16
»Gewiß, jetzt ist nicht ganz soviel zu tun, meine Lieben«, sagte Trina, »aber wie wollt ihr später bloß fertig werden? Mich wird die Vorstellung, daß ihr euch überarbeitet, geradezu krank machen.«
»Das wird sie nicht«, gab Peter gereizt zurück. »Du wirst dein neues Pferd reiten und Angus umständlich hegen und pflegen, deinen Haushalt miserabel führen und an uns gar nicht denken. Höchstens mal sagen: >Die waren ja so goldig, hoffentlich geht’s ihnen weiter gut.<«
Ich griff rasch ein, denn schon bei leichten Anfällen von Liebeskummer wird der Leidende oft unangenehm. »Wir werden versuchen, eine Hilfskraft zu finden, vielleicht durch die Zeitung in Thurston. Es wäre ja nur für sechs Wochen.«
Schließlich wurde das Inserat unnötig. Ich mußte an dem Morgen nach Edgesea fahren und traf im Laden Mrs. Morris. Als ich sie fragte, wie ihre Ferien gewesen seien, antwortete sie apathisch: »Ach, Sie können sich wohl denken, wie es bei diesen Konferenzen zugeht.«
Glücklicherweise wußte ich das nicht, gab jedoch meinem Mitgefühl akustisch Ausdruck.
»Als es zu Ende war, fuhren wir zu Besuch zur Mutter meines Mannes. Sie ist bettlägerig, deshalb blieben wir nicht lange, und nun sind wir wieder zu Hause.«
»Dann kommen Sie doch einmal und sehen Sie sich unser Camp an. Trina würde sich auch gern noch von Ihnen verabschieden, sie verläßt uns ja in Kürze.«
»Ach!? Hat sie’s also auch auf diesem Posten nicht lange ausgehalten?«
Ich holte tief Luft. Trina hatte mich gebeten, Alf und Melly zu bestellen: »Ich habe sie beide immer besonders gern gemocht, glaube aber kaum, daß sie die >Witwe< geschluckt haben. Also sag ihnen, daß ich zu meinem Mann zurückkehre und fortan glücklich und in Frieden leben werde.«
»Daß du zu deinem Mann zurückgehst, werde ich ihnen jedenfalls sagen«, hatte ich erwidert. »Das werden sie natürlich weitererzählen. Es wird sie so erfreuen, daß sie gar nicht anders können. Ähnlichkeiten des Schicksals, und so weiter. Wieder ein Ehepaar neu vereint.«
»Soll mir recht sein. Es wird sonst niemanden interessieren, höchstens die Morris’. Eigentlich wäre mir auch lieb, daß Mrs. Morris es weiß. Die ist ja gar nicht so übel, und ich habe sie garstig behandelt. Aber ich fühlte mich doch so elend und ihn konnte ich einfach nicht ausstehen.«
Also hatte ich mich in medias res gestürzt und Alf und Melly erzählt, Trinas Mann habe nun endlich eine Praxis, ziemlich weit von hier, und deshalb müsse sie uns verlassen. Das klang ziemlich normal, ohne daß etwas von der fortgelaufenen Ehefrau erwähnt wurde. Besonders erstaunt schienen beide nicht zu sein.
»Nettes kleines Ding«, bemerkte Alf. »Hat Dusel, der verflixte Doktor.« Und Melly sagte nur dunkel, so seien Ehen ja immer. Phyllis Morris jedoch war sichtlich erschüttert.
»Aber wir dachten... Hatten als selbstverständlich angenommen... Sie hat ja nie gesagt, daß sie...«
Ich fuhr eilig dazwischen mit dem spöttischen Kommentar, es sei doch komisch, wie heutzutage jeder voraussetzt, eine Frau ohne sichtbaren Mann müsse Witwe sein. Das zeige so recht, wie altmodisch wir eigentlich wären.
Mrs. Morris, die etwas schockiert aussah, sagte langsam: »Ja, wenn ich’s mir recht überlege, haben wir tatsächlich so gedacht. Ich glaube nämlich nicht, daß Mrs. Macleod jemals direkt gesagt hat, ihr Mann sei tot. In Privatsachen war sie äußerst reserviert, was man eigentlich bei ihr gar nicht erwartet hätte.«
»Ja, Trina spricht über sich selbst wenig. Sie hat sich im Camp großartig bewährt und wird uns sehr fehlen, aber Doktor Macleod verlangt, daß sie baldmöglichst nach Hause kommt. Und da er jetzt eine Praxis auf dem Lande hat, liegt ja kein Grund vor, das noch aufzuschieben.« Damit glaubte ich, den Kern der Sache ganz gut verschleiert und unterstellt zu haben, daß Trina und Angus nur infolge mysteriös gebliebener Umstände getrennt gewesen seien.
Mrs. Morris besaß Takt genug, in dem Punkt nicht weiter zu forschen. Sie sagte: »Vermutlich haben Sie ja jetzt nicht übermäßig viel Arbeit? Was hat denn Mrs. Macleod bei Ihnen eigentlich gemacht?«
»Vielerlei, sehr viel. Sie hat sich um die Hunde und Katzen in dem Gehege gekümmert, hat unseren kleinen Laden betreut und war stets zur Hand, wenn irgendwo Unfriede drohte, der sich fast immer durch ihre Vermittlung in Wohlgefallen auflöste. Wenn Sie mal kommen und das Camp besichtigen, wird Ihnen klarwerden, wieviel Trina geleistet hat.«
»Das möchte ich ja gern. Habe nichts Eiliges vor. Vielleicht könnte ich gleich jetzt mit Ihnen hingehen?« Das war ohne Betonung gesagt und klang trotzdem geradezu begeistert.
»Gewiß«, antwortete ich. »Muß nur erst noch einen Brief zur Post bringen. Ich gebe nämlich ein Inserat auf, in der Hoffnung, jemanden zur Aushilfe für die nächsten sechs Wochen zu finden. Groß wird die Aussicht nicht sein, aber vielleicht will doch zufällig jemand zur Abwechslung mal gern an die See und ist deshalb zu dieser Tätigkeit bereit.«
Auf dem Wege zum Camp plauderten wir über dies und jenes, und Mrs. Morris sprach von einer Bekannten, die ein Kind adoptiert hatte. »Ich bin überzeugt, daß man ein fremdes Kind genauso liebhaben kann wie ein eigenes«, sagte sie traurig. Und es sei doch merkwürdig, wie unsympathisch die Menschen im allgemeinen eine Adoption fänden. Sie sah ebenso dürftig aus wie bei unserer ersten Begegnung, hatte das Haar immer noch straff zurückgekämmt, und was sie trug, schien ihr jetzt völlig gleichgültig zu sein. Ihre Stimme hatte so trist geklungen, als sie sagte, sie hätte nichts vor. Plötzlich wurde mir bewußt, daß es ihre Kinderlosigkeit war, die sie so trübselig und stumpfsinnig machte.
Bei unserem Rundgang durchs Camp heiterte sich ihr Gesicht auf, vor allem, als sie die kuriose Kollektion von Tieren in den Ställen und Käfigen sah. Trina war gerade dort, als wir ankamen, und Mrs. Morris begrüßte sie ganz herzlich.
»Wie schön, sich mit all diesen Tieren zu beschäftigen!« sagte sie. »Wie gern täte ich das auch. Vor meiner Heirat hatte ich immer eine Katze und einen Hund, aber Mr. Morris macht sich nichts aus Tieren.«
Auch aus Kindern offenbar nicht, dachte ich. Ach, was schert mich der Mister Morris! Freilich schien seine Frau ihm tief ergeben zu sein, und sein Wort war für sie Gesetz. Ich sagte, ohne es im geringsten ernst zu meinen: »Wie schade, daß Sie nicht herkommen und unsere Tiere betreuen können. So, nun zeige ich Ihnen noch das Küchenhaus und dann unsere Wohnung.«
Peter saß im Wohnzimmer vor der Schreibmaschine. Mrs. Morris schien sich sehr zu freuen, ihn wiederzusehen. »Nein, wie hat das Haus sich verändert!« sagte sie. »Ich bin früher manchmal mit dem Rad hergefahren, habe hier im Zimmer gesessen und mich über den schönen Ausblick gefreut.«
Die Vorstellung, daß Phyllis Morris hergekommen war, bloß um allein in einem leeren Haus zu sitzen, fand ich erstaunlich und beinah ergreifend. Wir gingen in die Küche und gossen uns Kaffee auf. Sie sprach nett und ungezwungen mit Peter über ein kürzlich erschienenes Buch. »Ich bekomme nicht oft neue Bücher zu sehen, aber dieses schickte mir eine Bekannte zu Weihnachten. Zur Bibliothek in Thurston ist’s zu weit, und Mr. Morris interessiert sich nur für seriöse Bücher.« Sah ihm ähnlich.
Peter führte sie vor unsere Regale und lieh ihr mehrere Bücher, die sie schon immer gern lesen wollte. Während sie mit ihm sprach, wirkte sie sympathischer. Ich merkte auch, daß er sie leiden mochte.
Als ich sie nach Hause fuhr, verblüffte sie mich sehr, als sie plötzlich sagte: »Wissen Sie, ich möchte Ihnen ja zu gern helfen, wenn Mrs. Macleod fortgeht. Natürlich hätte ich nicht den ganzen Tag Zeit, könnte aber mit dem Rad um neun Uhr hier sein und bis um vier bleiben — das heißt, falls Sie keine andere Hilfskraft bekommen.«
»Aber wie wollen Sie das einrichten? Mit Ihrem eigenen Haushalt?« fragte ich.
»Oh — nun ja, da gibt’s so wenig zu tun und das habe ich bis neun alles erledigt. Miss Wallace, die neue Junglehrerin, hatte mich gefragt, ob sie nicht im Haushalt mitarbeiten dürfte, um dann für die volle Pension etwas weniger zu bezahlen, und das mochte ich ihr nicht abschlagen. Sie könnte dann fürs Mittagessen und Abendbrot sorgen.«
»Muten Sie sich auch bestimmt nicht zuviel zu?«
»Aber nein. Ich hatte nie genug zu tun, um meinen Tag auszufüllen. In einem Hause ohne Kinder entsteht ja keine Unordnung.« Sie war also vom Leben so enttäuscht, weil sie kein Kind hatte — .
Ich sagte: »Schön, ich glaube, das wäre ein feiner Plan. Trina hat allerdings schon früh mit der Arbeit begonnen, aber jetzt, wo nicht so viel los ist, könnten wir ihre Aufgaben bis neun mit übernehmen. Wenn Sie dann kämen, wäre uns sehr geholfen, und ich fände es auch viel netter, als eine Unbekannte zu engagieren, die sich vielleicht nicht einfügt.«
Insgeheim fragte ich mich, wie denn wohl Mrs. Morris sich >einfügen< würde; doch da wirkte gewiß Peter entsprechend mit, und es war bestimmt viel besser, als eine ganz fremde Person bei uns zu haben.
»Natürlich muß ich das noch mit meinem Mann besprechen«, sagte sie. »Das geht aber sicher in Ordnung. Er ist sehr dafür, daß Frauen sich nützlich machen, wenn sie gern möchten.«
Ich hoffte, daß Mr. Morris nun auch einige seiner Theorien in die Praxis umsetzte, und hoffte, daß mir dieses ewige >Mr. Morris< und >mein Mann< nicht zu sehr auf die Nerven fiel. Vielleicht vermochte ja Peter sie zu überzeugen, daß der Gebrauch von Vornamen im Gespräch nicht unbedingt eine Sünde war. Immerhin, es sollte ja nur für sechs Wochen sein.
Trina konnte es kaum fassen, als ich ihr diese Neuigkeit brachte. »Das hätte ich der nicht zugetraut!« rief sie. »Ich möchte sie ja mal beobachten, wenn ein paar Hunde sich beißen — oder deren Herrchen oder Frauchen sich in die Wolle geraten!«
Peter bemerkte dazu, ohne sich direkt an Trina zu wenden, daß Eifersucht eine häßliche Eigenschaft sei. »Und ich sehe nicht ein, warum Mrs. Morris — hat dieses Weib eigentlich keinen Vornamen? — sich nicht einfügen und tüchtig mithelfen sollte. Natürlich« — er blickte Trina an — »verfügt sie ja nicht über deine charmante Koketterie, meine Liebe, aber wir können uns auch ohne sie durchschlagen.«
Mit gekränkter Miene sagte Trina: »Ich glaube, du wirst mich überhaupt nicht vermissen. Wirst mit dieser langweiligen Frau dicke Freundschaft schließen und sie Phyllis nennen und wie ein Bruder zu ihr sein.«
»Genau so wird’s kommen«, sagte ich ein bißchen schroff, denn ich fand Peters Benehmen sehr unschön.
Angus hatte sich treu und brav jeden Abend telefonisch gemeldet und wollte nun am Sonntag kommen, sofern sich kein Patient ein Bein brach oder ein Baby fällig wurde. Am Samstagabend baten wir unsere Nachbarn, zu einer Abschiedsfeier zu erscheinen. Bruce war natürlich, als er hörte, daß Trina fort mußte, untröstlich; doch die Neuigkeiten von dem unbekannten Ehemann interessierten ihn sehr. Mrs. Warren sagte gemütlich: »Wie schön für die liebe kleine Trina, ihren Mann nun ganz für sich zu haben, in einem eigenen Heim! Aber uns wird sie sehr, sehr fehlen.«
John Muir beschränkte sich auf die Bemerkung, er werde nie wieder an Witwen glauben und hoffe nur — nach allem, was er von Trinas Kochkunst erlebt habe-, daß Dr. Macleod eine gesunde Verdauung hätte. Nachdenklich fügte er hinzu: »Und einen noch gesunderen Humor.« Ich aber glaube, daß er Trina ebenso ungern entschwinden sah wie wir alle.
Es wurde ein ganz fröhlicher Abend. Daß Bruce über Trinas Abreise so geknickt war, heiterte aus mysteriösen und nicht sehr honorigen Gründen Peter so auf, daß er beinah so lustig war wie früher. John Muir war — das hatte ich zu meinem Erstaunen ja schon erlebt — im geselligen Kreise sehr nett. In Trinas Gesicht wechselte sonnige Vorfreude auf die baldige Ankunft ihres Angus mit Kummer über den bevorstehenden Abschied von allen. Wir tanzten nicht, doch auch ohne Musik kam, da wir einander so vertraut waren, keine Langweile auf. Morgens hatte mich Phyllis besucht, um mir mitzuteilen, >Mr. Morris< habe absolut nichts dagegen, daß sie sich bei uns betätigte, und sie würde am Montagmorgen beginnen. Sie schien ganz aufgeregt darüber zu sein, ihr Gesicht sah zum ersten Male froher aus, beinahe hübsch. Ich entschloß mich auf der Stelle, sie an den Gebrauch eines Lippenstifts zu gewöhnen und so bald wie möglich bei meinem Friseur in Thurston eine Zeit für sie zu vereinbaren.
John Muir sagte zu mir: »Mit Mrs. Morris wird es zwar ganz anders sein als mit Trina, aber sie ist heute abend ja richtig aufgekratzt.«
Als ich zu Trina hinüberschaute, die mir, wie sie strahlte und glücklich lachte, noch hübscher vorkam als sonst, spürte ich plötzlich einen seltsamen Stich in der Brust. Natürlich nur — so redete ich mir ein — , weil ich sie sehr vermissen würde. Lächerlich, sich vorzustellen, der Gedanke an ihr Glück und das gesicherte Heim, das sie erwartete, könnte diesen kurzen Schmerz verursacht haben! Um das mir selbst, und vielleicht auch John, ganz klarzumachen, sagte ich, ein bißchen spöttisch: »Ja, ja, himmelhoch jauchzend. Der Liebe junger Traum, und wie es sonst noch heißt. Arme kleine Trina.«
Das klang so schauderhaft überlegen, daß es mich nicht wunderte, als er mich jetzt einen Augenblick schweigend musterte. Dann sagte er: »Sie finden das wohl gar nicht schön, oder?«
»Kaum. Ich bin fünfundzwanzig und habe in genügend sogenannten Romanzen Gelegenheit gehabt, das kennenzulernen.«
»Zweifellos«, sagte er trocken. »Ihr Freund Luigi und so weiter.«
»Und so weiter«, gab ich schnippisch zurück, wohl wissend, daß ich mich hier abscheulich aufspielte und mich kindisch benahm.
»Würden Sie die Methode der anderen Mrs. Macleod vorziehen? Inserieren und so weiter?«
»Nun, das hat jedenfalls einiges für sich. Zumindest sind Illusionen dabei ausgeschlossen.«
»Ausgeschlossen, wenn einer es so haben will. Vermutlich führen Illusionen leicht zu Enttäuschung, doch im Grunde sind sie vielleicht wertvoll.«
»Da stimme ich Ihnen nicht bei. Mir liegt es mehr, an die Ehe mit Vernunft heranzugehen — gemeinsame Interessen, Achtung voreinander und so weiter. Trina und Angus sind Verliebte. Sie werden ihre Höhepunkte erleben, gewiß, aber es wird auch reichlich viele Tiefpunkte geben.«
»Und nach Ihrer Ansicht wiegen die Höhepunkte die Tiefpunkte nicht auf?«
»Vielleicht, wenn man jung genug und strahlend harmlos ist.«
»Hier spricht Methusalem.«
»Na ja, ein gutes Vierteljahrhundert habe ich hinter mir, aber für die nächsten fünfundzwanzig Jahre möchte ich mir ein ruhiges Leben schaffen.«
»Und dazu gehört keine Ehe?«
»Vielleicht. Eine vernünftige, sachliche Vereinbarung ohne zuviel Ziererei oder Gefühlsbetonung beiderseits. Freundschaft, ein gemächliches Leben, Übereinstimmung in Geschmacksfragen, Sicherheit; kurz, eine Kameradschaft.«
»Sie verlangen ja nicht viel vom Leben.«
»Ist auch besser. Dann stürzt man nicht aus großen Höhen.«
»Das ist wahrhaftig eine kümmerliche Philosophie, die ich von Ihnen nicht erwartet habe.«
»Weil wir uns ein Risiko aufgeladen und dieses Camp gegründet haben? Aber das war ein Schritt mit und für Peter. Ich wußte, woran ich war. Jedenfalls gab es da keine Wahl. Wir mußten das tun.«
Er zog mit freundlicher Miene die Schultern hoch. »Sie haben es sehr gut gemacht, und es gehörte Courage dazu. Ihre Assistentin wird Ihnen freilich fehlen.«
Wieder war mir elend zumute, ein Beweis, daß es die Trennung von Trina war, die mich bedrückte. Vielleicht kam es auch, weil ich so erzdumm geredet hatte?
Die Party war an sich nett, doch ich hatte wenig Freude daran. Wir taten alles, was sich so gehört, tranken auf Trinas Gesundheit und Glück, auch auf die >des armen Teufels Angus< — Peters Trinkspruch — und sangen »Lang, lang ist’s her«. Trina gab jedem einen Kuß, weinte ein bißchen und lachte viel und bat uns allesamt, sie zu besuchen.
»Sie auch, Andy, und Venedig selbstverständlich, und Angus wird mir dann eins ihrer süßen kleinen Hundekinder kaufen. Und unsere liebe Mrs. Warren — Sie müssen Bruce und John zwingen, auch mitzukommen, ja? Angus sagte doch, daß es ein großes Haus ist, so eins von früher, da werden wir uns so amüsieren!«
Mit diesen Worten im Ohr ging ich schlafen. So amüsieren! Ja, das war das Leben, wie Trina es ansehen wollte. Gewaltiger Freudentaumel, natürlich dann und wann unterbrochen von tief unglücklichen Stimmungen. Ich war mehr für den Mittelweg: Peters Genesung, Abtragung der Hypothek und eines Tages, wenn alles geregelt und gesichert war, eine passende Heirat, durch die ich wieder in die Großstadt und das Leben kam, das mir gefiel. Kein romantisches Verlieben — dafür war ich dann ja auch zu alt — , sondern eine vernünftige, sachliche Kameradschaft, in der jeder den anderen hochachtete, und so weiter.
Und dann, wie in jäher Erleuchtung, erkannte ich, daß ich mir nichts von alledem wünschte, nicht den vernünftig kühlen, reichen Ehemann, die sichere Existenz, nicht einmal nach dem Großstadtleben verlangte ich mehr. Was für Unsinn hatte ich am Abend geredet! Und bei der Aussicht, von Trina endgültig Abschied nehmen zu müssen, vergoß ich — nur deshalb »natürlich« — im dunklen Zimmer noch törichte Tränen.
Angus mußte sehr früh aufgestanden sein, denn er kam schon lange vor der vereinbarten Zeit an und traf Trina bei den Tieren, für die sie zum letzten Male sorgte, über die Trennung von einem ganz kleinen Dackel weinend. Angus war mächtig aufgeregt, aber entschlossen, eisern ruhig zu erscheinen. Unnatürlich ruhig. Einen Moment, als er Peter begrüßte, war eine gewisse Spannung zu fühlen, als fragten sie einander: >Hat dieser Kerl etwa versucht, mit meiner Frau zu poussieren?< — >Ist dieser Bursche auch nur annähernd gut genug für Trina?<
Offenbar fielen die Antworten auf diese unhörbaren Fragen befriedigend aus, denn beim Frühstück waren alle lustig bis zur Albernheit.
Dr. Macleod interessierte sich sehr für das Camp, lobte uns und wollte das jüngere der beiden Pferde gleich für Trina kaufen. Doch Peter lehnte das lachend ab. »Nicht einmal Trina zuliebe. Es waren Mrs. Catos letzte Lieblinge. Die mögen ruhig weiter hier leben, und sterben — wie wir.«
Wie wir? Sehr heitere Zukunftsmusik war das nicht, und meine Stimmung wurde, als die Abschiedsstunde schlug, wieder so flau wie in der Nacht. Selbstverständlich kamen Bruce und seine Mutter herüber. Sie brachten einen zum Platzen gefüllten Karton mit. »Bloß ein paar Kleinigkeiten, liebe Trina, bis Sie sich daheim in der Küche zurechtfinden. Zum Abendbrot ein kaltes gebratenes Huhn und dieses Glas mit süßer Nachspeise. Das Gemüse wird sicher reichen, bis Sie wissen, wo es neues zu kaufen gibt. Der Kuchen hat keinen Zuckerguß, wird sich aber halten und ist nicht klein. Sicher kommen doch viele Bekannte in Ihr Haus.«
»Die die plötzlich wieder aufgetauchte, geheimnisvolle Gattin mal anglotzen möchten«, sagte Peter, leider. Ich sah, wie Angus einen Augenblick die Lippen zusammenpreßte, doch er stimmte in das allgemeine Gelächter und die gegenseitige Neckerei, die nun folgte, mit ein.
»John mußte schon früh hinaus, sich um die Schafherde zu kümmern«, fuhr Mrs. Warren dann fort. »Er läßt Ihnen nochmals Lebewohl sagen und bestellen, Sie hätten nun den besseren Teil erwählt, auch wenn vielleicht nicht alles Ihren Erwartungen entspräche. Als ich ihn fragte, wie das gemeint sei, hat er bloß gelacht und gesagt, das würde Helen erklären. Und was hat er wohl gemeint, liebe Helen?«
Ich schüttelte den Kopf. Auf die Art sollte John Muir mich nicht fangen — daß ich womöglich noch mehr dummes Zeug redete! Also erwiderte ich, er meine vermutlich das, was alle Männer dächten — die in ihrem großen Hochmut glaubten, die Ehe sei für jede Frau das beste, selbst wenn ihr Mann sie jeden Tag prügelte, was Angus mit Trina bestimmt machen würde.
Alle nahmen das fröhlich lachend auf und ulkten noch mehr; doch als ich dann mit Trina allein war und sie ihre letzten Sachen in einen schon prallvollen Koffer zwängte, drückte sie mich fest an sich und sagte: »Liebes, sprich doch nicht immer so, als wärst du schrecklich klug und welterfahren, hm? Ich weiß ja, daß du in der Großstadt bei all deinen weisen Bekannten so gesprochen hast, aber trotzdem ist das in Wirklichkeit nicht die echte Helen Napier.«
Weil ich keinesfalls sentimental sein wollte, gab ich munter zurück, da hätte sie die >Tante Maudie< denn doch verkannt. Weichherziger und rührseliger als sie könne wohl kaum jemand sein. Mit Spott und Hohn hätte sie ihren jungen Verehrern doch wehgetan. Und ob Trina es nun gefälligst lassen wollte, auf dem Koffer zu sitzen, der so doch nicht zuginge? Ich wollte ihn lieber schnell neu packen.
Trina überließ ihn mir sofort, ohne sich jedoch von ihrem Gedankengang abbringen zu lassen. »Es könnten nämlich manche Leute glauben, du wärst tatsächlich so zynisch. Männer sind doch so dumm, weißt du. Ach, warum kann ich nicht so schön Koffer packen! Na, jedenfalls besuchst du mich doch sehr bald, Liebes, das tust du doch? Ich habe dir so viel zu danken.«
»Wofür? Hast dich doch nur furchtbar plagen müssen und wenig Vergnügen gehabt. Nicht das gefährliche Leben, das du suchtest.«
Trina setzte eine feierliche Miene auf. »Ach, das? Das scheint mir schon so lange her. Weißt du, Helen, ich glaube, ich bin jetzt schon bedeutend älter als bei meiner Ankunft.«
»Arme Trina, das klingt ja direkt tragisch. Älter bist du nicht, aber erwachsener.«
»Bin ich wohl — von gefährlichem Leben will ich jedenfalls nichts mehr wissen.«
»Das freut mich, für Angus.« Gerade schrie Peter durch die Tür, Trina solle sich beeilen. Soweit ich’s verstand, sollte Angus an dem Nachmittag ein Baby zur Welt bringen, und ein Zuspätkommen konnte ernste Folgen haben.
Wir standen in einer kleinen Gruppe beisammen, als der Wagen abfuhr. Als er durchs Tor rollte, beugte Trina sich winkend aus dem Fenster. Venedig reckte den Kopf und stimmte ein langes melancholisches Geheul an. Womit sie genau unsere Gefühle zum Ausdruck brachte.