8. KAPITEL
Eine wunderschöne Katastrophe
Ein paar Minuten blieb ich dort stehen, wo Frosty mich zurückgelassen hatte, allein. Mit dem Gefühl, vergessen worden zu sein, verlassen. Schließlich erbarmte sich eine Person, mit der ich nun überhaupt nicht gerechnet hatte, und kam zu mir herüber.
„Irgendwann wird es wieder besser“, sagte Mackenzie und lächelte traurig.
Eine Mitleidsbekundung. Eine, die ich gar nicht verdiente. Nicht von ihr. Ich denke, sie meinte es wirklich ernst, als sie sagte, sie sei da, wenn ich sie brauchte.
Ich werde all die Gemeinheiten, die ich ihr jemals an den Kopf geworfen hatte, irgendwie wiedergutmachen müssen.
„Es gibt Hoffnung“, erwiderte ich.
Sie tätschelte mir die Schulter und ging.
Ein paar Sekunden später erschien Trina an ihrer Stelle. „Sag mir Bescheid, wenn du so weit bist, dann werde ich dich mal mitnehmen und mit jemandem bekannt machen, der nichts mit unserem kleinen Zirkel hier zu tun hat. Du wirst dich amüsieren, das verspreche ich dir. Es hat jedenfalls Wunder bei Mac bewirkt, als sie in derselben Situation war.“
Ich nickte, und weg war sie. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich das jemals schaffen würde.
Cole kam aus dem Umkleideraum. Er hatte sich schwarze Halbkreise unter die Augen gemalt und war bis an die Zähne bewaffnet. So hatte ich ihn immer gern gesehen. Stark. Startklar für die Action. Ein bisschen böse, zu jeder Tat bereit. Wenn wir noch zusammen gewesen wären, hätte ich mich auf ihn gestürzt und ihn abgeknutscht, bis ihm die Luft weggeblieben wäre.
Du weißt ja, was dir diese sehnsüchtigen Gedanken bringen, oder? Eine ganze Menge Nichts.
„Wie lauten meine Anweisungen?“, wollte ich wissen.
Er blieb vor mir stehen. Ohne mir in die Augen zu sehen, zog er ein schwarzes Tuch aus einer Tasche seiner Kampfhosen und band es mir um die Haare. „Du bleibst bei Gavin und Mackenzie, und du wirst dich vorsehen.“
„Moment. Wie bitte?“, rief Frosty aus dem Hintergrund.
Ja genau. Wie bitte? Frosty hatte mich glauben lassen, dass ich mit Cole auf Patrouille gehen würde.
Cole sah ihn stirnrunzelnd an und irgendwie erfolgte zwischen den beiden eine Diskussion mit Blicken.
„Ich kann nicht warten“, sagte ich, um Coles Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
„Ich wünschte … Egal, nicht so wichtig.“ Er rollte die Schultern, die Anspannung war wieder da, unübersehbar. „Ich muss heute Nacht zusammen mit Lucas gehen, und ich muss mit ihm allein sein.“
Etwas in seinem Tonfall … Das war der gleiche ruppige Ton, in den er immer verfiel, wenn er irgendwas verheimlichte. Er musste bei Lucas sein, weil … er ihn ausspionierte? Emma hatte so was erwähnt.
Oder versuchte ich nur gerade eine Entschuldigung dafür zu suchen, dass er nicht mit mir patrouillieren wollte?
Arrrgh. Ich hasste das. Ich hasste es, dass ich alles, was er sagte und tat, analysierte und auf versteckte Hinweise abklopfte. Um so immer wieder meine Hoffnung auf eine Versöhnung schüren zu können, von der ich wusste, dass sie nie kommen würde.
Blöd, blöd. Setz deine Hoffnung auf das Richtige und sie wird dein Rettungsring. Leg deine Hoffnung in das Falsche und sie wird die Schlinge um deinen Hals.
„Ich meine es ernst. Sei vorsichtig da draußen.“ Er strich mit den Fingerknöcheln über mein Kinn. „Du musst ständig auf der Hut bleiben.“
Ich trat einen Schritt zurück, außerhalb seiner Reichweite. Mir war nicht klar, was diese Berührung bedeuten sollte – und ich würde auch nicht versuchen, es herauszufinden. Ich würde es nicht mehr zulassen, dass er mich so berührte.
Er runzelte die Stirn.
„Ich habe die Kaninchenwolke gesehen“, bemerkte ich. „Die Zombies werden heute bestimmt kommen.“
Seine Gesichtszüge gefroren. „Das sagst du mir jetzt, nachdem ich beschlossen habe, dich auf Patrouille zu schicken?“
Was denn? Hatte er angenommen, die Zombies würden sich in dieser Nacht nicht blicken lassen, und war deshalb bereit gewesen, mich einzusetzen? Wut flammte in mir auf. „Hättest du nicht mit mir Schluss gemacht, würde ich es auf der Stelle tun. Du bist so ein Volltrottel-Macho, Cole Holland!“
„Laut deiner Großmutter heißt das Volltrottel-Mistkerl. Und wenn ich was tue, dann gebe ich mein Bestes, unterhalb von ‚voll‘ läuft bei mir nichts“, entgegnete er, ungerührt von meiner Beschimpfung. „Du bist eine großartige Kämpferin, ich habe kein Problem damit, dich mitten ins Kampfgeschehen zu schicken – sobald es dir gut geht. Aber du bist immer noch nicht wiederhergestellt, vor allem nicht nach dem Biss von Justin. Heute Abend bleibst du drinnen.“
Ich spürte, wie sich meine Rechte zur Faust ballte, wie ich den Ellbogen zurückzog, wie mein Arm vorwärtsschoss und meine Fingerknöchel krachend auf Coles Kinn landeten. Ich konnte mich nicht daran hindern.
Sein Kopf flog zur Seite, Blut tropfte aus seiner aufgerissenen Lippe.
Hinter mir hörte ich, wie Leute schockiert nach Luft schnappten.
„Ich bin wiederhergestellt“, sagte ich. „Glaubst du mir jetzt?“
Er kniff diese violetten Augen zu Schlitzen zusammen, als er mich ansah. „Beleidigung und Körperverletzung stehen unter Strafe.“
„Dann lass mich verhaften.“
Er kam ein bisschen näher an mich heran. Plötzlich spürte ich, wie sein Atem sanft meine Haut streifte, fühlte die Hitze, die von ihm ausging, roch seinen ganz besonderen Duft.
„Wie wär’s, wenn ich dich stattdessen übers Knie lege und dir den Hintern versohle?“
„Wie wär’s, wenn ich dir dafür ein Knie in die Eier stoße, bis sie dir zum Hals rauskommen?“
„Falls du vorhast, dich mit dieser bestimmten Körperregion zu vergnügen, würde ich es vorziehen, du benutzt die Hände.“
„Meine Hände werden sich nicht im Entferntesten mit dieser Region befassen.“
Kurze Pause, dann flüsterte er heiser: „Ich wette, ich könnte dafür sorgen, dass du deine Meinung änderst.“
„Ich wette, ich könnte dir deine Stimmung zerschlagen.“ Ich holte zu einem weiteren Faustschlag aus, aber Cole war vorbereitet und schnappte sich meinen Arm, bevor ich ihn traf. Seine Pupillen waren geweitet, er war erregt. Außerdem atmete er heftig. Er führte sich auf, als hätte ich ihm gerade die Jeans aufgeknöpft, statt ihm einen Haken zu verpassen.
„Schlag mich noch einmal“, sagte er, wieder in diesem rauen Flüsterton, „dann nehme ich das als Einladung an.“
Ich war genauso schlimm drauf. Mir wurde ganz zittrig vor unkontrollierbarem Verlangen, meine Atmung beschleunigte sich. „Eine Einladung wozu?“
Er lockerte den Griff und strich mit den Fingern über mein Handgelenk. Eine Liebkosung, keine Warnung. „Ich denke, das werden wir dann gemeinsam herausfinden.“
Was zum Teufel tust du da?
Die Worte schrillten durch meinen Kopf. Das hier – was immer es war … flirten? – musste sofort aufhören.
Ich ließ den Arm sinken und trat einen Schritt zurück. Erst da fiel mir auf, wie still es in der Halle geworden war. Beobachteten uns die anderen? Hörten sie uns zu? Meine Wangen wurden heiß. „Hör zu, ich weiß, dass du mit deinen vielen Exfreundinnen weiter Kontakt auf freundschaftlicher Basis hältst“, sagte ich. „Wenn du Freundschaft mit mir willst, okay, ich werde es versuchen, aber solche Spielchen will ich nicht spielen. Verstanden?“
Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn jedoch wieder. Dann nickte er nachdrücklich.
Ich wirbelte herum, bevor ich noch was Schlimmeres sagen oder tun konnte, und lief zur Wand mit den Waffen. Gavin stand dort und wog gerade eine Halbautomatik in der Hand.
„Netter rechter Haken, Als“, sagte er.
Na endlich. Ein süßer Spitzname. Warum musste der ausgerechnet von ihm kommen? „Danke.“ Ich griff nach einer Axt.
Er nahm sie mir ab. „Sorry, Baby, aber wenn du ein Spielzeug für große Jungs willst, wirst du mit mir darum kämpfen müssen. Kleiner Tipp: Ich erlaube dir, mich auf den Fußboden zu zwingen, sofern du dich auf mich setzt.“
Ich fürchte, meine Mundwinkel verzogen sich nach oben. „Kein Bedarf“, murmelte ich und suchte mir eine leichtere Axt.
„Wie schade.“ Er drückte auf einen Knopf an der Unterseite meiner Waffe. Es war eine Art Hebel, und der Mechanismus ließ an den Seiten der Klingen Metallspitzen herausspringen. „Hast du eine Ahnung, wie du das Ding bedienen musst?“
„Ich habe einen Arm und kann Schwung holen. Ich denke, so wird es funktionieren.“
„Wenn du heute Nacht nicht umkommst, dann nur, weil ein Wunder passiert“, sagte er. „Wie gut, dass das mein zweiter Vorname ist.“
„Du hast mich kämpfen sehen. Du weißt, dass ich gut bin.“
„Das stimmt.“ Er stieß mich mit der Schulter an. „Und … hast du irgendwann mal in Betracht gezogen, deine Haare punkrockerbrautschwarz zu färben? Ich bin sicher, dass dir mein Faible für Brünette zu Ohren gekommen ist. Mit Blonden hab ich’s nicht so.“
„Das habe ich gehört. Und nein.“
„Zu schade auch. Bei dir könnte ich mir direkt überlegen, das Tabu gegenüber Exfreundinnen meiner Freunde aufzuheben.“
Ich schnaufte und machte mir nicht die Mühe, meine … Ungläubigkeit? … zu verbergen. Ganz bestimmt fand ich das nicht lustig. „Bei dir könnte ich mir direkt überlegen, mein Tabu, was kaltblütigen Mord angeht, aufzuheben.“ Ohne auf eine Erwiderung zu warten, setzte ich mich in Bewegung.
Lachend folgte er mir. „Bist du immer so gereizt?“
„Das war ich eigentlich sonst nicht.“ Ich seufzte. „Hör zu. Tut mir leid, wenn ich deine Gefühle verletzt habe.“ Ich wollte mich auf einen der Sessel im hinteren Teil der Halle setzen, Gavin hielt mich jedoch am Arm zurück und drehte mich mit sanftem Griff um, damit ich ihn ansah.
„Erst mal, du hast meine Gefühle nicht verletzt. Ich bezweifle, dass das irgendjemandem möglich ist, da ich ja gar keine habe. Zweitens denke ich, dass wir noch was erledigen müssen.“
Ich starrte auf seine Füße, um den Blickkontakt zu vermeiden. Genauso wie Cole überragte er mich um einiges, was bei meinen langen Beinen gar nicht so selbstverständlich war.
„Cole hat dich in mein Team gesteckt, wir werden uns also nicht aus dem Weg gehen können. Wir dürfen es nicht riskieren, eine Vision zu haben, während wir gerade gegen Zombies kämpfen.“
Ich nickte, sah ihn jedoch immer noch nicht an.
Er legte mir einen Finger unter das Kinn und zwang mich, den Kopf zu heben. „Lass es uns hinter uns bringen.“
Nein, nein, nein … Aber ich konnte dem nicht entgehen, unsere Blicke trafen sich. Und … nichts passierte.
Wir atmeten beide erleichtert aus.
„Na gut, das war ja nun eine Enttäuschung“, murmelte er.
„Das Hin und Her ist ziemlich nervenaufreibend, was?“ Zuerst mit Cole, dann mit Gavin.
„Vielleicht musst du mal richtig getunt werden.“
Ich verdrehte die Augen. „Ich gehe morgen in die Reparaturwerkstatt für übernatürliche Kräfte.“
Er grinste und strich mit den Fingerspitzen über mein Kinn. Eine patentierte Cole-Holland-Berührung. Es nervte mich, und ich wandte mich von ihm ab.
„Setzt euch!“, rief Cole. Sein schroffer Tonfall hallte von den Wänden zurück.
Ich ignorierte ihn. Das war die einzige Möglichkeit, zu verhindern, dass ich ihn aufs Übelste beschimpfte.
„Ja, hört auf zu flirten, das ist ja widerlich!“, sagte Mackenzie laut genug, dass die anderen es hörten. Sie kam zu mir herüber und zwinkerte mir zu. Mir war klar, dass ihre Bemerkung für Cole bestimmt war. Wahrscheinlich glaubte sie, es würde seine Eifersucht anfachen.
Süß von ihr, aber sie hätte nicht weiter danebenliegen können. Ich wusste, dass er sich so verhielt, weil es ihm nicht gefiel, dass ich unbedingt kämpfen wollte, nicht, weil er eifersüchtig war.
Cole kam zu unserem Team herübergestampft, schob Gavin heftig zur Seite und setzte sich. Lucas blies mir einen Luftkuss zu, bevor er sich auf seinen Stammplatz fallen ließ.
Stirnrunzelnd suchte Gavin sich einen Stuhl. Mackenzie nahm einen der Sessel und machte mir ein Zeichen, den Platz neben ihr zu besetzen.
„Wenn es nur den geringsten Hinweis auf Ärger gibt“, sagte Cole an niemand Bestimmtes gerichtet, „will ich das sofort erfahren.“
„Wow. Vollkontrolle oder was?“, murmelte Gavin.
Ich blendete sie aus und schloss die Augen. Ich schaffte das. Einmal tief einatmen, halten, halten, dann ausatmen. Als die Atemluft aus mir entwich, stieg mein Geist aus dem Körper auf. Die Luft umfing mich wie der Griff grausamer kalter Arme.
Ich blickte nach unten. Meine Körperhülle saß in die Polster gelehnt da, die Lider geschlossen, meine Gesichtszüge entspannt. Die anderen taten es mir nach.
Gavin tippte mir auf die Schulter.
Ich sah ihn an und verzog fragend die Augenbrauen.
Er deutete mit dem Kinn zur Tür. Ich nickte. Im Moment müsste ich noch vorsichtiger sein als sonst, mit dem, was ich sagte, so emotional, wie ich drauf war.
Cole bewegte sich zu Gavin und flüsterte ihm einen Befehl zu, sein Gesichtsausdruck war grimmig. Ich konnte nicht alles verstehen, nur: „Pass auf.“
Pass auf … Ali auf?
Gavin erwiderte leise etwas, und ich glaubte das Wort „verrückt“ zu hören.
Wieder ich?
Oder war ich ein bisschen narzisstisch? Nicht immer ging es um mich.
Wir verließen die Scheune durch das Tor, das Frosty für uns aufhielt. Blutlinien umgaben das Grundstück, das Haus, den Anbau und alles im Inneren, was zur Folge hatte, dass diese Dinge im Geistzustand für uns zu undurchdringlicher Materie wurden.
Als wir in den Wald kamen, trennte sich mein Team von Coles. Ich konnte es nicht lassen und blickte mich um. Cole sah mich an, beobachtete mich verwirrt … sehnsüchtig … bis er um die Ecke verschwand und der Moment vorbei war.
Ich war mir nicht sicher, was seine Aufmerksamkeit mir gegenüber zu bedeuten hatte. Oder ob ich sein Verhalten falsch interpretierte. Oder wie …
Ich rammte einen Baumstamm, prallte zurück und landete auf meinem Hinterteil.
Mackenzie lachte. „Und das von jemandem, der die Blutlinien sehen kann.“
„Stimmt das?“, fragte Gavin und half mir hoch. „Du kannst die Blutlinien sehen?“
„Sie glühen“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Das hatte ich verdient, von einem Baum eine gewischt zu bekommen, wirklich. Schluss jetzt mit Cole. Nicht. Noch. Mehr.
Fasziniert sagte Gavin: „Also du, ein Mädchen, das nie vorher mit uns auf Patrouille war, dem niemand den richtigen Weg gezeigt hat, kannst du uns auf unserem bevorzugten Weg aus dem Wald führen?“
„Schau zu.“ Ich ging voraus, führte uns durch Weizenfelder und in den Wald, manövrierte uns um jeden Baum, der mit Blutlinien versehen war, und durchschwebte die unmarkierten Stämme. Innerhalb von einer halben Stunde traten wir aus dem Gebüsch und befanden uns am Rand eines Schotterwegs. Ich breitete die Arme aus, als wollte ich sagen: „Nun sieh her!“
„Eindrucksvoll“, bemerkte Gavin.
Selbst Mackenzie murmelte etwas Anerkennendes.
„Was nun?“, fragte ich. Wie viel Territorium konnten wir so zu Fuß kontrollieren?
„Jetzt gehen wir auf die Jagd.“ Gavin brauchte nur zwei Schritte und befand sich plötzlich am Ende der Straße.
Ich drehte mich zu Mackenzie um, eine Frage auf der Zunge, aber sie folgte ihm. In der einen Sekunde bei mir, in der anderen neben ihm. Schockiert sah ich zu. Ich machte einen Schritt, dann noch einen …
Ich befand mich lediglich zwei Schritte von der Stelle entfernt, auf der ich vorher gestanden hatte. Was sollte das?
Ich ging wieder einen Schritt, einen weiteren, kam aber kaum schneller vorwärts. Aus dem Schock wurde Frustration.
„Jetzt hör auf mit dem Quatsch“, rief mir Gavin zu. „Komm schon.“
Es war ein Kommando, das auf keinen Fall meinen freien Willen verletzte – ich wollte mit dem Quatsch aufhören. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, eine Sekunde später verschwamm alles um mich herum. Noch eine Sekunde und ich stand neben ihm.
„Wie habe ich das gemacht?“ Ich keuchte.
„Geister unterliegen den geistigen Gesetzen, nicht den physikalischen“, erklärte Mackenzie. „Sag einfach deinen Füßen, sie sollen sich beeilen, dann tun sie’s auch.“
„Wir sehen uns heute in Wohngegenden um.“ Gavin zeigte in die Richtung, die wir einschlagen sollten.
Er bewegte sich mit dieser unglaublichen Geschwindigkeit fort, Mackenzie direkt hinter ihm. Ich blickte auf meine Stiefel hinunter. „Ihr werdet jetzt genauso schnell sein!“, kommandierte ich.
Meine Füße gehorchten, was mich wieder schockierte. Ich holte die beiden ein und wir streiften durch ein Wohnviertel nach dem anderen, suchten nach Anzeichen von Zombieaktivitäten. Es dauerte eine Stunde … zwei … drei … bis diese Fortbewegungsart ihren Tribut forderte.
Zuerst begannen meine Gliedmaßen leicht zu zittern, dann immer auffallender, schließlich ziemlich heftig. Nach einer Weile war ich fast nicht mehr in der Lage, mich aufrecht zu halten.
„Leute.“ Ich keuchte und blieb stehen.
Ein Fehler.
Plötzlich fühlten sich meine Füße schwer an, und ich konnte kaum noch die Axt halten.
Es widerstrebte mir, es zuzugeben, aber Cole und Frosty hatten recht gehabt. Ausdauer war überaus wichtig. Ich musste härter trainieren.
Gavin ging langsamer und drehte sich zu mir um.
„Ruh dich aus“, sagte er.
Bin so hungrig, hörte ich heiseres Geflüster.
Ich wirbelte herum, aber niemand stand in meiner Nähe.
Will fressen. Das Fressen wird schreien. Ja. Ja!
Hmm. Was ist das für ein Geruch? Muss ich kosten.
Jemand umfasste meine Oberarme mit festem Griff. Instinktiv hob ich die Faust, um dem Angreifer eine zu verpassen. Ich drehte mich blitzschnell um.
Gavin duckte sich und wich dem Schlag aus. Er runzelte die Stirn und richtete sich auf. „Was ist los mit dir?“
„Ich … ich weiß nicht.“
Falls Sie neugierig sind, was Ihren Zustand betrifft, hatte der Mann im Wagen gesagt.
„Modergeruch hängt in der Luft.“ In Mackenzies Stimme lag Aufregung.
Lächelnd ließ Gavin mich los. Er schoss eine Leuchtpistole ab, um Cole und Lucas zu warnen, dann nahm er zwei Dolche zur Hand. „Ja, Baby. Zombies sind in der Nähe.“
Ich atmete tief durch, aber ich konnte nur den Wald riechen. Und … Gavin. Ich roch Gavins Duft, und der war weit besser als der der Kiefern. Köstlich. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
„Bist du in der Lage zu kämpfen?“, fragte er mich.
Ich war mir nicht sicher. Ich wusste nicht einmal, ob es mich überhaupt interessierte. Ich beugte mich zu ihm vor und schnüffelte. Hmmm. Leckerer Snack.
Er sah mich an, als wollte er mich etwas fragen, aber ein Zombie mit Buckel und einem verdrehten Knöchel kam um eine Hausecke gehumpelt und erregte seine Aufmerksamkeit.
Die Zombies waren nicht nur in der Nähe, sie waren bereits hier.
Der erste trug einen schmutzigen zerfetzten Anzug, seine Krawatte hing schief herunter.
Drei weitere Kreaturen befanden sich hinter ihm, dahinter noch fünf.
Muss es haben. Muss es haben. Muss es haben.
Meins, alles meins.
Wird so lecker!
Die Stimmen klirrten ineinander, laut und schrill. Ich schüttelte den Kopf und presste mir die Hände auf die Ohren, während ich mir die Lippen leckte und auf Gavins Hals starrte.
Er warf etwas kleines Schwarzes in Richtung der Zombies und rief: „Runter!“
Im gleichen Moment lag er flach auf der Erde. Ich blieb stehen.
Wumm!
Eine Handgranate explodierte und zerriss die Monster der ersten Linie. Arme flogen hierhin, Beine dahin. Ein heißer Luftschwall fegte mich nach hinten. Als ich auf dem Boden landete, regnete es Zweige, Gras und Körperteile auf mich.
Gavin und Mackenzie sprangen auf und stürzten sich kopfüber in die Schlacht, hackten und schlugen auf die Kreaturen ein, die noch standen.
Ich rappelte mich auf und zwang mich, zu ihnen zu gehen. „Ich kann das. Ich kann das.“
Aber … Als ich mein Messer in den Rücken eines Zombies stieß, streckte der seine Krallen nach Gavin aus und beachtete mich gar nicht. Als ich einem anderen den Arm abschnitt, wollte er seine Zähne in Mackenzie schlagen, als wäre ich gar nicht da.
Will. Kosten.
Meins, meins, meins.
Zerfetzen. Zerfleischen. Töten.
Gut! So gut.
Argh! Die Stimmen, jetzt noch lauter, schrillten in mir. Ich ließ die Axt fallen, um mir die Hände auf die Ohren zu pressen. Aufhören. Bitte, aufhören. Aber das taten sie nicht. Die Lautstärke nahm sogar noch zu. Meine Knie gaben nach, und ich sackte zu Boden. Die Zombies stiegen über mich hinweg und jagten verzweifelt hinter Gavin und Mackenzie her.
Was machst du da? Steh auf. Kämpfe. Hilf deinen Freunden. Du hast doch mehr drauf.
Endlich die aufmunternde Ali, eine Stimme der Vernunft, wenn auch kaum wahrnehmbar unter all dem Lärm. Mit zitternden Fingern nahm ich einen Dolch und stand auf. Meine Beine zitterten, aber irgendwie fand ich die Kraft, vorwärts zu stolpern.
Mackenzie, vollgespritzt mit schwarzem Blut, gab ein makabres Bild ab. Sie wirbelte herum, schlitzte Kehlen auf, während drei Zombies versuchten, sie in den Arm zu beißen. Gavin sprang über einen Haufen enthaupteter, sich windender Monster, wich ihren Krallen aus, die sich nach ihm streckten, und stellte sich Rücken an Rücken mit Mackenzie.
Ich hob den Dolch. Ich würde ihnen zu Hilfe kommen … sie berühren …
Gavin und Mackenzie glühten. Sanftes Licht pulsierte aus ihren Poren. So ein wunderbares Licht, das mich anzog.
Meins.
Ich musste davon kosten. Von ihnen.
Kosten. Jaaa. Mackenzie war am nächsten, sie wäre die Erste, an der ich mich laben würde. Ich würde mich an ihr satt essen. Sie würde schreien und ich würde lachen, denn ich wäre zum ersten Mal in meinem Leben richtig satt.
„Ali“, rief sie warnend. „Da ist einer hinter dir!“
Einer … ein Zombie. Hinter mir. Er interessierte sich nicht für mich. Bewegte sich an mir vorbei.
Sie hatte mich gewarnt. Um mir zu helfen … so, wie ich ihr eigentlich helfen sollte.
So oft hatte ich den Menschen, die ich liebte, helfen wollen und hatte es nicht geschafft, meinem Vater, meiner Mutter, meiner Schwester, meinem Großvater. Es durfte nicht wieder schiefgehen. Ich blinzelte, mein Verstand meldete sich. Erkennen – und Entsetzen – trafen mich wie ein Schlag. Ich war nahe dran gewesen, meinen Freunden Schaden zuzufügen.
Ich biss mir auf die Zunge, bis ich Blut schmeckte, ließ das Messer fallen und wich vor Mackenzie zurück. Wie war es möglich, dass ich solch dunkle, niederträchtige Gedanken entwickelte?
„Ali, die Flammen!“, rief Cole.
Er war da. Ich drehte mich um, unsere Blicke trafen sich. Er sprang auf mich zu, bewegte sich so schnell wie ich vorher. Trotzdem konnte ich seine Bewegungen problemlos verfolgen, sah sogar die Besorgnis in seinem Blick.
Was, wenn ich den Drang verspürte, ihm wehzutun? Wenn ich ihn angreifen wollte?
Sosehr ich ihn im Moment auch hasste, dieses Risiko durfte ich nicht eingehen.
Voller Panik lief ich in die entgegengesetzte Richtung, weg von Cole, weg vom Kampfgeschehen, weg von allen und allem. Ich rannte und rannte, ohne mich einmal umzudrehen.