Fegan sah hoch zu seinen Verfolgern, die über ihm aufragten und ihn beobachteten. Auf einem Arm trug die Frau ihr Baby, den anderen streckte sie jetzt in Richtung Haus. Ihre Augen sagten ihm, befahlen ihm, es zu tun. Lauf, sagten sie.

Lauf los.

»O Gott.«

Fegan steckte sich Campbells Glock in den Hosenbund und kroch an der Seite des Wagens entlang bis ganz nach vorne. Die Stalltüren schepperten in den Angeln, als die Hunde sich dagegenstürzten. Fegan warf noch einen Blick auf die oberen Fenster und stürmte dann auf das Haus zu. Ein Schuss fiel, und etwas zupfte an seiner linken Schulter.

Er warf sich mit aller Kraft gegen die Tür und stolperte über Malloys ausgestreckte Füße. Dann prallte er gegen die gegenüberliegende Wand. Kacheln fielen überall dort herab, wo der Mörtel verrortet war. Sie zerschellten am Boden, zwischen ihren Splittern sah Fegan rote Spritzer. Sein linker Arm fühlte sich schwer an, so als hätte ihm jemand einen Stein ans Handgelenk gebunden. Nur ein Kratzer, nicht weiter schlimm.

Er blickte sich nach Malloy um, dessen Körper bäuchlings da lag. Der Brustkorb des stämmigen Mannes hob und senkte sich in unregelmäßigen Abständen. Seine glasigen Augen starrten in die Ferne. Die Verfolger kamen herein und blieben über ihm stehen. Mit zur Seite geneigten Köpfen musterten sie ihn.

Oben trappelten rasche Schritte über den Fußboden.

»Gerry?« McGintys Stimme, gedämpft durch die Holzdielen und den Putz zwischen ihnen. »Gerry, komm nicht hier rauf. Ich warne dich. Mach es nicht. Ich … ich … ich … du weißt, dass ich es tue.«

Die Frau stand neben Fegan und deutete auf die Tür, die ins nächste Zimmer führte. Dort hatte er Marie und Ellen zuletzt gesehen. Der Metzger trat neben sie.

»In Ordnung«, sagte Fegan.

Die Walther im Anschlag, näherte er sich der Tür. An der Wand stand immer noch die ramponierte alte Couch, durchtränkt von Feuchtigkeit und Blut. Mit sanften Fingern tastete die Morgendämmerung durch das schmutzige Fenster. Draußen konnte Fegan vor dem Waldrand den ehemaligen Garten sehen, den jahrelange Vernachlässigung hatte zuwuchern lassen.

Was war das?

Fegan blieb stehen und lauschte. Heftige schnelle Atemstöße, panisch. Sie kamen von jenseits der letzten Tür, derselben Tür, durch die noch vor kurzem Marie und Ellen gekommen waren. Wie lange war das jetzt her? Eine Viertelstunde? Eine halbe? Eine ganze?

Die Frau und der Metzger postierten sich neben Fegan. Sie neigten die Köpfe zur Seite und lauschten. Der Säugling auf dem Arm seiner Mutter war ganz ruhig.

Die Frau wandte sich zu Fegan und lächelte. Dann streckte sie die Hand aus und streichelte ihm über die Wange. Sie nickte.

Fegan drehte sich wieder zur Tür um, hinter der alles im Dunklen lag. Die Atemstöße klangen jetzt näher und noch panischer. Leise schlich Fegan auf das Geräusch zu, die Walther zwischen ihm und seinen Verfolgern.

Eine Treppenstufe knarrte. Das Atmen hörte auf, dann setzte es wieder ein, noch schneller als vorher. Fegan hörte, wie Stoff an der Tapete vorbeistrich. Jemand drückte sich an der Wand entlang.

Immer näher.

Dann das hohe, nasale Wimmern eines Mannes. Die nackte Angst.

Fegan machte noch einen Schritt vor und passte auf, sich auf den uralten Dielen ganz vorsichtig zu bewegen. Er hatte die Walther in Hüfthöhe vor sich, für den Fall, dass der andere geduckt hereinkam. Noch einen Schritt. Er konnte jetzt fast schon mit der Hand den Türrahmen berühren. Die Atemgeräusche wurden immer schneller und hektischer.

Dann hörten sie ganz auf.

Mit vorquellenden Augen sprang Quigley aus dem Schatten hervor, mit beiden Händen hielt er eine kleine Pistole umklammert. Sein Kopf war puterrot, die Fingerknöchel weiß. Als er sah, dass Fegans Walther auf sein Herz zielte, schrie er auf, aber er schoss nicht. Er stand nur wie angewurzelt da und hielt mit aufgerissenen Augen den Atem an. Fegan konnte seine Angst sehen, die Panik förmlich riechen. Dieser Mann war kein Killer.

»Atme«, sagte er.

Quigley starrte ihn nur weiter an. Die Adern auf seiner Stirn und den Schläfen waren hervorgetreten, seine Hände zitterten. In der Hand hielt er eine Kleinkaliber-Sportpistole, kaum mehr als ein Spielzeug.

»Wenn du nicht bald atmest, kippst du um.«

Lang und zischend stieß der andere die Luft aus, dann atmete er bebend ein und mit einem langen Ächzen wieder aus.

Von oben kam McGintys Stimme. »Erschieß ihn, Quigley!«

Ellen weinte.

»Du willst doch gar nicht sterben«, sagte Fegan.

»Erschieß ihn einfach!«

»Du musst auch nicht sterben«, sagte Fegan.

Quigley schaffte es nicht, die Waffe einfach nur nach vorn zu richten, sie tanzte in seinen Händen hin und her.

McGintys Stimme meldete sich wieder, ein wütendes Kreischen. »Verdammt, jetzt erschieß ihn endlich!«

»Du hast die Wahl«, redete Fegan auf Quigley ein. »Wenn du willst, kannst du am Leben bleiben.«

Obwohl sie bleischwer war, hielt er Quigley die offene Hand hin. Quigley starrte ihn an, seine Augen versuchten in Fegans Gesicht zu lesen.

»Wenn du willst, kannst du am Leben bleiben. Malloy und Bull sind schwer verletzt. Die anderen sind tot. McGinty wird bald sterben. Du musst nicht mit ihm sterben. Entscheide dich.«

Quigley schlug die Augen nieder und ließ die Schultern hängen.

»Quigley?« Aus McGintys Stimme war alle Wut gewichen. »Quigley, was ist da unten los?«

Quigley legte Fegan die Waffe in Fegans ausgestreckte Hand und schlug die Augen nieder.

»Geh«, sagte Fegan und ließ die Waffe in seiner Jackentasche verschwinden.

»Danke«, hauchte Quigley. Ohne den Blick noch einmal zu heben, eilte er zur Küchentür. Die Tür am anderen Ende des Flures stand einen Spalt offen. Von draußen drang das Morgenlicht herein. Fegan stellte sich im Geiste die Rückseite des Hauses vor. Irgendwo in der Mitte des Obergeschosses war ein Fenster.

»Er muss am oberen Treppenabsatz sein«, raunte er sich selbst zu.

Die Frau trat weiter in die Dunkelheit hinein. Mit der freien Hand wies sie zuerst nach vorn und dann nach oben. Vorsichtig schlich Fegan zum Türrahmen.

»Quigley?«

»Er ist weg«, rief Fegan.

»Mistkerl! Verdammt!«

Die Stimme war ganz in der Nähe. Dem Klang nach kam sie vom oberen Treppenabsatz. Sie hallte durch den schmalen Flur. Fegan spähte zur gegenüberliegenden Tür. »Komm nicht hier rauf, Gerry. Ich warne dich.«

Fegan holte noch einmal Luft, dann rollte er sich zur Seite weg. Mit der rechten Schulter zielte er auf die Tür jenseits des Flurs. Vor dem Fenster erhaschte er einen kurzen Blick auf McGintys Silhouette. Ellen wand sich in seinem linken Arm, in der Rechten hatte er einen Revolver. Im selben Moment, als Fegans verletzte Schulter auf die Tür traf, krachte in dem schmalen Korridor ein Schuss. Die Kugel pfiff an Fegans Kopf vorbei. Die Tür barst nach innen auf, Fegan stürzte ins Zimmer und schrie vor Schmerz auf. Er krachte gegen einen Stapel Holzstühle, die polternd zu Boden fielen.

»Bleib weg, Gerry. Zwing mich nicht, ihr etwas zu tun.«

Ellen schrie und weinte.

Fegan rappelte sich hoch. Er dachte blitzschnell nach. Ein Revolver. Also sechs Schuss. Er zählte.

»Drei hat er verschossen«, murmelte er.

Die Frau drehte sich zu ihm und nickte. Fegan hielt ihrem funkelnden Blick stand.

»Drei hat er also noch übrig.«

Die Frau trat zurück in den Flur, der Säugling zappelte auf ihrem Arm. Mit dem anderen wies sie nach oben und ahmte mit den Fingern eine Pistole nach. Der Metzger stellte sich neben sie und tat dasselbe.

Gemeinsam zielten die beiden auf Paul McGinty und feuerten immer wieder. Ihre Münder zuckten, sie hatten die Zähne gebleckt.

»Ja, ich weiß«, sagte Fegan. Er spürte, wie etwas Warmes seinen linken Arm hinunterlief. Die Erschöpfung nagte an seiner Wachsamkeit. »Ich weiß.«