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“Melchor, könntest du das bitte noch einmal langsam und in der richtigen Reihenfolge erzählen?” Abt Nocktschnucke zwang sich zu Gelassenheit. Etwas Unerhörtes war geschehen doch ausgerechnet sein dümmster Mönch war Zeuge des Vorfalls gewesen. Er musste sich in Geduld üben. Ein Glas Wein und viele Fragen später war dem Abt endlich vollkommen klar was geschehen war. Der Novize, den ihm die Inquisition vor zwei Tagen geliefert hatte und der unter dem Verdacht der Zauberei stand, war von einem Zauberer entführt worden. Das Gute war, dass sie wussten, auf welchem Weg die kleine Reisegruppe war und der Weg verzweigte nicht allzu bald, er führte nach Wahlingen und sonst im Wesentlichen nirgendwohin. Es würde ein Leichtes sein, ihnen eine Falle zu stellen. Abt Nocktschnucke bereitete eine Botschaft für die Klosterzelle vor, die auf dem Weg nach Wahlingen lag. Das Kloster verfügte über ein System von optischen Telegrafen, über die es mit seinen Außenstellen in Verbindung stand. Der König hatte angewiesen, dieses System landesweit einzuführen. Es funktionierte über Türme, auf denen bewegliche Holzbretter als Zeiger angebracht waren. Jede Stellung der Bretter entsprach genau einem Buchstaben. Etwa alle 10 Meilen Stand so ein Zeichen. So konnten Botschaften sich in Windeseile verbreiten. Und so kam es, dass der Außenposten auf dem Weg nach Wahlingen auf die kleine Reisegruppe vorbereitet war und den Mönchen dort sogar noch genug Zeit blieb, weitere Verstärkung anzufordern.

Sie kamen aus den Büschen. Eviana zählte die Männer und kam bis zehn und war noch nicht am Ende nachdem die Schrecksekunde vorbei war. Instinktiv stellten die drei sich zueinander, die Männer bildeten einen Kreis um sie herum, der ihnen eine Flucht unmöglich machte. Das waren keine Strauchdiebe, die Männer trugen die blaue Uniform des Königs. Auch ein paar Mönche konnte Eviana erkennen.

“Wer seid ihr? Was wollt ihr von uns?” Rolf bewahrte Haltung. Ein schmächtiger Mann trat vor. Er trug einen Schnurrbart, hatte wulstige, schwarze Augenbrauen und trug im Gegensatz zu seinen Männern eine Reihe von Ehrenzeichen auf dem Wams.

“Ich bin Riedrich von Reußen, Kommandeur dieses Trupps.” Er sprach mit Fistelstimme. Unter anderen Umständen hätte er ein durchaus lustiges Bild abgegeben. Es gab wohl Gründe, warum er auf einen Posten irgendwo hier im Wald versetzt worden war. “Im Namen des Königs nehme ich euch fest wegen Zauberei, Menschenraub und Störung der klösterlichen Ordnung.” Rolf entspannte sich. Das schien ihm keine große Sache zu sein. Nichts, mit dem man nicht mit ein paar Zaubern fertig werden würde.

“Einrich, nimm ihm die Zaubermütze ab.” Während Rolf noch in Gedanken war, hatte ein junger, flinker Mann ihm die Mütze vom Kopf gerissen. Er hatte sich übertölpeln lassen. ‘Woher wussten sie um die Bedeutung der Mütze?’, schoss es ihm durch den Kopf. Ohne Zaubermütze war seine Kraft erheblich eingeschränkt. Stärkere Zauber waren ohne Mütze nur mit langer Vorbereitung und viel Konzentration möglich, einen fünf Sterne Zauber, wie Dinge verschwinden lassen, konnte er ebenso vergessen wie aufwändige drei Sterne Zauber, wie zum Beispiel die Zeit anzuhalten. Aber auch mit einfachen Zaubern sollte denen beizukommen sein. Zunächst versuchte er, sich die Mütze zurückzuholen. Rolf stecke die Hand aus, so dass sie auf die Mütze zeigte, konzentrierte sich und befahl ihr, zu ihrem Meister zurückzukehren. Doch der kleine Soldat umklammerte sie mit beiden Armen und stemmte sich mit seinen Beinen dagegen. Drei seiner Kameraden hielten ihn fest. Langsam rutschte die Gruppe auf Rolf zu, doch das führte zu nichts. So konnte er die vier zwar bis zu sich hin rutschen lassen, doch auf den Kopf bekam er die Mütze so nicht. Die anderen hatten ihre Schwerter gezogen und warteten nur auf den Befehl ihres Anführers, Rolf mit Waffengewalt zu bezwingen.

“Schnappt ihn euch. Lasst ihn die Klinge spüren, er zaubert immer noch.” Es wurde ernst. Rolf versuchte es mit einfachen Luftdruckzaubern. Er verdickte Luft und schleuderte sie auf die Angreifer, die wie von einer starken Böe getroffen zu Boden sanken. So konnte er die erste Welle des Angriffs abwehren, doch lange hielt das nicht vor. Schnell standen die durchtrainierten Schergen wieder auf und setzten zum nächsten Angriff an. Rolf nutzte die Zeit, ihnen die Schwerter aus der Hand schweben zu lassen. Allerdings erforderte es außerordentliche Konzentration, das bei mehreren Schwertern gleichzeitig zu machen. Zumal er immer noch Luftstöße schleudern musste, um keinen der Soldaten zu nah an sich heranzulassen. Den Nebelzauber konnte er unter diesen Umständen auch nicht anwenden, da die Luftstöße den Nebel verscheucht hätten. Fieberhaft dachte er über eine neue Taktik nach. Es half alles nichts, er würde mit Feuer arbeiten müssen und ihre Uniformen in Brand setzen. Das Überlegen hatte ihn unaufmerksam gemacht, auch war es schwer, die Gruppe im Auge zu behalten, da sie ja im Kreis um ihn herum standen. So hatte einer der Männer unbemerkt mit seinem Speer ausgeholt und ihn auf Rolf geschleudert. Eviana, die in seinem Rücken stand und das bisherige Gefecht atemlos und voller Angst verfolgt hatte, sah ihn kommen. Und sie spürte, dass Rolf in ihrem Rücken den Speer nicht gesehen hatte. Sie konzentrierte sich. Ohne die Augen zu schließen, in Bruchteilen einer Sekunde, sah sie, wie sich der Speer in eine Gurke verwandelte. Sie hatte keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, in was sie ihn verwandeln wollte. Sie nahm einfach das, was sie am besten konnte. Rolf war immens überrascht, als er von einer fliegenden Gurke getroffen wurde. Doch der Moment der Ablenkung genügte Riedrich. Er trat ein paar Schritte vor, klemmte sich Eviana unter den Arm, kehrte zurück in den Kreis seiner Männer und gebot sie, die Angriffe einzustellen.

“Schluss jetzt, ich habe das Mädchen. Hört auf, Widerstand zu leisten, und euch soll nichts geschehen.” Rolf hielt inne. Wie hatte er nur so unbedacht sein können. Cedric stand neben ihm. Er war ohne Waffen und so sehr er in den Kampf eingreifen wollte so klar war ihm, dass das sinnlos war. Es war wohl an der Zeit, aufzugeben. Er durfte Eviana nicht in Gefahr bringen und sie würden schon noch eine Gelegenheit finden, diesen Männern zu entkommen. Eviana aber war wütend. Den Kommandeur konnte sie nicht sehen und sie erinnerte sich zu wenig an ihn, um ihn durch einen Zauber anzugreifen. Also ließ sie ihren Zorn an den Männern aus und begann auch deren Waffen in Gurken zu verwandeln. Riedrich drückte zu, bis Eviana fast keine Luft mehr bekam.

“Hör sofort damit auf, du dummes Kind. Ich hasse Gurken”, sagte er mit seiner hohen Stimme. Seine Männer lachten hämisch. In dem Moment wehte ein warmer Luftzug durch die Lichtung und aus dem Nichts kam ein Pfeil angesurrt, drang durch den Stoff von Riedrichs Ärmel und nagelte so den Arm des Kommandeurs an den Stamm eines Baumes, der hinter ihm stand. Er schrie auf vor Überraschung und Wut und ließ Eviana los, die sofort von ihm fortlief. Rolf nahm den Kampf augenblicklich wieder auf. Er setzte nun die Kleidung der Soldaten in Brand. Mit Luftstößen konnte er nun nicht mehr arbeiten, die hätten die Flammen sofort gelöscht. Die ersten Soldaten wälzten sich bereits auf dem Boden. Sie hatten den Kampf vergessen. Ihnen ging es nur noch darum, die Flammen an ihrem Körper zu löschen. Doch es waren zu viele, immer noch waren genug da, die auf Rolf eindrangen und mit dem Schwert nach ihm hieben. Der geschickte Soldat, der ihn fast mit dem Speer erwischt hatte, war auch ein exzellenter Schwertkämpfer. Rolf duckte sich unter seinem gewaltigen Hieb und wich ihm aus, doch konnte er es nicht vermeiden, dass das Schwert ihm einen grässlichen Schnitt am Oberarm zufügte. Doch mittlerweile kämpfte er nicht mehr allein. Eviana hatte wieder angefangen, Waffen in Gurken zu verwandeln und kam gut voran. Cedric hatte sich eines der schwebenden Schwerter geschnappt und hielt trotz seiner Jugend Rolf den Rücken frei. Vor allem aber war ihnen jemand zur Hilfe gekommen, den sie nicht erwartet hatten. Jemand, der Eviana mit dem Pfeil das Leben gerettet hatte. Sie konnten nicht erkennen, wer oder was es war. Der warme Wirbelwind hatte nicht aufgehört, Pfeile zu speien. Einem Soldaten nach dem anderen wurde von den Pfeilen das Schwert oder der Speer aus der Hand gerissen. Meist war die Wucht so stark, dass die Soldaten kampfunfähig zu Boden gingen. Auf diese Weise dauerte es nur wenige Sekunden, bis sie den Kampf beendet hatten. Der Wirbelwind hörte auf sich zu drehen und langsam konnten die Gefährten sehen, wer sich darin verbarg. Eine wunderschöne, zartgliedrige, hochgewachsene Frau mit braunen, langen Haaren stand vor ihnen.

“Kommt mit, wir haben nicht viel Zeit”, sagte sie mit lieblicher Stimme. Sie nahm Evianas Hand und lief mit leichten, fast schwebenden Schritten voraus in den Wald. Rolf, der auch noch seinen Zauberhut bergen musste und Cedric hatten Mühe ihr zu folgen. Erst nachdem sie tief in den Wald eingedrungen waren und auf einen Bachlauf stießen, gab ihnen die Frau ein Zeichen, eine Pause zu machen. Rolf war vom Kampf geschwächt, sein Arm blutete. Er ließ sich erschöpft zu Boden gleiten. Auch Eviana und Cedric steckte noch der Schreck in den Gliedern. Sie lehnten sich an eine Eiche, die am Bach stand. Erst jetzt fanden sie Zeit, sich die Frau genauer anzuschauen, die sie gerettet hatte. Sie trug ein einfaches, aber elegantes weißes Gewand und fein gearbeiteten Silberschmuck. Ihre einzigen Waffen waren ein großer, filigraner Bogen und ein Dolch, den sie am Gürtel trug. Ihre Ohren sahen eigentümlich aus, sie liefen nach oben hin spitz zu.

“Wer seid ihr?” fragte Eviana.

“Ich bin die Elfe Ariel, mein Kind. Aber wer seid ihr? Was macht ihr hier im Wald?” Während sie sprachen hatte Ariel begonnen, sich Rolfs Arm anzusehen. Sie nahm ein sauberes Tuch aus einer kleinen Tasche, die sie bei sich trug und begann, die Wunde zu säubern. Eviana stellte sich und die anderen vor und berichtete von dem Zwischenfall in Eichenheim und der Befreiungsaktion im Kloster. Ariel hörte zu, ohne jegliche Regung.

“So, mehr können wir hier nicht tun, Rolf. Die Wunde ist tief. Es wird dauern bis sie geheilt ist. Dafür brauche ich Heilkräuter. Am besten wird es sein, ihr kommt mit in meine Hütte. Das ist ungefähr einen Tagesmarsch von hier.” Nach der Anspannung und Anstrengung des Kampfes war das eine lange Wanderung und sie sprachen wenig um ihre Kräfte zu schonen. Ariel fütterte sie mit Elfengebäck, das ihnen Kraft gab und besser schmeckte als alles, was sie bisher gegessen hatten.

“Sag mal, Ariel, wie hast du uns gefunden? Ohne dich hätten wir diesen Kampf nicht gewonnen.”

Ariel zögerte. Es schien, als überlegte sie, was sie antworten sollte.

“Ich war zufällig in der Nähe, auf einem meiner Streifzüge durch den Wald. Ich sammelte Heilkräuter.”

“Und dann hörtest du den Lärm?”

“Ja, das auch”, Ariel war nachdenklich, “doch vorher schon spürte ich, dass jemand meine Hilfe brauchte.” Irgendetwas daran schien ungewöhnlich, doch Ariel sprach nicht weiter. Stattdessen begann sie nun, ein Lied zu singen. Sie hatte eine wunderbare Stimme. Die Melodie war ganz einfach und auf ihre Art sehr eingängig. Das Lied beflügelte ihre Schritte auch wenn sie kein Wort des Textes verstanden. Langsam wurde es dunkel, doch es war Vollmond und sein helles Licht wies ihnen den Weg, bis sie endlich in das abgelegen Tal kamen, in dem Ariels Hütte stand. Ariel bereitete ihnen ein Lager und ohne noch ein Wort zu sprechen waren sie so wie sie waren erschöpft eingeschlafen.

Abt Nocktschnucke hüpfte immer wieder in die Luft und schrie.

“Diese Zauberbrut. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Melchor, ist die Nachricht jetzt ganz durch? Ließ sie nochmal vor.”

“Ja, Herr Abt. Also, hier steht:

‘Haben zwanzig Mann gesandt. Zehn von Pfeilen entwaffnet, acht mit Brandverletzungen, die Hälfte der Waffen in Gurken verwandelt. Zauberer sind entkommen. Der Teufel hat ihnen geholfen. Gezeichnet Riedrich’”

“In Gurken? Was meint er mit in Gurken? Melchor, geh noch mal zum Telegrafen, das muss ein Übermittlungsfehler sein.” Riedrich war ein komischer Knabe, aber er verstand sein Handwerk. Wenn es zwanzig seiner Männer nicht gelungen war, diese Zauberer zu fangen, dann waren sie wesentlich gefährlicher, als er dachte.

“Ach, und Melchor, wir müssen auch dem Inquisitor und den König benachrichtigen und vor allem unsere Freunde in Wahlingen.”

“Ja, Herr Abt. Natürlich Herr Abt.” Das nächste Mal würden sie besser vorbereitet sein.