Persönlichkeit – was ist das eigentlich?

Um Menschen besser einschätzen zu können, ist es unerlässlich, die Grundlagen menschlichen Handelns zu kennen. Dazu müssen wir uns mit der Persönlichkeit eines Menschen auseinandersetzen. Doch was macht Persönlichkeit aus? Personaler und Politiker sprechen oft davon, dass ein potenzieller Kandidat für einen Job oder ein Amt Persönlichkeit haben oder eine Persönlichkeit sein muss. Sie meinen damit meist einen Menschen mit besonderer Ausstrahlung, der andere überzeugen kann und der eine breite Akzeptanz findet.

In der Psychologie dagegen meint man mit Persönlichkeit die Gesamtheit der Eigenschaften eines Menschen. Einfach ausgedrückt: Alles, was zu uns gehört und uns einzigartig und unverwechselbar macht.

Wie wir andere erleben

Wenn wir auf fremde Menschen treffen und deren Persönlichkeit mit wenigen Worten beschreiben wollen, verwenden wir Begriffe oder Halbsätze, die deutlich machen, wie ein Mensch bei uns angekommen ist.

Beispiel: Eindrücke

Herbert und Marie sind auf dem Heimweg von einer Geburtstagsparty. Außer den Gastgebern kannten die beiden niemanden. Nun tauschen sie ihre Eindrücke aus. Marie schwärmt von einer Frau, mit der sie sich angeregt unterhalten hat: „Eine echt warmherzige Dame. Die scheint total zufrieden mit sich zu sein – irgendwie beeindruckend, wie ausgeglichen manche Menschen sind.“ Herbert ergänzt: „Ja, dagegen war dieser Thomas echt nervig. Der hatte ständig zu allem was zu sagen. Überall wusste er Bescheid und hatte eine Geschichte dazu auf Lager. Mag ja ein intelligenter Bursche und erfolgreicher Geschäftsmann sein, aber sich so in den Mittelpunkt zu rücken, ich weiß nicht – muss ganz schön profilierungssüchtig sein…“

Unsere Aussagen über andere Menschen beinhalten meist eine Mischung aus objektiv beobachtetem Verhalten, wie „hat kaum etwas gesagt“ oder „hat den ganzen Abend viel gelacht“, und einer sehr persönlichen Komponente, nämlich der Wirkung, die ein anderer bei uns hinterlassen hat. So kann ein kontaktfreudiger, kommunikativer Mensch von dem einen als lebendiger Gesprächspartner wahrgenommen werden, während er bei einem anderen Menschen als anstrengend und überheblich ankommt.

Diese subjektive Empfindungskomponente hängt davon ab, wie wir selbst gestrickt sind und was wir mögen oder ablehnen. Unsere eigene Persönlichkeit bestimmt also mit, wie wir andere sehen und erleben. Dennoch können wir dem oben beschriebenen kontaktfreudigen und für manche anstrengenden Thomas ein Persönlichkeitsmerkmal zuschreiben, das „objektiv“ treffend sein wird. Wir werden ihn als extravertiert bezeichnen können – ein Begriff, den Psychologen geprägt haben, und der einen für seine Umwelt aufgeschlossenen Menschen beschreibt.

Verhaltenskategorien für bessere Menschenkenntnis

Mit unseren individuellen Beschreibungen machen wir also intuitiv nichts anderes, als Menschen nach ihrem Verhalten zu unterscheiden. Die Psychologie hat sich dies schon vor langer Zeit zur Aufgabe gemacht und Verhalten systematisiert. C. G. Jungs Psychologische Typen aus dem Jahr 1921 bilden den wissenschaftlichen Grundstock vieler, in den folgenden Jahrzehnten weiterentwickelten Persönlichkeitsmodelle. Sie alle wollen die menschlichen Erlebens- und Verhaltensweisen verständlich und handhabbar machen. So finden diese Modelle heute häufig Anwendung in Personalabteilungen, in der Beratung und im Verkauf, also vor allem dort, wo man Verhalten vorhersehen oder sich schnell ein Bild von einem anderen Menschen machen möchte.

Aufbauend auf verschiedenen Modellen teilen wir in diesem Buch menschliches Verhalten in zwei Verhaltensdimensionen ein. Diese stellen Skalen dar, auf denen sich jeder Mensch an irgendeiner Stelle bewegt:

  • Extraversion – Introversion

  • Sachorientierung – Menschenorientierung

Natürlich zeigt jeder Mensch eine Vielzahl an Verhaltensweisen und ist mit seiner Persönlichkeitsstruktur einzigartig. Er wird also nie nur einen Verhaltenspol vollkommen vertreten, sondern vielmehr Verhaltensschwerpunkte auf der einen oder anderen Skalenseite erkennen lassen. Und er wird seine Verhaltensweisen über die Jahre ggf. auch verändern.

Wichtig

Es erleichtert uns den Umgang mit anderen enorm, wenn wir eine Grobeinschätzung bezüglich der Verhaltensschwerpunkte und damit einhergehender Motive, Einstellungen und Emotionen vornehmen.

Die Einteilung hilft uns,

  • besser zu verstehen, warum andere so handeln wie sie handeln,

  • Vorhersagen zu treffen, wie sie sich wahrscheinlich in Zukunft in bestimmten Situationen verhalten werden,

  • uns auf Reaktionen anderer bewusster einzustellen und unser eigenes Verhalten schon vorab auf diesen Menschen abzustimmen,

  • Konflikte besser einzuschätzen und zu lösen,

  • andere zu motivieren, zu beraten oder zu überzeugen.

Menschliche Verhaltensdimensionen

Im Folgenden konzentrieren wir uns auf die zwei zuvor erwähnten grundlegenden Verhaltensskalen, um menschliches Handeln greifbarer und verständlicher zu machen. Wir alle bewegen uns auf diesen Skalen mit unterschiedlicher Gewichtung der jeweiligen Verhaltensweisen.

Extraversion – Introversion

Extra- und Introversion sind zwei Ausprägungen einer Verhaltensdimension, die Sie alle kennen und vermutlich schon oft zur schnellen Beschreibung von Menschen verwendet haben. Die Begriffe deuten auf die Art und Weise hin, wie wir mit unserer Umwelt interagieren. Sie können sich hier eine Skala mit zwei Polen vorstellen: Dabei bewegen sich manche Menschen mehr auf der Seite Extraversion, andere mehr auf der Seite der Introversion:

  • Extravertierte erkennen wir im Alltag daran, dass sie neuen Erfahrungen und anderen Menschen gegenüber aufgeschlossen sind und gern von sich, ihren Erfolgen oder von besonderen Ereignissen erzählen. Sie zeigen Präsenz und Aktivität.

  • Introvertierte können dagegen gut mit sich alleine sein und beschäftigen sich gerne mit ihren Gedanken und Erfahrungen. Sie brauchen mehr Zeit, um sich an Menschen zu gewöhnen und verhalten sich in der Gruppe eher ruhig und zurückhaltend.

Beispiel: Nach außen oder nach innen?

Der introvertierte Martin sitzt ruhig, aber konzentriert im Seminar. Er lässt andere grundsätzlich ausreden, bevor er selbst ein zögerliches Statement abgibt. Am Abend zieht er sich auf sein Hotelzimmer zurück, um die Eindrücke des Tages zu verarbeiten und wieder zu Kräften zu gelangen.

Der extravertierte Moritz dagegen ist in der Gruppe nicht zu übersehen, wirft seine Kommentare unaufgefordert in die Runde und nimmt auch körpersprachlich viel Raum ein. Nach dem Seminar initiiert er ein Treffen an der Hotelbar, um den Tag später in lockerer Runde und netten Gesprächen ausklingen zu lassen.

Sachorientierung – Menschenorientierung

Eine weitere wichtige Unterscheidung ist die nach der Art und Weise, wie wir Situationen einschätzen und bewerten und woraus wir letztlich Entscheidungen ableiten. Hier lautet die Verhaltensdimension: sach- und menschenorientiert. Auch hier befinden wir uns irgendwo auf der Skala zwischen den zwei Polen Sachorientierung und Menschenorientierung.

Beispiel: Nutzen versus Wohlfühlen

Stefanie und Bernd wollen sich ein neues Auto kaufen. Bernd achtet als sach- und nutzenorientierter Mensch auf ein vernünftiges Preis-Leistungs-Verhältnis, also auf Stauraum, Verbrauch, Sicherheit, Kosten. Stefanie begutachtet dagegen als vorwiegend menschenorientierter Mensch das Innere des Wagens, setzt sich hinein und versucht herauszufinden, ob sie und ihre Familie sich darin wohl fühlen werden. Schließlich stellt sich bald Nachwuchs ein, und mit Kinderaugen betrachtet, sieht manches anders aus. Sie denkt auch darüber nach, was wohl ihren Freundinnen gefallen könnte.

  • Sachorientierte Menschen gehen analytisch und rational vor und leiten Entscheidungen aus nüchternen Überlegungen ab. Tendenziell achten sachorientierte Menschen mehr auf die Sache und eine vernünftige Zielerreichung als auf Menschen, weshalb dieser Verhaltensschwerpunkt auch häufig „aufgabenorientiert“ genannt wird. Sie beurteilen Situationen aufgrund von Informationen und Fakten und wirken daher distanziert und kühl. Dennoch bedeutet ihre rationale Vorgehensweise nicht, dass sie ihre Emotionen völlig ausblenden – diese werden aber eher genutzt, um ihre logische Entscheidung zu untermauern. Der Kopf behält als Oberhaupt die Macht. Für diese Menschen werden deshalb im Folgenden auch die Begriffe Kopfmensch oder Denker verwendet.

  • Menschenorientierte Personen vertrauen eher ihren Gefühlen und geben ihrem Wohlbefinden den Vorrang. Sie beurteilen und entscheiden eher aufgrund ihrer Erfahrungen und berücksichtigen bei ihrer Entscheidung auch die Konsequenzen für ihre Mitmenschen. Für sie sind zwischenmenschliche Aspekte handlungsentscheidend, weshalb dieser Verhaltensschwerpunkt auch oft „beziehungsorientiert“ genannt wird. Sie achten bei ihrem Verhalten auf Harmonie und Ausgleich und geben ihrer Bauchstimme den Vorrang. Daher werden im Folgenden für menschenorientierte Personen auch die Begriffe Bauch- oder Gefühlsmenschen gebraucht.

Übung: Wie Sie Ihre Wahrnehmung schärfen

Achten Sie bei der nächsten Gelegenheit, in der Sie auf fremde Menschen treffen, auf deren Verhaltensmuster. Nehmen Sie Unterscheidungen vor in Bezug auf die genannten Pole Introversion – Extraversion sowie Sach- und Menschenorientierung. So lenken Sie Ihre Wahrnehmung auf wichtige Verhaltensmerkmale und verbessern damit Ihre Menschenkenntnis.

Die Kombinationen

Nun gehen wir noch einen Schritt weiter und kombinieren die auf den vorherigen Seiten beschriebenen Verhaltensskalen miteinander. Die Kombination der zwei Dimensionen ergibt vier verschiedene Persönlichkeitstypen, die in ihrer Reinform zwar nicht existieren, aber Verhaltensschwerpunkte aufzeigen. Sie dienen als Modell, um Unterschiede besser zu erkennen. So kommen wir auf folgende Verhaltenstendenzen:

  1. extravertiert und sachorientiert

  2. extravertiert und menschenorientiert

  3. introvertiert und menschenorientiert

  4. introvertiert und sachorientiert

Worin unterscheiden sich nun diese vier verschiedenen Persönlichkeiten? Anhand eines Beispiels sollen die Unterschiede verdeutlicht werden: Verschiedene Personen planen einen Wochenendausflug auf einem Schiff.

1 Extravertiert und sachorientiert

Beispiel: Aktivitäten unterliegen einem Ziel

Tim und Rudi stecken gerade in ihrer Ausbildung. Sie haben das Ziel, später als Köche auf einem Schiff zu arbeiten. Dort erwarten sie sich davon Abwechslung und bisweilen neue Herausforderungen. Um sich über die Rahmenbedingungen einer solchen Arbeit klar zu werden, machen sie einen Wochenendausflug auf einem Schiff. Mit an Bord haben sie eine ganze Liste an Fragen und Ansprechpartnern, die ihnen Auskunft über ihren späteren Job geben sollen. Sie wollen die Zeit nutzen, um Klarheit über ihre zukünftigen Aufgaben zu erhalten und dadurch ihre endgültige Entscheidung zu untermauern. Viel Zeit zum Ausspannen und Genießen werden sie sich wohl nicht gönnen – der Laptop steht für Eingaben bereit.

Der extravertierte Kopfmensch hat die Zeit und sein Ziel stets vor Augen. Diesen beiden Kriterien wird so ziemlich alles untergeordnet. Unternimmt er etwas, so hat diese Aktivität Nutzen und Sinn, sonst verschwendet er ja nur Zeit. Dieser Mensch weiß, wohin er will und hat in der Regel eine klare Vorstellung davon, wie er dort ankommt. Wenn andere ihm reinreden, wird dies schon mal mit Ärger oder harscher Kritik quittiert. Dass er manch anderen damit vor den Kopf stößt, nimmt er meist aber gar nicht wahr.

Hohe Leistung und Erfolg sind selbstverständlich – vorankommen und gewinnen, heißt die Devise. Daher wird auch kaum eine andere Persönlichkeit so viele Erfolge vorweisen können wie diese. Freunde und Familie werden oft vernachlässigt, da der Verhaltensfokus auf dem Erreichen von Ergebnissen liegt. So erkennt man den extravertierten Kopfmenschen daran, dass er bereitwillig verantwortungsvolle und zeitintensive Rollen übernimmt, deutlich seine Meinung äußert und immer irgendetwas vorhat. In wirklichen Ruhephasen wird man ihn selten antreffen.

Wichtig

Ein Hauptunterschied zwischen den sachorientierten und den menschenorientierten Extravertierten liegt in der klaren Ziel- und Ergebnisorientierung des Sachbezogenen, die oft in Form von Alleingängen gelebt wird. Sorglos den Augenblick zu genießen und über Gefühle zu plaudern, ist dem Kopfmenschen völlig fremd.

2 Extravertiert und menschenorientiert

Beispiel: Gemeinsam etwas erleben

Simone, Petra und Claudia haben sich ganz spontan für den Schiffsausflug am Wochenende entschieden. Sie unternehmen öfter etwas gemeinsam, probieren aber immer wieder etwas Neues aus. Es geht ihnen darum, Abwechslung und Spaß zu haben, das Ziel der Reise bzw. die Reiseroute ist ihnen dabei ziemlich egal – Hauptsache die Sonne scheint! Beim Ablegen scherzen sie voller Vorfreude an Deck, winken den Zurückgebliebenen aufgekratzt zu und knüpfen bereits erste Kontakte mit Mitreisenden. Den Prosecco hat Petra für die Damenrunde auch schon bestellt.

Extravertierte Gefühlsmenschen fallen Ihnen in der Regel gleich auf. Sie haben das, was man im Allgemeinen unter Präsenz versteht. Sie bringen sich mit ihrer kommunikativen Art jederzeit ein und lieben es, etwas Neues auszuprobieren. Ihr Leben findet im Hier und Jetzt statt. Sowohl im Berufs- wie auch im Privatleben haben Spaß und Abwechslung für sie einen hohen Stellenwert. Eintönige Aufgaben oder langweilige Zeitgenossen zermürben sie. Daher initiieren diese Menschen ständig etwas anderes, ohne das Begonnene zwingend zu Ende zu bringen. Dass dadurch schon mal Chaos entsteht und Vereinbarungen vergessen werden, nehmen sie billigend in Kauf. Selbst- und Zeitmanagement gehören nicht zu den persönlichen Stärken. Der Fokus liegt auf dem aktuellen Erleben und weniger auf dem Planen der Zukunft oder dem Erreichen eines bestimmten Ziels.

Da sie sich ungern einengen oder etwas vorschreiben lassen wollen, lieben sie Berufe, in denen sie ihre Arbeitszeit und Abläufe möglichst frei gestalten können. Allerdings sind sie dabei Teamplayer und keine Einzelgänger. Gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen und zu erleben, macht ihnen eben am meisten Spaß.

Wichtig

Im Gegensatz zu den introvertiert Menschorientierten lieben die Extravertierten ihre Freiheit und Flexibilität. Sie stellen auch eher sich selbst in den Mittelpunkt als andere, nehmen dabei viel Raum ein. Ihr Bekanntenkreis ist groß und nicht unbedingt stabil.

3 Introvertiert und menschenorientiert

Beispiel: Stabile, harmonische Beziehungen

Sylvia und Emma kennen sich schon seit ihrer Schulzeit und sind inzwischen 35 Jahre befreundet. Einmal im Jahr unternehmen sie etwas gemeinsam. Meist treffen sie sich dafür am selben Ort. Sie genießen diese Zeit immer sehr, da sie sich über ihren Alltag austauschen und gegenseitig emotionalen Halt geben können. Zuhören und mitfühlen zählen zu ihren Stärken. Als das Schiff ablegt, stehen sie zufrieden an der Reling und schauen stumm dem Treiben zu. Sie freuen sich innerlich sehr auf das bevorstehende Wochenende und wissen, dass sie darüber keine großen Worte verlieren müssen.

Der introvertierte Gefühlsmensch strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Er bleibt im Hintergrund, außer wenn es darum geht, andere zu unterstützen. Im Familien- und Freundeskreis fühlt er sich wohl, wie auch dort, wo er Sicherheit und Vertrauen verspürt. Daher braucht diese Persönlichkeit auch ein Arbeitsumfeld, das Beständigkeit und stabile zwischenmenschliche Beziehungen aufweist. Dazu gehören beispielsweise routinierte Abläufe mit überschaubarem Entscheidungsrahmen und weitestgehend feste Arbeitszeiten. So kann sich der Beziehungsmensch auch seinem Privatleben ausreichend widmen.

Da dieser Mensch Stabilität und Zuverlässigkeit schätzt, wird man ihn nicht nur als langjährigen loyalen Mitarbeiter erkennen, sondern auch als den Nachbarn, der regelmäßig im Herbst die Hecke schneidet und stets mit Eiern aushilft. Diese grenzenlose Hilfsbereitschaft, gepaart mit dem Wunsch nach Harmonie, hat natürlich auch ihre Kehrseite: Die eigenen Bedürfnisse kommen zu kurz, da ‚Nein’ sagen extrem schwer fällt.

Wichtig

Die menschenorientiert Introvertierten unterscheiden sich von den Sachorientierten darin, dass sie stets die zwischenmenschliche Atmosphäre im Blick haben und nicht das konkrete Vorgehen. Sie müssen nicht alles planen und im Griff haben. Sie brauchen eher ein offenes Ohr als einen konkreten Rat.

4 Introvertiert und sachorientiert

Beispiel: Alles nach Plan

Clara und Paul planen schon seit Wochen diesen Ausflug. Sie haben sich überlegt, welche Stadt sie noch nicht kulturell erkundet haben und wie sie kostengünstig dort hinkommen könnten. Paul hat dafür verschiedenste Angebote verglichen. Selbstverständlich hat er auch die Übernachtungsmodalitäten geprüft und die Sicherheit an Bord hinterfragt. Nun, als das Schiff ablegt, verfolgen die beiden kritisch aus dem Innenraum das Ablegeprozedere und hoffen, dass alles planmäßig verläuft. Mit der Lautstärke und Hektik können sie gerade nur schwer umgehen – sie werden sich bald auf ihre Kabine zurückziehen und sich auf die Ausflugsziele vorbereiten.

Der introvertierte Kopfmensch hat den Blick auf Fakten, Aufgabenerledigung und Problemlösung gerichtet. Er steigt meist tief in Themen ein, häuft Wissen an, will kompetent sein. Damit wirkt er auf andere kühl und distanziert, aber professionell. Oft arbeitet er Nächte durch, um Fehler aufzuspüren oder perfekte Lösungen zu finden. Berufe, in denen Zahlen und Fakten oder die strikte Einhaltung von Prozessen gefragt sind, bieten optimale Voraussetzungen für ihn.

Ordnung und Disziplin werden beim introvertierten Kopfmenschen großgeschrieben. Regelverstöße kann er nicht leiden. Das eigene Umfeld ist stets vorbildlich organisiert. Dass er sich durch diese Strenge auch sein eigenes Martyrium schafft und ein Voranschreiten oft behindert, ist für ihn aufgrund der zugleich gewonnenen Sicherheit gut zu ertragen.

Unterschiede im beruflichen Alltag erkennen

Im beruflichen Miteinander zeigen sich die jeweiligen Verhaltensschwerpunkte aufgrund der Rahmenbedingungen jedoch manchmal in anderer Form als im Privaten. Wechselwirkungen mit Kollegen entstehen und sie verlaufen nicht immer ohne Spannungen (siehe „Wie Sie sich auf Menschen einstellen“).

Beispiel: Verschiedene Persönlichkeiten im Berufsalltag

Pünktlich um 07:00 Uhr betritt der Schadenssachbearbeiter Rudi Richter (introvertiert, sachorientiert) wie jeden Morgen seit 20 Jahren das Firmengelände eines Versicherungskonzerns. Im Büro beginnt er gleich mit der Abarbeitung seiner Aufgaben. Seinen Wochenplan hat er bereits vergangenen Freitag aufgestellt. Small Talk mit Kollegen ist nicht sein Ding. Er schätzt einen geregelten Tagesablauf ohne große Überraschungen. Beim Bearbeiten der Schadensfälle geht er stets gewissenhaft und analytisch vor und hat schon so manchen Versicherungsbetrug aufgedeckt. Er hält sich genau an die Vorgaben und Richtlinien des Konzerns.

07:30 Uhr. Anneliese Heim (introvertiert, menschenorientiert) öffnet sanft die Tür zum gemeinschaftlichen Büro. Sie ist Sachbearbeiterin und Sekretärin der Abteilung. Sofort schenkt sie ihrem Kollegen ein warmes Lächeln: „Guten Morgen, lieber Rudi, wie geht es dir? Soll ich dir einen Tee kochen?“ Sie schätzt ihren Kollegen wegen seiner Zuverlässigkeit sowie seines Fachwissens und ist froh, dass er sie fachlich unterstützt. „Guten Morgen“, entgegnet Rudi Richter etwas barsch. „Nein, danke, ich muss das hier berechnen, später vielleicht“, und versteckt sich wieder hinter seinem Bildschirm. Da Anneliese Heim merkt, dass sie kein Gehör findet, geht sie in die Küche. Sie braucht jeden Morgen etwas Zeit, um anzukommen. Also setzt sie Teewasser auf und versorgt die Blumen.

08:00 Uhr. Von draußen hört man die schnellen, festen Schritte von Stefan Schnell (extravertiert, sachorientiert), dem Abteilungsleiter. Er war am Morgen joggen und geht nun direkt in sein hochwertig eingerichtetes Büro. Mitarbeiter zu begrüßen, davon hält er nichts. Man sieht sich später ohnehin beim Meeting. Um 08:30 Uhr hat er den ersten Termin, um 10:00 Uhr die wöchentliche Abteilungsbesprechung usw. – der Tag ist voll mit Arbeit. Schließlich will Stefan Schnell seine Ziele erreichen. Daher muss er die Agenda für die Teambesprechung gleich noch von Anneliese Heim um zwei strategisch wichtige Themen erweitern lassen.

09:30 Uhr. Helga Fröhlich (extravertiert, menschenorientiert) kommt vergnügt zur Tür herein. „Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich! Ich hoffe, ihr seid alle schön fleißig?!“, und lacht laut. „Gibt's irgendwo Kaffee?“, fragt sie und schaut Anneliese Heim an. „Klar, hier!“, entgegnet diese freundlich. Helga Fröhlich schenkt sich ein, setzt sich und wirkt etwas erschöpft: „Puh, das war ein Wochenende! Bis Sonntagmorgen gefeiert – ich bin noch gar nicht richtig wach. Und jetzt auch noch unsere Besprechung.“ Sie verzieht ihr Gesicht. „Ich müsste eigentlich gleich zum Kunden. Dem hab' ich versprochen, dass ich am Montagmorgen vorbeikomme.“ Helga Fröhlich liebt den Kontakt zu Menschen und ihren Außendienstjob. Außerdem genießt sie die Freiheit, ihre Arbeitszeiten flexibel zu gestalten.