18
Caroline kam wie versprochen nach Cornwall, und sie verbrachten ein nettes Wochenende zusammen. Anfangs war es zwar ein wenig steif, aber sie kannten einander zu lange, um so zu bleiben. Sie redete vorwiegend über London, über ihren Job, die Leute, mit denen sie arbeitete, ihre Wohnung, in der sie gerade das Schlafzimmer renoviert hatte, ihren neuen Chef, vor dem alle Angst hatten, bis sie ihn kennenlernten, die neue Bar, die sie entdeckt hatte, ein fantastisches neues Restaurant. Sie redeten über Dinge, nicht über Gefühle.
Schließlich hatte Tom, der zu ehrlich war, um es für sich zu behalten, ihr von Liesel erzählt. Er erwähnte sie wie nebenbei als jemanden, den er kennengelernt hatte, und Caroline hatte eine Bemerkung gemacht über seine Neigung, Streuner aufzunehmen, und ihr Überraschtsein, dass sein Haus nicht voller aufgelesener Tiere sei, aber nein, das ginge ja nicht, denn er arbeite ja ständig.
Es war eine abfällige kleine Bemerkung, und beiden war das klar. Dann stritten sie sich natürlich, aber nicht wegen Liesel. Es war ihr üblicher Streit. Sie würde öfter kommen, wenn er mehr Zeit hätte. Aber er liebe seinen Beruf eben mehr als sie.
Jawohl, er liebte seinen Beruf, aber vielleicht arbeitete er so viel, weil ja niemand zu Hause war, und immerhin wäre sie dreihundert Meilen weit weggezogen.
Es endete, wie ihr Streit immer endete, mit grollendem Schweigen ihrerseits und Versöhnlichkeit seinerseits, denn er hasste die gespannte Atmosphäre zwischen ihnen. Dann hatten sie Sex, denn das war das Einzige, was wirklich die Spannung löste. Und außerdem hatte sie getrunken und zu weinen begonnen und gesagt, dass sie ihn liebe und es nicht verwinden könne, dass sie auseinandertrieben. Und sie hatte sich an ihn geklammert.
Als sie am nächsten Morgen verkatert und reumütig aufwachte, war sie sehr liebevoll und wieder die alte Caroline. Doch ganz beiläufig, beim Frühstück, hatte sie ihn ohne Übergang von der Seite her angesehen und gefragt: »Diese Lisa, ist sie hübsch?«
Das hatte ihn so überrascht, dass er genickt hatte. Ja, ihr Name sei Liesel, und sie sei sehr hübsch.
»Wir sind bloß befreundet«, hatte er nach einer bedeutungsvollen Pause hinzugefügt. Was eigentlich die Wahrheit war. Schließlich war alles, was über Freundschaft hinausging, nur in seiner Vorstellung passiert und nicht in Wirklichkeit.
»Ich weiß nicht, wie ich das finde, wenn du hübsche Bekannte hast«, hatte sie geantwortet und dann rasch das Thema gewechselt.
 
Marilyn hatte nach ihrem gemeinsamen Abend die gleiche Art Fragen gestellt, nur nicht so subtil. Aber »wir sind bloß befreundet« war Liesels neues Mantra geworden. Marilyn glaubte, dass, jetzt danach gefragt, ihre Schwester es glatt abstreiten würde, Tom jemals attraktiv gefunden zu haben. »Wir sind bloß befreundet.« Aber Marilyn war nicht überzeugt. Sie kannte Tom Spencer vielleicht nicht sehr gut, aber sie kannte ihre Schwester und wusste, dass in Liesel bestimmt mehr vorging als nur das.
Jetzt war er da und spielte im Garten mit Ruby. Es war wirklich eine Weile her, dass sie ihn das letzte Mal gesehen hatten - genauer gesagt, fast zwei Wochen. Zwei Wochen, in denen Liesel das Herumhängen vor dem Telefon und am Fenster zur neuen Kunstform erhoben hatte. Tag für Tag wurde sie mürrischer und klammerte sich immer stärker an ihre Verleugnung.
Als er heute Abend auftauchte, war es, als hätte jemand in ihr wieder ein Licht angeknipst.
Alex fragte seine Mutter: »Wo ist Tante Lies?«, und als sie antwortete, sie sei draußen mit Tom, hatte er gemeint: »Ist das jetzt ihr Freund?« Marilyn hatte automatisch nein gesagt, aber dabei das Gefühl gehabt, zu lügen.
Sie konnten es vielleicht abstreiten, bis sie schwarz wurden, aber jeder konnte es sehen, jeder außer den beiden selbst, dass sie tatsächlich eine Beziehung hatten. Vielleicht berührten und küssten sie sich nicht, wie andere Leute in Beziehungen, und man konnte auch sagen, okay, dann war es eben nur Freundschaft, aber zur Freundschaft passten nicht all die anderen Dinge, die sie gemeinsam hatten: die sehnsüchtigen Blicke, eine Art Versenken ineinander, die geweiteten Pupillen. Beim Nachdenken fiel es Marilyn plötzlich auf: Es waren ihre Augen, ihre Blicke. Alles verriet sich in ihren Blicken.
Die Quintessenz war, dass sie niemandem etwas weismachten, nur sich selbst. Täuschung, besonders Selbsttäuschung, führte normalerweise nur in eine Richtung. Es war das Einzige, wovor Marilyn ihre Schwester immer hatte beschützen wollen. Sie hatte genügend Kummer in ihrem Leben gehabt. Das traf auf sie beide zu. Vielleicht sollten sie das Hotel umbenennen. Marilyn begann den Liebligssong ihres Vaters zu summen: »Heartbreak Hotel«.
 
Es lag fast zehn Tage zurück, dass er Ruby zuletzt besucht hatte. Irgendwie fand Liesel, dass die Pause ihr gutgetan hatte. Sie hatte Gelegenheit gehabt, über die Situation nachzudenken. Es war bloß eine kleine Fantasie, die sie für sich durchgespielt hatte. Daher fand sie, dass sie durchaus bloß befreundet sein konnten. Freunde waren ja auch immer ehrlich zueinander, nicht wahr? Als sie die Begrüßung hinter sich hatten und alleine im Garten waren, wagte sie einen kleinen Schritt in die Richtung.
»Du hast mich wohl gemieden?«
»Nein, das stimmt nicht.«
»Bitte, lüg mich nicht an. Ich kann das nicht ausstehen, und ich freue mich, dich zu sehen.«
Tom lächelte. Verdammt, selbst wenn er sich völlig elend fühlte, es gelang ihr immer, ihn zum Lächeln zu bringen.
»Was ist es denn?«, verlangte sie und verschränkte die Arme, um herausfordernder zu wirken, doch ihre Verletzlichkeit, die ihn so berührte, war immer noch zu erkennen. Am besten war wohl, wie sie vorgeschlagen hatte, so ehrlich wie möglich zu sein.
»Ich bin in einer Beziehung...«, begann er.
»Das weiß ich.«
»Was bedeutet, dass...«
»... dass wir nicht befreundet sein können?«, vollendete sie den Satz für ihn.
»Ehrlich gesagt...« Tom zögerte.
»Bitte keine Lügen«, erinnerte sie ihn.
»Keine Lügen. Gut...« Dann holte er tief Luft und nahm sie beim Wort. »Ehrlich gesagt, Liesel, finde ich dich viel zu attraktiv, um nur mit dir befreundet zu sein.«
»Ach so«, murmelte Liesel und trat sich innerlich ans Schienbein, weil sie so blöd war, sich darüber zu freuen. »Du machst dir also Sorgen, dass ich dich verführen könnte? Na, das brauchst du nicht. Du bist nicht mein Typ.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, du magst keine Lügen?«
»Ich lüge nicht. Du bist nicht mein Typ.«
»Warum ist es dann so zwischen uns?«
Er hatte sie in die Ecke gedrängt.
»Äh... weil ich glaube, man sollte sich nicht so festlegen.«
»Deine ehrliche Antwort lautet also, dass ich nicht dein normaler Typ bin?«
Liesel nickte langsam. »Okay, das stimmt wohl. Aber du brauchst dich nicht zu sorgen, denn ich habe für die Zeit hier im Hotel Männerbeziehungen abgeschworen.«
»Warum?«
»Ich bin die Männer leid und momentan eigentlich nicht bereit für eine richtige Beziehung, weil wir so viel zu tun haben.«
»Ich auch.«
»Du bist die Männer auch leid?«, neckte sie ihn.
»Ich glaube, du weißt, dass ich das Letztere meinte.«
»Na, siehst du? Wir haben beide weder Zeit noch...« Sie hielt inne. Sie hatte sagen wollen: Lust, merkte aber, dass es das falsche Wort war, denn es war ganz offensichtlich, dass sie beide jede Menge Lust hatten. »... noch die Neigung dazu«, fügte sie schlaff hinzu. »Außerdem bin ich nicht hinter Männern her, die in einer Beziehung glücklich sind. Ich glaube nämlich nicht, dass ich meine Regeln so leicht ändern kann wie meinen Geschmack in Männern. Du siehst also, wir sind absolut sicher...«
»Einfach nur befreundet zu sein«, beendete er den Satz für sie.
»Freundschaft«, bekräftigte Liesel und streckte ihm eine Hand hin, die er lächelnd ergriff und schüttelte.
Doch dann ließ er sie nicht wieder los.
Und immer noch nicht.
Und dann stießen sie irgendwie einfach zusammen.
Zuerst mit dem Körper, dann mit den Lippen, zu einem hungrigen, drängenden Kuss, der ein paar brennende Sekunden dauerte, ehe sie ebenso rasch und verlegen auseinanderstoben und in alle mögliche Richtungen blickten, nur nicht zueinander.
»Oh Gott, es tut mir so leid...«
»Entschuldige...«
»Ich weiß nicht, was in mich fuhr...
»Ich habe keine Ahnung, warum ich...«
Dann floh Tom in die eine Richtung, und Liesel stolperte rückwärts, bis ihr Hinterteil gegen die Balustrade stieß. Dort blieb sie in einer Art Ohnmacht stehen, bis Godrich durch den Garten auf sie zuraste, hochsprang und ihr seine Riesenpfoten auf die Brust setzte, so dass sie nach hinten in die Azaleen kippte.
 
Zehn Minuten später lag sie immer noch da, die Beine an die Steinbalustrade gelehnt. Unter ihr dufteten süß die plattgedrückten Azaleen. Die Blüten umrahmten ihren liegenden Körper. Sie starrte zu den Sternen hoch, die in einem klaren dunklen Himmel strahlten.
Sie hatte gerade einen fast verheirateten Mann geküsst - nein, geknutscht war das bessere Wort, das sie zwar nicht mochte, aber besser passte, denn es war über einen Kuss weit hinausgegangen. Das war schlimm, Liesel. Sehr schlimm.
Aber es war auch so gut gewesen, ohhh!, so gut. Und sie hatte gesagt, sie würde sich nie mit einem Mann einlassen, der in einer glücklichen Beziehung war, aber wenn er sie so geküsst hatte... nun, das tut man nicht, wenn man mit jemandem glücklich ist. Dann küsst man niemanden, und erst recht nicht so.
Wenn man mit jemandem glücklich ist, bleibt man treu.
Sie wusste jetzt also, dass er sie »zu attraktiv« fand und in seiner Beziehung nicht sehr glücklich war. Sie wusste außerdem, dass sie immer noch auf dem Rücken in den Azaleenbüschen lag, weil sie meinte, es verdient zu haben. Wenn seine Freundin, nein, seine Verlobte so süß und loyal und liebevoll war wie Marilyn zu Nick?
Oh Herr! Liesel war wie Nicks Samantha!
Aber wie Samantha wollte sie nicht sein. Das konnte sie einer anderen Frau nicht antun.
Aber sie musste sich eingestehen, dass sie sich in Tom Spencer verliebt hatte.
Wo stand sie nun in dieser Sache? Abgesehen von dem Azaleenbusch? Sie musste mit jemandem reden.
Daher mühte sie sich aus dem Gesträuch und suchte ihre Schwester.
Marilyn war in der Küche und half Ed, den riesigen Geschirrspüler zu füllen. Alex stand auf einem Hocker und rührte in einer Schüssel die Zutaten zu seinem Lieblingskuchen. Das Radio lief, und die drei sangen aus vollem Hals: »I should be so lucky!«
Wie verdammt passend, dachte Liesel. I should be so lucky- dass ein Mann wie Tom Spencer, der mir gerade gestanden hat, dass er mich zu attraktiv findet, um mit mir befreundet zu sein, ungebunden wäre. Marilyn warf nur einen Blick auf Liesel und schob sie gleich darauf durch die Halle in ihr kleines Wohnzimmer.
»Was ist los?«, wollte sie wissen. »Komm schon!«
Liesel konnte das breite Grinsen nun nicht länger unterdrücken, das seit Toms Geständnis gedroht hatte, von ihrem Gesicht Besitz zu ergreifen. Allerdings war ihr eigentlich in diesem Augenblick gar nicht nach Grinsen zumute. Irgendwie steckte sie sehr unangenehm zwischen zwei Gefühlen.
»Er findet mich viel zu attraktiv, um mit mir befreundet zu sein.« Als sie es laut aussprach, fand sie das sogar noch toller.
Marilyn musste sich setzen, um diese Information zu verdauen.
»Wirklich?«
»Hm-hm«, nickte Liesel.
»Ach, du meine Güte!«
»Ich weiß.« Liesel setzte sich neben die Schwester.
»Ja, aber auch: oh du meine Güte! Und dann wieder: ach, du liebe Güte!«
»Ich wusste, dass du das genau verstehst.«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Ich hatte gehofft, du könntest mir dazu einen Rat geben.«
»Ist er noch da?«
Liesel schüttelte den Kopf
»Wir haben uns geküsst. Und dann ist er fortgerannt. Er sah so schuldbewusst aus. Ich kann mich doch nicht so verhalten wie Samantha, Marilyn.«
»So könntest du nie sein. Der war es doch völlig egal, wen sie dabei verletzte...« Marilyn lächelte die Schwester sanft an. »Du würdest nicht einmal deinem ärgsten Feind Kopfschmerzen wünschen. Falls du überhaupt jemals einen Feind hättest...«
»Ich könnte niemandem das antun, was er dir angetan hat.«
»Weiß ich, Lies. Aber manchmal verlieben sich Leute, die eine Beziehung haben, in andere Partner, weil sie nicht mehr glücklich sind. Das ist eine der traurigen Tatsachen des Lebens, aber es kommt vor. Du weißt, ich habe Nick immer wieder den Vorwurf gemacht, er sei einfach zu verdammt egoistisch gewesen und hätte mich daher verlassen. Aber dann habe ich meine eigene Rolle dabei betrachtet, ganz scharf und ehrlich, und mir ist klargeworden, dass er mich nie verlassen hätte, wenn er wirklich glücklich mit mir gewesen wäre.«
»Aber du hast alles Menschenmögliche getan, um ihn glücklich zu machen.«
»Ja, meistens jedenfalls. Aber ganz ehrlich, Lies, ich war auch nicht die Heilige, als die du mich gerne siehst. Ich war manchmal ganz schön nervig, weißt du.«
»Wie denn?«
»Also, ich fürchte, ich habe ziemlich viel gemeckert.«
»Ja, aber du hattest auch guten Grund dazu. Er war ja nie da, May. Du hast dich die meiste Zeit allein um Alex gekümmert.«
»Nein, alleine war ich nicht«, erwiderte Marilyn herzlich und legte einen Arm um Liesel.
»Hmm, da ist noch was. Ich denke oft, dass alles meine Schuld war. Wenn du mich nicht am Hals gehabt hättest, hättest du mehr Zeit für deine richtige Familie gehabt.«
»Also, wenn es eins gibt, was du unbedingt begreifen und nie vergessen solltest, dann das...«Marilyn nahm Liesels Hand. »Was mich betrifft, ist eine Familie ohne dich niemals eine richtige Familie, weder für mich noch für Alex. Ehrlich gesagt wurde alles nur schlimmer, nachdem du ausgezogen warst. Ich hatte noch mehr Wut auf Nick, weil er nie zu Hause war. Als du noch da warst, schien es nie so schlimm, wenn er bis spät in die Nacht arbeitete und nicht nach Hause kam. Ja, ich fand es furchtbar, dass er so viel gearbeitet hat, aber ich habe mich auch nicht über den Lebensstandard beklagt, den wir uns von seinem guten Einkommen leisten konnten. Eine Beziehung findet immer zwischen zwei Leuten statt, um ein abgegriffenes Klischee zu benutzen. Ich will ja nur sagen, dass selbst wenn man betrogen und im Stich gelassen wird, man sich trotzdem nie völlig schuldlos fühlen kann. Das wäre die pure Arroganz.«
Liesel blinzelte die Schwester erstaunt und beeindruckt an.
»Kurz gesagt, ich mache Nick heute keine Vorwürfe mehr, dass er mich verlassen hat. Ich wünschte nur, er hätte Alex nicht so im Stich gelassen. Damit komme ich immer noch nicht zurecht. Und ich kann auch keine Entschuldigung dafür akzeptieren.«
Liesel nickte heftig.
»Manche Frauen beklagen sich über die Wochenendväter. Du weißt, die die Kinder am Samstagmorgen abholen, mit ihnen zum Bowling gehen, sie zu McDonald’s schleppen und mit Süßigkeiten vollstopfen, um sie hyperaktiv wieder zu Hause abzuliefern. Sie schicken ihnen Geburtstagskarten und Weihnnachtsgeschenke und verwöhnen sie nach Strich und Faden. Superdads, die einfliegen, die Kinder völlig verrückt machen und dann wieder abhauen. Und du musst immer mit dem anschließenden Chaos fertig werden. Aber was gäbe ich nicht für einen solchen Vater für Alex!«
Einen Moment lang sah sie sehr traurig aus, aber da stürmte Alex ins Zimmer. Er wirkte sehr aufgeregt und fröhlich.
»Mum, Ed hat gesagt, er nimmt mich am Wochenende mit zum Bowling, wenn du das erlaubst. Kann ich mit, Mum? Bitte, bitte!«
Marilyn sah ihren Sohn an, blickte dann kurz zu Liesel und lachte laut über diese Ironie.
»Natürlich darfst du.«
Man hätte nicht gedacht, dass Alex noch breiter grinsen konnte, aber genau das gelang ihm.
»Yeah! Danke!« Er schlang kurz die Arme um Marilyns Hals, ehe er wieder aus dem Zimmer stürzte und über die Schulter zurückrief: »Eric kommt auch mit. Wir machen einen Männerabend.«
Marilyn sah ihm zärtlich und sehnsüchtig nach, wie er nach Ed schreiend aus dem Raum rannte.
»Das tut ihm gut, mit den Jungs auszugehen«, meinte Liesel sanft.
»Ich weiß. Aber ich vermisse seine Schmuserei. Hast du gemerkt, wie flüchtig er mich gerade in den Arm genommen hat?«
»Ja, etwa eine halbe Sekunde.«
»Dir ist das also aufgefallen?«
»Dass er nicht mehr so viel schmust und küsst, seit Ed und Eric hier wohnen?«
»Er wird langsam erwachsen.« Marilyn nickte und schluckte den kleinen Schluchzer herunter - eine Mischung aus Stolz und Traurigkeit.
»Na, ich habe das aber immer noch gerne«, bot Liesel an und streckte die Arme aus zu einer engen Umarmung.
»Was hast du denn jetzt mit dem schönsten Tierarzt von ganz Cornwall vor?«
»Nun, ich weiß nur, was mir sehr lieb wäre...«
»Liesel, nimm dich zusammen.«
»Vertrau mir, Schwesterherz, das kann ich immer noch sehr gut.«
»Okay, dann denk auch nicht mehr daran, wie du Tom Spencer ins Bett kriegst.«
»Ich versuche es, aber das will mir nicht so gelingen«, scherzte Liesel. Als Marilyn besorgt seufzte, fügte sie hinzu: »Keine Sorge. Ich kann gar nichts machen. Er ist mit einer anderen verlobt, und ich denke, dass ich ihn von nun an nicht mehr sehr oft sehen werde.«
»Und warum nicht? Er hat dich doch bloß geküsst, Liesel.«
»Ich habe so eine Ahnung«, erwiderte Liesel und dachte daran, wie entsetzt er nach dem Kuss gewirkt hatte. »Immerhin haben wir einander geküsst, und glaub mir, geplant hatte das keiner von uns beiden.«
»Wie kam es denn dazu?«
»Es war ein Augenblick reiner, unverfälschter Lust«, erwiderte Liesel sachlich.
»Na, das sagt alles.«
»Klar, aber du hast sein Gesicht nicht gesehen, als er anschließend fortrannte. Das sagt einem viel mehr... das und die Tatsache, dass wir gerade über seine Quasi-Ehe gesprochen hatten. Ich glaube wirklich, mir bleibt nichts anderes übrig, als so zu tun, als gäbe es ihn gar nicht.«
»Jaja, das klingt sehr reif und erwachsen. So zu tun, als bräuchte man eine Sache nicht aufzuarbeiten. Und wenn Tom das nun anders sieht?«
»Au!«, schalt Liesel sie. »Nenn bloß seinen Namen nicht mehr. Von diesem Augenblick an existiert er für mich nicht mehr.«
Marilyn sah Liesel an, die sehr gezwungen lächelte und erkannte, dass die Schwester nach ihrem ältesten Trick griff: Sie versteckte ihre wahren Gefühle hinter einem Witz. Manchmal konnte Liesel mit einer Sache nicht anders umgehen, und wenn das momentan so war, dann musste man sie einfach gewähren lassen.
»Okay, okay. Nur noch eine Frage: Warum stecken in deinen Haaren all diese Blüten?«