19. KAPITEL

Jed verbrachte den Samstagmorgen häufig bei seinen Pferden. Er sagte, bei ihnen befände er sich in besserer Gesellschaft als bei den meisten seiner Bekannten, und außerdem widersprächen sie ihm nicht. Lexi fand ihn im Stall. Er hielt eine Gummibürste in der Hand und striegelte seinen besten Deckhengst.

Jed sah aus wie ein typischer texanischer Rancher. Statt ei nem Anzug trug er Jeans und ein langärmliges Shirt, und den noch strahlte er Verantwortung und Macht aus.

„Hallo Daddy“, begrüßte sie ihn, als sie den Stall betrat. Sie streichelte die weiche Pferdenase.

„Du bist früh auf.“

Sie hatte nicht viel geschlafen. Die Gedanken an die Er eignisse mit Cruz, das Bewusstsein, dass sie … wieder einen großen Fehler gemacht hatte, hatten sie nicht in Ruhe gelas sen. Der Versuch, etwas zu kaufen, das sie sich hätte verdienen sollen. Zuerst das Darlehen von Garth und dann der Deal mit Cruz.

„Ich wollte was vom Tag haben“, erwiderte sie. Sie rieb den Hals des Pferdes und entdeckte ein paar weiße Haare. „Er wird älter.“

„Wie wir alle, aber noch ist er gut drauf. Irgendwann werde ich ihn pensionieren müssen, aber nicht heute.“

Licht fiel durch die offenen Fenster. Eine Stallkatze schnurrte in der Sonne. Lexi war an diesem Ort aufgewach sen, hatte gelacht und geweint, hatte geplant auszureißen und sich dann nicht getraut zu gehen. Glory’s Gate wäre für immer ihr Zuhause, aber sie gehörte nicht mehr hierher.

„Warum hast du meine Mutter geheiratet?“, fragte sie un vermittelt.

Jed sah sie kurz an und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf das Pferd. „Das ist schon lange her.“

„Du wolltest doch sicher deine scharfen Kanten glattfeilen, nicht wahr?“

Er grinste. „Willst du damit sagen, dass ich nicht fit bin für die feine Gesellschaft, kleines Mädchen?“

„Manchmal nicht.“

„Stimmt.“ Er tätschelte dem Pferd die Flanke. „Deine Mutter war keine Schönheit, aber sie hatte was. Eine kühle Zurückhaltung. Ich dachte immer, wenn ich es schaffen würde, die Wand einzureißen, die sie umgab, würde ich ein Feuer in ihr entdecken.“

„Hast du?“

„Nein. Aber sie war alles, was ich wollte. Deshalb habe ich sie geheiratet. Mit Pru war es anders. Sie war Feuer pur. Eine schöne Frau. Jeder Mann wollte sie, und ich habe sie bekommen.“

Bekommen und weggeworfen, dachte Lexi traurig. Gebrochene Pru – in den Selbstmord getrieben, weil der Mann, den sie am meisten liebte, ihre Gefühle nicht erwiderte. Ihr Tod hatte Lexi gelehrt, vorsichtig zu sein – nur so viel von sich preiszugeben, dass man nicht Gefahr lief, sich zu verlieren. Sie hatte sich geschworen, anders zu sein. Dass sie ihr Kind niemals verlassen würde, wie verletzt sie auch wäre.

„Sie war keine starke Frau“, sagte Jed. „Das hätte ich sehen müssen.“

„Sie wollte mehr, als sie hatte.“

„Manchmal muss sich der Mensch mit einer Sache abfinden.“

Waren seine Töchter das für ihn? Etwas, womit er sich abfand? Ein Kompromiss?

„Vor ungefähr achtzehn Monaten trat mein Bankberater mit einem Kreditangebot an mich heran“, begann Lexi und machte sich auf das folgende Gespräch gefasst. Sie wusste, was auf dem Spiel stand – was sie verlieren würde. Aber irgendwann in der Nacht, als sich die Wände in der Dunkelheit bedrohlich zu nähern schienen, war ihr klar geworden, dass sie für einige Dinge einen zu hohen Preis bezahlte.

„Ein Investor?“

Sie nickte. „Zu dem Zeitpunkt habe ich das Gebäude, in dem ich jetzt sitze, gekauft und renoviert. Der Investor meinte, er wolle nur eine Rückzahlung, aber keinen Anteil am Geschäft.“

Jed runzelte die Stirn. „Warum?“

„Das wusste ich damals nicht. Ich nahm das Geld und legte los. Aber es gab einen Haken.“

Jed legte den Striegel hin und verschränkte die Arme vor der Brust. „Den gibt es immer. Das solltest du eigentlich wissen, Lexi.“

„Stimmt. Aber ich habe nicht nachgedacht. Ich dachte, das wäre die Chance, dir zu zeigen, was ich draufhabe. Also habe ich schnell expandiert. Das neue Spa lief zwar gut, aber es brachte nicht genug Geld rein, um den Kredit abzubezahlen.“

„Wo liegt der Haken?“

„Der Kredit war rückforderbar.“

„Wie viel?“

„Zwei Millionen Dollar.“

Jed wandte sich wieder dem Pferd zu. „Er hat den Kredit zurückgefordert. Du hättest vorsichtiger sein müssen.“

„Du sagst doch immer, wer vorsichtig ist, kommt als Letzter ins Ziel.“

„Ich spiele um zu gewinnen. War es bei dir auch so?“

Das hatte sie zumindest gedacht. Sie hatte gedacht, sie würde Jed mit ihrem Erfolg blenden. „Er hat den Kredit zurückgefordert. Mein Investor. Garth.“

Für eine Sekunde stand der Striegel still, dann bewegte er sich weiter. „Teil seines angeblichen Plans, uns zu vernichten?“

„Das war der Startschuss. Es gab noch mehr Aktionen.“

„Du sagst also, Garth hat dich reingelegt?“

„Ich sage, dass er den Köder ausgelegt hat, und ich ihn geschluckt habe.“

„Du brauchst zwei Millionen Dollar.“ Es war keine Frage.

„Ja.“

„Ich dachte, du wärst klüger, Lexi. Ich bin sehr enttäuscht von dir.“

„Ich weiß.“ Sie hatte gedacht, die Worte würden sie zerreißen, aber sie kamen nicht mal überraschend. „Ich weiß, dass ich damit aus dem Rennen um Titan World raus bin.“ Sie hielt inne, um die Gefühle über sich hereinbrechen zu lassen. Das stärkste war Traurigkeit, jedoch aus anderen Gründen als erwartet.

„Und falls nicht, möchte ich es sein“, endete sie, überrascht, wie richtig sich die Worte anfühlten.

„So ein Blödsinn. Jeder will, was ich habe.“

„Du irrst dich, Daddy. Was ich immer wollte und noch bis heute will, ist ein Vater, der mich als den Menschen sieht, der ich bin. Dem ich etwas bedeute, weil wir eine Familie sind. Und nicht, weil es mir gelungen ist, seine Aufmerksamkeit zu erregen.“

Jed starrte sie an. „Stellst du es in Frage, wie ich dich großgezogen habe? Willst du dich beklagen?“

Sie hob das Kinn. „Ich sage, dass Titan World nie das Ziel war. Wenigstens nicht für mich. Ich wollte, dass du mich siehst. Dich um mich kümmerst.“

„Diese Gefühlsduselei langweilt mich.“

Sie spürte einen Bruchteil von Prus Verzweiflung, kämpfte sie jedoch nieder.

„Du hättest Skye um das Geld bitten können“, sagte Jed. „Sie hätte es dir gerne gegeben. Du hättest es also vor mir geheim halten können.“

Das hatte sie schon einmal versucht und war gescheitert. Außerdem wollte sie nichts mehr geheim halten.

„So ist es besser.“

„Gut. Bis heute Mittag hast du den Scheck. Nutze ihn wohlüberlegt.“

„Das werde ich.“

Jed seufzte. „Ich dachte, du wärst es, Lexi. Ich dachte, du würdest mich überzeugen.“

„Das dachte ich auch.“

Es ist genauso wie gestern Abend, dachte sie. Nichts an diesem Gespräch überraschte sie, aber es war, als sähe sie zum ersten Mal klar. Die hässlich verkorkste Beziehung zu ihrem Vater erschien ihr greifbarer denn je. Sie hätte sich an den scharfen Kanten schneiden können, doch sie war gut darin, sich zurückzuziehen. Sich zu schützen. Fortzugehen.

Jed würde sich niemals ändern, genauso wenig wie sie. Sie standen an einem Scheideweg. Der Unterschied war nur, dass sie es sah und er nicht. Er würde immer ihr Vater bleiben, aber die schöne Fantasie dessen, was hätte sein können, war zerplatzt.

Er würde von ihr immer nur Taten verlangen, und sie würde sich für immer nur einen Vater wünschen, der sie bedingungslos liebte. Sie beide waren dazu bestimmt, enttäuscht zu sein.

„Auf Wiedersehen, Daddy“, verabschiedete sie sich und verließ den Stall.

Als sie in den sonnigen Morgen hinaustrat, blieb sie kurz stehen und holte tief Luft. Vor ihr leuchtete das Haus. Nur ein Haus, sagte sie sich. Nicht mein Zuhause. Nicht mehr.

Cruz kam am späten Nachmittag nach Hause. Er war extra lange weggeblieben, um Lexi Zeit zu geben, sich zu beruhigen, und um sich zu überlegen, was zum Teufel er sagen würde.

Er hatte sich wie ein Arsch verhalten. Das wusste er. Für das, was er getan hatte, gab es keine Entschuldigung. Noch schlimmer – er hatte ihr wehgetan, obwohl es das Letzte war, was er wollte. Schon gar nicht jetzt, da er gerade entschieden hatte, aus ihrer vorübergehenden Verlobung etwas Dauerhaftes zu machen.

Er parkte vor dem Haus und ging hinein. Nachdem er zwei Schritte in den Eingangsbereich gemacht hatte, wusste er, dass sie weg war. Es war zu still. Es herrschte eine Leere, die ihm verriet, dass sie ausgezogen war.

Er fand den Scheck auf seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Er war auf ihn ausgestellt und belief sich auf zwei Millionen Dollar. Daneben lag der diamantene Verlobungsring, den er ihr gegeben hatte.

Woher hatte sie das Geld? Von ihrer Schwester? Von Jed? Die zweite Option machte ihm größere Angst, denn vor ihren Vater zu treten würde für sie bedeuten, ihren Traum aufzugeben. Es würde bedeuten, dass es keine zweite Chance gab.

Sie war nur wegen des Deals mit ihm zusammen gewesen. Ohne käme sie niemals zurück.

Izzy streichelte C.C. „Wenn wir uns jetzt regelmäßig treffen, sollten wir uns nach einem Cateringservice umsehen. Ich möchte bei unseren Gesprächen über Verdammnis und Zerstörung leckere Snacks essen. Die Zerstörung eines anderen zu planen, macht mich hungrig.“

Lexi rollte sich in einer Ecke ihres Sofas zusammen und wünschte, dieses Gespräch fände nicht statt. Ihr gesamter Körper schmerzte. Auch wenn sie wusste, dass es das Richtige gewesen war, Cruz zu verlassen – es war nicht leicht gewesen.

„Warum sind wir eigentlich hier?“, fragte Skye. „Was soll Cruz nicht hören?“

„Es geht nicht darum, dass Cruz irgendwas nicht hören soll“, antwortete Lexi und vergewisserte sich, dass die Taschentücherbox in greifbarer Nähe stand. In letzter Zeit brach sie leichter in Tränen aus. Vielleicht lag es an den Hormonen, vielleicht aber auch an ihrem Leben. Wie dem auch war, sie wollte vorbereitet sein. „Ich wohne nicht mehr bei ihm.“

Wie abgesprochen starrten die Schwestern auf ihre linke Hand. Sie hielt sie ihnen hin, damit sie sehen konnten, dass sie den Verlobungsring nicht mehr trug.

„Wir sind nicht mehr zusammen.“

„Warum nicht?“, fragte Izzy erstaunt. „Ich mochte Cruz mehr als jeden anderen deiner Freunde. Er war cool und, ich weiß nicht, stark.“

„Was ist passiert?“, wollte Skye wissen. „Ihr zwei wart doch offensichtlich ganz vernarrt ineinander.“

War die Show so gut gewesen? „Erinnert ihr euch noch an den Kredit, von dem ich euch mal erzählt habe? Garths rückforderbares Darlehen in Höhe von zwei Millionen Dollar?“

Sie nickten.

„Ich habe das Geld von Cruz bekommen. Ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte. Jed zu fragen hätte bedeutet, mich von Titan World zu verabschieden. Er durfte nicht wissen, dass ich versagt hatte. Also bin ich zu Cruz gegangen.“

„Oh, wow!“, kommentierte Izzy ironisch. „Ihr zwei wart verlobt. War doch klar, dass er es dir gibt.“

Skye hielt die Luft an. „Ihr wart gar nicht verlobt“, sagte sie. „War das der Deal?“

Lexi nickte. „Wir wollten sechs Monate lang vorgeben, verlobt zu sein. Er gab mir zwei Millionen Dollar, und ich führte ihn im Gegenzug in die Gesellschaft ein.“

Ein unmoralisches Angebot trifft Dallas.“ Izzys Augen wurden größer und größer. „Ehrlich, Lexi, ich hätte nicht gedacht, dass so was in dir steckt. Respekt, meine Liebe.“

Lexi schluckte. „Ich bin nicht stolz auf das, was ich gemacht habe. Aber zu dem Zeitpunkt dachte ich, es wäre eine gute Idee.“

„Weil du nicht zu mir kommen konntest, um mich um das Geld zu bitten.“ Skye klang verbittert. „Du dachtest, ich würde es Jed erzählen.“

„Du hättest es in einem Gespräch versehentlich erwähnen können.“

„Ich bin deine Schwester. Du solltest mir vertrauen. Habe ich jemals irgendwas getan, das dich verletzt hat? Habe ich dich schon mal im Stich gelassen? Lexi, ich liebe dich.“

Die erwarteten Tränen begannen zu fließen. Lexi griff nach einem Taschentuch. „Ich weiß“, sagte sie. „Tut mir leid. Vor lauter Angst zu verlieren konnte ich nicht mehr denken. Ich habe nur noch reagiert.“

„Ich hasse ihn“, schimpfte Izzy. „Jed ist ein mieses Dreckschwein. Warum macht er so was?“

„Ich glaube, ich habe das alles mir selbst zuzuschreiben“, erwiderte Lexi.

„So ein Blödsinn. Du hattest Angst, dass er dich aus dem Rennen um Titan World kickt, wenn er die Sache mit dem Kredit herausfindet.“

Skye sah todtraurig aus. „Lexi, ich hätte ihm kein Sterbenswörtchen gesagt.“

„Mein Kopf weiß das, aber mein Herz … Ich wollte doch nur, dass mein Vater mich liebt.“

„Das tut er“, sagte Skye. „Auf seine eigene Art.“

Izzy verdrehte die Augen. „Eines Tages wirst du in ihm den Menschen sehen, der er wirklich ist. Eines Tages wirst du das tun müssen, was Lexi getan hat, und gehen.“

Skye ignorierte die Bemerkung. „Was hast du jetzt vor?“

Lexi brachte ein kleines Lächeln zustande. „Was Izzy gesagt hat. Ich bin gegangen. Ich bin zu Jed gegangen und habe ihm erzählt, was passiert ist. Er gab mir die zwei Millionen, nachdem er mir gesagt hat, wie enttäuscht er von mir ist. Dass er mehr von mir erwartet hat. Damit sind deine Chancen wohl beträchtlich gestiegen.“

Skye rutschte in dem Sofa herum. „Ich will nicht darüber nachdenken. Titan World hat mich noch nie interessiert. Mir geht es um Glory’s Gate.“

„Für Jed ist das ein und dasselbe.“ Izzy kraulte C.C. hinter den Ohren. „Warum hast du ihn um das Geld gebeten? Du hattest es doch von Cruz.“

„Der Deal hat nicht funktioniert. Ich konnte nicht bleiben.“

Sie musste an den Augenblick auf der Party denken, als sie gesehen hatte, wie er Sabrina küsste. Zwar hatte der Kuss ihm offensichtlich nichts bedeutet, aber sie hatte endlich begriffen, dass nichts von dem, was sie zusammen hatten, echt war. Und dass es niemals echt würde.

„Warum nicht?“, fragte Skye.

„Weil ich mich in ihn verliebt habe.“

Izzy lächelte. „Aber das ist doch super. Jetzt muss es kein Geschäft mehr sein. Ihr könnt richtig zusammen sein.“

Skye war zurückhaltender. „Warum ist es für dich keine Option zu bleiben?“

„Weil er meine Gefühle nicht erwidert. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt jemanden lieben kann.“

„Das ist alles?“, meinte Izzy. „Du läufst weg, weil er dir kein Liebesgeständnis mit Blumen macht?“

„Warst du überhaupt schon mal verliebt?“, fragte Skye schnippisch. „Musstest du irgendwann schon mal an jemand anderen außer an dich denken? Es kann das schönste Gefühl auf der Welt sein, aber es kann dich auch zerreißen.“

„Warum greifst du mich an?“, verteidigte Izzy sich. „Ich bin nicht die Böse.“

„’Tschuldigung“, murmelte Skye.

„Es geht nicht um Blumen“, sagte Lexi, während sie gegen noch mehr Tränen ankämpfte und sich wünschte, stärker zu sein. „Cruz hat mich und meinen Einfluss gewissermaßen für sechs Monate gekauft. Reichtum und Privilegien bedeuten ihm mehr als Liebe.“

„Autsch“, meinte Izzy.

„Es wäre zu schwer, mit ihm zusammen zu sein und die ganze Zeit zu wollen, was ich nicht haben kann.“

„Es wäre genauso wie bei Pru“, flüsterte Skye.

Lexi wünschte, ihre Schwester hätte die gedankliche Verbindung nicht geknüpft. Skye war diejenige gewesen, die den leblosen Körper gefunden hatte. Sie war es gewesen, die jede Nacht schreiend aufgewacht war, wenn der grausame Augenblick sie in ihren Träumen heimgesucht hatte.

Izzy legte C.C. auf die Armlehne des Sessels und kniete sich vor Skye auf den Boden. Sie fasste sie an den Händen. „Lexi ist nicht wie Pru. Lexi wird nicht sterben.“

„Ganz sicher nicht“, bekräftigte Lexi und rutschte zu Skye hinüber. „Ich liebe euch beide. Ich werde das durchstehen. Alles wird wieder gut.“

„Gleich nachdem wir Garth einen Tritt in den Hintern verpasst haben“, fügte Izzy hinzu.

„Er wird gezwungen sein, nach Oklahoma oder Arkansas zu ziehen“, sagte Skye, die sich merklich um einen unbekümmerten Tonfall bemühte. „Texas wird Sperrgebiet für ihn sein.“

„Wir machen ihn zur Schnecke“, setzte Lexi noch eins drauf.

„Wir werden ihn erniedrigen“, sagte Izzy.

Skye umarmte sie beide. Lexi schloss die Augen und wusste: Was auch geschehen mochte, sie hätte immer ihre Schwestern. Zu schade nur, dass sie sich für diese Erkenntnis in Cruz hatte verlieben müssen.

„Du könntest doch mit Mom über mein Date sprechen“, schlug Kendra quer über den Tisch im Red Robin vor. „Auf dich würde sie bestimmt hören, jetzt, wo wir Vater und Tochter spielen und so. Ich rede ja gar nicht davon, na ja, lange zu bleiben. Vielleicht bis Mitternacht. Mitternacht ist nicht schlecht.“

Cruz war vielleicht nicht der erfahrenste Vater der Stadt und er hatte momentan womöglich viel im Kopf, aber er wusste, wenn er von einem fünfzehnjährigen Teenager manipuliert wurde.

„Netter Versuch, mein Kind“, erwiderte er. „Nein. Deine Mutter möchte, dass du dich noch ein Jahr lang nicht alleine mit Jungs triffst, und sie hat recht damit.“

„Wir würden uns viel schneller annähern, wenn du dich auf meine Seite schlägst“, meinte Kendra.

„Das Risiko gehe ich ein.“

„Mein Leben ist ein einziger Schmerz.“

„Du wirst drüber hinwegkommen.“

Zu seiner Überraschung lächelte sie und fing an, von der Schule zu erzählen.

Während sie beim Mittagessen fröhlich plauderten, ertappte er sich dabei, dass er ihre gemeinsame Zeit mehr genoss, als er erwartet hatte. Kendra war gescheit und lustig. Beim Reden benutzte sie ihre Hände, und er konnte eine kleine Narbe auf der Innenseite ihres Arms erkennen.

Wann hatte sie sich verletzt? Was war passiert? War sie genäht worden? Obwohl sie sich jetzt so unbeschwert unterhielten, wusste er nur wenig von ihr. Sie war seine Tochter und praktisch eine Fremde.

„Erde an Dad“, sagte sie. „Bist du noch auf diesem Planeten?“

„Entschuldige. Ich habe nachgedacht.“

„Über …?“

„Darüber, dass ich dich besser kennen sollte.“

Unerwartet stiegen ihr Tränen in die Augen. „Ich dachte, das willst du gar nicht.“

„Doch.“

Sie lächelte und berührte mit den Fingerspitzen flüchtig ihre Wangen. „Ich auch.“

Seine Brust fühlte sich komisch an. Eng. Als könnte sie die Gefühle, die darin saßen, nicht alle fassen. Er wäre gern aufgestanden und gegangen, weil dieser liebevolle Mann nicht er war. Aber er wollte Kendra nicht wehtun. Ihm hatte nie etwas daran gelegen, ihr Vater zu sein … zumindest bis jetzt nicht.

„Wie geht es Lexi?“, fragte sie. „Ich habe gedacht, sie kommt vielleicht mit zum Essen. Was ist? Warum guckst du so?“

„Wie gucke ich denn?“

„Was ist passiert?“

Er dachte an das leere Haus. „Nichts ist passiert.“

Kendra vergrub das Gesicht in ihren Händen, dann sah sie ihn an. „Nein, nein, nein. Sag mir nicht, dass du Schluss gemacht hast. Da-ad. Sie ist toll. Du darfst ihr natürlich nicht sagen, dass ich das gesagt habe, aber es stimmt. Ich mag sie. Ich dachte, ihr zwei versteht euch gut. Warum hast du Schluss gemacht?“

„Hab ich ja gar nicht. Sie ist gegangen.“

„Weil du irgendwas angestellt hast.“

Er hatte sich wie ein Mistkerl und Vollidiot verhalten. Er hatte sie verloren. „Es ist vorbei.“

„Muss es das denn? Kannst du es nicht wieder kitten?“

Die Abmachung widerrufen? Ihr sagen, dass er was Festes wollte? Dass sie die erste Frau war, mit der jeden Morgen auf zuwachen er sich vorstellen konnte?

„Die Sache ist kompliziert.“

Sie sackte auf ihrem Stuhl zusammen. „Das sagt ihr Erwachsenen immer, aber in Wahrheit heißt es nur, dass ihr Mist gebaut habt und es nicht zugeben wollt. Sag ihr, dass es dir leidtut. Sag ihr, dass du es nie wieder tun wirst.“

„So einfach ist das nicht.“

„Kann es aber sein. Bei mir hat es ja auch geklappt.“

Er legte seine Hand auf ihre. „Du warst ja auch bereit, mir eine Chance zu geben.“

„Das ist Lexi auch. Dad, ich meine es ernst. Du musst auf mich hören. Sie ist was Besonderes. Lass sie nicht einfach gehen. Fahr zu ihr.“

Das hatte er ohnehin vorgehabt. „Mache ich.“

„Heute. Jetzt.“

„Ich warte noch, bis wir fertig sind mit essen.“

Sie musterte ihn. „Dann fährst du zu ihr? Versprochen?“

„Ja.“

„Und du bringst die Sache wieder in Ordnung?“

„Ich werde es versuchen.“

„Gib dir Mühe.“

Um kurz nach vier am Nachmittag klopfte Cruz an Lexis Tür. Sie hatte ihn erwartet. Sie hatte gewusst, dass er auf eine Erklärung bestünde. Das Problem war nur, dass sie immer noch nicht wusste, was sie sagen sollte. Die Wahrheit? Es wäre durchaus sinnvoll gewesen, ihm zu gestehen, dass sie in ihn verliebt war und zufällig auch noch ein Kind von ihm erwartete, aber konnte so ein Gespräch überhaupt gut ausgehen? Wollte sie wirklich, dass er ihr das Herz herausriss? Aber vielleicht wäre es ja gut, die Sache hinter sich zu bringen. Dem Schmerz ins Gesicht zu sehen und weiterzuleben.

Wenn das Leben doch nur Randbemerkungen hätte.

Er sieht gut aus, dachte sie, als sie die Tür öffnete. Im Anzug fand sie ihn umwerfend, aber in Jeans und T-Shirt brachte er ihren Körper zum Winseln.

Sie hatte ihn immer gewollt, hatte sich sexuell immer gehen lassen können. Doch zu spüren, wie sich die Erde bewegte, reichte noch lange nicht für eine Beziehung. Zumindest nicht auf lange Sicht.

Sie trat zur Seite, um ihn hereinzulassen, schloss dann die Tür und folgte ihm ins Wohnzimmer.

Er setzte sich nicht.

„Ich habe den Scheck und deinen Ring gefunden“, begann er. „Ist das deine Art, Dinge zu beenden?“

Sie nickte. „Ich war nicht in der Stimmung, eine Nachricht zu schreiben.“

„Es tut mir leid. Das mit Sabrina. Ich hätte weder mit ihr tanzen noch zulassen dürfen, dass sie mich küsst. Es hatte keine Bedeutung. Das schwöre ich dir.“ Er ging langsam zum Fenster und wieder zurück. „Das ist ein klassischer Männersatz, aber in diesem Fall stimmt er.“

„Ich weiß.“

„Sie ist eine alte Freundin. Ich bin nicht an ihr interessiert. Ich war nie ernsthaft an ihr interessiert.“

„Ich weiß.“

Er ging auf sie zu. „Du glaubst mir?“

Sie nickte. „Es ist einfach passiert. Ich finde zwar nicht, dass es gut für eine Verlobung ist, wenn man mit seiner Ex-Freundin tanzt und sie küsst. Aber ich weiß, dass es … unbedeutend war. Nur warum du es getan hast, verstehe ich nicht. Wolltest du mich eifersüchtig machen?“

„Ich wollte in meinem Kopf ein paar Dinge gerade-rücken.“ Er steckte die Hände in die Hosentaschen. „An diesem Abend ist mir etwas klar geworden. Nämlich was wir beide haben. Es ist mehr als nur eine geschäftliche Abmachung. Wir sind ein gutes Team. Du bist genau das, wonach ich suche. Wir verbringen gerne Zeit miteinander. Der Sex ist toll. Was wäre, wenn wir den Deal fest machen?“

Sie sagte sich, dass er sie nicht absichtlich verletzte. Dass er nicht die ganze Wahrheit kannte und sie mit seinen Worten aufmuntern wollte. Aber ihr ganzer Körper schmerzte. Der Verlust schmerzte. Sie trauerte um den Traum, dass er seine Vergangenheit hinter sich lassen würde und bereit wäre, jemanden zu lieben. Sie zu lieben.

„Wir würden heiraten?“, fragte sie, obwohl sie nicht wusste, warum sie sich weiter quälte.

„Wann immer du es möchtest“, antwortete er. „Du wohnst bei mir … zumindest hast du das bis vor Kurzem. Du magst Kendra, und sie ist ganz verrückt nach dir. Ich habe heute Mittag mit ihr gegessen, und sie hat nach dir gefragt. Komm schon, Lexi. Du musst es doch auch sehen. Wir sind ein Spitzenteam.“

„Was ist mit Liebe? Was ist, wenn du jemanden kennenlernst?“

„Ich will keine außer dir.“ Er lächelte und berührte ihre Wange.

Diese Worte sollten mich eigentlich glücklich machen, dachte sie traurig. Vielleicht hätten sie das auch, wenn er jemand anderes gewesen wäre und sie sich nicht in ihn verliebt hätte.

Es wäre so leicht gewesen, nachzugeben. Ja zu sagen und ein hübsches Halb-Leben zu akzeptieren, in dem sich ihr Herzenswunsch fast erfüllen würde. Sie hatte sich so lange zurückgenommen, so lange gefürchtet, zurückgewiesen zu werden, hatte so lange Angst gehabt, ihr wahres Ich zu zeigen. Sie hatte in einer Beziehung nie gesagt, was sie wirklich wollte – aus Angst, jemand könnte Nein sagen. Jemand könnte sagen, sie sei es nicht wert.

„Ich kann das Spiel nicht weiterspielen“, sagte sie.

„Das will ich auch nicht. Ich möchte dich heiraten.“

„Aber du liebst mich nicht.“

Er ließ die Hand senken. „Lexi, müssen wir wirklich darüber sprechen?“

Ja. Weil es nichts Schöneres im Leben gab. Weil Liebe am Ende alles war, was zählte.

„Ich liebe dich, Cruz. Schon lange. Vielleicht von dem Moment an, als wir uns zum ersten Mal gesehen haben. Du hast mich gefragt, warum du mein erster Mann warst. Ich hatte den Abend damals nicht geplant. Es ist einfach passiert. Denn als wir uns geküsst haben, wusste ich, dass ich für immer mit dir zusammen sein will.“

Er erstarrte und wich zurück. Sie sprach weiter. Es war endlich an der Zeit, die Wahrheit zu sagen.

„Am nächsten Morgen war ich überglücklich. Du hattest die Nacht zu einer vollkommenen Nacht gemacht. Ich hatte so viele Pläne und Träume. Aber du konntest nicht schnell genug davonlaufen. Ich war am Boden zerstört, aber anstatt das zuzugeben, habe ich mich an meinen Titan-Stolz geklammert und dir gesagt, dass Mädchen wie ich sich nicht mit Jungs wie dir abgeben. Ich wollte lieber von dir gehasst werden als bemitleidet.“

„Lexi, nicht.“

„Nicht was? Die Wahrheit sagen? Mich bloßstellen? Weil es das ist, wovor du am meisten Angst hast, nicht wahr? Die Verletzlichkeit.“ Sie starrte in seine dunklen Augen. Er sollte die Wahrheit sehen. „Liebe macht dich nicht schwach, Cruz. Sie befreit dich, weil sie dir gestattet, so zu sein, wie du bist. Was dein Vater deiner Mutter angetan hat, hatte nichts mit Liebe zu tun. Er war ein schwacher Mann, der versucht hat, sich stark zu fühlen. Du solltest lieber sehen, wie sehr deine Mutter dich liebt und wie du sie beschützt hast. Denn genau da lebt die Liebe. Nicht in den Schlägen deines Vaters.“

Wenn sie doch nur wüsste, was sie sagen sollte. Welche Kombination von Worten und Pausen zu ihm durchdränge. Doch sie hatte Angst, dass er nichts hören wollte, nichts wissen, nichts glauben.

„Jed ist genauso. Er schlägt zwar niemanden, aber er kontrolliert die Menschen, fordert von ihnen und hält sich dabei für einen starken Mann. Er ist es nicht. Ich habe mein ganzes bisheriges Leben gebraucht, um das zu erkennen. Ich könnte das Spiel mit ihm bis in alle Ewigkeit spielen, aber ich würde nie gewinnen, weil er ständig die Regeln ändert. Ich habe immer geglaubt, dass ich eines Tages das Richtige tun oder sagen würde und er mich endlich als seine Tochter akzeptieren und lieben würde.“

Sie atmete tief durch. Die Wahrheit zu akzeptieren tat weh, aber es befreite sie auch. Das durfte sie nicht vergessen. „Das wird nie geschehen. Er kann oder will keine solche Beziehung zu mir aufbauen. Ich werde ihn immer lieben, weil er mein Vater ist, aber ich habe genug vom Spielen. Ich gehe weg.“

In Cruz’ Kiefer zuckte ein Muskel. „Lexi, du weißt nicht, worum du mich bittest.“

„Doch, das weiß ich. Ich bitte dich, mir, uns eine Chance zu geben. Ich bitte dich, mir zu glauben, dass ich es gut meine, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe. Ich will dich nicht verletzen oder brechen. Es gefällt mir, dass du stark bist. Ich liebe alles an dir. Es geht nicht darum, dich zu verändern, sondern darum, dass wir eine echte Beziehung führen. Eine, die nicht auf Zweckmäßigkeit beruht.“

Er sagte nichts. Vielleicht brauchte er das auch nicht. Sie hatte gewusst, dass es so kommen würde. Aber warum musste es so verdammt wehtun, recht zu haben?

Sie öffnete ihm wahrhaftig ihr Herz und ihre Seele. „Ich liebe dich, Cruz.“

Er ging an die andere Seite des Zimmers. „Ich kann nicht, Lexi. Du weißt, dass ich nicht kann. Bitte mich um etwas anderes. Geld, ein Haus. Verdammt noch mal, ich würde dir ein ganzes Land kaufen. Aber das hier geht nicht.“

Traurigkeit, Schmerz. Ihr tat alles weh. „Liebe ist alles, was ich will.“

Sie starrte auf seinen Rücken, auf seine steifen Schultern. Eines musste sie ihm noch sagen.

Sie holte die kleine Plastikschachtel, die sie hinter einem Sofakissen versteckt hatte und reichte sie ihm.

„Hier.“

Er drehte sich um, nahm die Schachtel und starrte auf den Schnuller. „Ich bin schwanger.“

Cruz hätte nicht geglaubt, dass die Welt unter seinen Füßen noch mehr ins Schwanken geraten könnte. Lexis Liebesgeständnis war schon ein großer Schock gewesen. Aber das hier? Er fragte sich, ob jemals wieder alles in Ordnung käme.

Ein Baby?

Er hatte ein Déjà-vu. Die unerwartete und ungewollte Schwangerschaft. Nicht noch einmal. Zum Teufel, nicht noch einmal.

Er wappnete sich für das Gefühl, gefangen zu sein, hinters Licht geführt worden zu sein. Doch stattdessen spürte er eine eigenartige Wärme, eine Neugier darauf, was als Nächstes geschehen würde.

Er konnte sich Lexi gut schwanger vorstellen, kurvig und wunderschön. Aber sah er sich selbst daneben?

Lexi behielt die Fassung, das Kinn in die Luft gereckt. „Alles oder nichts“, sagte sie herausfordernd. „Ich werde nicht zulassen, dass du im Leben meines Babys herumspringst wie in Kendras. Und ich habe auch kein Interesse an deinem Geld. Von diesem Problem kannst du dich nicht freikaufen. Du hast die Wahl. Ich will nichts Halbes. Ich will einen echten Ehemann, der für mich da ist. Ich will einen Vater für mein Kind. Ich will Liebe, Hingabe und eine feste Bindung. Oder hast du zu viel Angst?“

Er hatte keine Angst. Es war viel mehr als das. Sie wollte zu viel. Sie wollte seine Seele, und die vertraute er niemandem an.

Ihre Schultern sackten zusammen. „Ich wusste es“, flüsterte sie. „Du willst lieber gehen.“ Sie zeigte auf die Tür. „Dann geh.“

„Lexi.“

„Geh!“, schrie sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Lexi, ich ….“

„Es ist alles gesagt.“

Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, ging er. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hörte er Lexi schluchzen und hatte das Gefühl, jemand risse ihm bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust.