II

 

 

 

Januar, 1996. Valley Falls / Kansas. Dane, 41 Jahre.

Sie waren wirklich ein schönes Paar. Die Zeit ihres gemeinsamen Lebens hatte es bisher nicht immer gut mit ihnen gemeint. Gerade zweieinhalb Jahre waren sie zusammen und von mächtigen Wellen des Glücks, aber auch des Unglücks getragen worden, wobei das Unglück überwogen und recht tiefe Narben hinterlassen hatte. Sarah hatte so manches Mal am Abgrund ihrer Verzweiflung gestanden und kaum noch Kraft schöpfen können. Neue Kraft sollte sie am 16. Januar 1996 bekommen. Es war sein 41. Geburtstag und der Tag ihrer Hochzeit.

Sie besiegelten ihre Liebe im engsten Kreise der Familie, wobei Sarah auf beachtliche achtundzwanzig Personen kam. Als Ersatz für seine Familie standen Dane die Heddons sowie Johnathan und ich mit meiner Lebensgefährtin Linda zur Seite. Zum einen Johnathan, weil er fünfzehn glückliche Jahre mit ihm ein Lokal in Glendale geführt hatte, und zum anderen ich, weil ich ihm während seiner Zeit der Depression zur Seite gestanden hatte, wie Dane mir selbst sagte – mit einem Glas Gin in der Hand. Dass die Heddons an diesem Ereignis teilnahmen, war klar. Mehr war nicht vom Karussell seines Lebens übrig geblieben. Aber er fühlte sich irgendwie glücklich im Kreise seiner Familie. Immerhin bot sie ihm die Gewissheit, sie selbst ausgesucht zu haben, wogegen Sarah das nicht konnte.

 

Sarah fand eine Freundin in Kansas City und Dane niemanden – abgesehen von den Heddons. Da war noch Rick Beaman, sein Chef, mit dem er täglich viel Spaß hatte, aber als Freund, so wie Johnathan oder mich, war er kaum anzusehen. Sicherlich hatten Dane und Sarah auch einen gewissen Kontakt zu ihm und seiner Familie, doch der war eher beruflicher Natur.

Nach ihrer Hochzeit begann für beide ein ungewohnt ruhiges Leben. Sie waren stolz auf ihr Haus und vor allen Dingen auf die neue Scheune. Sie saßen viel mit den Heddons zusammen, doch so manchmal vermisste Dane die Zeit mit Johnathan und mir in Glendale. Übrig geblieben davon war nur seine Corvette. Alles andere hatten ihm die letzten zwei Jahre genommen. Genauso vermisste Sarah manchmal den Trubel ihrer Familie. Dane nicht – nicht den Trubel.

Die Heddons waren mit ihren jungen Nachbarn nach wie vor glücklich und besahen sich oft den ansehnlichen Mann, der vor gar nicht langer Zeit noch als dünnes Geschöpf durch die Felder gerannt war. Sie haben nie erfahren, was sich damals auf der Farm abgespielt hatte.

Nachts, wenn Sarah schlief und glaubte, auch Dane täte das, lag er wach. Stundenlang grübelte er über etwas, von dem er nicht einmal wusste, was es war. Das Wort Geisteskrankheit schlich sich immer wieder in seine Gedanken – ein überaus böses Wort. Er versuchte, es durch ein anderes zu ersetzen, fand aber keines. Auch die Bemühung, das Wort aus seinem Gedächtnis zu streichen, gelang ihm nicht. Dann versuchte er, sich eine Geisteskrankheit vorzustellen, wie sie sich wohl anfühlen würde – schon alleine aus dem Grund, um sich vor diesen Merkmalen zu schützen. Letztendlich erkannte er, dass es ihm nicht möglich war, denn er glaubte, ihn leitete ein völlig normaler Verstand.

Dass er niemals eine eigene Familie gründen konnte, machte ihm immer wieder schwer zu schaffen. Eine Adoption widerstrebte ihm gänzlich. Das Thema war erledigt. Er versuchte, alles so zu akzeptieren, wie es war und nahm sich vor, das Beste daraus zu machen.

Sarah wusste nicht, dass Dane fast täglich nach der Arbeit zu dem Grab seiner Familie fuhr. Er wusste nicht einmal selbst, warum er es tat. Er tat es eben, wie eine Notwendigkeit, mit der man seine kranke Familie besucht.

Was verbarg das Grab nur und holte sich so oft seine Anwesenheit? Was teilte er mit dieser Gruft? Dabei heilte alles so gut, und alles war so, wie es für ihn sein sollte: Er hatte eine wunderbare Frau, freundliche Nachbarn, ein großartiges Haus, ein kleines Vermögen und einen tollen Wagen.

Vielleicht hatte er zu viel Gutes um sich!

 

*

 

Der Winter in Kansas schlug in diesem Jahr unbarmherzig zu und hielt die Temperaturen bis Anfang März weit unter Null konstant. Eine berauschende Schneedecke zwang die Menschen unablässig in ihre Wintermäntel. Bis dass das Tauwetter schließlich einsetzte. Ein Dilemma von Eis und Matsch auf den Straßen verursachte Chaos und Gereiztheit bei den Bürgern von Kansas City.

Die Fahrt zum Arbeitsplatz in die Stadt wurde für Dane jeden Morgen zu einer Prozedur. Die kaputten Bremslichter seines Vordermannes wurden ihm dann zum Verhängnis. Zu spät sah er den kurzen Abstand und prallte scheppernd auf den Wagen. Der Gurt drückte sich schmerzhaft in Becken und Schulter. Benommen von dem Aufprall spürte er ein leichtes Schleudertrauma. Dann erschütterte ihn ein erneuter, wuchtiger Stoß von hinten.

Dane war geschockt, als er feststellte, seine Corvette in einer Massenkarambolage verloren zu haben. Zehn Jahre tiefe Verbundenheit zu dem Fahrzeug war ihm innerhalb weniger Sekunden einfach genommen worden – durch seine eigene Unachtsamkeit.

Er sah schon an Ort und Stelle, dass eine Reparatur nicht mehr möglich war. Er starrte seine Corvette nur an und schwieg. Der Mann, der ihm aufgefahren war, versuchte ihm lächelnd klarzumachen, dass das alles kein Problem sei. Seine Versicherung würde sich schon um eine Entschädigung kümmern. Dane sah den Mann nicht einmal an.

Als Sarah ihn mit einem Taxi heimkommen sah, dachte sie sofort, der Wagen sei in der Werkstatt. Als sie ihm in die Augen sah, wusste sie jedoch, dass die Corvette aus seinem Leben verschwunden war. Er verlor nicht ein Wort über den Vorfall. Er weinte nicht, er schrie nicht, er fluchte nicht. Er schwieg.

Keine Werkstatt konnte ihm helfen. Die Corvette hatte Totalschaden. Sein eigener Versuch, dem Wagen mit einem Schweißgerät zu begegnen, endete erfolglos. Er wollte doch nur diesen Wagen wiederhaben, obwohl es doch unzählige ähnliche Modelle gab. Nein, es sollte dieser Wagen sein! Er nahm sich schließlich einen Mietwagen.

Sarah war über seine krankhafte Autoliebe sehr irritiert. Sie hielt es nicht mehr aus. Es musste ein Ersatz her. Irgend etwas, was ihn wieder begeisterte, doch er wollte kein anderes Fahrzeug als das, was völlig verbeult in der Scheune stand. Hatte Sarah denn nicht verstanden? Wie kann sie ein Bein annähen wollen, das er schon vor Wochen verloren hatte?

Sie entschieden sich schließlich lieblos für ein zweckmäßiges Modell der Marke Chrysler, einen Chrysler Baron.

Diese Anschaffung nahm einen großen Teil seiner Lebensfreude. Sarah sah ihn seitdem nie wieder mit Freude in einen Wagen steigen. Dessen Pflege war schier uninteressant.

Sarah war sich nicht bewusst, wie viel der Wagen ihm bedeutet hatte. Es war seine erste Anschaffung in Kalifornien gewesen. Eine Art Grundstein oder Symbol für ein neues Leben nach dem auf der Farm.

 

*

 

In das Haus kehrte eine seltsame Spannung.

„Dane, wach auf“, entfuhr es Sarah in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1996. „Hör doch, das Telefon!“

Dane horchte auf und schaute auf die Uhr. Es war kurz nach zwei. Unten im Wohnzimmer läutete das Telefon, unbarmherzig und ausdauernd. Ihm schwante nichts Gutes. Er lief polternd die Treppe hinunter und nahm den Hörer ab. Die Schatten des Vollmonds ließen undeutlich die Umrisse der Küchenmöbel erkennen. Es fröstelte ihn. „Ja, hallo“, sagte er vorsichtig und drückte frierend seinen linken Arm an seine Brust. Es war schon Mai, aber die Kälte schien nicht nachlassen zu wollen. Wehmütig dachte er an die Wärme in Glendale um diese Zeit.

Flehend und bestürzt klangen die Worte von Mr. Heddon durch den Hörer: „Dane! Oh, Gott, Dane! Du musst rüberkommen. Heather hat einen Herzinfarkt oder so. Komm doch schnell, ja? Der Krankenwagen ist schon unterwegs!“

Dane sackte in sich zusammen und antwortete kurz: „Ja, ich komme.“

Er hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde, dennoch fühlte er sich unvorbereitet. Er rief laut zu Sarah hoch. Sie kam mit einigen Kleidungsstücken auf dem Arm die Treppe heruntergerannt. Dane lief halb nackt über den Hof durch die kalte Dunkelheit zur Scheune, dann fuhr er heulend mit dem Chrysler vor. Sarah hatte sich geschwind angezogen und stand zitternd in der Türe. Sie hielt eine Hose für Dane in der Hand. Sie hatten Angst. Beide.

Gemeinsam rannten sie in das hell erleuchtete Haus der Heddons. Unten war niemand, also liefen sie die Treppe hinauf. Der Anblick, der sich ihnen bot, ließ beide in der Tür verharren. Mrs. Heddon lag leblos in ihrem Bett, während ihr Mann betend davorkniete. Als er die Anwesenheit von Dane und Sarah bemerkte, erhob er seinen alten Körper kummervoll und sah bitter zu ihnen hinüber. Sarah nahm ihn mit hinunter in die Küche.

Dane trat zu Mrs. Heddon ans Bett. Er dachte an seine Mutter, die er nicht sterben gesehen hatte. Er hatte sie so geliebt, und dann war sie ohne ihn gestorben.

Dane sah plötzlich, wie sich die Gesichtszüge von Mrs. Heddon veränderten und zu denen seiner Mutter wurden. Er streichelte ihre Wange und sagte weinend: „Mom.“ Er presste seinen Mund auf den von Mrs. Heddon und stieß sein Leben in sie hinein. Sie ließ es ungenutzt wieder heraus. Er stieß es wieder in sie hinein. Sie wollte es nicht mehr, und er wurde hektisch. War sein Leben – sein Atem – nicht gut genug für sie? Er ließ wütend von ihr ab und dachte weiter nach. Das Herz! Er presste seine Hände in regelmäßigen Abständen auf ihre Brust. Aus Wut wurde Verzweiflung. „Nein, Mom, nicht so! Anders, aber nicht so!“, wimmerte er. Seine Wiederbelebungsversuche wurden kräftiger.

Sarah hörte etwas von oben. Sie hörte Danes Stimme, die wimmerte, und Sarah wusste Bescheid. Dabei wusste sie garnichts! Sie sah vom Fenster aus die Ambulanz herannahen.

Dane hielt inne. Er war erschöpft. Er wollte ihr nicht wehtun, vielleicht hatte er zu kräftig gedrückt. Er wollte sie doch nicht verletzen! Ein Kampf war zu Ende. Sinnlos! Er sah einen Nebel durch das Zimmer kriechen, der Mrs. Heddon ihre Gesichtszüge wiedergab. Der Nebel hüllte auch ihn ein. Er hörte Stimmen. Ein fröhliches Lachen zerrte sich in seine Gedanken. Er roch den Gänsebraten aus der Küche, sah den Tannenbaum – ihr zweites Weihnachtsfest auf der Farm. Dann holte ihn ein anderes Lachen ein. Er sah Sarah mit dem Blumenstrauß in der Hand und seinem Ring an ihrem Finger – seine Hochzeit. Sie lächelte in die Kamera. Mrs. Heddon kicherte ihm von hinten etwas ins Ohr, dass auch er lachen musste. Ihre Stimme hatte so furchtbar in seinem Ohr gekitzelt. Das Bild seiner Hochzeit stand immer noch am selben Platz im Wohnzimmer der Heddons. Alle hatten gelacht – und Dane nur durch das Kitzeln im Ohr.

Das Lachen verstummte. Durch den Nebel bewegte sich etwas Weißes. Es kam auf ihn zu.

Mit den Worten: „Darf ich mal?“, stieß ihn der Notarzt zur Seite. Dane taumelte. Er hörte, wie ihn jemand ansprach: „Alles in Ordnung?“

Dane kam wieder zu sich, nickte und ging benommen hinunter zu Sarah und Mr. Heddon. Mit starrem Gesicht betrat er die Küche und signalisierte die Aussichtslosigkeit der Lage. Mr. Heddon sackte heulend am Küchentisch zusammen. Dane zog sich müde einen Stuhl heran und ließ den Kopf in seine Arme fallen. Er spürte nichts als Leere. Mom ist tot.

Die Ärzte begannen mit der Reanimation. Es war alltägliche Routine und keine Erschütterung mehr, mittels des EKGs schließlich ihren Tod festzustellen. Die Macht des Fortschritts sollte das Leben von Mrs. Heddon auch nicht wieder zurückholen.

Sarah kochte Tee, um irgend etwas zu tun. Sie war vertraut mit der Küche und stellte drei Tassen auf den Tisch. Sie hielt sich am Wasserkessel fest und war sich bewusst, dass Mr. Heddon diese Nacht nicht mehr ins Bett ging. So stellte sie sich auf eine lange Nacht ein.

Noch bevor der Kessel pfiff, kamen die Ärzte herein und schüttelten stumm ihre Köpfe. Mr. Heddon brach erneut zusammen. Dane lag immer noch vornüber auf dem Tisch. Erst als die Ärzte wieder die Treppe hinaufgingen, um ihre Geräte einzupacken, sah Dane auf und ließ Mr. Heddon an sich heran. Eine aufrichtige Trauer drückte ihre Körper fest zusammen. Mr. Heddon spürte zum ersten Mal den Jungen von nebenan so nah an sich. Sarah nahm den Kessel vom Herd und war erstaunlich gefasst. Sie ging nach oben und besprach mit dem Notarzt den Abtransport von Mrs. Heddon durch einen Leichenwagen. Dann rief sie Reverent Nelson wegen der Letzten Ölung an. Die Heddons waren gläubige Katholiken. Sarah auch. Nur Dane nicht; er war nie gläubig gewesen.

Alle schwiegen. Die Luft schien zum Reden unerträglich dick. Der Leichenwagen kam und brachte Mrs. Heddon zu dem Unternehmen Peace by Pierson, das auch Danes Mutter vor vielen Jahren unter die Erde gebracht hatte.

Um sieben Uhr morgens rief Dane übermüdet in seiner Firma an und entschuldigte sich für diesen Tag. Er nahm sich noch drei weitere Tage frei, um Mr. Heddon bei den Formalitäten der Bestattung zu helfen. Er wusste, dass George, der Sohn aus Los Angeles, es nicht tun würde.

Vier Tage nach ihrem Tod wurde Mrs. Heddon beigesetzt.

 

Dane fühlte sich seitdem wie von einem Nebel umgeben. Er fand kaum noch ein Lächeln für Sarah oder eine zärtliche Geste für sie. Dabei hätte sie es so dringend gebraucht.

Wofür er Zeit fand, war das Grab seiner Familie. Sarah versuchte, wieder einmal Verständnis dafür aufzubringen und alles erst einmal zu akzeptieren. Sie sprach weder ihr Recht auf eigenen Trost aus noch sprach sie ihn auf seine Pflicht an, sie nicht zu vergessen. Sie war enttäuscht und kümmerte sich in diesen Tagen zu ihrer eigenen Ablenkung um Mr. Heddon. Sie beschloss, ihn vorerst im Gästezimmer unterzubringen. Sie hatte Angst, dass die Trauer des alten Mannes sie eines Tages vor eine bittere Tatsache stellen sollte.

 

*

 

Zwei Wochen nach der Beerdigung brach Sarah zusammen. All ihre Kraft und Standfestigkeit war aufgebraucht, und sie fand sich eines Abends mit einem Weinkrampf in ihrem Schlafzimmer wieder. Abgemagert fiel sie Dane in die Arme und wartete, dass er sie auffing. Dane bemühte sich wirklich. Er nahm sie in den Arm und fühlte sich sehr schlecht, dies nicht schon früher getan zu haben. Wie konnte er Sarah in seiner eigenen Trauer so vergessen haben? Sein Verlustgefühl für Mrs. Heddon war ihm näher gegangen als er gewollt hatte. Er drückte Sarah an sich und versuchte sie zu streicheln, aber es war so lieblos, dass sie sich wieder von ihm abwendete.

Am nächsten Morgen stand Sarah auf und kam ihren täglichen Aufgaben nach, als wäre nichts geschehen. Da war ja immer noch Mr. Heddon.

Dane stand auf, als Sarah das Haus schon gerichtet hatte und sah in den Spiegel. Sein Gesicht sah grauenvoll aus. Seine Haut war grau geworden wie die von Mr. Heddon.

Die Tage schlichen dahin.

 

Sarah wurde nun auch von diesem merkwürdigen Nebel eingefangen, und immer schwerer fand sie in den Tag. Sie sah Dane lustlos zur Arbeit fahren und Mr. Heddon lustlos in der Küche sitzen.

Fünf Wochen nach der Beerdigung führten sie den alten Mann wieder in sein Haus zurück. Er hatte es so gewollt. Ihr Angebot, bei ihnen wohnen zu bleiben, schlug er eigensinnig aus.

Die Auflösung von Mrs. Heddons Habseligkeiten ließ das ganze Ausmaß der Trauer erneut ausbrechen. Ihr Sohn aus Los Angeles sah seine Schuldigkeit mit einer Beileidskarte getan. Eine Geste, mit der Mr. Heddon gerechnet hatte und daher weiter keine Aufmerksamkeit schenkte. Sarah und Dane zeigten dafür allerdings kein Verständnis.

Die Tage flossen dahin wie zäher Sirup.

Sarah stellte fest, dass Mr. Heddon immer mehr abmagerte, trotz der täglichen Mahlzeiten, die sie ihm hinüberbrachte. Sie konnte ja nicht kontrollieren, was der alte Mann wirklich zu sich nahm. Mit selbstloser Hingabe leistete sie ihm täglich Gesellschaft in seinem Haus, um ihm wenigstens ein paar Stunden am Tag die Einsamkeit zu nehmen. Doch meistens schwiegen sie.

Die Stimmung auf der Heddon-Farm übertrug sich auf die Gelton-Farm. Sarah und Dane redeten kaum noch miteinander. Es war für Sarah gleich, ob sie mit Dane oder mit Mr. Heddon zusammen war. Während sie vereinsamte, bebte es in Dane.

 

*

 

Dane wurde plötzlich von starken Kopfschmerzen heimgesucht. Dann folgten die ersten kleinen Aussetzer. Seine Arbeit in der Druckerei begann fehlerhaft und unbrauchbar zu werden. Rick Beaman fragte vorsichtig nach, aber Dane brach das Gespräch geschickt ab. Mit der Empfehlung eines längeren Urlaubs sah sich Dane angegriffen und lehnte den Vorschlag ab. Er weihte auch Sarah nicht in seine Probleme ein.

Sarah dachte an die Tagebücher seiner Mutter, und Dane dachte daran, was passieren würde, wenn Sarah ihn verließ. Es wäre undenkbar. Er liebte sie so sehr!

 

Es kam der Tag, an dem Sarah Mr. Heddon tot in seinem Bett fand. Er hatte seine Frau nur zehn Wochen überlebt. Den einzigen Trost, den Sarah und Dane finden konnten, war, dass er wieder bei seiner Frau sein konnte. Mrs. Heddons Grab wurde geöffnet und mit ihrem Mann wieder verschlossen.

Die Heddon-Farm starb. Ihr Haus wurde zu einem Geisterhaus.

Der Sohn der Heddons sendete ein kurzes Dankschreiben für all ihre Bemühungen. Er sei nun der rechtmäßige Besitzer der Farm und gedenke, diese zu verkaufen.

 

*

 

Der Tod der Heddons hinterließ ein verheerendes Gefühl der Einsamkeit bei Sarah und Dane. Sie bemühten sich, den Schicksalsschlägen zu trotzen, indem sie jeden Abend lange Spaziergänge machten. Sie waren jetzt ganz alleine, umgeben von weiten Feldern und einem Weg, der immer noch Fields hieß. Der Blick zur Heddon-Farm ließ sie jedes Mal schaudern, aber sie mussten sich wohl daran gewöhnen. Dane dachte, wie schön es wäre, wenn sie jetzt ein Kind hätten – oder sogar zwei Kinder. Es hätte dann niemals dieses Schweigen auf der Farm gegeben. Es hätte dann vieles nicht gegeben, vielleicht noch nicht einmal den frühen Tod der Heddons. Aber so war alles still.

 

Es war mitten in der Nacht, als Sarah ein Gedanke kam. Er erregte sie so sehr, dass sie nicht mehr einschlafen konnte. Sie hatte endlich eine Lösung gefunden. Es war eine Idee, die auch Dane gefallen würde, ihn vielleicht sogar aus seiner Schweigsamkeit holen würde. Sarah wollte jedoch nichts übereilen. Sie erzählte ihm erst am Abend nach seiner Arbeit von ihrer Idee: „Was hältst du davon, wenn wir Jim fragen, ob er nicht Interesse an der Heddon-Farm hat? Es hat ihm zu Weihnachten doch gut hier gefallen. Du hättest wieder einen guten Freund um dich, und ich hätte Linda. Was sagst du?“

 

Ich hatte inzwischen eine feste Partnerschaft mit Linda aufgebaut. Wir hatten uns sogar schon mit dem Gedanken an eine Heirat getragen.

 

Dane schwieg. Sarah wurde wütend. Wollte er denn gar nicht reagieren? Die Idee konnte doch nicht so absurd sein, dass es ihn völlig kalt ließ. Sie hatte soeben von seinem besten Freund geredet. Und er schwieg?

Dane hatte ihre Worte sehr wohl verstanden, aber es fröstelte ihn in letzter Zeit öfter, so, als ob er Fieber hätte. Dann fiel ihm das Denken schwer. Aber es war kein Fieber. Er kochte innerlich, weil ihm die Herausforderung fehlte. Er dachte nach: Jim auf der Heddon-Farm? Mit Linda? Warum nicht.

Er sah auf und lächelte sie an.

 

Spät in derselben Nacht hörte sie ihn am Sekretär seiner Mutter, der im Gästezimmer stand, arbeiten. Sie hörte die Klappen des Sekretärs öffnen und Papier rascheln. Er schrieb wohl einen Brief. Sie wollte am nächsten Tag nicht neugierig sein, doch als Dane zur Arbeit fuhr, wurde sie zusehends unruhiger über den Vorgang in der letzten Nacht. Was mochte er geschrieben haben? Sie begab sich schließlich auf die Suche nach dem vermeintlichen Brief, den er zwischen einem Stapel von alten Rechnungen versteckt hatte. Damit war ihr klar, dass sie den Brief nicht lesen sollte. Warum, erfuhr sie, als sie ihn dennoch las:

 

Mein lieber Jim, alter Freund!

Sicherlich wirst Du Dich wundern, diese Zeilen von mir zu erhalten. Ich war nie ein großer Briefeschreiber. Das hat Sarah immer erledigt, aber die Angelegenheit, die diesem Brief zu Grunde liegt, möchte ich Dir gerne persönlich mitteilen.

Im Moment sind wir doch sehr von Niederschlägen geplagt. Sarah hat Dir bestimmt von meinem Unfall geschrieben. Gewiss, gibt es Dinge, über denen man stehen sollte, aber Du weißt, was der Wagen mir bedeutet hat. Ich habe ihn von meinem ersten, selbstverdienten Geld gekauft. Das ist doch immer eine besondere Anschaffung, oder?

Eine schlimme Nachricht muss ich Dir über die Heddons mitteilen. Mrs. Heddon starb vor zwölf Wochen an einem Herzinfarkt und Mr. Heddon zehn Wochen später. Jetzt weiß ich, was ein gebrochenes Herz anrichten kann. Wir haben viel Mühe damit, es zu verarbeiten, zumal sich Sarah viel um Mr. Heddon gekümmert hat. Leider vergeblich. Die Heddons waren immer ein ganz besonderes Paar und werden es immer bleiben. Das Gleiche erhoffe ich von Sarah und mir auch.

 

Leider werde ich in letzter Zeit recht häufig von Kopfschmerzen geplagt. Ist vielleicht der Stress. Ist einfach zuviel im Moment. Habe mit Sarah noch nicht darüber gesprochen. Sie hat genug Probleme. Wird wohl nur der Druck von den letzten Wochen sein.