Sie zwinkerte ihm zu und ging davon. Und er wusste, dass es egal war, an wen sie sich band, er würde sie haben … zumindest bis er genug von ihr hatte.

 

Sie stellte das Essen vor ihren Mann hin und wandte sich zum Gehen. Aber er hielt sie am Handgelenk fest und zerrte sie auf seinen Schoß. Sie wehrte sich nicht. Sie wusste, dass es nicht nötig war.

Seine Lippen berührten ihren Nacken, und sie schluckte ihren Widerwillen hinunter. Sie beschloss, an etwas anderes zu denken, um sich abzulenken, und sofort leuchteten ungewöhnlich veilchenblaue Augen vor ihrem inneren Auge auf. Sie hatte nicht gewusst, dass es in diesen unbedeutenden nördlichen Siedlungen Männer dieser Größe gab. Seit sechzehn Jahren lebte sie nun hier, und es kam ihr vor, als verließen alle Männer, die größer waren als sie, das Dorf, um Soldaten oder Burgwächter zu werden. Die Restlichen waren weder sehr groß noch besonders gutaussehend.

Ach, aber dieser Ritter … bei den Göttern, er war absolut umwerfend. Da er von Kopf bis Fuß in diesen teuren Umhang gehüllt war, hatte sie nur diese schönen veilchenblauen Augen und dieses Gesicht sehen können. Götter, dieses Gesicht!

Unverschämt arrogant war er außerdem. Aber er amüsierte sie. Vor allem, weil sie nicht täglich mit ihm leben musste. Wenn es so wäre, würde sie ihn womöglich im Schlaf umbringen – aber natürlich erst, wenn sie genug von ihm hatte.

Dennoch hätte sie nie mit ihm sprechen sollen. Es kamen nicht oft Fremde durch dieses kleine Dorf, und in den letzten drei Jahren war es noch schlimmer geworden. Obwohl eine der Hauptreiserouten in der Nähe – weniger als einen Tagesmarsch entfernt – vorbeiführte, kamen die Händler und Reisenden, die früher oft gekommen waren, jetzt nicht mehr.

Die aus dem Dorf hatten in letzter Zeit angefangen, ihr die Schuld daran zu geben, dass kein Gold mehr von außen kam. Natürlich machten sie sie in letzter Zeit für alles verantwortlich. Eine Kuh starb … ihre Schuld. Ein Kind bekam das Gehirnfieber … ihre Schuld. Eine der Dorffrauen verstauchte sich den Knöchel …

Anscheinend war alles ihre Schuld. Meine Güte, sie hatte gar nicht gewusst, dass sie solch unglaubliche Kräfte besaß.

Aye, die fehlende Freundlichkeit der Dorfbewohner machte es ihr leicht, mit dem Ritter aus fremden Landen zu sprechen, aber es war auch ein gefährliches Risiko. Er würde es nicht für nötig halten, sie zu beschützen oder die Bande ihres Ehebetts zu respektieren. Dennoch konnte sie einfach nicht anders. Er war so unglaublich lächerlich gewesen, dass sie lächeln musste. Und, die Götter wussten es, sie lächelte nicht oft.

Sie bezweifelte, dass sie ihn je wiedersehen würde, aber es würde eine hübsche Erinnerung bleiben, an der sie sich festhalten konnte.

Endlich stieß ihr Mann sie mit einem wütenden Knurren von sich.

»Elendes Miststück, was hast du mit mir gemacht?«

Sie musste sich zurückhalten, um nicht verdrießlich aufzuseufzen. Dieses Gespräch war schon vor zehn Jahren lästig gewesen, jetzt wurde es langsam unerträglich.

»Ich weiß nicht, was du meinst, mein Ehemann.«

Er stand auf und warf dabei den Stuhl um. »Verlogenes Miststück! Du hast mich verhext oder so etwas! Ich komme in deine Nähe, und …« Er knirschte mit den Zähnen und warf einen Blick hinunter in seine Leistengegend.

»Ich verstehe nicht, mein Ehemann.« Sie konnte ihren Sarkasmus kaum beherrschen. »Ich denke, viele Damen hatten das Glück zu erleben, was für ein Hengst du im Bett bist. Ich hatte angenommen, dass du lediglich meiner überdrüssig bist.«

Dann war er da, die Hand erhoben. Sie wich nicht zurück, denn genau das wollte er erreichen. Doch sie wusste, dass er es nicht zu Ende bringen würde. Er hatte sie nur ein Mal geschlagen und schnell gelernt, es nie wieder zu tun. Seit damals sah er sie an, als wäre sie ein leibhaftiger Dämon.

Genau wie jetzt.

Da er kein Risiko eingehen wollte, warf er nur den Esstisch um und stürmte hinaus in die Nacht. Morgen würde er mit gemurmelten Entschuldigungen zurückkehren, und in ein oder zwei Monaten würde es von vorn losgehen.

Seit sechzehn Jahren sah so ihr Leben aus, und es würde auch weiterhin ihr Leben sein, bis ans Ende aller Tage.

Mit einem Seufzen stellte sie den Tisch wieder auf, räumte das Durcheinander auf, aß ein wenig von ihrem eigenen Abendessen – ohne die Kräuter, die sie ins Essen ihres Mannes getan hatte –, wusch sich den Schmutz des Tages vom Körper, zog ihr weißes Nachthemd an – nachdem sie den Dolch festgemacht hatte, der an ihren Oberschenkel geschnallt war – und kroch schließlich ins Bett.

Während sie in den Schlaf hinüberglitt, dachte sie an veilchenblaue Augen und arrogante Männer in Kettenhemden.