5

Während Kit den teppichbelegten Gang entlang schlenderte, betrachtete er die Radierungen von Segelschiffen an den Wänden. Er dachte, daß Angela wohl der Ruysdael gefallen würde, der in seiner Kabine hing. Die sturmbewegte Seelandschaft erinnerte ihn stets an die Vergänglichkeit und Unberechenbarkeit des Lebens – eigentlich ein gutes Abbild seines Vagabundendaseins. Wie schön, überlegte er, daß die Gräfin auch gern segelte – ein ungewöhnliches Interesse für eine Dame der Gesellschaft –, aber sie war auch in anderer Hinsicht eine höchst ungewöhnliche Person.

Das letzte gerahmte Seestück glitt an ihm vorbei, und dann stand er vor der getäfelten Tür, durch die Angela verschwunden war. Er hielt nicht inne, um Fragen des Anstands und der Sitte zu bedenken, denn er hatte gelernt, daß im Boudoir einer Dame die Regeln äußerst flexibel gehandhabt wurden. Und so öffnete er die Tür und trat über die Schwelle.

Der kleine Rokoko-Salon, ganz in Gold- und Pastelltönen gehalten, war von seidenbeschirmten Lampen intim beleuchtet. Am schönsten aber war die liebliche Gräfin Angela, die im Neglige auf einem Diwan lag. Ihr Haar hing lose über die Schultern, und unter dem Spitzensaum ihres Nachthemdes waren ihre nackten Füße eben noch zu sehen. In dem weißen Gewand und mit dem glänzend hellen Haar ging von ihr in dem dämmrigen Raum ein fast überirdischer Glanz aus.

Ihre Stimme hingegen hatte den präzisen Tonfall irdischer Realität: »Ich habe Sie nicht hereingebeten«, sagte sie, das Buch auf ihrem Schoß zuschlagend, mit einem durchdringenden und herausfordernden Blick.

»Ich bin nicht sicher, ob ich die Geduld aufbringen könnte, auf eine Einladung zu warten«, antwortete Kit im Plauderton und schloß die Tür hinter sich. »Haben Sie wirklich Kopfschmerzen? Wenn das der Fall sein sollte, so möchte ich mein Bedauern ausdrücken.«

»Würden Sie gehen, wenn ich ja sagte?«

In dem verschnörkelten goldenen Türrahmen wirkte er noch muskulöser: dunkel, schlank, halb im Schatten der gegenüberliegenden Wand – eine starke Präsenz in dieser intimen Umgebung.

»Werden Sie denn ja sagen?« Jetzt lehnte er sich lässig gegen die Tür und strahlte trotz der eleganten Kleidung eine kühne, potente Energie aus – wie ein barbarischer Krieger.

Darauf folgte eine kurze Pause, in der Unentschiedenheit und verlockende Möglichkeiten im Raum vibrierten.

Würde er es wagen, in mehr als nur die Ungestörtheit ihrer Privatgemächer vorzudringen?

Und wie sollte sie reagieren, wenn er das versuchte? Aber sie rief sich ins Gedächtnis, daß sie keine furchtsame Novizin war, die in männlicher Gesellschaft von Unsicherheit überwältigt wird. Sie war eigentlich fähiger als die meisten Frauen, Männer in sicherem Abstand zu halten.

Ihre Schulter hob sich in dem leisesten Zucken. »Nein, ich habe keine Kopfschmerzen.«

Ein spontanes Lächeln überflog Kits gebräunte Züge. »Sie wollten sich bloß aus meiner Gegenwart entfernen?«

»Sie sind zu sehr von sich überzeugt, Mr. Braddock. Warum sollte ich, da ich Sie doch kaum kenne.«

»Vielleicht würden Sie mich gern besser kennenlernen«, bemerkte er leise. Er richtete sich auf und schritt auf ein paar vergoldete Sessel zu.

»Das glaube ich nicht«, erwiderte sie gleichgültig. »Und wenn Sie ein Gentleman wären, würden Sie jetzt gehen.«

Er blieb einen Moment lang reglos stehen, während sein Blick sie langsam überflog. »Und das klappt gewöhnlich?« murmelte er, worauf er ohne eine Antwort abzuwarten seinen Weg fortsetzte. Er ließ sich in einen Sessel mit einem blumenbestickten Brokatkissen fallen, streckte sich lasziv aus und sagte sanft: »Aber ich bin kein Gentleman.«

»Sehen Sie, Mr. Braddock«, erklärte Angela ruhig, während sie das Buch aus ihrem Schoß auf ein nahes Tischchen legte. »Ich will nicht so tun, als seien Sie kein faszinierender Mann. Wir sind beide nicht unerfahren auf diesem Gebiet, aber ...«

»Ah, das unvermeidliche ›aber‹ ...«, warf Kit leise ein. »Gestatten Sie mir«, murmelte er dann mit einem verhaltenen Lächeln und einer leichten Neigung des Kopfes, »alle uns hindernden Gründe anzuführen: In erster Linie haben wir es mit Priscilla und Charlotte zu tun. Dann natürlich mit den ethischen Geboten von Freundschaft und Pflicht. Denken wir auch daran, daß ich im Territorium des Prinzen von Wales wildere, oder spielt das keine Rolle mehr? Wir dürfen auch nicht die Melancholie wegen Mr. Mantons Hochzeit vor kurzem vergessen.« Als sie überrascht die Brauen hochzog, fuhr er mit knappem Lächeln fort: »Sicher sind Ihnen die Gerüchte bewußt, daß Sie ziemlich untröstlich seien? Habe ich jetzt alles abgedeckt?«

»Vollständig.« Ihre Stimme klang gelassen, als habe sie es andauernd mit äußerst attraktiven Männern in ihrem Schlafzimmer zu tun, die nichts als ihre Verführung im Sinn hatten. »Sie sehen also, wie unmöglich eine engere Freundschaft zwischen uns wäre.«

»Sind Sie immer so leidenschaftslos?«

»Sicher kann das für einen Mann kaum von Bedeutung sein, der auf seinen Reisen stets einen Harem um sich hat. Sie werden diesen spontanen Impuls in wenigen Stunden vergessen haben.«

»Sie urteilen sehr zynisch über Männer, Mylady.«

»Ich bin keine achtzehn mehr, Mr. Braddock.«

»Vielleicht kann ich Sie umstimmen?«

Zum ersten Mal lächelte Angela. »Wirklich, Mr. Braddock, das war nicht sehr originell.«

»Das haben Sie schon zu oft gehört?«

»Ich könnte mir denken, daß Sie noch sehr jung waren, als ich es zum ersten Mal hörte.«

»Wie alt sind Sie?«

»Fünfunddreißig.«

»Dann waren Sie ein sehr junges Ding, als Sie den Grafen heirateten.«

Da schien sich eine Maske über ihr Gesicht zu senken, die jeden Ausdruck überdeckte. »Ich war siebzehn«, sagte sie mit einer so kühlen Stimme, daß er sich fragte, was der Graf ihr wohl angetan hatte.

Er wußte, daß das Paar nicht zusammenlebte und zwar schon seit Jahren, aber er hatte nicht geahnt, wie heftig ihre Abneigung gegen den Gatten war. »Das tut mir leid«, sagte er, als habe sie ihm gnadenlos alle Einzelheiten mitgeteilt.

»Dazu besteht kein Anlaß, Mr. Braddock. Ich betrachte mich als glücklicher als viele andere Frauen. Aber Sie werden verstehen«, fuhr sie leise fort, »warum ich es vorziehe, mich nicht in Ihre Angelegenheiten einzumischen. Sie werden vermutlich bald wieder fort sein; Priscilla ist trotz allem, was Sie darüber sagen, in Ihrem Leben ein Faktor, und ehrlich gesagt kann ich in der Sache keinen einzigen Vorteil für mich entdecken.«

»Sie hätten für eine Weile einen Segelpartner«, erwiderte er grinsend.

»Wie clever, Mr. Braddock«, entgegnete sie, aber ihr Lächeln wirkte plötzlich echt. Hatte ihm Bertie von ihrer Leidenschaft fürs Segeln erzählt?

»Nennen Sie mich Kit.«

»Warum sollte ich?«

»Ihre Yacht liegt dieses Jahr nicht in Cowes. Kommen Sie morgen mit mir segeln.«

»Hmmm ... Sie wissen, daß das für mich sehr verlockend klingt.«

Ihre nun heiser schnurrende Stimme stachelte seine Sinne an, und er erinnerte sich wieder an die verführerische Dame, der er gestern abend auf der Terrasse begegnet war.

Rasch erhob sie sich von dem Diwan und trat in einer Wolke aus weißem Batist und Spitze zum Fenster, zupfte nervös an den Vorhängen, ließ die Hand fallen, wandte sich ihm rasch zu und sagte dann leise und unvermittelt: »Ich kann nicht.«

»Ich habe Priscilla keinerlei Hoffnungen gemacht«, erklärte er gelassen. »Absolut keine. Noch habe ich in absehbarer Zukunft etwas Entsprechendes vor. Was Charlottes Freundschaft angeht«, fügte er hinzu, sich dabei schwungvoll aus dem Sessel erhebend, »so schlage ich lediglich eine Fahrt bei hellem Tageslicht auf meiner Yacht vor. Bringen Sie eine Anstandsdame mit, wenn Sie wollen.«

Mit diesen Worten hatte er den geringen Abstand zwischen ihnen überbrückt und blieb dicht vor ihr stehen. »Bringen Sie so viele Freundinnen mit, wie Sie wollen«, murmelte er und berührte mit den Fingerspitzen leicht ihre Schulter.

»Bitte unterlassen Sie das«, sagte sie, aber ihre Stimme klang kaum lauter als ein Flüstern.

»Die Desirée ist auf See schneller als alle anderen Schiffe.« Sein Atem streifte ihre Wange, weil er den Kopf vorneigte. »Ich möchte es Ihnen beweisen.«

Sie begriff, daß er nun nicht ausschließlich über Segelyachten sprach. Seine Nähe zwang sie näher zum Fenster, doch sie spürte trotzdem die Wärme, die sein Körper ausstrahlte. »Sie müssen jetzt gehen«, drängte sie und wandte die Augen von seinem fordernden Blick ab.

»Bald«, flüsterte er, umfaßte ihr Kinn mit seiner gewölbten Hand, zwang sanft ihren Kopf zurück und übte dabei einen so unwiderstehlich sanften Druck aus, daß sie ihr Gesicht zu ihm hochwandte. »Es dauert nicht lange«, murmelte er. Ihre sämtlichen Sinne erfaßten seine Ausstrahlung: Seinen Duft, seine Erregung.

»Sie müssen gehen«, hauchte sie.

»Ja, gleich«, erwiderte er.

»Jetzt!«

»Jetzt ...«, flüsterte er und senkte seine Lippen zu ihren herab. Plötzlich schien es, als habe sie lange, quälende Jahre auf die Wärme seiner Lippen gewartet.

Er berührte ihren Mund so zart wie mit Schmetterlingsflügeln – es war ein Kuß von quälender Verlockung und sanfter Überredung, wie ein verstohlener Kuß hinter dem Chorgestühl einer Kirche, in dem dichtgedrängt die Gläubigen saßen. Sie seufzte – und das war ein so berauschend lustvoller kleiner Laut, daß es seiner bis zum Zerreißen gespannten Zurückhaltung den Rest gab. Doch rasch brachte er seine Impulse wieder unter Kontrolle, denn die zauberhafte Gräfin Angela war sich noch unsicher, ihre Stimmung schwankte noch kapriziös. Einen Hauch fester tasteten sich seine Lippen nun vorsichtig weiter, und während er ihr Kinn mit der Hand umfangen hielt, drang seine Zunge in ihren Mund, spielte mit der ihren, stieß dann tiefer vor, verlangte mehr, versprach mehr. Und Angela erbebte bis in die feinsten Nervenenden ihres Körpers – wie ein Schulmädchen fühlte sie sich, wie schon seit Jahren nicht mehr. Solche Sinnlichkeit hatte sie nicht von einem Mann erwartet, der einfach ungebeten bei ihr eintrat; sie hatte ihn nicht zu einer so einfühlsamen Zärtlichkeit für fähig gehalten. Doch es gefiel ihr, daß sie sich geirrt hatte.

Ihre leisen Laute drangen in Kits Bewußtsein wie eine Einladung und Aufforderung. Seine Erregung stieg, und scharfe Lust überwältigte jedwede Vernunft; spontan überlegte er, sie einfach zu entführen, um sie ganz für sich zu haben, doch im gleichen Moment schon gelang es ihm, diese unerklärlichen Gefühle zu verdrängen. Er brauchte keine Besitzerrechte. Im Gegenteil, überlegte er vernünftiger, als dieser Implus verebbte, er zog sein ungebundenes Junggesellenleben vor. Nun zog er sich auf vertrauteres Terrain zurück und ließ mit seinem erfahrenen Geschick für eine sinnliche Verführung die freie Hand durch Angelas Goldhaar gleiten, bis sie an ihrer Schläfe zur Ruhe kam. Er hob die Lippen um Haaresbreite und flüsterte: »Küß mich, mon ange

»Ich darf nicht ...« Unentschieden bebten ihre Lippen.

»Ich will es aber.« Und er wollte auch tief in sie eindringen.

»Und wenn ich es nicht tue?« Ein Anflug von Trotz färbte ihre Stimme.

»Dann muß ich einfach warten, bis Sie es tun«, gab er mit gespielter Resignation zurück.

Er ist ein ungewöhnlicher Mann, dachte sie, dankbar für seinen geschickten Rückzug. Auf männliches Autoritätsgehabe hatte sie noch nie sonderlich positiv reagiert. Sie berührte seine Hände, löste sich von ihm, lehnte sich so zurück, daß sie ihn anblicken konnte, und murmelte spielerisch: »Wie lange werden Sie warten?«

»Hmmm ...« Seine Augen funkelten vor Vergnügen. »Da morgen kein Rennen stattfindet ...«

»Nein, nein ... es wird einen Skandal geben, wenn Sie so lange bleiben.« Aber ein lustvolles Lächeln dämpfte den Vorwurf in ihrer Stimme.

»Ich verstecke mich einfach unter dem Bett«, schlug er verschmitzt, aber in durchaus ernster Absicht vor.

Bei dem Gedanken, Kit Braddock so ... nahe bei sich zu haben, durchfuhr sie eine aufstörende Welle von Leidenschaft. Doch sie war weniger leichtsinnig als er und versprach sogleich darauf: »Ich werde Sie ein einziges Mal küssen, aber dann müssen Sie gehen.«

»Gut«, antwortete er mit Bedacht. Er ließ sie los und blieb abwartend und freundlich lächelnd vor ihr stehen.

»Nur einen einzigen Kuß«, sagte sie, doch ihr verführerischer Unterton brachte seine gespielte Gelassenheit fast zum Schwinden.

»Nur einen«, stimmte er mit samtig-tiefer Stimme zu.

»Ich kann Ihren Mund nicht erreichen.« Leiser Spott tanzte in ihren himmelblauen Augen, und sie erbebte wie ein junges Mädchen vor dem allerersten Mal.

»Geben Sie mir Ihre Hände.« Ihm gefiel, daß sie die meisten Ihrer Einwände vergessen hatte und Spaß an dem Spiel zu finden schien. Als sie ihm ihre kleinen Hände entgegenstreckte, legte er sie an seine Schultern und sagte sanft:«Wenn du dich jetzt auf die Zehenspitzen stellst, kannst du mich küssen.«

Seine Körperkraft war unter ihren Händen deutlich zu spüren: stahlhart zeichneten seine Muskeln sich ab. Er war ungewöhnlich groß.

Als dieser letzte Gedanke ihren Verstand durchschoß, löste er die verführerischsten Bilder aus. Bestimmt war er groß, flüsterte eine erregte Stimme in ihr, sehr groß, und einen zitternden, lustvollen Moment lang wollte sie ihn in sich spüren.

Er sah, wie die Röte ihr Wangen und Hals übergoß und sich in das gerüschte Dekollete hinein fortsetzte. Er spürte ihren Busen an seiner Brust und fragte sich, ob auch er von diesem Rosa überhaucht war und auf seine Berührung wartete. Aber Kit rührte sich nicht.

Weil er so mehr erreichen würde ...

Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Es ist nur ein Kuß, erinnerte sie sich. Ein einziger, unschuldiger Kuß. Sie reckte sich auf die Zehenspitzen, ließ die Hände um seine Schultern gleiten, verschränkte sie in seinem Nacken und sagte mit bewußt kontrollierter Stimme: »Beugen Sie den Kopf, Mr. Braddock.«

»Kit«, murmelte er.

»Kit«, sagte sie leise zum ersten Mal. »Ich komme nicht an Sie heran.«

Auf einen Bett wäre das leichter, dachte er lustvoll, unterdrückte aber vernünftigerweise diesen Gedanken. Er durfte bei dieser sehr zögerlichen Lady immer nur einen Schritt auf einmal tun.

Es war trotz der Tatsache, daß sie beide nicht ohne Erfahrung waren, ein unausgewogenes Spiel, denn Thomas Kitredge Braddock hatte einen deutlichen Vorteil. Aufgrund seiner unkonventionellen Verhältnisse kannte er die Stadien weiblicher Erregung bis ins letzte Detail.

Er freute sich auf den Kuß.

Er umfaßte ihre Taille, um sie zu stützen, und fühlte, wie der zarte Batist über ihre Haut glitt. Kein Korsett, kein Nachthemd hinderten den Zugang zu ihrem prachtvollen Körper, erkannte er mit steigender Lust. Nur ein zartes Boudoirgewand, nur Spitze und Bänder und zarteste Seide. Als sie ihn küßte, berührten ihre Lippen die seinen erst sacht, und er wartete mit angehaltenem Atem, ob sie sich weiter vorwagen würde. Dann spürte er, wie ihr Griff um seinen Hals fester wurde, und lächelte.

Der zweite Kuß dauerte länger: Es war eine verführerische Vorstellung – sinnlich, hingegeben, vor Versprechen duftend ... und nun wollte er die ach so verlockende Gräfin Angela, ob zu ihren Bedingungen oder anderen, ganz besitzen.

»Sie sind sehr zurückhaltend«, murmelte sie, als ihr Mund sich wieder löste; ihr Blick war unter den nur halbgesenkten Lidern erstaunlich direkt.

»Das überrascht Sie?«

Sie zögerte einen kurzen Augenblick und antwortete dann leise: »Ja.«

Er grinste. »Ich lege auch mein bestes Benehmen an den Tag.«

»Und das ist sonst nicht immer der Fall?«

»Nicht sehr oft.«

»Haben Ihre Damen denn nichts dagegen?«

»Interessiert Sie das wirklich?«

»Ein Harem hat eine gewisse Anziehungskraft. Es reizt mich, es zu wissen.«

»Erstens ist es kein Harem. Aber wenn es das wäre, so würde ich Sie gern aufnehmen.«

»Leider bin ich zu egoistisch, um einen Mann mit anderen zu teilen.«

»Aber man fordert Sie ja auch nicht auf, in einen Harem einzutreten«, erinnerte er sie sanft. »Ob Ihnen das gefällt oder nicht.« Er hatte Gerüchte gehört, daß Joe Manton von seinen Flitterwochen in Paris zurückgekommen war, um Angela zu besuchen, und Kit fragte sich flüchtig, wer denn hier wen teilte.

»Sie sind also in Haremsdingen eine Autorität?«

»Nein, nicht ich, aber jemand aus dem Kreis meiner Freunde.«

Sie wußte, daß er keinen männlichen Freund meinte, sondern eine von seinen Damen. »Ihre Favoritin?«

»Sollten wir vielleicht von Joe Manton sprechen, von Bertie oder von Lew Archer? Sagen Sie mir, wessen Favoritin sind Sie?«

»Sie sind sehr gut informiert, Mr. Braddock.«

»Kit«, murmelte er erneut.

»Kit«, flüsterte sie, doch seine Lippen bedeckten ihre. Diesmal wartete er nicht darauf, geküßt zu werden, denn plötzlich waren alle Grenzen des Anstands für ihn ohne Bedeutung. Sie war von so üppiger Schönheit, wie sie halbnackt in seinen Armen lag und sie waren allein.

Und er wollte mehr als nur einen Kuß.

Nun dachte er nur noch an eines, und die Flamme seines Verlangens verzehrte ihn fast, als er seine Hände an ihrem Rücken herabgleiten ließ, die Handflächen unter ihren Po legte, sie an sich zog und fest gegen sein steifes, erregtes Glied preßte.

Dicht an seinem Mund stöhnte sie leise auf, denn heiße Lust explodierte auch tief in ihr. Sein Glied war sensationell groß. Ein köstlicher Schock durchfuhr ihren gesamten Körper, und sie stieß einen leisen Jammerlaut aus – einen zarten, sinnlichen Ton der Erwartung und der Begierde.

»Laßt euch in dieser charmanten Szene nur nicht stören.«

Die leise Nölstimme des Grafen de Grae klang bei dieser unverschämt-sarkastischen Bemerkung so gezielt und scharf wie die Klinge eines Stiletts. Die behandschuhten Finger noch auf der Türklinke, überflogen seine stahlgrauen Augen die leidenschaftliche Szene.

Angela ließ sofort die Hände von Kits Schultern fallen und löste sich aus seiner Umarmung. Sie verharrte völlig regungslos und betrachtete ihren Ehegatten mit einer so scharfen Aufmerksamkeit, wie Kit sie zuvor nur bei Begegnungen auf Leben und Tod gesehen hatte. Dann fragte sie mit kühler Stimme: »Was führt dich nach Cowes?«

»Ich bin mit Tarlington hier. Er brauchte ein paar Angelruten, und ich wollte mein Gewehr abholen, das ich letztes Jahr hier vergessen habe. Violet sagte mir, du hättest Kopfschmerzen – das ist wohl dein Arzt?« fügte er ironisch hinzu, doch das Jagdgewehr, das er in der Armbeuge hielt, verlieh seinem Spott eine gewisse Bedrohlichkeit.

Angela war mit der Boshaftigkeit ihres Mannes durch und durch vertraut, ignorierte seinen Hohn und entgegnete ruhig: »Ich weiß, wie sehr es dich danach drängt, auf die Schneehuhnjagd zu gehen, doch ich möchte dir danken, vorbeigeschaut zu haben. Gute Nacht.«

»Willst du mich nicht vorstellen, Angela?«

»Nein.«

»Braucht er deinen Schutz?«

»Alle brauchen vor dir Schutz, Brook.«

»Ich aber nicht«, warf Kit leise ein.

»Der ist aber sehr mutig«, höhnte Graf de Grae und rückte die Flinte in seiner Armbeuge zurecht.

»Bitte, Kit, nicht«, erwiderte Angela leise und legte beruhigend eine Hand auf Braddocks Arm.

»Ein kräftiger Mann – nun, so hast du es auch gern, nicht wahr?« murmelte der Graf unverschämt und ließ seinen Blick über Kits athletische Gestalt gleiten.

»Kleine Männer gefallen mir allgemein nicht sehr«, stimmte Angela freundlich zu, »aber es gibt natürlich Frauen, die das anders sehen.«

Der Graf, nur von mittlerer Größe und schlanker Statur, zog seine aristokratische Oberlippe hoch. »Welch ein Glück.«

»Ja, ganz gewiß.« Jedermann kannte die Vorliebe des Grafen für sehr junge Mädchen.

»Ich sehe, daß der blaue Affe dir immer noch den Hof macht. Wirst du die Krötenaugen von Souveral nicht langsam leid?«

»Wenn ich dazu Lust hätte, mit dir meine Freunde oder irgend etwas anderes zu diskutieren, würde ich nicht in Easton leben. Würdest du jetzt bitte so freundlich sein, dich zu entfernen? Dieses Haus gehört auch mir.«

»Ich möchte gern die süße kleine May sehen, ehe ich gehe«, gab der Graf salbungsvoll zurück.

»Sie schläft aber«, schnappte Angela. »Ich will nicht, daß sie gestört wird.«

»Sei doch nicht so trotzig, mein Schatz. Kann ich also mein Töchterchen nicht sehen?«

»Nicht zu dieser Stunde, Brook.« Angelas Stimme war nun vor Wut brüsk geworden; in ihren Augen blitzten plötzlich Tränen auf.

»Meiner Treu, was für eine Tigerin, wenn es um ihre Jungen geht. Habe ich dir gesagt«, fuhr er mit boshafter Gelassenheit fort, »daß die Loftons mich wieder besucht haben?«

»Wir haben eine schriftliche Abmachung«, erinnerte sie ihn mit leiser Stimme. Angela hatte dafür gesorgt, daß ihr Anwalt sie bei dem letzten Besuch auf Schloß Grae begleitete. Sie wußte, daß man Grae nicht trauen konnte.

»Scheint so, als sei das Lofton-Ding sehr unglücklich.« Er lächelte verschlagen. »Sie ist die einzige Tochter«, setzte er hinzu. »Und sie haben ein neues Angebot gemacht.«

»Das Dokument, das du unterzeichnet hast, ist bindend.«

»Vielleicht«, erwiderte er und drehte das Gewehr leicht herum, so daß die Mündung direkt auf sie gerichtet war.

Kit trat vor Angela.

»Da hast du aber einen tapferen Lanzelot«, meinte Brook sarkastisch.

Kit wandte sich zu ihr um. »Willst du, daß er geht?« fragte er sanft.

Sie schüttelte den Kopf, eine kaum wahrnehmbare Bewegung. Das letzte, was sie wollte, war ein Vorwand für Brook, den Hahn abzuziehen. »Es tut mir leid, daß Sie das miterleben müssen«, murmelte sie leise. Sie haßte es, ihre Eheprobleme öffentlich auszutragen, und ein bewaffneter Brook war eine deutliche Bedrohung. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen«, sagte sie nun verhalten zu Kit, in der Hoffnung, die Szene zu entschärfen. »Ich habe plötzlich doch recht starke Kopfschmerzen.« Ohne einen weiteren Blick auf ihren Mann verließ sie den Salon und schloß die Tür zu ihrem Schlafzimmer mit einem unfeinen Knall hinter sich. Darauf folgte die scharfe Umdrehung des Schlüssels.

»Sie war immer schon ein bißchen schwierig«, murmelte der Graf, und ein Lächeln umzuckte seine Mundwinkel – er war sich eines Sieges immer sicher, wenn er auf seine elterlichen Rechte über die gemeinsamen Kinder pochte. »Finden Sie ihre Launen amüsant?« fragte er Braddock freundlich.

»Mir sind keine solchen bekannt.«

»Dann müssen Sie noch sehr neu sein. Angela ist eine männermordende Hexe, falls Sie gewarnt sein wollen. Das kommt davon, wenn man Frauen das Recht gibt, ihr Vermögen selbst zu verwalten.« Seine Stimme klang nun hart und frustriert; alle Verbindlichkeit war von Bitterkeit durchdrungen.

Der Mann steht auf verlorenem Posten, dachte Kit leidenschaftslos. Das Parlament hatte das Gesetz über die Besitzrechte von Frauen schon vor Jahren verabschiedet.3 Mit einem Blick auf Angelas verschlossene Tür sagte er nun ausdruckslos: »Da sich die Gräfin zurückgezogen hat, möchte ich mich auch verabschieden.«

»Keine flehenden Bitten an die schöne Angela?« neckte der Graf leise.

»Ich glaube nicht«, gab Kit gelassen zurück und trat auf die Tür zu.

»Vielleicht gibt sie ja noch nach«, erwiderte ihr Mann und wich keinen Schritt vom Ausgang.

»Es ist schon spät.«

»Sie sind Amerikaner, nicht wahr?«

»Ja.« Kit stand nun einen halben Meter vor Angelas Ehemann. »Und in Eile.«

Brook Greville betrachtete den Mann, der ihn um einen Kopf überragte, und reagierte mit Vernunft auf die verdeckte Aggression in dessen Haltung.

»Sie wird Sie vermissen«, spottete de Grae und trat beiseite.

»Vielleicht ein anderes Mal«, meinte Kit kurz, zog die Tür auf und trat hinaus.

Verdrossen und aufgebracht ging er schließlich doch noch zum Yachtclub, um seine Frustration herunterzuspülen. Nur wenige Augenblicke hatten ihn davon getrennt, das Bett mit der verführerischen Gräfin Angela zu teilen, und perverserweise ärgerte es ihn auch, daß ihr Mann ein so verachtenswerter Geselle war – als sei sie irgendwie dafür verantwortlich.

Das war aber natürlich nicht der Fall. Er wußte, wie man reiche Erbinnen verschacherte, und damals war sie immerhin erst siebzehn gewesen.

Gütiger Gott, de Grae mußte ein sehr unangenehmer Schock für sie gewesen sein.