6
Sam und Tim brachten viele Gründe vor, warum sie nicht an der Hochzeit teilnehmen könnten. In Wirklichkeit wollten sie sich nur nicht für drei Stunden von ihren Farmen losreißen. Aber Sam änderte seine Meinung, als er hörte, daß Paul für Edith den Brautvater mache, obwohl Tim sich noch an die vergebliche Hoffnung klammerte, daß Anne nicht gehen wolle.
»Zu anstrengend für sie«, erklärte er, aber Larry zerstörte diese Hoffnung.
»Und du glaubst, du kannst zuhause bleiben und ihr Gesellschaft leisten? Das gibt’s nicht. Anne kommt. Sie freut sich darauf, den von dir verschmähten Hut durch das Kirchenschiff segeln zu sehen. Es wird ihr guttun. Sie braucht Aufmunterung.«
»Das ist mir neu. Sie ist ja nicht allein. Natürlich vermißt sie die Kinder, seit sie in der Schule sind, aber sie hat doch Ursula. Die leistet ihr großartig Gesellschaft.«
»Das weiß ich. Sie macht sich den ganzen Tag nützlich. Wunderbar für Anne. Trotzdem wird die Hochzeit eine nette Abwechslung sein«, setzte Larry hinzu und nahm sich zusammen, um nichts Boshaftes über Ursula zu sagen.
Tim war beleidigt. »Ich wollte die einjährigen Schafe aussondern.«
»Hättest du sowieso nicht gekonnt. Sam und Paul kommen beide zur Hochzeit.«
»Das macht nichts. Ursula hilft mir sehr geschickt.«
Larry schluckte eine Bemerkung hinunter und blickte Tim besorgt an, sagte aber nur: »Das glaub’ ich dir, aber Ursula hätte sicher auch ihren Spaß an der Hochzeit und der Party hinterher. Ich nehme nicht an, daß sie schon einmal auf einer Hochzeit in den Backblocks gewesen ist, und noch dazu ist die Braut schon fünf Jahre mit einem Bigamisten verheiratet gewesen.«
Tim meinte, solche Bemerkungen könne sie sich sparen, aber sicherlich würde Ursula bei der Party eine große Hilfe sein, sie sei so gut im Organisieren.
Larry sagte, daß Ursula unentbehrlich sein werde, und ging dann eiligst zu der Frage über, ob ich einverstanden sei, wenn sie den Brautstrauß richte, ihr Garten sei im Moment voll von Blumen. Ich war erleichtert, denn Larry hat eine geschickte Hand mit Blumen. Sie behauptet, jegliche Blumenkunst zu verachten, und sie mache die Sträuße sehr schlampig, aber das Ergebnis ist immer wundervoll.
Die Hochzeit sollte am Samstag vormittag um elf stattfinden, und die Braut kam Freitag abend mit Tony zu uns. Wir hatten versucht, Tag und Zeit geheimzuhalten, aber es war natürlich durchgesickert. Wir würden uns damit abfinden müssen, daß alle zwanzig Einwohner von Tiri kommen würden und dazu noch einige mit Ted befreundete Farmer. Ich fragte mich, wie viele nachher bei der Party auftauchen würden, aber Mrs. Evans würde allem gewachsen sein. Wenn der Colonel die ganze Gegend einlud, dann tat er es in einer großartigen Weise.
Ich erwachte früh, die Sonne strahlte, und ich schlich auf Zehenspitzen hinaus, um mir etwas Tee zu machen. Ich hörte Geräusche aus dem Gastzimmer und klopfte an die Türe. Edith schlüpfte heraus und sah nicht gerade nach einer Braut aus in ihrem unscheinbaren Nachthemd und den Lockenwicklern im Haar. Ich flüsterte, daß ich Tee machen wolle, und sie folgte mir in die Küche, mit einem alten Mantel um die Schultern.
Ich verlor meinen ganzen Optimismus als ich sie genauer betrachtete. Es würde viel Kleinarbeit kosten, sie in die bezaubernde Braut zu verwandeln, die Tony sich wünschte. Außerdem hatte sie offensichtlich die ganze Nacht geweint, statt dankbar zu sein, und das ärgerte mich. Ihre Augen waren rot gerändert und leicht geschwollen.
In der Küche konnten wir uns unterhalten, ohne jemanden aufzuwecken, und ich fragte sie, ob sie schlecht geschlafen habe.
»Eigentlich nicht, aber ich bin früh aufgewacht und bin dagelegen und hab’ nachgedacht.« Dann mit plötzlicher Offenheit: »Mrs. Russell, ich hab’ Angst!«
Ich sagte all die Dinge, mit denen man für gewöhnlich eine Braut beruhigt; daß sie Ted gut kenne, daß er freundlich und verständnisvoll sei, daß sie sehr glücklich sein werde, und daß die eigentliche Feier schnell vorbei und die Party sehr lustig sein werde.
»Ach! Alle sind so furchtbar lieb gewesen, und es ist wunderbar, aber...« Und dann rollte zu meiner Verwirrung langsam eine Träne ihre Wange hinunter.
Ich tat, als hätte ich nichts gesehen, schenkte ihr eine Tasse starken Tee ein und sagte, wie nett es sei, daß wir so schönes Wetter hätten. Aber sie wollte mir ihr Herz ausschütten, und fuhr fort: »Natürlich war Percy ein Nichtsnutz, und nach den ersten paar Wochen war er nicht einmal mehr nett zu mir. Aber ich fand ihn großartig. Wissen Sie, ich war noch ein Kind, und ...«
Das kleine dumme Ding trauerte doch sicher nicht dem widerlichen Freeman nach? Ich dachte an den ruhigen, zuverlässigen Ted und ärgerte mich noch mehr. Ich sagte heftig: »Sie haben ja bald herausgefunden, wie er in Wirklichkeit war, und das Beste, was Sie tun können, ist ihn vergessen, Edith.«
»Ich wollte, ich könnte es, aber es fällt einem schwer, wenn man wieder heiratet.«
Das war eine scheußlich verwickelte Sache, aber der Augenblick schien mir nicht geeignet für den Hinweis, daß sie noch nie verheiratet war. »Aber Sie trauern ihm doch sich er nicht nach? Nach all den unglücklichen Jahren und allem, was passiert ist?«
Zu meiner Erleichterung blickte sie mich erstaunt an. »Ihm nachtrauern? Percy nachtrauern? Natürlich nicht. Darum geht es ja gar nicht, Mrs. Russell. Ich hab’ nur so Angst!«
»Wovor fürchten Sie sich denn? Sie sollten sich doch sicher und geborgen fühlen.«
»Das werde ich auch — morgen.«
»Warum erst morgen?«
»Sie kennen doch diese Stelle im Gottesdienst... Ich hab’ es gestern Abend gelesen, und deshalb bin ich heute früh ganz verstört aufgewacht.«
»In einem Hochzeitsgottesdienst ist nichts, was einen erschrecken könnte, wenn man einmal den Entschluß zu dieser Heirat gefaßt hat. Und das haben Sie doch?«
»Sicherlich! Ich liebe Ted wirklich. Es ist ganz anders als das, was ich in jenen ersten Tagen für Percy empfunden hab’. Ich war damals noch so jung. Diesmal ist es so ruhig und glücklich.«
Das war immerhin ein Segen. Ich war aber erbittert und fragte scharf: »Was ist denn dann so furchtbar?«
»Sie wissen doch, daß der Geistliche fragt, ob jemand einen Hinderungsgrund weiß, und wenn, so soll er sprechen oder für immer schweigen«, und dann machte sie Anstalten, wieder in Tränen auszubrechen.
»Na und? Es ist doch alles in Ordnung. Es gibt keinen Hinderungsgrund. Es wäre etwas anderes, wenn Sie... wenn Sie...« ich wollte nicht sagen: »... wenn Sie wirklich verheiratet gewesen wären«.
Jetzt sprudelte alles heraus, und ich traute meinen Ohren kaum.
»Ich hab’ das komische Gefühl, daß Percy versuchen wird, die Hochzeit zu verhindern. Er selbst war nicht nett zu mir, aber er wurde immer sehr unangenehm, wenn ein anderer Mann mich nur anschaute. Er würde wahnsinnig vor Eifersucht, wenn er wüßte, daß ich Ted heirate, und daß es eine richtige Hochzeit mit allem Drum und Dran ist.«
»Und was macht das? Er kann es überhaupt nicht wissen, und selbst wenn... Er könnte nichts dagegen tun. Außerdem ist er nicht hier. Wahrscheinlich ist er in Südamerika, von dort haben wir das letzte Mal von ihm gehört.«
»Aber — sind Sie wirklich so sicher? Sie wissen, wie gerissen Percy immer gewesen ist. Vielleicht ist er zurückgekommen, ohne daß irgendwer es nur ahnt.«
»Sicher nicht. Er wird nie mehr nach Neuseeland zurückkommen, weil er vor der Polizei Angst hat. Um Himmels willen, Edith, reißen Sie sich zusammen. Ihnen sind nur die Nerven durchgegangen. Freeman ist und bleibt verschwunden. Verschwunden, als sei er tot, was übrigens durchaus möglich ist, nach allem, was wir wissen. Vergessen Sie ihn. Schlagen Sie sich solche dummen Gedanken aus dem Kopf.«
Aber sie schaute immer noch wie eine verschreckte Maus, und sie sagte nur: »Jetzt fühle ich mich besser, Mrs. Russell; Sie sind schrecklich lieb zu mir. Ich weiß, daß es albern ist, aber ich werde mich erst beruhigen, wenn die Stelle im Gottesdienst vorbei ist.«
»Wenn Sie sich aufregen, werden Sie überhaupt keine hübsche Braut sein. Stellen Sie sich nur Tonys Enttäuschungen vor!«
Das wirkte anscheinend. Sie putzte sich entschlossen die Nase und sagte: »Gut, ich werd’ es versuchen, solange nichts passiert«, und da tauchte Tony auf, verschlafen und zerzaust und sehr hübsch, und ich war erleichtert.
»Ist das Wetter nicht wunderbar? Wie auf Bestellung. Alles klappt sicher ganz großartig, Edith. Ich bin froh, daß du daran gedacht hast, die Lockenwickler drinzubehalten, Larry und ich werden dir eine leicht gewellte Frisur machen. Das ist zwar nicht gerade Mode, aber es steht dir sicher glänzend«, und sie ging zum Schrank, um sich eine Tasse zu holen.
Ich ergriff die Gelegenheit, Edith eindringlich zuzuflüstern: »Kein Wort davon zu Tony! Verderben Sie ihr nicht den Spaß!« und ich war erleichtert, als die dumme kleine Frau mit dem Kopf nickte.
Tony schwatzte, als sie sich den Tee einschenkte. »Als ich weg aar, und alle so moderne, schlichte Frisuren hatten, überlegte ich mir, ob ich mir nicht aus meinen Haaren die Locken herausmachen lassen sollte. Aber Daddy war von dieser Idee offensichtlich wenig begeistert.«
»Das bin ich auch nicht«, sagte ich scharf, ich ließ meinen Ärger an Tony aus. »Ich wäre wütend geworden, wenn du beim Heimkommen wie ein Scotch Terrier durch glatte Strähnen geblinzelt hättest. Du weißt gar nicht, was du für ein Glück mit deinen Haaren hast. Ist dein Kleid gebügelt?«
»Kaum. Es ist noch genau so, wie ich es nach dem Ausflug mit Daddy ausgepackt hab’, aber diese neuen Sachen knittern nicht, und außerdem ist es mir egal, wie ich ausseh’.«
»Trotzdem wäre es mir lieber, dein Kleid würde nicht aussehen, als hättest du darin geschlafen«, sagte ich und wünschte, daß Tony das reizende Kleid anziehen könnte, das sie der Braut geschenkt hatte. Das Kleid, das sie jetzt anziehen wollte, war hübsch, aber mit dem anderen nicht zu vergleichen. Aber dann überlegte ich mir, daß sie ja die Braut nicht ausstechen sollte, und wenn Colin Manson sie gar zu bezaubernd fand, dann könnte er von den Ereignissen mitgerissen werden und ihr auf der Stelle einen Heiratsantrag machen — wenn er das überhaupt vorhatte. Ich hatte Klatsch über Colin gehört, und da war sicher etwas Wahres dran, aber, wie gesagt, die Stimmung bei Hochzeiten kann ansteckend wirken.
Larry kam nach dem Frühstück und hatte den sorgfältig in einen Pappkarton verpackten Brautstrauß dabei. Er war wunderschön und sehr schlicht und paßte ausgezeichnet zu dem entzückenden Kleid. Larry hatte vor, Tony zu helfen bei ihren energischen Anstrengungen, die Braut zu verschönern, und ich überließ ihnen das und versuchte, unsere vier Kinder im Auge zu behalten.
Als die Hochzeit auf den Samstag festgelegt wurde, wegen Tony und Miss Adams, sagten Larry und ich wie aus einem Mund: »O weh, dann müssen die Kinder dabei sein!« Und Tony antwortete strahlend: »Ja, ist das nicht reizend? Es wird lustig sein mit ihnen.«
Larry und ich merkten, daß wir zustimmen mußten. Aber der Gedanke, daß alle sechs Kinder, unsere vier und Annes zwei, bei der Trauung von Edith und Ted dabei sein würden, ließ uns Böses ahnen. Sie würden sicherlich etwas anstellen, wenn wir sie nicht trennten.
Larry hatte ihre zwei nun mitgebracht und entschuldigte sich: »Ich konnte nicht anders, Sam ist noch draußen auf der Farm. Ich hab’ ihre Kleidchen für die Hochzeit in diesen Koffer gepackt, also können sie in der Zwischenzeit machen, was sie wollen.«
Der Meinung war ich nicht, vielleicht würde sich eines ein Bein brechen oder ertrinken, und so machte ich mich ein paarmal auf die Suche nach ihnen, während Larry und Tony die Braut schön machten. Beim ersten Mal holte ich sie von ihren Ponies herunter, die sie gefangen und gesattelt hatten. Das zweite Mal sammelte ich sie vom Stalldach herunter, wo sie eben einen Kriegstanz aufführten, den sie von ihren kleinen Schulfreunden gelernt hatten. Dann glaubte ich, sie spielten Indianer in der alten Hütte, und ließ sie zu lange allein. Ich kam gerade noch rechtzeitig, um die Katastrophe zu verhindern. Sie hatten sich ein paar Schiffchen aus Rinde gebaut und ließen sie schwimmen — und waren zum einzigen tiefen Tümpel gegangen, strikt verbotenes Gebiet, über dessen Rand sie nun aufgeregt hingen.
Ich brachte sie zum Haus zurück und schimpfte den ganzen Weg lang. Christopher bemerkte, daß ich heute eine gräßliche Spielverderberin sei, und Christina, seine treue Verbündete, beklagte sich, daß sie eine Hochzeit für einen Spaß gehalten habe, bei dem nicht alles, was man gerne täte, verboten war.
Als ich zum Haus zurückkam, läutete das Telefon, und ich hörte Ted Stuarts aufgeregte Stimme: »Hallo, Mrs. Russell?«
Edith mußte mich angesteckt haben, als sie vorhin die Nerven verloren hatte, denn ich befürchtete das Schlimmste. Er war hörbar beunruhigt. Was war passiert? Natürlich war es unmöglich, daß es etwas mit Percy Freeman zu tun hatte, aber trozdem ...
»Es geht um Trilby, Mrs. Russell.«
Trilby? Ich forschte in meinem Gedächtnis vergeblich nach einer Trilby. War es möglich, daß diese Frau zu Teds Vergangenheit gehörte? Aber er sah so aus, als hätte er nie eine Vergangenheit gehabt, abgesehen natürlich von seiner höchst ehrbaren und glücklichen Ehe.
»Wissen Sie, sie hat angefangen, und ich kann sie nicht allein lassen.«
»Angefangen?« Das war ja schrecklich. Nicht Percy, sondern Trilby würde die Hochzeit vereiteln.
»Wissen Sie, es sieht so aus, als könnte sie Schwierigkeiten beim Kalben haben, und ...«
Ich mußte mich sehr zusammennehmen, um nicht vor Erleichterung zu lachen. Trilby war offensichtlich eine Kuh, und sie hatte sich diesen unpassenden Zeitpunkt zum Kalben ausgesucht. Ich murmelte etwas, was hoffentlich mitfühlend und nicht nur albern klang, und er sprach weiter: »Wissen Sie, sie ist meine beste Kuh. Caleb ist ja ein guter Kerl, aber wenn etwas schief geht, wird er nie damit fertig werden, und ...«
Das klang so verzweifelt, daß ich möglichst freundlich sagte: »Das tut mir leid, Ted. Aber was wollen Sie tun? Es wäre nicht schön, Edith warten zu lassen, meinen Sie nicht auch? Sie würde sich schrecklich aufregen.«
Denn der Gedanke war für mich zu entsetzlich, Ediths sowieso schon angegriffene Nerven zu beruhigen, während er Trilby versorgte.
Er sagte: »Ich weiß, Mrs. Russell. Es ist wirklich nicht schön, aber vielleicht wird sie rechtzeitig fertig. Ich hab’ Mr. Mason angerufen. Er war sehr verständnisvoll und weiß für einen Pfarrer viel über Kühe. Er sagte, wenn das Kalb bis halb elf nicht da wäre, sollte ich ihn wieder anrufen, und Sie sollte ich bitten, Edith bei sich zu behalten, bis ich kommen kann.«
Das war alles recht merkwürdig, aber ich lebte schon lange genug auf dem Land, um mir über die Bedeutung von Kühen im klaren zu sein, und so sagte ich: »Also gut, wir müssen eben hoffen, daß sie es vorher schafft. Ich werd’ es Edith beibringen, und Sie können mich anrufen, sobald Sie wissen, wann Sie Trilby allein lassen und in die Kirche kommen können.«
Dann ging ich ins Schlafzimmer, um es Edith zu berichten. Ich begann: »Ted hat gerade angerufen. Es tut ihm furchtbar leid, aber...« So hätte ich nicht anfangen sollen. Es klang schrecklich, Tony schnappte nach Luft, und Larry sah erschreckt auf. Und Edith wandte sich mir vom Spiegel zu und flüsterte: »Ist es... ist es Percy? O Mrs. Russell, ich hab’ gewußt, daß es so kommen würde.«
Ich dachte: »Jetzt wird sie hysterisch!« und sagte scharf: »Blödsinn! Wie können Sie nur so dumm sein, Edith! Es ist nur Trilby.«
Ich hatte keine Zeit für Erklärungen, aber ihr Gesicht hellte sich auf. Offensichtlich wußte sie über Trilby Bescheid, denn sie sagte: »Oh, hat sie angefangen? Armer Ted.«
Larry und Tony schauten völlig verständnislos, waren aber erleichtert über Ediths Ton. Ich sagte zu ihnen: »Trilby ist Teds beste Kuh, und sie kriegt heute Vormittag ein Kalb, und er will sie nicht allein lassen, weil es wahrscheinlich nicht glatt gehen wird. Er kommt vielleicht ein bißchen zu spät.«
Tony ließ sich auf einen Stuhl fallen, und Larry fing zu lachen an, aber die Braut war wieder vollkommen glücklich. Offensichtlich war sie nicht eifersüchtig auf Trilby, denn sie sagte: »Gott sei Dank, daß das alles ist. Nicht, daß Trilby unwichtig wäre, aber einen Moment lang hab’ ich geglaubt...« Dann fing sie meinen drohenden Blick auf, brach plötzlich ab und sagte: »Ted tut mir leid. Er wird sich aufregen«, was ich unerwartet vernünftig und verständnisvoll fand. Edith würde mit Ted und seinen Kühen ausgezeichnet auskommen.
Als Larry und ich später allein waren, sagte sie: »Was war denn eigentlich los? Warum ist Edith so erschrocken? Hat sie gedacht, Ted hätte sie sitzenlassen wollen?«
»Ob du’s glaubst oder nicht — sie hat Angst vor Freeman.«
»Freeman? Aber wieso denn?«
»Ich weiß nicht. Sie übrigens auch nicht. Aber sie glaubt, daß er durch irgendwelche mysteriösen Umstände in dem Moment auftaucht, in dem der Pfarrer sagt: >Sprich jetzt, oder schweige für immer!<«
»Ich hab’ nicht gedacht, daß Edith so ein Gefühl für Dramatik hat. Es ist auch eine aufregende Stelle. Ich hoff’ immer noch, daß einmal plötzlich jemand auf taucht und sagt: >Ich spreche!<, oder was man eben sagen würde.« Dann schämte sie sich. »Natürlich nicht heute. Als ob Freeman das könnte. Edith spinnt ja ein bißchen.«
»Bräute sind oft hysterisch. Sie wird es schon überstehen. Hoffentlich kommt Ted rechtzeitig. Hast du schon jemals gehört, daß ein Bräutigam wegen einer Kuh zu spät gekommen ist?«
»Nicht wegen einer vierbeinigen. Ach, ich würde mich nicht aufregen. Er schafft es bestimmt.«
Und er schaffte es. Kurz vor halb elf rief er an und seine Stimme klang aufgeregt. »Alles in Ordnung, Mrs. Russell. Das Kalb ist da. Eine Tochter! Ziemlich klein, aber es geht ihr gut, und Trilby auch. Ich zieh’ mich jetzt sofort um. Ich komm’ nicht später als elf Uhr. Aber wegen Caleb tut es mir leid. Er will Trilby nicht allein lassen. Tony wird enttäuscht sein. Sie wollte ihn so gerne bei der Hochzeit dabei haben.«
Ich wies ihn nicht darauf hin, daß es immerhin seine und Ediths Hochzeit sei, nicht Tonys. Dann beeilte ich mich, der Braut die gute Nachricht zu überbringen.
Sie war fertig, und der Erfolg von Larrys und Tonys Bemühungen war überraschend. Nichts erinnerte mehr an das verschüchterte Wesen mit den roten Augen, das heute früh am Küchentisch gehockt war und von Percy Freeman geredet hatte, der auftauchen und die Hochzeit verbieten würde. Sie war wie verwandelt. Ich stand einen Augenblick nur da und schaute sie an, bevor ich ihnen erzählte, daß Trilby ihnen den Gefallen getan hatte.
Sie hatten eine sehr hübsche Braut aus ihr gemacht, ihr etwas langweiliges blondes Haar hübsch frisiert und einen Hauch von Rouge auf ihre blassen Wangen getupft. Ihre Augen glänzten vor Aufregung, und sie gefiel sich so gut mit dem dezenten und sorgfältigen Make-up, daß das traurige Geschöpf, das wir als Mrs. Freeman kannten, sich in eine sehr anziehende Braut verwandelt hatte, so jung und hübsch, daß sogar die gefühlvolle Tony damit zufrieden war.
Ich hatte die Kinder angezogen, und sie standen bewundernd um sie herum. Christina, die nun alt genug für romantische Gefühle war, sagte: »O-o-oh. Wie hübsch sie ist!«, und Patience, die ihre Meinung wie immer teilte, bemerkte weniger taktvoll: »Kommt vom Kleid; und die Backen sind rot angemalt.« Christopher und Mark fragten mit männlicher Ungeduld, wann wir losführen, und ob wir genug von dem Papierzeug hätten, das sie in Unmengen werfen wollten, sobald wir draußen vor der Kirche wären.
Dann erschien Paul mit düsterem Gesicht, weil er an einem so schönen Tag um elf Uhr vormittags einen Anzug anziehen mußte, und nahm Edith und mich und eine Ladung Kinder mit, während Tony mit Larry und dem Rest fuhr. Wir hatten sie sorgfältig getrennt und planten, sie in der Kirche in sicherem Abstand voneinander zu halten.
Ich hatte recht damit gehabt, daß viele Leute die Trauung sehen wollten. Es waren mindestens fünfzig da. In den beiden vordersten Bänken saß unsere Prominenz: der Colonel mit Anne, Tim und Miss Adams, hinter ihnen Julian, Alison und Sam. Ich war erleichtert, als ich sah, daß Anne die Zwillinge gut im Auge hatte und Julian anscheinend noch von hinten aufpaßte. Im ersten Moment erkannte ich den Vierten in der Bank nicht; dann gab es mir einen Ruck, denn es war Peter Anstruther, zurück von seiner Weltreise, und ich staunte, daß er sich bei einer Festlichkeit sehen ließ. Er sah sympathisch aus — groß, wie seine Schwester, aber dunkel, mit einem eckigen ernsten Gesicht. Ich hoffte, daß wir ihn nun öfters treffen würden; früher hatten wir ihn kaum gekannt, denn er war immer auf der Farm beschäftigt gewesen oder hatte sich um seine anspruchsvolle Mutter gekümmert.
Die Kirche war ziemlich voll, es waren noch einige Farmer da, die mit Ted befreundet waren, und alle Einwohner von Tiri. Durch die offene Türe des Gemeindesaals warf ich einen flüchtigen Blick auf den Bräutigam, der recht blaß aussah und sich sichtlich unbehaglich fühlte in seinem besten dunkelblauen Anzug, der ein bißchen zu eng war. Er war altmodisch, und mir kam der Gedanke, daß er ihn wahrscheinlich das letztemal vor fünf Jahren getragen hatte, bei der Beerdigung seiner Frau. Ich verscheuchte eiligst diese makabre Idee und blickte schnell zu Colin hinüber, der sehr gut aussah und der sich offenbar bei der Sache ausgezeichnet unterhielt.
Für diese Beobachtungen hatte ich nur eine Minute gebraucht, aber das war schon zu lange gewesen. Ich schaute mich nach den Kindern um und sah sie gerade noch durch die Türe des Gemeindesaals entwischen, wobei sie fast den Pfarrer umgerannt hätten. Ich schnappte nach Luft und drehte mich zu Larry um. »Warum hast du nicht auf gepaßt?« flüsterte ich und sah, daß sie mit dem Lachen kämpfte. »Du hast’s ja auch nicht!« flüsterte sie amüsiert zurück. »Aber schau doch nur!«
Wir standen im Vorraum und hatten einen guten Blick über die ganze Kirche, waren aber zu weit weg, um einzugreifen. Es war sowieso schon zu spät. Vermutlich hatte Anne der plötzliche Einmarsch durch die Türe des Gemeindesaals ebenfalls überrascht, oder etwas anderes hatte sie für einen Moment abgelenkt. Dieser Moment hatte genügt. Auf eine unfaßbare Weise waren aus den vier Kindern nun sechs geworden, da die Zwillinge von der Seite ihrer Wächter geflohen und unter den einfachen Bänken durchgeschlüpft waren — wir hatten uns bisher für unsere kleine Kirche noch keine besseren leisten können — und sich auf einer leeren Bank weiter hinten zu ihren Freunden gesellt hatten. Die Bande war nun vollständig und würde sicher Unheil anrichten.
Ich sagte zu Larry: »Wir müssen etwas tun — sie zurückholen und festhalten!« Aber es war zu spät. In diesem Moment hatte die Frau des Pfarrers auf dem Harmonium »All people that on earth do well« (Alle Menschen, die Gutes tun auf Erden) angestimmt, die Gemeinde hatte sich erhoben, und Ted, Colin Manson und der Pfarrer hatten ihre Plätze eingenommen. Wir konnten uns nicht mehr um unsere Kinder kümmern, ohne unziemliches Aufsehen zu erregen.
Inzwischen hatte Paul die Braut fest am Arm, Tony stand an ihrem Platz, und wir standen im Weg. Larry fand noch Zeit, Paul zuzuflüstern: »Immer schön langsam! Das ist weder ein Fußballspiel noch ein Wettrennen.«
Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu, als wir in eine Bank hinten in der Kirche schlüpften, befolgte aber ihren Rat und glich seine großen Schritte Ediths kleinen an. Es war sehr eindrucksvoll, als sie zusammen die Kirche betraten, und ich war stolz auf alle drei.
Einige der Gemeinde drehten sich um, um die Braut zum Altar schreiten zu sehen. Ihr Erscheinen war eine Sensation. Eine Frau, die vor mir saß, murmelte: »Sie ist wirklich hübsch«, und ein kleines Kind sagte laut: »Das ist nicht Mrs. Freeman«. Ich weiß nicht, ob der Bräutigam diese Bemerkung auch gehört hatte, aber er wandte sich mit sichtlichem Unbehagen um, und ich sah ihn hochfahren. Seine Augen wurden immer größer, sein Mund öffnete sich, und ich befürchtete schon, er würde sagen, daß das wirklich nicht seine Edith sei. Nachdem er sie aber kurz angestarrt hatte, begann er über’s ganze Gesicht zu strahlen, und seine Augen blickten triumphierend. Zu meinem Entzücken sah ich ihn mit einem warmen Lächeln zu ihr hinunterschauen und dann seine Hand ausstrecken und ihre kleine Hand in seine riesige nehmen. Wenn ich wegen unserer verflixten Kinder nicht so beunruhigt gewesen wäre, und wenn ich nicht Larrys prüfenden Blick gespürt hätte, dann hätte ich eine stille Träne vergießen können beim Anblick ihres Glücks.
Alles klappte wunderbar. Paul strahlte vor Wohlwollen, und niemand hätte den Kampf ahnen können, den wir mit ihm ausgefochten hatten. Tony sah bezaubernd aus in ihrem zweitbesten Kleid, und Colin Manson stand sehr dekorativ da und schielte immer wieder zu Tony hinüber, was ich ziemlich unnötig fand.
Aber die kleine Braut stellte alles in den Schatten, wie es nur recht und billig war. Sie sah verschüchtert aus und klammerte sich fest an Teds Hand, aber in ihrem Gesicht lag ein so großes Vertrauen, als sie zu ihm aufblickte, daß ich Mick O’Connor zustimmen mußte, als er laut hörbar murmelte: »Richtig glücklich wird sie diesmal werden. Nicht wie mit dem Schweinehund von Freeman.« Er war in einer sehr sentimentalen Stimmung, wie immer, wenn er leicht betrunken war. Ich sagte mir dankbar, daß sie nun endlich diese unglückliche Vergangenheit vergessen würde, und auch den Mann, der ihr das Leben so schwer gemacht hatte.
Unser Pfarrer war der richtige Mann für dieses Ereignis, nicht zu kühl oder offiziell, sondern wohlwollend und von einer warmen Menschlichkeit. Er lächelte den beiden ermutigend zu und sprach die Worte des Gottesdienstes mit so viel Würde und Gefühl, daß wir alle beeindruckt waren.
Alle — außer den sechs Kindern. Ich hatte bemerkt, daß sie flüsterten und versuchten, das Brautpaar besser zu sehen, und es war mir geglückt, Christophers umherwandernden Blick zu erhaschen und wild den Kopf zu schütteln. Ich sah, wie Paul sich einmal umdrehte und Patience sich hinter die Bank duckte, als der strenge Blick ihres Vaters sie traf, und hoffte, daß wir sie damit gebändigt hätten. Aber dann drückte Larry meinen Arm, und ich schaute zwischen den Leuten durch, die vor uns saßen, zu der Bank, in der die Kinder sich niedergelassen hatten, vorsichtshalber in sicherem Abstand von uns allen.
Zu meiner Bestürzung sah ich, daß ihnen ihre Aussicht endgültig zu schlecht geworden war, und sie auf ihre Bank hinaufgeklettert waren. Ich flüsterte Larry verzweifelt zu: »Tu doch was! Sie wird umkippen!«
Larry schüttelte den Kopf. »Wir können jetzt nicht stören. Wir können nur hoffen«, und ich bereute bitter, daß ich die Bande nicht direkt unter den Augen des Pfarrers getrennt hatte.
Mr. Mason blickte flüchtig zu dem Haufen aufgeregter Kinder hinüber, ließ sich aber nicht stören. Jetzt war der dramatische Augenblick erreicht, vor dem Edith sich so gefürchtet hatte — »So jemand einen Hinderungsgrund weiß« — und so weiter. Er machte eine wirkungsvolle Pause, und einen Moment lang hörte man keinen Muckser in der Kirche, so daß ich schon glaubte, das Herz der dummen kleinen Braut klopfen zu hören.
Und dann passierte es. Ein lautes Krachen, ein Kreischen, ein Stimmengewirr. Der Pfarrer unterbrach sich und blickte strafend auf die Gemeinde. Ted wandte sich erschrocken und blaß um, und ich sah, wie Edith zusammenzuckte und nach seinem Arm griff. »Und jetzt fällt sie in Ohnmacht«, hörte ich mich zu meinem Entsetzen laut sagen.
Aber niemand hatte mich gehört, das Durcheinander war viel zu groß. Das Unvermeidliche war geschehen. Die sechs Kinder, die sich um einen guten Platz gedrängt und nach vorne gelehnt hatten, hatten die Bank zum Kippen gebracht, und sie war noch auf sie drauf gefallen. Sie krochen nun darunter hervor, und die Leute, die in der Nähe saßen, halfen ihnen aufgeregt.
Niemand war verletzt, aber die Wirkung war ungeheuer. Edith war nicht in Ohnmacht gefallen, aber sie hatte sich umgeschaut und ihr Gesicht hatte für einen Augenblick alle Anmut verloren und war von Angst verzerrt gewesen. Paul, der ganz vorne saß, sprang auf, Sam und Tim drängten sich an den anderen vorbei aus ihren Bänken heraus. Jeder der Väter ergriff seine Sprößlinge und führte sie unnachgiebig an ihre Plätze zurück. Die Kinder waren tatsächlich so entsetzt über ihre Tat, daß sie nicht einmal weinten, wie ich erleichtert feststellte.
Aber die Unruhe hatte auch die Gruppe am Altar erfaßt. Ich war glücklich, daß Edith sich wieder gefangen hatte und ruhig dastand. Der Pfarrer wartete und auch Ted hatte seine Haltung wiedergefunden. Aber jetzt trug Colin noch zur allgemeinen Verwirrung bei. Ihm kam plötzlich seine gewohnte Lässigkeit abhanden und er ließ den Ring fallen, den er schon bereitgehalten hatte. Er rollte davon, und ich hörte Tony unterdrückt kichern, als sie sich danach bückte. Im selben Moment beugte Colin sich hastig vor, und sie stießen hart mit den Köpfen zusammen. Diesmal hörte ich Colin unterdrückt lachen, als er sich aufrichtete und seine gelassene Haltung wieder annahm.
Die Krise war vorbei, der Pfarrer fuhr ruhig in seinem Gottesdienst fort. Aber es war nicht verwunderlich, daß Teds Stimme, als er sein Gelübde ablegte, vor Erleichterung so laut war, daß sogar er selbst staunte.
Ich freute mich, daß Ediths Stimme nicht zitterte, und sie ihre Antwort ruhig und fest sprach. Ich glaube, daß dieser Schreck ihre Angst verscheucht hatte, und der Geist von Percy Freeman für immer gebannt war.