Ungefähr zehn Meter vor ihm wedelte eine Laterne hin und her. Fegan bremste den Clio ab, als er sich dem unruhigen Licht näherte. Die Landstraße war so schmal, dass kaum zwei Wagen aneinander vorbeikamen, und von Hecken gesäumt. Zu beiden Seiten verloren sich Felder in der Dunkelheit. Ein kleiner, gedrungener Mann mit einer Wollmütze und einer grünen Feldjacke trat auf die Straße und hob die Hand. Fegan hielt an. Der Mann kam hinüber zur Fahrerseite und bedeutete ihm mit der Lampe, die Windschutzscheibe hinunterzufahren. Fegan gehorchte.

»Bist du Fegan?«, fragte der Mann.

Fegan blinzelte in das Licht der Laterne. »Ja.«

Ein zweiter Mann, groß, schlank und mit einer doppelläufigen Schrotflinte bewaffnet, tauchte aus der Hecke auf. Er zielte durch die Windschutzscheibe auf Fegan.

Der Stämmige leuchtete mit der Laterne die dunklen Ecken des Wagens aus, erst den Fußraum vorne und dann hinten. »Aussteigen!«, befahl er. Er trat zurück, damit Fegan aus dem Wagen klettern konnte.

Fegan leistete keinen Widerstand, als der Stämmige seine Taschen durchsuchte. »Ich bin nicht bewaffnet«, sagte er.

Der Stämmige bedachte ihn mit einem flüchtigen Blick. »Wenn es dir nichts ausmacht Kumpel, überprüfe ich das lieber selbst.«

Fegan blieb reglos stehen. Ein warmer Regen leckte an seinen geschlossenen Augenlidern. Er spürte, dass die Schatten ihn beobachteten. Seine Schläfen pochten, und die übliche Kälte kroch in seinen Körper.

»Du wirst nichts finden«, sagte er und machte die Augen auf.

Der Stämmige unterbrach kurz seine Suche und sah hoch. »Maul halten.« Als er beruhigt war, befahl er: »Mach den Kofferraum auf!«

Sie gingen zum Heck des Wagens. Fegan entriegelte den Kofferraum auf, und mit einem Quietschen ging die Luke auf. Der Stämmige leuchtete mit der Laterne bis in die hintersten Ecken. Er zeigte auf die Segeltuchtasche.

»Hol die raus!«

Fegan griff in den Kofferraum und hob die Tasche hoch. Er stellte sie auf die Kante und zog den Reißverschluss auf. Aus sicherer Entfernung linste der Stämmige hinein. Dann steckte er seine Hand hinein, schob die Kleidungsstücke beiseite und entdeckte die schmierigen Scheine.

»Verdammich«, sagte er. »Wie viel ist das?«

Fegan zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.«

Der Mann mit der Flinte trat näher heran. »Was ist los?«

»Guck mal«, sagte der Stämmige und zeigte auf die Tasche.

»Ich wird verrückt.«

Die beiden Männer sahen einander an. Ein Dutzend Möglichkeiten schossen zwischen ihnen hin und her, aber letzten Endes schüttelten sie nur die Köpfe.

»Los jetzt!«, sagte der Stämmige und nahm die Tasche. »Bull wartet schon.«

Fegan fuhr die letzten paar hundert Meter mit der doppelläufigen Flinte auf seinen Kopf gerichtet und dem Stämmigen neben sich, der die Tasche mit dem Geld in seinem Schoß hütete. Die Scheinwerfer des Clio erfassten mit Mühe die immer schmaler werdende Straße, die sich den Hügel hinaufwand und schließlich in den Hof eines alten Gehöfts mündete. Eine Scheune stand offen, grelles Licht drang heraus. Am Eingang stand Eddie Coyle und wand gerade einen blutgetränkten Verband um seinen Kopf. Er stierte Fegan an.

Beim Ausgehen ließ der Motor noch einmal den Wagen erzittern. Über das Rattern eines Generators hinweg hörte Fegan Hunde bellen und an den Stalltüren kratzen. Es roch hier nach Tod: nach schmerzhaftem, angsterfülltem Tod. Der Gestank kroch durch die geöffneten Scheiben. Schatten huschten über den Hof, wandten sich hierhin und dorthin und suchten.

Bull O’Kane und McGinty traten in den Regen hinaus. Der Bulle kam hinüber zum Wagen und beugte sich vor, damit er hineinsehen konnte.

»Komm ins Haus, Gerry.«

Fegan öffnete die Fahrertür und stieg aus. Auch die beiden anderen Männer verließen das Auto. O’Kane winkte ihnen grüßend zu.

»Kennst du die zwei Jungs?«

»Nein«, sagte Fegan.

»Tommy Downey und Kevin Malloy. Die reißen dich in Stücke, sobald du auch nur dann Anschein erweckst, als würdest du eine falsche Bewegung machen. Wenn du mir quer kommst, lasse ich diese beiden da auf die Frau da los. Verstanden?«

»Verstanden«, sagte Fegan.

O’Kane lächelte. »Gut. Ist ein ganzes Weilchen her, Gerry.«

»Siebenundzwanzig Jahre.«

»Meine Güte, tatsächlich?« O’Kane lachte. »Ich wünschte mir, ich könnte dir sagen, wie ich mich freue, dich wiederzusehen. Aber du hast mich enttäuscht. Mich und Paul. Naja, macht nichts. Komm erst mal rein.«

»Wo ist Marie.«

»Keine Sorge, die siehst du noch früh genug. Jetzt komm!«

O’Kane machte kehrt und marschierte auf das Haus zu. Fegan spürte, wie ihn jemand in den Rücken stieß. Fegan funkelte ihn an, als er zur Tür ging, sagte aber nichts.

Im Innern des heruntergekommenen Hauses war es feucht und kalt. Fegan sog die Kühle in sich ein, während er O’Kane durch die Küche folgte. Downey folgte und drückte Fegan die Schrotflinte zwischen die Schulterblätter, dann kamen McGinty und Coyle.

Sie betraten das nächste Zimmer, wo auf einer uralten Couch Campbells bewusstloser Körper lag. Ein süßlicher Geruch legte sich über den Gestank nach Feuchtigkeit und Schimmel.

Ein jüngerer Mann, so groß wie O’Kane, aber schwerer, stellte einen Holzstuhl in die Mitte des Zimmers. Fegan vermutete, dass das Pädraig war, Bulls Sohn.

»Setz dich«, sagte O’Kane.

Fegan gehorchte. McGinty und Downey kamen ins Zimmer. Mit ausdruckslosem Gesicht zündete McGinty sich eine Zigarette an. Die anderen warteten in der Küche.

»Ich will Marie und Ellen sehen«, verlangte Fegan. Seine Hände zitterten nicht, nur sein Mund war trocken.

»In Ordnung«, sagte O’Kane. Er sah Pädraig an und nickte in Richtung einer weiteren Tür. Ohne ein Wort verschwand sein Sohn darin.

O’Kane starrte Fegan eine halbe Ewigkeit an, erst dann ergriff er wieder das Wort. »Und was machen wir jetzt, Gerry?«

»Ihr lasst Marie und Ellen gehen«, sagte Fegan. »Und dann tötet ihr mich.«

O’Kane lächelte. »Nicht so hastig. Erst möchte ich noch ein paar Dinge wissen.«

»Was?«

»Ich will wissen, warum, Gerry.«

Fegan sah zur Tiir, durch die gerade Marie hereinkam. Sie trug Ellen auf dem Arm und wurde von Quigley hereingeführt. Pädraig folgte und schloss hinter sich die Tür. Er führte Marie in eine Ecke. Ellen zappelte im Arm ihrer Mutter.

»Da ist Gerry«, rief sie.

»Ich weiß«, sagte Marie mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme. »Halt still, mein Schatz.«

Aber Ellen krümmte sich weiter, bis sie sich schließlich dem Griff ihrer Mutter entwunden hatte und auf den Boden hopste. Sie rannre auf Fegan zu. »Bist du wegen uns gekommen?«, fragte sie und kletterte ihm auf den Schoß. Sie war leicht wie eine Feder.

»Ja«, sagte Fegan.

»Mummy hat Angst.«

»Ich weiß. Aber das muss sie nicht. Und du auch nicht. Alles wird gut, das verspreche ich.«

»Wann können wir nach Hause?«

Fegan nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Bald. Nun geh wieder zu deiner Mummy.«

Ellen kletterte von Fegans Knie und lief zurück zu ihrer Mutter. Marie hockte sich hin und nahm ihre Tochter in die Arme. Fegan lächelte sie an, und sie nickte zur Antwort, dann schlug sie die Augen nieder.

O’Kane trat zwischen sie, so dass Fegan sie nicht mehr sehen konnte. »Du hast mir keine Antwort gegeben, Gerry. Ich will wissen, warum du das alles gemacht hast. Sag es mir.«

Fegan sah in das gerötete Gesicht des anderen. »Weil ich musste.«

»Du musstest. Was soll das heißen?«

»Ich musste es tun. Es war die einzige Möglichkeit.«

»Die einzige Möglichkeit wozu?«

»Sie dazu zu bringen, dass sie mich in Ruhe ließen.«

»Wen?«

Fegan sah zu Boden.

»Wen wolltest du dazu bringen, dich in Ruhe zu lassen?« O’Kane hockte sich hin und hob mit einem Finger Fegans Kinn so weit hoch, bis ihre Blicke sich trafen. »Für wen hast du das gemacht, Gerry? Für die Briten? Oder für sonst jemanden? Jemanden, den wir kennen? Mach dir keine Gedanken, jetzt ist alles vorbei. Du kannst es mir ruhig sagen.«

»Nein«, sagte Fegan, während im schon die Kälte in den Körper kroch. Vom Rand seines Blickfelds her kamen die Schatten zur Mitte und stellten sich zwischen McGinty und Campbell. Ihre Silhouetten wurden klarer, fester. Fegan versuchte, sie zurückzudrängen, ohne Erfolg. Ihre Augen brannten auf ihm.

»Sag es mir«, forderte O’Kane. Er packte mit seiner Pranke Fegans Gesicht. »Sa ges mir!«

»Die da!« Fegan zeigte auf die Frau, ihren Säugling und den Metzger, die immer wieder von neuem McGintys Exekution durchspielten. Dann zeigte er auf die Burschen von der UFF, die über Campbell standen. »Und die da!«

McGinty hielt mit der Zigarette knapp vor dem Mund inne, seine Augen glitten zwischen O’Kane und Fegan hin und her.

O’Kane starrte McGinty an. »Meinst du Paul? Hat Paul dich veranlasst, das zu tun?«

McGinty ließ die Zigarette fallen. »Mein Gott, Bull, er ist verrückt. Er weiß nicht, was er redet.«

O’Kane wandte sich wieder Fegan zu. »Haben Paul McGinty und Davy Campbell dich gezwungen, das zu tun?«

»Nein, die nicht.«

»Auf wen zum Teufel zeigst du dann?«

»Auf die da!« Fegan deutete nacheinander auf jeden seiner Verfolger. »Auf die Menschen, die ich umgebracht habe.«