SVANTE FOERSTER
Die Naturrevolution
Als ich auf ihrem neuen Großflugplatz Erlanda landete, der sich auf einer zugigen, aber historischen Ebene etwa 40 Kilometer nördlich der 700jährigen Hauptstadt Stockholm ausbreitet, war das erste, auf das meine Blicke fielen, ein Riesenporträt des Vorsitzenden Erlander über dem Eingang zur Empfangshalle. Es war ein schimmernder Apriltag mit vielen Düften in der Luft. Die Flaggen knatterten im Wind. Ohne Selbstüberwindung gebe ich gern vor mir zu, wie schon so viele Male zuvor, daß ein Zug von Nachdenklichkeit über dem Gesicht des Vorsitzenden Erlander lag.
Ich meine: Auch wir Bürger aus Ländern mit anderen historischen Voraussetzungen als Schweden, von Ländern mit einer anderen sozialen, ökonomischen und erotischen Ordnung als der schwedischen, aus Ländern, wo geradezu vom >Rätsel Schweden« und der Schwedischen Gefahr« gesprochen wird, wir sollten, und das ist es, was ich betonen möchte, zugeben, daß dieser Landesvater aller Schweden in seinem einfachen Äußeren jeder Spur von Gaunerei, Anzüglichkeit oder Hintergründigkeit entbehrt.
Ich machte die zartere der beiden Stewardessen, Friedens Britta, darauf aufmerksam, während sie ihre Kleidung in Ordnung brachte.
Ich sprach dabei in jenem Tonfall für Frieden und Verständigung, den ich bei meinen Vorträgen in den Friedens-& Verständigungs-Klubs meines Vaterlandes zu gebrauchen pflege.
»Es ist ganz klar«, betonte ich und wies mit einem Finger, der nicht bebte, auf das Riesenporträt, »es ist ganz klar, daß der Vorsitzende Erlander ein Mann ist, der versteht, eine Verantwortung zu übernehmen, abgesehen davon, daß man verschiedener Ansicht sein kann, welche Stellung er einnimmt. Aber dies ist ein Mann, der niemandem gleichgültig sein kann.«
»Ein Mann«, echote Friedens Britta.
»Und das selbstverständlich Wichtige ist natürlich«, fuhr ich fort, »daß alle Menschen guten Willens in der ganzen Welt...«
Sie unterbrach mich.
Während sie mit ihrer leichten, schnellen Hand vier intime Stellen meines Körpers berührte, antwortete sie, daß dies ein Mann wäre, für den die ganze Welt die größte Begeisterung zu erkennen gäbe.
»Ungefähr so«, pflichtete ich ihr bei.
Es ist ja witzlos, in einem freundschaftlich eingestellten Land über Worte zu streiten.
Aber sie hörte meine Zustimmung nicht. Sie stand am Fuß der Flugzeugtreppe, sah zum Riesenporträt hinüber und säuselte auf die Art schwedischer Mädchen wie eine junge Birke am Ufer eines Binnensees an einem Sommermorgen, ehe die Menschen schon aus den Federn gekrochen waren.
An ihrer Seite hatte sich die andere Flugstewardeß aufgestellt, ebenso blond, aber etwas größer. Ihr Name war Ulla-Klara. Sie säuselten zusammen, es klang anmutig und sehr schön, ein wenig fremdartig, aber in erster Linie schön.
»Herr Präsident, Frau Präsidentenfrau, beste Freunde, Brüder und Schwestern, unentbehrliche Frau und Lebenskameradin! Es ist entweder ein grober Irrtum oder ein verbrecherisch-konspiratorischer Akt, daß man, wie man es in der kriegshetzerischen Presse tut, Schwedens haselbuschstille, volksliedfreundliche und weichbüschelige Mädchen mit dem Säuseln als eine Bedrohung des Weltfriedens und des Privatbesitzes darstellt.
Allzu oft, Freunde, vergessen wir ja, Verzeihung, allzu oft vergessen die, die weniger als wir wissen und weniger als wir wollen, daß jedes Volk auch seine Art hat, sich auszudrücken. Ein Faktum ist ja, daß man in der Sowjetunion mehr russische Klassiker liest als bei uns, daß man in dem kleinen, beharrlichen Albanien ebenso viele Kommunisten hat, wie es bei uns gibt. Sollten wir es uns nicht leisten können, das zuzugeben? Und warum sollten wir uns da beschränken auf dies? Wenn wir dieses zugeben, sollten wir auch die große, freie Offenheit des Herzens haben, die uns gebietet, einzugestehen, daß Schwedens blondes und fast nacktes Volk es unter keinem vorhergehenden Regime besser gehabt hat als unter dem des Vorsitzenden Erlander.
Ja, ja, das hier haben Sie ja schon gewußt. Also!«
Wir hatten uns jetzt in einer Linie aufgestellt, alle Passagiere und die ganze Flugzeugbesatzung auf Tuchfühlung und mit geradem Rücken für die Völkerfreundschaft und abgewinkelten Füßen für den Frieden.
Und wie wir säuselten.
Der Zahlmeister war für die Reise nach Stockholm unser politischer Leiter gewesen. Alle schwedischen Flugzeuge, Schiffe und übrigen Verbindungen mit dem Ausland haben jetzt, wie bekannt, einen politischen Leiter, zu dem ein jeder gehen kann, um seine bürgerlichen Unklarheiten zu beichten, seine revisionistisch-abweichlerischen, feigen, verrotteten Lüste oder den widerwärtigen Trotzkismus, der ab und an betreffenden Mann oder Frau anzugreifen pflegt und dabei diesen oder diese in einen tollwütigen Hund verwandelt. Der Zahlmeister las ein beliebtes Stück vor, das in so vieldeutiger Weise davon handelt, wie sehr die wirtschaftlichen Mittel eine Voraussetzung für die Wahlfreiheit sind.
Wir brachten ein Hurra auf den Vorsitzenden Tage aus, zweistimmig, wie es die Sitte der revolutionären Zeit gebietet, aber mehrere Male. Schnell und kühn kamen wir auf die Zahl der vorgeschriebenen sechs Hurrarufe. Wir nahmen zur Kenntnis, daß für niemand anders Hurra gerufen wurde.
Danach löste sich unter Küssen, Beifall und festen Griffen diese kleine Gruppe von Menschen auf, die sich während einiger hektischer Flugstunden wirklich gefunden hatte. Die einfache und zugleich herzinnigliche und echte und von uns allen warm empfundene und erlebte Ankunftszeremonie war zu Ende.
Wir hatten sie in Socken durchgeführt. Niemand von uns, versichere ich, konnte anderes als aufrichtig ergriffen sein von der so schwedischen Sitte, die darin besteht, daß man die Schuhe auszieht und durch Schuhlosigkeit dem freien schwedischen Boden seine Achtung erweist. Jenem schwedischen Boden, der Generationen und Jahrhunderte hindurch die geduldigen Tritte des schwedischen Volkes auf dem Weg zum sozialistischen Ziel getragen hat, das der Vorsitzende Erlander im November vorvorigen Jahres als erreicht proklamierte, kurz nachdem sich alle Parteien, außer der Kommunistischen, enthusiastisch aufgelöst hatten, um ihre Mitglieder mit denen der Sozialdemokratischen zu vereinen.
Dies war, nebenbei bemerkt, eine für die Schweden ebenso konsequente wie unter den Ausländern unverstandene Handlung der allerechtesten Nachdenklichkeit.
War, sagte die Volkspartei, nicht die Sozialdemokratische Partei auf jeden Fall die größte Volkspartei unseres lieben Landes?
War nicht, so sagte die Zentrumspartei-Bauernverband, die Sozialdemokratische Partei zu allen Zeiten so und so der größte Bauernverband des Landes gewesen und hatte sie nicht, wohl nicht zuletzt kraft dessen, in ihrer praktischen Politik immer eine Zentrumslinie der gesunden Vernunft und des Bauernverstandes eingehalten?
Wohlan, sagte man in der Konservativen Partei, in unseren Reihen haben wir immer dazu gestanden, daß das, was alt ist, auch recht ist.
Liebe Friedens- und Verständigungsgenossen, ihr wißt, mit welcher grausamen und falschen Meinung wir zu kämpfen haben. Wie sind wir verkannt worden. Wie sind wir, die Friedens- und Verständigungsklubs, verleumdet worden, ein Instrument der schwedischen Außenpolitik zu sein, ja, wie hat man uns in der einen Stunde beschuldigt, sentimentale Wirrköpfe zu sein, ohne politischen Falkenblick, um uns dann im nächsten Augenblick gedungene Stockholmagenten zu nennen.
Darum, meine Freunde, möchte ich noch ein wenig, nur etwas, noch bei dem progressiven und liebevollen, lustbetonten und wollüstigen Absterben der schwedischen Konservativen verweilen.
Stahlhart hatte man in Schwedens gemäßigten, konservativen und reaktionären Kreisen konstatiert, daß der Aufruhr gegen die Gestalt des Vaters ein Greuel wäre, daß aber andererseits das Volk, geschichtlich gesehen, wie eine große Familie sei. Die führenden Theoretiker des schwedischen Konservativismus, die Dioskuren Sundeil und Carlsson, legten ihre so bekannte Nivellierungstheorie vor. Diese Theorie lehrt: Genauso wie jede Familie einen Vater hat, so hat auch die Familie, die unser ganzes Volk bildet, einen Vater, der Vater des ganzen Landes ist. Seit den Tagen Engelbrekts, Engelbrekt war ein schwedischer Bauernführer, hat man in der Konservativen Partei den schwedischen Landesvatergedanken als richtig und vernünftig vertreten. Für diesen Gedanken war man bei Lützen, einem ostdeutschen Dorf aus der Zeit, wo die Ostsee noch nicht das Meer des Friedens war, gefallen. Man war in der Konservativen Partei gefallen, hatte gesiegt, geblutet und gewonnen, gestritten, gelitten, geglänzt und havariert, hatte sich strapaziert und war arriviert, hatte wie ein Berg so fest gestanden ohne Ruh und Rast, war marschiert im Staub und war niemals schlechter als als Zweiter durchs Ziel gegangen. Man hatte wirklich ertragen, gewöhnlich gewonnen oder beinahe, wie bei Narva, einer esthnischen Stadt, wo schwedische konservative Wähler einer russischen Wählerschaft gegenüberstanden, die zehnmal so konservativ war, bei dem ukrainisch-wolynisch-tatarisch-konservativen Reichskongreß in Poltava mit dessen Schlafstadt Perevolotjna, bei der in der Geschichte der Intrigen berüchtigten türkisch-moldauischen Provinzstadt Bender, wo es immer zündet, was auch passieren mag, und wo der lokale Bey, eine moderne und vorurteilsfreie Natur, es schätzte, mit Küchenjungen, Troßjungen, Stalljungen, Schleppern und Wachjungen, schwedischen wie finnischen oder livländischen, bezahlt zu werden. Dem schwedischen Landesvatergedanken, an dem das Volk gestorben, dem schwedischen Landesvatergedanken, von dem das Volk gelebt hat, dem schwedischen Landesvatergedanken, der groß genug ist, den Gedanken eines schwedischen Landesvaters zum Inhalt zu haben.
Zur Zeit der Sundell-Carlssonschen Nivellierungstheorie war der Vorsitzende Erlander Vorsitzender einer Sozialdemokratischen Partei, die noch zum größten Teil aus Sozialdemokraten bestand, viele davon mit einer politischen Vision, sowie aus Beamten, die eine persönliche Vision hatten.
Nach der Ansicht aller hatte er seine guten Seiten. Was gut für den einen ist, kann jedoch so recht bekümmersam für einen anderen sein, aber der Vorsitzende Erlander hatte alle Seiten. Er war schon ausgezeichnet als Värmländer und als ehemaliger Student in Lund, als Stockholmer und als ein Sohn der Seen. Er ruderte nämlich viel in einem politischen Kahn über Partei- und Nationsgrenzen. Er konnte Histörchen über Pfarrer erzählen, aber er vermied es, die Kirche vom Staat zu lösen. Er war der Größte in allen Gesellschaften, aber er war es in einer die Wogen glättenden Art. Er hatte einfache Umgangsformen, aber er trug dunkle Anzüge. Er verzog nicht eine Miene, ob er nun im Djurgärden sprach oder beim AIK, aber er empfing in seiner Residenz einen Hammarby-Spieler, der zeitweise seinen Platz in der Mannschaft einnahm. Er galt als guter Schwede, er war beliebt. Schon als junger Mann wurde er mehr und mehr ein Vater, das entging niemandem.
Aber entscheidend, Freunde der Nivellierung, waren für das Aufgehen der Konservativen in die Sozialdemokratische Partei doch andere Umstände.
Die Konservativen fanden, daß sie sich letzten Endes seit langem klar waren über die aufrichtig konservative Natur der schwedischen Sozialdemokratie.
Und naturalia non sunt turpia, das Natürliche ist nicht schändlich. Der immer lebenskräftigere Konservativismus in der Sozialdemokratie war ein Konservativismus nach Noten, mit Kraft und schnaubenden Ergüssen, mit dem Raffinement der Salons und mit der beherrschten Dramatik der kleinen Mittel, mit dem Rauschen der Kiefern, hier haben wir wieder das schwedische Sausen, mit der Starrheit des Wacholders und dem knotigen Willen der Latschen, mit der Unschuld der Glockenheide und dem Einweihungspomp der Hauptbahnen, mit der Kraft des völkischen Fluches, um den Schnupftabak und Branntwein sprühen, gerade wie eine Feuergarbe, ein
Schwert, eine Lanze, und er war duftend wie ein Grasbüschel, so weich und so feucht-vertraulich.
Hatte diese Partei nicht mutig ihre konservative Haltung bereits im Parteiprogramm gezeigt? Ein Parteiprogramm, das trotz aller Programmrevisionen, und es waren nicht wenige, doch sein Gefühl für Tradition hoch in Ehren hielt, bezeugt in solchen Forderungen wie die Trennung von Kirche und Staat und die Einführung der Republik anstelle der Monarchie. Das sind traditionelle Forderungen im besten Sinne des Wortes, wenn es nicht Forderungen wären, die noch nicht verwirklicht wurden.
Verflucht, wie werde ich doch scharf, wenn ich hierüber spreche.
Wie dem auch sei.
Ich hatte unsere kleine Fünfmanndelegation in einem Kreis aufgestellt. Den Kreis kann man ja auch als O lesen, und dieses O paßt ganz ausgezeichnet als Anspielung auf den Titel des Vorsitzenden Erlander. Das hatten wir uns rechtzeitig ausgedacht. Und als O nach der Mahlzeit von Butter, Käse und Hering aus dem Volks- & Liebestroß und Östgötabranntwein aus dem lokalen Tank die schwedische Willkommensgruppe unter Leitung des ersten Volksgenossen Karl Embert Dolje schluckend, rülpsend, kauend, mahlend mit immer glänzenderen Augen und mit friedensliebender Natürlichkeit auf ihren Unterbissen (die Gruppe bestand überwiegend aus Norrländern) plötzlich, wie der Schwanz der Sonne im ersten Riß der Wolken, dieses erkannte — O für Vorsitzender —, brach ein Jubel aus, der meine einfache Willkommensansprache über Frieden & Nivellierung förmlich ertränkte.
Na, ich hielt sie noch einmal.
Anschließend warfen wir alle Kleider auf einen Haufen.
Auf mein Los fiel eine Frau vom friedensschönen und völkerfreundschaftlichen südlichen Strand des Ångermanälvs, nahe der Mündung jener glücklichen Küste, die jetzt Arbeiter-& Bauernküste genannt wird.
Mit einem ruhigen Ausdruck in ihren grauen Augen zog sie mich zu Boden und ließ sofort ihre Hand unter meinen Sack fahren, um mich dort zu streicheln, während sie mit der Zungenspitze meine Lippen, die Mundwinkel, das Zahnfleisch, Gaumenfleisch und die Zungenwurzel berührte. Unsere rechten Hände waren noch im Händedruck der Vorstellung vereint.
Wir lagen nebeneinander. Wir bewegten uns unaufhörlich. Ihre Düfte wurden immer handgreiflicher, immer holder und erregender. Trotz der Reisemüdigkeit und all des Ärgers mit Visa und Valuta hatte ich eine Erektion, die unerschütterlich war.
Die Rote Fia war ja vor allen Dingen ein Repräsentant des Friedensgedankens, des Schwedentums und der Gastfreundschaft, außerdem der hochentwickelten Diplomatie, die in Schweden seit dem Sieg der Naturrevolution herrscht, kurzum, ein zweifaches Hoch für Frieden und Nivellierung, eins für jedes der beiden, Hurra, Hurra! Diese Frau, meine eigene Frau, die erste geborene Schwedin, mit der ich dabei war, das zu machen, fröstelte natürlich etwas, denn der April ist in Schweden keiner der wärmsten Monate dieses bewundernswerten Volkes.
Sie sprach mich in meiner Sprache an, und das mit dem leichtesten Akzent, einem Akzent, wie ein Lerchenflüge] in ihren Worten, daß ich nicht zögern sollte, sondern jetzt — sie betonte dieses Jetzt — kommen und mit ihr lieben sollte.
Nichts war mir in jener Stunde lieber.
Ich umfaßte ihren aufreizend mageren Hüftbeinkamm und wälzte mich mit Haut und Haaren und allem auf ihren zartgliedrigen, weichen, gut proportionierten Körper.
Sie bebte unter mir mit gut gespieltem Widerwillen, der augenblicklich meine Erregung steigerte.
Ich umgriff mit einer Hand ihren Nacken. Mit der anderen umfaßte ich ihr so rührend ungeschütztes Gesäß. Ich begrub mein Gesicht in ihrem reichen Haar, das verwirrend und erregend duftete. Mit einigen kleinen, genauen Bewegungen rückte sie sich zurecht, und ich fuhr in sie, als wenn sie ein kleines, sinnreiches Gleis in ihren intimsten Reizen gehabt hätte. Ich drückte von Anfang an hart nach oben und erreichte so eine gute Friktion. In mein Ohr atmete sie sachlich anerkennende, doch zum überwiegenden Teil lyrisch gestaltete Worte.
Der Genosse Dolje hatte sich des weiblichen Mitgliedes der Delegation angenommen. Erröte jetzt nicht, alte Yperia! Zeige ein ungeniertes und fortschrittliches Gemüt. Und Dolje gab Yperia, was sie wert war, und zwar in einem herrlichen wogenden Rhythmus, er war übrigens ein alter Fahrensmann. Yperia hatte er zum Bogen vornüber gebeugt vor sich stehen. Sie brach in ekstatische Hurrarufe aus. So brachte sie der Delegation bereits von Anfang an große Ehre.
Unser bisexueller Experte, Hubert Brottmar, die neuen Mitglieder sollten sich erheben, Sie sehen den Mann mit der rauchfarbenen Brille hier in der ersten Reihe, er ist übrigens im Zivilleben Filmpsychologe, so, ja, Danke. Brottmar wurde von beiden Seiten traktiert und schien den Enthusiasmus, der ihm entgegengebracht wurde, sehr zu würdigen.
Aber ich will mich nicht in Einzelheiten verlieren. Ich komme deshalb darauf zurück, was ich selbst machte.
Meine Frau strich mir federleicht mit den Nägeln über den Rücken, und besonders erregte es mich, als sie mich auf diese Weise an den Schinken, den Hüften und dem Kreuz berührte.
Sie hatte sich in meine Lippen verbissen. Ich mußte deshalb den Kopf hin und her werfen, um loszukommen und frische Luft zu schnappen. Dabei gurgelte es dumpf und wölfisch in ihrer Kehle, und sie hatte mich bald mit einem neuen Biß gefesselt, obgleich ich lieber, das muß ich zugeben, mein erregtes Gesicht in ihren geschehnisreichen Haaren begraben hätte.
Mit der uralten Raffinesse eines Kulturvolkes strich sie mit ihren Waden und Fußsohlen über meine Beine.
Die ganze Zeit rührte sie sich in einem Schwarm kleiner Bewegungen, die weich ineinander übergingen. Sie war also vollständig frei von heftigen Stößen und Würfen und hatte so nichts mit den Frauen gemein, die in unserer eigenen Gesellschaft meist stilliegen wie Findlinge, von dem Gedanken an einen passablen Totogewinn absorbiert oder der Idee, daß das Auto gewachst werden müsse.
Sie duftete wie eine Waldwiese an einem sonnenwarmen Vormittag.
Ihr ruhiger, grauer Blick hatte sich auf eine für mich recht schmeichelhafte Weise verdunkelt.
An ihrem Haaransatz war ein dünner Silberrand von Schweiß zu sehen.
Die ganze Zeit liebkoste sie mich, mal langsam, beinahe zögernd, mal schneller werdend bis zum Eifer.
Wieder und wieder zog sie ihren Ringmuskel zusammen, und ich mußte wirklich auf Leben und Tod kämpfen, um ihr nicht vor der Zeit das Zeichen der höchsten Würdigung einer wahren Frau durch einen Mann zukommen zu lassen.
Als ich aber mit einem schnellen und forschenden Blick, nach einer Befreiung meines Hauptes, mit voller Gewißheit glaubte konstatieren zu können, daß es an der Zeit war für den Genossen Dolje, da rief ich das vereinbarte Stichwort — ein laut schallendes pax — meinen Mitdelegaten zu, worauf wir alle unsere Ladungen explodieren ließen.
Die Autofahrt von Erlanda nach Stockholm verlief unter dem Austausch von Intimitäten und verwechselten Kleidungsstücken. Sie wurde in einer Kolonne mit sechzig Meter Abstand zwischen den einzelnen Wagen gefahren, und sämtliche Autos waren von der Marke Volvo Vagina 1800.
Die Delegation, die ich führte, wurde 16.05 Uhr im Hotel Naturrevolution einquartiert, das Wetter war noch freundlich und alle in guter Stimmung.
Ich gab den Delegaten Befehl, sich zwei Stunden später in meinem Raum zu versammeln, worauf wir uns trennten und unsere Koffer auf die Hocker am Fußende der Betten stellten, genau, wie ich die Sache mit Mitreisenden geübt hatte. Anschließend gingen wir in die Bäder, um uns frisch zu machen, den Reisestaub von unseren Körpern zu seifen und die noch schwach erregenden Willkommensdüfte sowie die Abdrücke des Großflugplatzrasens zu beseitigen. Anschließend wurden alle Knutschflecke und Bißstellen gepudert.
An jede Badewannenkante kamen innerhalb weniger Minuten schwedische politische Fremdenführer im Bikini oder in Tarzanhosen, die uns laut vorlasen.
Als wir so den Baderaum verließen, waren wir gut für das breite Bett vorbereitet. In ihm nahmen wir eine Mahlzeit ein, zu der ein fülliger schwedischer Rotwein mit leichtem Pulvergeschmack gehörte, der dafür bekannt war, alle froh und zufrieden zu stimmen. Dazu wurden gekochte Eier geboten, die kräftig mit einem feinen Pulver gewürzt waren, das Bilsenkraut, ziemlich viel Nashorn sowie Curry enthielt. Darüber war Apfelmus verteilt.
Anschließend gaben uns Mitglieder des Hotelpersonals eine leichte Massage. Und das, was Sie, liebe Friedens- & Nivellierungsgenossen, vielleicht verblüfft an dieser Massage, daß praktisch überhaupt nicht die intimen Körperstellen berührt wurden. Im Gegenteil.
Hals, Nacken, die Schläfen, die Handgelenke, die Fesseln, das Kreuz sowie der Deltamuskel oben an den Schulterblättern waren hier von Bedeutung, aber nicht die Regionen von Glied und Schoß.
Und man verzeihe, wenn ich wie ein Handelsreisender wirke, aber verflucht noch mal, die Schweden wissen, was sie tun. Das war auch die Ansicht der übrigen Delegierten, als wir uns pünktlich um 18.05 in meinem Raum versammelten. Die Schweden, sagten auch die übrigen Delegierten, also die Schweden!
Am Abend fand das große Willkommensessen statt, und dabei wurden mehrere Reden gehalten, nicht zuletzt von mir, und in diesen Reden betonte man, daß, wenn auch verschiedene Gesellschaftssysteme in der Welt herrschten, die Verständigung eine angelegentliche Forderung sei sowie, daß alle Menschen einander lieben sollen wie Brüder.
Ich war stolz. Meine Schläfen waren heiß, ich wurde heiser, es strammte in den Waden, es summte im Herzen, es spannte und zog in den Hosen. Und dann bekamen wir Volkstänze zu sehen und eine Militärparade und neue Porträts des Vorsitzenden Erlander. Außerdem durften wir, wenn auch aus einigem Abstand, einen Helden der Liebe bewundern, der, reich mit Medaillen geschmückt, in einem Rollstuhl durch den schön dekorierten Festsaal gefahren wurde.
Dann war es Zeit für das große Sonnabendfest, das so verlief, daß sich alle, in Stadt und Land, auf den großen Plätzen versammelten, wo jeder eine Flasche mit 37 cl Explorer Vodka bekam. Anschließend wurde auf die Hausfassaden ein erregendes Fernsehprogramm projiziert, genannt Hylands Hörna.
Die Erregung, die man dadurch erfuhr, zu beschreiben, ist für mich beinahe unmöglich. Mich erregte es am meisten, den Singenden Autohändler zu hören, der von seiner armen Jugend zu Hause in einer Hütte berichtete. Da nahm ich mir einen weiblichen Priester vor, zu dem ich lange geäugt hatte.
Hiernach folgten einige Tage harter Arbeit mit Fabriksbe sichtigungen, Audienzen, Knabenchören, Besuch im Porträtmaleratelierkombinat Flaumfederchen, Oberkammachsellage, neuen Audienzen, Aufwartungen, Totospiel, gewissen Besäufnissen, weiteren Audienzen, reziproken Interviews zur Verstärkung von Frieden und Nivellierung, neunundsechzig, siebzig, einundsiebzig und bis zu vierundachtzig an gewissen Tagen, Entleihung von Büchern in Bibliotheken, Hockey, Fahrradreparaturen, Klößen und Eisgang, Audienzen, Ackerwinden, stehend mit Sprung und Wurf, Besuch in Schulen, Arbeitercafés, die kleine Vier, Erzabbau, Derby, Feuerwerke in einem Bankgewölbe, Stapellauf eines Küstenunterseebootes für Frieden und Verständigung von 497 Tonnen deadweight, Fliegenfischen mit spanischer Fliege von Bach sowie Erstürmung einer Mädchenschule.
Es war nicht verwunderlich, daß wir uns, trotz regelmäßiger Massage, etwas schlapp fühlten. Aber unsere schwedischen Wirte focht nichts an, es gibt keinen Stahl in der Welt, falls es nun gerade Stahl sein sollte, der bei den Schweden wirkt. Unsere schwedischen herzlieben Freunde waren jeden Morgen gleich abgespannt, wehmutsvoll wie am Tage zuvor, ebenso natürlich schwerfällig, ebenso agrar verschwiegen, wenn sie, säuselnd wie Föhren, die Männer, wie Birken, die Frauen, und wie Schilf, die jungen Mädchen, uns von dem einen Punkt zum nächsten des ebenso reichen wie ergiebigen Kulturprogramms führten.
Schweden ist ein Land, das man respektieren muß. Dieser Riese im Kräftespiel der Welt, dieses Großwerk in dem Kraftwerk, das die Welt ist, kann nicht länger wie bislang in der
Art ausgeschlossen werden von einer Freundschaft mit allen den anderen bunten Nationen, die unsere geliebte, kleine Kugel bevölkern.
Nicht wahr?
Na. Früh in einer apfelsinenfarbenen Dämmerung wurde ich von einem Paar duftender Frauenarme aus meinem zerstreuten Schlummer geweckt, die sich um meinen faltigen Nacken schlangen, und einem Paar Rosenlippen, die mehr in mein Ohr atmeten als flüsterten:
»Liebster Delegationsgenosse, waren Sie in Tantolunden?«
Da war ich nicht gewesen.
Ich hatte nie erwartet, daß man das von mir erwarten würde.
Ich versuchte, die Sache zu erklären.
Aber ich sah ein, daß man Tantolunden nicht als Platz für einen Pflichtbesuch im Dienst von Frieden und Nivellierung ansah, sondern vielmehr als Ehrenplatz, zu dem verdiente Delegationsleiter auf eigene Hand wallfahrten. Es ist ja, wie viele von euch wissen, eine Quelle des Hohns und Spotts unserer Gegner gewesen, daß diese Kräfte des Friedens, die das geliebte Schweden besuchten, so selten frei umherwandern konnten. Man hat, fantastisch genug, das als einen Ausfluß der >Polizeimentalität< der Schweden angesehen, wo die Verhältnisse tatsächlich genau gegenteilig sind! Die Schweden, diese nachdenklichen und gewöhnlich ganz nackten Menschen, sind so freundlich, so umgänglich, so interessiert, daß sie — trotz eigener Pflichten — unmöglich desorientierte Ausländer ihrem Schicksal zu überlassen vermögen.
Also. Nachdem ich mit der Rezeptionsangestellten ein Pulver eingenommen hatte, ihr ultramarinblaues Kleid lag in schönen Falten auf meinem Carl-Malmsten-Stuhl, wurde ich mit steifen Weichen zu einem Auto hinausgeführt, das mich in rasender Fahrt zur Hubschrauberdienststelle Victor Lennstrand brachte.
Der Pilot, ein stiller Same, saß, mit einem Mädchen rittlings auf seinen Knien, in einem trollgleichenden Sitzcoitus. Das Mädchen zuckte wie eine junge Hindin, die ihr erstes
Nordlicht sieht. Alles war sehr schwedisch, nicht zuletzt der Duft taufeuchten Mooses.
Der Hubschrauber surrte über den Riddarfjärden, stieg hoch über die seltsamen Gerüche, die wie eine fleckige Soße über dem unbeweglichen, schwarzen Wasser der Stadt lagen.
Wir flogen mit knatternden Propellerblättern über einen Stadtteil, der Södermalm hieß, und dann in Längsrichtung dieses Stadtteiles, sie ist ost-westlich. In ihrem freundlichsten Teil hielten wir über einem großen, wie die Schweden sagen, Grüngebiet. Das ist also ein Gebiet, wo früher ein Park war und wo noch gewisses Grün zwischen den Parkhäusern für Autos hervorleuchtet.
Ich bekam einen Fallschirm und sprang, ohne eine Menge unmännlicher Fragen nach diesem und jenem.
Ich landete auf einem kleinen Hügel, der von zwei Linden beschattet wurde. In der Nachbarschaft zwischen den Parkhäusern gab es eine Unmasse begeisternder, von Herzen progressiver Gebäude. Die Häuser wurden Plattenhäuser genannt, denn in ihnen, besonders bei musikliebenden Menschen, ging das Musikprogramm des Radios mit vollem Volumen die Nächte hindurch. Die Fassaden der Plattenhäuser waren in der üblichen Weise mit Riesenporträts geschmückt, und für einen Augenblick wurde ich bei diesen Bildern von einer Art Unlust überwältigt, aber sehr schnell faßte ich mich wieder.
Das Laubwerk der beiden Linden, die den Hügel beschatteten, war mit blau-gelben Stoffstreifen durchflochten, und in den Zweigen hingen kleine Studenten und Staatsminister. Der Vorsitzende Erlander, dieser vielwissende Mann, der große Freund des Volkes und des Friedens, brachte es ja fertig, sowohl Student als auch Staatsminister zu sein, ehe er der Vorsitzende von ganz Schweden wurde. Und unter den Linden lag eine Frau. Eine Frau, die die Augen geschlossen hatte.
Sie schlug die Augen auf und sah mich an, sie redete und sagte, daß sie Alltags Emma hieße.
Darauf schloß sie ihre großen, ambrafarbenen und höchst ausdrucksvollen Augen von neuem. Von den Plattenhäusern schallte die Musik herüber. Die Sonne schien, wie sie es jetzt so oft in Schweden macht, selbst wenn die vom Rüstungsimperialismus in unserem Land gekauften Lakaien, die betrunkenen Hunde, behaupten, daß es gewöhnlich regnet und kalt wäre. Mein Hubschrauber stieg außer Sichtweite. Die Alltags Emma war eine prachtvolle und, mehr noch, eine vollkommen nackte Frau.
Als gewöhnlicher und einfacher Friedens- & Nivellierungskämpe, der ich nun mal bin, will ich selbstverständlich nicht mit meinen geringen historischen Kenntnissen brillieren. Doch wäre ich unehrlich, wenn ich nicht zum Besten Schwedens hervorheben würde, daß ich bereits bei einem ersten bebenden, stürmenden Blick fand, wie sehr Alltags Emma dieselben holden Maße wie Marie-Antoinette hatte. Das heißt, meine lebenshungrigen Freunde, einhundertundneun Zentimeter der Lust im Brustumfang und achtundfünfzig Zentimeter, gewidmet der Vertraulichkeit und der Fruchtbarkeit, im Taillenmaß. Ich zerrte an meinem Schlipsknoten. Ihre Lenden warfen in einem Tanz der Schatten das verliebte, wilde Spiel des Windes in den Lindenkronen zurück. Ich bekam zuerst den verfluchten Schlips nicht ab. Es ist übrigens bemerkenswert, wieviel schöner und, kann sein, auch größer alle Schweden geworden sind, seit die neue Ordnung eingeführt wurde. Dann setzte sich das verfluchte Hemd quer, aber die Ursache dafür war, daß ich vergessen hatte, mein Jackett auszuziehen. Emma lächelte mich mit geschlossenen Augen in entzückender Weise an. Es klopfte in meinen Schläfen. Ich bekam nicht ein Wort heraus, nicht einmal die hohlste Höflichkeitsphrase, denn die Zunge lag wie ein Holzklotz im Munde, groß und klumpig. Sie hinderte mich geradezu am richtigen Atmen. Meine Stirn wurde von einem Eisenband der Lust und der Atemnot umklammert gehalten. Daß die Schweden, die Schwedinnen, die Kinder des ganzen Volkes schöner geworden sind, wird ja nie in unserer bestechlichen Presse hervorgehoben, die den großen Gedanken des Friedens und der Nivellierung nicht jene Aufmerksamkeit widmet, die ihnen ganz selbstverständlich zukommen sollte. Das Schamhaar von Alltags Emma war scharf und in einer Art raffiniertem Eisenfeilenmuster gekämmt. Es hatte die Farbe von dunklem Nougat. Die bereits ausgebreiteten Schenkel waren weich gerundet, wie junge Seehunde auf einer Schäre, und zappelten wie junge Seehunde in der Sonne auf einer Schäre. Mit einem Krachen bekam ich alle Kleider vom Leibe, die meinen Oberkörper eingeschnürt hatten, und während ich am Stamm einer Linde meine allzu fest geschnürten Schuhe abstreifte, wollte es mir in meinem Inneren scheinen, in der Tiefe meines Herzens, als wenn die kleinen fröhlichen, gesunden schwedischen Kinder laut vorlasen. Aus dem Winkel, den Emmas leicht zuckende Schenkel bildeten, stieg ein betörender Wohlgeruch auf, der mir das Land Schweden noch lieber sein ließ. Einen Augenblick lang lag sie ausdruckslos, als wenn sie über die Ignoranz und den hochgeschraubten Willen zum Mißverständnis meditierte, die wir, in Ländern mit anderen Gesellschaftsordnungen und anderen Traditionen, Schweden so gern entgegenbringen, aber wir waren es, die sie beklagte, diese stolze schwedische Frau.
Dann schürzte sie ihre Lippen leicht zu einem Willkommen, das sowohl mädchenschüchtern betörend wie auch weiblich spöttisch war, ein Lächeln, reich an Sauerklee und Glockenheide, Flußstrand und Rittersporn. Ein Lächeln für Poeten und Toren, aber auch für Novellisten und Beamte, ein Lächeln, das schimmerte und funkelte gleich nordschwedischen Mücken im Gegenlicht, ein Lächeln — möchte ich Ihnen mit dem ganzen Pathos des Friedens- & Nivellierungsgedankens versichern — das in sich zusammenfaßte die Weisheit Krafft-Ebings und die sinnreiche Munterkeit Van de Veldes, Marx’ Prosa und Engels’ gesammelte Erfahrungen aus Manchester, das Volkslied an sich wie auch als solches, die Wehmut, die Sommernacht, in der man tanzt, die Winternacht, in der man den Wolfspelz über sich zieht, ehe der Tanz beginnt, ein Lächeln, Emmas Lächeln, Schwedens Lächeln, das die ganze Wehmut des Läutens zur Frühstückspause enthielt und ein zur Hälfte zurückgehaltenes Feuer, das Feuer der jungen Stute, wenn sie sich unter dem finsteren Ritter spreizt, oder vielleicht das Feuer der jungen Reiterin, die zum erstenmal, bebend und mit dem feinen Rausch der Begierde in den Augenwinkeln, die zerschlissenen und einfachen, aber so scharf männlichen Hosen des badenden und ältlichen Stallknechtes versteckt, und dabei in ihr die Horgaweise brummt und das ganze Erz der Kirche Leksands läutet.
Ach, die versteckten Hosen des Stallknechtes! Meine eigenen, die nie weniger als jetzt versteckt waren, weigerten sich, sich von meinem Körper zu lösen, der so lüstern war. Ich riß und zerrte, zerrte und riß, ich fluchte, ich bestürmte sie und weinte, zuletzt ergriff ich das Zeug, Mistzeug, nahm alle Kraft zur Hilfe, und da standen die Bleiknöpfe wie eine Wolke vor dem Hosenschlitz und runter mit den Hosen. Ich fiel auf die Nase und hatte Blut in der Faust, als ich mein Gesicht berührte, und Sausen im ganzen Kopf und Donner und Blitz, aber ich kam doch auf die Beine, wenn auch wackelnd.
Meine Friedens- & Nivellierungshosen lagen wie die unschlüssige Fahne eines erschossenen Kapitulanten, und der Vergleich schien mir nicht an den Haaren herbeigezogen. Ich merkte über die Schulter, während das Blut tropfte, daß Emma ein Lächeln zu unterdrücken suchte, und ich bemerkte mit meinem feinen Gehör, daß die kleinen, anmutigen schwedischen Kinder für einen Augenblick mit ihrem zudringlichen, entnervenden Geleiere aufgehört hatten.
»Halt, mein guter Mann!« sagte Emma, als ich mich ihr auf Beinen näherte, die weder trugen noch nicht trugen, und mit der Rückseite der Hand das letzte Blut abwischte.
»Warum?« fragte ich.
»Nicht mit Socken an den Füßen.«
Aber dann ging es besser. Sie öffnete ihre vorurteilslosen, modernen schwedischen Arme.
Aber denkt euch meine Verwunderung!
Nachdem sie mich mit einigen recht festen Griffen gepackt hatte, kullerte sie so schnell wie ein Otter herum, und ich fand mich mit dem Hintern auf dem Berg liegend und in den klaren Himmel hochstarrend. Das Wetter ist immer schön in Schweden. Die Kinder hatten ihr Oratorium wiederaufgenommen. Die Bänder flatterten und schlugen in den Linden.
Alltags Emma sah ambrafarben in meine verwirrten Ausländeraugen herunter.
Sie lächelte erneut. Aber dieses Mal war ihr Lächeln nicht freundlich. Sie sprach nicht. Sie lächelte in einer Weise, die ich immer mehr monoman fand. Sie beantwortete weder meine verwirrten Fragen noch meine entrüsteten Ausrufe, noch meine zweifelnden Seufzer. Sie reagierte nur unbedeutend, als meine kräftige Erektion, wie sich zeigte, zu welken anfing wie ein Strauß Herbstastern. Die ganze Zeit dieses grausame Lächeln.
Ein Konterrevolutionär! war natürlich mein Gedanke.
Eine arme, verführte Seele, die gegen die Natur ist, die Naturrevolution, die verwilderte Wahnsinnige, die auf Enthaltsamkeit schwört, eine tückische und kriminelle Ränkeschmiedin, die gegen die Volksmacht wühlt.
Ich bin froh, daß ich schon jetzt, bereits hier, Ihnen sagen kann; es verhielt sich nicht so.
Denn plötzlich erlosch ihr Lächeln, und an seine Stelle trat ein Zug der Nachdenklichkeit der Moore, Binnenseen, Renherden, Hauptbahnen und der Schwere alter Wasa-Burgen.
»Ich wollte dich bloß erst genau betrachten«, sagte Emma leise wie das Abendläuten in einem Abwanderungsgebiet. »Ich habe ziemlich viel über dich und deine Delegation gehört. Ich bin eine Art Prämie.«
Die Bänder in den Linden knatterten ohrenbetäubend, wie ein plötzlicher Trompetenstoß. Als ich erneut hochsah, die Hände von meinen Ohren nahm und wieder die sichere, graue Kühle des Berges unter meinem Rücken spürte, hatte Emma noch einmal die Stellung geändert, und ihre rosenblattweichen Lippen hielten jetzt mein Glied umfaßt, während sie mit festem Griff meine Fesseln ergriff.
Langsam sank ihr Schoß über mich, und er duftete nach Brombeeren, und meine Zungenspitze fand schnell und getröstet ihre schwedischen Beeren. Auf eine seltsame Weise behielten ihre Lippen die ganze Zeit eine liebliche trockene Rauheit, die mich in meinen Kapillaren erregte. In kleinen, heißen Wogen sang ein Schmerzensfeuer in meiner Eichel, und jetzt streichelte sie meine Schenkel und Waden mit den Fingerspitzen, mit den ganzen Händen, mit den Nägeln.
Ihre Brüste besaßen eine knapp nachgebende Festigkeit, die an den Magen einer verwilderten Sommerkatze im Herbst erinnerte, früher ein schwedisches Problem, wie es immer noch ein Problem in allen Ländern mit einem niedrigeren Niveau des kollektiven Enthusiasmus und der organisierten, ganzjährigen Spontaneität im Dienst des Friedens und der Nivellierung ist.
Emma stand fest auf ihren geübten schwedischen Knien und hielt die ganze Zeit einen Abstand von einem guten Dezimeter zwischen unseren Körpern, ich streichelte ihre Details.
Es lief aus meinem Mund wie von ihr und mir, immer feinnerviger und in immer dichteren Wogen feuerte es in meinen Händen, in der Seite meines Halses sowie in meiner blind hochgerichteten Spitze. Sie murmelte leise, summte möglicherweise, oder es war ihr schneller werdender Atem, der halb klingende Laute zustande brachte, jedesmal, wenn die Luft dünn, schnell rhythmisch und pfeifend zwischen ihren Lippen hindurchfuhr. Das kühlte in einer Weise, die meine Erregung steigerte.
Als ich ihre Brüste fahrenließ, bewegte sie sich leicht, und meine Hände glitten ihren Rücken entlang und an den Lenden und hielten nicht früher ein, bis sie ihre Hüften umfaßt hatten. Und intuitiv glaubte ich zu verstehen, daß sie sie genau da haben wollte: Mit einem lapidaren Beben brachte sie ihre Billigung zum Ausdruck. Ihre Hüften waren in jener zügigen und einmaligen Art gerundet, die eine gute Volksarbeit in hartem Edelholz auszeichnet. Es gab überhaupt eine Proportionalität, eine Harmonie und eine herbe Elastizität in ihrem Körper, die, das hatte ich bereits gelernt, charakteristisch für die schwedische Frau war und besonders für die neue schwedische Tochter der Revolution.
Als ich dem Triumph des Friedens- & Nivellierungsgedankens so nahe war, daß ich nur noch ein heftiges, an Stärke schnell zunehmendes Bedürfnis nach Nivellierung empfand — das dann allerdings von einem Gefühl nach Frieden mit allen Menschen abgelöst zu werden pflegt —, wurde sie in ihren Bewegungen langsamer, sie verzögerte die Bewegungen, sie wurde beinahe summarisch. Über die schüchterne Verzweiflung, die sie dadurch so erfahren hervorrief, schien sie fast zu lächeln.
Ein vieldeutiges Lächeln, wenn ihr versteht, was ich meine.
Und wieder kam es zu einer dieser schnellen Positionsänderungen.
Die Alltags Emma lag plötzlich unter mir. Was für ein Alltag, Genossen. Und sie klemmte ihre sehr zielbewußten Beine um meinen Kreuzrücken, und ich spürte, daß ich tief in ihr war. Die ganzen Arme hatte ich voll von ihr und ein Gefühl, daß ich sie über Wiesen trüge, über alle Waldwiesen der Welt, und die warme Sonne sickerte durch das Grün auf uns herunter.
Dann biß sie sich, schnell wie ein Iltis, in meiner Halsbeuge fest.
Und der Schmerz hatte einen Stoß zur Folge, der mich noch tiefer in sie zu schleudern schien, und wie vor einem plötzlichen Lichtschein schlug sie die Augen auf. Es zuckte halb konvulsorisch in ihrer Kehle, und mein ganzes Blut war in den Weichen. Dann vereinten sich die drei Druckwogen in eine, und ich stieß in sie für eine gute Sache, die Sache des Friedens, das war ein Posaunenstoß, der schmetternd auf einen heranstürzenden Wald von Segeln traf, wenn ihr mich versteht.
Später erwachte ich in meinem Hotelbett.
Erwachte, während ich massiert wurde.
Während der Massage gab man mir einige Schlucke des schwedischen Rotweins.
Auf Emmas Iltisbiß saß ein recht großes Pflaster, und auf dieses Pflaster war eine der schönsten kleinen Freundschaftsmedaillen aus Zinn und Straß geheftet. Auf der Medaille standen in mehreren Sprachen die Worte: »Erhebe dich.«
Am selben Tag stürmten wir später eine Mädchenschule und eine Lotta-Kaserne, aber ich bekam freundschaftlich die Erlaubnis, dem Sturm der letzteren fernzubleiben. Statt dessen lag ich wieder in meinem Hotelzimmer. Dieses Mal studierte ich ein interessantes Tafelwerk mit Porträts des Vorsitzenden Schwedens.
Dann folgten einige Tage, über die ich keine Rechenschaft ablegen kann.
Ich zog es nämlich vor, in ihrer Hauptstadt zu bleiben, die, ich glaube, ich erwähnte es schon, Stockholm heißt. Stockholm — der Knüppel oder Stamm, das feste Glied — geht sieben Meilen weit durch die schwedische Geschichte, angefangen in der grauen Vorzeit, wo das Liebesgegirre einen dumpfen Ton hatte, weil es aus dem Innern der Höhlen kam, und nur von kraftvollen Keulenschlägen auf Eisen oder Bronze unterbrochen wurde. Ich blieb in Stockholm.
Die übrigen waren eingeladen worden, einige Musterhöfe in der Landwirtschaft zu besichtigen.
Die schwedische Viehwirtschaft steht auf einem hohen Niveau.
Mag sein, daß meine Progressivität einen Fehler hat! Aber der Friedens- & Nivellierungsgenosse Knäbert, da hinten am Französischen Fenster, saß vor der Abreise in meinem Raum und verhöhnte zwanzig Minuten lang meinen Beschluß und mich. Aber er kam zurück, getreten von einer Sau, gebissen von einem Mutterschaf und von einer sonst dankbaren, ältlichen Stute ironisch abgewiesen!
Es ist verantwortungslos und bürgerlicher Utopismus, meine ich, zu glauben, wie nun dieser Knäbert hier mit seinem verbundenen Bein — steh auf, Knäbert, damit dich alle sehen können! — zu glauben, daß auch das Bewußtsein der Tiere, na ja, eine Revolution kann eine langwierige Geschichte sein, ihr versteht sicher, was ich damit gesagt haben will.
Eines Abends wurde ich auf der Straße von einer Dame mit Namen Resignations Olga angehalten, deren Bekanntschaft ich einige Tage vorher in einem internationalen Schlangennest mit Seminarcharakter gemacht hatte.
Ich schob schnell meine Mitdelegierten mit der vertrauensvollen Ermahnung ab, daß sie sich sicher selbst zurechtfinden würden — anderenfalls könnten sie sich an die Gewerkschaft wenden —, und folgte mit leichten und beinahe tänzerischen Schritten jener Olga zu ihrem kleinen, knallroten Heim in der Stehschwanzstraße, früher Pythonallee.
Für eine Weile schlossen wir uns einer Demonstration vor eurer und meines Landes Botschaft an. Die anwesenden Schweden bestanden zum Teil aus Studenten, außerdem einem Meer von Arbeitern und Bauern sowie einigen Beamten aus dem Regierungsviertel. Weiter waren dort einige Genossen klassenfeindlicher Herkunft, die mit den pathologischen Monstren von Eltern gebrochen hatten, einige Volksliedwimmerer, ein Flößer sowie drei oder vier Säuselmädchen.
Nachdem wir das Personal der Botschaft in die Bäume gejagt hatten, wo sie sich ausgezeichnet als Affen, die sie waren, machten, und was übrigens auch die Polizei unaufhörlich betonte, steckten wir die Botschaft an und ließen sie herunterbrennen, während wir mit Beischlaf, Verführungen und offensivem Volkskaressieren den eintreffenden Feuerwehrmännern und Frauen klarmachten, daß ihr Feuer nicht dort, sondern in ihren Herzen zu brennen hätte.
Wie ich schon berichtet habe, war die kleine, enge Wohnung der Resignations Olga vollständig mit einem klopfenden Rot bemalt.
»Sag mir, Olga...«
»Resignations Olga«, berichtigte sie mich und legte für einen Augenblick die Hände hinter ihren dünnen Hals in einer Weise, die ungewollt ihre hohe, arrogante Büste betonte, die kaum von einem kunstvoll geschlitzten Hemd verborgen wurde. Dann begann sie, ihre pistagegrünen Stiefel aufzuschnüren.
»Sag mir, Resignations Olga, was hat die Naturrevolution für dich bedeutet?«
Sie sah mich vieldeutig an. Olga war ein dünnes, beinahe mageres Mädchen mit hervorstehenden, flaumigen Jochbeinen und flacher Stirn. Sie hatte gelbrotes Haar, das sie als Friedenslocke gekämmt trug. Sie zog lässig die kunstseidenen Strümpfe aus. Ihr Blick änderte sich nicht.
Dann konzentrierte sich die Vieldeutigkeit in eine kurze Grimasse der Irritation, die sich dann in eine freundschaftliche Neutralität verwandelte, die sofort ihr ganzes hungriges Gesicht überzog.
Und während ich ihr schmales Kinn mit dem illyrischen Grübchen küßte, schien sie zwischen mehreren, fast gleichlautenden Antworten zu wählen, um die am wenigsten offizielle zu finden. Als sie anfing zu sprechen, klang es erst nachdenklich und mild, wurde dann aber immer leidenschaftlicher:
»Die Naturrevolution hat für mich und alle Schweden, denn die, die nicht mit uns übereinstimmen, rechnen wir nicht länger als Schweden, also die Naturrevolution hat für das ganze schwedische Volk den Großen Sprung nach innen bedeutet, der hundert Schöße zum Beben brachte. Sie ist ein Ausdruck für die neuen Tugenden, sie ist ein Ausdruck für den gnadenlosen Kampf gegen alle Gegner des Friedens, sie ist auch ein Schritt auf dem Wege zur Selbstfindung des sozialistischen Menschen.«
»Aber für dich?«
»Wer bin ich? Ich — eine Schwedin. Ich — ein Sozialdemokrat. Wir sind stolz auf unseren Vorsitzenden...«
(und hier erhoben wir uns beide)
»... und«, fuhr sie fort, »auf alle seine großen Gedanken.«
Mit einer perfekten Balance und einem kräftig pathetischen Unterton zitierte sie aus dem Gedächtnis einige der großen Gedanken des Vorsitzenden, die alle Schweden so kennen wie den Sonnenschein, die Wassergrütze und Ziehharmonikamusik:
»Der Sommer ist die wärmste Jahreszeit. Der Elefant ist das einzige Tier, das einen Rüssel hat. Schnee fällt nur im Winter. Die Welt ist eine Papierrose. Der Wohlstand ist eine Warteschlange! «
Danach fielen wir uns ergriffen in die Arme. Ich hatte noch mein rotes, langärmeliges Lahmanhemd an, aber Schlips und Oberhemd doch schon ausgezogen. Und sie war wie ein verfrorenes Vogeljunges in meinem Arm, ein tiefgefrorenes Schneehuhn, und gleichzeitig fühlte sie sich unbezwinglich und furchtbar sozialdemokratisch hart wie Eiche oder Fels oder die Überzeugung selbst an. Und meine Lippen suchten ihre, und die waren schon da.
Mit einem schimpflichen Griff im bäuerlichen Volksstil warf sie mich über die Schulter und trug mich hinter eine Draperie, die mit kleinen, wehmütig klingenden Zinnglocken und Glasperlen vollgehängt war. Dort stand ein eigentümlich ausgehöhltes Bett, das an den ausgehöhlten Oberteil eines Brötchens erinnerte, und wir begannen liebestoll aneinander zu zerren und zu ziehen.
Ich drückte sie unter mich. Ihre heißen Handflächen wanderten unter dem Hemd über meine Brust. Mit einer Kraftanstrengung glückte ihr es aber, mir das Hemd über den Kopf zu ziehen, selbst dachte ich nicht daran. Ich hatte es praktisch nicht bemerkt, ich war bis in meine geheimsten Eckchen von den eigenartigen Duftmischungen erfüllt, die sie jetzt aussandte.
»Du duftest so lieblich zudringlich, Resignations Olga«, murmelte ich.
»Das sind die Düfte des Friedens und der Resignation«, murmelte sie als Antwort an meinen Lippen.
Und hier, zwischen den schwedischen Schenkeln, war es, wo ich den Bericht zu hören bekam, der mich am meisten von allem ergriff, der Bericht über das vorrevolutionäre Schweden, über die unterdrückte Stellung der Frau.
Er handelte von einer älteren Schwester.
Ihr Name war Julia.
Rut-Julia Andersson-Karlsson-Donner, der Vater war in der Sprengstoffbranche und konnte jahrelang an anderen Plätzen sein. Die Mutter, eine kleine, unterdrückte, graue Frau, widmete sich meist ihrer Katze, ihrem Holzherd und ihrem Kaffeegrund, aus dem sie unaufhörlich Unheil für die bestehende Gesellschaft weissagte. Außerdem machte sie Teppiche mit Motiven aus dem Höchsten Gericht, aber nie weiter als bis zur Hälfte.
Julia war ursprünglich ein frohes und munteres, schlankes und schönes, frisches und der Welt zugewandtes Mädchen, das gern mit seinen wirbelnden Beinen und seinem spöttelnden Lachen tanzen ging.
Sie machte sich nicht besonders viel aus irgend jemandem in der Familie, am wenigsten vielleicht aus der Mutter, die mit der Katze im Arm am Herd saß und in ihrer Ohnmacht Brennholz auf mißlungene Teppiche warf, bis der Kaffeegrund an die Wände spritzte.
Auch mit ihrer jüngeren Schwester hatte Julia in diesen Jahren keinen näheren Kontakt.
Die Lokale, wo sie zum Tanz ging, waren, wie auch immer noch bei uns, grell kommerzielle mit einer künstlichen und hektischen Lebensfreude. Dort war das Kichern allzu grell, dort kam das grobe Lachen allzu schnell. Dort waren alle an den Händen verschwitzt, und alle hatten, hinter den Masken, voreinander Angst, auch vor dem Leben selbst.
Dies war kein Leben für Julia. Sie merkte es so allmählich. Ihr Lachen verstummte, ihre Augen glänzten nicht länger in derselben Art, und ihre geraden, langen Beine hörten auf zu wirbeln.
Sie fing an, zu Hause zu sitzen. Und das, was geschah, kann niemanden überraschen. Denn wenn sie hinreichend lange zu Hause saß, so mußte sie ja ihren Vater treffen, den Sprengmeister Andersson-Karlsson-Donner. Und das geschah. Eines Abends trat er in das einfache Heim und trug eine Rolle frischer Zündschnur um seinen kräftigen, bleichen Nacken.
Nach schwedischer Sitte sagte man ein fast hörbares Hej zueinander, worauf die Mutter im Hause den Hering auftrug und den Branntwein. Julia brachte die gebratene Grütze, die es als Nachtisch geben sollte, und der Vater öffnete selbst die Flasche mit dem dünnen Bier.
»Willst du noch weg?« fragte die Mutter, als der Vater hinausgehen wollte.
»Ja«, sagte er auf seine zurückhaltende, ausdrucksvolle Art und spielte mit einem Zündhütchen.
»Ich komme mit«, sagte Julia resolut.
»Zum Teufel auch«, sagte ihr Vater.
»Julia hat sowieso keine Zukunft«, sagte die Mutter. »Das habe ich gestern abend im Kaffeesatz gesehen.«
Die Katze kratzte im Teppichhaufen, im Herd flackerte es. Das Holz sank langsam in sich zusammen. Der Schnaps war ausgetrunken und die Bierflasche leer. Das Heim atmete ein nachdenkliches Warten aus.
Julia und ihr Vater begaben sich hinaus in das zunehmende, murmelnde, flüsternde, zischende, haarige Dunkel. Sie gingen schweigend. Jetzt war es Julia, die die Zündschnur trug. Sie gingen mehrere Kilometer. Auf sich schlängelnden Wegen näherten sie sich einem großen, stillen Haus im allerhygienischsten Funktionärsstil.
Es war das Staatsinstitut für Volksgesundheit (jetzt Volksinstitut für Staatsgesundheit).
Mit Hilfe der Gummituchmethode drückten sie im untersten Geschoß eine Scheibe ein. Julias Vater wußte genau, wie sie zu gehen hatten. Julia folgte ihm und sammelte die Streichhölzer auf, nachdem sie verlöscht waren. Zuletzt standen sie in einem kleinen, eigenartigen Raum, der einem altmodischen Kontor glich.
In einer Ecke des Raums stand ein Geldschrank mit ein paar Zinnsoldaten drauf. Nachdenklich machte Julias Vater sich bereit. Er ließ die Zinnsoldaten in eine seiner geräumigen Taschen gleiten. Er untersuchte den Schrank sorgfältig. Er begann dabei ein gesellschaftskritisches Offenbach-Thema zu summen.
Julias Vater war kein Freund großer Worte.
»Hau ab!« sagte er aber doch zu seiner Tochter, als er selbst abhaute und der Knall kam.
Sie machten Durchzug und gingen dann zum Schrank, dessen Tür aufgesprungen war und jetzt schief und krumm an einem Beschlag hing, der außerdem ernstlich ramponiert war.
»Verflucht«, sagte Julias Vater und wurde anschließend ein ehrbarer Mann, der in die Gesellschaftsredaktion des Fernsehens kam. Im Schrank gab es nur etwas Kleingeld und außerdem einen diebischen Doktor im weißen Rock mit einem betäubten Zug im Gesicht.
Allein gelassen, beschloß Julia den Versuch zu machen, ein wenig Gutes zu tun. Stark wie alle schwedischen Mädchen, warf sie sich den Doktor über die Schulter und trug ihn unter die Insektendusche, wo sie den Hahn ganz öffnete. Ihr Körper wurde unter den nassen Kleidern herausmodelliert. Der Doktor sah verwirrt hoch.
»Die Tür schloß sich«, sagte er vollständig unnötig. »Wir müssen uns abtrocknen«, sagte er dann etwas nachdrücklicher, mit der teilweise zurückgewonnenen Autorität eines Arztes. »Unsere Kleider«, sagte er, »alles Wasser!«
Sie gingen durch einen Raum mit weißen Mäusen, und der Doktor wurde ziemlich ängstlich, aber dann kamen sie in einen Konferenzraum mit einem Kamin, in dem noch ein schwaches Feuer brannte, und ein Plattenwagen voller weißer Mäntel und Mundschützer stand da. Mitten im Raum standen einige teure, aber vollkommen belanglose Möbel und in einer Ecke eine wespenfarbene Ottomane.
Auf dem Konferenztisch waren die Spuren von hastigen, nachlässigen, schüchternen, hektischen und empörten Liebesszenen zu sehen: einige Flecke, der Abdruck eines Knies, einige Kratzer. Julia notierte all dieses unberührt, zerstreut, als wenn sie nicht anwesend wäre. Statt dessen beschäftigte sie sich um so intensiver damit, den diebischen Doktor auszuziehen, der gerade einen Ohnmachtsanfall bekommen hatte.
Es verblüffte sie, daß sie ihn verstand, obwohl er nicht schwedisch sprach, sondern auf spanisch sagte: »Die Tür schloß sich, wir müssen uns abtrocknen.« Später gab er zu, daß er Spanier sei, meinte aber, daß das, was er spräche, Schwedisch wäre, aber mit spanischem Akzent.
»Heilige Jungfrau von Saragossa«, murmelte er, als er wieder die Augen aufschlug und mit dem Kopf in Julias Schoß lag, während sie auf dem wespenfarbenen Sofa lag und sein kurzes, schwarzes Haar mit ihrem langen, mondscheinblonden, bloß unbedeutend trockneren abtrocknete.
»Kraaak«, sagte es gleich darauf. Julia hatte auf den Pinsel des spanischen Doktors einen Mundschutz gesetzt, und der spaltete sich in einem Lächeln, das keine Jungfrau wieder in den nötigen Ernst und die nötige Ordnung verwandeln konnte.
Vorsichtig beugte sich Julia über den verlegenen Arzt und küßte seine Unterlippe, zog sie zwischen ihre Lippen, knetete sie ruhig und taktisch hin und her und fand zuletzt, daß er die Angelegenheit ernst nehmen wollte.
Während er sie neben sich auf die Ottomane zog, liebkoste sie seine Rückenmuskulatur abwechselnd kühl und aufreizend, und er schüttelte sich wie eine Pinie im Wind oder ein Apfelsinenbaum.
»Wie heißt du?« murmelte sie.
»Antonio«, sagte er, »nein, Frederico, übrigens nein, Francisco…«
Er war es gewohnt, bei seinen skandinavischen Liebesverhältnissen falsche Namen anzugeben, aber in ihrer klarsichtigen Art hatte das schwedische Mädchen sofort begriffen, daß der erste Name, als seine Verblüffung noch nicht verflogen war, sein richtiger sei.
»Antonio«, flüsterte sie.
So grausam ertappt, verlor er augenblicklich seine Erektion und warf ihr einen bitteren, frostigen Blick zu.
»Wir haben Zeit«, sagte Julia.
»Ich nicht«, antwortete er geheimnisvoll. »Beim heiligen Raúl von Ibiza Norte, die habe ich nicht.«
Sie nahm das nicht zur Kenntnis, sondern rollte ihn auf den Rücken und berührte mit der Zungenspitze seine Weichen. Sie kroch über ihm zusammen wie ein Gürteltier und begann ihn, gewissermaßen prüfend, von der einen zur anderen Muskelansatzstelle zu küssen. Als sie den Hals erreichte und Antonio erwartungsvoll zu atmen anfing, drehte sie sich geschmeidig, legte sich mit den Beinen zu beiden Seiten seines Kopfes aus Malaga zurecht und saugte seinen steif werdenden Schwanz in ihren küssenden, schnappenden, leckenden, geduldigen, warmen, murmelnden, geheimnisvollen, beweglichen Mund.
Sie bemerkte, wie Antonios Rückenmark zu elektrisieren begann. Seine Hände hielten sie, wechselten den Griff, hielten sie fester und fordernder. Sie spürte, wie ein beinahe schleierdünner Geruch von Schweiß aus seiner Haut hervorbrach. Er begann sich unter ihr zu bewegen, und für einen Augenblick fürchtete sie, daß sein Glied aus ihrem Mund gleiten könne. Resolut drückte sie seinen Körper herunter, bremste seine Bewegungen durch den Druck ihres eigenen warmen, festen Körpers, klemmte ihn ein.
»Ich komme nicht an deine Brüste«, keuchte er halb erstickt in seinem spanischen Schwedisch. »Ich schwöre es bei der heiligen Jungfrau von Ipanema!«
O ja, dachte Julia, man kann sich wohl anstrengen.
Sie floß von ihm, wie ein träger Fluß den Berg hinunterrollt, sie änderte die Stellung, sie legte sich neben ihn, Mund an Mund, sie kraulte seinen Nacken an dem kühlenden Punkt zwischen den beiden Sehnen, sie leckte flimmernd, suchend mit der Zungenspitze hinter seiner Oberlippe oben am Gaumen.
Mit einer stillen Würdigkeit, die sie vorher nicht an ihm bemerkt hatte, machte er sich jetzt von ihr los und umgriff ihren Kopf mit seinen starken, aber empfindsamen Händen, ruhig, freundlich, nachdenklich und ihr seine Hochachtung erweisend, aber trotzdem war es so, als wenn er in die Weite sah.
In ihrem Unterleib hatte es begonnen, zu säuseln, zu klingeln, zu murmeln. Sie spürte, wie sich die Schamlippen mit Blut füllten, wie der Duft immer spürbarer wurde, wie jene besondere, trockene Hitze in die äußeren Lagen ihrer Haut drang. Antonios eine Hand tastete sich von ihrer Wange nach unten zum Schlüsselbein, über die Haut zu ihren Brüsten. Er fing sie auf, liebkoste sie so langsam, daß man es melancholisch nennen konnte, bewegte rhythmisch die Brustwarze mit der Spitze seines Zeigefingers.
»Worauf wartet er?« fragte sie sich in ihrer runden, warmen Stimmung.
»Es ist ziemlich verabscheuenswert«, murmelte er, während sich seine ruhigen Augen langsam mit Tränen füllten. »Es ist schrecklich und grausam und gegen die Natur«, verdeutlichte er seine Worte, während sein eines Bein sich zwischen ihre schob und die Oberseite seines Schenkels gegen ihr Tor drückte.
»Es ist seltsam verführerisch und außerdem nordisch wüst«, fuhr er fort, während er ihr Gesicht mit einer Serie kurzer, schneller, trockener Küsse bedachte, »daß eine Frau die Initiative ergreift. Ich komme aus einem Land, in dem es noch feste Werte gibt.«
»Ja doch. Ich habe gehört, daß es so sein soll.«
»Ein Land«, fuhr er fort mit einer Stimme, die langsam tonlos wurde, »in dem Ordnung und Stolz herrscht und Tradition und...«
»Herrgott«, dachte sie, >diese südländischen Quatschköpfe. Wozu sind sie eigentlich gut? Verflucht, ich gehe nach Hause. Und das mir, die ich so gern eine gute Nummer haben wollte.« Sie begriff, daß er fortfuhr in einer Art dunkelglühender Rhetorik zu sprechen, aber sie pfiff drauf, zu hören, was er sagte.
Sie machte sich los.
Er wurde wild und warf sie um.
Sie war wütend. Sie wedelte sechzig Kilo Quatschspanier über den Boden. Er blinzelte und fand, daß er fröre. Er saß auf seinen mageren Schinken mitten auf dem Konferenztisch, hatte keine Würde mehr, keinen Stolz. Was blieb übrig? Er fing an zu weinen, Julia an zu lachen. In diesem Augenblick hatte sie die Vision einer besseren Gesellschaft.
Sie begann ihren Teil eines besseren Schweden zu bauen, indem sie dem Spanier hochhalf und ihn in einen Stuhl setzte, sein Glied erregte, das sein Stolz war, setzte sich rittlings auf ihn, die Füße hinter die Stuhlbeine geflochten und die Arme fest um seinen dünnen Rücken. Sie hob und senkte sich weich, beinahe rücksichtsvoll, bis er den Sinn des Ganzen begriff und verstand, sich selbst richtig zu bewegen.
Er kam wie ein kleines Gewitter mit einem Knall und einer milden Rauchentwicklung.
Verblüfft blieb sie auf ihm sitzen, zur Hälfte zufriedengestellt, aber nicht mehr. Sie blieb eine lange, nackte, nachdenkliche Weile sitzen. Antonio hielt schüchtern die Augen gesenkt.
Als sie auf sich schlängelnden Wegen in der Dämmerung, die funkelte, nach Hause ging, fand sie, Julia, Donners älteste Tochter, daß etwas mit ihr geschehen war.
Antonio, der natürlich kein Arzt, sondern ein als Arzt verkleideter politischer Spion war, verschwand schnell wie ein gejagtes Wiesel in Richtung Harsfjärden, wo ein U-Boot wartete.
»Ich rufe mal an«, hatte er in seiner internationalen Art gesagt.
Als Julia zu Bett ging, war in ihrer Gesellschaft der Abschnittspolizist, den sie vor der Tür aufgelesen hatte.
»Johander«, sagte sie. »Finden Sie, daß es etwas Seltsames ist, wenn die Frau die Initiative ergreift?«
»Alles mögliche«, antwortete Johander dumpf und hatte den Mund voller Mausehaar. »Die Liebe ist ja ein Machtspiel, Fräulein Donner.«
Und daran erkannte Rut-Julia Andersson-Karlsson-Donner (und im Licht derselben Dämmerung an anderen Stellen viele tausend andere Menschen), daß in Schweden eine Naturrevolution vonnöten wäre und daß Schweden gerechterweise in aller Zukunft von der liebenden Klasse regiert werden müsse.