10

 

Caleb lebte sich bei Tantchen gut ein und erwies sich als so nützlich, wie es die anderen von ihm erwartet hatten. Ich hatte mich getäuscht, als ich bei dem Gedanken an die Schweine im Fischernetz und den fürchterlichen Kater erwartet hatte, daß er für Miss Adams nur eine Last sein würde. Er war freundlich und zuvorkommend, immer bereit, bei allem zuzupacken und mißachtete die Vierzig-Stunden-Woche völlig. Er fuhr sogar den Lieferwagen, zwar nicht gerade hervorragend, jedoch äußerst vorsichtig und übernahm einen Teil der Lieferungen.

Er war auch beliebt. Vorher, als er noch auf seiner verlassenen Farm gelebt hatte, hatte er fast niemanden gekannt, aber jetzt hatte er viele Freunde, die nicht einmal Annabella abschrecken konnte. Er lebte sichtlich auf und war glücklich und zufrieden. Natürlich machte er auch Fehler, aber Tony sagte, sie hätten seine schwachen Stellen schnell herausgefunden.

»Man darf ihn nicht hetzen. Wenn man ihn in Ruhe läßt, macht er die Abwiegerei glänzend. Und man bittet ihn besser gar nicht erst, etwas im Supermarkt zu suchen, der bringt ihn nämlich durcheinander. Er läßt dann alles fallen und gibt an der Kasse falsch heraus.«

»Er ist wirklich eine Hilfe«, sagte Tantchen, »er nimmt uns all die lästigen Arbeiten ab, die so aufhalten. Ich hab’ auch noch nie gesehen, daß er ungeduldig wird oder den Leuten schlechte Zwiebeln gibt oder zu wenig Kartoffeln. Er ist sehr vorsichtig mit dem Lieferwagen und bringt nie die verschiedenen Bestellungen durcheinander. Er ist genau das, was Tony und ich gebraucht haben.«

»Macht sich nützlich, wie Ursula«, lästerte Larry. »Nur auf eine viel nettere Art. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Anne das aushält. Sie wird froh sein, wenn dieser Monat vorbei ist. Sie ist fest davon überzeugt, daß das Kind am Weihnachtstag kommt, weil bei ihr ja nichts ohne Komplikationen geht. Sie nennt es jetzt schon immer Nicola.«

Wir saßen in Tantchens kleinem Wohnzimmer und unterhielten uns gemütlich in einer ihrer wenigen ruhigen halben Stunden, als Larry plötzlich ein entsetzlicher Gedanke kam.

»Was passiert in der Zeit, in der Anne zur Entbindung in der Stadt ist? Ich weiß, daß sie wieder die nette kartanische Krankenschwester kommen lassen will, die schon das letzte Mal da war, und die wird sich um die Zwillinge kümmern. Vielleicht bleibt Ursula aber dort und spielt weiter die Hausherrin, damit dem lieben Tim auch nichts abgeht?«

»Wenn sie das tut, dann geht die Schwester. Nicht einmal dieses nette Mädchen wird sich von Ursula herumkommandieren lassen«, prophezeite ich düster.

»Mit welchem Vergnügen ihr Mädchen Schwierigkeiten vorausseht«, sagte Tantchen. »Angeblich reist Miss Maitland gleich nach Weihnachten ab. Und wenn nicht, wird sie wohl froh sein, wenn sie wieder zum Colonel zurückkehren kann. Euch ist anscheinend nicht klar, daß sie hart arbeitet und tatsächlich eine große Hilfe ist.«

»Selbstverständlich ist uns das klar«, gab Larry zurück. »Man kann keine fünf Minuten mit ihr zusammen sein, ohne das zu merken.« In diesem Moment klopfte Caleb an die Türe.

Nachdem er uns mit übertriebener Höflichkeit begrüßt hatte, fragte er: »Miss Adams, würde es Sie stören, wenn ich ein paar kleine Schreinerarbeiten in dem alten Schuppen da hinten machen würde?«

»Natürlich nicht, Caleb. Er wird sowieso nie benutzt und fällt bald zusammen. Tun Sie dort nur, was Sie wollen.«

Als er gegangen war, sagte Larry: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Caleb ein geschickter Schreiner ist. Ich glaub’, daß alles, was er zusammennagelt, wieder auseinanderfällt.« Aber Tony kam da gerade herein und versicherte uns, daß Caleb recht gewandt mit Werkzeugen sei und immer sehr sorgfältig Maß nehme.

»Schrecklich langsam natürlich. Ich möchte furchtbar gerne wissen, was er in dem Schuppen tun will. Er hat eine ganze Menge Holz gesammelt und damit sehr geheimnisvoll getan.«

»Vielleicht baut er einen kleinen Käfig für seinen Kater«, schlug ich vor, denn in diesem Moment war das Tier in der Toreinfahrt erschienen und beäugte uns bösartig. »Man sollte ihn einsperren können, wenn jemand kommt, den er nicht mag.«

Jemand rief vom Supermarkt herüber, und Tony verschwand. Ich hatte die Stimme erkannt und war deshalb nicht überrascht, daß Tony rötere Backen als gewöhnlich hatte, als wir zum Supermarkt hinübergingen. Sie stritt sich mit Colin über verschiedene Waschmittel.

»Als wenn es dir nicht egal wäre! Du bringst deine ganze Wäsche ja immer in eine Wäscherei in der Stadt. Du kannst kein Waschpulver vom anderen unterscheiden, und du tust nur so klug, weil du streiten willst.«

»Aber nein, ich will nur einen Grund haben, dazubleiben und mich  mit einem so bezaubernden Mädchen zu unterhalten, anstatt zu meinem einsamen Haus und zu meiner schmutzigen Wäsche zurückzukehren«, sagte er in einem Ton, von dem sogar ich zugeben mußte, daß er betörend war. »Also gib mir das, was du für das Beste hältst. Obwohl ja das letzte Mal, als ich deinen Rat befolgte, meine Socken gerade noch groß genug für Micks Dreijährigen waren.«

»Eigene Dummheit, wenn du sie auskochst.«

»Aber es hatte auch seine Vorteile. Das Taschentuch, das ich mitkochte, nahm ein ganz reizendes Grau an. Ich werd’ es so in die Tasche meines grauen Anzugs stecken, daß es ein wenig heraussteht.«

Sie hatten ihren Spaß miteinander, und man konnte seinen Charme nicht leugnen. Larry warf mir einen kurzen Blick zu und sagte dann laut: »Ich unterbreche diese familiäre Diskussion zwar sehr ungern, aber wir fahren heim, Tony. Meinst du, daß ich schnell einen Blick in den Schuppen werfen kann und schauen, was Caleb vorhat?«

»Hat keinen Zweck. Ich hab’ versucht, es herauszubringen, aber er redet nicht darüber, es muß ein großes Geheimnis sein. Jetzt ist er sowieso nicht dort. Er tut nie seine eigene Arbeit in Tantchens Zeit. Wahrscheinlich bleibt er dort, bis es dunkel wird und weckt uns morgen früh wieder mit dem Gehämmere.«

Colin wandte seinen Charme Larry zu: »Wie geht die Dressur? Ich hab’ gehört, daß der Colonel einen großartigen Pokal für den Holzhackwettbewerb stiftet. Vermutlich wird Babette alle Preise bei den Pferdewettbewerben gewinnen?«

»Ach, nie. Ich mach’ mit ihr nur bei zweien oder dreien mit. Sie ist noch nicht gut genug geschult. Sie scheint zwar ausgesprochen ruhig zu sein, aber man weiß ja nie genau, wie ein Pferd auf Lärm und eine Menschenmenge reagiert.«

Colin antwortete sofort: »Warum probieren Sie es nicht aus? Ich komme und mache einen Lärm, um den mich jede Menschenmenge beneidet«, und bevor ich eigentlich wußte, wie es geschah, war schon ausgemacht, daß Colin Tony am Freitag Abend heimbringen und bei uns übernachten würde, und am nächsten Morgen würde er sich nach Kräften bemühen, Babettes Nerven zu testen.

Auf der Heimfahrt konnte ich mich nicht zurückhalten, zu Larry zu sagen: »Wirklich, dieser junge Mann hat Nerven. Er und Tony scheinen ja mächtig befreundet zu sein.«

»Nimm dich zusammen, Susan. Waschpulver ist kein romantisches Gesprächsthema, und Tony ist zu allen nett. Als ich das letzte Mal herunten war, verhandelte sie gerade ernsthaft mit Peter Anstruther über Ölsardinen.«

Das tröstete mich. Tony hatte nicht mehr von Peter gesprochen seit dem Tag, an dem er sie mit Tränen in den Augen im Garten gefunden hatte.

Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er sich wirklich brennend für Ölsardinen interessierte. Vielleicht freundeten sie sich an. Es wäre nett, wenn... Hier beherzigte ich Larrys Rat und nahm mich zusammen.

Sie fuhr fort: »Du mußt dich einfach damit abfinden, daß Tony mit allen recht vertraulich umgeht, und daß das meistens überhaupt nichts bedeutet. Ganz klar, daß so ein hübsches Mädchen viele Verehrer hat. Sie kennt wirklich genug andere, also beruhige dich.«

Ich war Colin Manson gegenüber eben voreingenommen. Mir gefielen die Geschichten nicht, die ich über seine Flirts gehört hatte. Außerdem fiel es mir schwer zu glauben, daß bei Tony die Sache tatsächlich so oberflächlich war, wie man aus ihrem Benehmen schließen konnte. Auf jeden Fall war er ein charmanter Gast, und Paul mochte ihn.

»O ja«, sagte ich gehässig, »er weiß genau, wie er mit den Leuten umgehen muß. Gute-Nacht-Geschichten für Patience, ein bißchen Kricket mit Christopher, viel kluges Geschwätz über Schafe für dich, und abtrocknen für mich. Der ideale Gast.«

Paul sagte: »Was ist denn in dich gefahren? Ich muß schon sagen, du bist schwer zufriedenzustellen. Vor kurzem hast du dich beklagt, daß Peter so wenig aus sich heraus geht. Colin tut es — und er ist dir wieder nicht recht. Der ist schon in Ordnung. Gerede? Natürlich gibt es hier in der Gegend Gerede über einen gut aussehenden Junggesellen. Es ist mal eine nette Abwechslung, einen Gast zu haben, der sich für alles interessiert.«

»Besonders für Tony«, sagte ich unbedacht, und Paul setzte eine Duldermiene auf.

»Komm, sei vernünftig. Du stellst dich doch sonst nicht so an! Dich reiben die Weihnachtsvorbereitungen auf. Ein Jammer, daß wir dieses Jahr alle anderen einladen müssen, aber du sollst dich deshalb nicht aufarbeiten. Geh lieber ins Bett.«

Ich brummte übelgelaunt, daß Weihnachten noch nie so einfach gewesen sei. Nur unsere eigene Familie, alle anderen brächten etwas mit. Kein schrecklicher Truthahn. Kein Plumpudding. Das sei die richtige Art, Weihnachten zu feiern, und niemand hätte viel Arbeit damit.

 

Am nächsten Tag schien mir das nicht mehr so sicher. Alle waren weggegangen, um Larry und Babette zu bewundern, und ich war allein zu Haus, als das Telefon läutete und Tantchen ein Ferngespräch meldete. Es war Mutter, und es mußte etwas Aufregendes passiert sein, denn so großzügig Mutter sonst ist, mit Ferngesprächen ist sie sparsam.

»Susan, kannst du mich hören? Ist diese unmögliche Leitung in Ordnung?«

»Einigermaßen, und wenn du langsam sprichst, kann ich dich auch verstehen.«

»Also, die Sache ist sehr einfach. Du weißt, daß dein Vater und ich Weihnachten bei Dawn verbringen wollten? Also, das Mädchen scheint sich für überanstrengt zu halten. Lächerlich, mit einem Kind und der Hilfe ihrer guten Mutter! Ich versteh’ das einfach nicht.«

Mutter mußte sich sehr über Dawn ärgern, wenn sie sich bei einem Ferngespräch die Zeit nahm, sich über sie zu beklagen. Ich fragte: »Geht es ihr nicht gut?«

»Es geht ihr ausgezeichnet, aber du weißt ja, wie Geoffrey sie verwöhnt, und er hat beschlossen, über Weihnachten eine Kreuzfahrt mit ihr zu machen. Redet davon, daß er den ganzen Rummel umgehen will, wobei ich nicht weiß, welchen Rummel er meint, er bestellt immer einen Tisch im besten Hotel fürs Essen. Aber ich will keine Zeit mit Reden verschwenden, Susan, denn ich hoffe, dich bald zu sehen.«

Ich mag Mutter gerne, aber ich muß gestehen, daß meine gute Laune schwand. Ich konnte mir denken, was nun kommen würde.

»Wir haben daran gedacht, euch zu besuchen, mit euch Weihnachten zu feiern und noch ein paar Tage zu bleiben. Dein Vater freut sich schrecklich darauf. Er sagt, er habe Paul und die Farm seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Und ich sehne mich natürlich danach, meine allerliebsten Enkel zu sehen.«

Ich dachte daran, wie ich die allerliebsten Enkel zuletzt gesehen hatte. Ziemlich schmutzig und unordentlich hatten sie sich eiligst davongemacht, um ihren Wochenendarbeiten zu entgehen. Sie waren fest entschlossen, die Zeit mit Christina und Mark zu verbringen und um ihre Eltern einen großen Bogen zu machen. Mutter redete inzwischen eifrig weiter.

»Hörst du mich? Dieser Anruf wird mich ruinieren. Können wir kommen, Susan? Wird es dir nicht zu viel?«

»Aber nein, Mutter. Ich freu’ mich  drauf, euch zu sehen. Wann wollt ihr kommen?«

Hoffentlich klang das begeistert, aber mir war nun klar, daß es nichts würde mit unserem geplanten ruhigen und unkonventionellen Weihnachtsfest, und der Gedanke an Truthahn und Plumpudding dämpfte merklich meine Freude, die Eltern zu sehen.

»Am Tag vor Weihnachten, Liebling, und nur für vier Tage. Ich weiß, das ist schrecklich kurz, aber wir sind über Neujahr im Süden eingeladen. Wir freuen uns sehr darauf, euch wiederzusehen, und ein gemütliches Weihnachtsfest in den Backblocks zu feiern.«

Ich legte den Hörer auf, setzte mich hin und warf alle unsere Pläne über den Haufen. Meine Eltern waren seit fünf Jahren an Weihnachten nicht mehr bei uns gewesen, deshalb mußten wir es natürlich groß feiern, daß sie diesmal kamen. Paul schätzte meinen Vater sehr und würde sicher auf ein »richtiges« Weihnachtsfest Wert legen, und ich wollte natürlich auch, daß es ihnen bei uns gefiele.

Das bedeutete eine Einladung mit allem Drum und Dran. Ich überlegte mir, ob der Truthahn, von dem Paul ein oder zwei Mal wehmütig gesprochen hatte, und der auf der hinteren Koppel mit seinen vielen Frauen lebte, ausreichen würde, oder ob wir zwei brauchten — ein schrecklicher Gedanke. Ich durfte auch den Schinken nicht vergessen und mußte mit Larry und Anne das Essen besprechen.

Es würde eine große Gesellschaft werden; da ich an der Reihe war, die anderen Familien einzuladen. Das wäre nicht schlimm gewesen, wenn wir das Weihnachtsfest so hätten feiern können, wie wir verabredet hatten. Jetzt jedoch begann ich verzweifelt zu zählen: der Colonel, Ursula, Julian und Alison, Miss Adams und Caleb, Larry, Sam und die Kinder, Anne, Tim und die Zwillinge und, nicht zu vergessen, meine Eltern. Und auch Peter, der versprochen hatte zu kommen, wenn auf der Farm nicht» besonderes los sei. Ich gab das Zählen auf, entschied aber, daß es das würde, was Larry »Truthahn um Zwölf« genannt hatte, daß zwei Truthähne nötig wären und ein großer Schinken, und dazu noch das Rindfleisch und die Zunge, von denen wir einmal in unserer Naivität gehofft hatten, daß sie allen Ansprüchen genügen würden. Ich seufzte und ging mein Pferd einfangen, um die Menschenmenge zu vergrößern, die Babettes Nerven testen sollte.

Sam hatte ein paar Hindernisse aufgebaut, die denen beim Sportfest ganz ähnlich waren. Die Menschenmenge bestand aus Colin, der mit einer Gießkanne bewaffnet war, Tony und unseren vier Kindern, die zusammen einen irrsinnigen Lärm veranstalteten. Babette störte das überhaupt nicht, und als ich mich  dazu stellte, wandte Larry sie zum Startplatz und ritt eine fehlerlose Runde, zu Tonys größtem Entzücken. Larry war mit ganzen Herzen dabei. Sie ritt Babette leicht, hatte sie aber vollkommen in der Hand, und nahm den Beifall der Menge bescheiden entgegen. Gerade in diesem Moment gesellte sich zu unserer Überraschung Sam zu uns.

Ich sagte: »Sag bloß, du nimmst dir eine halbe Stunde Zeit, um die Reitkünste deiner Frau zu bewundern?«

Er war verlegen. »Eigentlich nicht. Ehrlich gesagt, ich wollte mit Larry reden, weil wir ein Telegramm bekommen haben. Ich bin nochmal ins Haus zurück, um meine Peitsche zu holen, und da hat Tantchen gerade angerufen. Jetzt bin ich auf der Stelle herausgekommen.«

»Ein Telegramm?« Larry sprang von Babette und übergab sie Tony, die in ihr Pony kindisch vernarrt war. »Sicher was Aufregendes, sonst wärst du nicht gleich herausgerannt. Sag bloß, ich hab’ was im Preisausschreiben gewonnen. Ich weiß, was ich damit mache. Ich verkaufe es und mache einen Einkaufsbummel.«

»So was ist es nicht«, sagte Sam und schluckte nervös. »Ehrlich gesagt, es ist von meiner Mutter.« Larry warf mir einen besorgten Blick zu. Sie und Mrs. Lee mögen einander nicht, und obwohl ich ihr immer erkläre, es sei nicht fein, sich mit seinen angeheirateten Verwandten nicht zu vertragen (ich selbst habe keine außer Claudia, und die ist weit weg in Australien), weiß ich, daß ich mit Sams Mutter auch nicht auskommen könnte. Sie ist eine gut aussehende ältere Dame, die glaubt, daß ihr einziger Sohn viel zu gut für Larry sei, und eine herablassende Art hat, ihre Schwiegertochter als Dummkopf hinzustellen. Larry muß immer einiges über sich ergehen lassen, wenn sie ihren jährlichen Besuch macht, aber sie käme nie auf die Idee, ihren Ärger an Sam auszulassen.

Jetzt sagte sie: »Hoffentlich ist alles in Ordnung? Deine Mutter telegrafiert nicht oft.«

»Stimmt, und diesmal ist sogar die Rückantwort bezahlt.«

Sam machte eine Pause, und ich ahnte Schlimmes. Larry wohl auch, denn sie sagte mit erzwungener Freude: »Kommt sie zu Besuch?«

»Ja, sie will mit uns Weihnachten feiern. Ich — ich wollte dich erst fragen, bevor ich ihr eine Antwort schicke. Ich weiß ja, daß wir Weihnachten diesmal anders feiern, ohne Rummel und Arbeit, und ich glaube, es ist das Beste, das gleich zu sagen. Sie kann ja dann im Januar kommen.«

»Du darfst ihr auf keinen Fall absagen. Natürlich muß sie Weihnachten zu uns kommen, wenn sie gerne möchte. Du bist ihr einziger Sohn, und Weihnachten ist eine traurige Zeit für Witwen«, schloß Larry. Offensichtlich hatte die Sache sie recht verwirrt, sonst hätte sie keinen solchen Unsinn dahergeredet, denn man kann sich schwer jemanden vorstellen, der weniger trauernde Witwe ist als die lebhafte und hübsche Mrs. Lee. Und außerdem ist ihr Mann schon vor fünfundzwanzig Jahren gestorben, so daß sie sich inzwischen an Weihnachten ohne ihn gewöhnt haben dürfte.

Sam war rührend dankbar, sagte aber: »Macht es dir auch wirklich nichts aus? Wir wollten doch ganz unter uns sein...«

Jetzt mußte ich eingreifen, und ich unterbrach ihn ziemlich düster: »Wir werden sowieso nicht unter uns sein. Ich bin noch nicht dazu gekommen, es euch zu erzählen, aber meine Mutter hat heute vormittag angerufen. Dawn hat sie für Weihnachten wieder ausgeladen. Sie macht irgendeine Spritztour und will ihre Ruhe haben, deshalb kommen meine Eltern hierher.«

Einen Moment herrschte Schweigen, dann lachte Larry los. »O Susan, es mußte ja so kommen. Das erste Mal, daß wir ein stilles Weihnachtsfest haben wollten! Aber es ist natürlich herrlich, wenn deine Eltern kommen. Dein Vater ist einfach süß, und Mrs. Lee und deine Mutter vertragen sich so gut.«

Das stimmte. Schon einmal, als Mrs. Lee sich zu einem Besuch bei Larry herabgelassen hatte, war die Situation durch Mutters Ankunft gerettet worden. Trotz ihrer Gegensätze verstanden die beiden sich offensichtlich sehr gut, und die Tatsache, daß Colonel Gerard und meine Mutter vor vielen Jahren in England befreundet gewesen waren, hatten die Ferien für Mrs. Lee zu einem großartigen Erfolg werden lassen. Larry wandte sich zu Sam, der erleichtert war. »Natürlich muß du gleich telegrafieren, daß sie unbedingt kommen soll. Lad sie ganz herzlich ein, Sam«, und er bemerkte im Weggehen, daß er es mit »Larry« unterschreiben werde, das werde seine Mutter freuen.

Als er gegangen war, sagte Larry: »Außerordentlich, was ein Mann alles glauben kann, wenn er will. Sich freuen über ein Telegramm von mir! Er wird es auch noch übertreiben und >in Liebe< drunter schreiben, und sie wird genau wissen, daß die kleine Hilary, wie dieses Weibstück mich immer nennt, das weder in einem Telegramm noch sonst jemals zu ihr sagen würde. Ach Susan, Sam tut mir leid, daß er uns damit überfallen mußte. Für ihn ist es eigentlich noch viel schlimmer als für mich, denn er muß zuschauen und zuhören bei all den Sticheleien. Er weiß nämlich, was ich denke, obwohl ich mich bemühe, nichts zu sagen. Sie ist schließlich seine Mutter, und er hat sie sehr gerne.«

»Ja, es ist einfach scheußlich für euch beide. Ich kann mir nicht vorstellen, warum sie kommen will. So gut gefällt es ihr hier auch wieder nicht.«

»Jemand anderes muß sie versetzt haben, so wie Dawn deine Eltern. Wir müssen uns damit abfinden, Susan, daß wir nur Lückenbüßer sind. Aber wir müssen beginnen, fest an Weihnachten und Nächstenliebe zu denken. Bei deinen Eltern ist es natürlich etwas anderes, aber ich weiß, daß meine ganze Weihnachtsstimmung beim Teufel sein wird, wenn ich Mrs. Lees Auto die Einfahrt heraufkommen sehe. Deine Leute mögen Paul, obwohl deine Mutter sicher nicht besonders begeistert gewesen ist, daß du dich in den Backblocks begraben hast. So nennen das die lieben Verwandten immer. Ich werde nie vergessen, wie Onkel Richard sich aufgeführt hat.«

»Er glaubte wohl, du wärst viel zu gut für Sam?«

»Bevor er Sam kennenlernte, war er fast so sehr dagegen wie Mrs. Lee. Du hättest sie bei unserer Hochzeit sehen sollen. Sie waren zwar einigermaßen höflich, betrachteten einander aber mit offenem Haß. Dem Himmel sei Dank, daß sie sich seither nicht getroffen haben und es auch nicht tun werden.«

Unser Weihnachtsfest schien ziemlich kompliziert zu werden, aber das war noch nicht alles. Noch am gleichen Abend rief Larry an, und daraus, daß sie mit einem hysterischen Lachen kämpfte, schloß ich, daß etwas Entsetzliches geschehen war.

»O Susan, warum hab ich das nur gesagt? Es war Wahnsinn! Eine Herausforderung des Schicksals.«

»Wovon redest du eigentlich? Du forderst das Schicksal immer heraus.«

»Und diesmal hat es zugeschlagen! Warum hast du mich das nur sagen lassen, daß Onkel Richard und Mrs. Lee sich nie wieder treffen würden?«

»Du meinst... Aber das ist doch nicht dein Ernst, Larry?«

»Doch, vollkommen. Sie werden sich Weihnachten unter diesem Dach treffen. Unser stilles Fest…«

»Hör auf zu lachen und erklär mir das genau. Soll das heißen, daß Onkel Richard ...?«

»Ja, Richard und Lydia. Sie haben heute abend angerufen.«

»Und sie kommen an Weihnachten?« Das war ja entsetzlich.

Wir alle liebten Lydia, die Richard O’Connor kennengelernt hatte, als sie unsere Kinder unterrichtete, und wir hatten auch Richard sehr gerne. Aber es waren zwei Leute mehr, und Mrs. Lee und ihr Feind würden sich treffen. Zwei mehr — unser Weihnachtsfest wuchs uns langsam über den Kopf — wo blieb da unsere viel gepriesene Weihnachtsfreude?

Ich sagte: »Aber Larry, das geht einfach nicht... Ich meine, drei Leute ... Und du sagst, daß sie sich alle nicht mögen.«

»Das ist milde ausgedrückt. Mrs. Lee kriegt immer eine Gänsehaut, wenn jemand von unserem Richard spricht, und ich hab’ einmal gehört, wie sie zu Sam sagte, er sei ein typischer Geschäftsmann und sehr gewöhnlich. Und Richard spricht immer von >dieser verdammten Frau<. Sie vergeben einander nie, daß Sam und ich geheiratet haben. Richard mag Sam inzwischen, aber er glaubt immer noch, daß ich etwas besseres hätte erwischen können, wie er sagt. Und Mrs. Lee denkt, Sam sei viel zu gut für mich«, und Larry lachte wieder verzweifelt.

»Das kann ja heiter werden. Wie willst du sie denn alle unterbringen?«

»Sam und ich haben beschlossen, ein Zelt im Garten aufzubauen. Dann haben wenigstens wir da draußen unsere Ruhe. Und Mrs. Lee wird das Vergnügen haben, am Weihnachtsmorgen bei Tagesanbruch von den lieben Kindern geweckt zu werden.«

»Sie mag sie doch sehr gerne?«

»Eigentlich nicht, obwohl sie ein schreckliches Theater gemacht hat, als die liebe kleine Hilary sich vier Jahre lang Zeit gelassen hat. Aber dem Himmel sei Dank für Lydia.«

Lydia kann herrlich mit Kindern umgehen, und unsere hängen sehr an ihr. Obwohl sie Richard O’Connor geheiratet hatte, war es ein schwerer Schlag gewesen, als sie uns verließ. Ich dachte voll Neid an Sam und Larry in ihrem Zelt und fragte: »Hast du deinem Onkel erzählt, daß Mrs. Lee kommt?«

»Natürlich nicht. Er würde nicht kommen, und es hätte so ausgesehen, als wollten wir ihn nicht bei uns haben. Nein, das wird eine hübsche Weihnachtsüberraschung geben. Gott sei Dank kommt Mrs. Lee erst nach dem Sportfest. Sicher verpfusche ich den letzten Sprung mit Babette, und es würde mich verrückt machen, wenn sie mir dabei zuschaut. Ursula wird ihr gefallen. Ganz ihr Geschmack«, was eine der größten Unverschämtheiten war, die ich Larry je über ihre Schwiegermutter sagen hörte.

Die Zahl meiner Gäste wuchs beängstigend. Und es würde bestimmt Schwierigkeiten geben. Wenn ich daran dachte, wie Mrs. Lee an Larry herumnörgeln und wie Onkel Richard Mrs. Lee anstarren würde, und wie Ursula herumrennen, die Männer bedienen und die Frauen herablassend behandeln würde, dann verlor ich allen Mut. Schon das Essen war ein Problem, obwohl natürlich alle etwas beisteuern würden. Ich mußte alles sehr genau planen.

Als ich Paul die Lage eröffnete, schrieb er nur einen großzügigen Scheck aus und schlug vor, wir sollten die Turnhalle mieten. Der Colonel jedoch erwies sich als eine größere Hilfe; er war hocherfreut, Mutter wiederzusehen, und eine große Familienfeier war ganz nach seinem Geschmack. Ich glaube, er hätte mit Freuden das ganze Fest in seinem Haus veranstaltet, das für so etwas viel besser geeignet war, wollte mich aber mit diesem Vorschlag nicht beleidigen.

Er sagte: »Jetzt müssen wir alle zusammen überlegen. Ihr Mädchen dürft nicht zu viel machen, und wir werden alle helfen«, und ich war dankbar, die Leitung des Ganzen, die mir zugestanden hätte, einem so geschickten Organisator zu übergeben.

Wir beschlossen, daß das Wetter schön zu sein hatte. Dann konnten wir im Freien essen, auf dem Rasen und unserer großen, altmodischen Veranda. »Und wenn es regnet«, sagte Larry »können die Kinder in der Küche herumtoben, und wir müssen uns eben im Wohn- und Eßzimmer zusammendrängen.« Pauls Gesicht verdüsterte sich beim Gedanken an ein Essen im Freien. Ich kann nie verstehen, warum unsere Männer, die doch angeblich so versessen sind auf große, weite Räume, es so hassen, dort auch zu essen. Sie wollen im Haus an einem Tisch essen, auf einem bequemen Stuhl sitzen und behaglich zurückgelehnt über die Freuden des Lebens im Freien reden.

Diesmal jedoch würden sie sich mit dem abfinden müssen, was man im allgemeinen ein »kaltes Buffet« und was Paul »die Hölle auf Erden« nannte. Aber ich machte ihm klar, daß er seinen Teller irgendwie auf den Knien balancieren müsse und sich nicht eine leere Kiste als Tisch suchen dürfe.

»Nur — was sollen wir eigentlich auf unsere Teller tun?«

Sams Frage war nicht unbegründet, und Paul ging mit bitterböser Miene hinaus und schoß zwei große Truthähne. Wir seufzten bei ihrem Anblick und dachten an das einfache, leichte Essen, das wir geplant hatten.

»Aber wir müssen uns natürlich Mühe geben«, sagte Larry. »Ich möchte nicht, daß Mrs. Lee in die Stadt zurückfährt und allen ihren Freunden erzählt, der liebe, arme Sam habe so wenige Annehmlichkeiten. Sie redet immer von Annehmlichkeiten, und das hatte ich letztes Mal so satt, daß ich sie fragte, was sie damit meinte, wir hätten schließlich eine Toilette mit Wasserspülung. Sie blickte mich bekümmert an und sagte, das würde ich nie verstehen. Aber ich wußte genau, daß sie damit eine gebildete Frau meinte, die keine Hunde im Haus hat, und deren Kinder gut erzogen sind.«

»Jetzt verbohr dich doch nicht so in deinen Haß! Denk dran, daß Weihnachten ist.«

»Ich kann gar nicht anders. Warum haben wir nur jemals geplant, dieses Jahr Weihnachten still und bescheiden zu feiern? Es wird garantiert schlimmer denn je. Wann fahren wir in die Stadt und decken uns mit Vorräten ein, in Mengen, wie sie nicht einmal Tantchen hat, und besorgen unzählige Geschenke? Das wird teuer!«

Das fand ich auch, aber Paul drückte mir noch einen großzügigen Scheck in die Hand und sagte: »Viel Vergnügen«. Damit fühlte er sich aller Pflichten entledigt und meinte, er habe alles getan, was man von einem Mann erwarten könne.

Als ich Larry das erzählte, lachte sie nur. »Genau wie Sam, für den war Weihnachten damit auch erledigt. Warum kommen nur die Männer immer am besten weg?«

Das berichtete ich Paul und erhielt eine Antwort, die ich besser nicht wiedergebe.