TRUMAN CAPOTE

19241984

Der Autor von »Frühstück bei Tiffany« ist in New York eine umstrittene Ikone. Man liebt seinen Wortwitz und fürchtet seine Sprachgewalt, die er – wie auch Norman Mailer – hemmungslos einsetzt.

Da lauert er bereits, der »kleine Rattenfänger«, und wartet auf sein Futter. Schmalbrüstig, mit dicken Brillengläsern, wie ein 14-Jähriger. So beschreibt Gloria Vanderbilt in ihren Memoiren den Schriftsteller Truman Capote. Nein, besonders schmeichelhaft klingt das nicht. Doch die Millionen-Erbin hat ihre Gründe. Capote hat ein Manuskript veröffentlicht, in dem sie ebenfalls nicht besonders schmeichelhaft wegkommt.

Dabei hatte alles so amüsant angefangen. Der smarte Autor ist in den 50er- und 60er-Jahren eine der schillerndsten Figuren der New Yorker Gesellschaft. Wo immer er auftaucht, schart sich eine illustre Traube um ihn. Der exzentrische Bonvivant schmeißt Bälle im Plaza Hotel 24 ( K 4), manchmal verkleidet er sich, üppig mit Schmuck behangen, auch als Frau. Die High Society liebt seine Eskapaden und seinen scharfzüngigen Esprit und gewährt ihm unverhohlen Einblick in ihren Lebensstil. Doch als Capotes süffisante Kabinettstückchen 1975 zunächst im »Esquire« und später in dem Schlüsselroman »Erhörte Gebete« erscheinen, werden neben Gloria Vanderbilt auch andere reiche Erbinnen blass. Sie sind zwar nicht namentlich genannt, aber leicht zu identifizieren.

Sie hätten es besser wissen können, denn Capote, dieser scharfzüngige Menschenkenner, hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er ebenso gern tratscht wie alle anderen auch. In den Klatschspalten der 60er-Jahre ist er omnipräsent und in Fernsehshows ein gern gesehener Gast. »Klar liebe ich Gossip und klatsche gern selbst, aber nur über die interessanten Details von hinlänglich bekannten Dingen«, gibt er unumwunden zu.

Truman Capote, der am 30. September 1924 in New Orleans geboren wird und mit 17 Jahren als Aushilfe bei der »New York Times« anheuert, veröffentlicht schon als 20-Jähriger erste Kurzgeschichten. Vier Jahre später katapultiert ihn sein Debütroman »Andere Stimmen, andere Räume« in die Öffentlichkeit. Seine Sprachgewalt demonstriert er auch in seiner Eloge auf New York: »Diese Stadt ist ein Mythos, die Zimmer und Fenster, die dampfspeienden Straßen, ein einziger Mythos, auch wenn dieser Mythos für jeden anders aussieht. Ein Götzenbild mit Ampelaugen, die dem einen freundlich grün leuchten, dem anderen zynisch rot. Diese Insel, die wie ein diamantener Eisberg gleich von mehreren Flüssen umspült wird, nenn sie, wie du willst, meinetwegen New York.«

Dabei ist das gesellschaftliche Debüt des literarischen Wunderkinds nicht frei von Komik. Kurz nach Erscheinen seines Erstlings gibt Bennet Cerf, der Verleger von Random House, eine Dinner-Party. Weil ein Gast kurzfristig absagt, lädt er den jungen Romancier ein. Die Schriftstellerin Edna Ferber kommt als Erste, früh genug, um dem sechsjährigen Sohn der Familie Gute Nacht zu wünschen. Als der zartgliedrige Capote auftaucht, raunt sie ihrem Tischnachbarn zu: »Schau dir das an, die Cerfs sind so erpicht auf ihre bunte Reihe, dass sie ihren Sohn in ein Dinnerjacket gesteckt haben! Als ich kam, turnte er noch im Pyjama herum.«

1958 erscheint Capotes Bestseller »Frühstück bei Tiffany«. In dem gleichnamigen Film, der 1961 in der Radio City Music Hall 25 ( J 4) Premiere hat, spielt zu seinem Leidwesen Audrey Hepburn die Hauptrolle – und nicht Marilyn Monroe, mit der er gut befreundet ist. Manchmal gehen die beiden in ein marokkanisches Lokal, wo Marilyn ihre Schuhe in die Ecke schmeißt und mit ihrem homosexuellen Freund auf den Tischen tanzt.

So wird Audrey Hepburn als melancholische Holly Golightly im kleinen Schwarzen zur New Yorker Film-Ikone. Und das Juweliergeschäft Tiffany & Co. 35 ( K 4) auf der vornehmen Fifth Avenue ( E 4–K 4), wohin es die kapriziöse Romantikerin treibt, wenn sie ihren Blues bekommt, profitiert von der Publicity. Seither besuchen auch Touristen den Schmuckladen mit der markanten Uhr an der Fassade. Im Erdgeschoss funkelt noch immer der unverkäufliche 128-karätige »Bird on the Rock«-Diamant aus dem Film.

KEIN GESCHENK VOM JUWELIER TIFFANY

Capote hingegen erhält »nicht einmal einen Brief mit einem Dankeschön von Chairman Walter Hoving«. Und schon gar keinen Nachlass auf die goldene Zigarettenbox, die er mit seiner Kreditkarte bezahlen will, in der Hoffnung, Hoving werde ihm die 1000 Dollar selbstverständlich erlassen. Doch der denkt gar nicht daran, und so gibt der gekränkte Autor die Schatulle zurück. Undankbarkeit – das kann der bekennende Snob nicht ertragen. Ebenso wenig wie den Anblick eines Bohrers, weshalb er sich beim Zahnarzt die Augen verbinden lässt. Und weil der wortgewandte Technikmuffel auch kein Schreibmaschinenband wechseln kann, hat er gleich sieben Maschinen zur Hand.

Ungeachtet seiner Exzentrik ist Capote ein blitzgescheiter, gründlich recherchierender Journalist. Als 1959 der Mord an einer Familie in Kansas die Öffentlichkeit erschüttert, fährt er zum Tatort und recherchiert dort sechs Jahre, wesentlicher erfolgreicher als die Polizei. Über den mehrfach verfilmten Tatsachenroman »Kaltblütig« schreibt die Autorin Rebecca West: »Das ist keine Reportage, das ist Capoteage.« Das Werk wird Capotes größter literarischer Erfolg, der ihn offensichtlich aber auch viel zu viel Kraft gekostet hat. Überdies trinkt er zuviel, nimmt Drogen, fällt in Depressionen, wenn er nicht kreuz und quer durch den amerikanischen Kontinent zieht.

TRUMAN CAPOTE WIRD PERSONA NON GRATA

Trotz der vielen Reisen kehrt der gebürtige Südstaatler immer wieder nach New York zurück. »Ich liebe das harte Pflaster und das Geräusch, das meine Absätze auf diesem Pflaster machen, die vollen Schaufenster, die Restaurants, die 24 Stunden geöffnet haben, die Polizeisirenen bei Nacht (nicht ganz geheuer, aber immer ein Zeichen von Leben), ich liebe die Buch- und Plattenläden, in die man selbst um Mitternacht noch gehen kann. In dieser Hinsicht ist New York vielleicht die einzige echte Stadt auf der Welt …«

Als sich ein Freund in Brooklyn Heights 7 ( A 7) eine geräumige Villa kauft, mietet sich Capote sofort dort ein. Die mit Glyzinien überrankte Veranda des Hauses erinnert ihn an die Südstaatenherrlichkeit seiner Jugend. Capote fühlt sich hier sofort wohl. Er hält sich einen Hund und widersteht den Bemühungen einer tierliebenden Nachbarin, ihm eine herrenlose Katze aufzuschwatzen. Allerdings ist der Autor zu diesem Zeitpunkt schon hochgradig alkohol- und tablettenabhängig.

Irgendwann verlässt ihn der literarische Erfolg. Noch einmal versucht er sich an einem großen Sittengemälde, dem Roman »Answered Prayers«, »Erhörte Gebete«. Er verarbeitet persönliche und intime Erlebnisse in der High Society, die ihn über Jahre als originellen Hofnarren gehalten und geliebt hat. Und nun schlägt sein bisher scharfzüngiger Esprit in unverhohlene Bösartigkeit um. Die vorab im »Esquire« veröffentlichten Auszüge vergrätzen nicht nur die eingangs erwähnte Künstlerin und Erbin Gloria Vanderbilt, sie treiben auch die Millionärin Ann Woodward, die sich in Capotes Beschreibungen angeblich als Figur wiedererkennt, in den Selbstmord. Von da an gilt Truman Capote als Persona non grata. Er selbst ist physisch und psychisch am Ende. Seine Drogensucht ruft Halluzinationen hervor, Capote muss Kliniken und Sanatorien aufsuchen. Am 25. August 1984 stirbt er in Los Angeles an einer Überdosis Medikamente.

Brooklyn Heights, die Höhen von Brooklyn, bilden damals eine »kleine Oase im Einheitsgrau« des Stadtviertels, das nach seiner Blütezeit im 18. Jh. zum Auffangbecken für Immigranten und Arbeiter wird. Brooklyn Heights ist eine teure Wohngegend mit idyllischem Kleinstadtcharme. In den Fenstern der alten Kutschenhäuser blühen Geranien, im Herbst leuchten an jeder Ecke gelbe Laubhügel. Mütter schieben ihre Kinderwägen über die Promenade am East River, auf den Bänken genießen Liebespaare den Blick auf die Südspitze von Manhattan und die Brooklyn Bridge.

NORMAN MAILER, DIE SCHREIBENDE LEGENDE

In einem roten Backsteinhaus an der Promenade wohnte auch der Schriftsteller Norman Mailer. Er war nur ein Jahr älter als Capote und wurde von diesem sehr bewundert. Die beiden hatten einiges gemeinsam: Auch Mailer wurde 1948, im selben Jahr wie Capote, als junger Autor mit seinem Debütroman bekannt. 1923 als Sohn eines jüdischen Immigranten aus Litauen geboren, wächst er in Brooklyn auf. Bereits mit 16 Jahren beginnt er in Harvard sein Studium. Nach seinem Abschluss als Luft- und Raumfahrtingenieur wird er eingezogen und an die japanische Front geschickt. Seine Erfahrungen verdichtet er in dem fulminanten Kriegsroman »Die Nackten und die Toten«.

In den 50er-Jahren wohnt er in einem Loft nahe der Manhattan Bridge. Dort feiert er mit dem Schauspieler Montgomery Clift und dem Beatnik-Autor Allen Ginsberg berüchtigte Partys. Einmal sticht Mailer volltrunken auf seine zweite Frau ein und wird zu einer fünfjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Auch über seinen New Yorker Intimfeind Gore Vidal fällt der leidenschaftliche Boxer nicht nur verbal her. Der linksliberale Mailer engagiert sich gegen soziale Missstände und kandidiert als demokratischer Spitzenkandidat für den Posten des New Yorker Bürgermeisters. Sein Wahlkampfslogan: »Ich könnte besser schlafen, wenn Norman Mailer Bürgermeisterkandidat wäre.« Er will die Autos aus der Stadt verbannen. Hätte es damals eine grüne Partei gegeben, Norman Mailer wäre sicher ihr Spitzenkandidat geworden.

Für den Tatsachenroman »Gnadenlos« über den Mörder Gary Gilmore und seine Hinrichtung 1977, bekommt er 1980 seinen zweiten Pulitzerpreis. Bei den Recherchen knüpft er Kontakt zu dem Häftling Jack Abbott. Mailer hilft ihm, eine Autobiographie zu veröffentlichen, außerdem setzt er sich für dessen vorzeitige Entlassung ein. Mit fatalen Folgen: Abbott ersticht in einem New Yorker Café einen Angestellten.

Mit seiner sechsten Frau verbringt er seinen Lebensabend in seinem Haus 19 ( A 6) in Brooklyn Heights. Unter dem Dach richtet sich der Segler einen Schreibplatz ein, der nur über Schiffsleitern zu erreichen ist. Von hier aus blickt er auf den Hafen, die hin und her kreuzenden Fähren – und auf die Freiheitsstatue, die in der Ferne ihre Fackel hochhält.

Norman Mailer stirbt am 10. November 2007 in New York an Nierenversagen. Er wird 84 Jahre alt.