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7»Wo zum Teufel sind die Sonnen?«

Talaith hob den Kopf von ihrem Buch, als sie Briecs wütenden Schrei hörte, der irgendwo aus der Höhle drang.

Gwenvael, der am Tisch eingeschlafen war, fuhr auf und schrie: »Ich habe sie nicht angerührt!«

Éibhear seufzte angewidert. »Du schaffst es irgendwie immer, peinlich zu sein.« Er stellte eine Schüssel heißen Haferbrei vor Talaith hin. Wann er kochen gelernt hatte, würde sie wohl nie erfahren, aber sie wusste seine Künste zu schätzen. Er schaffte es, sogar aus langweiligem Haferbrei eine Köstlichkeit zu machen.

Gwenvael blickte finster auf die Schüssel Haferbrei hinab, die vor ihn hingeworfen wurde. »Haferbrei? Du willst, dass ich Haferbrei esse?« Er sah zu Éibhear auf. »Hast du den gestrigen Abend vergessen? Wo ist das Pferd hingekommen, das ich gefunden habe?«

Talaith, die ihre Empörung nicht verbergen konnte und auch gar nicht verbergen wollte, sah Gwenvael entsetzt an.

Éibhear räusperte sich und warf seinem Bruder einen wütenden Blick zu. »Das Pferd, mein lieber Idiot von Bruder, befindet sich sicher und lebend irgendwo anders.«

»Komm schon, Talaith«, flehte Gwenvael. »Es macht dir doch nichts aus, wenn wir …«

»Doch. Zufällig macht es mir etwas aus.«

Er schenkte ihr seinen schönsten flehentlichen Blick. »Aber Talaith … meine Liebe.«

»Gwenvael …«, äffte sie ihn nach, »… meine Nervensäge.«

Éibhear lachte laut, als Briec, nur mit einer schwarzen Hose und Stiefeln bekleidet, die Kammer betrat. Muss er unbedingt so … lecker aussehen? Er setzte sich auf einen der Stühle Talaith gegenüber, schleuderte seine Füße auf den Tisch, schob seinen Haferbrei weg und nahm sich ein Stück Obst. Das alles, während er sie finster ansah.

Sie starrte zurück, dann sagte sie: »Was schaust du so?«

Er machte eine Handbewegung in Richtung Decke. »Bist du dafür verantwortlich?«

Sie warf einen Blick an die felsige Decke. Sie war eigentlich ziemlich hübsch mit den funkelnden Scherben, die von ihr herabhingen. Natürlich musste sie sofort daran denken, dass sie ihr auf den Kopf fallen könnten, und plötzlich sahen sie wie gefährliche Klingen aus. Sie schüttelte das beängstigende Bild ab und sah wieder den immer noch finster dreinblickenden Briec an. »Ich habe nichts mit der Decke gemacht.«

»Nicht die Decke«, blaffte er. »Das Wetter!«

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Habe ich durch die Gegenwart von Drachen eine Art gottähnlichen Status bekommen, von dem ich nichts weiß?«

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Éibhear den Kopf über seinen Haferbrei senkte und hektisch zu schaufeln begann, während Gwenvael einfach laut loslachte.

Briec ignorierte seine Brüder und richtete einen anklagenden Finger auf sie. »Du bist die Hexe!«

»Eine ungeübte, wie du so eloquent festgestellt hast. Abgesehen davon: Warum sollte ich mit dem Wetter spielen und den Zorn der Götter riskieren?« Als müsste sie sich darüber nicht sowieso schon genug Sorgen machen.

»Vielleicht, weil du nicht gehen willst? Du scheinst dich bei meinen Brüdern sehr wohl zu fühlen, kleine Hexe.«

Sie beugte sich vor, lächerlich wütend, und genoss es in vollen Zügen. Aus unerfindlichen Gründen fühlte sie sich vollkommen sicher, wenn sie mit diesem Drachen stritt – merkwürdig. »Weil deine Brüder mich nicht angetatscht oder versucht haben, mich nackt zu sehen.«

Gwenvael zuckte mit seinen breiten Schultern. »Um ehrlich zu sein …«

Allein über seinen Tonfall verärgert, schnappte sich Talaith eine der Früchte aus der Schale neben ihrem Teller und warf sie – zielsicher wie immer. Die große, runde, saftige Frucht krachte mit voller Kraft gegen Gwenvaels Kopf.

»Au! Wofür war das denn?«

»Ein Versehen«, knurrte sie.

»Gut gezielt«, grummelte Briec. »Für eine fügsame, kleine Ehefrau.«

Sie drehte sich nach ihm um, eine Augenbraue herausfordernd hochgezogen. »Was willst du damit sagen?«

Er knurrte, und sie grinste. Was nur dazu führte, dass der Drache wütend wurde. Aber bevor er noch etwas sagen oder tun konnte, sah Éibhear von seiner leeren Schüssel auf. »Also!«

Erschreckt von seinem beinahe lauten Aufschrei starrten ihn alle an. »Sieht nicht so aus, als würde der Regen nachlassen. Was wollt ihr heute machen, wo wir ja anscheinend hier drin festsitzen?«

Talaith deutete auf das Buch neben ihrer Schüssel. »Ich habe das hier.«

»Du liest?« Aus irgendeinem unerfindlichen Grund schien Éibhear seltsam froh darüber.

»Aye.«

»Sie ist eine belesene Bäuerin«, sagte Briec gedehnt.

»Ich weiß, wo noch mehr Bücher sind.« Éibhear sprang auf und war in Sekunden aus der Kammer verschwunden.

»Aber ich habe schon ein Buch«, sagte sie vor sich hin.

»Ich glaube, er hat das Gefühl, dass du mehr brauchst.«

Ihr Blick richtete sich auf Briec. »Was ich brauche, ist, dass man mich gehen lässt.«

»Warum sollte ich das tun? Hast du irgendwie deine Blutschuld mir gegenüber beglichen, ohne dass ich es bemerkt habe?«

»Ich hatte dich nicht darum gebeten, mich zu retten.«

»Wahrscheinlich, weil der Strick dir die Luft abgedrückt hat.«

»Oh!« Sie stand auf. »Ich hasse dich. Vielleicht solltest du im Regen herumfliegen und dich vom Blitz erschlagen lassen!«

Sie schnappte sich ihr Buch, ignorierte ihren knurrenden Magen, drehte sich um und stürmte aus der Kammer.

 

Gwenvael lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, die Hand unter dem Hemd, damit er sich die Brust kratzen konnte. Mit der anderen Hand rieb er sich die Stirn, wo die Frucht eine ziemlich unangenehme Beule hinterlassen hatte. »Also, warum bist du so besessen von dieser Menschenfrau, Bruder?«

»Sie ist …« Briec rang nach Worten.

»Merkwürdig?«

Briec runzelte die Stirn. »Verglichen womit?«

Sein Bruder hatte recht. Niemand in der Drachenwelt hätte die Sippe der Gwalchmai fab Gwyar als normal bezeichnet.

»Sie vertraut mir nicht«, fügte Briec hinzu.

»Die traut keinem.«

»Fearghus’ Gefährtin vertraut ihm.«

Darum ging es also. Er hatte sich schon gefragt, was Briecs plötzliches Interesse an einer Menschenfrau sollte. Jetzt wusste er es. Er wollte dasselbe wie Fearghus. Doch das zwischen Fearghus und Annwyl war etwas Besonderes. Etwas ganz, ganz Besonderes. »Das ist etwas anderes, Briec. Annwyl ist … na ja … Annwyl. Und würdest du bitte endlich anfangen, ihren Namen zu benutzen?«

»Warum? Sie ist nicht von Bedeutung für mich.«

Es war wohl eher so, dass Briec ihr immer noch nicht verziehen hatte, dass sie ihn bei einem ihrer Wutanfälle geohrfeigt hatte. Was Briec anging, existierte die mächtigste menschliche Königin, die diese Welt in den letzten zehntausend Jahren gekannt hatte, nicht.

»Aber du willst trotzdem das, was Fearghus hat.«

Briec sah von der Obstschale auf, das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Gute Götter! Ich würde mir eher die Augen ausstechen als eine Minute im Bett dieser Frau zu verbringen!«

Götter, seine Familie war manchmal wirklich einfach schwer von Begriff.

»Ich meine nicht, dass du Annwyl willst, Idiot. Ich meine, du willst die Art von Beziehung, die Fearghus mit Annwyl hat.«

Briec zuckte die Achseln und wandte sich wieder seinem Obst zu. Er wählte zwei Früchte aus. »Er scheint mir wirklich …«

»Glücklich?«

»Soweit Fearghus das sein kann.« Richtig. Niemand hielt Fearghus den Zerstörer für eine Stimmungskanone. Diesen Titel hatte immer noch ihr Großvater Ailean inne. Selbst Gwenvael hatte es nicht ganz geschafft, die Exzesse des alten Mistkerls zu übertreffen. Natürlich war das gewesen, bevor Ailean ihre Großmutter kennengelernt hatte – Shalin, die Bändigerin des Ailean. Ein wohlverdienter Titel, den sie bis an ihr Lebensende tragen würde.

»Hör mal, Briec, wenn du so etwas wie Fearghus haben willst, wirst du ein paar … Dinge ändern müssen.«

»Aber sie hat meine Höhle noch nicht einmal gesehen!« Briec nahm sich einen Brocken Käse und Brot. »Vielleicht gefällt sie ihr ja.«

Gwenvael hatte Mühe, seinem älteren Bruder keinen Klaps auf den Hinterkopf zu geben. Auch wenn Briec und er sich nahestanden – egal, wie viel sie stritten –, fand er ihn doch frustrierend. Hauptsächlich, weil seine Arroganz für eine ganze Stadt reichte.

»Ich meinte, du müsstest ein paar Dinge an dir ändern.«

»Ich? Mich ändern? Für sie?« Jetzt lehnte sich Briec auf seinem Stuhl zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. »Warum sollte ich mich für eine Menschenfrau ändern? Für irgendeine Menschenfrau?«

»Wenn du zwischen ihre Beine willst, ohne dass sie schreit und für einen schnellen Tod betet, solltest du dich besser ändern.«

»Was mache ich denn falsch?«

»Alles.«

»Einzelheiten, Bruder!«

»Ihr zu sagen, dass sie dir gehört, wenn du noch nicht einmal mit ihr geschlafen hast, ist nie eine gute Idee.«

»Warum? Nach dem Drachengesetz gehört sie mir doch!«

Gwenvael seufzte lautlos. Das hier würde länger dauern, als er gedacht hatte. Briec konnte so stur sein. Fast so schlimm wie ihr Vater.

»Das Drachengesetz, lieber Bruder, funktioniert nur, wenn du sie zur Sklavin willst. Wenn du das willst, dann hau ihr bei jeder Gelegenheit unsere Gesetze um die Ohren. Aber wenn du hoffst, dass sie freiwillig mit dir schläft, wie es Annwyl mit Fearghus tut – und soweit ich das beurteilen kann, besorgt sie es ihm richtig –, dann schlage ich vor, dass du es einmal mit einer anderen Strategie versuchst.«

»Willst du damit sagen, dass ich sie verführen muss?«

Gwenvael starrte seinen älteren Bruder an. »Was hast du denn gedacht? Dass sie so dankbar für ihre Rettung sein wird, dass sie auf die Knie sinkt und dir zu Diensten ist?«

Briec schwieg, dann antwortete er ehrlich: »Ja. Eigentlich hatte ich das erwartet.«

Gwenvael schüttelte den Kopf. »Ich wundere mich immer wieder, dass wir vom selben Blut sind.«

Briec beschäftigte sich wieder mit seinem Obst und dem Käse und murmelte vor sich hin: »Und ich wundere mich, dass ich dich nicht bei der Geburt erdrosselt habe. Und warum esse ich überhaupt Obst? Wo ist das Pferd?«

 

Arzhela sah auf den geneigten goldenen Schopf ihres treuen Lieblingsdieners hinab. Anders als diese Schlampe Talaith kam Hamish von Madron aus freien Stücken zu ihr. Er wollte Macht, und sie konnte sie ihm geben … solange er ihr treu blieb.

Wie immer – ganz wie ein guter Hund – kam er, wenn er gerufen wurde.

»Die Zeit ist gekommen, mein Sohn.«

Wie es sich geziemte, blickte er nicht zu ihr auf. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie spürte sein Lächeln – sie ließ ihn verstehen, dass mit ihrem Sieg auch seine Macht und sein Aufstieg kamen. »Aber es ist noch viel zu tun. Ist alles vorbereitet?«

»Beinahe, meine Göttin. Ich habe meine besten Krieger ausgesandt, um diese Bäuerin zu finden. Und meine Armee ist fast versammelt. Noch ein paar Kleinigkeiten, und wir stehen zu deinem Befehl bereit.«

»Gut.« Sie streckte die Hand aus und tätschelte ihm den Kopf wie ihrem Lieblings-Jagdhund. »Ich weiß, du wirst mich nicht enttäuschen.«

»Niemals. Mein Leben gehört dir, M’lady. Schon immer.«

Sie grinste in dem Bewusstsein, dass er ihre Reißzähne nicht sehen konnte. »Ich weiß, Kind. Ich weiß.«

 

Noch ein Stapel Bücher fiel vor Talaiths Füße. Sie zuckte zusammen. »Éibhear!«

Er hielt inne. »Was denn?«

»Ich glaube, ich habe genug Bücher.«

»Sicher?«

Talaith sah sich die Bücherstapel an, die sich jetzt um sie herum auftürmten. Insgesamt ungefähr dreißig Stück. »Ich bin mir sicher.«

»Na dann, wenn du dir sicher bist.« Er sah die Bücher mit einem zutiefst besorgten Ausdruck auf seinem schönen Gesicht an. Er war sich eindeutig nicht sicher, dass sie genug Zerstreuung hatte. Was glaubte er denn, wie lange sie bleiben würde?

»Macht es dir etwas aus, wenn ich mich dazusetze?«

»Äh …«, war alles, was sie herausbrachte, bevor Éibhear sich grinsend eines der Bücher schnappte und sich mit dem Rücken an ihren Sessel gelehnt auf den Boden setzte.

»Es ist schön, dich hier zu haben, Lady Talaith.«

Talaith konnte kaum ihr Lachen unterdrücken über den Titel, den er ihr gegeben hatte, vor allem, weil sie wusste, dass der blaue Drache es ernst meinte. »Danke, Éibhear.«

»Bist du sehr unglücklich?«

Um ehrlich zu sein, war sie überhaupt nicht unglücklich. Sie fühlte sich unbehaglich, ja. Eine Spur misstrauisch – auf jeden Fall. Briec und Gwenvael permanent streiten zu hören, zerrte so langsam an ihren Nerven. Aber abgesehen davon ging es ihr nicht schlecht.

Man konnte ihre momentanen Gefühle vielleicht eher als … zufrieden bezeichnen. Auch wenn es ihr nicht einleuchtete. Gefangen in einer Höhle, zusammen mit drei menschenfressenden Drachen – sie sollte eigentlich furchtbare Angst haben.

Doch die hatte sie nicht.

»Lady Talaith?«

Lächelnd griff sie über die Armlehne ihres Sessels und tätschelte Éibhears breite Schulter. »Ich bin nicht unglücklich, Éibhear. Und du musst mich nicht Lady nennen. Ich bin nämlich eigentlich gar keine.«

»Sind Nolwenn-Hexen nicht Mitglieder des Königshauses?«

Jetzt lachte sie tatsächlich. »Eher nicht. Wir sind sehr politisch, das stimmt. Wir waren über die Jahrhunderte die Ratgeber vieler Könige und Königinnen. Aber keine Nolwenn-Hexe ist von königlichem Blut.«

»Ah. Tja, mir kommst du trotzdem königlich vor.«

»Das ist sehr lieb von dir.«

»Ich weiß.« Er lehnte den Kopf zurück, sodass er sie ansehen konnte, während ihm seine blauen Haare über Arme und Beine fielen. »Ich bin der Nette von uns.«

»Ach ja? Und Gwenvael? Was ist er?«

»Er ist unsere Schlampe.«

Talaith genoss dieses Gespräch, lehnte sich entspannt in ihrem Sessel zurück und zog die Beine an. Das Wollkleid, das sie trug, hatte auf einem Stuhl neben ihrem Bett auf sie gewartet, als sie an diesem Morgen aufgewacht war. Sie wusste nicht, welcher der Brüder es dort hingelegt hatte, und sie würde auch nicht fragen … aber selbst sie musste zugeben, dass es sehr gut an ihr aussah. »Und Briec?«

»Der Krieger.«

Unwillkürlich schnaubte sie. »Ach ja? Ist er das?«

Éibhear drehte sich eifrig um, damit er seine Arme in Talaiths Schoß legen und sich dicht an sie lehnen konnte. Bei den Dunklen Göttern des Feuers, sie hatte noch nie so muskulöse Arme gesehen. »Wirklich. Er hat viele Jahre lang in großen Schlachten gekämpft.«

»Und wen hat Briec bekämpft? Ein paar von meinen armen Mitmenschen?«

Würdevoll antwortet Éibhear: »Um ehrlich zu sein, bezeichnet Briec Kämpfe mit Menschen nicht als Schlachten. Ich glaube, das sieht er mehr als Jagd. Oder als Imbiss, der davonrennt.«

»Was für ein hübscher Gedanke.«

»Mein Bruder hat gegen andere Drachen gekämpft. Gegen diejenigen, die es gewagt haben, den Thron unserer Mutter zu fordern. Und er wurde nie besiegt. Nicht ein Mal. Sie haben Lieder über seine Eroberungen geschrieben und … äh, Talaith, das tut echt weh.«

Talaith senkte den Blick und sah, dass sie eine Handvoll von Éibhears Haaren umklammerte. »Oh. Entschuldige bitte.« Sie ließ ihn los und tätschelte abwesend seinen Kopf. »Hast du gesagt, der Thron deiner Mutter?«

»Aye.«

»Eure Mutter ist, ähm, die Drachenkönigin?« Eine der brutalsten und mächtigsten Mörderinnen der bekannten Welt, und Talaith war irgendwie im Schoß ihrer Kinder gelandet. Gut gemacht, Talaith.

»Aye. Königin Rhiannon aus dem Hause Gwalchmai fab Gwyar. Erstgeborene Tochter von Königin Addiena. Erstgeborene weiße …«

»Also« – sie schnitt ihm das Wort ab, bevor die Litanei der Titel seiner Mutter sie zwang, sich selbst in den Hals zu stechen – »bist du eigentlich Prinz Éibhear.«

»Das bin ich wohl.« Er legte den Kopf in ihren Schoß, und Talaith kämmte unwillkürlich mit den Fingern durch sein blaues Haar, was ihr inzwischen gar nicht mehr seltsam erschien.

»Und Briec ist Prinz Briec?«

»Aye.« Er schmiegte sich enger an sie, die Augen fielen ihm langsam zu. »Fühlst du dich jetzt als etwas Besonderes, Lady Talaith? Du wurdest von Mitgliedern des Königshauses entführt.«

Kichernd streichelte Talaith weiter Éibhears Haare. »Oh, aye. Diese ganze Entführung gewinnt eine ganz neue Bedeutung, mein Freund.«

Éibhear seufzte und entspannte sich. »Das hat meine Mutter früher immer gemacht.«

»Was? Sarkastisch sein?«

»Nein, nein. Das kann keiner so wie du. Ich meine …«, er gähnte. Ausgiebig. »Sie hat mir den Kopf gekrault, wie du es machst.«

»Tut sie das heute nicht mehr?«

»Nein. Sie sagt, ich bin zu alt dafür.« Seine Stimme wurde leiser.

»Vielleicht, aber das braucht mich nicht zu kümmern, oder?«

Er antwortete nicht, und als sie sich vorbeugte, stellte sie fest, dass Éibhear tief und fest eingeschlafen war.

Lächelnd lehnte sie sich zurück und begann wieder in ihrem Buch zu lesen und dabei sanft Éibhears Kopf zu streicheln.

 

Zuerst hatte er nichts als intensive Eifersucht gespürt, während er im Schatten blieb und die beiden beobachtete. Vor allem, als seine kleine Hexe seinem kleinsten Bruder so den Kopf streichelte. Aber Éibhears Worte ehrten ihn. Er hatte nicht gewusst, dass sein kleiner Bruder eine so hohe Meinung von ihm hatte. Oder so mit ihm prahlte. Und dann natürlich Talaiths Gesichtsausdruck, als sie erfuhr, dass sie von königlicher Abstammung waren … das war unbezahlbar gewesen.

Dennoch war es die Art, wie sie Éibhears Kopf kraulte, die ihn faszinierte. Es war nichts Wollüstiges daran. Um genau zu sein, war es sehr mütterlich und liebevoll und wärmte ihm das Herz. Zu oft hatten er und Gwenvael denjenigen Schmerzen zufügen müssen, die Éibhears Gutmütigkeit ausnutzen wollten. Oder ihn verhöhnten, weil er so freundlich war. Aber Talaith ließ ihn so nett sein wie er wollte und machte sich weder lustig, noch versuchte sie, ihn auszunutzen.

Jetzt war die Frage, wie er Talaith dazu bringen konnte, sich mit ihm genauso wohlzufühlen, aber ohne diese mütterlichen Gefühle. Es musste einen Weg geben, sie ihm gegenüber milder zu stimmen. Aber die einzigen Momente, in denen sie keine Angst vor ihm zu haben schien, waren, wenn sie sich stritten. Götter, diese Frau liebte es wirklich, sich zu streiten.

Eigentlich fühlte er genauso, wenn er darüber nachdachte.

 

Wenn er nur ein Mensch gewesen wäre, hätte er niemals gesehen oder gehört, wie sie auf einen der unteren Ausgänge seiner Höhle zusteuerte.

Er sollte sie gehen lassen. Es war nicht falsch von Briec gewesen, sie aus diesem Dorf zu entführen, denn er hatte sie ja in der Tat gerettet. Aber sie nicht gehen zu lassen, nachdem er sie in Sicherheit gebracht hatte – nur Briec konnte das für ganz normal halten.

Dennoch – dass sie ging, ohne einem von ihnen etwas davon zu sagen, störte ihn. Und dabei mochte Éibhear sie so gern. Außerdem genoss Gwenvael es ehrlich, wie sie seinen älteren Bruder quälte. Er hätte sie dafür bezahlt, dass sie blieb, wenn sie das weiterhin tat.

Ihre Gestalt verschmolz mit den Schatten – sie hatte sich ganz schwarz angezogen –, und sie bewegte sich lautlos. Ja, ihre Fähigkeiten beeindruckten ihn wirklich, und jetzt verstand Gwenvael auch, warum Briec sie ständig zu hinterfragen schien.

Diese Frau war keine einfache Bäuerin.

Sie stand einen Steinwurf von ihm entfernt am Höhlenausgang, doch sie rührte sich nicht. Ihre Blicke tasteten die Umgebung ab. Sie spürte ihn. Sehr beeindruckend. Er wartete und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie ihn entdeckte. Noch ungefähr eine weitere Minute lang suchte sie die Umgebung mit den Augen ab. Sie wusste, dass er da war, sie wusste nur nicht, wo.

Schließlich richtete sie sich auf, und ihr Kopf neigte sich nach hinten, damit sie an die Decke sehen konnte – zu ihm herauf.

»Talaith.«

Obwohl er ruhig sprach, weil er keinen Ärger über ihren Fluchtversuch verspürte – sie war schließlich nicht sein Weibchen –, schrie sie dennoch auf. Wie eine Todesfee.

Außerdem rannte sie los. Direkt auf den Ausgang und den immer noch andauernden Sturm draußen zu. Aber er rannte an der Decke entlang, bis er sie überholt hatte, dann ließ er sich vor ihr auf den Boden fallen, dass die Höhlenwände wackelten, und versperrte ihr den Ausgang.

»Oh nein, das wirst du nicht tun.« Er setzte sich auf seine Hinterläufe und sah sie an.

Flink kauerte sie sich vor ihn, einen Dolch in der Hand, und schob sich Schritt für Schritt rückwärts. Sie war eine Frau, die wusste, wie man sich schützte. Das gefiel ihm. Schwache Frauen langweilten seine Sippe, also hatte Briec gut gewählt.

»Greif an, Drache.«

Er bekämpfte seinen Drang, über ihren Befehl zu lachen. Was glaubte sie, mit dieser winzigen Klinge ausrichten zu können? Vor allem, da ihre sonst so kraftvolle Stimme vor Angst zitterte.

»Ich kann nicht. Mein Bruder würde mir den Kopf abreißen.«

»Ich gehöre ihm nicht.«

»Nein, aber diesen Kampf wirst du selbst ausfechten müssen, meine Schöne. Und jetzt …« – er deutete mit seiner Schwanzspitze in die entgegengesetzte Richtung – »geh zurück zu Briec.«

»Ich bin kein Hund. Und was ist mit deinem Schwanz los?« Sie runzelte die Stirn. »Da fehlt etwas.«

Gwenvael war nicht bereit, über den Verrat seiner Sippe und den Tag, an dem seine Schweinehunde von Brüdern ihm die Schwanzspitze abgeschnitten hatten zu sprechen, und hob seinen Schwanz, um ihn um ihre Taille zu legen und sie zurück zu seinem Bruder zu tragen. Aber sie hielt sich mit einer Hand daran fest und klemmte sich mit der anderen ihren Dolch zwischen die Zähne. Während Gwenvael versuchte, zu durchschauen, was zum Teufel sie vorhaben mochte, hob er seinen Schwanz, sodass sie von dort auf seinen Unterarm springen konnte. Bevor er sich versah, kletterte sie auf seine Schnauze und hinauf auf seinen Kopf.

»Was zum …«

Dann sah er ihren Dolch. Wie hätte er ihn auch übersehen können? Sie zielte direkt auf sein Auge. Er schlug mit seiner Klaue nach ihr. Er warf sie nicht herunter, erschreckte sie aber genug, dass sie ihn nur wenige Zentimeter neben ihrem ursprünglichen Ziel in den Kopf stach.

»Aaaah! Du Wahnsinnige!«

Er wollte ihr nicht wehtun, aber er hatte keine andere Wahl. Vor allem, als sie ihren Dolch wieder herausriss und noch einmal zielte.

Mit seinem Schwanz schlug er sie von hinten, sodass sie im hohen Bogen von ihm herunterfiel. Sie traf mit einem Grunzlaut auf dem Boden auf, rollte sich aber elegant ab.

Sie blieb auf dem Rücken liegen, den Dolch immer noch in der Hand. Er wartete nicht, bis sie wieder auf den Beinen war. Er schlang seinen Schwanz um sie, achtete darauf, ihre Arme an den Seiten festzuklemmen und machte sich auf den Weg zurück in seine Höhle.

 

Morfyd die Weiße, Drachenhexe aus dem Hause Gwalchmai fab Gwyar, erstgeborene Tochter der Drachenkönigin Rhiannon, Vasallin der Königin Annwyl von Garbhán und oberste Kampfmagierin der Armeen der Dunklen Ebenen, rappelte sich auf, ohne einem der Männer in die Augen sehen zu können, die gesehen hatten, wie sie über ihre eigenen großen Füße gestolpert war. Nach all den Jahren hätte man meinen können, sie sollte ihren menschlichen Körper ein bisschen besser beherrschen.

Aber leider …

»Alles in Ordnung?«

Sie verzog das Gesicht, als sie die amüsierte Stimme hörte, die sie inzwischen so mühelos erkannte.

»Aye, Brastias.« Sie nahm die Hand von Königin Annwyls General und Stellvertreter und ließ sich von ihm aufhelfen.

»Deine Füße haben dich mal wieder aus dem Nichts angegriffen, was?«

Sie sah finster in sein lächelndes Gesicht. »Wenn du so weitermachst, lasse ich die nächste Wunde, die du dir im Kampf holst, vereitern.«

Sie klopfte sich die Vorderseite ihres weißen Gewands ab und versuchte verzweifelt, Brastias’ starke Hände zu ignorieren, die ihr den Hintern abstaubten. Bei jeder seiner Berührungen ihres Hinterteils schnurrte sie buchstäblich.

»Ehrlich, Morfyd«, sagte er nun ganz ernsthaft, »bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?«

»Aye. Nur einer meiner Brüder.« Sie hatte ein plötzliches und extrem starkes Stechen im Kopf gespürt, das genauso plötzlich wieder aufhörte. Das war gar nicht gut, vor allem nicht, wenn sie sogar fast stolperte, aber ihr Bruder lebte noch. Das wusste sie.

Brastias runzelte besorgt die Stirn. »Geht es ihnen gut? Götter, es ist doch nicht Fearghus, oder?«

Sie schüttelte den Kopf, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. Niemand würde dieses bestimmte Gespräch mit der Königin führen wollen, sollte ihrem Gefährten je ein Leid zustoßen.

Brastias nahm ihren Arm und ging mit ihr auf ihr Zelt zu. »Welcher Bruder ist es dann?«

Sie wusste, dass es ihn nicht ernsthaft interessierte, aber er fand immer gern einen Grund, ihre Hand oder ihren Arm zu nehmen und sie zu ihrem Zelt zu begleiten. Morfyd musste zugeben, dass Brastias es tatsächlich zu einem fast angenehmen Ereignis machte, in den Krieg zu ziehen.

Sie konzentrierte sich kurz, spürte den Ranken der alten Magie nach, die die gesamte Familie Gwalchmai fab Gwyar ständig verband. Sie konnten einander nach Belieben ausschließen und taten das normalerweise auch – es sei denn, sie wurden überrascht. Irgendetwas hatte ein Mitglied ihrer Sippe eindeutig unvorbereitet getroffen. »Gwenvael, glaube ich.«

»Gwenvael? Ehrlich? Welch Überraschung«, sagte er trocken.

Morfyd lachte. Brastias hatte lange genug mit ihrer Sippe zu tun, um zu wissen: Wenn es Ärger gab, war Gwenvael höchstwahrscheinlich der Erste, dem er in den Schoß fiel. »Ich weiß. Eine unglaubliche Überraschung.«

Sie standen jetzt vor ihrem Zelt, und wie immer suchte Morfyd verzweifelt nach einem Grund, Brastias hereinzubitten. Sie kannte ihn nun schon seit drei Jahren, und sie hatte immer noch keinen Grund gefunden, der nicht idiotisch klang.

Würdest du gerne hereinkommen und meine Kräutervorräte zählen, o du Großer, Traumhafter? Bei den dunklen Feuergöttern, du bist erbärmlich!

»So ein Schwachsinn«, murmelte sie.

Er lachte überrascht und fragte: »Wie bitte?«

Sie riss sich zusammen. Sie konnte das. Er war nur ein Mensch. Ein wundervoller, unglaublicher, wunderschöner Mensch … aber dennoch ein Mensch. »Brastias, ich habe überlegt, ob …«

Morfyd.

Es war nur ihr Name, aber er besaß genug Macht, um sie auf die Knie sinken zu lassen. Brastias hielt sie an den Armen fest, während die Macht der Götter durch sie schoss.

Ruf nach mir, Kind. Schick nach mir.

Zitternd sah Morfyd hinauf in Brastias’ höchst besorgtes Gesicht, während Sturmwolken am Himmel über seinem Kopf aufzogen.

»Was ist los, Morfyd?«

»In meinem Zelt!«, keuchte sie. »Ein großer Tornister. Hol ihn mir bitte!«

Brastias runzelte die Stirn und wollte sie offenbar nicht loslassen. Aber er hatte keine Wahl. Sie hatte keine Wahl.

»Bitte, Brastias.«

Er nickte, ließ sie los und verschwand in ihrem Zelt.

Morfyd.

Missmutig wütete Morfyd: »Ich habe dich gehört! Hör verdammt noch mal auf, mich zu rufen!« Sie holte mehrmals tief Luft, um ihre Nerven zu beruhigen und machte eine Geste zu einem der jungen Boten hin, die während der Schlacht aushalfen. »Junge. Komm her.« Widerstrebend bewegte sich der Junge auf sie zu. »Geh zur Königin, sag ihr, ein Sturm kommt. Ein furchtbarer Sturm.«

Der Junge sah verwirrt zum Himmel auf. Es war eine schöne Nacht gewesen, klarer Himmel. Aber das änderte sich gerade sehr schnell. Stürme kamen auf sie zu. Sie hatte gehofft, sie hätten einen Vorsprung vor ihnen, aber es sah aus, als wäre das nicht der Fall.

»Junge!« Sie fixierte ihn, während seine großen Augen sich wieder auf sie richteten. »Geh! Sofort!«

Er nickte und rannte davon, wahrscheinlich erleichtert, von ihr wegzukommen.

Brastias erschien wieder an ihrer Seite. »Morfyd, was ist los?«

Er hätte eher fragen sollen, wer, aber sie hatte keine Zeit dafür. Sie ignorierte die Sorge in seiner Stimme. »Hilf mir auf.«

Er hob sie mit Leichtigkeit auf die Beine.

»Die Tasche.« Es geschah zu viel, um sich mit Nettigkeiten aufzuhalten.

Brastias reichte ihr schnell den Tornister. Sie wandte sich von ihrem Zelt ab und ging auf den Fluss zu, der am Lager vorbeifloss. »Bist du sicher, dass du mich nicht brauchst …?«

»Nein, Brastias!« Sie blieb stehen, als ihr bewusst wurde, dass sie ihn angefahren hatte. Götter, die ihren Körper übernahmen, lösten immer diese Reaktion aus. Aber der Krieger hatte nichts falsch gemacht.

Sie sah ihn über die Schulter an. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht …«

»Kein Grund, dich zu entschuldigen, Morfyd.« Er schenkte ihr ein warmes Lächeln; er war niemals zornig über ihre plötzlichen und abrupten Stimmungsschwankungen, die die ständig wechselnden Winde der Magie mit sich brachten. »Geh. Wenn du wiederkommst, halten wir etwas zu essen für dich bereit.«

Und er wusste, dass sie halbtot sein würde vor Hunger, nachdem sie die alte Magie gewirkt hatte. Dieser Mann ist absolut perfekt.

Er grinste. »Das heißt, wenn wir eine herumliegende Kuh finden.«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu, bevor sie davonstürmte. Sarkastischer Mistkerl.

 

»Warum bist du so nett zu mir?«

»Was?« Briec sah von dem Spiel auf, das er schon seit einer Stunde mit Éibhear spielte. Er war so konzentriert auf die Spielfiguren und seinen nächsten Zug, dass er kaum bemerkte, dass Éibhear ihn schon die ganze Zeit anstarrte.

»Ich habe gefragt, warum du so nett bist.«

»Kann ich nicht nett zu meinem kleinen Bruder sein?«

»Nein.«

Briec kicherte, aber das Kichern erstarb, als der blutende, wütende Gwenvael hereinstürmte, die zerschrammte, etwas weniger blutige, aber ebenso wütende Talaith in seinen Schwanz gewickelt.

»Was zum Teufel geht hier vor?«, verlangte er zu wissen, als Gwenvael ihm Talaith vor die Füße schleuderte.

»Die verrückte Schlampe hat auf mich eingestochen!«

»Du warst mir im Weg!«, brüllte Talaith zurück.

Knurrend und mit entblößten Reißzähnen, ging Gwenvael auf sie los. Doch Briec trat dazwischen und starrte seinen jüngeren Bruder mit ebenfalls entblößten Reißzähnen an.

»Ich weiß, Bruder, du hast nicht den Verstand verloren.«

»Sie ist verrückt! Du hast sie noch nicht erlebt. Ich bin dafür, wir machen sie zu unserem Abendessen, bevor sie uns alle im Schlaf umbringt!«

Auch wenn männliche Menschen Freiwild für seinen Bruder Gwenvael waren, hatte dieser noch nie ein lebendes weibliches Wesen »zu seinem Abendessen gemacht«. Zumindest nicht so. Und die Art, wie der große Goldene versuchte, die hinter Briec stehende Talaith wütend anzustarren, sagte ihm, dass Gwenvael nur versuchte, ihr Angst einzujagen. Das war gut so. Denn Briecs Bedürfnis, diese Frau zu beschützen – auch vor seiner eigenen Sippe – verwirrte ihn. Er hatte keine Ahnung, was er tun würde, wenn Gwenvael wirklich versuchte, Talaith etwas anzutun.

»Éibhear, kümmere dich bitte um den Kratzer deines Bruders, ja?«

»Kratzer? Das nennst du einen Kratzer?« Er deutete mit seiner Klaue auf die Wunde und musste sich zusammenreißen, um nicht zusammenzuzucken. »Sie hat mir fast das Auge ausgestochen!«

»Jetzt werd nicht überdramatisch, Gwenvael«, schalt Éibhear, der Talaith auf die Beine half, indem er ihr eine seiner Krallen als Stütze anbot. »Wenn ich fertig bin, geht es dir wieder gut.«

»Dies ist meine Höhle! Ich will, dass sie geht!«

Briec konnte ein schnaubendes Lachen nicht unterdrücken und war sich sicher, dass Gwenvael versuchen würde, ihm den Kopf abzureißen. Aber Éibhear schnappte nach Gwenvaels Vorderkralle.

»Hör auf, Gwenvael!« Er machte seinem Bruder ein Zeichen mit seinem Schwanz. »Komm mit.«

Éibhear ging davon und zerrte den wütenden Gwenvael hinter sich her.

Briec sah ihnen nach, bis er sich sicher war, dass Gwenvael fort war. Unterhaltsam fand er, dass Talaith tatsächlich glaubte, er sei abgelenkt genug, um nicht zu merken, dass sie versuchte, sich davonzuschleichen.

Er rammte die Spitze seines Schwanzes vor ihr in den Boden und sie schrie auf. Dann trat sie danach.

»Götterverdammtes Ding!«

»Du hast meinen Bruder verletzt, M’lady.«

Sie wandte sich zu ihm um. »Du hast selbst gesagt, es sei nur ein Kratzer!«

»Ich sagte das in der Hoffnung, dass du dann nicht zu seinem Mitternachtssnack wirst. Ich habe dir den Dolch gelassen, weil ich darauf vertraut habe, dass du ihn nicht benutzt. Vor allem nicht gegen meine Sippe.«

Sie hatte immerhin den Anstand, ein bisschen beschämt auszusehen. »Ich wollte ihm nicht wehtun. Ich wollte nur gehen.«

Offensichtlich stand er nun in der Schuld seines Bruder, weil er sie davon abgehalten hatte.

»Warum?«

»Warum was?«

»Warum willst du gehen?«

»Das soll wohl ein Witz sein!«

»Nein. Ich will deine Gründe hören. Ich will wissen, was du an mir und meinen Brüdern so furchtbar findest, dass du lieber dem Zorn der Götter trotzen als hier bei uns bleiben willst.«

Auch noch tief in Gwenvaels Höhle konnten sie den Donner und die Blitzeinschläge hören, die in der Nähe niedergingen. Das war kein Wetter, bei dem irgendwer, Mensch oder Drache, draußen sein sollte.

»Ihr seid Drachen. Unsere verhasstesten Feinde.«

Er verdrehte die Augen und setzte sich auf seine Hinterbeine. »Also ehrlich, kleine Hexe, ich weiß, dass du das besser kannst.«

Sie seufzte. Ein tiefes, schweres Seufzen. Und ihre Schultern sackten nach unten. Sie schüttelte langsam den Kopf, den Blick ihrer braunen Augen auf den Boden zu ihren Füßen gerichtet.

»Ich kann einfach nicht bleiben.«

 

Wenn er nur so dumm gewesen wäre wie der, den sie Ehemann nannte. Wenn er sich nur für wenig mehr als sich selbst interessiert hätte, hätte er nicht erkannt, wenn sie log.

Nicht, dass ein Leben unter Schuppen und Schwänzen ein großes Vergnügen für sie gewesen wäre. Aber zum ersten Mal seit jenem schicksalshaften Tag, an dem Arzhela und ihre Priesterinnen zu ihr gekommen waren, fühlte sich Talaith zufrieden. Nicht vollkommen glücklich, aber sie war sowieso nie ein besonders glücklicher Mensch gewesen.

Wie ihre Mutter zu scherzen pflegte – bei den seltenen Gelegenheiten, an denen diese Frau überhaupt Scherze machte –: »Nolwenn-Hexen und glücklich … das sind zwei Worte, die einfach nie im selben Satz vorkommen.«

Und sie hatte Gwenvael wirklich nicht verletzen wollen, aber er hatte ihr keine Wahl gelassen.

»Antworte mir, Talaith.«

Verfluchte Drachenstimme. So, wie Briec ihren Namen sagte, legte er sich um sie wie eine warme Decke. Doch sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Diese veilchenblauen Augen gingen ihr durch und durch.

»Ich kann einfach nicht bleiben, Briec.«

»Wartet jemand auf dich?«

Gereizt über seine Beharrlichkeit, sah sie ihn finster an und blaffte: »Ja. Um genau zu sein, wartet eine ganze Armee auf mich. Ich habe vor, sie alle zu bedienen. Bist du jetzt zufrieden? Kann ich jetzt gehen?«

»Kannst du mir nicht ein Mal eine klare Antwort geben?«

»Kannst du mir nicht einmal zuhören? Ich will gehen. Jetzt.«

Flammen loderten um ihn herum und waren gleich wieder verschwunden, und an ihrer Stelle stand der Mann. Und oh, was für ein Mann …

Sie wusste nicht, was schlimmer war – der Drache Briec, der sie mit einem Bissen verschlingen konnte, oder der Mensch Briec, den sie am liebsten anknabbern wollte.

»Warum musst du unbedingt über alles mit mir diskutieren?«

Sie hatte ihn verärgert. Gut. Es war viel leichter, mit einem wütenden Drachen umzugehen als mit einem aufmerksamen und fürsorglichen. »Warum musst du unbedingt alles ignorieren, was ich sage?«

»Selbst wenn ich dich gehen lassen wollte, kannst du bei diesem Wetter nicht gehen.«

»Ich tue, was mir gefällt, du riesiger, schuppiger Mistkerl. Und das heißt, ich gehe.«

Sie wandte sich ab, aber Briec hielt ihren Arm fest und drehte sie zu sich um.

»Lass mich nicht einfach stehen!«

»Nimm deine Hände von mir, bevor ich dich aufschlitze wie deinen Bruder!«

Sie hielt immer noch den Dolch in ihrer rechten Hand. Und diese Hand schnappte Briec und riss sie an seine Kehle hoch, sodass die Spitze der Klinge an der weichen Stelle lag, wo sein Hals auf sein Schlüsselbein traf. »Dann tu es, kleine Hexe. Stoß deinen Dolch hinein und lauf weg.«

Talaith starrte ihre Dolchspitze an der weichen Haut an. Tu es, Talaith! Tu es! Sie schrie sich die Worte immer wieder innerlich selbst zu. Doch sie konnte nicht. Sie konnte ihn nicht töten.

»Du kannst es nicht, oder?« Er klang nicht selbstgefällig oder arrogant – er klang schockiert. »Oder?«

Sie antwortete ihm nicht. Sie wussten beide, dass sie es nicht musste. Ihr Zögern sagte zu viel. Verriet zu viel.

»Ich …«, war alles, was sie herausbrachte, bevor er ihre Hand mit dem Dolch wegschlug und ihr Gesicht fest zwischen beide Hände nahm.

Briec riss sie hoch, und sein Mund presste sich auf ihren. So hatte sie sich ihren ersten Kuss nicht gerade vorgestellt, aber das hier war noch viel besser.

Sie wimmerte und neigte den Kopf, ihre Zunge tauchte in seinen Mund und glitt über seine hinweg. Sie spürte, wie sich sein Körper anspannte, überrascht über ihre unmittelbare Reaktion. Überrascht und erfreut. Er zog sie enger an sich, und sein Kuss wurde intensiver.

Also das … das war ein Kuss. Ein Kuss höchsten Grades. Die Art von Kuss, von der sie ihr ganzes Leben lang geträumt hatte, aber nie gedacht hätte, dass sie sie einmal erleben würde. Die Art, die sie dazu bringen würde, alles für eine Nacht im Bett eines Mannes aufzugeben. Abgesehen davon, dass Briec nicht direkt ein Mann war, hatte sie es erreicht.

Nach einer Weile wurde Briecs Kuss sanfter, und er ließ sich Zeit beim Erkunden ihres Mundes. Talaith ließ ihn gewähren und genoss seinen Kuss auf eine Art, von der sie nicht einmal geahnt hatte, dass sie es konnte. Ihr ganzer Körper schrie nach seiner Aufmerksamkeit. Bettelte darum, von ihm genommen zu werden. Sie wollte ihn. Götter, und wie sie ihn wollte!

Langsam löste er seinen Mund von ihr und murmelte: »Ich wusste, dass du mich willst.«

Verfluchter Kerl! Talaith trat kräftig mit ihrem Stiefel auf seinen Spann.

»Au!« Er taumelte rückwärts. »Wofür bei allen heiligen Höllen war das denn?«

»Dafür, dass du ein arroganter Mistkerl bist!«

Sie hob ihren Dolch auf und steuerte auf die Kammer zu, die ihr als Schlafzimmer diente. Sie hatte sich damit abgefunden, zumindest so lange in diesem Loch der Verzweiflung zu bleiben, bis das Wetter aufklarte oder Arzhela sie rief.

»Ich hasse dich, Briec der Arrogante!«, schrie sie über die Schulter zurück. »Dich und deine ganze Sippe!«

»Ach ja? Das riecht aber ganz anders!«

Sie antwortete nicht. Warum auch, wenn er doch recht hatte?

 

Als sie nicht zum Abendessen auftauchte, ging Éibhear sie suchen, Gwenvael im Schlepptau. Briec wollte nicht über sie sprechen und sie auch nicht suchen. Éibhear wusste nicht, was zwischen ihnen vorgefallen war, nachdem Gwenvael und er gegangen waren, aber es machte Briec sehr unleidlich.

Sie fanden sie schließlich unten an den Quellen. Sie saß an einer davon, ihre kleinen, nackten Füße im heißen Wasser und eine Hand fest um eine Flasche Feuerwein seines Vaters geschlossen … o-oh.

Die Brüder setzten sich links und rechts von ihr und sahen ihr zu, wie sie ins Wasser starrte und schwankte. Hin und her. Hin und her. Summend. Es war irgendwie hypnotisch.

»Lady Talaith?«

Große, braune und ziemlich benommene Augen richteten sich langsam auf ihn. »Éibhear …« Er wartete, dass sie weiterredete, doch das war anscheinend alles, was sie herausbrachte.

»Was tust du da, M’lady?«

Sie hielt die Flasche hoch. »Tee trinken.«

Er lächelte. »Das ist kein Tee, Talaith.«

»Das habe ich gespürt, als ich gegen die Wand gelaufen bin.« Sie deutete auf die Stelle, wozu sie die Hand mit der Flasche benutzte und Gwenwael fast gegen die verletzte Stelle seines Kopfes schlug. Glücklicherweise besaß er eine schnelle Reaktion. »Die Wand da drüben.«

Sie drehte sich wieder um, und dabei sah sie Gwenvael.

»Gwenvael.« Sie lehnte sich an ihn und überraschte damit beide Brüder. »Es tut mir so leid, dass ich dich fast umgebracht hätte.«

Was Éibhear an Gwenvael bewunderte, war, dass er nie lange wütend war. Und anders als ihr Vater und Fearghus machte er sich auch nicht die Mühe, Groll zu hegen. Er zog es vor, sich damit zu amüsieren, dafür zu sorgen, dass andere sich schlecht fühlten. Darin war er sehr gut.

»Schon gut, Talaith. Ich bin mir sicher, du kannst es irgendwie wieder gutmachen.«

Gwenvael zwinkerte ihm über ihren Kopf hinweg zu, und Éibhear verdrehte angewidert die Augen. Kein Schamgefühl. Seine Brüder besaßen einfach nicht die Fähigkeit, Scham zu empfinden.

Talaith wedelte mit der Weinflasche vor Gwenvaels Gesicht. »Oh nein, Drache. Ich bin vielleicht ein bisschen betrunken, Schöner der Gwenvael, aber so betrunken bin ich nicht.« Schöner der Gwenvael? Sie war sehr betrunken. »Du wirst mich nicht besudeln mit deinem …« – sie musterte ihn sorgfältig – »umwerfenden menschlichen Körper.«

»Ich weiß. Du wirst von Briecs umwerfendem menschlichen Körper besudelt werden.«

Sie boxte ihm gegen die Schulter, und Gwenvael verzog tatsächlich das Gesicht. »Das werde ich nicht. Er ist so ein aufdringlicher, arroganter Mistkerl! Mehr als du, ob du es glaubst oder nicht.«

»Oh, ich glaube es.«

»Aber ich habe nicht das Bedürfnis …« Sie rang nach Worten, und Gwenvael beschloss, ihr auszuhelfen.

»… fast zu Tode gevögelt zu werden?«

»Gwenvael!«, warnte Éibhear.

»Ich helfe ihr nur!«

»Nein.« Talaith schüttelte den Kopf. »Du bist ein Mistkerl. Aber ich gewöhne mich langsam daran. Übrigens« – sie tätschelte seine Schulter – »bist du ein sehr süßer Mistkerl.«

»Talaith«, sagte Éibhear sanft. »Vielleicht sollten wir dich zurück in dein Zimmer bringen.«

»Nein. Er wird dort sein. Er wird vor meinem Zimmer lauern wie ein riesiger, schuppiger Wachhund!«

»Briec würde sich dir nie aufdrängen«, versicherte ihr Éibhear. Denn er wusste, dass sein Bruder das niemals tun würde. Um es ganz schonungslos zu sagen: Er würde sich nicht die Mühe machen.

»Ich weiß. Er kann so nett sein«, sagte sie traurig, »wenn er nicht gerade ein arroganter Scheißkerl ist.«

»Wenn du das weißt«, schaltete sich Gwenvael ein, »frage ich mich, warum es dir Sorgen macht, wo mein Bruder schläft. Es sei denn, es ist deine eigene Selbstkontrolle, die dir Sorgen macht, M’lady.«

Talaith hob die Hand und schnippte gegen Gwenvaels noch nicht verheilte Wunde.

»Au!«

»Ärgere mich nicht!« Sie umarmte die Flasche vor ihrer Brust und seufzte. »Keiner von euch versteht das. Ich sitze ausweglos in der Falle. Ich sitze schon seit sechzehn Jahren in der Falle.«

Éibhear und Gwenvael tauschten besorgte Blicke. Wovon sprach sie da? Zuerst hatte Éibhear gedacht, sie spräche immer noch von Briec, aber sie kannte ihn erst seit ein paar Tagen. Sie hatte aus einem anderen Grund das Bedürfnis zu gehen. Aus einem Grund, den sie ihnen nicht verraten würde. Talaith hütete schon seit sehr langer Zeit Geheimnisse. Er wusste, selbst wenn sie betrunken war, würde sie diese Geheimnisse wahren.

»Ich wünschte, du würdest dir von uns helfen lassen, Talaith.« Er strich ihr sanft die lockigen Haare aus dem Gesicht. »Zumindest von Briec.« Briec würde alles für sie tun, nur dass das noch keiner der beiden begriffen hatte.

»Niemand kann mir helfen, Éibhear. Das weiß ich nur zu gut, mein Freund.«

Irgendwie schaffte sie es, auf die Beine zu kommen, die Flasche immer noch mit einer Hand an die Brust gepresst. »Ich werde jetzt in mein Zimmer schwanken.«

»Talaith …«

»Nein, nein. Es geht mir gut.« Sie machte ein paar unsichere Schritte, dann hielt sie inne. »Du. Ich wusste, dass du hier herumschleichst.«

Éibhear drehte sich um und sah Briec an der Wand am Eingang lehnen, die Arme vor der Brust verschränkt. Seine menschliche Gestalt sah entspannt aus, aber Éibhear spürte die Sorge seines Bruders. Briec hätte es nie zugegeben, aber er hing an dieser schönen, seltsamen Frau, die keinen Alkohol vertrug.

»Komm, Talaith. Ich bringe dich ins Bett«, bot er an.

»Ich schaffe es sehr gut allein, du Schlange.« Sie ging auf ihn zu. »Also lass deine Klauen von mir.« Sie hickste einmal und kippte nach vorn. Briec fing sie auf, bevor sie mit dem Gesicht voraus im Schmutz landete.

»Briec?«

»Keine Sorge, Éibhear. Ich kümmere mich um sie.« Briec hob die bewusstlose Frau auf seine Arme. »Danke, dass ihr sie gefunden habt, bevor sie sich selbst ertränkt hat.«

Éibhear wartete, bis er sicher war, dass Briec außer Hörweite war, dann wandte er sich an Gwenvael. »Du hast recht, weißt du?«

»Womit?«

»Sie wird ihm das Leben zur Hölle machen.«

Gwenvael grinste, seine Verletzung hatte er anscheinend schon wieder vergessen. »Ich weiß.«

 

Briec legte seine betrunkene Frau aufs Bett und entwand ihr endlich die Flasche Feuerwein. Selbst er trank den hausgemachten Wein seines Vaters nicht, aber er benutzte ihn ab und zu, um alte Rüstungen zu entrosten.

Er strich Talaith die Haare aus dem Gesicht, und ihre braunen Augen öffneten sich flatternd. »Oh. Du bist es.«

Musste sie unbedingt so enttäuscht klingen? »Ja, ich bin’s.«

»Bist du gekommen, um mich in meinem alkoholisierten Zustand auszunutzen?«

»Ich versuche, es nicht zu tun. Es gibt nichts Schlimmeres als das Geheule am Morgen danach.«

Sie lachte und versuchte, sich aufzusetzen. »Ich verstehe dich nicht, Drache.«

»Was verstehst du nicht?«

»Manchmal kannst du so nett sein, und ich schaffe es fast zu vergessen, wie lästig du bist. Und dann machst du den Mund auf und ich weiß wieder genau, wie lästig du bist.«

Endlich schaffte sie es sich aufzusetzen, und einen kurzen Augenblick erwartete er, sie würde wieder nach vorn kippen, aber sie blieb sitzen. Er sah ihr zu, wie sie mit den Bändern an ihrem Mieder kämpfte; sie brachte es fertig, sie vollständig zu verknoten.

Seufzend kniete er sich vor sie und schob ihre Hände weg. »Wenn du so weitermachst, bist du nüchtern, bevor du dein Kleid ausgezogen hast.«

Er versuchte, die Knoten zu lösen, die sie gemacht hatte, und fühlte ihren Blick auf sich ruhen. Ihre Worte erstaunten ihn dennoch. »Ich mag es, wenn du vor mir kniest, Drache.«

Briec konzentrierte sich auf seine Aufgabe und beschloss, sie nicht anzusehen, sondern nur die Knoten vor sich.

»Ich glaube nicht, dass du unbedingt besser aussiehst, wenn du kniest«, fuhr sie fort, »aber ich finde dich beinahe charmant dort unten.«

»Talaith, du musst aufhören zu reden.«

»Warum? Schockiere ich dich?«

Nein. Sie schockierte ihn nicht. Aber sie machte ihn hart. Aus dieser Position heraus konnte er alle möglichen Dinge mit ihr tun. Aber er würde es nicht ausnutzen, dass sie dank des hausgemachten Alkohols seines Vaters in anderen Sphären schwebte. Er hatte seine Frauen gern nüchtern und willig. Sie sollten nicht mittendrin ohnmächtig werden, oder was noch schlimmer war: sich auf ihn erbrechen. Abgesehen davon: Hatte er das nicht schon oft genug gehabt?

»Willst du mich nicht ficken, Drache?«

Er ließ seinen Kopf auf ihre noch bekleidete Brust fallen. »Wo hat eine wohlerzogene Hexe wie du solche Wörter gelernt?«

»Hast du es vergessen? Im Bauerndorf. Ich kenne alle möglichen Wörter, nachdem ich mit diesen Leuten zusammengelebt habe. Soll ich sie aufzählen?«

»Nein!« Er räusperte sich. »Nein«, sagte er ruhiger. »Sei einfach still … oder werde ohnmächtig. Alles, was dich vom Reden abhält.«

Sie schwieg.

Dann fing sie wieder an. »Hat dein Drachendödel Schuppen?«

»Das war’s.« Er ergriff ihr Mieder und riss es in der Mitte durch. Dann zog er das Kleid nach unten, wirbelte sie förmlich auf dem Bett herum in seinem verzweifelten Bemühen, es ihr auszuziehen. Als er es geschafft hatte, schleuderte er das ruinierte Kleid in die Feuerstelle.

»Schau!« Sie stellte sich aufs Bett, die Arme über den Kopf erhoben. »Ich bin nackt!«

Er zog Talaith zu sich her – wobei er einfach ignorierte, wie gut sich ihre warme Haut an seiner anfühlte – und hob sie mit einem Arm hoch. Mit dem anderen zerrte er die Felldecken zurück und warf sie aufs Bett. Dann deckte er ihren herrlichen Körper so schnell er konnte zu.

»Schlaf jetzt, Frau!«

Er drehte sich um und ging mehrere Schritte weg. Hielt inne. Drehte sich um. Und kehrte zu ihr zurück. Sie sah zu ihm auf und lächelte.

»Großer Mistkerl.« Sie kicherte.

»Lästige Harpyie«, knurrte er zurück. Dann beugte er sich nieder und küsste sie fest auf den Mund. Sie stöhnte, und ihre Hände vergruben sich in seine Haare und klammerten sich an ihn.

Leider musste er aufhören. Er musste. Sonst bestand die Gefahr, dass er innerhalb von Sekunden in ihr war.

»Ich will, dass du in zwei Minuten schläfst«, befahl er.

»Sonst noch was?«

Er entblößte zwei lange Reißzähne. Er hasste das, vor allem, weil sie ihm immer die Lippe aufrissen. Aber die verrückte Hexe trieb ihn einfach in den Wahnsinn.

Sie wich vor ihm zurück. »Schon gut, schon gut. Kein Grund, gemein zu werden.«

Während er auf den Ausgang zuging, so schnell es ihm die Erektion, die gegen seine Hose drückte, erlaubte, sagte er: »Leider, kleine Hexe, scheinst du nichts anderes zu verstehen.«

Doch da hörte er schon ihr leises Schnarchen.