18. KAPITEL

Egentlich hatte Lexi gar nicht in das Babygeschäft gehen wollen. Es lag neben einer Hallmarkfiliale, wo sie eine lustige Karte kaufte, um sie Kendra zu schi cken. Auf dem Weg zu ihrem Auto wurde sie jedoch magisch von der Schaufensterdekoration angezogen, die ein Kinder zimmer zeigte. Die Bettbezüge waren in mintgrün und gelb gehalten. Winzige Teddybärengel schwebten auf cremewei ßem Stoff. Die geöffnete Tür neben dem Schaufenster war ein fach zu verlockend. Sie musste hineingehen.

Es gab Dutzende Einrichtungsbeispiele und verschiedene Abteilungen – Kleidung, Bücher, Hochstühle, Autositze und Spielzeug. Sie streifte durch die Möbelabteilung, fuhr mit der Hand über das Geländer eines Gitterbettchens und strich über eine Bettdecke.

Das ist alles so klein, dachte sie, während sie zu den An ziehsachen ging. So winzig. Wie konnte ein Baby so klein sein und dennoch real? Ihr Kind war es noch nicht. Es war eine als Reiskorn verkleidete Theorie. Schwanger? Sie? Unmöglich.

Und doch war es so. In ungefähr acht Monaten würde sie ein Kind gebären.

Sie nahm ein rosaweißes Kleid mit Rüschen hoch und legte es zurück. Die Jungensachen sprachen sie an. Latzhosen mit Babyhunden und T-Shirts mit kleinen Zügen.

Ein Junge wäre schön, dachte sie abwesend. Ein Junge wie Cruz. Es würde ihr gefallen, ihren Sohn anzusehen, der von Cruz die Augen und die dunklen Haare geerbt hätte. Und auf jeden Fall sein Lächeln. Einem Kind würde dieses unwider stehliche Lächeln gut stehen.

„Hallo. Kann ich ihnen helfen?“

Lexi sah die ältere Frau an, die neben ihr stand. „Ich sehe mich nur um.“

Die Frau lächelte. „Dafür sind Sie aber ziemlich konzentriert. Ihr erstes?“

Lexi hatte noch niemandem von ihrer Schwangerschaft erzählt. Sie glaubte es ja selbst kaum. Trotzdem sagte sie: „Ja. Ich habe es erst vor ein paar Tagen erfahren. Ich frage mich, wann ich es endlich realisiere.“

„Spätestens wenn Sie Ihr Baby zum ersten Mal um vier Uhr morgens stillen.“ Die Frau tätschelte ihren Arm. „Herzlichen Glückwunsch.“

„Danke. Ich kenne mich überhaupt nicht mit Babys aus.“

„Sie wissen mehr, als Sie denken. Das tut jede Mutter. Aber sicherheitshalber gibt es auch einen ganzen Haufen Bücher zu diesem Thema. Ich kann Ihnen ein paar empfehlen.“

„Danke.“

Gemeinsam gingen sie in die Bücherabteilung. Die Frau zog einige Exemplare aus den Regalen und zählte ihre Vorzüge auf. Lexi suchte sich zwei aus.

„Freut Ihr Mann sich, oder hat er Angst?“, fragte die Verkäuferin auf dem Weg zur Kasse.

„Ich habe es ihm noch gar nicht erzählt. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Oder wie ich es sagen soll.

Würde Cruz sich freuen? Oder würde er in dem Kind eine zweite Kendra sehen? Ein Kind, das es zu ignorieren galt?

Die Frau reichte ihr eine durchsichtige Plastikschachtel. Darin lag auf gekräuselten, pinken und blauen Papierstreifen ein Schnuller.

„Versuchen Sie es damit“, schlug sie vor. „Dann wird er verstehen.“

Lexi nickte und lege die Schachtel auf die Bücher.

Als sie bezahlt hatte und in ihrem Auto saß, starrte sie auf die Einkaufstüte, die auf dem Beifahrersitz stand. Sie musste es ihm sagen. Er hatte ein Recht, es zu erfahren. Und irgendwann sollte sie vermutlich auch erwähnen, dass sie sich in ihn verliebt hatte.

Vielleicht würde sich alles zum Guten wenden. Vielleicht wäre er aufgeregt und sähe das Kind als Chance für sie beide, von vorn anzufangen – als richtiges Paar. Vielleicht liebte er sie insgeheim schon seit Jahren und hatte nur nicht gewusst, wie er es ihr sagen sollte.

Eine hübsche Fantasie. Und sie wäre sogar noch schöner, wenn sie es schaffen würde, daran zu glauben.

„Dafür hab ich aber was gut bei dir“, raunte Lexi ihm zu, als sie sich durch die gut besuchte Cocktailparty bewegten.

„Das ist Teil unserer Abmachung“, erinnerte Cruz sie und legte ihr die Hand auf den unteren Rücken, um ihr einerseits nahe zu sein und sie andererseits zu dirigieren. „Ich brauche mich zwar nicht zu revanchieren, aber ich werde es trotzdem tun, weil ich so ein netter Mensch bin.“

Sie sah ihn an und lächelte. Ein Lichtstrahl fiel auf ihr Gesicht, ließ ihre blasse Haut aufleuchten und ihre Augen noch blauer wirken. Er hatte ja schon immer gewusst, dass sie schön war, aber in letzter Zeit schien sie ganz besonders zu strahlen.

„Und dabei wird es dann nur um mich gehen?“, fragte sie.

„Jede Sekunde.“

„Du bist ein schlechter Lügner.“

„Es wird nur um dich gehen – abgesehen von den letzten fünfzehn Minuten.“

Sie seufzte. „Das ist so typisch. Aber gut. Mach nur.“

Sie trat dichter an ihn heran, bis sie eng aneinander gepresst standen. Sein Körper reagierte augenblicklich, so wie immer. Das Bewusstsein, dass sie noch einige Stunden auf der Party verbringen würden, konnte sein Verlangen nach ihr nicht dämpfen. Es lebte in seinem Innern und ihm war, als könnte es ihn jede Sekunde mit Haut und Haar verschlingen.

Ein älteres Pärchen winkte ihm zu.

„Cruz. Ich habe gehört, dass du verlobt bist“, begrüßte der Mann ihn. „Wie ist es möglich, dass du so eine bezaubernde junge Dame für dich gewonnen hast?“

„Ich habe exzellente Qualitäten“, erwiderte Cruz.

„Da bin ich sicher“, sagte die Frau.

Er schüttelte dem Mann die Hand und küsste die Frau auf die Wange. „Margaret und Phillip, das ist meine Verlobte, Lexi Titan. Lexi, das sind Margaret und Phillip Reynolds. Phillip ist Inhaber eines großen Vertriebsnetzwerks für Autozubehör. Vor Jahren, als noch kein anderer bereit dazu gewesen wäre, ist er mit mir ein Wagnis eingegangen.“

„Das ist mein Verdienst“, erklärte Margaret lachend. „Ich sagte zu Phillip: Entweder du machst Geschäfte mit Cruz, oder ich gehe mit ihm fort.“ Sie ließ ihren Blick auf Cruz ruhen. „Auch wenn du mich leider nicht gefragt hast.“

Sie war mindestens siebzig und von einer Schönheit, die die Zeit überwand. Cruz dachte oft, dass Lexi in vierzig Jahren so wäre wie sie. Sie würde immer noch die Blicke der Männer auf sich ziehen, die anfangen würden, sich ihre Chancen auszurechnen.

„Ich wusste nicht, dass du frei warst“, neckte er sie. „Aber jetzt, da ich es weiß …“

„Denk nicht mal daran“, sagte Phillip und stellte sich zwischen die beiden. „Es ist nett, Sie kennenzulernen, Lexi. Ignorieren Sie die beiden einfach. Sie genießen es, mich zu quälen.“

„Es macht ja auch Spaß“, gestand Margaret. Sie griff nach Lexis linker Hand. „Darf ich?“

„Natürlich. Bitte.“ Lexi zeigte ihr den Ring.

„Wunderschön“, schwärmte Margaret. „Das hast du gut gemacht, Cruz.“ Sie tätschelte Lexis Finger. „Ich hoffe, Sie sind sich bewusst, dass Sie einen von den Guten abbekommen. Cruz war schon immer was Besonderes.“

Lexi sah ihn an. „Ja, das stimmt.“

Ihre Worte trafen ihn völlig unvorbereitet. Irgendetwas in ihrem Tonfall weckte in ihm den Wunsch, ihr zu glauben. Dann wandte sie sich ab, und der Zauber war gebrochen.

„Ich kenne Ihren Vater“, sagte Phillip. „Er ist ein beeindruckender Geschäftsmann.“

„Genau das sagt er jedem, der es hören will“, erwiderte sie lächelnd.

„Haben Sie nicht mal für ihn gearbeitet?“

„Während meiner Collegezeit“, antwortete Lexi. „Ich habe schnell gemerkt, dass ich mehr sein will als Jed Titans Tochter. Deshalb bin ich gegangen und habe mein eigenes Unternehmen gegründet.“

Während Phillip und Lexi sich unterhielten, nahm Margaret Cruz beiseite.

„Beeindruckend“, flüsterte sie. „Eine Titan. Ich hätte dir gern geraten, vorsichtig zu sein, aber ich brauche dich nur anzugucken und weiß, dass es zu spät ist.“

„Zu spät wofür?“

Sie lächelte. „Das ist so typisch, Cruz. Willst du denn gar nicht wissen, wovor ich dich warnen wollte?“

Er legte den Arm um sie. „Du wirst es mir ja sowieso sagen, ob ich es hören will oder nicht.“

„Stimmt genau.“ Sie sah sich um, als wollte sie sichergehen, dass Lexi nicht zuhörte. „Die Titans sind anders als wir anderen. Sie werfen riesige Schatten. Jed Titan ist ein knallharter Mann, wenn ich auch annehme, dass du problemlos mit ihm mithalten könntest. Ich wollte dir nur eindringlich raten, dich noch mal zu fragen, ob du auch wirklich aus Liebe heiratest und aus keinem anderen Grund.“ Sie lehnte den Kopf gegen seine Brust. „Aber das ist gar nicht nötig, und das macht mich sehr glücklich.“

Er ließ sie los und machte einen Schritt zurück. „Wovon redest du eigentlich?“

Margaret tätschelte seine Wange. „Wie wir damals zu sagen pflegten, als noch Dinosaurier über die Erde stromerten: Du hast dich verliebt. Das kann ich in deinen Augen lesen. Ich habe darauf gewartet, ungeduldig, wie ich vielleicht hinzufügen darf, dass du endlich jemanden findest und sesshaft wirst. Aber hast du mir den Gefallen getan? Natürlich nicht. Du bist von einem Mädchen zum nächsten gezogen. Und wenn mich das schon frustriert hat, kann ich mir ungefähr vorstellen, was deine Mutter durchgemacht hat. Wie geht es Juanita?“

„Gut, aber sie ist jetzt nicht das Thema. Was willst du mir sagen?“

„Dass du endlich die Richtige gefunden hast.“

Er hätte ihr gern gesagt, dass sie sich irrte, aber das ging nicht. Keine Menschenseele durfte von seiner Abmachung mit Lexi erfahren. Außerdem – was machte das schon? Sie führten Menschen an der Nase herum, die ihn schon seit Jahren kannten. Das war doch toll.

Margaret ging zurück zu ihrem Mann. Sie plauderten noch ein paar Minuten und entschuldigten sich dann.

„Die beiden sind sehr nett“, sagte Lexi. „Wusstest du, dass sie schon zweiundfünfzig Jahre verheiratet sind? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Sie sind so glücklich miteinander.“

Während sie sprach, strich sie sich die Haare glatt, wobei das Licht ihren Verlobungsring geheimnisvoll funkeln ließ.

Verlobt. Wie wäre das wohl? Sich fest an jemanden zu binden? Den Entschluss zu fassen, für immer mit diesem einen Menschen zusammen zu sein?

Es war gar nicht mal die Treue, über die er nachdachte. Nach einer Weile wurde selbst der Sex mit verschiedenen Frauen eintönig. Er hatte eher Einwände gegen die Erwartung, jemandem sein Herz zu schenken. Die Worte zu sagen, die Gefühle zu spüren und an einem emotionalen Ort zu leben, der ihn schutzlos machte.

„Sag mir, dass du mich liebst.“

Die Worte explodierten in seinem Kopf, die Stimme seines Vaters, gefolgt von dem dumpfen Geräusch einer zuschlagenden Faust.

„Sag es! Sag es oder es wird dir noch leidtun.“

Seine Mutter hatte es gesagt und dann um Gnade gefleht. Manchmal hatte sein Vater aufgehört, manchmal nicht.

Liebe ist Schmerz, dachte Cruz und schüttelte die Vergangenheit ab. Liebe war Schwäche und Unterwerfung. Liebe war nicht das, was er wollte.

„Cruz? Geht es dir gut?“ Lexi sah besorgt aus.

„Ja doch, alles bestens.“

„Senator Jackson ist hier. Er ist ein kalifornischer Senator, aber seine Frau ist in Texas geboren und aufgewachsen. Kennst du ihn?“

„Nein.“

Sie schmuggelte ihre Hand in seine. „Dann will ich euch mal bekannt machen. Er ist ein Kerl, der harte Drinks, Zigarren und die Jagd liebt. Du wirst ihn mögen.“

„Ich mache mir nichts aus diesen Sachen.“

Sie lachte. „Du bist zäh und dein eigener Chef. Genau wie er.“

So sah sie ihn also?

Sie führte ihn durch den Raum, wobei sie die Finger mit seinen verschränkt hielt. Doch bevor sie die Männergruppe erreicht hatten, in der sich alle angeregt unterhielten, zog er sanft an ihrer Hand, sodass sie stehenblieb.

„Es ist egal“, sagte er.

„Was? Du solltest ihn kennenlernen. Er ist wichtig.“

„Nicht heute Abend.“

Sie zog die Stirn kraus. „Wir haben eine Abmachung.“

„Du hast schon genug getan, Lexi. Ich kann den Senator auch ohne deine Hilfe kennenlernen.“

„Ich verstehe dich nicht.“

Vermutlich weil er sich selbst nicht verstand. Obwohl sich nichts geändert hatte, wollte er nicht, dass sie ihn auch nur einer weiteren Person vorstellte. Er würde es alleine schaffen. Seine eigenen Kontakte knüpfen.

„Lass gut sein“, sagte er.

„Aber …“

Er küsste sie auf den Mund. „Komm. Lass uns tanzen.“

„Na gut.“

Sie klang zwar nicht überzeugt, folgte ihm aber trotzdem. Sie vertraute ihm. Wir führen eine gute Partnerschaft, dachte er. Wir machen einander komplett.

Das ist es auch, was Margaret gesehen hat, sagte er sich. Nicht Liebe. Eine andere Art von Verbundenheit. Er und Lexi verstanden sich. Sie waren ein gutes Team. Warum also wollte er eine andere finden?

Cruz betrachtete die Frage in Gedanken von allen Seiten. Lexi war genau das, wonach er suchte. Eine Frau mit ansehnlichem Stammbaum und guten familiären Verbindungen, die seinen Kindern einen wesentlich leichteren Start ermöglichen würde, als er ihn gehabt hatte. Sie war intelligent, hübsch, lustig, klug. Sie machte ihn wild im Bett. Himmel, sie mochte sogar Kendra.

Warum hatte er das nicht schon vorher in Erwägung gezogen? Er suchte ja nicht nach der Liebe seines Lebens. Er wollte eine Abmachung treffen. Und wer wäre dazu besser geeignet als Lexi?

Er führte sie auf die Tanzfläche. Die Musik war langsam und sexy. Er zog sie in seine Arme.

„Wenigstens hast du Senator Vantage kennengelernt“, sagte sie. „Er spielt mit dem Gedanken, als Präsident zu kandidieren. Das wäre ziemlich cool. Vielleicht würde er dich ja mal ins Weiße Haus einladen.“

„Warst du schon mal dort?“, fragte er.

„Nur als Touristin, vor ein paar Jahren. Ich war mit meiner High-School-Klasse da.“

„War ja klar.“

Sie lachte. „Was soll das denn heißen? Willst du damit sa gen, dass ich ein Leben in Reichtum und voller Privilegien geführt habe?“

„Mhm.“

„Du hast recht, das habe ich. Oberflächlich betrachtet war alles perfekt.“

Er wusste, dass es hinter der Fassade Probleme gegeben hatte. Jed hatte seine Kinder vielleicht nicht geschlagen, aber dennoch war er ein Tyrann.

„Du würdest nie zulassen, dass es deinen Kindern genauso ergeht, richtig?“, fragte er. „Du würdest dich zwischen sie und Jed stellen.“

Sie stolperte. „Äh … natürlich würde ich das. Warum sprechen wir jetzt über Kinder?“

Weil du eine gute Mutter wärst, dachte er. Sie ließ sich von ihrem Herzen leiten. Sie versuchte, sich zäh zu geben, und die Welt sah sie als tüchtig und kühl. Die Eisprinzessin. Aber unter der Oberfläche war sie anders. Manchmal zuversichtlich, manchmal verängstigt.

„Tun wir doch gar nicht“, widersprach er und fragte sich, wie er ihr am besten seinen Vorschlag schmackhaft machen konnte, ihr Arrangement zu ändern. Ob sie interessiert wäre? Es brächte ihr durchaus Vorteile ein – außer sie wollte Romantik und falsche Liebesschwüre. Er hätte gern geglaubt, dass Lexi für so was zu pragmatisch war, aber Frauen tickten anders. Und in vielerlei Hinsicht blieb sie ihm ein Rätsel.

„Du bist ein exzellenter Tänzer“, sagte sie, als sie sich zu der Musik bewegten. „Du hast mit deiner Tanzlehrerin ge schlafen, stimmt’s?“

Jetzt stolperte er. „Was? Warum fragst du mich so was?“

„Weil dein Tanzstil sexuelle Elemente hat. Du versuchst, deine Partnerin zu besitzen. Du hast getanzt, um zu verführen, und du hast die Lektion nie vergessen.“

Er hatte tatsächlich mit seiner Lehrerin geschlafen. Sie war eine feurige Schönheit gewesen, die ihn davor gewarnt hatte, sich nicht in sie zu verlieben. Er hatte genossen, was sie ihm bot, und als es vorbei war, gingen sie zufrieden und seelisch unversehrt auseinander.

„Dein Köpfchen ist mehr als nur hübsch“, sagte er.

„Ich habe also recht.“

„Die Lieblingsworte jeder Frau.“

„Du gibst mir wirklich das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.“

Er beugte sich herunter und küsste sie flüchtig. Er konnte nicht anders. Er musste allen zeigen, dass sie ihm gehörte. Dass sie seine Frau war. Seine … Ehefrau?

Er richtete sich auf.

Lexi sah ihn an, und eine Sekunde lang meinte er, Tränen in ihren Augen zu sehen.

„Was ist los?“, fragte er.

„Nichts. Alles in Ordnung.“

Ich liebe dich.

Die Worte schossen ihm ohne Vorwarnung durch den Kopf. Er trat einen Schritt zurück. Er liebte niemanden. Niemals.

Lexi bemerkte nichts. Sie fasste sich an den Augenwinkel. „Ich, äh, muss mal zur Toilette. Kannst du dich für ein paar Minuten allein unterhalten?“

„Ja. Bist du sicher, dass es dir gut geht? Oder soll ich dich lieber nach Hause fahren?“

„Nein. Ich muss nur …“ Sie lächelte. „Mach dir keine Sorgen.“

Er sah ihr nach. Sollte er ihr nachgehen? Oder Margaret bitten, nach ihr zu sehen?

Ehe er eine Entscheidung treffen konnte, spürte er eine Hand auf dem Rücken. Die Hand glitt hinunter, und ein vertrauter Duft stieg ihm in die Nase.

„Hallo Sabrina“, sagte er, ohne sich umzudrehen.

„Cruz.“ Die Frau stellte sich vor ihn. „Ich habe nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen.“

Sabrina sah gut aus. Ihr Kleid liebkoste jede ihrer beeindruckenden Kurven, und ihre Brüste sahen aus, als wollten sie sich mit aller Kraft aus dem Stoffgefängnis befreien. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte er beim Anblick ihrer Üppigkeit den Drang verspürt, sich mit ihr zurückzuziehen und sie zu verwöhnen. Jetzt konnte er nicht aufhören, an Lexi zu denken und sich zu fragen, was mit ihr los war.

„Wie ich sehe, bist du immer noch verlobt“, stellte Sabrina fest. „Wie schade. Ich hatte gehofft, das wäre nur eine Phase.“

„Ich habe kein Interesse daran, dein nächster Ehemann zu sein.“

„Vielleicht könntest du mein letzter sein.“

„Nur wenn du anfängst, sie zu ermorden anstatt dich von ihnen scheiden zu lassen.“

Sie lachte. „Willst du damit sagen, dass ich mich nicht lange genug konzentrieren kann?“

„Ja.“

Sie holte tief Luft. Ihre Brüste zitterten. Das Kleid war so tief ausgeschnitten, dass er hätte schwören können, den Ansatz ihrer Brustwarzen zu sehen.

Das Orchester nahm sein Spiel wieder auf.

„Weist du mich wirklich zurück?“, fragte sie. „Ich meine: Willst du, dass ich aufhöre zu fragen?“

„Das wäre am besten.“

„In Ordnung. Aber ich bestehe auf einem letzten Tanz.“

Sabrina war gut zu ihm gewesen. Sie waren als Freunde auseinandergegangen, und sie hatte ihn einigen einflussreichen Leuten vorgestellt. Ein Tanz war das Mindeste, was er ihr schuldete.

Er reichte ihr die Hand.

Sie kam in seine Arme, hielt jedoch Abstand. Er entspannte sich.

„Du wirst die Ehe anstrengend finden“, prophezeite sie ihm. „Es ist nicht die Routine, die einen fertig macht, sondern dass man ständig daran denken muss, dass da noch jemand ist, der eine Meinung hat. Man kann nicht einfach gehen und machen, was man will. Es muss immer darüber gesprochen werden.“

„Ich denke, damit kann ich umgehen.“

Ihre Augen waren blau. Heller als Lexis, aber trotzdem hübsch. Sie rümpfte die Nase.

„Das sagst du jetzt, aber lass uns in ein paar Jahren noch mal darüber reden. Wenn du die ewigen Forderungen leid bist. Die meisten Frauen können sehr fordernd sein.“

Er dachte daran, wie Lexi forderte, ihr mehr zu geben, wenn sie miteinander schliefen. Wenn sie die Kontrolle verlor. Es war der Himmel auf Erden. Sie könnte alles von ihm fordern, was sie wollte.

„Warum versuchst du, mir Angst vor der Ehe zu machen?“, fragte er. „Bist du auf der Suche nach Ehemann Nummer drei?“

„Vier, aber lass uns lieber nicht zählen. Ich vermisse dich. Ich will zurückhaben, was mal zwischen uns war.“

Sex und sonst nichts. Nicht mal viel reden. Hatte ihm das wirklich gereicht? Er warf einen Blick über ihre Schulter und hoffte, Lexi zu sehen.

Sie seufzte. „Du hörst mir ja gar nicht richtig zu.“

„Tut mir leid.“

„Tut es nicht. Du bist schwer verliebt. Ich hätte die Signale erkennen müssen.“ Sie hörte auf zu tanzen. „Also gut, ich gebe auf. Vom Betteln kriegt man doch sowieso nur Falten.“ Sie verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und zog ihn zu sich heran. „Viel Glück bei allem. Auf Wiedersehen, Cruz.“

Ihre Lippen fühlten sich vertraut an, aber nicht mehr aufregend. Er küsste sie aus Gewohnheit, weil er es schon hundertmal gemacht hatte und es ihm immer noch nichts bedeutete. Doch als er sich aufrichten wollte, hielt sie ihn fest und öffnete den Mund.

Er packte sie an den Schultern und löste sich von ihr. „So viel zum Thema ‚aufgeben‘“, kommentierte er. Er war nicht mal überrascht, dass sie versucht hatte, ihn dazu zu bringen …

Sie redete, sagte vielleicht, dass sie es noch ein letztes Mal hatte versuchen müssen, doch er hörte nicht zu. Stattdessen starrte er in Lexis erschrockene Augen.

Sabrina drehte sich um. „Oh je. Das kann nichts Gutes bedeuten.“

Lexi musterte ihn von oben bis unten. „Ich kann nicht mal sagen, dass ich überrascht bin“, sagte sie nur, dann ging sie.

Er stand mitten auf der Tanzfläche und sah ihr nach. Sabrina gab ihm einen Stoß in den Rücken.

„Wenn sie dir irgendwas bedeutet, geh ihr nach. Sie ist nicht der Typ Frau, die dir vergibt, dass du eine andere geküsst hast. Sag ihr, dass es alles meine Schuld war. Sag ihr, dass es dir leidtut. Das ist ja sogar die Wahrheit.“ Sabrina seufzte. „Cruz, ich wollte ihr nicht wehtun. Und jetzt geh endlich.“

Ihr folgen. Sich entschuldigen. Schwäche zeigen.

Er konnte nicht. Er würde es niemals können.

Er verließ den Raum auf der entgegengesetzten Seite.

„Willst du darüber reden?“, fragte Dana.

Lexi wäre lieber über heiße Kohlen gegangen. Die Sache war nur, dass ihre Freundin sie keine zehn Minuten nach ihrem Anruf von der Party abgeholt hatte und eine Erklärung verdiente.

„Es ist wegen Cruz.“

„Keine große Überraschung. Was hat er gemacht?“

Lexi wollte es ihr nicht erzählen. Nicht, weil sie überhaupt nicht darüber sprechen wollte, sondern weil Reden den Moment real machen würde. Im Augenblick spürte sie einen kalten Schock, der es ihr zwar schwer machte, zu atmen, aber immerhin den schlimmsten Schmerz betäubte.

„Er hat eine andere geküsst.“

Dana sah sie an. „Das tut mir leid.“

Heiße Tränen brannten in ihren Augen. „Aber du bist nicht überrascht. Es ist ein Deal, richtig? Nicht mehr als eine Abmachung. Ich habe mich für Geld verlobt. Er hat mir das Geld zwar nicht auf den Nachttisch gelegt, aber das ist nur eine Frage der Interpretation. Er hat mich gekauft, also welches Recht habe ich, mich zu beschweren?“

„Lexi, mach dich nicht selber fertig. Die Sache setzt dir schon genug zu, und ich will nicht, dass du auf einen Menschen eintrittst, der mir etwas bedeutet und schon am Boden liegt.“

Lexi lehnte sich im Beifahrersitz des Pick-ups zurück und schloss die Augen. „Ich bin das Paradebeispiel für eine dämliche Kuh“, flüsterte sie. „Warum habe ich bloß geglaubt, dass zwischen uns etwas ist? Warum habe ich mir Hoffnungen gemacht? Ich wusste doch, wer und was er ist, als ich mich auf ihn eingelassen habe. Alles war klar. Er gibt mir das Geld, das ich für die Kreditrückzahlung brauchte, und ich verschaffe ihm Zutritt zur Titan-Welt. Und zu mir.“

„Du hast getan, was du zu dem Zeitpunkt für richtig gehalten hast.“

„Wirklich? Oder habe ich nur den einfachen Weg genommen?“

„Nichts an der Sache ist einfach.“

Das sah Lexi genauso. Sie fühlte sich emotional zerfetzt. „Alles, was ich je wollte, war, dass mein Vater mich um meinetwillen liebt. Nicht wegen dem, was ich geleistet habe, sondern wegen dem, was ich bin. Ich wusste, dass meine Mutter das nie getan hat. Sonst hätte sie mich nicht verlassen, als ich noch ein kleines Kind war. Aber Jed war immer da, eine Randfigur. Er hat mich glauben gemacht, dass er mich vielleicht eines Tages, wenn sich die Sterne in einer Reihe aufstellten und ich perfekt wäre, dass er mich dann endlich sehen und realisieren würde, dass er mich die ganze Zeit geliebt hat.“

„Er ist ein Mistkerl, Lexi. Ich weiß, dass er dein Vater ist und dass du ihn liebst, aber er ist ein mieser Mistkerl. Ich habe mich intensiv mit Geisteskranken beschäftigt. Vom psychologischen Standpunkt betrachtet zeugt der Einsatz von variablen Belohnungen von Macht. Man bekommt einen Bruchteil dessen, was man sich sehnlichst wünscht, zu sehen und versucht es deshalb weiter.“

Lexi öffnete die Augen und versuchte zu lächeln. „Ich verstehe deinen Kommentar so, wie du ihn wahrscheinlich gemeint hast, aber es klingt, als würdest du über Experimente mit Laborratten referieren.“

Dana rutschte verlegen auf ihrem Sitz herum. „Es war liebevoll gemeint.“

„Ich weiß. Vielleicht bin ich einer Laborratte ja auch ähnlicher, als ich zugeben will. Es ist nur …“ Sie wischte sich die Tränen weg. „Cruz ist ihm so ähnlich. Er hat Kendra verlassen. Er kauft sich, was er will, sogar Menschen. Die ganze Zeit habe ich die Wahrheit gesehen und versucht, sie zu verdrängen. Aber warum? Es ist, wie es ist. Er ist, wer er ist.“

Dana hielt neben dem Tastenfeld an Cruz’ doppelflügeligem Tor. Lexi nannte ihr den Code. Sie fuhren vor dem Haus vor und stiegen aus.

„Du hast mir gar nicht erzählt, dass du dich in ihn verliebt hast“, sagte Dana, als sie ihr ins Haus folgte.

Lexi bemühte sich erst gar nicht, es abzustreiten. Wozu auch? „Ich habe es selbst er vor Kurzem gemerkt. Er hat mir so viel gegeben, dass ich nicht anders konnte.“ Sie schloss die Tür auf und ging ins Haus. Es hatte seine einladende Atmosphäre verloren.

„Ich kann keinen von beiden für mich gewinnen, oder?“ Lexi war entschlossen, vernünftig zu sein, obwohl sie am liebsten geschrien und den Himmel um Gerechtigkeit angefleht hätte. „Es geht ja nicht mal um mich.“

Dana nahm sie in den Arm. „Es tut mir leid.“

Lexi klammerte sich an ihre Freundin. „Der Kuss hat ihm nichts bedeutet. Da bin ich mir sicher. Er war nicht mit dem Gefühl dabei. Es war nicht mehr als eine Gewohnheit oder ein Reflex. Ich fühle mich nicht verraten. Es war nur, als hätte jemand ein Licht eingeschaltet, in dem ich auf einmal alles genau erkennen konnte.“

Sie richtete sich auf und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Ich hänge mit dem Herzen in der Sache, und für ihn ist es nur ein Spiel. Ich muss aufhören, bevor ich völlig daran kaputtgehe.“

„Am liebsten würde ich ihn windelweich prügeln“, sagte Dana. „Aber hast du dir das Ganze auch gut überlegt? Willst du nicht zuerst mit ihm reden?“

„Um ihm was zu sagen? ‚Mensch, Cruz, ich habe wohl nicht aufgepasst und mich in dich verliebt‘? Eher ungünstig. Ich will weder sein Mitleid noch irgendeinen Deal. Ich will, dass ich, Lexi, ihm etwas bedeute. Genau wie bei meinem Vater. Wahrscheinlich brauche ich eine Therapie.“

„Wer braucht die nicht?“, meinte Dana.

„Ich sollte sein Herz einfach nicht gewinnen“, resümierte Lexi und spürte, wie ihr Inneres zu bröckeln begann. „Es war mir nicht vergönnt. Bei beiden nicht.“

„Cruz ist nicht Jed.“

„Ich weiß. So durcheinander bin ich dann auch wieder nicht. Aber ihm liegt nichts daran, auch nur ein kleines bisschen von sich einzubringen, und was das mit einer Frau machen kann, habe ich ja gesehen. Meine Mutter ist von Jed vertrieben worden, und Pru hat sich umgebracht.“

„Du bist stärker als sie beide zusammen.“

„Ich fühle mich nicht besonders stark.“

„Was willst du jetzt tun, und wie kann ich dir dabei helfen?“

„Ich gehe. Ich kann nicht hierbleiben. Ich muss in Ruhe nachdenken und mir klar werden, was ich als Nächstes mache.“

„Du meinst wegen des Angebots.“

„Auch.“ Die Rückzahlung der zwei Millionen war im Augenblick ihr geringstes Problem. Sie seufzte. „Ich bin schwanger.“

Sie hatte Dana noch nie sprachlos gesehen. Ihre Freundin wurde blass. „Bitte sag, dass du Witze machst.“

Lexi schüttelte den Kopf. „Ich habe es ihm noch nicht gesagt.“

„Was du nicht sagst. Schwanger. Also, man kann dir wirklich nicht vorwerfen, dass du um den heißen Brei herumredest.“

„Ich weiß.“ Lexi ging zur Treppe. „Ich packe jetzt ein paar Sachen, schnappe mir C.C., und dann will ich nur noch in meine Wohnung.“

„Ich helfe dir.“

Sie brauchten nicht lange, um die Koffer zu packen. Irgendwann in den nächsten Tagen würde Lexi zurückkommen und die restlichen Sachen holen. Während sie sich vergewisserte, dass sie alles Nötige hatte, sammelte Dana den Kater samt Zubehör ein.

Lexi stand in der Mitte des Schlafzimmers, das sie und Cruz geteilt hatten. Obwohl sie nur kurz hier gelebt hatte, war der Raum voll von Erinnerungen. Voller Chancen, es richtig anzugehen. Aber Cruz hatte es nicht richtig angehen wollen. Er wollte …

Was wollte er eigentlich? Vielleicht nur eine Illusion. Die perfekten Kontakte. Reichtum und Privilegien. Aber das war nicht das wahre Leben. Das wahre Leben war chaotisch, aufregend und steckte voller Überraschungen. Im wahren Leben ging es nicht um Stammbäume, sondern um das Herz. Es ging darum, zu geben und zu akzeptieren, zu teilen und zu brauchen. Es ging darum, sich verbunden zu fühlen.

Vielleicht versuchte sie genauso wie er, all diese Dinge zu umgehen. Sie war über Jahre auf Nummer Sicher gegangen. Sie hatte sich hinter dem Familiennamen und ihrem Ruf als Eisprinzessin versteckt, weil sie so niemand richtig verletzen konnte.

Aber jetzt galt es, sich um mehr zu sorgen als nur um sich. Jetzt gab es ein Kind, an das sie denken musste. Kein Erbe und auch keine neue Generation, sondern ein wundervolles Baby, das sie lieben würde – ganz gleich, was da kommen mochte.

Und was Cruz betraf würde sie einen Weg finden, über ihn hinwegzukommen. Gut, möglicherweise hatte sie in den letzten zehn Jahren immer wieder darüber nachgedacht, wie sie eine zweite Chance bekäme. Und wenn schon. Sie würde die Situation meistern. Sie musste. Wenn er ihr nicht geben konnte, was sie wollte – Liebe, die er ihr aus freien Stücken schenkte, Liebe, die sie sich nicht verdienen musste –, wollte sie ihn überhaupt nicht.

Starke Worte, die sich wirklich gut anhörten. Sie hatte auch vor, daran zu glauben. Sobald ihr Herz aufgehört hätte zu bröckeln.