XV

Als der blasse Mond am Himmel stand und der Weg kaum noch zu sehen war, zwang die Erschöpfung die Brahmen dazu, sich ein Nachtlager im Wald zu bereiten. So schnell sie noch konnten sammelten sie Zweige und Äste und bauten einen provisorischen Unterschlupf für die Nacht. Eviana setzte ihre Zauberkräfte ein, um die Früchte des Waldes in eine nahrhafte Mahlzeit zu verwandeln. Aus Laub bereiteten sie Schlaflager. Gerade wollten sie sich todmüde wie sie waren zur Ruhe begeben, als im fahlen Mondlicht die Silhouette eines einsamen Wanderers zu erkennen war. Der Brahme, der Wache gehalten hatte, alarmierte die anderen. Doch das war gar nicht nötig, sie hatten den Wanderer auch gesehen. Waren sie entdeckt worden? War ihre Flucht hier schon zu Ende? Eine Woge der Angst brandete durch das Lager.

“Hallo Eviana”, hörte das Mädchen eine wohlbekannte Stimme in ihrem Kopf, “hab ich euch endlich gefunden.”

“Fürchtet euch nicht, das ist ein Freund.” Erleichtert rannte Eviana auf Rolf zu und fiel ihm in die Arme. Dabei stieß sie gegen das Horn.

“Ihr habt es? Gott sei Dank.” Rolf lächelte matt.

“Es war sehr, sehr knapp. Deswegen konnte ich euch auch nicht helfen. Aber ich sehe, es ist gut ausgegangen?” Während die zwei zusammen zum Lager gingen, erzählte sie ihm, wie es ihr gelungen war, die Brahmen zu befreien und wie sie Riedrich und Rangy entkommen waren.

“Du Teufelskind. Du hast wirklich einen drei Sterne Zauber hinbekommen?” Anerkennend klopfte Rolf ihr auf den Rücken. Das würde ihm niemand glauben. Er hatte noch nie davon gehört, dass einem Zauberlehrling ein drei Sterne Zauber geglückt war, erst recht ohne jede Übung. Dieses Mädchen war etwas ganz besonderes, das war klar. Und er konnte sich wohl zukünftig auf einige weitere Überraschungen gefasst machen. Es wurde höchste Zeit, dass er Eviana dem Zauberrat vorführte, es wurde höchste Zeit, dass sie nach Asgard reisten.

Am nächsten Morgen kümmerte sich Rolf um das Frühstück. Er setzte seine Zauberkräfte nicht nur ein, um leckere Beeren zu sammeln und eine nahrhafte Frühstückssuppe zu kochen. Er schuf auch Reiseutensilien wie Taschen, Proviant und Wasserflaschen für die Brahmen. Ein Rudel Rehe fand sich überrascht in den Körpern von Pferden wieder. So konnten die Brahmen ihre Vorräte leichter transportieren und die Kinder mussten nicht die ganze Strecke laufen. Rolf beriet sich mit Ang Veribick, der das Vertrauen der anderen Brahmen genoss und von ihnen als ihr Sprecher akzeptiert wurde.

“Wir Zauberer stehen auf eurer Seite. Ich habe erst vor kurzem von An Bahulk erfahren und wünsche ihm gutes Gelingen. Ich muss nun so schnell es geht zum Zauberrat und ihn darüber informieren. Der Rat wird dann beschließen, wie sich die Zauberer verhalten werden.”

“Rolf, ich danke euch von ganzem Herzen, für das was ihr und eure Freunde jetzt schon für uns getan habt. Ohne das Mädchen säßen wir jetzt nicht hier. Ich hoffe, ihr könnt euren Rat überzeugen, mit uns gegen den König vorzugehen. Erinnert euch nur, was für ein Königreich Alusia zu Zeiten des alten Königs war.”

“So ist es. Es wäre schön, wenn wir Alusia wieder zu einem Ort der Freiheit, der Gleichheit und der Gerechtigkeit  machen könnten. Eviana werde ich mitnehmen. Wie ihr selbst gesehen habt ist auch sie eine Zauberin. Cedric hingegen würde gern mit euch ziehen. Er ist ein Junge voller Begabungen und er kann euch von großem Nutzen sein. Er ist verschwiegen, was seine Vergangenheit angeht, aber ich denke, er stammt aus adligem Haus. Aber findet das selbst heraus.” Rolf grinste. Ang Veribick und Rolf gaben sich die Hand und umarmten sich kurz. Eviana hatte sich bereits von Cedric und Golly verabschiedet, nicht ohne ihnen zu versprechen, dass sie sich im Norden im Lager von An Bahulk wiedersehen würden. Eviana und Rolf gingen ein paar Schritte in den Wald, Rolf nahm sie an der Hand. Vor ihnen erschien ein Tor aus Feuer. Sie schritten hindurch und waren verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

“Sie wird mir fehlen”, flüsterte Cedric. Golly nickte. “Sie ist ein ganz besonderer Freund.”

Evianas erster Eindruck von Asgard war spektakulär. Sie kamen im Pavillon der ein Sterne Zauberer an.  Um sie herum war Palast, ganz aus Marmor. Der Nachthimmel war mit Millionen von Sternen bedeckt. Eviana hatte noch nie so einen Sternenhimmel gesehen.
“Das ist wunderschön.”

“Ja, das ist es. Asgard ist eine riesige Klosteranlage im Nichts. Nur durch Zauberei kommt man hierher. Jede Zaubererklasse hat ihren Pavillon. Präg ihn dir genau ein, damit du dich hierher zaubern kannst, wenn das erforderlich wird.” Die Wände des Pavillons waren schwarz. Nur leuchtende, goldene Sterne stachen aus dem Schwarz heraus.

“Das ist einfach zu merken, die Wände wie der Himmel.”

“Ah, da ist ja schon der Pförtner der ein Sterne Zauberer. Darf ich vorstellen, David Kupferfeld.

“Ach Rolf, nicht so förmlich, jeder nennt mich nur Dave. Willkommen auf Asgard. Wen hast du mir denn da mitgebracht Rolf?”
“Eviana ist mein neuer Zauberlehrling.”

“Ach, ich wusste nicht, dass du auch ausbildest. Hast du das überhaupt schon mal gemacht?” Rolf war etwas verlegen.

“Tatsächlich noch nicht. Normalerweise lassen mir meine Einsätze dafür keine Zeit. Aber Eviana ist etwas Besonderes. Ich denke, sie ist bereit für die erste Prüfung.”

“Die erste Prüfung? Wie lange bildest du sie denn schon aus?” Rolfs Gesicht verfärbte sich zusehends rot.

“Nun, so ein paar Monate sind es jetzt bald”, übertrieb er. Dave starrte ihn ungläubig an.

“Ein paar Monate? Und sie soll die Prüfung machen? Jetzt schon?” Er begann schallend zu lachen. “Rolf, du bist aber auch ein Schelm. Jetzt hast du mich aber ganz schön hinters Licht geführt. Nach ein paar Monaten die Prüfung. Hahaha.” Eviana hatte die Unterhaltung irritiert verfolgt aber die weise Entscheidung getroffen, sich besser nicht einzumischen.

“Kommt, ich bringe euch in eure Zellen. Dort könnt ihr euch ein wenig frisch machen und dann wird euch Zo empfangen.”

“Oh, Zo persönlich? Sehr gut.” Sie trotteten hinter Dave her. Er führte sie in den Wohnbereich.

“Das ist deine, Eviana, und deine, Rolf ist gleich hier, nebenan. Ich hol euch dann nachher ab, bis später.”

Eviana blickte sich in der kleinen Kammer um. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Waschbecken. Ein kleines Fenster, durch das man den Sternenhimmel sehen konnte. Auf dem Bett lag ein Umhang. Sie reinigte sich und zog sich um. Dann setzte sie sich auf den Stuhl und sortierte ihre Gedanken. Die Erlebnisse der letzten Wochen erschienen ihr so unwirklich. Ihr Leben in dem kleinen Dorf, in der schrecklichen Familie. Sie hatte Angst, sie würde aus diesem Traum aufwachen und wieder in der Scheune sitzen und Körbe flechten. Die Zeit bei Gandalf und den Gauklern, die Zauberauftritte. Medusa, Ariel, die Zeit bei den Elfen. Cedric, Rolf, sie hatte wunderbare neue Freunde gefunden. Aber sie hatte auch einen wunderbaren Freund verloren. Mit Wehmut dachte sie an das, was Golly über Rangy erzählt hatte. Und all die Abenteuer die sie erlebt hatte. Langsam kam sie zur Ruhe. Asgard strömte eine starke Energie aus. Sie fühlte, dass sie Teil von etwas Größerem war. Sie spürte aber auch die Unruhe in der Energie. Als würde es auch hier einen Kampf geben. War Asgard nicht der Ort der guten Zauberer? Was war hier los? Es klopfte. Dave holte sie ab. Rolf hatte sich ebenfalls umgezogen. Er trug einen einfachen grauen Umhang und seinen grauen, eingedetschten Zauberhut. Evianas Umhang war der eines eine Sterne Zauberers, Schwarz mit goldenen Sternen.

“So hier wären wir. Das ist das Audienzzimmer von Zo.” Dave ließ sie allein. Der Raum war groß. Er hatte Erker und große Fenster, aus denen man einen schönen Blick über Asgard hatte.

“Du musst Eviana sein?” Zo war unbemerkt in dem Raum materialisiert. Er trug einen geflickten grauen Umhang und eine einfache graue Kappe, an der man erkannte, dass er ein sieben Sterne Zauberer war. In der Hand hielt er einen unscheinbaren schwarzen Stab. Rolf flüsterte Eviana zu:

“Schau dir den Stab an. Das ist der Stab der Gerechten. Daran erkennst du, dass Zo Mitglied des Zauberrates ist.”

“Rolf, ich bin nicht taub. Ich habe jedes Wort gehört. Du darfst das auch laut sagen, auch wenn es nur eitler Unsinn ist.” Der Mann, dessen Alter Eviana nicht schätzen konnte, lächelte amüsiert. Er schien sehr nett zu sein.

“Ja, ich bin Eviana. Woher kennt ihr meinen Namen? Ich bin doch gar nicht auf der Liste?” Rolf stieß sie in die Seite,

“Eviana, Zo ist ein sieben Sterne Zauberer und Mitglied des Rates. Da antworten wir nur, wenn wir gefragt werden.” Zo grinste wieder amüsiert.

“Kind, diese Welt hält noch viele Geheimnisse bereit. Es ist noch nicht die Zeit dafür. Dringlichere Probleme warten auf uns. Setzt euch doch erst mal.” In einem der Erker stand ein Tisch, den eine Karte von Alusia zierte. Um ihn herum standen drei bequeme Stühle. Dort ließen sie sich nieder.

“Rolf, ich sehe du hast das erste Artefakt. Das ist gut. Der Rat dankt dir von Herzen.” Rolf nickte ergeben.

“Die Sache ist die: Hier oben hilft es uns nicht. Wir mussten es aus dem Dom holen, weil es dort nicht mehr sicher war. Aber es muss wieder auf die Erde, nur dort kann es seine Wirkung entfalten. Allerdings müssen wir einen sicheren Ort finden, wo der König und sein Gesindel es nicht in die Finger bekommen können.” Rolf nickte und berichtete von den Brahmen und den Aktivitäten von An Bahulk.

“Ah, ja, das sind gute Neuigkeiten. Wir hatten davon gehört. Bitte versichere ihnen unsere Unterstützung. Das könnte für den Moment ein guter Ort sein. Allerdings ist die Gefahr groß, dass es zum Kampf zwischen dem König und An Bahulk kommt. Und der Aufstand ist noch schwach. Wir müssen auf der Hut sein. Vielleicht wäre es besser, ein unauffälligeres Versteck zu wählen.

“Medusa”, platzte Eviana dazwischen. Rolf wollte sie wieder anstupsen, doch Zo schnippte mit dem Finger.

“Du meinst die Halbelfe? Kennst du sie?” Eviana erzählte von dem Gauklerzug.

“Sie ist auf unserer Seite. Und sie sind ständig in Bewegung. Wenn sie statt eines Zauberers eine weniger verfängliche Gauklerei aufführen, könnte das ein guter Ort sein.” Rolf hatte gespannt zugehört und nickte nun.

“Rolf, tu mir den Gefallen und suche die Gaukler auf. Wenn es dir sicher erscheint vertraue Medusa das Horn an. Wenn nicht, bringe es ins Lager von An Bahulk und wähle einen vertrauenswürdigen Bewahrer.” Rolf nickte noch einmal.

“Wir müssen noch die anderen sechs Artefakte finden. Leider wussten wir nur vom Horn etwas Genaues. Bei allen anderen fehlen uns viele Informationen. Das Wissen ist über die Jahrhunderte immer weniger geworden. Wie auch immer, Rolf, in diesem Pergament habe ich zusammengeschrieben, was wir über das zweite Artefakt wissen. Hier nimm es. Du wirst es finden, ich bin mir ganz sicher. Zumal du jetzt ja eine große Hilfe hast.” Er lächelte Eviana an.

“Bevor wir zu deiner Schülerin kommen, muss ich dir noch etwas sagen. Die dunkle Seite wird stärker. Sie haben sich mit dem König zusammengetan. Uns erreichen allerhand besorgniserregende Berichte. Wir mussten einige Male hochranginge Zauberer schicken, damit das Schicksal nicht kippt.” Eviana dachte sofort an den Zwischenfall mit dem Forkner.

“Genau, kleines Fräulein, das war so eine Situation. Eigentlich ohne Belang. Es war bestimmt, dass der Wilderer entkommen sollte. Das war der Grundstein für eine Protestbewegung gegen den König, die die bösen Kräfte ausgleichen sollte. Mit schwarzer Magie haben sie versucht den Männern des Königs zu helfen den armen Mann zu erwischen. Wir mussten einen aus dem Rat schicken, um den Wilderer zu retten und die Balance aufrecht zu halten.” Eviana hörte gebannt zu und realisierte währenddessen, das Zo offensichtlich ihre Gedanken las.

“Ja, das stimmt. Es ist mir zur Gewohnheit geworden. Wir Zauberer des Rats reden nicht miteinander, wir nutzen nur noch unsere Gedanken. Verzeiht mir, wenn euch das aufdringlich erscheint.” In der Tat, daran musste Eviana sich erst mal gewöhnen.

“Das hast du sehr fein bemerkt.” Eviana hatte an die seltsame Energiestörung denken müssen, die sie in ihrer Zelle gespürt hatte und dass sie das eigentlich vor Zo verheimlichen wollte.

“Du musst vor mir keine Geheimnisse haben. Na ja, kannst du auch nicht.” Wieder lächelte er.

“Aber es stimmt, die Stärke des Bösen hat auch in unseren Reihen Eindruck hinterlassen. Kein Zauberer ist gegenüber den Versuchungen des Bösen immun. Jeder hat seine schwache Seite, seine Leidenschaft, wo er angreifbar ist. Selbst im Rat schleichen sich böse Gedanken ein. Die innere Versuchung ist vielleicht ein gefährlicherer Feind als die äußere Bedrohung.” Eviana versuchte krampfhaft an nichts zu denken. Heraus kam aber nur, dass ihre Gedanken um ihre ein Sterne Prüfung kreisten.

“Ah, ja die Prüfung. Dave hat mir davon erzählt.”

“Ihr lacht nicht?”, fragte Rolf erstaunt.

“Du meinst, weil Dave das so lustig fand? Rolf, du bist ein fünf Sterne Zauberer, Dave ist ein ein Sterne Zauberer. Du hast die Aura bei ihr gesehen, für die Dave blind ist, oder? In ihr ist eine große Kraft verborgen. Es ist höchste Zeit für die Prüfung, keine Frage.” Eviana war aufgeregt, aber auch voller Zuversicht.

“Nicht ganz so schnell Kindchen. Das ist nämlich so. Jeder Zauberer, von dem wir glauben, dass er große Kraft in sich trägt, bekommt einen Paten im Rat. In deinem Fall bin ich das.” Rolf nickte, er hatte sich schon gewundert warum Zo persönlich sie empfangen hatte.

“Aber die Prüfung nimmt der unter uns ab, der den Zauberer am skeptischsten im Rat beurteilt hat. So wollen wir vermeiden, dass es jemand nur durch Beziehungen weit bringt. In deinem Fall ist das Racul.” Rolf ächzte unwillkürlich auf. Racul war schon sehr lange Mitglied des Rates. Er galt als griesgrämig, skeptisch, ein wenig eitel und eingebildet und als einer der mächtigsten Zauberer überhaupt, gleich nach dem Sprecher des Rates.

“Racul?”, ächzte er.

“Ja, genau, Racul. Ich bin sehr froh, dass er dein Prüfer ist. Sein Urteil ist praktisch unangreifbar. Wenn du bei ihm eine Prüfung bestanden hast, dann hast du es wirklich verdient.” Wieder lächelte Zo, ganz im Gegensatz zu Eviana, deren Euphorie sich in nackte Prüfungsangst verwandelt hatte.

“Genug geredet. Eine schwere und dringende Aufgabe wartet auf euch. Bringen wir die Prüfung hinter uns. Ich bringe euch in das Prüfungszimmer der ein Sterne Zauberer.” Sie standen auf, Zo griff Eviana und Rolf an der Hand und schon standen sie in einem prächtigen Raum, dessen Wände ebenso gestaltet waren wie die des ein Sterne Ankunftpavillons. Ein gebückter Mann, der sich auf seinen Stab des Gerechten stützte und die gleiche Kleidung trug wie Zo, erwartete sie bereits.

“So meine Lieben, ich wünsche euch viel Erfolg und wir sehen uns, wenn ihr das zweite Artefakt bringt.” Mit der letzten Silbe war Zo verschwunden. Racul ignorierte Rolf und starrte Eviana in die Augen.

“So, so, du bist das Kind. Aha.” Er schlurfte zu einem Pult, auf dem ein großes Buch aufgeschlagen war.
“Will ich dich erst mal in die Liste eintragen. Das hätte längst gemacht sein müssen, ihr seid reichlich spät. Ts, ts.” Er tunkte einen Federkiel in ein Tintenfass. Der Kiel nahm die Farbe der Tinte an, löste sich aus seiner Hand und begann eigenständig die Eintragungen im Buch vorzunehmen. Dabei machte er Geräusche wie ein loderndes Feuer und bewegte sich geschwind wie eine Biene.

“So. Und nun zu der Prüfung. Du beherrschst die Wandlungszauber also perfekt?” Eviana blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. Sie schluckte.

“Wie alle Zauberprüfungen besteht diese aus drei Teilen. Dein Lehrer”, er blickte verächtlich auf Rolf, ”hat dich sicherlich darauf vorbereitet. Oh, hat er nicht?” Eviana wurde klar, dass natürlich auch Racul ihre Gedanken las. Schöner Mist.

“Genau.” Er schenkte ihr ein schmallippiges Lächeln, das kalt und gefährlich wirkte. Sie fühlte sich in Raculs Anwesenheit außerordentlich unwohl und das hatte nicht unbedingt nur mit der Prüfung zu tun.

“Also gut, die drei Teilaufgaben sind erstens, die Verwandlung toter Materie, zweitens, die Verwandlung von etwas Lebendem und drittens die Verwandlung eines Menschen. Das musst du doch zumindest schon mal gehört haben? Na also.” Prima, sie konnte sich immerhin die Antworten sparen. Auch Rolf sah nervös aus. Er fühlte sich wie bei seiner eigenen ein Sterne Prüfung vor vielen Jahren. Mitten im Raum erschien das Bild eines geheimnisvollen Mannes.

“So, Eviana. So heißt du doch? Hier, nimm diesen Stein und verwandele ihn in das Bild, das ich dir gerade gezeigt habe.” Sie nahm den Stein. Das Bild war verschwunden.

“Eure Exzellenz, das ist doch viel zu schwer. Das Bild war kaum zu sehen...”

“Schweigt.” Racul wurde böse. Sein Hals schwoll an und der scheinbar so gebrechliche alte Mann richtete sich plötzlich kerzengrade auf.

“Wenn ich eine Frage an euch habe, werde ich sie stellen. Bis dahin haltet bitte den Mund. Wenn ihr die Prüfung noch einmal stört, werfe ich auch aus dem Zimmer.” Rolf zuckte zusammen.

“Ja, Herr.”

“Also, Kind, dann zaubere mal los, wir haben nicht ewig Zeit.” Eviana war noch immer überrascht. Das war das Bild des Mannes, den sie immer wieder in ihren Träumen sah.

“Na bitte, war doch gar nicht so schwer. Ich finde hier hättest du das blau ein wenig dunkler machen können, aber sonst.. Respekt, Respekt.” Rolf atmete erleichtert aus.

“Kommen wir zu Aufgabe zwei. Hier habe ich einen Apfel für dich. Verwandele ihn in eine Zucchini und auf keinen Fall in eine Gurke.” Racul sagte das ohne ein Lächeln. Das war kein Scherz auf ihre Kosten, wurde Eviana klar, das war eine ernste Herausforderung. In ihr Hirn drängten Bilder von Gurken. All ihre Gurkenzauber stürmten auf sie ein, aber sie hatte völlig vergessen wie eine Zucchini aussah. Schon schien sich der Apfel zu verändern. Sie kämpfte gegen ihre eigenen Gedanken an. Sie sprach sich vor ‘denk nicht an die Gurke, die GURKE, DIE GURKE’. Der Apfel streckte und stauchte sich, wurde grün. Sie drohte zu scheitern. So ging das nicht. Sie ließ ihre Gedanken frei. Sie wanderten zurück in das Dorf, in den Garten der Stiefmutter, wanderten durch die Gemüsebeete, hin zu den Zucchini. Es war Erntezeit. Da lag sie, eine frisch in einen Korb geworfene, große, wunderschöne Zucchini.

“Ja, sehr schön. Geht doch.” Rolf war kurz davor zu hyperventilieren. Diese Prüfung hatte es in sich. Er konnte sich nicht erinnern, dass seine Prüfung auch nur annähernd so schwer gewesen war.

“Und jetzt noch eine Kleinigkeit zum  Schluss.” Rolf bekam ein ganz flaues Gefühl in der Magengegend. Die Verwandlung eines Menschen war nie eine Kleinigkeit. Und nachdem, was Racul aus den ersten beiden Prüfungen gemacht hatte..

“Wirklich einfach, verwandele deinen Meister in mich. Und damit es nicht ganz so langweilig wird, lass ihn schweben.”

“Das ist ein zwei Sterne Zauber.” Rolf konnte nicht an sich halten. Schweben war ein zwei Sterne Zauber und hatte in einer ein Sterne Prüfung nichts zu suchen. Sie hatten das nicht geübt.

“Schweig. Das ist die letzte Warnung.” Racul schenkte Eviana seine ganze Aufmerksamkeit und lächelte hinterhältig.

“Zeig mir was du kannst. Zo meint du wärst so außerordentlich talentiert. Da darf man ja auch mal etwas Außerordentliches erwarten, oder?” Eviana verschwendete keine Zeit damit sich Gedanken zu machen ob die Prüfung fair war oder nicht. Das war ihre Chance eine ein Sterne Zauberin zu werden. Und sie würde diese Chance nutzen und sie sich von diesem Giftzwerg nicht kaputtmachen lassen. Racul zuckte bei dem Wort Giftzwerg kurz zusammen und Eviana wurde rot. Sie konzentrierte sich nun ganz auf ihre Aufgabe. Rolf verformte sich, der muskulöse Körper schrumpfte, die Haare wurden kurz und grau, seine Kleidung änderte ihr Aussehen. Schließlich hatte sie die perfekte Kopie von Racul geschaffen.
“Fein, fein, aber er schwebt nicht.” Eviana dachte nach. Im Buch kam das Thema tatsächlich nicht vor. Sie hatte keine Ahnung wie man das machte. Aber in Wahlingen war ihr ein drei Sterne Zauber gelungen. Ihr Wille hatte Berge versetzt. Das war ihre einzige Hoffnung. Sie schloss die Augen und sah Racul alias Rolf schweben. Sie spürte die Energie in sich fließen. Hier in Asgard war es ein rauschender Strom und sie spürte wie sie sie lenken und formen konnte. Und er schwebte.

“Eviana, hörst du mich?” Rolf stand über ihr gebeugt. Er sah wieder aus wie Rolf.

“Ja, klar, was ist denn?”

“Du bist ohnmächtig geworden. Du hast eine gewaltige Menge Energie umgeleitet, viel mehr als du für den Schwebezauber gebraucht hättest. Das hat dich umgehauen.”

“Wo ist Racul?”

“Weg. Die Prüfung ist beendet.” Eviana hätte weinen können. Sie hatte so dicht davor gestanden, und dann, im letzten Moment, kläglich versagt. Das konnte doch nicht wahr sein.

“Weg? Krieg ich eine zweite Chance?”

“Wieso? Du hast bestanden. Hier ist dein Hut, herzlichen Glückwunsch, du bist jetzt ein ein Sterne Zauberer. Und was für einer. Dein Schwebezauber war fantastisch.” Mit leuchtenden Augen bewunderte Eviana ihren ein Sterne Zauberer Hut mit seinem schwarzen Stoff und den goldenen Sternen. “Hurrra!” Eviana schrie alle Anspannung aus sich heraus. Das Universum sollte teilhaben an ihrer Freude.