„Sarah?“, fragte Dane leise. Sie sah ihn an und dachte, nein, lass es nicht vorbei sein. Und er sagte zu ihr: „Ich glaube, es ist an der Zeit, dir zu erzählen, was alles passiert ist. Damit du verstehst warum ich so bin.“

Mit diesen Worten war ihr klar, dass sich nun vieles verändern würde. Aber auch, wie ernst er es meinte.

Dane erzählte von seiner schlimmen Kindheit, seiner anstrengenden Jugend, der Krankheit seiner Mutter und seinem erfolgreichen Lokal mit Johnathan. Ende. Es klang wie die Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionären, schockierend, hinreissend und beeindruckend. Er erzählte nichts von seinem Kontakt zu seinem Vater in Glendale und nichts von seinen dunklen Gefühlen. Und schon gar nicht von seinem grausamen Spiel, in dem er seinen Vater zu einem dreifachen Mörder gemacht hatte. Alles in allem war es eine eindrucksvolle Schilderung, die volles Mitgefühl verlangte. Sarah hörte ihm geduldig zu, ohne ihn zu unterbrechen.

Und dann kam die Frage von Dane: „Was hältst du von der Idee, mit mir mein Elternhaus in Kansas anzuschauen?“

Sie war sofort irritiert, denn sie hatte gerade erst erfahren, dass er eine Farm in Kansas besaß. Jetzt erschien ihr alles zu schnell, und sie wandte sich von ihm ab. Alles war zu schnell.

Das war eine gewaltige Entscheidung, die er von ihr forderte. Es machte ihr Angst, dass er etwas verändern wollte, ihr Leben verändern wollte. Ihre Beziehung hatte doch gerade erst begonnen, und er ging schon den nächsten Schritt.

Er schwieg, als sich Sarah von ihm abwandte. War es richtig gewesen, sie jetzt schon zu fragen? Aber diese Farm reizte seine Gefühle, seit Sarah ihn auf den Gedanken gebracht hatte.

„Ich kann das nicht, Dane. Es ist zu schnell“, sagte sie schließlich.

Er war außer sich. „Sarah! Ich will die Farm nur mit dir anschauen! Ich will sie nicht gleich beziehen! Nur anschauen!

 

Lüge! Lüge!, schrie das Loch.

Dane hörte es seit Wochen zum ersten Mal wieder.

 

Sarah wurde unsicher. Das hatte nicht nach Anschauen geklungen. Es hatte endgültiger geklungen. Oder hatte sie es falsch verstanden? War sie zu ängstlich geworden?

„Nur anschauen?“, fragte sie vorsichtig. Er nickte. „Nur anschauen. Nichts weiter.“

Dann nickte sie. Sie fiel ihm überwältigt um den Hals, so dass beide nach hinten in das weiche Gras fielen. Damit wusste er, dass er gewonnen hatte und lachte zufrieden.

 

 

1993. Glendale / Kalifornien.

Als Dane wieder heimkehrte, bemerkte Johnathan sofort, dass etwas nicht stimmte. Dane sah glücklich und bedrückt zugleich aus. Dann wurde er reserviert und still. Fing das Spiel schon wieder an?

„Jim hat vorige Woche seine Stelle im Medical Center gekündigt“, sagte Johnathan, als er im Türrahmen von Danes Apartment stand.

Ich hatte mich entschieden, in vier Wochen nach Santa Ana zu ziehen, um dort eine neue Stelle in einem kleineren Krankenhaus anzutreten. Ich hatte inzwischen eine Frau Namens Linda kennengelernt und wollte mehr Zeit für sie haben. Wie sollte ich Zeit für sie finden, wenn ich in einem Krankenhaus wohnte?

Dane zeigte sich nicht sichtlich berührt von meiner Entscheidung. Schließlich hatte er auch eine getroffen, die unsere Trennung veranlassen sollte. Nur Johnathan war standhaft geblieben. Er war der Leidtragende von uns allen.

Mit kleinen Bemerkungen ließ Dane seine Pläne langsam durchschauen. Doch Johnathan verstand schnell und machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. Er musste daran denken, dass Dane vor fünfzehn Jahren mit der gleichen Entschlossenheit dieses Lokal mit ihm aufgebaut hatte.

Es waren gute Jahre mit Dane gewesen, mitunter die besten seines Lebens. Er hatte gewusst, dass es eines Tages auseinanderbrechen würde. Jetzt war der Tag gekommen, und er versuchte, es mit Fassung zu tragen. Er konnte Dane nichts verdenken, nach allem, was ihm passiert war. Aber musste es unbedingt sein Elternhaus sein? Musste es Kansas sein? War es nicht die Hölle, aus der er damals geflohen war?

Sie gingen auf die Suche nach einem neuen Partner für Johnathan. Es dauerte nicht lange, nicht einmal eine Woche, bis sie auf einen Interessenten stießen. Einige Straßen weiter löste sich ein mexikanisches Lokal auf. Der Besitzer, ein lustiger, etwas kleiner Mexikaner Namens Pedro Sachez, sprach sich für eine Übernahme aus. Er verkehrte öfters als Gast im Running Horse und kannte es. Er war Johnathan auch nicht fremd und nahm damit etwas von dessen Beklemmung.

Pedro Sachez war siebenundvierzig Jahre alt, intelligent und pfiffig. Johnathan mochte ihn vom ersten Gespräch an. Seine Bedenken wurden weniger, bis er schließlich Freude an dem Gedanken fand, mit Pedro zusammenzuarbeiten. Er ersetzte sicherlich nicht Dane, aber immerhin einen gewaltigen Teil seines Humors. So erlangte das Lokal wenigstens das Temperament wieder, was es einst ausstrahlte.

Dane arbeitete ihn sorgfältig in seinen Arbeitsbereich ein. Zu Johnathans Freude hatte sein kleiner Mexikaner ein überaus geschicktes Händchen dafür, und seine Vorliebe für Tequilla war auch willkommen. Verschiedene mexikanische Gerichte hielten willkommenen Einzug bei den Gästen, und es dauerte nicht lange, bis sich Dane auf die Abreise vorbereiten konnte.

 

*

 

Sarah wusste nicht, wie sich die Dinge in Glendale entwickelten. Dane erzählte ihr auch nichts von seiner doch endgültigen Entscheidung, mit der er die Farm nur anschauen wollte. Sie freute sich auf den Tag, an dem sie mit ihm nach Kansas fahren würde. Dass er dann keine Existenz mehr in Glendale besitzen würde, kam ihr nicht in den Sinn. Wie sollte es auch? Sie kannte ihn nicht. Sie wusste weder etwas von seinen skurrilen Gedanken noch von seiner wahnhaften Sucht, wieder einen Ort für seine dunklen Gefühle zu finden.

 

Mein Abschied von Dane und Johnathan war in all der Hektik fast untergegangen. Wir drei saßen am letzten Abend im Running Horse und fanden kaum die richtigen Worte für den Zustand, der eingetreten war. Es war eine traurige Beklemmung und freudige Erwartung zugleich. Wir versprachen uns, in Kontakt zu bleiben. Die Ära einer besonderen Freundschaft ging zu Ende. Dane hatte sie erschaffen, und er hatte sie gebrochen. Wir waren ihm nicht böse. Wie konnten wir auch, nach allem, was er uns gegeben hatte?

 

*

 

Sarah beendete ihren Aufenthalt in Garden's Inn am 14. November 1993. Den Tag zuvor legte Dane seine Abreise fest.

Er brach früh morgens um vier auf. Er hatte nur zwei Koffer gepackt. Alles andere würde Pedro in seinen Besitz nehmen.

Dane sah ein letztes Mal die Fassade des Running Horse hinauf. Dann stieg er in seine Corvette und ließ sie aufheulen. Zum Abschied hupte er, denn er wusste, dass Johnathan hinter den Gardinen am Fenster stand.

Dane Gelton verließ Glendale so unscheinbar, wie er dort einmal angekommen war – in den frühen Morgenstunden. Er hatte eine Art Brandmal bei uns hinterlassen, ein Lachen aus uns herausgeholt, dass es manchmal den Anschein hatte, es würde nicht enden wollen. Doch jetzt war es verstummt. Wir stießen auseinander wie eine Explosion. Jeder schlug eine andere Richtung ein. Momente, die wir nie vergessen werden. Sie sind einfach nur traurig. Erstaunlich war der Gegensatz der Richtungen. Wo ich nach Ruhe und mehr Freizeit trachtete, suchte Dane die Unruhe und die unerlässliche Beschäftigung für sein anderes Gefühl. Es wollte einfach keine Ruhe geben. Nur Johnathan hatte Rückgrat bewiesen.

 

*

 

Sarahs Gesicht war von Ungeduld gezeichnet. Sie verabschiedete sich von Dr. Roosevelt und den anderen Patienten mit rotglühenden Wangen.

Sie hatte mit Dane alles genau geplant. Zuerst wollten sie sein Elternhaus anschauen, dann wollte er sie nach Denver zu ihren Eltern bringen und wieder zurück nach Glendale zu Johnathan fahren. Das hatte er ihr erzählt. Und er wusste genau, dass sie zustimmen würde.

Sarah war stolz, mit ihm sein Elternhaus besichtigen zu dürfen. Und noch stolzer, ihm bei seiner großen Entscheidung zur Seite stehen zu können.

 

 

November 1993. Kansas.

Als sie das Grenzschild von Kansas passierten, wurde Dane plötzlich unruhig. Sarah fühlte mit ihm. Wie musste er sich wohl fühlen, nach so langer Zeit sein Elternhaus wiederzusehen? Seine Unruhe war also nichts Ungewöhnliches. Sie fand, dass er einen enormen Schritt in seinem Leben tat. Dass sie dabei sein durfte, zeigte ihr, wie groß seine Liebe und sein Vertrauen zu ihr bereits war. Und das stimmte, absolut.

Weite, dunkle Felder umschlossen die Interstate 70, die quer durch Kansas nach Topeka führte.

Dane konnte sich dunkel an den Tag erinnern, als er dieses Land vor vielen Jahren einmal verlassen hatte.

Kansas ist der völlige Gegensatz von Kalifornien. Alles ist leer und frei, wohingegen das Leben an der Küste von Millionen Menschen zugeklebt ist.

Sie erreichten Topeka, und Dane erkannte, dass sich die Vergangenheit doch nur in den Randbezirken bewahrte, während sich in der Stadt ein unübersehbarer Fortschritt entwickelt hatte. Die alte Atmosphäre existierte nicht mehr.

Er durchfuhr Topeka und fand die Straße nach Grantville Perry, die ihn zu dem Ort geleitete, an dem seine Farm stand, nach Valley Falls.

Sarah war von der Weite, die sie umgab, überwältigt.

Der geteerte Straßenbelag wechselte plötzlich in einen unebenen Schotterweg – der Weg zur Gelton-Farm. Früher war er namenlos; jetzt hatte man ihn schlicht und einfach Fields genannt. Eine lieblose Bezeichnung, wie Sarah fand. So, als warte man auf den Verfall der Farm. Doch man irrte sich, sie bestand aus einer soliden Steinsubstanz und massivem Holz. Nur ein Tornado hätte die Kraft für ihre Vernichtung.

Als Dane die ersten Umrisse der Farm sah, hielte er inne. Er stoppte den Wagen. Der Motor verklang. Sarah schwieg. Sie fand, dass es ganz allein sein Krieg war, auf den er sich einließ. Ein bisschen war sie ja vorbereitet.

Dane wollte seine Panik bis zu diesem Zeitpunkt nicht wahrhaben, doch seine Übelkeit war da.

 

Komm!, rief das Loch. Komm heim.

 

Dieser kleine Punkt mitten in den Feldern war also seine Farm. Rings umher lagen dunkle, schlafende Felder. Es roch nach fetter Erde. Wie in alter Zeit.

Dane fühlte sich taub. Leichter Atemnebel malte sich im Inneren des Wagens auf die Scheiben. Dane startete wieder den Wagen. Sarah atmete erleichtert auf; ihr war kalt.

Er steuerte den Wagen in die Mitte des Hofes und konnte das benommene Gefühl in seinem Magen nicht loswerden. Es wurde stärker. Es war eigentlich irre. Hier hatte sich nichts verändert. Dane sah seine Mutter am Fenster der Küche stehen und seinen Vater von der Feldarbeit heimkehren. Er hörte Kevin an der Seite des Hauses im Dreck herumexperimentieren und einen streuenden Hund in weiter Entfernung bellen. Wie ein Nebel umschwirrte die Vergangenheit seinen Geist. Sarah räusperte sich. Das holte Dane wieder zurück.

Die Farm lag ihm tot und verkommen zu Füßen.

Sarah war überwältigt. So etwas hatte sie nicht erwartet. Der Anblick des Farmhauses war gigantisch. Die alte rostrote Scheune malte sich erhaben in den Himmel. Sicherlich musste hier einiges getan werden, um alles wieder bewohnbar zu machen, aber ... was fühlte Dane? Sie sah zu ihm hinüber und nahm seinen versteinerten Ausdruck wahr. Er war wieder benommen. Sie stiegen aus. Es war kalt. Sicherlich würde es auch hier bald schneien. Wie wunderschön mussten dann die Felder aussehen? Dane sah zur Scheune.

„Alles okay?“, fragte sie und steckte ihre eigenen Gefühlsausbrüche hinter seine. Er aber ließ sie mit einem kurzen Blick spüren, dass er mit seinen Gedanken alleine sein wollte. Aus der rechten Hosentasche zog er einen alten Schlüssel und gab ihn ihr abwesend. „Da, nimm. Wenn du willst, kannst du dich schon mal im Haus umschauen. Ich komme gleich nach. Geh, es wird dir gefallen.“

Sarah glaubte, sich verhört zu haben. Sie sollte sich alleine das Haus seiner Eltern anschauen? War er es nicht, der das tun wollte? Mit ihr?

Enttäuscht ging sie mit dem Schlüssel zur Eingangstür. Was ging hier vor?

Ihr war kalt. Sie drehte langsam den Schlüssel im Schloss um und öffnete vorsichtig die Tür. Ein seltsamer Geruch strömte ihr entgegen – Muff und Moder. Sie sah zurück zu Dane. Wie ein Schatten verschwand er in der Scheune. War diese Scheune um so vieles wichtiger als dieses Haus, in dem er mit ihr vielleicht einmal leben wollte?

Sie sah in das Haus hinein und erblickte die Kulisse einer lang vergessenen Zeit. Durch das einfallende Sonnenlicht schimmerten unzählige Spinnweben. Darunter verbarg sich die schlichte Kücheneinrichtung aus Danes früherem Leben. Es waren Möbel aus den sechziger Jahren – alt und abgenutzt. Links stand neben einem Spülschrank ein alter Gasherd und zwei weitere Schränke. Dann ein großer Kühlschrank und daneben ein Besenschrank. In der Mitte des Zimmers sah sie einen alten Holztisch mit vier Stühlen. Hätte sie genauer hingeschaut, wäre ihr der alte Kinderstuhl hinter dem halb zugezogenen Vorhang aufgefallen, der zwischen dem Besenschrank und der Wand stand. Aber ihre Neugier trieb sie in das nächste Zimmer, das rechts zur Küche lag. Das Wohnzimmer. Es hatte durch die ebenfalls karge Einrichtung nichts Gemütliches. Da standen ein dunkelgrünes Veloursofa, ein brauner Sessel, ein runder Holztisch und zwei Sideboards. Von der Küche aus führte eine Treppe nach oben zum elterlichen Schlafzimmer und dem Kinderzimmer, in dem Dane groß geworden war. Sarah stieg die Treppen hinauf und ging ins Schlafzimmer, in dem Will Gelton einst mit seiner Frau geschlafen hatte. Sie sah auf ein altes Messingbett und verliebte sich sofort darin. Das war ein Möbelstück, das ganz gewiss keinen neuen Besitzer finden würde, dachte sie und merkte nicht, wie das Haus langsam Besitz von ihr ergriff.

Plötzlich hielt sie inne. Ein merkwürdiges Geräusch drang von draußen in das Innere des Hauses. Etwas Hartes stieß in regelmäßigen Abständen aufeinander. Sie erschrak und suchte ein Fenster, von dem sie auf den Innenhof blicken konnte. Auf dem Flur vor dem Schlafzimmer fand sie es, und sie sah hinunter zur Scheune. Sie erschrak noch mehr, als sie sah, woher die Schlaggeräusche rührten. Dane hatte einen alten Holzschrank aus der Scheune auf den Hof gezerrt und schlug nun mit einer riesigen Axt auf ihn ein. Schweiß rann ihm über das Gesicht. Regelmäßig und wütend ließ er immer wieder die Axt niedersausen. Er schrie dabei Worte heraus, die Sarah nicht verstand. Sie war zunächst fassungslos und dachte an den Anfall, den Dane in der Klinik gehabt hatte. Und dann hatte sie Mitleid mit ihm. Wer verstand nicht die Wut, die er gegen diese Scheune haben musste?

Sarah wendete sich vom Fenster ab und ging die Treppe wieder hinunter. Sie fühlte sich zum ersten Mal, seit Dane mit ihr zusammen war, einsam. Bisher hatte er ihr immer nur seine Fröhlichkeit und sein Temperament geschenkt, die Dinge, die sie in ihrer ersten Ehe nicht erfahren hatte und die sie so dringend gebrauchen konnte. Jetzt war das alles weg. Sie war doch noch nicht so weit wie sie gedacht hatte. Es schmerzte sie, und sie wusste nicht, ob sie schon mit den Dingen umgehen konnte, die Dane ihr zu zeigen begann.

 

Unerwartet hatte ihn der Drang eingeholt, hier und jetzt mit etwas zu beginnen, mit dem er noch nicht fertig war. Dr. Roosevelt würde sagen, es handele sich um eine aktive Vergangenheitsbewältigung. Über viele Stunden raste Dane mit der Axt herum. Der Schweiß drang durch sein Hemd. Er hatte zum Schluss nicht nur einen Schrank zerschlagen; er hatte fast alles zerschlagen, was er irgendwie in der Scheune finden konnte. Damit glaubte er, seinen Qualen, die er in dieser Scheune erlitten hatte, gerecht geworden zu sein. Vorerst.

Sarah wollte seiner Wut nicht zusehen. Es regte sie zu sehr auf. Sie hasste Gewalt und noch mehr die Gedanken, die dahinterstanden. Aber sie konnte es auch ein bisschen verstehen. Sie musste ihm eine Chance geben und sie musste die Notwendigkeit erkennen, mit der er dies alles tat. Alles, was er meinte zu tun, würde sie lernen zu respektieren, bis er damit fertig war. Dann war er auch fertig für sie und bereit für eine Beziehung. Sie schöpfte neuen Mut und lenkte sich ab, indem sie begann, die Küche von den Spinnweben zu befreien und zu reinigen.

 

Gegen Mitternacht hatte sich Danes Kraft erschöpft. Er ließ sich in das gefrorene Gras neben der Scheune fallen. Ein eisiger Novemberwind wehte über die Felder.

Dane sah in den dunklen Himmel. Sein Atem ging schwer ein und aus und blies dichte Wolken in die Nachtluft. Ihm fiel Sarah ein. Gott, Sarah, ja. Wo war sie? Was war geschehen? Wie lange hatte er hier wie ein Wilder gewütet? Angst überkam ihn und er schrie sie mit einem Panikschrei aus sich heraus.

 

Sarah hatte aufgeräumt und sauber gemacht. Dann war sie am Tisch sitzend zusammengesackt und eingeschlafen.

Irgendwann in der Nacht hatte die Farm ein fürchterlicher Schrei erschüttert. Sie schrak verwirrt hoch, dann sackte sie wieder zusammen und schlief weiter. Sie musste sich wohl noch an vieles gewöhnen – auch daran, dass sie heute nicht mehr wegkam.

Dane stürzte verschwitzt und dreckig in die ungeheizte Küche. Ein alter Kerzenstumpf gab ein schimmerndes Licht. Er sah, wie Sarah ihren Kopf in ihre Arme gebettet auf dem Tisch liegend, schlief. Das beruhigte ihn sofort, und er ließ sich auf einen Stuhl neben sie nieder. Als er ihr Haar streichelte, sah sie kurz hoch. Er nahm sie liebevoll in den Arm und führte sie nach oben in das Schlafzimmer seiner Eltern, während draußen ein eisiger Wind pfiff.

Das Zimmer stank widerlich.

 

*

 

Der nächste Morgen kam. Der Frost war während der Nacht stärker geworden. Er kroch durch die Ritzen des Hauses und bemalte die Fenster mit Eisblumen.

Das Geräusch eines herannahenden Wagens ließ Dane gegen acht Uhr erschrocken hochfahren. Seine Kleidung war zerknittert, die Haare zerwühlt, und dunkle Ränder unter den Augen spiegelten seine Erschöpfung wider. Der gestrige Tag war vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Wie konnte das nur passieren? Verdammt, wo war er?

Dieses Zimmer war ihm fremd. Er durfte es als Kind nie betreten und hatte es auch später nicht getan. Dann erinnerte er sich an Sarah und sah zu ihr hinüber. Sie blinzelte – und lächelte. Das Zimmer stank. Die Bettdecke sah widerlich aus.

Dane hörte den Wagen unmittelbar vor seinem Haus stoppen, dann ein zweimaliges Zuschlagen von Autotüren. Er sprang aus dem Bett und lief zum Flurfenster, um auf den Hof hinunterzublicken. Der Frost hatte sich in der Nacht über den Hof ausgebreitet und die zerschlagenen Holzbretter benetzt. Es sah fürchterlich aus. Was hatte er nur gemacht?

Neben seiner Corvette parkte ein alter Ford Taunus. Ein alter Mann und eine alte Frau irrten auf dem Hof herum und besahen sich das Desaster. Dann sahen sie neugierig an der Hausfassade hinauf. Sie erblickten das Gesicht eines Mannes hinter der Scheibe des Flurfensters im ersten Stock.

Dane sah zu ihnen hinunter. Sein Blick traf den der Frau und verweilte einen Moment. Dann lief er eilig die Treppe hinunter und öffnete die schwere Eichentüre. Drei Blicke trafen sich – vertraut und seltsam. Die alten Leute kamen näher und taxierten sein Gesicht.

Die alte Frau fragte leise und vorsichtig: „Dane?“

Dane nickte und versuchte diese seltsame Vertrautheit, die in ihrer Stimme klang, zu erklären. Dann bekam die alte Dame einen Namen und somit wieder einen Platz in seinem Leben. Wie konnte er sie nur vergessen haben? Mrs. Heddon, seine frühere Nachbarin, die ihm so oft geholfen hatte, als seine Mutter im Krankenhaus lag. Sie hatte ihn mit Essen und frischer Wäsche versorgt, Arbeiten, die er zwischen seinem Job und den Besuchen seiner Mutter nicht geschafft hatte. Es waren seitdem so viele Jahre vergangen, und er hatte dies alles vergessen – so viel Schönes einfach vergessen – sogar ihr Gesicht. Die Begegnung rührte ihn zutiefst. Er fühlte plötzlich, wie sich der Boden unter seinen Füßen verlor. Sie fing ihn auf und schloss ihn in ihre Arme.

Wie sehr hatte sie ihn vermisst! Er war damals einfach von hier weggegangen, so still und ohne sich zu verabschieden. Jetzt hatte sie ihn endlich wieder. Sie drückte ihn wie einen Sohn an sich.

Mr. Heddon hielt sich im Hintergrund und sah den beiden lächelnd zu. Er besaß immer noch einen Strohhut und hielt ihn voller Anstand in der linken Hand, während er seine rechte Hand Dane zu einem Willkommensgruß reichte. Dane ergriff überwältigt die Hand des alten Mannes.

„Dane!“, sagte Mr. Heddon mit dunkler Stimme, in der Freude und Achtung schwang. Dane bat die alten Leute gestikulierend herein. Die Zeit hatte auch bei ihnen Spuren hinterlassen. Ihre Haare schienen noch weißer, die Falten mehr und tiefer geworden zu sein. Die Schulterbeugung von Mrs. Heddon ließ auf das fortgeschrittene Stadium ihrer Osteoporose-Erkrankung schließen. An Sympathie hatte ihr Äußeres nichts verloren. Ihr Wesen strahlte nach wie vor Ruhe und Zufriedenheit aus.

„Wir wollten mal nachsehen, was hier passiert. Wir haben gestern den weißen Wagen auf dem Hof bemerkt und wollten jetzt einmal einen Blick darauf werfen, nachdem hier in letzter Zeit so viel los war“, sagte Mrs. Heddon ernst.

„Was war denn hier los?“, fragte Dane vorsichtig und fühlte sich plötzlich seiner Wiedersehensfreude beraubt. Er wurde unruhig.

„Na, erst der braune Roover, dann die Polizei, dann deine Verwandten. Hier war immer Ruhe. Aber jetzt ...“

„Moment mal! Ich habe keine Verwandten mehr. Wie sahen die denn aus?“

Mrs. Heddon überlegte, ob sie vielleicht etwas Falsches gesagt hatte. „Es war ein Paar. Ungefähr so alt wie du. Ein großer, dunkelhaariger Mann und eine kleinere, dunkelhaarige Frau. Sie gaben vor, mit dir verwandt zu sein und zogen in Erwägung, die Farm zu kaufen. Dann sind sie aber ganz plötzlich wieder verschwunden. Wir haben sie nie wieder gesehen. Dane, war das nicht in Ordnung?“

Dane überlegte. Die Beschreibung der Frau ließ vermuten, dass es Joan gewesen sein könnte, möglicherweise mit dem Mann, den Whiseman noch suchte – dem Handlanger seines Vaters. Der Gedanke ließ ihn schaudern. Sie waren hier gewesen, auf seiner Farm! Sie hatten ihn sicherlich gesucht. Sie würden wiederkommen, das spürte er.

„Wie lange ist das her?“, fragte er, und eine tiefe Kummerfalte bildete sich auf seiner Stirn.

„Drei Monate?“ Mrs. Heddon schaute ihren Mann an, der nickte. Sie waren über Danes Reaktion irritiert. Was war mit seiner Freude, sie wiederzusehen?

Dane ging zum Küchenfenster und sah zum Hof hinaus. Die alten Leute sahen ihm unverständlich nach.

„Dane?“, fragte Mrs. Heddon leise. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Sie hatte immer gespürt, wenn Dane durcheinander war. Er brauchte es ihr nicht zu sagen.

Sarah kam die Treppe hinunter und unterbrach die Spannung, die unten vorherrschte. Sie begrüßte die alten Leute freundlich mit einem herzlichen Händedruck. Dane stellte ihnen Sarah als seine Lebensgefährtin vor und sah sie dabei erwartungsvoll an.

Zum ersten Mal sprach er ihre Beziehung offen aus. Sie hatte einen offiziellen Platz in seinem Leben bekommen.

„Weißt du was, Dane? Ich lade euch zum Frühstück ein“, unterbrach Mrs. Heddon das Begrüßungsritual, als sie spürte, wie kalt es in dem Haus war. Der Vorschlag kam sehr gelegen, zumal Dane an eine morgendliche Dusche dachte. Sarah dachte kurz an ihre Wohnung in Denver, wann Dane sie wohl nach Hause fahren würde. Das Haus hier konnte in diesem Zustand bei diesen Temperaturen unmöglich bewohnt werden.

Sie fuhren zusammen in dem alten Fort Taunus zur Heddon-Farm, die eine Meile von der Gelton-Farm entfernt lag. Sarah und Dane konnten sich duschen und fühlten sich fortan wohler. Mr. Heddon bestand darauf, dass Dane sein altes Rasiermesser benutzte. Er mochte Dane sehr – immer schon. Er wünschte sich, dass sein Sohn auch so wäre, aber das war er nicht. Er war vollkommen anders.

Als Sarah und Dane an dem Frühstückstisch Platz nahmen, sah Mr. Heddon erst, was für ein ansehnlicher Mann Dane geworden war. Und Sarah war zweifellos die hübscheste Frau, die er in den letzten Jahren zu Gesicht bekommen hatte – außer seiner eigenen natürlich. Es war ein großartiges Gefühl, diese beiden jungen Menschen um sich zu haben. Es brachte endlich wieder Leben in ihr Haus.

„Wirst du hierbleiben?“, fragte Mr. Heddon. Mrs. Heddon sah vom Herd auf, wo sie gerade einige Eier briet. Dane sah zu Sarah hinüber. Sie sah ihn an.

„Das werden wir beide noch entscheiden“, antwortete Dane und zog sich damit aus der Affäre, sie mit seiner endgültigen Entscheidung zu konfrontieren. An der Antwort war nichts falsches, so dass Sarah es dabei beließ. Sie würde sicherlich nicht vor den alten Leuten anfangen, mit ihm über Entscheidungen zu diskutieren. Er hatte sie schon gestern um eine Erklärung gebracht, und sie befand sich bereits den zweiten Tag hier.

Dane lenkte schnell ab. Er begann mit den Heddons in alten Zeiten zu schwelgen. Dann erzählte er von Johnathan und dem Lokal in Glendale, von seinen Freunden und Anekdoten über ehemalige Gäste. Alle fühlten sich großartig, bis auf Sarah, die freundlich lächelte und den Geschichten lauschte, die Dane erzählte. Das Frühstück stärkte sie wieder und schmeckte ihr gut. Am meisten aber schmeckte es den alten Leuten selbst. Wann hatten sie zum letzten Mal Gäste gehabt? Sie erzählten von ihrem fünfzigsten Hochzeitstag im letzten Jahr und ihrer selbstgebackenen dreistöckigen Biskuittorte. Sie hatten ein Foto mit der Polaroid davon gemacht und es ihrem Sohn nach Los Angeles geschickt. Es kam sieben Tage später wieder bei ihnen an, und es lag einfach nur ein Zettel dabei mit der Bemerkung: Schön. Ein Glückwunsch war nicht dabei. Sarah war entsetzt und gratulierte ihnen nachträglich. Mrs. Heddon war gerührt und kochte verlegen frischen Kaffee.

Dane kannte das Problem mit ihrem Sohn. Er war nie für seine Eltern da gewesen, hatte immer nur für sich und seine Vorteile gesorgt. Das hatte ihm, Dane, dann schließlich diese liebevolle Beziehung zu den Heddons verschafft.

Alle, bis auf Sarah, erzählten und lachten, das heißt, sie lachte auch, aber sie erzählte nichts. Es war ein schöner Tag. Das Angebot von Mr. Heddon, sie zurück zur Farm zu fahren, lehnten Sarah und Dane entschieden ab. Ein Spaziergang würde ihnen gut tun.

 

Der Weg zur Gelton-Farm führte sie durch die Felder. Sarah genoss das Gefühl der Weite. Die Sicht war klar und weit. Wie schön musste es hier aussehen, wenn die Felder mit ihren Früchten im Sommer heranreiften.

Sarah dachte an gestern Abend. Danes Wutausbruch hatte ihr großen Kummer bereitet.

„Dane, ich habe gestern Abend furchtbare Angst gehabt.“

Dane antwortete nicht. Er verstand sie auch so.

„Du warst schon wieder ungehalten und aggressiv. Weißt du, es hat mich entsetzt, dich so zu sehen. Ich kann das nicht vertragen.“

„Ich war nicht gewalttätig. Ich war nur sehr wütend“, versuchte Dane geradezurücken. „Ich war wütend auf diese verdammte ...“

Sarah unterbrach ihn: „Dane, du wolltest mit mir dein Elternhaus anschauen. Hast du das vergessen? Deswegen bin ich mitgekommen.“

Dane schwieg. Mist. Das hätte nicht passieren dürfen.

„Du hast Recht“, lenkte er ein. „Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Es wird nicht mehr passieren. Das verspreche ich.“

„Ich sollte dir etwas erklären, bevor du irgendwelche Pläne mit mir machst“, sagte Sarah und versuchte, die Situation zu retten. „Wir haben nie darüber gesprochen, aber jetzt solltest du es wissen. Ich war vierzehn Jahre mit einem gewalttätigen Mann verheiratet. Er hat mich geschlagen und vergewaltigt. Es hat lange gedauert, bis ich die Kraft aufbringen konnte, mich von ihm zu trennen. Das war eine Erfahrung, die ich nicht noch einmal machen möchte, wenn du verstehst, was ich meine.“

Dane schwieg. Nahm sie an, dass er sie schlagen würde?

Sarah fuhr fort: „Die vierzehn Jahre waren so schwer für mich, dass ich große Mühe habe, mit dem, was ich gestern gesehen habe, fertig zu werden. Die Scheidung ist gerade ein Jahr her, und ich bin keineswegs darüber hinweg.“

Dane hörte aufmerksam zu und blickte zu Boden. Es überraschte ihn eigentlich nicht allzu sehr, von Sarah diese Geschichte zu hören. Jeder hatte seinen Grund für den Aufenthalt in Garden's Inn. Ihm wurde klar, wie wenig er doch im Grunde von ihr wusste. Oder wissen wollte?

Sie redete weiter: „Gestern Abend, als du so außer dir warst, habe ich Angst bekommen, dass du auch mir etwas antun könntest. Wir kennen uns doch erst kurze Zeit, und das nicht einmal im Alltag. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles hier will. Ob ich das kann. Vielleicht solltest du hier erst einmal alleine wohnen.“ Sie hatte sich die Worte gut überlegt, auch wenn sie ihr schwer fielen. Wie gerne würde sie bei ihm bleiben. Es war so wunderschön hier in Valley Falls, aber nicht um jeden Preis.

Ihre Worte trafen Dane mitten ins Herz. Er spürte, wie sein Blut in Wallung geriet und sein Herz schneller zu schlagen begann.

Plötzlich meldete sich das Loch:

 

Mitten ins Fettnäpfchen! Ich sagte doch, Sarah ist Gift für dich.

 

Er schluckte und versuchte, seine Beherrschung nicht zu verlieren. Was um Himmelswillen meinte sie? Sie durfte nicht weggehen! War es nicht gut genug, was er ihr hier bieten konnte? Was hatte sie von ihm erwartet?

Er besann sich, sie hatte Recht. Gestern Abend war wirklich kein guter Anfang. Er schämte sich plötzlich für sein Verhalten und blieb stehen.

Er nahm sie in seine Arme und sagte: „Eine Chance. Gib uns eine Chance. Gib mir eine Chance. Mehr will ich nicht.“

Sie standen da, in enger Umarmung. Er hielt sie fest, bis sie nickte. Sie wusste nicht, auf was sie sich einließ.

 

Als sie die Farm erreichten war Sarah sehr durcheinander und stellte keine Fragen. Er versprach ihr, sie spätestens morgen nach Denver zu fahren. Sich aber heute noch einmal die Zeit zu nehmen, das Haus komplett anzusehen. Das hörte sich vernünftig an.

Sie brachten ihre Koffer ins Haus, und Dane entzündete ein Feuer im Kamin. Der Generator für die Elektroheizung war defekt. Der zweite Tag begann. Der erste Schnee fiel.

Sarah hatte ein komisches Gefühl, als sie beobachtete, wie Dane das Haus begutachtete. Es schien ziemlich festzustehen, dass er hier bleiben wollte. Er legte eine provisorische Liste von Dingen an, die zunächst zu besorgen wären. Keine Spur mehr von einer gemeinsamen Entscheidung. Sie sah ihn euphorisch durchs Haus eilen und traute sich nicht zu fragen. Er würde sie sicherlich morgen nach Hause bringen. Schließlich hatte er es versprochen.

Dass Dane unermüdlich und temperamentvoll war, hatte sie schon in Dallas bemerkt, aber dass es so stark ausgeprägt war, machte sie doch unruhig.

Dane war seit heute Morgen vorsichtiger geworden. Er erklärte ihr genau, was er zu tun gedachte und fragte sie, ob sie einverstanden wäre. Wie konnte sie seinem erwartungsvollen Blick entfliehen? Was würde sie bei ihm auslösen, wenn sie sich ihm widersetzen würde? Sie gab nach, um eine Konfrontation mit ihm zu vermeiden und dachte dabei nur an die morgige Abreise.

Um sich nicht den Tag über zu grämen, ging sie ihm zur Hand. Sie putzte die Fenster und brachte die Küche weiter auf Vordermann. Er ging nach oben und wollte die Möbel inspizieren, wie er sagte. Schon alleine seine Schritte, wie er die Treppe hinaufstampfte, brachte sie innerlich auf. Der darauffolgende Krach ließ sie zittern. Sie dachte an Morgen, an die Heimfahrt. Ihr einziger Trost.

Dane schmiss alle Möbel, bis auf das Messingbett seiner Eltern, durch das Fenster hinaus auf den Hof. Mit Sarah sollte alles neu werden. Über das Bett seiner Eltern wollte er zunächst hinwegsehen, aber das würde er auch noch verschwinden lassen – irgendwie, irgendwann. In Gedanken malte er sich eine gigantische Veränderung aus. Gewaltig sollte alles werden, wie immer in seinem Leben.

Am späten Abend lag alles auf dem Hof. Die Möbel des Hauses verteilten sich über den zerschlagenen Resten, die Dane gestern aus der Scheune geschafft hatte und waren von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Dann tat er etwas, wovon er Sarah nichts gesagt hatte. Die Idee war ihm in dem Wahn der Entrümpelung gekommen, und er fand sie wunderbar.

Sarah stand am Küchenfenster und sah, wie Dane ein flammendes Inferno auf den Hof veranstaltete. Sie schauderte. Vom Kamin her hörte sie das Holz knistern. Sie war von Feuer umgeben.

 

Dane war vollkommen rußverschmiert als er das Haus um Mitternacht wieder betrat. Sarah stand nur da und zitterte. Es war im Grunde das gleiche Schauspiel wie gestern gewesen. Dabei hatte er ihr heute Morgen noch versprochen, so etwas nie wieder zu tun. Doch anstatt Reue zu zeigen, ging er auf sie zu, nahm sie in den Arm und sagte: „Es ist alles in Ordnung. Ich habe nur den Müll beseitigt. Das macht hier so. Man verbrennt es. Wir sind hier auf dem Land.“

 

*

In der darauffolgenden Nacht schrieb er einige Zeilen an sie, denn es ließ ihm keine Ruhe, dass sie von Angst gesprochen hatte. Sie brauchte keine Angst vor ihm zu haben, er würde ihr nie etwas zu leide tun. Er legte ihr seine Zeilen unter ihr Kopfkissen, und sie fand seinen Brief am nächsten Morgen, als er sich nach Jefferson aufmachte, um Frühstück zu besorgen.

 

Meine liebe Sarah!

Du sollst wissen, wie sehr ich dich liebe. Mehr, als ich es für möglich gehalten habe. Wie konnte es nur so lange dauern, dir zu begegnen? Ich spüre deine Liebe so tief in mir, aber auch deine Angst, die dich seit gestern hier gefangen hält. Angst, dass dir hier etwas zustoßen könnte. Das werde ich nicht zulassen. Du brauchst keine Angst vor mir oder vor dieser Farm zu haben. Vertraue mir. Bitte gib mir nur eine Chance, mit meiner Vergangenheit abzurechnen. Gegen sie richtet sich meine derzeitige Wut, nicht gegen dich. Ich bin der, der hier einiges klarzustellen hat, nicht du. Du würdest es nicht verstehen, wenn ich es dir erklären würde. Es ist zu gewaltig und zu kalt für dein warmes und liebevolles Herz. Versuche es einfach nur zu akzeptieren. Du brauchst es nicht verstehen. Es wird eine Zeit kommen, in der alles hinter uns bleiben wird. Ich bitte dich noch ein paar Tage hier zu bleiben. Nur für das Gefühl, dass jemand in meiner Nähe ist, der mich liebt und der mich auffangen kann, wenn ich am Ende meiner Kraft bin.

In Liebe, Dane

 

Sarah war von seinen Worten so sehr gerührt, dass sie weinen musste. Er hatte ihre Angst erkannt und versuchte, sie ihr zu nehmen. Verbarg sich wirklich schon ein so großes Vertrauen von ihm dahinter? Seine Zeilen waren so rührend und offen – so einfach und verständlich, dass sie entschied, noch ein paar Tage bei ihm zu bleiben.

Sie legte seinen Brief zwischen ihre Kleidung, die immer noch in ihrem Koffer lag und dachte daran, dass es nun an der Zeit war, ihn auszupacken. In Denver warteten außer ihren Eltern niemand auf sie. Ihre Wohnung war untervermietet, und wen kümmerte es schon, wenn sie ein paar Tage später heim käme?

 

In der Küche prasselte bereits ein wärmendes Feuer, und der Tisch war einladend von Dane gedeckt worden. Es hatte in der Nacht wieder etwas geschneit. Sarah hörte, wie die Reifen der Corvette über die Steine des Hofes knirschten und vor dem Haus anhielten. Das Geräusch des Motors erlosch, und Dane verließ mit einem großen Strauß Blumen in der Hand den Wagen.

Damit war Sarahs Angst vorerst einem großen Glücksgefühl gewichen, und Dane sah sich bestätigt, mit dem Brief und dem Strauß Blumen das Richtige getan zu haben. Er wollte Sarah nicht wieder beunruhigen. Sie sollte sich hier wohlfühlen. Also, was würde ihr mehr Freude machen, als bei der Neugestaltung des Farmhauses mitzuwirken? Es sollte doch auch ihr neues Zuhause werden. Von einer gemeinsamen Entscheidung war keine Rede mehr.

Er entschloss sich, seiner Vergangenheit vorerst aus dem Weg zu gehen und holte die Einkäufe aus dem Wagen. Er hatte Nahrungsmittel für eine ganze Woche mitgebracht.

 

*

 

Sarah hatte immer noch keine Ahnung, dass Dane jede Verbindung nach Glendale abgebrochen hatte. Als sie am Frühstückstisch saßen, sprach sie ihn an.

„Was ist mit deinem Lokal? Musst du nicht zurück?“

Er log: „Ich habe Johnathan vorgestern zurückgerufen und ihm gesagt, dass hier viel in Ordnung gebracht werden muss. Wir haben das Lokal für einige Wochen geschlossen. Wer weiß, vielleicht werde ich die Farm verkaufen.“

„Du willst sie verkaufen?“, fragte sie plötzlich irritiert. Wofür hatte er dann den ganzen Trubel hier veranstaltet?

Natürlich hatte er sich dabei etwas gedacht und sagte: „Eventuell schon. Ich weiß ja nicht, ob es dir hier gefällt. Und wenn ich schon einen Käufer für die Farm suche, sollte alles in Ordnung sein. Es ist ja kein Katzensprung von Kalifornien bis hierher. Jetzt bin ich schon mal da und wäre froh, alles direkt einem Makler zu übergeben.“

Wie berechnend war er?

Er wartete. Sie sollte endlich reagieren. Er sagte: „Ich dachte, ich sollte alles in Erwägung ziehen.“

Er wartete wieder. Er fragte: „Gefällt sie dir denn?“

Sie deutete ein Nicken an. Jetzt hatte er sie, auch wenn das Nicken zaghaft war.

Er rieb sich am Kinn und sagte: „Das Haus ist massiv. Und gut in Schuss ist es auch.“

Sie sah ihn an und lachte. „Du willst die Farm gar nicht verkaufen. Sie gefällt dir genauso wie mir, stimmts?“

Sie grinste, und dann mussten beide furchtbar lachen.

 

Als er den Frühstückstisch abdeckte, dachte er, er könnte mit ihr die ersten Pläne schmieden, doch für Sarah war die Konversation noch lange nicht vorbei. Er hörte sie sagen: „Ich kann doch nicht sofort mit dir zusammenziehen. Wie stellst du dir überhaupt alles mit uns vor?“

Er wollte die Frage überhören, aber Sarah gab nicht nach: „Ich kann gerne noch ein paar Tage bei dir bleiben, aber dann möchte ich schon gerne erst mal heim.“

Er antwortete ihr wieder nicht.

Jetzt wurde sie nachdrücklich: „Dane, es geht nicht so einfach, wie du vielleicht erwartest!“

Er drehte sich um, zu ihr hin und sah sie an. Er sagte: „Ich brauche dich hier.“

„Aber wir können doch nicht direkt zusammenziehen! Wir kennen uns doch kaum.“

„Ich fahre dich nach der Renovierung direkt nach Hause. Versprochen. Es ist nur so wichtig, dass du wenigstens alles mit aussuchst. Wenn alles fertig ist, kannst du ja zeitweise bei mir wohnen. Bis wir soweit sind.“

Was redete er da? War er sich überhaupt im Klaren, wie lange diese Renovierung dauern würde? Das würden Monate werden!

Er flehte: „Es soll dir doch gefallen.“

Gestern schrieb er noch von ein paar Tagen, heute redete er von Monaten, morgen wäre es ein Leben lang. Sie erstickte. Sie schrie: „Hier stimmt was nicht, Dane! Es ist nicht in Ordnung, dass du dich einfach über mich hinwegsetzt! Vielleicht teile ich gar nicht deine Vorstellungen. Es ist ja alles wunderschön, aber zu schnell. Muss denn alles jetzt erledigt werden? Wir haben doch genug Zeit, die Dinge langsam angehen zu lassen. Du hast noch deine Arbeit in Glendale, und ich muss in Denver auch viel erledigen. Es wird Zeit brauchen, bis dass wir hier anfangen können.“

Er wäre jetzt gerne in die Scheune gerannt und hätte dort etwas kurz und klein geschlagen, aber er wusste, dass er sie damit endgültig vertreiben würde. Plötzlich meldete sich auch noch das Loch.

 

Sie ist nichts für dich! Wann glaubst du mir endlich?

 

Dane ging zum Fenster, um aus ihrem Blickfeld zu gelangen. Sie sollte sein Brodeln nicht sehen. Sein Atem ging schwer. Er zwang sich zu den Worten: „Du hast recht. Ich fahre dich gleich nach Denver.“ Was würde sie jetzt sagen?

Sarah fühlte sich erstickt und sagte: „Was würdest du sagen, wenn ich jetzt okay sage?“

Dane drehte sich vom Fenster weg, um sie wieder anzusehen. „Dann fahre ich dich heim.“

Sie sagte: „Okay.“

Damit ließ sie ihn stehen.

Während sie oben alles wieder zusammenpackte, hörte sie den Motor der Corvette aufheulen. Vom Fenster aus sah sie ihn den Hof verlassen.

Zwei geschlagene Stunden saß sie mit ihren gepackten Koffern in der Küche, bis sie die Corvette wieder ankommen hörte.

Als er hereinkam fragte sie: „Wo warst du?“

Und er antwortete: „Ich war bei den Heddons, mich von ihnen verabschieden. Wir können doch nicht einfach wieder abhauen, ohne ihnen Bescheid zu sagen. Du hast doch gestern gesehen, wie nett sie sind. Sie werden uns sehr vermissen.“ Er zeigte ihr eine prall gefüllte Tasche und sagte: „Das hat uns Mrs. Heddon mit auf die Reise gegeben. Sie hat noch schnell Kuchen gebacken. Deswegen hat es auch so lange gedauert.“

Sarah war sprachlos. Sie fühlte sich um ihre Entscheidung betrogen und sah traurig auf die Tasche, in der sich der Kuchen befand. Sie hatte selbst gesehen, wie glücklich die alten Leute über ihre Ankunft waren.

Dane setzte ihr noch mehr zu, indem er sagte: „Ich möchte dir danken, dass du mit mir hierher gefahren bist. Auch dafür, dass du so geduldig warst. Es tut mir leid, dass ich nicht bemerkt habe, wie gerne du nach Hause willst. Ich war wohl vollkommen abwesend. Ich habe den Wagen schon getankt.“ Er sah auf ihre Koffer. „Wir könnten sofort los, wenn du willst.“

Sie saß wie benommen in der Küche und zweifelte plötzlich an ihrer Entscheidung. Es überkam sie die Angst, dass sie ihn mit ihrer Entscheidung verloren hatte. Seine Bereitschaft, sie jetzt und hier sofort nach Denver zu bringen, erschien ihr plötzlich zu einfach. Seit zwei Tagen kämpfte er um ihre Anwesenheit und jetzt diese übereilte Reise. Hatte sie das Band zwischen ihnen zerschnitten? Hatte sie Dane verloren? Sie sah sich in der Küche um und bekam das Gefühl, als griff das Haus mit langen Armen nach ihr. Als würde es schreien geh nicht!

„Gib mir noch ein paar Minuten“, sagte sie, um Zeit zu gewinnen.

Dane griff nach den Koffern und brachte sie zum Wagen. Dann löschte er den Kamin und kontrollierte das Haus auf offene Fenster.

Sarah saß derweil immer noch in der Küche und dachte nach. Es war ihr zum Heulen zumute.

Sie wusste, dass sie die Farm nie wieder sehen würde, wenn sie jetzt mitfuhr. Irgendwie spürte sie, dass Dane ihr diese Chance nur einmal geben würde. Was war jetzt die richtige Entscheidung?

Sie fühlte sich in die Enge getrieben. Plötzlich dachte sie daran, wie schön es hier werden könnte. Die Heddons waren wunderbare Menschen, die sie gerne um sich haben würde. Mit ihren Eltern hatte sie immer nur Probleme. Bot sich ihr gerade ein Neustart an? Alles klang so einfach und traumhaft. Sie brauchte nur zuzugreifen. Dane wäre überglücklich, ebenso die Heddons. Ganz zu schweigen von ihr selbst. Stand sie wieder einmal ihrem eigenen Glück im Wege?

Jetzt fühlte sie sich wie ein Verräter. Dane hatte ihr das Schönste, was er besaß, zu Füßen gelegt, und sie trat es weg wie Dreck. Die Heddons hatten sie so herzlich bei sich aufgenommen, und sie verließ sie nun ohne Dankeschön und Abschiedsgruß.

Als Dane wieder zu ihr hereinkam und sie ansah, fragte sie: „Wie stellst du dir denn die Renovierung vor?“

Dane grinste.  

 

Er nahm sie an die Hand und führte sie nach oben. Er zeigte ihr sein altes Zimmer und sagte ihr, dass er sich dieses Zimmer als Gästezimmer für ihre Eltern oder Freunde vorstelle. Das Schlafzimmer solle natürlich das Schlafzimmer bleiben, mit diesem wunderschönen Messingbett. Auch das nahm er jetzt in Kauf.

Er ging mit ihr die Treppe hinunter. Da die Küche sehr geräumig war, dachte er daran, ein großes Badezimmer abzugrenzen. Die Küche wollte er gerne selber bauen, ganz nach ihren Bedürfnissen und ihrem Geschmack. Jeden einzelnen Schrank. Das Wohnzimmer sollte der gemütlichste Raum werden, das Herz des Hauses mit einem eigenen Kamin, so dass sie im Winter bei Schneefall vor dem knisternden Feuer sitzen und reden könnten. Draußen vor dem Haus könnte man einen prächtigen Blumengarten und hinter dem Haus einen schönen Gemüsegarten anlegen. Vielleicht sogar mit einem kleinen Blumenpavillon nur für sie alleine. Als Rückzugsort im Sommer.

Die Scheune würde er zu einer Werkstatt, Garage und Abstellmöglichkeit umgestalten. Der Hof könnte kunstvoll gepflastert werden und das Grundstück eine schöne Einfassung bekommen.

Mehr brauchte er ihr nicht erzählen. Sie ging von alleine zum Wagen und holte ihre Koffer wieder heraus. Dabei sagte sie: „Vielleicht sollte ich doch hierbleiben und dir helfen. Das schaffst du niemals alleine.“

 

Sarah vergaß, dass Dane seit über fünfzehn Jahren ein erfolgreicher Geschäftsmann war. Er verkaufte Träume, die keine waren.

 

*

 

Die Scheune betrat er vorerst nicht. Das war er Sarah schuldig. Aber das hieß nicht, dass er mit ihr fertig war. Sie würde ihn nur zu sehr von der Renovierung des Hauses ablenken. Nein, fertig war er noch lange nicht mit ihr! Sein Loch hielt er dort gefangen, verriegelt hinter zentnerschweren Holztüren und einem gewaltigen Kettenschloss davor.

Dane erledigte zunächst die behördlichen Formalitäten und meldete sich in Jefferson/ Valley Falls als neuen Bürger an, um ein Bankkonto zu eröffnen. Er sagte Sarah nichts davon. Er besprach die ersten Schritte der Renovierung mir ihr und richtete das Haus in der ersten Woche provisorisch her, um es bewohnbar zu machen. Dann mietete er sich einen Truck, und es ging los.

Er schleppte so viel Baumaterialien heran, dass Sarah den Überblick verlor und auf einen Zusammenbruch wartete. Doch sie kannte ihn nicht gut genug, er brach nicht zusammen. Er war es gewohnt, in großem Stil zu handeln. Und doch kam ihr ein zunächst absurder Gedanke: „Woher nimmst du das ganze Geld?“

Er dachte nicht nach und antwortete: „Von dem Erlös des Lokals.“ Da erst bemerkte er seinen Fehler. Sie sagte sofort: „Aber du ...“ Er unterbrach sie, ehe sie den Gedanken aussprechen konnte: „Ich habe vorerst einen Kredit aufgenommen.“ Er schluckte. Mist. „Den werde ich später ablösen.“

Sie nickte. Das klang logisch.

Da er die Scheune mied, diente das Wohnzimmer als Lagerraum.

Er schleppte einen neuen Stromgenerator für Heizung, Elektrogeräte und Beleuchtung ins Haus. Es war auch höchste Zeit geworden, denn das Feuerholz, das sie von den Heddons bekommen hatten, ging zur Neige.

In der zweiten Woche begann er das Badezimmer abzugrenzen. Er brauchte keine Handwerker, um die alten Rohre und Leitungen neu zu verlegen und in Betrieb zu nehmen. Seine Begabungen waren weitreichend. Er brauchte niemanden hier auf seiner Farm – außer Sarah. Die Heddons kamen jeden Tag nach dem Rechten schauen und brachten ihnen eine reichhaltige Mahlzeit. Dieser Spaziergang zur Mittagszeit war ihnen schnell zu einer lieben Gewohnheit geworden. Sarah genoss den Trubel und die liebevolle Versorgung der Heddons.

Nach zwei Wochen war ein neues und modernes Bad entstanden. Sie konnte kaum glauben, dass Dane dies alles alleine geschafft hatte. Er erzählte ihr von der Renovierung des Running Horse in Glendale, die weit umfangreicher gewesen war.

Sarah empfand eine große Motivation mitzuhelfen und schliff und strich alle Fensterrahmen. Nachdem Dane die oberen Schlafräume renoviert hatte, strich sie sie in frischen Farben an. Das Kinderzimmer wurde als Gästezimmer hergerichtet. Das Schlafzimmer blieb das Schlafzimmer seiner Eltern für ihn, auch als es neue Farben und ein, bis auf das Messingbett, neues Mobiliar bekam. Das Haus atmete eine nie dagewesene Liebe. Jedes Detail hatte Dane mit Sarah sorgfältig besprochen, gekauft und einen Platz dafür gefunden. Sarah war beeindruckt von seiner nicht endenden Ausdauer, seinem handwerklichen Geschick und seiner Energie, mit der er jeden Tag in dem Haus herumwirbelte.

Sie telefonierte mit ihren Eltern, die nicht wussten, dass sie bereits die Klinik verlassen hatte. Sie hörten den euphorischen Klang in der Stimme ihrer Tochter, als sie von Dane und der Farm erzählte und wurden misstrauisch. Sarah war manchmal so naiv.

Nun musste sich Dane etwas einfallen lassen, um das Lokal in Glendale vor Sarah endgültig loszuwerden. Zunächst erzählte er ihr, dass Johnathan eine Aushilfe eingestellt hatte und das Lokal gut weiterlief. Dann erzählte er ihr, dass Johnathan bereits einen Makler eingeschaltet hatte, um einen neuen Partner zu finden. Und dann kam der Clou: Johnathan hätte einen neuen Partner gefunden, der Danes Teil komplett übernehmen würde. Dane brauche nur zur Unterzeichnung des Vertrages erscheinen. So verschwand er für zwei Tage ins Nirgendwo und kam mit dem Vertrag, den er Sarah sofort vorlegte, zurück. Dass er das Kaufdatum manipuliert hatte, war doch klar. Damit war die Sache aus der Welt geschafft und Sarah überzeugt, dass der Kredit abgelöst war und alles seine Ordnung hatte.

 

*

 

Inzwischen waren fünf Wochen vergangen, und Sarah sah sich nicht mehr veranlasst, nach Denver zu reisen. Sie fühlte sich mittlerweile so wohl, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen konnte, ohne Dane, die Heddons und diese Farm zu leben. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, ein zu Hause gefunden zu haben. Das gleiche schien sie bei Dane festzustellen. Die Renovierung hatte sie zusammengeschweißt, wie zwei Seelen, die bisher einsam, ungeliebt und verloren umherirrten. Es machte so viel Spaß mit Dane zu planen und zu arbeiten. Er war immer guter Laune und für einen kleinen Witz nebenbei zu haben. Genauso hatte Johnathan damals die Renovierung des Running Horse mit Dane erlebt. Die Parallelen waren beängstigend, wenn ich daran denke, welche Nebenbeschäftigung er wohl hier auf dieser Farm finden würde, die damals sein Vater ihm verschafft hatte. Dass er eine prickelnde Herausforderung brauchte, hatte er selbst bemerkt. Die lauerte bereits in der Scheune und wartete auf den Tag, an dem sie freien Lauf in seine Gefühle finden würde.

 

*

 

Weihnachten stand vor der Tür. Ihr erstes gemeinsames Fest verbrachten sie bei den Heddons, denn ihr Haus glich immer noch einer Baustelle. Die Küche und das Wohnzimmer waren noch nicht eingerichtet.

Im Neujahr schrieb Sarah ihren ersten Brief nach Hause und teilte darin alles mit, was sie hier auf dieser Farm erlebte. Ihre Eltern waren weiterhin misstrauisch und bestanden darauf, dass Sarah ihren Wohnsitz in Denver noch behielt. So wollten wenigstens sie noch eine vernünftige Entscheidung für ihre Tochter treffen. Zumal sie den Mann an der Seite ihrer Tochter immer noch nicht kannten.

Dane war mit der Entscheidung nicht einverstanden, aber er schwieg. Er wusste, dass er ihr Zeit lassen musste. Ihre Liebe zu dem Haus war inzwischen so stark geworden, dass er sich über ihre Entscheidung keine Gedanken mehr machte. Und so bemerkten beide, dass diese Zeit wohl eine ihrer glücklichsten sein würde.

Dane verlor sein abgemagertes Antlitz. Seine Wangen wurden fülliger und unterstrichen damit seine glücklich strahlenden Augen. Sein Körper bekam wieder die sportliche Haltung von früher. Er sah fantastisch aus.

So hatte Sarah sich ihr Leben immer vorgestellt: An der Seite eines Mannes, der einfallsreich, aktiv, humorvoll und vor allen Dingen unermüdlich ist. Dane war das alles. Sarah konnte sich nicht mehr vorstellen, jemals wieder ohne ihn zu leben. Die Nächte mit ihm waren leidenschaftlich und schön im Bett seiner Eltern, das er innerlich verabscheute.

Wenn Sarah sich nicht so sehr an dem schnellen Fortschritt der Dinge erfreut hätte, wäre ihr schon bald aufgefallen, mit welchem Fanatismus Dane die Sache betrieb.

An eins dachten sie nie: an die Zeit nach der Arbeit. Was, wenn das Haus einmal fertig werden würde? Der nahende Frühling gab ihnen keine Gelegenheit, darüber nachzudenken. Sie waren viel zu sehr mit ihrem Glück beschäftigt.

 

*

 

Sarah wollte ihre Wohnung in Denver immer noch nicht aufgeben. Dane konnte nicht abschätzen, ob es der Einfluss ihrer Eltern oder Sarahs Angst war, es könnte noch etwas schief laufen. Es machte Dane auf jeden Fall mit jedem weiteren Tag zu schaffen. Was wollte sie noch von ihm? Was fehlte, was er ihr nicht bieten konnte? Nun lebten sie seit fast einem Jahr als Paar auf dieser Farm und richteten ein Heim auf Lebenszeit her, und sie konnte sich nicht entscheiden, diese verdammte Verbindung zu ihrer Wohnung nach Denver abzubrechen. Es machte ihn wahnsinnig. Es kam ihm vor, als wartete ein anderer Mann auf sie, der sie auffangen würde, wenn er sich einen Fehler erlauben würde. Dane erlitt einen unerträglichen Druck der Eifersucht und arbeitete sich um Kopf und Kragen. Er steckte beim Entwurf und Zusammenzimmern der Küche so unglaublich viel Energie in die Sache, dass er fast zusammenbrach. Aber auch das brachte ihm nicht die ersehnte Entscheidung. Auch nicht, nachdem er das Wohnzimmer zu einer Oase ihrer Gefühle eingerichtet hatte.

Der Herbst nahte, und Dane stand kurz vor der Explosion. Er sprach sie schließlich darauf an, und sie versprach ihm, die Wohnung nach Weihnachten abzugeben. Mehr konnte er nicht erwarten. Es nahm ihm nicht die Eifersucht. Von der Pflasterung und Eingrenzung des Hofes, dem Blumengarten, dem Pavillon und dem Gemüsegarten war keine Rede mehr. Ein Geschäftsmann verspricht immer mehr, als er hält.

Das Haus war allerdings komplett fertig und entsprach genau dem, was Sarah sich vorgestellt hatte.

 

*

 

Ende Oktober fiel der erste Schnee, fast einen Monat früher als im letzten Jahr.

Ein ganzes Jahr war vergangen, und keiner wusste, wo es geblieben war. Mindestens einmal in der Woche kamen die Heddons zu Besuch und streichelten glücklich die Wangen der jungen Leute. Sie fanden in Sarah die Tochter, die sie nie bekommen hatten. Zum ersten Mal hatten Dane und Sarah das Gefühl, eine richtige Familie um sich zu haben. Die Heddons ersetzten ihre Eltern und gaben ihnen Unterstützung, wo immer sie es konnten. Es fiel kein unangenehmes oder neugieriges Wort, und Spannungen waren ihnen gänzlich fremd.

Sarah war endlich in ihrer heilen Welt, von der sie immer geträumt hatte, angekommen. Dane hingegen erfüllte eine große Unruhe.

 

 

Dezember 1994. Dane, 39 Jahre.

Eine seltsame Ruhe kehrte ein. Sarah bemerkte, dass in letzter Zeit häufiger Gingläser zwischen dem Spülgeschirr standen. Er hatte ihr den Gin nicht verschwiegen, aber die Menge, die er in letzter Zeit zu sich nahm. Sein Blick irrte manchmal so komisch ziellos im Zimmer umher.

Anfang Dezember kam ein erster Brief von mir aus Santa Ana bei ihnen an. Sarah hatte mir regelmäßig geschrieben und ausführlich von Danes wunderbarer Entwicklung berichtet, seit er in diesem Haus wohnte. Aber auch von der Angst, die sie in letzter Zeit spürte, seit er zur Ruhe gekommen war.

Das zweite Weihnachtsfest stand an, zu dem Sarah mich herzlich einlud. So staunte Dane nicht schlecht, als er den Brief mit meiner Antwort las. Ich hatte ein Bild von mir und meiner Freundin Linda beigelegt. Wir nahmen die Einladung zum Fest gerne an.

Dane war außer sich vor Freude. Er versuchte noch schnell letzte Kleinigkeiten im Haus auszubessern. Alles sollte perfekt sein.

 

*

 

Kurz vor dem Fest machte sich Dane auf die Suche nach einer Arbeit. Der Erlös aus dem Lokal reichte nicht ewig aus. Er war durch die Renovierung und den gemeinsamen Lebensunterhalt stark geschmälert worden. Dane dachte an die Druckerei BEAMAN in Kansas City, bei der er früher gelernt und gearbeitet hatte. Ob sie noch existierte? Das tat sie. Und es saß immer noch die gleiche Dame am Telefon im Vorzimmer, die ihm freudestrahlend einen Termin beim Chef einrichtete.

Dane sah sich um Jahre zurückversetzt, als er vor dem großen Gebäude vorfuhr. Der Sohn hatte inzwischen den Vater ersetzt; der Betrieb nannte sich seitdem BEAMAN & SON.

Sie kannten sich noch von der Ausbildungszeit und gaben sich, rückblickend auf eine bombige Zeit des Schabernacks, die Hand.

„Mensch, Junge! Prima, dass du wieder da bist!“ Rick Beaman freute sich offensichtlich sehr.

„Da hast du aber Glück. In zwei Monaten will der alte Gordon aufhören und in den Ruhestand gehen, und ich habe immer noch keinen Ersatz. Wenn es dir nicht zu lange dauert, würde ich dich gerne einstellen. Was sagst du?“

Dane konnte sein Glück kaum fassen. Er nahm das Angebot dankbar an und ließ alle erforderlichen Unterlagen sofort im Betrieb.

Mit einem dicken Blumenstrauß bepackt, überbrachte er Sarah die freudige Mitteilung, eine feste Anstellung bei BEAMAN & SON gefunden zu haben. Das war ein Grund zum Feiern. Sie fanden ein mexikanisches Restaurant in Topeka und feierten bis spät in die Nacht. Dane musste an Johnathan denken. Er wollte ihn gleich morgen anrufen.

 

Johnathan war außer sich vor Freude, als er Danes Stimme hörte. Er notierte sich eilig die Telefonnummer der Gelton-Farm und fragte neugierig nach Sarah. Dane jagte das ganze letzte Jahr innerhalb weniger Minuten durch den Hörer nach Glendale. Johnathan bemerkte, dass Dane sein altes Temperament wiedergefunden hatte und war glücklich, dass sich seine Entscheidung scheinbar als richtig herausgestellt hatte.

Johnathans Lokal lief bestens. Der Umsatz war in Ordnung, und seine Freundschaft zu Pedro nach wie vor unkompliziert. Das Gespräch endete schließlich mit einer herzlichen Einladung zum Weihnachtsfest, die Johnathan mit großer Freude annahm.

Sarah bemerkte, dass Dane wieder zu sich gekommen war. Es war sicher die Langeweile gewesen, die ihm im Herbst zu schaffen gemacht hatte. Und doch wurde sie das Gefühl nicht los, dass es eher wie die Ruhe vor dem Sturm wirkte. Sie konzentrierte sich auf die Planung der Gästeunterbringung und die Vorbereitungen auf das Fest.

Da sie auch eine Einladung an ihre Eltern geschrieben hatte, war sie ein bisschen enttäuscht, als diese absagten, um zu Hause im Kreise ihrer Geschwister und Kinder zu feiern. Dabei hätte Sarah ihnen so gerne ihr neues Zuhause gezeigt. Dafür versprach sie ihnen einen Besuch im neuen Jahr. Es war ihr auch zu einem wichtigen Anliegen geworden, ihnen endlich Dane vorzustellen, den sie noch nicht einmal durch ein Foto kannten.

So näherte sich das zweite Weihnachtsfest. Endlosem Schneefall folgten bitterkalte Temperaturen.

Die Heddons waren selbstverständlich auch eingeladen, da Sarah und Dane doch das letzte Jahr bei ihnen gefeiert hatten. Ihr einziger Sohn zog es wieder einmal vor, mit seiner Familie in Los Angeles zu bleiben.

Mrs. Heddon und Sarah planten das Essen, während Dane sich mit Mr. Heddon um die Getränke kümmerte.

Sarah und Dane waren aufgeregt wie kleine Kinder. Es sollte ein tolles Weihnachtsfest werden, das beste überhaupt.

 

*

 

Ich traf mit meiner Freundin Linda schon morgens um zehn Uhr ein. Dane mühte sich gerade mit einem riesigen Tannenbaum ab, und ich konnte es nicht fassen, ihn so zu sehen. Was hatte er sich doch gemacht! Gut sah er aus, ja hervorragend. Wir konnten die Tränen der Wiedersehensfreude nicht verbergen.

Während wir uns die Augen wischten, stellte ich ihm und Sarah meine Freundin Linda vor, die Frau, mit der ich bereits anderthalb Jahre glücklich zusammenlebte. Beide schlossen sie sofort ins Herz. Das tat ihr gut und mir auch.

Ich sah mir meinen alten Freund Dane näher an und fand kaum die Worte für meine Gefühle. Da war er wieder, der alte Dane! Er hatte es geschafft!

Sein Haus sah fantastisch aus. Man konnte die vielen Stunden, die an Arbeit und Liebe darin steckten, förmlich riechen. Alles war perfekt. Das war wieder mal Dane. Ich fand nicht eine Stelle, die ich ihm vorwurfsvoll zeigen konnte. Genau wie das Running Horse ließ es auch hier nicht an Perfektion mangeln. Dann sah ich die Scheune und sah, wie Dane mich ansah. Wir sahen beide wieder weg. Die Sache hatte heute keinen Platz zwischen uns. Wir gingen ins Haus, und Linda und ich lernten die Heddons kennen. Wir mochten uns sofort und lachten ohne Ende.

Johnathan traf gegen späten Nachmittag ein. Ein neuer Höhepunkt kam zustande, denn auch wir hatten uns lange nicht mehr gesehen.

Linda sagte mir später, sie hätte mich gar nicht wiedererkannt. Ich sagte ihr, dass es mit Dane und Johnathan früher immer so gewesen sei und zeigte ihr meine Lachfalten. Sie schloss sich problemlos der Fröhlichkeit an. Wir redeten alle durcheinander und doch verstanden wir uns. Es war irre. Ja, wann hatten wir zum letzten Mal so einen Spaß zusammen gehabt? Die Heddons genossen die Geselligkeit als eine nie da gewesene Abwechslung in ihrem stillen Leben. Die Frauen schmückten irgendwann gemeinsam den Baum, während wir Männer uns am Gin ergötzten. Mr. Heddon saß in einer Ecke und genoss schmunzelnd eine dicke Havanna. Das war alles, was er wollte. Ich fand das nicht so ganz in Ordnung und hätte ihn gern in unserer Mitte gehabt, aber jeder war mit seiner Rolle zufrieden. Die Frauen übernahmen gerne die Arbeit und sahen immer wieder zu uns Männern herüber, wie wir drei, ja wir drei, schwatzten, lachten und Gesten verteilten. Wie sollten wir auch all die Jahre, die wir gemeinsam verbracht hatten, in diesen einen Abend packen? Ich weiß nicht mehr wie, aber irgendwie haben wir es geschafft.

Johnathan und ich sahen immer wieder zu Dane. Es ergriff uns wieder diese Faszination, die er verbreitete. Und doch war sie so anders als früher. Er wirkte auf eine merkwürdige Art gelöster. Wir gaben Sarah die Schuld. Dane hatte einen guten Griff mit ihr getan. Sie war das beste, was ihm je in seinem Leben begegnet war. Er wusste das, und das war auch der Grund einer Angst, die er ganz tief in sich trug. Er war durch sie so geworden; sie durfte ihn niemals mehr verlassen.

Alle sahen von gegenseitigen Geschenken ab, die am Ende doch niemand gebrauchen konnte. Es wurde das glücklichste und fröhlichste Weihnachtsfest, das wir jemals gefeiert hatten. Wir machten die Nacht zum Tag. Über glühende Wangen und tiefe Lachfalten hinweg erlitten wir gemeinsam irgendwann in der Nacht eine immer stärker werdende Heiserkeit. Die Heddons machten sich gegen drei Uhr in der Nacht auf den Heimweg. Der Schnee erleuchtete ihnen den Weg zwischen den Feldern.

Die Zeit des Abschieds sollte auch diesmal kommen, auch wenn wir alle nichts von ihr wissen wollten. Die schöne Zeit der letzten zwei Tage machte es für uns alle schwerer als wir dachten. Johnathan und ich sahen Dane noch winken und lachen.

 

*

 

Es kehrte wieder Ruhe in das alte Farmhaus ein. Dane freute sich über das gelungenes Fest. Sarah teilte seine Meinung und atmete seine Komplimente für ihren Einsatz genussvoll ein. Seine Worte waren immer so charmant und reizend.

Dann wurde Dane wieder unruhig und Sarah etwas besorgt. Was war es, dass seine Stimmung so schnell wechseln ließ?

Er entzündete gegen Abend eine Kerze im Wohnzimmer, wie Sarah es eigentlich häufig tat. Aber schon alleine der Umstand, dass Dane es diesmal war und dabei zitterte, beunruhigte sie sehr. Er zitterte immer noch, als er sie in seine Arme zog und küsste.

Heute Abend musste er es endlich klarstellen. Sie hatte es immer irgendwie geschafft, ihn hinzuhalten und dadurch seine Geduld arg strapaziert. Es war ihm in der letzten Zeit zunehmend schwerer gefallen, es vor ihr zu verbergen. Das Fest hatte ihn schließlich wieder etwas zur Ruhe kommen lassen, aber jetzt war es vorbei. Er trug schon seit vielen Wochen einen Ring mit sich herum und hatte auf die Gelegenheit gewartet, in der Sarah sich endlich entscheiden würde. Sie hatte es nicht getan. Jetzt musste er nachhelfen! Er griff in seine rechte Hosentasche und holte ein kleines Päckchen hervor. Es war wunderschön eingepackt. Sarah stockte der Atem, als sie das Etikett eines Juweliers Edding sah. Jetzt zitterte auch sie. Sie war auf alles Mögliche vorbereitet, aber nicht auf das, was sie nun vermutete. Sie nahm die kleine, verpackte Schachtel entgegen und errötete. Dane sah sie erwartungsvoll an. Sein Blick drängte sie, sein Geschenk auszupacken. Sarah fand einen goldenen, schlichten Ring in der Schachtel. Sie konnte weder lächeln noch etwas dazu sagen. Ihr Herz schlug wild um sich, und es begannen sie endlose Schluckeskapaden zu quälen.

Dane machte ihr auf seine Art einen Heiratsantrag. Er hatte es nicht zu Weihnachten getan, nicht als all seine Freunde da waren. Er machte es jetzt, wo sie ganz allein waren, wo er nur Zeit für sie hatte. Dieser wichtige Augenblick sollte nicht im Trubel eines Festes untergehen.

Sarah konnte nicht glauben, was er zu ihr sagte. Es waren so wunderschöne Worte. Sie fühlte sich wie in einem Traum. Die Worte klangen so sanft aus seinem Mund, dass sie ihr Gesicht in beide Hände verbarg und weinen musste. Wie konnte sie eben noch daran gedacht haben, er könnte eine unangenehme Überraschung für sie bereithalten?

Dane war zunächst etwas irritiert, aber dann wartete er geduldig, bis sie sich beruhigt hatte. Sie musste ihm heute unbedingt noch eine Antwort geben. Wenn das der Preis war, um sie hier auf der Farm zu halten, so sollte sie ihn bekommen.

Leise vernahm er ein schluchzendes ja und nahm sie zutiefst erleichtert in seine Arme. Er weinte. Sie sah es nicht, denn er weinte ohne Tränen. Sie wimmerte irgend etwas von einer glücklichen Erinnerung und einer Zukunft, aber Dane hörte es kaum. Er war zu sehr mit seiner Erleichterung beschäftigt. Nun musste sie die nächste Entscheidung treffen. Und das war der Abschied von Denver.

 

*

 

Der erste Besuch bei Sarahs Eltern stand auf dem Programm. Eine Pflicht, der Dane nicht mit Freuden nachkam, aber er bemühte sich, seine Unlust so gut es ging vor ihr zu verbergen. Er nahm sich vor, ihren Eltern charmant und gut gelaunt zu begegnen.

Dieser Vorsatz hielt gerade bis zur Haustüre und fiel dann wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Es empfing ihn und Sarah ein so riesiger Begrüßungstrubel der Familie Newshorn, dass es ihn zu erdrücken begann. Unzählige Familienmitglieder scharrten sich um ihn herum wie um einen Außerirdischen, der begutachtet wird. Sie löcherten ihn mit endlosen Fragen. Er hasste diese Fragerei. Sie wühlten in ihm herum. Er wurde das beklemmende Gefühl nicht los, in etwas hinabzustürzen, in das er nicht hinabstürzen wollte. Er wusste nicht, dass Sarahs Familie so groß war. Warum hatte sie ihn nicht gewarnt?

Die liebgemeinte Gastfreundlichkeit wurde zu einer niederschmetternden Farce, und nur mühsam konnte er sein Lächeln aufrechterhalten. Wo er früher den Trubel geliebt hatte, brach er nun unter ihm wie ein räudiger Hund zusammen.

Sarah bemerkte sein Unbehagen und zuckte ratlos die Schultern. Sie hatte nicht gewusst, dass ihre Wiederkehr ein solches Ereignis sein würde. Ihre Mutter hatte ausnahmslos die gesamte Familie zusammengetrommelt. Sie tat immer das, was Sarah nicht mochte. Und doch hatte es immer diesen lieben Anschein für die Anderen.

Sarah fühlte sich schlecht, als sie Dane in ihrer Familie untergehen sah, doch die Zeit sollte vorbeigehen. Um wenigsten nachts zur Ruhe zu kommen, übernachteten sie in einem Motel.

 

Als Dane das Zimmer betrat, ließ er sich erschöpft ins Bett sinken. Er konnte einfach nicht mehr. Sie hatten versucht, ihn wie eine Zitrone auszupressen, aber es war ihnen nicht gelungen. Was ihnen jedoch gelang, war, seine Abscheu zu schüren, die sich fortan gegen sie richtete.

Doch die anstrengende Zeit sollte auch ihr Gutes mit sich bringen. Sarah fällte endlich die Entscheidung, auf die er so lange schon gewartet hatte: Sie war bereit, ihren Wohnsitz in Denver aufzugeben. Damit entschuldigte Dane alle Strapazen der letzten zwei Tage.

 

Er fuhr mit ihr zufrieden zurück nach Valley Falls. Aber noch zufriedener war er mit Sarahs Mutter, die offensichtlich kein gutes Verhältnis zu ihrer Tochter hatte. Dane trug ein großartiges Gefühl in sich. Nun gehörte ihm Sarah ganz allein.

 

 

Januar 1995. Valley Fall / Kansas. Dane, 40 Jahre.

 

Hol mich hier raus!, schrie das Loch.

Ich komme, antwortete Dane.

 

Bisher war er der Scheune immer aus dem Weg gegangen – war es Angst? Er wusste es nicht. Die Langeweile aber trieb ihn schließlich zu der Entscheidung, sich endlich darum zu kümmern. Und eines Tages, es war Ende Januar, sah Sarah ihn am späten Nachmittag darin verschwinden. Damit wusste sie, dass sich bald wieder eine große Veränderung zeigen würde. Sie bekam wieder diese Angst und dachte an ihre Wohnung in Aurora, die ihre Mutter gerade dem neuen Untermieter übergab.

Danes Lachen war seit gestern fast ganz verschwunden. Das hatte sie schon aufmerksam gemacht.

Er betrat die Scheune. Sie fraß ihn beim Eintritt regelrecht auf. Wie das Maul eines riesigen Wals schlang sie Dane in sich hinein.

Er hatte sie größer in Erinnerung. Zwei kleine Fenster links und rechts ließen ein spärliches Licht hinein. Eine alte Petroleumlampe, die Dane entzündete, hellte einen kleinen Radius zusätzlich auf.

Es roch immer noch nach der damaligen Schweinezucht. Deutlich zeichneten sich die Umrisse des Stalls ab.

Ganz unverhofft knackte es plötzlich! Das Geräusch war von hinten gekommen. Dane fuhr erschrocken herum und sah zur Tür. War Sarah ihm gefolgt? Nein, die Scheunentür war zu.

Irritiert ging Dane tiefer in die Scheune hinein – bis zur Mitte. Er schloss die Augen und wartete auf das, was dieser Ort ihm mitzuteilen hatte. Unzählige Qualen hatte diese Scheune miterlebt, Schreie der Verzweiflung widerhallen lassen und niemals eine Rache dafür zu spüren bekommen. Das sollte sich hier und heute ändern.

Danes Atem wurde schwer. Die Luft erschien ihm zäh und stickig. Er roch wieder die Schweine und hörte, wie sie quiekten. Er spürte die Prügel, die er neben seinem Missbrauch ertragen musste. Sein Körper war ständig geschunden, voller Blessuren und Hämatome.

Eisige Kälte fraß sich in seine Hände und Füße. Er spürte den innerlichen Hass aufkommen. Auf leisen Sohlen schlich er sich in seine Gefühle.

Wieder knackte es! Wieder hinter ihm! Das gleiche Geräusch. Wieder fuhr Dane erschrocken herum. Nichts! Hatte er Halluzinationen oder war es nur der Wind? Wollte dieser Ort ihm nun den Rest seines gesunden Menschenverstandes rauben oder war es nur der Wind?

 

Wenn einer aus Hass getötet wird, kehrt er zurück, flüsterte das Loch.

 

Weit entfernt hörte er wimmernde Kinderstimmen – oder war es nur der Wind? Die Stimmen waren zu weit weg, um sie zu verstehen. Wie ein gequältes Geheul geisterten sie durch die Scheune.

Sein Blick schweifte umher, als wollte er die Stimmen damit einfangen. Sie veränderten sich schließlich zu einem Geheul des Windes. Scharf pfiff er durch die Ritzen in das Innere der Scheune, dass es Dane schauderte. Das Holz knarrte mit schaurigem Gesang, der sich mit den Erinnerungen aus seiner Kindheit mischte.

„Zehn Minuten halte ich noch aus, dann renn' ich raus“, sagte er leise zu sich, schloss die Augen und begann, wie früher als Kind, die Sekunden zu zählen. Dann wieder das Geräusch! Dane riss die Augen auf! Nichts. Er musste noch einmal von vorne mit dem Zählen beginnen. Dann war das Geräusch so unmittelbar hinter ihm, dass es schon keine Täuschung mehr sein konnte.

Er spürte etwas um sich herum und konnte nicht mehr weiterzählen. Was würde er sehen, wenn er sich jetzt umdrehte?

Er drehte sich um – ganz langsam. Es sah einen Nebel, ein Nichts und doch war da ein Schatten mittendrin. Als der Nebel sich legte, bekam der Schatten eine Kontur. Es wurde die Gestalt eines Mannes sichtbar, groß und breitbeinig stand er vor ihm. Ein riesiges Wahnbild.

Er konnte es nicht sein! Er war tot! Es war nur eine Täuschung des Nebels! Nichts weiter. Dane versuchte, ein verächtliches Grinsen über die Lippen zu bringen, aber sein Mut verließ ihn, bevor das Grinsen kommen konnte.

„Ich schließe jetzt die Augen, und wenn ich sie wieder öffne, ist alles weg“, flüsterte er sich zu. Er tauchte in seinen Kindesverstand hinein und kniff verkrampft die Augen zusammen. „Ich mache sie nicht mehr auf. Ich mache sie einfach nicht mehr auf. Ich gehe jetzt mit geschlossenen Augen hinaus und mache sie erst draußen wieder auf.“

Gott, er war wieder ein Kind! Er erinnerte sich, dieses Spiel als Sechsjähriger häufig gespielt zu haben. Besonders dann, wenn seine Mutter ihn hier hineingeschickt hatte, um Gemüse zu holen.

Er begann zu blinzeln, also doch ein bisschen mutiger als ein Kind. Sein Vater stand immer noch da und starrte ihn stumm an. Dane kniff die Augen schnell wieder zu und begann langsam zum Tor zu gehen. Ein „Hey“ ließ ihn in seiner Bewegung erstarren. Erschrocken zuckte er beim Klang der Stimme zusammen. Kein Wahnbild?

Dane flüsterte: „Was willst du hier?“, und hielt die Augen weiterhin geschlossen. Wo war der Erwachsene in ihm? Sollte er inzwischen nicht über diesen Dingen stehen? Sein Vater konnte nicht in dieser Scheune sein. Er konnte nirgends sein. Diese Gestalt war reine Einbildung.

Der Gedanke ließ Dane schließlich wachsen, und er öffnete seine Augen.

Sein Vater war groß. Er war immer schon groß gewesen; selbst jetzt, wo Dane erwachsen war, reichte er an diese Körpergröße nicht heran. Immer noch musste er seinen Kopf anheben, um ihn anzusehen.

Dane trat zwei Schritte zurück. Sein Vater blieb stehen. Wie konnte das sein? Hatte er nicht gerade mit ihm geredet! War das "Hey" nicht aus seinem Mund gekommen? Dane sah zu den Fenstern. Sarah war nicht in der Nähe, also wagte er ein Gespräch: „Ich fragte, was willst du hier?“

Die Gestalt antwortete leise: „Ich will mit dir reden.“

Dane glaubte es nicht! Er sprach mit seinem Vater! Seinem toten Vater! Er fühlte sich albern. „Was meinst du mit reden?“

„Von Mann zu Mann“, antwortete sein Vater wieder.

In Dane brauten sich sofort gewaltige Aggressionen zusammen, und er wurde laut: „Du bist kein Mann! Du bist ein Schwein! Ein Mann vergreift sich nicht an seinen Kinder! Nur Schweine! Und Schweine bringt man um! Hast du mir selbst gesagt.“

„Ja, Dane, du hast mich umgebracht! Du hast abgedrückt! Jetzt bin ich tot, ja.“

Sein Vater hatte es also mitbekommen, obwohl er die Waffe doch selbst in der Hand hatte. Dane hatte nur ein wenig die Ausrichtung verändert und am Abzugshahn etwas nachgeholfen. Nur ein kleiner Druck war es gewesen. Damit war die ganze Geschichte vorbei.

„Ich weiß, was passiert ist, aber deshalb bin ich nicht hier“, sagte sein Vater. „Es gibt etwas, was du wissen solltest. Nur damit du endlich Frieden mit dir und mir schließen kannst.“

„Was ich weiß, reicht mir! Zwischen uns wird es niemals Frieden geben! Du hast alles in mir zerstört, was man zerstören kann! Soll ich mir jetzt auch noch eine Entschuldigung dafür anhören?“

Die illusionäre Figur seines Vaters bewegte sich plötzlich. Sie setzte sich auf einen Tisch. Wo kam der Tisch her? Der Tisch, der seinem Vater jahrelang als Hilfsmittel für seine Befriedigung gedient hatte. Der Tisch, den Dane jahrelang unter sich gespürt und der seine Leisten wundgescheuert hatte. Hatte er am ersten Tag auf dieser Farm nicht alles aus der Scheune hinausgeworfen und verbrannt? Wie, verdammt noch mal, kam der Tisch hierher?

Einbildung, dachte Dane wieder, genau wie sein Vater, reine Einbildung.

Dane war fassungslos über sich und über das, was sich vor seinen Augen abspielte. Er gab seiner Verwirrung freien Lauf: „Das gibt's doch nicht! Du bist doch nicht wirklich hier! Das alles findet nicht wirklich statt!“

Sein Vater aber lächelte ihn an. „Ich werde dir jetzt etwas sagen, wofür ich nie Zeit gefunden habe.“

Danes Atem wurde stoßend. Wofür er nie Zeit gehabt hatte! Musste er sich das bieten lassen? Von einer Einbildung? Was zum Teufel hatte sein Vater ihm noch zu sagen?

„Dann fang endlich an!!“, schrie er ungehalten, und sein Vater begann: „Dane, ich wollte dir nie weh tun ...“

Das reichte schon! Damit verlor Dane den letzten Rest seiner Fassung und rannte ungehalten auf etwas zu, das er weder erreichen noch vernichten konnte. Er wusste es, und er tat es trotzdem, schon alleine, um diese Einbildung zu zerstören, die so erbärmlich an seinem Verstand nagte.

Schreiend stieß er in den Nebel, in dem sich sein Vater wieder verhüllte und stürzte mit dem Holztisch, der tatsächlich noch in der Scheune stand, zu Boden. Er verletzte sich dabei an der rechten Hand, die sich unter der zersplitterten Holzplatte vergrub. Blut überströmte die Hand. Sein Vater war weg. Zurück blieb nur dieser zerbrochene Tisch, von dem Dane immer noch nicht wusste, wie er wieder in diese Scheune gelangt war. Er schlug im Wahn seiner Wut auf das Holz ein und heulte.

 

Dass Sarah ihm heimlich gefolgt war, hatte er nicht mitbekommen. Sie hatte vom Seitenfenster aus alles beobachtet und gehört. Es war ihr so unheimlich, wie nie etwas zuvor in ihrem Leben. Sie hatte gewusst, dass diese Scheune gefährlich für ihn war. Sie hätte einen Abriss in die Wege leiten sollen. Nun war es zu spät. Nun hatte sie Dane wieder in den Bann gezogen. Sie barg Krankheit und Tod in sich, Dingen, nach denen Dane zu trachten schien.

Dabei war Dane nur auf dem Weg, Frieden mit seiner Vergangenheit zu schließen. Eben auf seine Art.

Sarah rannte heulend ins Haus.

 

Dane riss die riesige Scheunentür auf und warf die Reste des Tisches auf den Hof hinaus. Es war wie am ersten Tag auf dieser Farm. Er kehrte wieder in die Scheune zurück und ließ seinem Zerstörungswahn freien Lauf. Alles, was er am ersten Tag nicht hinausgeschafft hatte, würde er jetzt hinausschaffen. Er trat das Tor zum Schweinestall ein, hinter dem er einmal so erbärmlich verharren musste, hievte das zersplitterte Holz aus den Scharnieren heraus und warf es dem Tisch hinterher. Mit der Axt schlug er alles kurz und klein, was die Scheune nicht zum Einsturz bringen würde. Er raffte und wühlte das zerschlagene Holz auf dem Hof zusammen und versuchte es zu entzünden. Drei Versuche brauchte er, bis es zündete. Kurze Zeit später erleuchtete wieder ein gigantisches Feuer die Farm. Dane setzte sich schniefend dazu, geblendet von der Helligkeit der Flammen. Die starke Hitze brannte auf seiner Haut und versenkte die Haare an seinen Armen. Sein Gesicht war von Tränen schwarz verschmiert, die Haare klebten wirr um seinen Kopf. Die Hände schmerzten. Immer noch rann das Blut aus der Wunde an seiner rechten Hand und mischte sich mit dem Blut vieler anderer, kleineren Wunden.

Als das Feuer erlosch war es bereits tief in der Nacht. Vor ihm kräuselte sich die Asche, die sich durch den Wind in alle Richtungen verwehte. Ein Gefühl des Sieges stieg in ihm auf. Er hatte den ersten Kampf gegen diese Scheune gewonnen. Seine Kraft war für heute verbraucht.

Leise schlich er sich ins Haus unter die Dusche.

 

Sarah hatte dem Feuer vom Küchenfenster aus zugeschaut. Sie hatte seine Schreie gehört und seinen Schweiß auf den Boden des Hofes tropfen sehen. Seine Kraft war gigantisch. Sie musste sich die Ohren zuhalten, um dies alles zu ertragen und hatte gegen ihre Angst gekämpft. Sie war nach oben gerannt und hatte seinen Brief, den er einst so liebevoll an sie gerichtet hat, herausgesucht und gelesen. Gegen sie richtet sich meine Aggression und Wut, nicht gegen dich. Die Scheune, diese verfluchte Scheune hatte er gemeint.

Die Heddons riefen an, ob alles in Ordnung sei. Sie hatten Feuer gesehen. Sarah beruhigte sie. Dane würde nur Holzreste verbrennen.

Nichts war in Ordnung.

Sie hörte irgendwann in der Nacht die Dusche und fand ihn schließlich tief schlafend im Bett. Seine rechte Hand war in Toilettenpapier eingewickelt.

 

*

 

Dane Gelton wollte oder konnte sich an diesen Vorfall nicht mehr erinnern. Sarah war zum ersten Mal nach langer Zeit wieder verzweifelt. Was für ein Schauspiel war da gestern in der Scheune passiert?

Er braucht unbedingt Hilfe, dachte sie und sah seine tiefe Wunde an der Hand. Seine Anfälle waren wieder da. Sie wurden schlimmer. Widerstandslos ließ er sich von ihr verarzten und hüllte sich in Schweigen. Ihre Fragen blieben nur vergebliche Versuche, ihm helfen zu wollen. Er wollte weder Hilfe annehmen noch über über den Zwischenfall in der Scheune reden. Er wollte es auf seine Art erledigen.

Der Kaffee und das Frühstück taten ihm jedoch gut.

 

Wie geht es dir?, fragte das Loch.

Gut, antwortet Dane kurz angebunden.

Ist es nicht wunderbar, dass wir wieder zusammen sind?

Dane schwieg. Er dachte an Sarah.

 

„Wir sollten die Scheune abreißen lassen“, schlug Sarah vor und sah Dane erwartungsvoll an.

Er sah auf, erschrocken, als hätte sie ihm eine Todesnachricht überbracht.

„Du solltest nicht mehr hineingehen“, flehte Sarah weiter.

 

Hilfe!, schrie das Loch. Das darfst du nicht zulassen!

 

Dane sah zum Fenster hinaus, als hätte er ihre Worte nicht gehört.

„Ich habe doch nur weiter aufgeräumt“, sagte er tonlos. Das hatte er, in der Tat. „Sie muss doch aufgeräumt werden. Wir werden sie brauchen, für den Wagen, Holz und Gemüse und ...“

„Wir werden eine neue Scheune bauen lassen. Eine schöne, kleinere, die besser zu uns passt. Dieses alte Ding ...“

 

Sie will uns trennen!, schrie das Loch verzweifelt.

 

Dane erhob sich. Sein Kopf schmerzte. Er hatte heute viel zu tun. Er hatte Mr. Heddon versprochen, bei der Renovierung eines seiner Zimmer zu helfen. Und außerdem würde Mrs. Heddon gleich zu Sarah kommen, um mit ihr neue Gardinen für das Zimmer zu nähen. Es wurde Zeit, den alten Gemäuern der Heddon-Farm neuen Pfiff zu verleihen.

 

*

 

Das nächtliche Gespräch mit seinem Vater ließ Dane in der darauffolgenden Nacht keine Ruhe. Was er jäh mit Aggressionen unterbrochen hatte, machte ihn nun neugierig. Was wollte und konnte sein Vater ihm schon sagen?

Es war weit nach Mitternacht, als er sich leise zur Scheune schlich. Der Eintritt war nicht mehr so schauderhaft wie am ersten Tag, und doch war es unheimlich. Er entzündete wieder die Petroleumlampe und sah sich in der leeren Scheune um. Es begann, ihn zu frieren. Er wartete. Es tat sich nichts. Nirgends bildete sich ein Nebel, und nur die üblichen Geräusche der Nacht umgaben ihn.

Er entschied schließlich, dieser wahnwitzigen Idee ein Ende zu setzen. Es erschien ihm plötzlich albern, hier auf etwas zu warten, was gar nicht existieren konnte. Er spuckte verachtend auf den Boden und bewegte steif seine unterkühlten Glieder. Genau in diesem Augenblick raunte etwas durch die Luft. Es war wie ein Windzug. Dane sah sich erschrocken um. Da war der Nebel wieder, direkt vor der Scheunentür. Eine große Gestalt entglitt dem Nebel und baute sich deutlich vor ihm auf. Dane wagte es kaum zu atmen. Er betrachtete das Gesicht seines Vaters und stellte erstaunt fest, dass es weder jung noch alt war; es war zeitlos geworden. Dane spürte, wie sich seine Muskeln spannten und er von dem Blick zu seinem Vater nicht ablassen konnte.

Sein Vater schien jetzt starr zu sein. Wie eine unbewegliche Schaufensterpuppe verharrte er vor ihm. Dane wurde es unheimlich.

„Was hast du mir zu sagen?“, fragte er leise. Kaum dass seine Stimme erklang, begann das Wahnbild zu leben. Die Augenlider seines Vaters bewegten sich zaghaft auf und nieder, und auch seine Arme zeigten kleine Anzeichen von Bewegungen.

Dane spürte, wie seine Knie weich wurden. Ihn holten Angst und Aufregung zugleich ein. Wie um Himmels Willen konnte das nur möglich sein? Hatte ihn der Wahnsinn gepackt?

Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und ging zitternd auf die Knie. Sein Körper klappte wie ein Klappmesser zusammen, sein Gesicht berührte den Boden. Er heulte. Und heulte.

Sein Vater stand vor ihm und sah auf ihn nieder. Da lag sein Sohn, direkt vor seinen Füßen, wie ein verlorenes Bündel Mensch. Er wusste, dass es nur die innere Zerrissenheit war, die ihn in diese Stellung zwang. Sein Sohn war weder durchgedreht noch geisteskrank. Er war nur am Ende seiner Kraft. Da musste er hinkommen, um wieder neu zu beginnen.

 

Sarah sah ihn vom Flurfenster aus wieder in dieser Scheune verschwinden. Wie konnte sie ihn aufhalten? Seine Schritte waren so entschlossen, als er auf dieses Ding zuging. Sie hatte Angst, ihn erneut anzusprechen, weil sich seine Gewalt dann auch gegen sie richten könnte.

Doch sie konnte nicht anders und folgte ihm wieder heimlich. Sie schlich über den Hof zu dem kleinen Fenster an der rechten Seite und schaute vorsichtig hinein. Dane kniete zusammengesackt in der Mitte der Scheune und weinte. Dann sah sie, wie er sich wieder aufrichtete und mit jemandem zu reden begann. Er veränderte seine Stimme dabei und gestikulierte mit seinen Händen in der Luft herum. Sie horchte angestrengt und versuchte, seine Worte zu verstehen.

 

„Ich habe nicht gelernt, mit allem so intelligent umzugehen wie du“, sagte Will Gelton und sah seinem Sohn direkt in die Augen. Eine Geste, die ihnen früher gänzlich fremd war. Dane kniete vor ihm und sah schweigend zu ihm hoch.

Sein Vater sprach weiter: „Ich habe Ziele und Wünsche gehabt, wie jeder andere Mensch auch, aber ich konnte sie einfach nicht erreichen. Und das hat mich wütend gemacht. So wütend, dass ich nicht anders konnte und es an euch ausließ.“

 

Mit wem sprach Dane überhaupt? Wer in Gottes Namen hat seine Wut anders ausgelebt? Sprach er von sich selbst? Sprach er mit seinem Vater? Wollte er auf diesem Wege Frieden mit seinem Vater schließen?

Sarah war zutiefst beunruhigt. Das war keine aktive Vergangenheitsbewältigung mehr, das grenzte an eine Form von Wahnsinn oder Geisteswahn.

 

„Ich wollte es für euch zu Wohlstand und Glück bringen, aber das verdammte Land warf keinen müden Heller über unseren Verbrauch hinaus ab.“

„Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“, fragte Dane ganz ruhig.

„Du meinst, dass unser Glück nicht vom Wohlstand abhängen musste?“

„Zum Beispiel.“

„Ich dachte nicht so. Ich glaubte immer, Ihr würdet nur glücklich sein, wenn es uns finanziell wirklich gut ginge.“

„Hast du uns je danach gefragt?“

„Das brauchte ich nicht. Ich sah ja, wie unglücklich Ihr ward.“

„Hast du Mom je danach gefragt, ob sie deswegen so unglücklich war?“

„Warum?“

Dane fühlte sich ganz ruhig und antwortete: „Überleg doch mal. Wie hast du dich ihr und uns gegenüber benommen? Was hast du ihr und uns angetan? Ich hab' Mom lachen sehen, wenn sie alleine war. Sie konnte wirklich lachen. Sie brauchte dein Geld nicht dazu. Was sie brauchte, war deine Liebe. Stattdessen hast du ihr und uns Gewalt angetan.“

„Aber sie hat nie etwas gesagt!“

„Nein. Weil sie Angst vor dir bekommen hat. Sie hat dich geliebt. Du weißt doch, dass Mom nie viel redete und schon gar nicht über ihre Gefühle.“

„Mein Vater hat mich andere Dinge gelehrt. Für ihn war Geld das Wichtigste. Er hatte so viel erreicht und erwartete das Gleiche von mir. Er hat mich oft bestraft, wenn mir etwas misslang. Dann hat er mich angefasst, mich geschlagen und manchmal tagelang im eiskalten Keller eingesperrt. Ich wollte so gerne alles anders machen mit deiner Mutter, aber ich hatte keine Chance. Es war so tief in mir drin. Der Hass, alles. Und es kam, wie es kommen sollte.“

„Du bist von deinem Vater angefasst worden?“ Dane stockte. Er fühlte sich verwirrt. Das hatte er nicht gewusst.

Sein Vater nickte. „Wie kann ich es dir beweisen?“, fragte er.

Dane sah zu Boden und zuckte mit den Schultern. In ihm lag eine große Ruhe, aber plötzlich auch Mitgefühl. Der Versuch, Frieden mit seinem Vater zu schließen, fruchtete.

Will Gelton schaute zur Decke und dachte nach. Dann fiel ihm etwas ein: „Schau oben auf dem Dachboden nach. Deine Mutter hat Tagebuch geführt. Vielleicht kannst du darin einige Antworten finden.“

Dane sah zu seinem Vater auf. Vor seinen Augen löste sich die Illusion plötzlich auf, und zurück blieb eine karge Dunkelheit.

In Dane herrschte immer noch eine große Stille. Er kam langsam hoch und blies die Lampe aus.

Damit hatte er mit seinem Vater endgültig Frieden geschlossen. Jetzt war seine Mutter an der Reihe.

 

Sarah rannte so schnell sie konnte über den Hof in das Haus zurück und verkroch sich ins Bett. Ihre Hände und Füße waren stark unterkühlt. Dane durfte nichts bemerken. Sie hörte ihn unten in der Küche herumhantieren.

„Was ist los?“, rief sie nach unten, um die Situation natürlich erscheinen zu lassen.

„Ich suche nur etwas“, rief Dane hoch.

„Mitten in der Nacht?“

„Ich konnte nicht einschlafen. Dann ist mir eingefallen, dass ich für Rick noch etwas habe, was ich nächste Woche mitbringen wollte. Du weißt ja, dass ich nächste Woche bei Beaman wieder mit der Arbeit anfange. Ich komm gleich hoch. Schlaf du nur. Ich komm gleich.“

Er kam in dieser Nacht nicht mehr zu Sarah ins Bett. Sie wusste nicht, was er unten wirklich gemacht hatte, aber es hatte ihn bis in die Morgenstunden beschäftigt.

 

*

 

Am nächsten Morgen wurde Sarah mit einem hübsch gedeckten Frühstückstisch empfangen. Frische Blumen sollten sie für die nächtliche Ruhestörung entschädigen. Sie verloren kein Wort über den gestrigen Zwischenfall.

Er brachte Sarah anschließend mit den Heddons in die Stadt. Mrs. Heddon wollte mit Sarah zum Friseur und danach noch gemütlich bei Winnies essen. Mr. Heddon wollte sich mit einem alten Freund treffen.

Es war für Dane die Gelegenheit, sich ungestört im Haus zu bewegen und den Dachboden zu durchstöbern. Er holte polternd die Dachbodentreppe herunter und stieg mit einer Taschenlampe hinauf. Oben stieß er auf Dinge aus seiner Vergangenheit. Da stand seine Babywiege, die sein Vater einmal selbst gezimmert hatte und die die Initialen aller drei Gelton-Kinder trug. Alte Stühle standen dahinter, passend zu der alten Küche. Hatten seine Eltern eine noch größere Familie geplant?

Dann sah er den alten Sekretär seiner Mutter. Wie oft mochte sie davor gesessen und geschrieben haben? Er war verschlossen. Dane befreite das Möbelstück mit einem Lappen von dem jahrelangen Staub. Er konnte es nicht fassen, wie logisch sich die Geschichte seines Vaters zu gestalten begann. Wie war es möglich, dass hier oben noch so viele alte Dinge herumstanden? Hatte er das Haus nicht schon von all diesen Dingen befreit? Hatte er den Dachboden dabei vergessen?

Er holte den Schlüssel, den er des Nachts in der Küche gesucht hatte, aus seiner Hosentasche und schloss den Sekretär damit auf. Er fand alte Briefe seiner Großeltern, Verwaltungsunterlagen der Farm und zwei kleinere Bücher. Das waren sie! Zwei verstaubte und vergilbte Tagebücher sollten alles ans Tageslicht bringen, mehr als Dane verarbeiten konnte. Er nahm die Bücher an sich und kletterte die Treppe wieder hinunter. Er schloss die Klappe zum Dachboden und versteckte die Tagebücher in seinem Kleiderschrank. Dann reinigte er seine Hände und ging unter die Dusche. Er war alleine. Er duschte stundenlang.

 

*

 

Sarah fühlte sich schon vom ersten Tag an bei Mrs. Heddon gut aufgehoben. Sie hieß Heather mit Vornamen und mochte es, wie sanft Sarah ihren Namen aussprach. Sie war gerne mit ihr in der Stadt unterwegs und genoss heute das klare wenn auch kalte Wetter mit ihr.

Mrs. Heddon hätte sich nie träumen lassen, einmal eine Frau an ihrer Seite zu finden, mit der sie sich so gut verstehen würde, wie mit Sarah. So war sie stets daran interessiert, wie es ihr und Dane auf der Farm erging.

Heute wirkte Sarah bedrückt. Es war ihr klar, dass jedes Paar auch schwere Zeiten durchlebte. Nach 50 Ehejahren mit Raimund konnte sie ein Lied davon singen.

Sarah liebte es, mit Heather zusammen zu sein. Sie ersetzte ihr die Mutter, die sie nie gehabt hat. Ihre leibliche Mutter hatte zwar immer für ihr leibliches Wohl gesorgt, aber ihre Seele dabei vergessen. Die hatte Sarah dann ihrem Vater geschenkt, der sie so liebte, wie sie war. Das wiederum verursachte eine große Eifersucht ihrer Mutter. Um so befreiter fühlte sich Sarah, als sie mit Dane nach Kansas ziehen konnte, über tausend Meilen von Denver entfernt.

Hier hatte sie endlich Ruhe vor den ständigen Angriffen ihrer Mutter. Dafür hatte sie jetzt allerdings ein großes, neues Problem. Man konnte eben nicht alles im Leben haben, und Sarah nahm sich fest vor, dieses Problem zu beseitigen. Sie wollte nie wieder zurück nach Denver.

„Wie geht es euch?“, fragte Mrs. Heddon und unterbrach Sarah in ihrer geistigen Abwesenheit. Sie saßen im Winnies und ließen hier ihren gemeinsamen Tag bei einem leckeren Mittagessen ausklingen.

Sarah stocherte appetitlos in ihrem Teller herum und überlegte, ob sie Heather in ihre Probleme einweihen sollte. Es war nicht gut für Dane, wenn andere Menschen von seinem Problem erfuhren. Sarah musste ihm zugute halten, dass er auch nicht mit ihren Problemen bei anderen hausieren ging. Wenn sie richtig darüber nachdachte, hatte Dane auch keine wirklichen Freunde hier. Hier war nur Mr. Heddon, dem er hin und wieder auf seiner Farm half, wenn die Arbeit zu schwer für den alten Mann geworden war. Dane hatte ein glückliches Händchen für die Fürsorge der Heddons, fand Sarah. Er hatte ein gutes Herz. Und genau das war es, was sie veranlasste, Heather einzuweihen. Sie kannten sein gutes Herz und konnten sicherlich den einen oder anderen Tipp an Sarah weitergeben.

Sarah sah Mrs. Heddon an und sagte: „Dane geht es nicht gut.“

Mrs. Heddon hatte noch nie darüber nachgedacht, dass es Dane schlecht gehen könnte. Er war mit so viel Energie hier wieder angekommen, dass sie eher vermutet hätte, es wäre ihm in Kalifornien schlecht ergangen. Umsomehr erschrak sie über Sarahs Worte.

„Ist er krank?“, fragte sie besorgt.

„Das kann ich noch nicht sagen.“ Wie sollte sie es ihr mitteilen? Sie sagte: „Erzähl mir von früher. Was weißt du alles von den Geltons.“

Heather sah wie ein überraschtes Kind in die Luft, rollte mit ihren Augen und gestikulierte mit den Händen herum. „Oh, mein Gott! Wo soll ich nur anfangen? Raimund und ich hatten nie viel Kontakt zu den Geltons. Niemand mochte Will, Danes Vater. Er war so abweisend und unsympathisch. Es hatte auch niemand hier verstanden, wie er so eine nette Frau finden konnte. Er war ein Kotzbrocken, entschuldige, aber das war er. Er sprach nicht, er blaffte einen an. Wir haben das Wort erfunden. Gelton hat wieder geblafft, sagten wir immer.“ Mrs. Heddon musste kichern und fuhr fort: „Samantha bekam drei Kinder von ihm.“ Sie hielt sich den Handrücken vor den Mund und flüsterte zu Sarah: „Es darf keiner wissen, aber sie hatte keinen normalen Geschlechtsverkehr mit ihm. Er konnte nur … du weißt schon … wenn er sie mit Gewalt nahm.“

Davon hatte Dane nie etwas erzählt! Oder hatte er es als Kind nicht mitbekommen?

Mrs. Heddon fuhr fort: „Er hat sie oft in der Scheune vergewaltigt, weißt Du. Damit seine Kinder nichts mitbekamen.“

Wieder diese verdammte Scheune!

Mrs. Heddon fuhr flüsternd fort: „Samantha hat es mir mal erzählt. Danach durfte sie nie wieder mit mir reden. Als sie Dane in sich trug, trug ich gerade George in mir. Sie kamen fast zur gleichen Zeit auf die Welt. Kate, unsere Hebamme, erzählte mir, das Samantha eine sehr beschwerliche Schwangerschaft und eine sehr schwere Geburt mit ihm hatte. Sie hatte ihn in der Scheune zur Welt bringen müssen, damit das Schlafzimmer nicht verschmutzte. Danes Köpfchen war im Geburtskanal stecken geblieben, und als sie den kleinen Kerl endlich raus hatten, war er schon ganz blau angelaufen. Die Hebamme wollte sofort einen Krankenwagen rufen, aber der alte Gelton hat sie von der Farm gejagt. Er hat ihr hinterhergeschrien, sie solle sich nie wieder hier sehen lassen. Vielleicht konnte er den Transport nicht bezahlen. Als Samantha vier Jahre später wieder schwanger war und sie eine Hebamme brauchte, war Kate Gottseidank schon in den Ruhestand getreten. Dafür kam Elisabeth, die neue Hebamme. Sie brachte dann Kevin auf die Welt. Ja, und das war ...“ Mrs. Heddon schaute unsicher im Restaurant herum, ob ihr auch niemand zuhörte, „... eine ganz merkwürdige Angelegenheit. Ich habe den Jungen nie gesehen. Es wurde gemunkelt, dass er sehr früh an einem Kindstod verstorben sei. Aber das glaube ich nicht, ehrlich gesagt.“

Sollte Sarah sie aufklären?

Mrs. Heddon fuhr fort: „Diesem Gelton war alles zuzutrauen.“

„Wie war Dane als Kind?“, fragte Sarah.

Jetzt nahm Mrs. Heddon die schützende Hand vor ihrem Mund wieder weg. „Oh, ja, Dane! So ein lieber Kerl. Leider viel zu klein und zu dünn. Er und George spielten hin und wieder miteinander, aber sie verstanden sich nicht sehr gut. In der Schule mussten sie sogar auseinandergesetzt werden, weil sie sich ständig rangelten. Ich habe Dane immer gerne bei uns gehabt.“ Sie kicherte. „Ich hatte immer das Gefühl, ihn füttern zu müssen. Er war so still und schmächtig. Er wurde in der Schule viel gehänselt, weil er so schlecht im Unterricht mitkam. Und mein George war immer bei der Hänselei dabei. Wir haben ihm diese Bösartigkeit nie austreiben können.“

„Wie war sein Verhältnis zu seinem Vater?“, fragte Sarah und wollte es endlich auf den Punkt bringen.

Mrs. Heddon hob die Hände. „Das weiß ich nicht. Was mir allerdings auffiel war, dass er, nachdem sein Vater zur Armee gerufen wurde, wirklich aufblühte. Er wurde in der Schule viel besser und holte plötzlich den Stoff der ganzen letzten Jahre innerhalb kürzester Zeit nach. Er muss Tag und Nacht daheim gelernt haben. Er wuchs plötzlich auch viel schneller. Seine Haare wechselten auf einmal von blond auf dunkelbraun, als wenn er ein ganz anderer Mensch werden würde. Es war unglaublich. Er lachte und hatte plötzlich viele Freunde. Aber die brachte er nie heim. Ich vermute mal, dass ihm die ärmlichen Verhältnisse zu Hause peinlich waren. Auf Grund dieser Entwicklung nahmen wir an, das dieser Gelton seinen Sohn ziemlich drangsaliert und unterjocht haben muss.“

„Hat er ihn geschlagen?“

„Nun, das vermuten wir mal. George erzählte einmal, dass Dane voller Blutergüsse im Sportunterricht aufgefallen sei. Er sagte, er wäre oben von der Scheune heruntergefallen. Aber Geltons Neigung zur Gewalt war ja unübersehbar. Er muss den Kerl furchtbar verdroschen haben. Hat ja auch seine Frau geschlagen. Und Jeff.“

„Warum hat niemand die Polizei eingeschaltet?“

Mrs. Heddon sah sich wieder im Raum um, dass ihr auch niemand zuhörte. Sie flüsterte: „Bist du verrückt! Wir alle hatten doch Angst vor diesem Kerl. Der hatte doch die Gewalt ins Gesicht geschrieben.“

„Hat denn niemand etwas auf dieser Farm beobachten können?“

Nun wurde Mrs. Heddon stutzig und fragte: „Sarah, was ist mit Dane?“

Sarah spürte, wie ihr die Tränen kamen. Nun gab es kein Entrinnen mehr.

Mrs. Heddon fragte: „Ist Dane gewalttätig gegen dich geworden?“ Das war nicht undenkbar.

„Nein, nein“, währte Sarah sofort ab.

„Was ist es dann? Was ist mit Dane?“ Mrs. Heddon ergriff Sarahs Hand.

„Diese Scheune ...“, stotterte Sarah. „Er verschwindet ständig in dieser Scheune.“ Sie weinte. „Als würde sie ihn rufen. Er redet dort mit irgendjemanden. Da ist aber niemand.“

Mrs. Heddon musste schniefen. „Sarah, sieh mich an!“

Sarah sah auf.

„Was hat Dane in dieser Scheune erlebt?“

Sarah sah weg. „Ich kann es nicht sagen.“ Sie brach zusammen. „Es wäre Dane gegenüber nicht fair.“

Mrs. Heddon sah ihren Mann ins Winnie eintreten. Er suchte sie. Sie winkte nach der Rechnung und flüsterte zu Sarah: „Lass ihn in diese Scheune gehen. Solange, bis er fertig ist. Glaub mir, er weiß, was er tut. Er muss das ganz alleine schaffen.“ Sie ahnte etwas.

Damit beglich sie die Rechnung und nahm Sarah an der Hand. Sie riefen Dane an, der sie sofort abholte.

Mrs. Heddon hatte genug gehört. Endlich hatte ihre Vermutung Bestätigung bekommen. 

 

*

 

Dane verbrachte drei Nächte hintereinander in der Scheune und las die Tagebücher seiner Mutter aufmerksam durch. Sie brachten furchtbare Zustände in seiner Familie ans Tageslicht:

Seine Mutter kam aus einer Familie, in der sexueller Missbrauch an der Tagesordnung war. Nur war es nicht ihr Vater gewesen, der sie über viele Jahre angefasst hatte, sondern ihr Onkel, der Bruder ihrer Mutter. Niemand wollte es bemerken. Man schwieg eben.

Samantha Gelton wuchs dadurch mit einem desolaten, sexuellen Gefühl auf und war über die perverse Neigung ihres zukünftigen Mannes keineswegs irritiert. Da sie niemals den Unterschied zwischen einer normalen sexuellen Beziehung und einer Vergewaltigung kennengelernt hatte, empfand sie Will Geltons Vergewaltigungen als normal. Er war gewalttätig und bestimmend. Sie war ihm in jeder Beziehung hörig. Auch als er sich sexuell an seinen Kindern zu befriedigen begann, griff sie nicht ein. Sie hielt sich in ständigen Verzeihungszeremonien gefangen und opferte ein Kind nach dem anderen, ohne etwas zu unternehmen. Man hatte ihr nicht beigebracht, sich zu wehren.

Um das Leben auf der Farm mit Will Gelton erträglich zu machen, flüchtete sie in die Vorstellung, eine traumhaft schöne Zeit mit ihm auf der Farm zu haben.

Samantha Gelton beschrieb auch ihre Schwiegereltern als merkwürdige Menschen.

Will Gelton kam aus einem ebenfalls gewaltbestimmten Elternhaus. Bei ihm war es der Vater gewesen, der ihm Prügel, Missbrauch und andere Strafen beigebracht hatte. Will Gelton wuchs mit unbändigem Zorn gegen seinen Vater auf und übernahm später exakt die gleichen Verhaltensmuster, als sein Farmbetrieb nicht mehr erfolgreich lief. Ein alter Fluch der Familie Gelton stellte sich plötzlich ein und zwang ihn zu den sexuellen Übergriffen.  

Die Tagebücher deckten mehr Wahrheit auf als Dane verarbeiten konnte. Er war das Produkt einer kranken Familie. Nicht nur sein Vater war krank, auch seine Mutter war psychisch gestört. Wie viele Generationen aus seiner Familie mochten bereits mit diesen Störungen gelebt haben?

Das brachte ihn völlig durcheinander.

 

Glaub den Büchern kein Wort, flüsterte das Loch. Alles Lügen! Du bist nicht wie sie.

 

Sarah hatte sich den Rat von Mrs. Heddon zu Herzen genommen und ließ Dane gewähren, wenn er zur Scheune ging. Sie wollte auch nicht mehr wissen, was er dort tat. Vielleicht war es das beste, wenn er die Geschichte mit seinem Vater dort alleine ausmachte. Nur so konnte er zur Ruhe kommen.

Sarah las noch einmal den Brief, den Dane ihr geschrieben hatte. Er schenkte ihr Trost und Zuversicht.

 

*

 

Obwohl das Loch unablässig auf Dane einredete, nichts von alledem zu glauben, konnte er sich einem Trauma nicht entziehen. Bisher hatte seine Mutter immer eine besondere Stellung bei ihm gehabt. Eine Art Heiligenstatus. Der war nun zerbrochen. Er warf ihr plötzlich vor, einfach nur weggeschaut zu haben, als sein Vater ihn peinigte. Eine liebende Mutter würde das niemals tun. Sie hatte jetzt genauso viel Schuld an seinen Schmerzen wie sein Vater. Dabei hatte Dane ihr so viel Vertrauen entgegengebracht.

 

Seit dem Tag, an dem Dane die Tagebücher gelesen hatte, konnte er nicht mehr richtig schlafen. Wilde Alpträume begannen ihn zu quälen.

„Was hast du in der Scheune gemacht?“, fragte Sarah ihn, als sie bemerkte, dass sich seine nächtlichen Besuche einstellten.

„Ich habe die Tagebücher meiner Mutter auf dem Dachboden gefunden und sie dort gelesen“, antwortete er völlig unbefangen, als wäre es das Natürlichste der Welt.

Tagebücher, dachte sie, klar. Man sitzt in der Scheune auf dem Boden und redet mit sich selbst. Sollte sie ihn jetzt anschreien? Sie sah, wie Dane aufstand, zum Sideboard ging und zwei vergilbte Bücher herausholte. Er reichte sie ihr und sagte: „Du kannst sie lesen.“

Sarah war irritiert. Was sollte das? Sollte sie ihm jetzt sagen, dass sie ihn in der Scheune beobachtet hatte? Ohne Tagebücher?

„Lies sie! Du willst doch alles wissen. Lies sie und du weißt alles.“

Sie sah ihn an. Er legte die Bücher vor ihr auf den Tisch und verließ das Wohnzimmer.

„Was soll ich denn wissen wollen?“, rief sie ihm hinterher.

„Woher ich komme!“, rief er aus dem Bad. Die Dusche ging an.

 

Sarah las die Bücher tatsächlich aufmerksam durch. Ihr fehlten die Worte. Sie hätte so viele Fragen gehabt, doch Dane ging ihr aus dem Weg. Er reparierte stattdessen diese verdammte Scheune! Er strich sie an, von außen und von innen! Er stellte seine Corvette hinein! Er richtete sich eine Werkzeugbank ein! Und war zufrieden!

Er kam zu ihr, gab ihr einen Kuss, führte sie zum Essen aus und liebte sie anschließend so intensiv, als hätte er noch nie eine Frau gehabt.

Es war, als wäre nichts geschehen. Die letzten vier Wochen waren wie weggewischt. Sarah konnte es nicht glauben. Sollte der Spuk etwa vorbei sein? Hatte Mrs. Heddon etwa Recht gehabt mit ihrem Rat, ihn in Ruhe zu lassen? War das der letzte Verarbeitungsprozess von Dane? Sie wollte es so gerne glauben, aber ein inneres Gefühl sagte ihr, dass es nicht stimmte.

Eine fadenscheinige Ruhe breitete sich aus.

 

*

 

Sarah bekam unerwartet einen Anruf von den Heddons. Das brachte sie auf andere Gedanken. Mr. Heddon bat sie um ein Gespräch unter vier Augen. Hatte er etwas erfahren?

Es ging um Mrs. Heddon, die nunmehr ihre Hilfe im Haushalt brauchte, sich aber nicht zu fragen getraute. Also fragte Mr. Heddon hinter ihrem Rücken, ob Sarah nicht hin und wieder aushelfen könnte. Selbstverständlich. Es kam ihr sogar sehr gelegen, denn Dane hatte inzwischen seine Arbeit bei Beaman & Son begonnen. So war sie viel allein auf der Farm. Zuviel, um sich ausgelastet zu fühlen, zuviel, um ihre immer noch unterschwellig vorhandene Angst unter Kontrolle zu bekommen. Die Ereignisse der letzten Wochen spukten ständig in ihrem Kopf herum. Sie hatte einen Gemüsegarten hinter dem Haus angelegt, in dem sie viel Zeit verbrachte. Aber noch lieber besuchte sie die Heddons, die immer eine Tasse Kaffee für sie bereit hielten. So verband sie ihre Besuche mit der Hilfe, die sie leisten konnte.

 

*

Zunächst stand Dane seiner neuen Arbeit ratlos gegenüber. Durch den Fortschritt der Maschinen hatte sich viel verändert. Aber seine rasche Auffassungsgabe ließ ihn sich schneller als vermutet einarbeiten. Sein Humor kam gut bei seinen Kollegen an, und Rick Beaman sah in ihm eine wirkliche Bereicherung seines Betriebes. Dane ging in seiner Arbeit regelrecht auf. Er fühlte sich herausgefordert, den gesamten Betrieb zu beherrschen, so wie er einst das Running Horse beherrscht hatte.

Das Einkommen war gut. Dane war zufrieden. Es gab in der Druckerei jeden Tag neue Herausforderungen, denen er sich stellte. Es sollte ihm nichts verborgen bleiben, schon bald zum Leidwesen seiner Mitarbeiter. Doch sein Humor und ein paar geschickte Bemerkungen hielten sie letztendlich ruhig. Dane hatte nach wenigen Wochen alles im Griff, mehr als Rick Beaman selbst. Sein Drang zur vollkommenen Kontrolle war unübersehbar.

 

Sarah lud im Sommer ihre Eltern nach Valley Falls ein. Dane hatte sich gegen diesen Wunsch nicht gewehrt, solange sie nur einmal kamen. Er würde es ertragen, und viel vorzuweisen hatte er ja auch.

Die Newshorns waren von der Farm hingerissen und freuten sich über die erfolgversprechende Zukunft, die sich ihrer Tochter hier zu bieten schien. Sie erkannten in Dane nun einen guten und aufrichtigen Partner für Sarah und schätzten sich glücklich, ihn als Schwiegersohn im Kreise der Familie aufnehmen zu dürfen. Dane räusperte sich.

Es wurde dennoch eine schöne Woche. Dane war freundlich und charmant und Sarah glücklich, und die Newshorns waren nach sieben Tagen wieder verschwunden.

Es häuften sich die Nächte, in denen Dane nach Zärtlichkeit und Sex verlangte. Er liebte sie dann wild und heißhungrig zugleich. Für Sarah war das Gefühl völlig neu. Nachdem sie viele Jahre ungewollten Sex mit ihrem Exmann aushalten musste, empfand sie das intime Beisammensein mit Dane nun als ziemlich ähnlich. Sie hatte wieder einen Mann, der sie zwar wirklich liebte, der aber mehr seinen eigenen Trieb stillen wollte. Sie bekam Angst und dachte an die Tagebücher. Inwieweit nahmen sie Einfluss auf sein sexuelles Verlangen?

 

 

16. September 1995. Dane, 40 Jahre.

Als Dane von der Arbeit heimkam und einen alten Jeep vor seinem Haus stehen sah, spürte er ein leichtes Unbehagen aufkommen. Es war nicht so ein Wagen, wie Johnathan oder gar ich ihn fahren würden. Es war ein Wagen, der Schwierigkeiten ankündigte – dreckig und verrostet.

Zunächst wollte Dane seine Corvette wie jeden Abend in die Scheune fahren, aber ein ungutes Gefühl mahnte ihn zur Vorsicht. Er sah zur Heddon-Farm hinüber, der alte Ford Taunus stand vor dem Haus.

Er war nicht auf Besuch eingestellt und wusste auch nicht, wer hier bei Sarah etwas verloren hatte, wenn er nicht zu Hause war. Sarah hatte ihm auch nichts von irgendwelchen Freunden erzählt, die heute kommen wollten.

Dane taxierte das Haus, während er aus dem Auto stieg. Er schloss die Eingangstür leise auf und ging hinein. Sarah war nicht in der Küche, wie es sonst ihre Art war. Kein Essen war zubereitet, keine Musik lief. Auch im Wohnzimmer lauerte eine gähnende Leere.

Ein Blumenhocker war umgekippt. Dane wurde schlecht. Er schlich geräuschlos die Treppe hinauf in den ersten Stock, öffnete flink die Tür des Schlafzimmers und schaute hinein. Nichts. Dasselbe im Gästezimmer. Alles befand sich in peinlicher Ordnung. Der Duft von Trockensträußen, die Sarah selbst gebunden hatte, hing in der Luft.

Sarah war nicht im Haus. Es blieb nur noch die Scheune, diese verdammte Scheune! Sie hatte nie etwas Gutes geborgen.

Der Gedanke trieb ihn hektisch die Treppe hinunter. In der Küche ergriff er ein großes Fleischmesser und verließ das Haus.

Sein Gang zur Scheune war aufrecht und entschlossen. Er stieß brutal die Tür auf und ließ das helle Tageslicht einfluten. Er baute sich seitlich der Tür auf, während er das Messer hinter seinem Rücken versteckt hielt. Sein Instinkt rechnete mit dem verheerenden Bild einer Vergewaltigung, sah sich aber dann mit einer durchaus friedlichen Szene konfrontiert.

Sarah stand im hinteren Teil der Scheune und unterhielt sich freundlich mit einem großen, schwarzhaarigen Mann und einer kleinen, dunkelhaarigen Frau. Ihre Augen glichen denen eines Rehs – groß und dunkel. Rein gar nichts gab den Anlass zur Sorge. Als Dane geräuschvoll in die Stille platzte, unterbrachen sie ihre Unterhaltung und sahen zu ihm hinüber.

„Hallo, Dane! Schön, dass du da bist. Sieh mal, wer hier ist! Dein Cousin mit Frau aus Los Angeles.“

War es Sarahs Naivität oder hatte sie vergessen, dass er keine weiteren Verwandten hatte? Woher sollte er plötzlich einen Cousin haben?

Die fremde Frau sah ihn lächelnd an. Ein Stich durchzuckte Danes Herz, und er sah in die dunklen Augen von Joan. Was hatte er je an dieser Frau so geliebt? Während ihr Blick ihn früher verzaubert hatte, sah er nun die pure Boshaftigkeit in ihm.

Sie warfen sich hasserfüllte Blicke zu, bis er mühsam den Blickkontakt löste und auf den Mann neben ihr schaute. Auch der war ihm bekannt, und er wühlte in der Kiste seiner Vergangenheit. Er fand ihn, das Schwein! Alles lief wieder vor seinem inneren Auge ab: der Überfall, die Vergewaltigung, der Schmerz und die Demütigung. Es war, als sei es gestern erst gewesen. Dieser Mann hatte ihn fast zu Tode geprügelt und maßlos gedemütigt.

Dane wusste nun, dass Joan alles mit angesehen hatte. Ihm war schlecht, als er die beiden bei Sarah stehen sah. Was hatten sie ihr erzählt? Es raubte ihm den Atem.

Er umschloss das Messer noch fester in seiner Hand und hatte alle Mühe, sich zu konzentrieren; doch das musste er. Sarah war in Gefahr! Sie aber redete völlig unbeschwert weiter auf ihn ein. Er hörte sie nicht, er spürte nur das Messer hinter seinem Rücken, wie seine Finger darum anschwollen und die Handflächen feucht wurden.

„Sarah ...!“, sagte Dane ernst und hart. Sein Atem ging kurz und stoßend.

Sein Tonfall ließ Sarah sofort in ihrer Unbekümmertheit einhalten. Sie spürte, wie ihr Adrenalinspiegel anstieg. Noch nie hatte er so streng Sarah gesagt. Da erst wurde ihr bewusst, dass etwas nicht stimmte. Sie musste ihm jetzt unbedingt gehorchen. Es war nicht der Tonfall, den er anschlug, wenn er böse war; er musste Angst um sie haben – und die war zweifellos groß im Moment.

Sarah löste sich von den beiden, die ihr gar nicht so unsympathisch waren und ging gehorsam auf Dane zu, bis sie neben ihm stand. Weder Joan noch der Schwarzhaarige unternahmen den Versuch, sie zurückzuhalten.

Als Dane Sarah bei sich fühlte, flüsterte er ihr leise ins Ohr: „Geh und lauf' zu den Heddons. Schnell!“

Noch nie war Sarah so schnell durch die Felder gerannt, voller Panik und Angst um Dane. Der Gedanke, die Polizei zu rufen, ließ sie hechelnd in die Eingangstüre der Heddons stürzen.

 

Das war also der große Unbekannte, dachte Dane. Der, der ihn unentwegt beobachtet und Rhyan in die Sache hineingezogen hat. Er betrachtete die beiden. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Sie waren ein schönes Pärchen – er und Joan.

Joan wollte etwas sagen, aber der Schwarzhaarige gebot ihr Einhalt und ergriff das Wort: „Wir wollen nur unser Geld, dann sind wir wieder weg. Also mach keine Schwierigkeiten!“

Geld! Das war es also. Sie haben hier auf dieser Farm also nach Geld gesucht. Da haben sie aber Pech, denn von ihm würden sie bestimmt nichts bekommen.

„Welches Geld?“, fragte Dane. Er stand immer noch an der Scheunentür.

„Das Geld, das Will uns versprochen hat.“

„Aha. Was hat er denn sonst noch so versprochen?“

„Mach' keinen Ärger.“

„Ich mach' keinen Ärger. Sieh doch, ich stehe hier ganz ruhig. Ich will nur, dass ihr verschwindet.“

„Erst, wenn wir unser Geld haben.“

Dane lächelte, schüttelte den Kopf und schnalzte dabei mit der Zunge, als würde er sagen: du, du, du. Dann sagte er: „Mein Vater ist tot. Und er wird wohl kaum Geld gehabt haben. Er hat euch hinters Licht geführt.“

Der Schwarzhaarige wurde unruhig. „Erzähl keine Geschichten!“

Dane lächelte wieder. „Wie meinst du das?“

„Du hast die ganze Farm auf den Kopf gestellt. Wovon hast du das alles bezahlt?“ Der Schwarzhaarige wurde zusehends unruhiger.

„Von meinem Geld! Es gibt noch ehrliche Leute.“

„Du hast es auf dieser Farm gefunden, stimmst's? Gib es uns, und wir lassen dich in Ruhe.“

Dane wusste nicht genau, ob Joan eine Waffe hatte. Er stellte sich auf einen Angriff ein. „Ich habe kein Geld gefunden. Und wenn, dann wäre es schmutziges Geld. So etwas will ich nicht“, sagte er.

Joan zog eine Pistole und zielte gekonnt. Dane zuckte. Sie hatte also doch eine Waffe. Der Schwarzhaarige signalisierte ihr wieder Einhalt. Er hatte seine eigene Methode und ging langsam auf Dane zu. „Hör zu“, sagte er im Gehen, „es hat dir wohl noch nicht gereicht. Was muss ich noch tun, um dir auf die Sprünge zu helfen?“

Jetzt wurde Dane unruhig, hielt aber weiterhin die Stellung. Nicht die Nerven verlieren!

 

Wo bist du!, schrie Dane nach dem Loch. Wo bist du! Du musst mir helfen!

Das Loch schwieg.

 

Ohne das Loch hatte er keine Chance. Dann plötzlich:

 

Ich bin hier!, meldete sich das Loch.

 

Er umschloss den Griff des Messers fester in seiner Hand. Jetzt hatte er so richtig Lust. Ich bring ihn um! Der Gedanke entlockte ihm ein eiskaltes Lächeln. Er sagte: „Ich weiß nicht, was du tun musst, um mir zu helfen. Lass dir was einfallen.“

Der Schwarzhaarige trat vor ihn hin, größer als er, erhaben, und holte zu einem weiten Schlag aus, aber Danes Messer blitzte auf und kam ihm als Abwehr zuvor. Es bohrte sich tief in die rechte Schulter des Gegenüber. Ein reißender Schrei erschütterte die Farm. Damit hatte der Schwarzhaarige nicht gerechnet. Erschrocken und von Schmerz getrieben umschloss er den Griff des Messers und zog es verbissenen Antlitzes aus seiner Schulter wieder heraus. Dane nutzte die Gelegenheit und stürzte sich auf ihn. Er brachte ihn mit einem Hagel von Schlägen zu Boden. Joan zielte mit der Waffe unsicher hin und her, während Dane auf den Fremden einprügelte. Er war nicht sehr zielsicher, aber stärker, als der es erwartet hatte. Ihre Körper rangen durch trockenen Staub. Aber es dauerte nicht lange, bis Dane erkannte, wieder einmal der Unterlegene zu sein. Wieder schmeckte er sein eigenes Blut. Es war ihm unter den vielen Hieben, die er plötzlich einstecken musste, kaum noch möglich, sich zu bewegen, wenn er auch keinen Schmerz dabei spürte.

 

Hilfe!!!, schrie Dane. Gib mir Kraft!

Das Loch schwieg.

 

Dane stöhnte, als der Schwarzhaarige von ihm abließ. Benommen krümmte er sich im Dreck zusammen. Dann sah er plötzlich den Benzinkanister über sich und hatte nicht einmal mehr die Kraft aufzustehen, als das scharfe Zeug auf ihn hinabstürzte. Es lief durch seine Kleidung, über sein Gesicht und in seinen Mund hinein. Er spuckte verzweifelt die bittere Flüssigkeit wieder aus sich heraus. Da erst wurde ihm bewusst, was der Schwarzhaarige mit ihm vorhatte.

 

Hilfe!!!, schrie Dane. Wo bist du?

Das Loch lachte und sagte: Ohne mich bist du nichts, und schickte ihm Kraft.

 

Das alleine rief seine letzten Reserven zur Hilfe, und es gelang ihm, sich gegen die Stärke seines Gegners aufzurichten, der ihn mit einem Fuß am Boden zu halten versuchte. Danes Blick fiel auf die Axt. Er wollte sie mit einem schnellen Sprung erreichen, sah aber ein Streichholz fliegen, und sein Sprung ging zur Scheunentür hinaus. Wie von einer Geisterhand getragen landete er vor der Scheune im Dreck.

Das Streichholz erreichte ihn nicht. Durch seine Leichtigkeit flog es gerade einen Meter weit vor dem Schwarzhaarigen zu Boden. Das kleine Feuerrinnsal floss geradewegs zu ihm zurück, zu seinen Schuhen, die ebenso mit Benzin getränkt waren wie seine Hose. Er hatte keine Chance mehr. Die selbstgelegten Flammen eilten auf ihn zu und fraßen sich an ihm hoch.

Joan befiel Panik. Geschockt sah sie das brennende Wesen in der Scheune herumirren, begleitet von furchtbaren Schreien, bis es zu Boden fiel. Joan sah keine Möglichkeit mehr, die Ausgangstüre zu erreichen. Die Flammen hatten das alte, getrocknete Holz des Giebels bereits erreicht und bauten sich wie eine Mauer vor ihr auf. Dann sah sie rechts das kleine Fenster, riss es auf und kletterte in panischer Angst hinaus. Sie hustete den Ruß aus ihren Lungen und kam wieder zu sich, während es in der Scheune abscheulich knisterte. Sie dachte an Dane, der auf der vorderen Seite der Scheune liegen musste. Wenn sie schon ohne Geld hier wieder weg musste, so wollte sie doch wenigstens das Wissen um seinen Tod mitnehmen.

Das Feuer prasselte inzwischen überall. Joan schlich benommen zur Ecke und sah Dane keuchend und augenreibend im Dreck liegen.

Das Benzin brannte in seinen Augen und ätzte sich schmerzhaft in seine Atemwege, was ihm einen ekelhaften Geschmack im Mund verursachte. Er sah sie nicht näherkommen, aber er hörte plötzlich, wie sie auf ihn zuschlich. Der Hahn einer Waffe knackte. Sie wollte gerade abdrücken, da bekam er ihre Beine zu packen und riss sie zu Boden. Der Schuss verfehlte sein eigentliches Ziel. Seine Hände suchten nach ihrem Hals. Joan versuchte, sich zu wehren. Sie schlug auf ihn ein und spürte, wie kraftvoll er sie in Schacht hielt und zudrückte. Er war blind! Sie würgte! Es war ihm eine Lust, sie jetzt zu töten, für alles, was sie wusste und getan hatte. Und er war sich sicher, dass es auch sein Recht sei, dies zu tun.

Aus weiter Entfernung hörte er plötzlich Polizei- und Feuerwehrsirenen näher kommen. Ganz weit entfernt hörte er, wie jemand, „Dane, hör auf!“, schrie.

Sarah war es, die ihn vor dem größten Fehler seines Lebens und Joan vor dem Erwürgungstod bewahrte.

Dane ließ durch die Warnschreie von Joan ab. Benommen keuchte er wieder das Benzin aus seinen Lungen. Joan hielt würgend ihren Hals.

Die Scheune gab sich dem Feuer hin und verbrannte restlos.

 

Als die alten Heddons die Farm erreichten, bot sich ihnen ein erschütterndes Bild: Drei Feuerwehrfahrzeuge bemühten sich um etwas, was sie nicht mehr unter Kontrolle bekommen sollten. Der Untergang der Scheune war unvermeidlich.

Zwei Polizeistreifen standen umher. In einem Polizeiwagen saß Joan.

Die Heddons fanden Sarah und Dane schließlich im Haus. Ein scharfer Benzingeruch lag in der Küche. Es war gut, dass er das nasse Tuch vor seine Augen presste. Es machte das ätzende Gefühl des Treibstoffes in den Augäpfeln erträglich. Er dachte an nichts anderes mehr als an seinen Sieg.

Sarah schaute zur Tür, als Mrs. Heddon eintrat – einfach nur dankbar für ihre Anwesenheit. Mrs. Heddon teilte ihr mit, dass der Krankenwagen unterwegs sei.

Sarah nickte benommen und konnte nicht fassen, mit welcher Brutalität dieser Kampf vonstatten gegangen sein musste.

 

Nach einer Woche war Dane Geltons Augenlicht weitgehend wieder hergestellt. Einige Verätzungen in der Speiseröhre und im Magen ließen sich nicht mehr beheben, aber es war auszuhalten – , und es würde besser werden, sagte der Arzt, wenn er nur Milchprodukte meiden würde. Auch das ließ sich aushalten.

„Wann hört es endlich auf?“, fragte Sarah ihn mit traurigem Blick. Sie konnte nicht mehr.

„Jetzt“, war seine Antwort, und zu Hause besprachen sie den Termin für ihre Hochzeit.

 

*

 

Es ließ Dane keine Ruhe, dass Joan und dieser Mann nach Geld auf dieser Farm gesucht hatten. Hatte sein Vater hier in diesem Haus etwa Geld versteckt? Er ging auf die Suche.

Es kam nur noch der Dachboden in Betracht, alles andere war komplett renoviert worden.

Er ließ die schwere Dachbodentreppe wieder herunter und stieg hinauf. Dort machte er eine seltsame Entdeckung. Er fand eine Kiste, verborgen unter Decken und Lumpen. Mit Sarah hievte er sie die Treppe hinunter und brach sie im Wohnzimmer auf. Es lagen 250 000 Dollar darin! Dane musste laut lachen. Alles passte so gut zusammen. Jedes Detail zu seiner Zeit.

Sarah und Dane waren sich einig, es musste Will Geltons Eigentum sein.

Sie ließen von einem Teil des gefundenen Geldes eine neue Scheune bauen und sahen damit seinen Fund gut angelegt.

 

*

 

Die Geschichte seiner Vergangenheit ließ Sarah keine Ruhe, auch wenn Dane ihr täglich zeigte, damit abgeschlossen zu haben. Er wirkte so normal, dass es schon wieder anormal war. Er sprach ihr gegenüber plötzlich einen Kinderwunsch aus. Das beunruhigte sie noch mehr. Sicher, sie hätte gerne ein Kind mit ihm, aber war es nicht eine große Unvernunft, mit diesem Erbgut Kinder zu bekommen?

Dane zeigte für ihre Argumente kein Verständnis. Er war gesund, sie war gesund. Wo war das Problem? Er konnte doch nichts dafür, dass sein Vater krank war. Deswegen war er doch nicht auch krank.

Sarah hatte wohl Mitleid, aber sie traf eine verhängnisvolle Entscheidung. Sie ließ sich gegen seinen Willen sterilisieren. Sie erinnerte ihn unablässig an die Tagebücher und die darin beschriebene Familienkrankheit. Doch es nützte nichts. In Dane braute sich eine große Wut zusammen. Zeitweise grenze sie an Hass. Aber nicht gegen Sarah. Es sollte doch wieder sein Vater sein, der sein Leben bestimmte. Konnte er jemals diesen Hass ablegen?

Sarah ahnte nicht, dass ihr Entschluss zu einer fatalen Entwicklung führen würde.

 

Das trieb Dane dazu, sich wieder mit Dingen aus seiner Vergangenheit zu beschäftigen. Zunächst kümmerte er sich um die Gebeine seiner Brüder sowie um die Leiche seines Vaters. Sie sollten alle neben seiner Mutter Samantha Gelton auf dem Edwardsville Cemetery beigesetzt werden.

An einem regnerischen Herbsttag war er ganz alleine, als seine Familie wieder zusammengeführt wurde.

Sarah wollte nicht dabei sein. Was hatte sie auch zwischen ihm und seiner Familie zu suchen? Außerdem war es an der Zeit, ihm zu zeigen, dass er von diesen Dingen ablassen musste; dass sie sich jetzt nicht mehr dafür interessieren wollte. Sie hatten sich zu einem gemeinsamen Leben entschieden und nicht zu einem, das Sarah ständig mit seiner Vergangenheit zu teilen hatte.

Als Dane von der Beisetzung nach Hause kam, krochen sie hoch – die Gedanken – in ihn hinein, wie ein Wurm, hässlich glitschig und ohne Ende.