12
Es machte uns ganz stolz, daß wir an einem Tage drei Briefe von früheren Gästen bekamen. Der erste, auf teurem Papier, war von Iris Macleod, die ihre Adresse mitteilte und schrieb: »Dummerweise vergaß ich, Ihnen die zu geben, für den Fall, daß Briefe für mich dort eintreffen.« Es habe ihr in unserem Camp sehr gefallen, und sie glaube, bei uns einige Freundschaften geschlossen zu haben. »Mit Ihnen und Ihrem Bruder und meiner Namensvetterin, nicht zu vergessen den schönen Hund. Sagen Sie Trina, daß ich vermutlich nicht mehr sehr lange Iris Macleod sein werde und daß auch ihr Name sich vielleicht ändern wird.«
Trina sah ganz erschrocken aus. »Was kann sie damit meinen? Wenn Angus so — so abscheulich wäre und sich von mir scheiden ließe, hieße ich dann nicht mehr Mrs. Macleod?«
»Nur ruhig, Karnickel«, sagte Peter beschwichtigend. »Du bleibst auch dann eine Macleod, ja. Mrs. Catriona Macleod. So schottisch! Muß man dabei nicht an Burgen mit Türmen und Dudelsackmusik beim Essen denken?«
»Laß die Uzerei, Peter. Iris will doch nur auf ihre >sittsame< Art andeuten, daß sie den richtigen Mann gefunden hat und erwartet, daß Trina ihrem Beispiel folgen wird. Oh, ich hoffe nur, daß sie diesmal klug gewesen ist.«
Der zweite Brief war von Nancy Brooks. Sie bedauerte, mich behelligen zu müssen, glaubte aber, irgendwo ein Paar Ohrringe liegengelassen zu haben, vielleicht im Duschraum. »Große mit Perlen, sehr hübsch. Der junge Mann, mit dem ich am Strand spazierenging, hat sie mir geschenkt. Sie waren an dem Abend so lieb, also sind Sie vielleicht bereit, sie mir nachzuschicken — an diese Büroadresse, weil Mama von den Ohrringen nichts weiß. Sie weiß auch nicht, daß er heute vormittag angerufen hat und morgen abend mit mir ins Kino gehen will. Daran sehen Sie, Miss Napier, daß Ihr Camp mir Glück gebracht hat. Herzliche Grüße an alle, besonders an Peter und Bruce.«
»Na also«, sagte Trina zu Peter, »das ist deine Belohnung dafür, daß du sie vor den gräßlichen Boys gerettet hast. Wie nett, daß sie mit einem von den zwei >reizenden< in Verbindung geblieben ist. Ich bin so froh, daß ich das eingerenkt habe.«
»Hast du ja gar nicht«, bestritt Peter. »Hast einfach Bruce und mich geopfert.«
Ich las gerade den dritten Brief und unterbrach ihr Gehechel. »Oh, das ist ja glänzend! Hört zu. Brief von Mrs. Ingram über Jane: >Sie entsinnen sich gewiß, wie ich mit Ihnen über die kecke Jane und Mr. Boyds Post lachte? Sie waren zu mir so nett, daß ich meine, Ihnen erzählen zu müssen, was weiter geschah. Wie Sie wissen, wollte Jane ja so liebend gern Tänzerin werden — sie tanzt zwar sehr gut, aber daß sie ein Star wird, glaube ich kaum. Jedenfalls waren wir nicht in der Lage, Ballettstunden zu bezahlen. Gestern nun bekamen wir einen Brief vom alten Mr. Boyd, der einen großartigen Scheck enthielt und folgende Nachricht: >Sagen Sie Jane, daß ich, weil sie mir das Tanzen beigebracht hat, nun ihre Ausbildung zur Tänzerin bezahlen möchte. Ich weiß nicht, wieviel so etwas kostet, aber schicken Sie mir eine Rechnung für den nächsten Kursus oder wie sich das nennt, und sagen Sie Jane, daß ich einen Fandango tanzen werde, sobald sie eintrifft!< Nun, ist das nicht wunderbar, und alles, weil wir in Ihr Camp gekommen sind! Es sollte >Das Glückscamp< genannt werden.<«
»Ist doch nett von ihr, uns das mitzuteilen. Und es zeigt, daß der alte Knaster kuriert ist.«
»Glückscamp?« wiederholte Trina nachdenklich. »Den dreien jedenfalls hat’s Glück gebracht.«
Peter warf einen Blick in ihr jetzt melancholisches Gesicht und sagte grob: »Ich persönlich habe stets eine Abneigung gegen die Leute gehabt, die sich vornehmen, jedem was Gutes zu tun. Wenn ich an den Fall Melly und Alf denke, und nun diese drei Briefe — scheint Helen sich wieder als >Tante Maudie< niedergelassen zu haben. Sei nicht betrübt, sonst geht deine Sache schief.«
In diesem Augenblick erschien Jean Beale. »Also, Helen, keine Absage bitte. Sie müssen unbedingt zu dem Abschiedsfest kommen, das Mrs. Warren heute abend für uns gibt!« sagte sie. »Es ist unser allerletzter Abend. Seien Sie nicht engherzig.« Sie wollten wirklich fort, die Platzschnorrer, am nächsten Tage. Zu unserem großen Bedauern.
Mir schien es der richtige Moment, gnädigst nachzugeben, und so warf ich nach der Tagesarbeit das Nähzeug in einen Schrank und zog mich für die erste Party nach sechs Monaten sorgfältig an. Es war geradezu aufregend, ein elegantes Kleid anzuziehen und das Gesicht wieder zu pflegen, wie ich es neuerdings aus Zeitmangel nur selten tun konnte. Peter, lässig in makellosen Flanell gekleidet, lächelte, als er hereinkam.
»Beim Zeus, Schwesterherz, habe dich ungefähr seit einem Jahr nicht mehr in voller Kriegsbemalung gesehen! Und wie du dich darauf verstehst, alle Achtung. Das wird die Leutchen umschmeißen.« Und Trina, bildhübsch in einem Baumwollkleid mit Rüschen, drehte mich rundum und behauptete, ein so schönes Kleid wie meins noch niemals gesehen zu haben. »Und es steht dir ganz prächtig! Sag mir, Liebes, wie bringst du es nur fertig, immer so vollendet auszusehen?«
Das war erfreulich zu hören, doch traurige Tatsache blieb, daß Trina weit hübscher war als ich, und zwar ohne sich darum zu bemühen. Und das sagte ich ihr. Aber Philip Beales Komplimente und Trinas Verständnis für mein Kleid erfreuten mich. Das Kleid brachte mich nämlich in Gewissensnot, denn ich hatte es erst, wenige Tage bevor Peters Brief kam, der unser Leben so veränderte, gekauft, und zwar zu einem saftigen Preis. Und letzthin hatte ich oft gedacht, daß mir nun, weil ich vermutlich nie Gelegenheit bekäme, es zu tragen, das bare Geld entschieden lieber wäre. Jedoch, wozu die Reue? Ich war im Begriff, auf eine Party zu gehen, und lustige Gesellschaften haben mich — wie ich schon erwähnte — immer angelockt.
Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Ich war ja bis dahin noch nicht in John Muirs Haus gewesen und fand die großen, altmodisch eingerichteten Räume und die allgemeine Atmosphäre eines lässigen, sogar etwas schäbigen Komforts entzückend. Es war klug von Mrs. Warren, daß sie es nicht umgemodelt hatte — ein ideales Junggesellenheim.
Alle waren wohlgelaunt; nur etwas Wehmut, den solche Abschiede mit sich zu bringen pflegen, schwang in der Stimmung mit. »Aber wir kommen nächstes Jahr wieder«, sagte Philip Beale. »Wir können also wohl die zwei Kabinen schon jetzt für uns reservieren, ja?«
Es kam mir unerhört vor, ihnen sagen zu müssen, daß die Boyds und Colonel Ross schon um Reservierung der Kabinen für nächste Weihnachten gebeten hatten. Das alles erschien mir noch so fern und unwirklich. War es denn denkbar, daß wir nächstes Jahr um diese Zeit noch das Autocamp betrieben, Lieblingstiere in Zwingern und Ställen unterbrachten, Toiletten und Küchen säuberten und noch an der elenden Hypothek abzahlten? Zumindest war es schmeichelhaft, daß die Gäste wiederkommen wollten.
Die Platzschnorrer ließen sich durch die Eröffnung, daß über die Kabinen schon verfügt war, nicht entmutigen.
»Macht nichts«, sagten sie. »Dann gewöhnen wir uns wieder ans schlichte Leben in Zelten. Aber reservieren Sie uns bitte die zwei dem Strand am nächsten gelegenen Zeltplätze, ja?«
Ich sicherte sie ihnen zu, und Philip erbot sich, sogleich eine Anzahlung zu machen.
»Nein«, protestierte ich. »Erst mal abwarten und hier sein. Es könnte ja etwas passieren — eine der Katastrophen, gegen die Peter uns auf Drängen des Anwalts versichert hat. Alle möglichen lächerlichen Dinge wie Überschwemmungen und Feuer oder furchtbare Stürme. Kostet übrigens ein Vermögen, die Versicherung. Wir könnten auch Bankerott machen, und dagegen sind wir nicht versichert.«
»Ich glaube eher, daß Sie heiraten werden — der Mann darf sich glücklich preisen — und uns alle im Stich lassen«, meinte Beale.
»Nur keine Angst. Sie werden mich, wenn Sie wiederkommen, noch als tüchtige Geschäftsfrau vorfinden.«
»Heute abend sehen Sie aber gar nicht wie eine Geschäftsfrau aus, und ich möchte mit Ihnen tanzen, sooft Sie es mir erlauben.«
Es war schön, wieder diese müßigen Komplimente zu hören. Schön, alle Sorgen und Verpflichtungen abzuwerfen und sich bloß zu amüsieren. Schön auch, zu wissen, daß ich gut aussah, und zu vergessen, daß Aschenputtel, wenn es morgen früh fünf schlug, wieder mit Wischtuch und Eimer bereit sein mußte.
John Muir war als Gastgeber erfreulich. Ich sah ihn in einem neuen Licht — alles machte er nett mit und konnte ebenso leichtsinnig sein wie wir andern. Aber immer nahm er Rücksicht auf seine Tante und paßte auf, daß sie nicht Mauerblümchen wurde. Und daß Bruce sich Trina genügend widmen konnte und jeder nach seinem Geschmack mit Getränken und Zigaretten versorgt war. Plötzlich wurde mir bewußt, was mir fehlte. Es war das Leben von früher, das ich geliebt hatte, doch jetzt mit neuem Zweck und Ziel, und Peter und Trina bei allem dabei. Wie schade, daß es nicht öfter so sein konnte.
»Heimweh?« fragte John Muir wie scherzend, und da merkte ich, daß ich eine Weile ganz still gesessen hatte und mit meinen Gedanken von der allgemeinen Konversation weit entfernt gewesen war — ein Verhalten, das ich bei Parties sonst als sündhaft betrachtet hatte.
»Nein, das eigentlich nicht, aber es macht Spaß, wieder auf einer Gesellschaft zu sein mit... mit — «
»Mit der richtigen Stimmung?« meinte er, indem er einen Blick auf Philip und Trix warf, die eine lebhafte Debatte mit Peter führten.
»Mit Freunden«, ergänzte ich meinen Satz. Vielleicht habe ich’s mir eingebildet — mir schien jedenfalls, als sähe er auf einmal froher aus.
»Nicht nur mit Freunden, sondern auch mit dem befreienden Gefühl, etwas geleistet, geschafft zu haben, wie dieser Knabe in dem bekannten Gedicht. War zuerst gewiß mächtig anstrengend, aber nun klappt es doch fein, nicht wahr?«
»Ich denke, ja. Ist das für Sie nicht ein Schlag?« entgegnete ich. »Nehmen Sie übel, daß die Sache wahrscheinlich von Dauer sein wird? Ich vermute, es ist Ihnen zuwider, wenn dieses Lagerleben Jahr um Jahr weitergeht? Wie sehr müssen Sie anfangs gehofft haben, daß es schief gehen möge!«
Er zögerte, dann blickte er mich voll an und sagte offen: »Mir gefiel die Idee absolut nicht. Farmer sind eben so, sie wollen das Land produktiv sehen, wie man zu sagen pflegt. Aber im Grunde bin ich jetzt froh, daß es sich für Sie so gut entwickelt hat. Kann nicht behaupten, daß der Lärm mir behagt, aber schließlich ist es ein fröhlicher Spektakel.«
»Nicht immer. Und die Tiergehege — was sagen Sie dazu?«
»Die liegen weit genug ab, so daß sie uns nicht stören. Abgesehen von dem verflixten Zwerghähnchen. Wer hat denn das bloß mitgebracht?«
Ich lachte. »Ein kleines Mädel; sie trägt es stets auf den Armen spazieren.«
»Wie lange bleibt sie hier?«
»Bis zum Ende des Monats. Es ist schon eine Nervenprobe, das gebe ich zu. Anfangs hat das ohrenbetäubende Krähen mich jedesmal geweckt, doch dann gewöhnte ich mich auch daran.«
»Na ja, eine große Tragödie ist es nicht. Und Ihr Bruder? Geht’s dem wieder gut?«
»Ja, sehr. Er hat sich so rasch erholt. Ich glaube, er wird hier neue Kraft schöpfen.«
»Schön. Und dann werden Sie vermutlich die ganze Schau verkaufen und sich mit Ihrem enormen Gewinn zur Ruhe setzen?«
»Das glaube ich kaum. Peter will das Land, weil er’s von Mrs. Cato bekommen hat, nicht verkaufen.«
John fragte brüsk: »Weshalb denn nicht? Ihm kann es doch nicht viel bedeuten, denn er ist ja kein Farmer.«
Das ärgerte mich. »Ach, ihr Farmer könnt euch ja selber nicht leiden!« erwiderte ich. »Denkt der Farmer eigentlich, daß nur er allein fähig ist, für ein Stück Land etwas zu fühlen? Peter baut auf dem seinen zwar keine Rüben an, aber er liebt es doch. Er mochte Ihre Tante so gern und hat gestaunt und sich ungeheuer gefreut, als sie es ihm schenkte. Ist in Ihren Augen natürlich albern. Ein erdverwachsener Farmer bezeichnet das gewiß als Gefühlsduselei. Jedenfalls gefällt es Peter, und er wünscht, es zu behalten.«
Warum mußte ich mich über diesen Mann immer erbittern? Ich nahm mich zusammen, ein bißchen beschämt, und sah John Muir lächeln. »Das klang eher so, wie ich’s von Ihnen gewöhnt bin«, sagte er. »Nicht wie von der kleinlauten Dame am Strand oder der seitdem freundlicher gewordenen, sondern wie von der...«
Unsicher werdend hielt er inne. »Von der typischen Großstadtpflanze mit langen Hosen und Zigarette«, fiel ich ironisch ein. »Und über mein Make-up hatten Sie ja auch gespottet, ich weiß allerdings nicht mehr genau, in welcher Form.«
Für einen Moment sah er verdutzt aus, dann lachten wir beide. »Ich muß ja förmlich gebrüllt haben damals«, sagte er. »Tut mir leid.«
»Und ich hatte gehorcht. Tut mir auch leid. An dem Abend am Strand, als ich mich so läppisch benahm, waren Sie gut zu mir. Und wie scheußlich ich aussah — mit ganz verschmiertem Gesicht!«
»Wissen Sie — mir gefielen Sie so«, sagte er überraschend, und ganz schnell hinterher »es wird schon Platz zum Tanzen gemacht.« Und da ergab sich wie von selbst, daß ich den ersten Tanz mit John Muir absolvierte. Übrigens später weit mehr als einen. Seine Wandlungsfähigkeit erstaunte mich. Ich hatte nämlich seine furchterregend groben Schmierstiefel noch im Gedächtnis und erwartete nun, daß er mir auf die Füße treten würde. Er tanzte jedoch vorzüglich, beinahe so gut wie Luigi unseligen Angedenkens. Auf einmal war ich dabei, ihm zu erzählen, wie ich zu Venedig kam. Da sagte er langsam »Also ist es Ihr Freund Luigi gewesen, durch den sich in Wirklichkeit Ihre Existenz veränderte. Er und Venedig. Eine schöne Hündin übrigens...«
»Der Meinung waren Sie damals auf der Landstraße aber nicht. Sie sagten >tapsiges Riesenluder<.« Wir lachten wieder und — waren Freunde.
Die Platzschnorrer am nächsten Tage abfahren zu sehen, war betrüblich, denn sie waren uns, obwohl wir sie nur drei Wochen bei uns hatten, lieb geworden. Trotzdem hielt auch nach der Party meine gute Stimmung an, wenn ich meine Näharbeiten auch eine Woche später noch nicht beendet hatte. Ich fand es schön, mit John Muir auf gutem Fuß zu stehen und zu wissen, daß wir in ihm einen uns wohlwollenden Nachbarn hatten. Sicher war er enttäuscht gewesen, als er erfahren hatte, daß er Peters Land nicht kaufen konnte, doch ich glaube, er schätzte uns gerade, weil wir uns davon nicht trennen wollten, noch mehr. Daß jemand sein Herz an ein Stück Land hängte, verstand anscheinend gerade dieser Mann sehr gut. Vielleicht versteht er überhaupt nur das, dachte ich, noch entschlossen, zumindest bei diesem Thema weiterhin mit Spott zu reagieren.
Meine Stimmung hob sich noch mehr, als ich mit Peter unsere Ausgaben und Einnahmen durchrechnete. Wir saßen uns, sobald das Frühstücksgeschirr abgeräumt war, am Tisch gegenüber und hatten einen ganzen Stapel Rechnungen und Quittungen vor uns liegen. Zwischen uns lag Venedig, die, während sie sich im Camp nicht zeigen durfte — höchstens ganz früh am Morgen — viel bei Peter im Hause war, den sie neben Andy am meisten liebte. Sie verfolgte unseren Dialog, während wir addierten und subtrahierten, indem sie ihren Blick von einem zum andern wandern ließ, und als wir zu einem befriedigenden Abschluß gekommen waren, klopfte sie kräftig mit ihrer großen Rute auf den Fußboden, erhob sich und fegte mit einer einzigen Schwanzbewegung sämtliche Papiere samt Vase mit Blumen vom Tisch.
Venedig war jetzt, da sie sich nicht mehr mit jungen Nachkommen zu beschäftigen brauchte, wieder schlank und schön. So imposant sah sie aus, daß Mr. Watson, der uns kürzlich unter irgendeinem Vorwand besucht hatte — tatsächlich aber, um zu prüfen, wie es um die Sicherheit seiner Klientin bestellt war — , sich erboten hatte, sie zu kaufen. Als die Möglichkeit einer solchen Transaktion auch nur erwähnt wurde, stelzte Andy, nicht gerade leise vor sich hin fluchend, in seine Wohnung hinüber, und Peter sah nicht nur erschrocken, sondern sogar beleidigt aus. Es blieb mir überlassen, zu erklären, das sei ganz ausgeschlossen und nur denkbar, wenn der reine Hunger nicht nur uns, sondern auch Venedig drohe.
»Wissen Sie, Mr. Watson«, sagte Trina, indem sie ihn gewinnend anlächelte, um ihm die Abfuhr leichter zu machen, »sie hat ja dem Camp soviel Glück gebracht! Alles hat so fein geklappt und soviel Spaß gemacht und so viele nette Leute sind hergekommen, denen das gar nicht eingefallen wäre, hätten sie nicht gewußt, daß sie ihre Tiere mitbringen durften. Nein, Venedig ist wirklich die Seele des Camps. Im übrigen würde Peter sie zu sehr vermissen und Andy bräche das Herz.«
»Aber — gedenkt denn der alte Mann sich hier häuslich niederzulassen? Ich dachte, er hätte Ihnen nur anfangs beim Aufbau geholfen?«
Wir wechselten unklare Blicke. Sicher überlegte der Rechtsanwalt, wie wir uns wohl leisten könnten, auch für die mageren Wintermonate eine Hilfskraft zu halten. So weit hatten wir allerdings noch gar nicht vorausgedacht. Alle waren wir gerade jetzt glücklich und zufrieden, obwohl das Camp noch ein Experiment blieb. Das hatte ich ihm auseinandergesetzt und hinzugefügt, wir müßten eben die Entwicklung abwarten.
Jetzt aber, als wir unser Plus und Minus richtig nachrechneten, das schon eingenommene und das noch ausstehende Geld zusammenzählten, sahen wir, daß wir es nicht nur geschafft, sondern einen beachtlichen Gewinn gemacht hatten. Also sollten jetzt erst mal Trina und Andy ihren sauer verdienten Lohn haben.
Beide sträubten sich mit Händen und Füßen, das Geld anzunehmen. Wo denn unser eigener Lohn bleibe? fragte Trina. Wir hätten es ja alle zusammen geschafft und es sei doch so gedacht gewesen, daß jeder das gleiche bekäme, nicht wahr? Wozu die Eile? fragte Andy. Ruhig noch warten, meinte er. Bei ihm habe das Zeit, denn er hätte sich ganz schön ‘was gespart. Aber wir bestanden darauf. Sie hatten es sehr schwer gehabt, und das konnten wir nicht noch länger annehmen, ohne ihnen einen Gegenwert anzubieten.
Die diversen Berechnungen dauerten fast den ganzen Vormittag, weil wir, wie üblich, immerzu unterbrochen wurden. >Miss Napier, der Hund von Mrs. Hicks schnappt immer durchs Gitter nach meinem!< — >Miss Napier, das Wasser in den Duschräumen ist ja kalt!< — >Miss Napier, ich habe meine Badekappe verloren, die hatte ich bestimmt in der Küche liegenlassen, und sie ist weg!< — >Miss Napier, beim Elektrotopf ist die Sicherung durchgebrannt!< — >Mrs. Macleod, haben Sie keine Zunge in Dosen mehr auf Lager? So ein Jammer, wo es doch das einzige ist, was mein Männi wirklich gern mag!< — >Miss Napier, der Milchmann hat für uns eine Flasche zuwenig hingestellt, und bestimmt hat Mrs. Smith meine gekriegt!< Und so fort.
Endlich aber waren wir fertig und unterhielten uns alle vier, außerordentlich zufrieden über das Ergebnis. Nur Trina war noch ein bißchen nervös. »Liebe Helen«, sagte sie, »bist du sicher, daß du alles richtig addiert und das Subtrahieren nicht vergessen hast? Wie ist’s mit den Nullen? Ich weiß noch, daß ich mal einen ganz schlimmen Fehler mit bloß einer einzigen blöden Null gemacht habe und Angus gesagt hat... Aber ist es nicht herrlich, so aufatmen zu können? Ich hatte ja entsetzliche Angst, daß die Sache schief gehen würde, daß was Furchtbares passierte — etwa, daß jemand ertrank oder Leute abreisten, ohne zu bezahlen. Aber jetzt steht’s ja direkt glänzend. Entsinnst du dich, wie ich dir sagte, es würde ganz einfach sein?«
Ich entsann mich, o ja, machte ihr jedoch keinen Vorwurf und erwiderte nur: »Ja, wir haben ungeheures Glück gehabt. Melly und Alf haben uns mit den Waren gut und verläßlich bedient, und ihr zwei habt gewaltig gearbeitet. Sogar das Wetter hat für uns sein Bestes getan. Mir scheint, daß nun wirklich nichts mehr schief gehen kann.«
Trina schüttelte den Kopf. »Mußt an Holz klopfen, Liebes. Mit solchen Worten fordert man das Unheil geradezu heraus.«
Doch ich lachte über diesen Aberglauben. Ich Idiotin.
Das Wetter war unerhört schön gewesen. Im Januar hatte es nur ein oder zwei leichte Schauer gegeben, und die Tage waren ruhig und windstill. Zum Zelten ideal, während John Muir allerdings gesagt hatte, die Farmer begännen sich wegen der Trockenheit schon Sorgen zu machen. Wir jedenfalls gratulierten uns tagtäglich, daß wir den nie versiegenden Bach hatten, der das Camp erst möglich machte.
Endlich aber, zwei Tage nach der Party trat eine Wetteränderung ein. Frühmorgens sah der Himmel am Horizont seltsam aus. Andy meinte, es gäbe bestimmt bald Sturm. Den ganzen Vormittag war die Atmosphäre bedrohlich drückend, und unsere Gäste schienen sich nun doch einmal matt und erschöpft zu fühlen. Noch regnete es nicht, aber der Himmel war nun schwarz von tiefhängenden Wolken. Überall zogen die Leute ihre Zeltseile straffer, die Wohnwagenbesitzer nahmen ihre Markisen ab und brachten die Faltstühle und Tische in Sicherheit. Als es dämmerte, brach der Sturm los.
Anfangs donnerte es nur, dann strömte der Regen, nicht in Schauern, sondern als schwerer dichter Guß, mit einer Wucht, daß es — um eine abgedroschene Redensart zu gebrauchen — so schien, als habe >der Himmel seine Schleusen geöffnet<. Zum Glück waren wir rechtzeitig gewarnt, und die Klugen hatten sich entsprechend darauf vorbereitet. Die Zeltplätze lagen zwar größtenteils auf ebenem Grund dicht am Strand, doch in dem leichten Boden mußte das Wasser ja gut wegsickern, und so hatten wir keine Sorge, daß Zelte weggeschwemmt werden könnten.
Andy und Venedig hatten sich früh zur Ruhe begeben, und wir waren ihrem Beispiel gefolgt. Der Tag war wegen der schwülfeuchten Luft anstrengend gewesen und, so weit wir durch den Regenvorhang sehen konnten, legten sich auch die Gäste früh schlafen. Das Trommeln des Regens auf dem Dach, das Geräusch der überfließenden Rinnen und das Glucksen der kleinen Wasserläufe, die zum Strand hinabströmten, mußten mich früh eingeschläfert haben.
Es war ein fester Schlaf, denn erst um zwei Uhr erwachte ich, und gründlich, mit dem ängstlichen Gefühl, daß Unangenehmes geschehen sein mußte. Von draußen war verwirrender Lärm zu hören, Wortfetzen, laute Schreie und — ich wollte es nicht glauben — Hilferufe. Ich sprang auf und lief in den Korridor. Im selben Moment ging Peters Tür auf und er kam, Hose und Rock über den Schlafanzug streifend, heraus. »Was ist denn nur los, zum Deubel?« fragte er, da hörten wir schon lautes Bumsen an der Hintertür.
»Hallo, da drin! Wacht auf und kommt helfen! Das Camp ist überschwemmt!«
Peter rannte, um aufzumachen. Der Regen fiel noch gleichmäßig, wenn auch nicht mehr so massiv, doch wir hatten Vollmond, der, obgleich er durch Wolken verdeckt war, ein geisterhaftes Licht über alles warf.
»Gütiger Gott!« rief Peter, der einen Moment wie angefroren stehenblieb und geradeaus starrte.
Ich schob mich an ihm vorbei und blieb auch bestürzt stehen. Auf der Veranda sah ich einen erregten Mann, der, triefend naß, in einem fort wild redete. Es war einer der neuen Gäste, Newton, dessen Zeltplatz unserem Hause am nächsten lag. Ich bemerkte kaum sein durchnäßtes Zeug oder seine Füße in den so ungeeigneten Filzpantoffeln, die sich schon auflösten — sondern hatte nur Augen für das Camp, das, so weit wir in dem schwachen Licht zu erkennen vermochten, auf einer Wasserfläche zu schwimmen schien. An den Wohnwagen war das Wasser ein ganzes Stück emporgestiegen, und die Zelte schwankten und schaukelten.
»Aber was ist denn geschehen?« forschte ich atemlos. »Wo kommt das Wasser denn alles her?«
»Weiß ich nicht, jedenfalls ist’s da, und die Sachen von sämtlichen Leuten schwimmen herum!« rief Newton. »Eine schöne Sauerei!« Das war noch untertrieben, denn im Camp herrschte ein wüster Tumult. Jeder schien zu schreien, Warnungen, Ratschläge und Jammern. Wie kam es bloß, das das Wasser in dem leichten Sandboden nicht abzog? Kein Regen konnte doch so etwas anrichten! Einen Augenblick hatte ich die phantastische Vorstellung von einer riesigen Flutwelle.
Aber was nützte alles Wieso und Warum! In zwei Minuten hatte Peter seine Hosen hochgekrempelt, einen Ölrock vom Haken im Hauseingang ergriffen und war draußen, um zu helfen. Ich flitzte in mein Zimmer zurück, schlüpfte in ein Hemd, Strandhosen und einen alten Regenmantel. Als ich mir rasch noch ein Tuch um den Kopf band, öffnete Trina die Tür und stand blinzelnd vor mir, mit zerzaustem Haar und erst halb wach, aber doch hübsch wie stets.
»Was ist das für ein Lärm, Helen? Ist etwa Feuer ausgebrochen?«
»Das Gegenteil. Überschwemmung.«
»Kann doch gar nicht sein! Woher soll denn so viel Wasser kommen?«
Die Frage wurde durch Andy beantwortet, der jetzt auf der Veranda erschien, naß und lästerlich fluchend; hinter ihm stand tropfend und melancholisch Venedig.
»Muß vom Bach her kommen. Geht mir am anderen Ufer beinah bis zur Hüfte. Staut sich vermutlich irgendwo. Jedenfalls ziehen Venedig und ich jetzt los — mal sehen, ob wir’s feststellen können. Es muß unbedingt für Ableitung gesorgt werden, sonst gehen wir alle baden! Wie gut, daß wir das Kochhaus und die Klos oben an den Hang gebaut haben!«
Auch ich war dafür dankbar, denn wenn die auch überflutet worden wären, hätten wir unser Camp schließen müssen. Und dann fühlte ich mich schuldbewußt, weil ich zuerst an uns gedacht hatte. Wie aber ging’s den unseligen Gästen? Um die mußte ich mich doch sofort kümmern.
»Geh wieder zu Bett«, sagte ich zu Trina. »Dabei brauchen wir dich nicht.«
»Nein, ich komme selbstverständlich mit, Liebes. Es ist furchtbar, aber doch ‘was Aufregendes.«
»Das gefährliche Lebern, das du dir immer wünschst. Bleib nur, wir kommen allein zurecht, wir sind doch zu dreien.«
Doch sie war schon dabei, sich ein paar Sachen anzuziehen, die ihr gerade in die Hände fielen. »O je, die lieben Tiere. Welch ein Segen, daß sie ihr Quartier auf der Anhöhe haben. Entsetzlich, wenn sie ertrunken wären!«
»Das wären sie gar nicht, denn Katzen und Hunde können ja schwimmen, und sehr tief ist das Wasser sowieso nicht. Nein, aber unsere Gäste tun mir leid, sie dürften einiges verlieren.«
»Schlimm. Ach, Goldkind, warum hast du gestern nicht ans Holz geklopft! Es zahlt sich nie aus, ein Risiko einzugehen.«
Ich war geneigt, ihr recht zu geben, während ich mich in Regen und Finsternis stürzte.