VII

Sie standen in einer Lichtung, mitten im Wald. Es war dunkel.

“Wer sind sie? Warum haben sie uns hierher gebracht?” Eviana fand als erste die Sprache wieder.

“Ich bin Rolf. Aber kommt erst mal mit, es sind noch ein paar Meter bis zur Hütte.” Gandalf und Eviana hörten das gern, es war doch schon empfindlich kalt und die Aussicht, diese Nacht ohne Schutz im Wald zu verbringen behagte ihnen nicht. Sie waren noch keine zehn Minuten gegangen, da stießen sie fast gegen die Wand einer Blockhütte. So dunkel war es, dass sie die Hütte erst sahen, als sie unmittelbar davorstanden. Rolf entriegelte die Tür und begann sofort, sich an der Feuerstelle zu schaffen zu machen.

“Gandalf, draußen am Haus ist ein Holzstapel, kannst du bitte zwei Arme voll Holz hereinholen?” Gandalf machte sich auf den Weg. Rolf machte sich am Feuer zu schaffen. Als es fachgerecht aufgeschichtet war, schloss er die Augen, zeigte mit den Händen auf das Holz und murmelte fremde Worte vor sich hin. Sekunden später brannte das erste Holzscheit.

“Wenn ich mich nicht irre, müsste hier auch noch eine Notration Kartoffeln und getrocknetes Fleisch lagern.” Er machte sich an einer Kiste zu schaffen und kramte freudestrahlend die Zutaten hervor.

“Sehr gut, auch noch einige Gewürze. Und am wichtigsten”, stolz reckte er die Knollen in die Luft, „eine vernünftige Menge Knoblauch.” Zufrieden legte er das neben den großen Suppentopf, der neben dem Feuer stand.

“Gandalf, wenn du uns noch Wasser holen könntest? Direkt neben dem Holz entspringt eine Quelle, hast du eben sicherlich schon gesehen.” Gandalf machte sich auf den Weg. Eine Stunde später dampfte eine leckere Suppe auf dem Feuer und die drei saßen um den einfachen Holztisch und löffelten ihre erste Portion.

“Danke Rolf. Wenn du nicht gekommen wärst, hätte die Meute mich wahrscheinlich gelyncht.” Gandalf war seit seiner Rettung sehr ruhig und nachdenklich gewesen.

“Ich weiß, deswegen bin ich ja gekommen. Der Zauberrat lässt keinen Zauberer im Stich.” Eviana war aufgefallen, wie demütig sich Gandalf verhielt. Sie hatte es zunächst als Dankbarkeit gedeutet, doch als das Wort Zauberrat fiel, wurde sie ganz aufgeregt.

“Ihr seid ein Mitglied des Zauberrats?” Rolf lächelte.

“Nein mein Kind. Ich bin ein einfacher fünf Sterne Zauberer. Aber der Zauberrat hat mich beauftragt, mich um Gandalf zu kümmern, als die Saphirkugel den Notfall zeigte.”

“Die Saphirkugel?”

“Ja, das ist, wie der Name schon sagt, eine Kugel aus Saphir. Sie ist einer der kostbarsten Besitztümer des Zauberrats. Immer wenn ein Zauberer in Lebensgefahr gerät, zeigt sie ihn. Einer der Ratsmitglieder ist stets in der Nähe der Kugel und beobachtet sie, damit wir schnell reagieren können, wenn ein Notfall eintritt.” Eviana war ob dieser Neuigkeiten gleichermaßen beeindruckt und irritiert. Doch plötzlich meldete sich ihr schlechtes Gewissen.

“Was ist mit den anderen? Was ist mit Cedric? Er stand direkt neben uns?”

“Wer ist Cedric?”

“Mein anderer Lehrling. Ich hatte noch keine Gelegenheit, die beiden in die Zauberrolle einzutragen”, ergänzte Gandalf kleinlaut.

“Ach, du bist auch ein Zauberlehrling?” Rolf schaute sich jetzt Eviana genauer an. Bisher hatte er in ihr nur das Kind gesehen, das zufälligerweise an Gandalf geklebt hatte, als er ihn rettete.

“Ja, nun, ich denke die anderen Gaukler haben nichts zu befürchten. Wenn Cedric aber ein Zauberlehrling ist, schwebt er in Gefahr. Wenn er nicht in der Rolle steht, können wir ihn in der Saphirkugel nicht sehen.” Rolf dachte nach. Eviana aber war nun sehr aufgeregt.

“Wir müssen ihn retten. Am besten ihr geht noch einmal nach Eichenheim und holt ihn.” Rolf verformte seine Lippen zu einer Grimasse.

“So einfach ist das nicht. Um euch zu retten habe ich zwei mächtige Zauber angewendet. Selbst mir, als fünf Sterne Zauberer, verlangen die viel Kraft ab. Auch musst du wissen, dass jeder Zauber das Gefüge der Welt stört. Deswegen dürfen wir nicht leichtfertig zaubern und mit den starken Zaubern müssen wir besonders sorgsam umgehen.”

“Das heißt, wir können ihn nicht rausholen?”
“Genau. Jedenfalls nicht mit diesen Zaubern. Am besten wir gehen zurück. Eichenheim ist nur eine Tagesreise von hier entfernt. Wir können gleich morgen früh aufbrechen. Und schließlich ist Cedric doch auch noch ein Kind. Sie werden ihm nichts angetan haben”, streute Rolf Zuversicht. Gandalf hatte still neben ihm gesessen und sah sehr nachdenklich aus. Rolf sah ihn ernst an.

“Was ist mit euch, Gandalf? Kommt ihr mit?”

“Ich denke nicht, nein. Ich werde mich einer anderen Gauklertruppe anschließen und einen anderen Namen annehmen. Nach dem Vorfall in Eichenheim wäre ich eine zu große Gefahr für die Gruppe. Und du, Eviana, brauchst einen anderen Lehrmeister. Ich spüre, dass du Zauberkraft in dir trägst. Schon bei der Aufnahmeprüfung hast du starke Magie gezeigt, mehr als ich je bei einem Lehrling gesehen habe. Cedric war zufrieden, ein paar Zaubertricks zu lernen, aber du kannst eine wahre Zauberin werden. Dabei kann ich dir leider nicht wirklich helfen.” Eviana schaute betroffen. Sie teilte Gandalfs Meinung und doch bedrückte sie seine Stimmung.

“Gandalf, ihr habt mich gerettet, als ich in Not war. Das werde ich euch nie vergessen. Ich werde immer in eurer Schuld stehen. Aber ich würde nun doch gerne wissen, seid ihr denn ein echter Zauberer?” Es kam Eviana ein wenig seltsam vor, dass Gandalf in der Zauberrolle stand, ein fünf Sterne Zauberer kam um ihn zu retten, er aber ansonsten, mit Ausnahme des Ziegenbartzaubers, sich mit Taschenspielertricks durchs Leben schlug.

“Äh, fast. Ich bin selbst in die Zauberlehre gegangen. Vor vielen Jahren, bei Meister Petrosilius.” Bei dem Namen zuckte Rolf zusammen und er sah Gandalf fragend an. Gandalf nickte.

“Ich habe die magische Aura, aber sie ist nur ganz schwach ausgebildet. Und ich habe ein unfassbar schlechtes Gedächtnis. Beides sind keine guten Voraussetzungen ein großer Zauberer zu werden. Ich bin an der Prüfung zum ein Sterne Zauberer gescheitert. Weißt du Eviana, im ersten Jahr lernst du eigentlich Veränderungszauber und wenn du die beherrschst machst du die Prüfung zum ein Sterne Zauberer. Ich habe mich damit zwei Jahre herumgeschlagen. Doch der Einzige, der mir gut gelingt, ist der Ziegenbartzauber.”

“Warum gerade der?”

“Meine Mutter hatte so einen Ziegenbart. Deswegen suche ich mir immer Frauen dafür aus. Das kann ich mir gut vorstellen. Aber für alle anderen bin ich zu fahrig. Nach zwei Jahren wollte Petrosilius die Prüfung nicht weiter herausschieben. Die Aufgabe bestand darin, dem Meister eine lange, spitze Nase zu zaubern und sie dann wieder schrumpfen zu lassen. Eigentlich ein ziemlich einfacher Zauber. Mit Nasenveränderungen fängt man meist an, denn die gehen leicht von der Hand.” Eviana sah, dass Rolf versuchte ein Lachen zu unterdrücken.

“Es ist mir fürchterlich misslungen. Ich habe Petrosilius eine Regenwurmnase gezaubert. Statt einer Nase sprossen ihm drei lange Regenwürmer. Und ich hatte den Zauber derartig in den Sand gesetzt, dass es ihm nicht gelang, ihn wieder rückgängig zu machen. Obwohl Petrosilius ein guter drei Sterne Zauberer ist. Petrosilius legte nicht viel Wert auf sein Äußeres. Aber bei Erkältungen hatte er äußerste Probleme, seine Nase zu putzen. Die Würmer sind seinem Schnupftuch immer ausgewichen. Und weil die Regenwürmer ständig in Bewegung waren, schleuderten sie den Schnupfen in der Gegend herum. Das hat ihn schon sehr gestört.” Jetzt verstand Eviana, warum Rolf heimlich vor sich hin grinste und auch sie musste sich zwingen, ein ernstes Gesicht zu machen.

“Das ward also ihr? Diese Geschichte ist legendär”, sagte Rolf, der seine Selbstbeherrschung wieder gefunden hatte.

“Jedenfalls war meine Lehre damit beendet. Und auch meine Zauberer Karriere, noch bevor sie recht begonnen hatte. Ich schloss mich dann den Gauklern an.”

“Gandalf, es war schön, euch getroffen zu haben und ich verstehe, dass ihr lieber weiterziehen wollt. Ich werde mich mit Eviana Morgen auf den Weg nach Eichenheim machen. Wir werden uns um Cedric kümmern. Euch wünsche ich alles Gute und dass ihr bald auf fahrendes Volk stoßen werdet.”

“Danke Rolf. Und Eviana,” Gandalf schaute sie eindringlich an, ”ich weiß, dass du heimlich in meinem Zauberbuch gelesen hast. Ich hätte dir dabei sowieso nicht helfen können und wollte das nicht zugeben. Deswegen war es mir ganz recht, dass du heimlich darin gelesen hast. Alles was in der Zauberkiste ist, ist für dich und Cedric. Teilt es unter euch auf. Mit dem Zauberbuch kann ich eh nichts anfangen und das blaue Buch kenne ich in und auswendig.”

“Oh, danke, Meister Gandalf, das ist sehr großzügig. Wir können auch den Zauberstab und den Hut behalten?”

“Ihr habt einen Zauberhut?”, entfuhr es Rolf überrascht.

“Ihr könnt sie behalten, ja. Es ist kein echter Zauberhut, er enthält keine magischen Kräfte, alles nur Zierrat.” Sie hatten den ganzen Suppentopf leergegessen. Es war ein langer Tag gewesen und vor allen dreien lag eine lange Wanderung. Eviana räumte den Tisch ab. Dabei fiel Rolfs Blick auf ihre Hände.

“Was hast du da für einen Ring?” Eviana zeigte ihm ihren Ringfinger, an dem der Ring saß, als wäre er Teil des Fingers und nicht aus Metall.

“Interessant.”

“Was wisst ihr darüber? Erkennt ihr die Zeichen?”
“Nicht viel, das könnten Elfenrunen sein. Woher hast du den?” Eviana erzählte, wie Medusa ihr den Ring aufgesteckt hatte.

“Hatte diese Medusa spitze Ohren?” Eviana sah Rolf fragend an.

“Das konnte ich nicht sehen, ihre Ohren wurden vom langen Haar verborgen.”

“Ich glaube ich würde sie gern mal kennenlernen.”