3

 

Als wir zum Supermarkt zurückkamen, sagte Tony: »Wie lange bleibt diese Frau denn noch beim Colonel?«

»Ursula Maitland? Ich weiß nicht. Sie hat von ein paar Monaten gesprochen, als sie ankam. Ich hab’ irgendwo gehört, daß sie um Weihnachten herum abreist.«

»Teufel. Ich wollte, sie würde verschwinden. Sie verdirbt einem alles.«

»Wieso? Du siehst sie ja nicht oft, oder?«

»Immer noch oft genug. Sie kommt mit dem Colonel, geht um die Regale herum und sagt: >Schau dir das komische alte Ding an. Sowas habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen!< oder: >Sie haben das nicht? Aber ich dachte, das führt jedes moderne Geschäft, sogar in Neuseeland.< Sie mag mich nicht.«

Das wunderte mich nicht. Ursula bemühte sich nicht, Angehörige ihres eigenen Geschlechts zu mögen, besonders, wenn sie jung und anziehend waren. Tony fuhr fort: »Nett, daß man den Colonel mal wieder ohne sie gesehen hat. Vermutlich ist sie bei Tim. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Anne das aushält.«

»Wie meinst du das?«

»Die Art, wie sie ein Theater um Tim macht und Anne herablassend behandelt. Es ist gemein von ihr, denn natürlich sieht man im siebten Monat nicht gerade blendend aus. Tim gefällt ihr natürlich. Ursula benimmt sich in mancher Hinsicht genau wie — wie ein eingebildetes Pferd.«

»Ich liebe sie auch nicht besonders, aber wir müssen nett zu ihr sein, wegen des Colonels.«

»Dir und Larry macht das ja wenig aus. Ihr kommt gegen sie auf. Mich stört es wenig, wie eine dumme Dienstmagd behandelt zu werden, aber für Anne ist es scheußlich. Ich kann Frauen nicht ausstehen, die sich so ausschließlich den Männern widmen. >Ach Paul, wie müde Sie aussehen! Ich hole schnell etwas zum Trinken für Sie. Nein, ich bestehe darauf. Sie bleiben hier still sitzen und ruhen sich aus.<«

Ich lachte. Sie hatte Ursula sehr gut nachgemacht. »Nun ja, man kann es aushalten. Manche Frauen sind eben so, auch wenn es uns nicht paßt. Ich seh’ sie sowieso nicht oft.«

Wir tranken mit Tantchen Kaffee und erzählten ihr die Geschichte vom Schweinefangen. Als Tony wieder von Ursula anfing, merkte ich, daß Tantchen wohl der gleichen Meinung war, aber sie war objektiv wie immer.

»Miß Maitland fühlt sich einfach nicht zuhause hier in den Backblocks«, sagte sie.

»Warum fährt sie dann nicht heim? Warum bleibt sie nicht in England und heiratet so eine sportliche Type, irgendeinen Pferdenarren, dem es gefällt, wenn seine Frau selbst wie eines aussieht?« fragte Tony.

Ich lachte. »Vielleicht findet sie hier so jemanden.«

»Ach, nie«, sagte Tony. »Sie hat erst vor kurzem gesagt, daß keine zehn Pferde sie dazu brächten, sich in Neuseeland niederzulassen. >Absolut keine Kultur, wirklich!< Sie ist eben eine von der Sorte, die sich mit größtem Vergnügen auf die Ehemänner anderer Frauen stürzt.«

»Jetzt übertreib nicht«, griff Tantchen ein. »Sie ist eine sehr tüchtige Frau.«

»Und sie weiß so viel!« stimmte ich zu. »Das mußt du zugeben, Tony.«

Tony murmelte etwas Unverschämtes über Leute, die viel wissen, und ging in den Supermarkt zurück.

Als wir allein waren, sagte ich: »Komisch, wen Tony mag und wen nicht. Caleb zum Beispiel. So eine gottverlassene Gegend. Erstaunlich, jemand so sanften und gebildeten dort zu finden.«

»Da haben Sie recht. Ich mag Caleb Fielder gerne. Er ist ein ordentlicher Mensch, aber er hätte sich nie an eine Farm wagen dürfen. Er leistet nur etwas, wenn er alles gesagt bekommt. Er ist einer von Tonys >Schützlingen<, und sie ist rührend zu ihm.«

»Vor kurzem hab’ ich einen anderen ihrer Freunde getroffen, der nun wirklich kein »Schützling« ist. Ein schicker junger Mann. Colin Manson. Kennen Sie ihn näher?«

»Nur vom Geschäft. Er ist sehr erfolgreich und charmant.«

»Das heißt, daß Sie ihn nicht besonders mögen?«

»Also Susan! Man muß ihn einfach mögen, wenn er sich so von seiner besten Seite zeigt, und alles wegen Tony.«

»Meinen Sie...?«

»Meine Liebe, regen Sie sich nicht gleich auf. Tony weiß schon, was sie tut. Es gibt noch genug andere junge Männer, und sie muß sich austoben. Ich glaube nicht, daß sie es mit einem von ihnen ernst meint.«

»Der Tag wird kommen«, sagte ich düster. Aber selbst in meinen eigenen Ohren klang das so nach klagender Mutti, daß ich auflachte. »Ich bin froh, daß Larry mich nicht hören kann! Ich fange schon an, mich über alles Mögliche und Unmögliche aufzuregen. Ich werde langsam alt.«

»Davon hab’ ich  noch nichts gemerkt. Wie oft hab’ ich gewünscht, Sie und Larry würden ein bißchen vernünftiger werden und weniger Schaden anrichten. Was haben Sie noch für Sorgen, Susan?«

»Ich hab’ nur das Gefühl, daß es Anne nicht gut geht, und ich wollte, wir könnten ihr mehr helfen.«

»Da haben Sie recht, aber darüber soll sich der Colonel den Kopf zerbrechen. Er ist wie wild hinter einer Hilfe für sie her. Ich glaube, er hat jetzt tatsächlich eine aufgetrieben.«

Alles Nähere erfuhr ich, als ich heimkam. Anne rief an, und ihre Stimme klang recht kläglich.

»Susan, Papa ist wieder auf dem Kriegspfad! Erinnerst du dich noch, wie er sich vor der Geburt der Zwillinge aufgeführt hat?«

Und ob ich mich erinnerte. Das Theater, das er und Tim gemacht hatten, würde ich wohl kaum vergessen. Anne brannte schließlich durch und bekam ihr Kind — oder besser ihre Kinder, wie sich herausstellte — allein in der Stadt. Ihr Vater und ihr Mann hatten sie mit ihrer Fürsorge fast verrückt gemacht, und sie waren alle zusammen sehr unglücklich gewesen.

»Klar erinnere ich mich. Was hat er diesmal vor?«

»Er sagt, daß ich unbedingt eine Hilfe haben muß, und er hat hinter unserem Rücken eine Anzeige aufgegeben, in der er einen phantastischen Lohn bietet. Es ist nicht anzunehmen, daß Tim davon begeistert ist.«

Das nahm ich auch nicht an, murmelte aber nur irgendetwas, und sie redete weiter: »Und das Schlimmste ist, daß er jemand gefunden hat. Er hatte einen ganzen Stoß Zuschriften, wohl weil der Lohn so hoch ist. Ich finde, er hätte mich meine Hilfe selbst heraussuchen lassen können, meinst du nicht auch?«

Im Stillen stimmte ich ihr zu, aber der Colonel tat mir leid. Sie bedeutete ihm alles, und obwohl Anne so sanft und friedlich war, konnte sie doch viel rücksichtsloser sein als Larry oder ich, wenn es einmal so weit kam.

Ich sagte: »Vermutlich hat er eine brauchbare erwischt und will sie gleich festhalten, denn man bekommt so schwer Hilfen. Wie ist sie?«

»Ganz wunderbar, sagt Papa. Schon älter, und eine Witwe. Sehr tüchtig und kinderlieb — was aber noch nicht heißt, daß sie meine Kinder lieben wird. Vermutlich wird sie gleich das Kommando übernehmen und mir immer sagen, daß ich für zwei essen und die Beine hochlegen muß.«

»Warum auch nicht? Ich wäre nur zu froh, wenn ich das könnte. Nimm es nicht tragisch, Anne. Vielleicht ist sie tatsächlich eine Perle.«

Aber Anne war schlecht gelaunt und meinte, sie hätte lieber eine jüngere.

»Ein Mädchen kann schrecklich unbequem sein. Macht Tim schöne Augen und ist auf Männerfang. Eine ältere Frau ist in dieser Hinsicht vollkommen sicher«, machte ich ihr klar.

»Stimmt, da hast du recht. Jedenfalls kommt sie morgen. Papa fährt selbst sie abholen. Komm doch bitte mit Larry herüber. Ich hab’ das Gefühl, daß ich Unterstützung brauchen werde.«

Wir kamen und waren beeindruckt von Mrs. Silver, auch wenn sie uns nicht sehr gefiel. Sie war eine sehr würdevolle ältere Dame, dünn, hielt sich gerade und sah sehr tugendhaft aus. Sie arbeitete offensichtlich gut, denn das ganze Haus war auf Hochglanz poliert, aber sie trug wenig zur guten Laune bei. Sie zwang sich mißbilligend zu einem schwachen Lächeln, wenn wir es wagten, einen Witz zu machen. Als Anne uns vor dem Weggehen ein Glas Sherry anbot, blickte sie schmerzlich berührt und lehnte sehr betont ab.

Und als wir uns Zigaretten anzündeten, fragte sie, ob sie das Zimmer verlassen dürfe, sie vertrage keinen Zigarettenrauch.

Larry schnitt eine Grimasse hinter ihr her. »Für mich ist sie zu erhaben über jeden Fehler, aber wahrscheinlich hat sie enorme Fähigkeiten. Kannst du ihren Grundsätzen gemäß leben, Anne?«

»Es ist anstrengend, aber ich muß. Papa ist begeistert und spricht von ihr immer als von einer großartigen Frau und seiner Entdeckung. Er sagte doch tatsächlich zu Tim, daß es nur ein wenig Initiative gebraucht habe, das Problem zu lösen. Ich hätte gerne gesagt: >— und viel Geld!<, weil er darauf besteht, ihren Lohn zu zahlen — weit mehr, als wir uns auch nur im Traum leisten könnten. Ihr könnt euch Tims Begeisterung ausmalen.«

Sie taten mir alle zusammen leid. Wahrscheinlich würde Anne wieder der Anlaß zu Schwierigkeiten sein zwischen den beiden Menschen, die sie am meisten liebte. Das Komische war, daß der Colonel und Tim für gewöhnlich glänzend miteinander auskamen. Schwierigkeiten gab es nur, wenn Anne ein Kind erwartete. Man konnte nur hoffen, daß Anne sich mit drei Kindern begnügen würde.

Doch Mrs. Silver blieb nicht lange. Rein zufällig wurde ich Zeuge dessen, was Larry ihre »Demaskierung« nannte. Ich hatte den Colonel in der Stadt getroffen und mich überreden lassen, mit ihm hinaufzufahren, um zu bewundern, wie sehr sich Annes Gesundheit gebessert habe seit der Ankunft »dieser hervorragenden Frau; meiner Entdeckung, Sie wissen ja«.

Wir kamen um zehn Uhr zur Farm und fanden Anne schwer mit der Familienwäsche beschäftigt. Wo war die unbezahlbare Mrs. Silver?

»Hat sich hingelegt, weil sie Migräne hat. Scheint schlimm zu sein. Ich hab’ sie stöhnen hören.«

Ich fragte, ob ich für die Leidende etwas tun könne.

»Ich glaube nicht. Vor ein paar Minuten hab’ ich ihr Aspirin angeboten, aber ihre Türe ist zugesperrt, und ich  glaube, daß sie gesagt hat: >Schau, daß du wegkommst!<«

Der Colonel war bestürzt. Schau, daß du wegkommst? So etwas würde seine wunderbare Entdeckung doch sicher nicht sagen? Anne und ich tauschten besorgte Blicke. Aus Mrs. Silvers Zimmer drangen äußerst beunruhigende Geräusche, es klang wie eine Mischung aus Stöhnen und dem Versuch, zu singen. Der Colonel murmelte: »Seltsam, höchst seltsam. Eine so zuverlässige Frau. Nicht ihre Art, ein Theater zu machen. Vielleicht sollten wir besser den Doktor holen? Diese Geräusche gefallen mir gar nicht.«

Mir auch nicht, aber ich sagte mir, daß mein Verdacht unsinnig sei. Wenn ich je eine vollkommen tugendhafte Frau gesehen hatte.... Und wie sehr sie unser Glas Sherry mißbilligt hatte...

Aber in diesem Moment flog die Türe mit einem Krach auf, und eine Gestalt erschien, die ich kaum als die bewunderungswürdige Frau wiedererkannte, die ich vorher getroffen hatte. Ihr Haar war zerzaust, ihre Augen blickten glasig, und sie trug einen schmutzigen Morgenrock über ihrem Nachthemd. Der Colonel murmelte: »Außer sich vor Schmerz!« — aber ich hatte meine Zweifel. Sie sah nicht leidend aus, und sie war von einem Geruch umgeben, schlimmer als Mick O’Connor.

Sie begrüßte mich mit einer abstoßenden Fröhlichkeit, die sehr im Gegensatz zu der würdevollen Zurückhaltung bei unserer letzten Begegnung stand. Dann erblickte sie den Colonel und geriet in eine beängstigende Verzückung. »Mein Allerliebster!« rief sie, stürzte sich auf ihn, und umklammerte seinen Arm so hartnäckig, daß man sie nur mit brutaler Gewalt hätte losmachen können.

»Nach dir allein hab’ ich Sehnsucht gehabt«, schrie sie entzückt. »Nach dem liebenswürdigen Herrn, der mich hierhergebracht hat.... und warum holte er mich? Um seiner Tochter zu helfen? Um auf ein paar verfluchte Bälger aufzupassen?« Sie schüttelte den Kopf so heftig, daß sie fast das Gleichgewicht verloren hätte, und sich noch fester an den Colonel klammerte, wobei sie ihn mit einer ekelhaften Vertraulichkeit anblinzelte. »Dafür doch nicht, oder, Colonel? Ach, wir, wir wissen es!«, und sie schmachtete unangenehm verständnisvoll in sein entsetztes Gesicht.

Für einen Moment war er wie gelähmt. Nie in seinem Leben hatte ihn jemand so behandelt, und er war der Situation nicht gewachsen. Angeborene Ritterlichkeit hielt ihn davon ab, rohe Gewalt gegen eine Frau anzuwenden, nicht einmal, wenn sie vollkommen betrunken war. Mrs. Silver hielt ihn fest wie in einem Schraubstock und lächelte albern zu seinem abgewandten Gesicht hin.

Anne war zu entsetzt um zu reden, und ich sagte unsicher: »Bitte, Mrs. Silver, nicht ...«

Das war genau das Falsche. »Was nicht?« kreischte sie schrill, plötzlich wütend in der unberechenbaren Art aller Betrunkenen. »Nichts davon, mein Mädchen! Du bist eifersüchtig! Aber er gehört mir. Finden heißt behalten. Und der Colonel sagte erst gestern abend, daß ich seine Entdeckung sei. Stimmt’s, Liebster?«

Es stimmte, und mit einem Mal fühlte ich das unpassende Verlangen, laut loszulachen. Aber Anne sah sehr blaß aus, und ich nahm mich schleunigst zusammen und dankte dem Himmel, daß Larry nicht hier war. Ich nahm Mrs. Silver fest beim Arm und versuchte, sie vom Colonel wegzuziehen, wobei ich mit einer Stimme, die beschwichtigend sein sollte, auf sie einredete: »Kommen Sie, und legen Sie sich hin. Sie wissen nicht, was Sie tun. Sie — Sie sind nicht ganz gesund.«

Anscheinend war das nicht die richtige Art mit Betrunkenen umzugehen, denn ich erntete nur eine Flut von Beschimpfungen. Mittendrin ging die Türe auf, und Tim kam herein, wie ein Retter vom Himmel.

Mit einem Blick erfaßte er die seltsame Lage. Schnell, ich konnte nicht sehen wie, machte er die unangenehme Frau vom Colonel los und schob sie mit sanfter Gewalt in ihr Zimmer. Dann stellte er ihr ein Ultimatum durch die geschlossene Türe: »Sie haben eine halbe Stunde Zeit zum Packen, dann fahre ich Sie zum Zug. Wieder nüchtern werden können Sie unterwegs.«

Dann befahl er mir: »Susan, du kochst schwarzen Kaffee, möglichst viel. Anne, du legst dich besser hin. Das hat dir verdammt schlecht getan. Nein, Sir, der Frau fehlt nichts. Überlassen Sie nur alles mir.«

Wir überließen es ihm dankbar. Paul hatte schon immer gesagt, daß Tim mit heiklen Situationen ausgezeichnet fertig würde, aber ich hatte nicht gewußt, daß zu diesem Gebiet auch betrunkene und schimpfende Frauen gehörten. Mrs. Silver gab nicht so schnell nach. Erst fünf Tassen Kaffee und Tims Unerbittlichkeit brachten sie dazu, ihren Koffer zu packen. Es war seltsam, wie wir ihm alle ohne Widerspruch gehorchten. Ich kochte Kaffee, Anne verschwand und legte sich hin, und der Colonel stand ein paar Minuten verloren herum, bis Tim sagte: »Es wäre vielleicht besser, Sie verschwinden, Sir. Nur bis ich sie aus dem Haus hab’. Sie regen sie offensichtlich auf.«

Ich unterdrückte gerade noch ein Grinsen. Die Untertreibung war herrlich. Was sollte der arme Colonel nun tun? Ich wollte nicht gehen, bis die anderen aus dem Haus waren, und dann wollte ich mich um die Wäsche kümmern. Als ich dem Colonel das sagte, meinte er: »Dann bleibe ich auch. Ihr Auto ist in Tiri, und ich muß Sie zurückfahren. Außerdem kann ich Ihnen vielleicht helfen. Aber — wo?«

Er meinte, wo er sich verstecken sollte. Ich mußte nun wirklich lachen, aber in diesem Moment hörten wir Geräusche, als würde Mrs. Silver gleich aus ihrem Zimmer kommen. Es wäre möglich, daß sie durch das ganze Haus toben und den Colonel finden würde, auch wenn er sich in einem Schrank verbarg. Ich sagte hastig: »Irgendwo draußen. Vielleicht in einem von den Ställen«, und er warf mir einen dankbaren Blick zu, der zum Erbarmen war, als er verschwand.

Tim gelang es, sie in der festgesetzten halben Stunde aus dem Haus zu schaffen, er schrieb einen Scheck, packte sie ins Auto und ließ sich durch die Beschimpfungen nicht stören, die sie bis zuletzt ausstieß. Als sie abgefahren waren, machte ich mich auf die Suche nach dem Colonel und sah ihn gerade noch beschämt aus dem Hühnerstall auftauchen. Er blickte mich trotzig an und versuchte, seine Würde zu bewahren.

»Schien der beste Platz zu sein. Keiner von Tims Ställen hat ein Schloß«, und ich pflichtete ihm bei, daß die Hühner ihn gut verborgen hatten, während ich ihm half, die Federn von seinem Mantel zu bürsten. Er sagte es zwar nicht, aber ich merkte, daß er vor allem nicht wollte, daß Mrs. Evans etwas von dem Vorfall merkte.

Dann machten wir uns an die Wäsche, und ich hätte gerne gewußt, was die gute Mrs. Evans gesagt hätte, wenn sie ihren Colonel dabei hätte sehen können. Er versuchte gerade, Bettücher aufzuhängen. Aber er bemühte sich wirklich zu helfen, und inzwischen konnten wir schon ein bißchen über die ganze Sache lachen.

»Sie hatte so gute Zeugnisse«, sagte er traurig, und ich tröstete ihn wohl kaum mit dem Hinweis, daß ich gehört hätte, sie schrieben sie sich normalerweise selbst.

»So eine anständige Frau. Und ich glaubte, sie sei so eine einmalige Entdeckung.«

Das war zuviel für mich, und nun begann sogar der Colonel zu sehen, daß die Sache auch ihre amüsanten Seiten hatte.

»Aber wo kann sie den Alkohol hergehabt haben?« überlegte er. »Ich hab’ ihren Koffer selbst ins Haus getragen, und er ist ziemlich leicht gewesen.«

»Ich nehme an, daß er bei ihrer Abreise nicht mehr ganz so leicht gewesen ist. Sie wird sich über den Brandy gemacht haben, den Sie für Anne gekauft haben.«

Ich hatte recht. Der Brandy war weg, dazu noch eine Flasche Gin. Weder Mrs. Silver noch ihr Koffer hatten das Haus leer verlassen.

Anne erholte sich schnell und kam heraus, um uns Vorwürfe wegen der Wäsche zu machen.

»Das war ein Theater!« lachte sie. »Susan, wie konntest du nur sagen, daß ältere Frauen vollkommen sicher sind? Sie sind viel schlimmer als junge Mädchen. Oh Papa, Liebling, ich hab’ dich immer für so tapfer gehalten, aber du schautest so restlos entsetzt drein, als diese Frau dich zu umarmen drohte. Was hätten wir ohne Tim nur gemacht?«

Der Colonel schüttelte sich. »Verdammte Sache, wenn man gegen eine Frau Gewalt anwenden muß.« Dann wechselte er das Thema und hielt eine lange Rede über die modernen Zustände, bei denen man so schwer Hilfen bekam — und die offensichtlich der Grund für Mrs. Silvers Fall gewesen waren.

»Aber ich versuche es noch einmal«, sagte er entschlossen, als wir nach Tiri zurückfuhren. »Ich bekam mehrere Zuschriften, und es war reines Pech, daß ich diese unerfreuliche Person ausgesucht habe. Das nächste Mal versuche ich es mit einer jungen, sie wird wenigstens nicht ...«, und er verstummte.

»... nicht angeln wollen, lieber Colonel«, ergänzte ich, und er grinste verlegen.

Anne tat ihr Bestes, ihn davon abzuhalten, aber er war wie ein Jagdhund auf einer Fährte. Innerhalb von drei Tagen hatte er gefunden, was er »ein junges Mädchen aus kleinen Verhältnissen, aber sehr arbeitswillig« nannte.

Diese Beschreibung entsetzte mich, und er fügte entschuldigend hinzu: »Sie heißt anscheinend Ruby.«

Bald holte er das junge Mädchen aus kleinen Verhältnissen, brachte es zu Anne und hoffte sehnsüchtig, daß seine Bemühungen diesmal Erfolg haben würden.

»Ich kann es ihm einfach nicht ins Gesicht sagen, aber sie ist fürchterlich«, vertraute Anne mir eine Woche später an, als sie die Zwillinge von der Schule abholte und mich dabei besuchte. »Sie ist jetzt seit einer Woche bei mir und hat noch keinmal gebadet. Und einmal hat sie die Kartoffeln trocken geschält und sie gekocht, ohne sie zu waschen. Als der Brei fertig war, hatte er eine dunkelgraue Farbe. Alles in der Küche ist pappig oder fettig, und die Handtücher...«

»Kann sie kochen?«

»Ach was«, sagte Anne resigniert. »Einmal brachte sie Tim eine Hammelschulter zum Frühstück, die eine halbe Stunde im Ofen gewesen war. Sie sagte, sie hätte sie für ein Kotelett gehalten. Und du solltest sie bügeln sehen! Sie fährt mit dem Eisen einmal über die Sachen drüber und rollt sie dann zusammen.«

»Was kann sie eigentlich?«

»Mal überlegen«, sagte Anne und kämpfte mit sich, um gerecht zu sein. »Sie spült halt so ab, nur sind die Teller alle schmierig; und sie spielt gerne mit den Kindern. Aber am liebsten geht sie anscheinend hinüber zum Camp und macht Tee für die Männer, die Tim für die Arbeit am Zaun hat.«

Ruby schien also auch kein besonderer Erfolg zu sein; ich war erleichtert, als Anne ein paar Tage später anrief und erzählte, daß Tim sie an diesem Vormittag in den Bus zur Stadt gesetzt hatte.

»Was ist diesmal passiert? Wieder Gin?«

»Nein, getrunken hat sie wenigstens nicht, und sie hat auch nichts gestohlen. Aber heute früh ist Tim zufällig um fünf aus dem Haus gegangen, weil er Schafe mustern wollte, und er traf sie, wie sie gerade vom Camp zurückkam. Sie sagte, einer der Männer hätte furchtbar Zahnweh und hätte Trost gebraucht.«

Ich lachte. Das war diskret ausgedruckt. »Was hast du dem Colonel gesagt?«

»Nur, daß wir uns der Verantwortung für sie nicht gewachsen fühlten.«

Was sicherlich ebenso diskret ausgedrückt war.

Obwohl Anne seine Gefühle so weit wie möglich geschont hatte, sah der Colonel recht niedergeschlagen aus, als er und Ursula Larry besuchten. Ich war zufällig auch dort, und wir versuchten ihn zu trösten.

»Es hängt alles so vom Zufall ab, wenn man per Anzeige Hilfe suchen muß«, sagte ich zu ihm. »Manche Leute denken sich gar nichts dabei, wenn sie eine Arbeit annehmen. Sie wollen nur das Geld und haben sowieso nicht vor, länger als ein paar Wochen zu bleiben. Aber es muß doch noch jemand Zuverlässiges zu finden sein!«

»Wohl kaum jemand, der auf einer Farm in den Backblocks Hausarbeit machen will«, sagte Larry. »Man kann das niemandem übelnehmen. Was wird schon geboten, außer dem Lohn? Und in einer Fabrik in der Stadt kann man besser verdienen. Es ist nicht nur auf dem Land so, in der Stadt haben sie genau die gleichen Schwierigkeiten. Heutzutage macht niemand gerne Hausarbeit. Ich selbst zum Beispiel auch nicht.«

Die Herausforderung galt Ursula, und sie biß sofort an. Sie warf einen prüfenden Blick auf die Fenster, denen das Putzen nichts geschadet hätte, und sagte: »Aber eine Frau muß die Hausarbeit auf sich nehmen. Es ist ihre Pflicht ihrem Gatten gegenüber. Ein Mann kann mit Recht erwarten, daß sein Haus in Ordnung gehalten wird.«

»Meinen Sie? Sam tut das nicht. Er hat diese Hoffnungen aufgegeben«, entgegnete Larry vergnügt. »Er ist dankbar für drei Mahlzeiten am Tag und ein Paar Socken, an dem die Hunde nicht herumgekaut haben.«

Larry machte bloß Sprüche. Sie ist eine sehr tüchtige Hausfrau, und Fenster sind eigentlich ihr einziger schwacher Punkt. Und ihre Hunde natürlich. Normalerweise läuft immer ein junger herum, und gerade bearbeitete ein goldiger Neufundländer einen alten Schuh von Sam.

Er war nur für den Hund zum Spielen aufgehoben worden, aber Ursula konnte das nicht wissen. Sie errettete ihn mit der vorwurfsvollen Bemerkung, daß man den Zerstörungstrieb eines Tieres nicht unterstützen dürfe. Sie fuhr fort: »Mich wundert es immer, wie die Männer sich mit Schoßhündchen abfinden. Sie müssen ihre Hunde, die für die Arbeit da sind, draußen in Hundehütten halten, und es muß sie verrückt machen zu sehen, wie ein unnützer junger Hund ihre eigenen Sachen kaputt macht.«

Ich sah Larrys Augen aufblitzen. Über sie, über Sam und die Kinder konnte man sagen, was man wollte, aber sie bekam mit großer Wahrscheinlichkeit einen Wutanfall, wenn jemand etwas gegen ihre Hunde sagte. Ich wechselte schleunigst das Thema, was sich noch als verhängnisvoll herausstellen sollte.

»Wenn wir alle zusammen überlegen, dann fällt uns schon jemand ein, der Anne helfen kann, meint ihr nicht auch?«

Und dann passierte etwas Fürchterliches. Ursula Maitland sagte in ihrer direkten Art, mit einem lauten, lebhaften Lachen: »Wißt ihr was — wie wäre es mit mir? Mich nützlich machen, wißt ihr, mit zugreifen und auch Tim helfen. Der tut mir richtig leid. Als ich vor kurzem dort war, kam er müde heim und machte sich tatsächlich wieder an die Arbeit, spülte ab und brachte die Kinder ins Bett.«

Das war zu viel für Larry. »Weil es Anne an diesem Tag nicht gut gegangen ist!« schnauzte sie Ursula an. »Und warum auch nicht? Es sind genauso seine Kinder, und seine Teller übrigens auch. Und auch sein Baby, das in ein paar Wochen kommt. Es ist völlig in Ordnung, daß er mit zugreift.«

Das war ein Ablenkungsmanöver, und ich hoffte auf seinen Erfolg. Es wäre schrecklich, wenn Ursula sich in Annes friedlichem kleinen Heim einnistete. Sie würde sie herumkommandieren und hinter Tim herrennen und wie wild arbeiten, um ihm zu zeigen, wie tüchtig eine Frau sein und dabei immer noch gepflegt aussehen kann.

Ich sagte schnell: »Tim hilft ihr ja gerne. Das tut jeder Mann in dieser Situation. Normalerweise kommt Anne ausgezeichnet zurecht, aber im Moment geht es ihr nicht besonders gut.«

Aber es war zu spät. Das Gesicht des Colonels hatte sich aufgehellt, und ich konnte sehen, daß der Gedanke an Ursula als Annes Beistand und Hilfe von seinen Gedanken Besitz ergriffen hatte. Er sagte: »Ursula, meine Liebe, das hat dir der Himmel eingegeben. Unwahrscheinlich lieb von dir. Du spielst also tatsächlich mit dem Gedanken...?«

Wieder dieses Lachen. Es war nicht nur meine Einbildung, daß es wie Pferdegewieher klang. Ich suchte krampfhaft nach einer Möglichkeit, diesen Plan zu vereiteln, der Annes Glück sicher stören würde. Ich sagte: »Selbstverständlich ist es furchtbar liebenswürdig, aber ich glaube, vielleicht...« Und dann fiel mir nicht mehr ein, wie ich den Satz beenden sollte, oder wie ich ihr beibringen könnte, daß Anne von dieser Idee sicher nicht begeistert sei.

Larry begann: »Wißt ihr, eigentlich hab’ ich gedacht, daß ich leicht zweimal in der Woche zu Anne gehen und ihr beim Waschen und Bügeln und solchen Sachen helfen könnte. Ich würde es wirklich gerne tun... Und Susan sicher auch, nicht wahr?«, wandte sie sich mit einer verzweifelten Bitte an mich.

Aber Ursula beachtete uns überhaupt nicht. »Ich bin glücklich, wenn ich dir damit einen Gefallen tun kann«, strahlte sie den Colonel mit schlecht gespielter Bescheidenheit an. »Ich brauche nicht faul herumzusitzen, wenn ich mich wo nützlich machen kann. Hausarbeit? Dagegen habe ich wirklich nichts. Muß ja oft bei Bekannten aushelfen, wenn die Aufwartefrau nicht kommt. Einfach genug in Annes kleinem Haus, noch dazu sind die Kinder den ganzen Tag in der Schule. Ich konnte nie verstehen, warum Anne sich deshalb so anstellt, dabei hilft Tim ihr doch, und er ist so tüchtig.«

Larry holte tief Atem und sah mich an. Ich schüttelte den Kopf. Der Colonel strahlte vor Glück und Erleichterung. Das mußten sie untereinander ausmachen. Es gab nur eine Rettung — Tim zu erwischen und ihm irgendwie klarmachen, wie unangenehm das für Anne werden würde. Inzwischen beglückwünschten der Colonel und Ursula einander in einer aufreizenden Weise, und als sie sich erhoben, um zu gehen, sagte der alte Mann herzlich: »Ich bin dir außerordentlich dankbar, Ursula. Wie selbstlos von dir. Du bist wirklich freundlich und tüchtig. Ich bin sicher, daß es meinem kleinen Mädchen jetzt gut gehen wird.«

Ursula versuchte wieder, bescheiden auszusehen. »Nicht der Rede wert«, sagte sie abweisend. »Aber ich werde mein Bestes tun, um mich nützlich zu machen.«

Was ich ihr aufs Wort glaubte.

Als sie gegangen waren, wandte sich Larry zu mir und schob mir die ganze Schuld zu. »Warum hast du diese ich idiotische Bemerkung über >alle zusammen überlegen< gemacht? Und warum hast du es so weit kommen lassen? Siehst du nicht, daß diese Frau in den nächsten beiden Monaten Anne das Leben zur Hölle machen wird?«

»Natürlich sehe ich das — aber was hätte ich machen sollen? Du warst ja auch nicht klüger!«

»Weil du den Kopf geschüttelt hast! Ich wollte gerade sagen, daß Anne davon sicher nicht begeistert wäre, und daß sie und Tim viel besser allein auskommen.«

»Das wäre wirklich taktlos gewesen. Und es hätte einen Krach gegeben.«

»Das wollte ich ja. Nun, es ist passiert. Was machen wir jetzt? Du kennst Anne ja. Sie schluckt alles, bis es ihr dann plötzlich zu viel wird und sie durchdreht. Niemand kann es aushalten, wenn Ursula sich bei ihm nützlich macht — keine Frau, wollte ich sagen — und Anne hat jetzt schon genug von ihr. Susan, wir müssen einfach etwas dagegen tun!«

Ich hatte diesen Satz in den letzten Jahren oft genug gehört, und er brachte für gewöhnlich Schwierigkeiten mit sich. Dieses Mal war ich fest entschlossen, nur mit Tim zu reden und mich weiter nicht einzumischen.

Ich sagte: »Wir können nur versuchen, Tim die Sache klar zu machen. Wenn ich daran denke, wie er mit Mrs. Silver fertig geworden ist, dann weiß er sicher auch Ursula zu nehmen.«

»Da hab’ ich wenig Hoffnung. Du weißt selbst, wie vernarrt die Guten in diese großartige Frau sind. Wir können es ja einmal versuchen. Sie arbeiten heute alle drei auf eurem Hof. Gehen wir, und reden wir mit Tim.«

Aber es wurde ein vollständiger Reinfall. Dummerweise konnten wir Tim nicht allein erwischen. Die drei Männer tranken gerade in der Küche ihren Tee, als wir kamen, und Sam sagte sofort: »Was gibt’s? Ich sehe es Larry an der Nasenspitze an, daß etwas nicht stimmt.«

Larry stürzte sich in den Kampf. »Also, der Colonel und Ursula waren gerade bei uns, und sie haben einen Plan ausgeheckt, der dich interessieren dürfte, Tim.«

»Großer Gott, was hat der alte Knabe denn jetzt schon wieder vor? Noch so eine Ruby?«

Hier beging Larry einen Fehler. Sie sagte: »Nein, schlimmer. Ursula hat sich erboten, zu euch zu kommen und sich nützlich zu machen, wie sie es nennt.«

Alle drei Männer starrten uns an, als wären wir vom Himmel gefallen. Dann sagte Paul: »Aber das ist verdammt nett von ihr. Du hast Glück, Tim.« Und Sam schloß sich an: »Wirklich eine gute Nachricht. Anne ist ihre Sorgen los. Genau das, was man von so einer großartigen Frau erwartet.«

Wir schauten Tim an. Er war unsere letzte Hoffnung. Aber er grinste albern. »Donnerwetter, die Idee ist gut. Mächtig anständig von ihr. Keine Sorgen mehr für Anne. Ursula wird sich um alles kümmern.«

Und Paul gab uns den Rest: »Du wirst ein herrliches Leben haben, Tim. Sie wird sich um Anne kümmern und die Kinder versorgen. Sie wird es dir richtig gemütlich machen. Sie gehört zu den Frauen, die wissen, was Männer schätzen.« Dann fing er meinen wütenden Blick auf und fügte schnell hinzu: »Natürlich geht es hier um Anne. Ursula wird ihr eine große Hilfe sein.«

Ohne ein weiteres Wort drehten Larry und ich uns um und verließen die Küche.