Kapitel drei
Heimkehr

Mir, schöne Freundin, kannst du niemals alt erscheinen,

denn wie du warst, als ich zuerst dein Aug' erblickt

so bist du schön geblieben.

William Shakespeare

»Liebling, ich bin wieder da«, rief Karl Cullinane, als er die Treppe zum zweiten Stock - der Wohnetage - in Burg Biemestren hinaufsprang und im Vorübereilen den beiden Dienstmädchen, die in der Halle den Fußboden wischten, ein Lächeln und ein Kopfnicken schenkte. Er achtete besonders darauf, der häßlicheren der beiden das breitere Lächeln zukommen zu lassen. Allerdings war der Unterschied gering.

Warum er sich Dienstmädchen früher immer als jung und attraktiv vorgestellt hatte, vermochte er heute nicht mehr zu begreifen. Ihm war noch keine begegnet, die sich nicht eines zumindest kleinen Schnurrbarts und eines großen Wanstes rühmen konnte, abgesehen von den Exemplaren mit großem Schnurrbart und einem zumindest kleinen Wanst.

Ungerecht, Karl, ungerecht, rügte er sich selbst. Und ganz sicher eine Einstellung, die man tunlichst nicht laut werden lassen sollte; Andy würde darin ein unverfrorenes Beispiel für männlichen Chauvinismus sehen.

Auch wenn es nichts war als die reine Wahrheit.

Er trabte den mit einem Teppichläufer ausgelegten Flur entlang, bog in die Diele ein, die vor den eigentlichen Wohnräumen lag, und blieb stehen, um sein Schwert an einen Haken neben der Tür zu hängen. Anschließend zog er - abwechselnd auf dem einen und dem anderen Bein hüpfend - die Stiefel aus.

Einen Moment lang schaute er auf das Schwert, wie es da in der schlichten Leder- und Stahlhülle an der Wand hing.

Schwert ...

In den letzten paar Jahren verbreiteten die Kaufleute Gerüchte, daß man in gewissen Kreisen Pandathaways glaubte, Karl werde sich eines Tages auf die Suche nach Arta Myrdhyns Schwert machen; er habe sich mit dem fernen Arta Myrdhyn ausgesöhnt und wolle sich das magische Artefakt zurückholen, das seit Jahrhunderten in einem Versteck für ihn bereitlag, für ihn allein.

Er lächelte.

Gut. Allerdings stimmte es nicht ganz; das Schwert war für Jason bestimmt, nicht für Karl.

Nicht meinen Sohn, Deighton. Du läßt meinen Sohn in Ruhe.

Dennoch, die Gerüchte machten die Runde. Und damit eröffnete sich ein Reigen der verschiedensten Möglichkeiten.

Vielleicht konnte man den kleinen Bastard Ahrmin dazu bringen, sich irgendwo in Melawei auf die Lauer zu legen, und wenn man ihn lange genug im eigenen Saft schmoren ließ, wenn man sehr behutsam zu Werke ging, mochte es Karl unter Umständen gelingen, den Fallensteller in der eigenen Falle zu fangen und damit der Gefahr einen Riegel vorzuschieben, daß Jason in etwas hineingeriet, das Arta Myrdhyn für ihn plante.

Möglich war es, daß er sich eines Tages auf den Weg nach Melawei machte, aber nicht wegen des Schwertes. Sollte Ahrmin dort ruhig eine Falle aufbauen, mit dem Schwert als Köder vermutlich. Karl war darauf vorbereitet, den Käse zu ignorieren und die Falle zu entschärfen.

Eines Tages ... doch in der Zwischenzeit gab es Wichtigeres zu tun.

Er hob die Hand und zupfte an dem Amulett, das an einer Lederschnur um seinen Hals hing. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Das Amulett beschützte ihn in der Weise, daß es anzeigte, ob jemand versuchte, auf magischem Wege seine Gedanken zu lesen - nur wenige Leute wußten, daß Jason derjenige war, auf den das Schwert wartete, und die würden es nicht weitererzählen.

Natürlich wußte auch Ellegon Bescheid, doch der Drache war verschwiegen.

Nicht mein Sohn, Deighton. Du läßt meinen Sohn in Ruhe.

Karl hatte oft daran gedacht, einen vertrauenswürdigen Spitzel nach Pandathaway zu schicken. Leider waren die Leute, denen er vertraute, für Holtun-Bieme zu wertvoll, ein bezahlter Agent mochte der Versuchung erliegen, von beiden Seiten zu kassieren, und Karl legte absolut keinen Wert darauf, Pandathaway eine Bestätigung der umlaufenden Gerüchte frei Haus zu liefern.

Vielleicht war es angezeigt, nach ein paar weniger wertvollen, weniger vertrauenswürdigen Spionen Umschau zu halten. Leuten, deren Verlust er verschmerzen konnte.

Das kam jedoch nicht in Frage, beschloß er. Ohne Not degradierte Karl Cullinane seine Mitmenschen nicht zu Schachfiguren; er hatte sich oft genug dazu gezwungen gesehen.

Was Pandathaway betraf, so ließ sich vielleicht Slowotski von Karls Andeutungen zu einem Versuch verleiten. Wahrscheinlich kostete es Walter nicht mehr als einen halben Tag und eine Handvoll Münzen um herauszufinden, wie es um Ahrmin stand und wie scharf die Sklavenhändlergilde darauf war, Karl in die Finger zu kriegen - handelte es sich bei der augenblicklichen Waffenruhe um nachlassendes Interesse, oder brütete man über neuen Plänen?

Doch der Versuch, Ahrmin aus Pandathaway herauszulocken, war eine Aufgabe für später; Karl verfügte zur Zeit nicht über die Muße, sich ihm an die Fersen zu heften, selbst wenn sich eine Gelegenheit bot.

Am besten ließ man die Dinge vorläufig ruhen. Sollten ruhig noch ein paar Jahre vergehen, bevor Karl gegen Ahrmin zu Felde zog. Für Jason war es wichtig, seine Ausbildung zu vervollständigen; für die Zukunft von Holtun-Bieme war es wichtig, die Bitterkeit zwischen den ehemaligen Gegnern zu lindern und dafür zu sorgen, daß sie nicht zu einem neuen Krieg aufflammte, der die Nyphier dazu verführte, sich ein Stück von Bieme in die Tasche zu stecken.

Genug der Sorgen für jetzt. Ich habe ein bißchen Ruhe verdient, wenigstens einen Tag lang.

Es hatte eine Zeit gegeben, da er auf Karls Freiem Tag bestehen konnte und ihn auch bekam.

Das war in einem anderen Land, dachte er, aber wenigstens ist das Mädchen, das diese Sitte einführte, nicht tot. Im Gegenteil, äußerst lebendig sogar.

Trotzdem, soeben habe ich den Funken der Rebellion in Arondael ausgepinkelt und verhindert, daß er sich zu einem Flächenbrand ausbreitete, also belohne ich mich für diese Leistung mit einem freien Tag. Punkt.

Mit bloßen Füßen, so daß er das Gefühl des dicken Teppichs genießen konnte, marschierte er in das Schlafzimmer, das er mit seiner Frau teilte - sehr zur Entrüstung der Hausangestellten, nach deren Auffassung sich dergleichen für ein Herrscherpaar nicht schickte.

Es war niemand da.

»Andy?« Keine Spur von ihr, bis auf einen Kleiderhaufen in der Mitte des Fußbodens ...

Ein Frösteln überlief seinen Körper. Er hechtete über das Bett, rollte über den Boden zum Waffenschrank, griff nach einer Steinschloßpistole und einem kurzen Stoßschwert und schnellte wieder in die Höhe.

Während er nachschaute, ob die Pistole feuerbereit war - sie war es - und dann den Hahn spannte, hörte er das ferne Rauschen von Wasser auf Stein.

Arschloch. Beinahe hätte er über sich selber gelacht, doch er war nicht ganz sicher, wie es sich anhören würde.

»Andy?« rief er wieder und bemühte sich vor dem Hintergrund seines hörbar klopfenden Herzens um eine ruhige Stimme. »Bist du das?«

»Nein. Valerie Bertinelli«, ertönte die sarkastische Antwort. »Schnell, komm zu mir, bevor mein Gatte nach Hause kehrt.«

Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, in den sich auch ein leichter Tadel an die eigene Adresse mischte. Beinahe verlegen sicherte er die Pistole und legte die Waffen beiseite. Dann lehnte er den Kopf gegen die Badezimmertür und kicherte lautlos, während er aus den restlichen Kleidern schlüpfte und sie zu Boden fallen ließ.

Wie man sieht, geht es nicht immer um Leben und Tod. Er holte tief Atem und zwang sein einfältiges Herz, langsamer zu schlagen. So sahen also die Folgen langer kriegerischer Jahre aus. Er hob die Arme über den Kopf und reckte sich ausgiebig. Verkrampfte Schultermuskeln entspannten sich zögernd.

Dies ist unser Zuhause, kein Schlachtfeld, ermahnte er sich und wiederholte den Satz, als wäre er ein Mantra.

»Hallo«, sagte er, als er die Tür aufstieß.

Sie stand kopfschüttelnd unter der Dusche, seifenglänzend und bezaubernd. Obwohl sie auf das Ende der Dreißig zuging, waren ihre Brüste kaum erschlafft, der Bauch, die Schenkel und der Allerwerteste noch ebenso straff wie bei einem jungen Mädchen. Ihre Stupsnase hatte er schon immer geliebt, und ihre warmen braunen Augen leuchteten vor Intelligenz und Lebhaftigkeit.

Allerdings bin ich wohl voreingenommen.

»Selber Hallo«, antwortete sie. »Wie läuft das Heldengeschäft?«

»Schmutzige Arbeit, reich mir die Seife«, entgegnete er und trat zu ihr unter die Dusche.

Seines Wissens handelte es sich bei dieser Dusche um die einzige in den Mittelländern. Von Karl entworfen, gebaut von den Lehrlingen des örtlichen Chefingenieurs Ranella, gehörte sie zu den wenigen Luxusgegenständen, die Karl nicht mit anderen teilen mochte; die Dusche gehörte ihm. Solche Eigensucht verursachte ihm kein schlechtes Gewissen, scheinbar handelte es sich um eine erworbene Vorliebe. Jason zum Beispiel zog das übliche Bad bei weitem vor.

Man hatte den über diesem Zimmer gelegenen Raum ausgeräumt, einen abgedichteten Eisentank eingebaut und die notwendigen Leitungen installiert. Der Heißwassertank war durch ein Rohr mit der Hauptzisterne auf dem Dach der Burg verbunden, den Zustrom kontrollierte ein Schwimmerventil, wie bei einer Toilette der Anderen Seite - tatsächlich hatte die Erinnerung daran Karl auf die Idee gebracht, obwohl Ranella noch einige Verfeinerungen vornehmen mußte. Erhitzt wurde das Wasser durch Kupferspiralen, die von dem Kessel zu einem stets brennenden Franklinofen führten.

Gemischt mit kaltem Wasser aus einem anderen Rohr, ermöglichte diese Einrichtung ein regulierbares, wenn auch etwas primtives und spärlich rinnendes Duschbad. Das verdammte Ding hatte nur den Fehler, daß das heiße Wasser sich zu rasch verbrauchte, weshalb es sich eindeutig mehr für eine knappe Waschung allein als für ein gemächliches Duschvergnügen zu zweit eignete. Kaum hatte er sich fertig eingeseift, wurde das Wasser bereits kühler, obwohl es jetzt ungemischt aus dem Heißwassertank kam; die Heizmöglichkeiten des Ofens reichten für den Bedarf nicht aus.

»Beeilst du dich bitte?« fragte er, als Andy mit dem Haarewaschen trödelte.

Sie funkelte ihn an, dann zuckte sie die Schultern, als sie aus dem Becken trat und das nur noch lauwarme Warmwasserrohr berührte. »Es ist schon beinahe kalt. Hattest du eine harte Nuß zu knacken in Arondael?«

»Hart?« Er schüttelte den Kopf. »Nicht besonders. Ein bißchen nervenzermürbend. Halb und halb.«

In Karls Vokabular bedeutete ›halb und halb‹ eine verhältnismäßig gut gelöste Aufgabe: Mission erfüllt, keine Unschuldigen getötet oder verletzt. Das paßte ausgezeichnet auf seinen Versuch, Arondael einzuschüchtern: Es waren tatsächlich keine Unschuldigen zu Schaden gekommen, und er konnte sicher sein, daß der Zustand der Einschüchterung bei dem Baron eine Zeitlang andauerte.

»Na, vielleicht hast du ein bißchen Spaß verdient - ich werde gehen und mich abtrocknen, aber zuerst ...« Ihre Stimme wurde leiser, ihre Augen wirkten trübe, während zischende Worte über ihre Lippen drangen, Worte, die man nur mit dem Bewußtsein hören konnte.

Sie nahm das Heißwasserrohr zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, ohne es jedoch zu berühren. Bläuliche Flammenzungen zuckten zwischen ihren Fingerspitzen und erhitzten das Kupferrohr augenblicklich zu einem matten Rot, das sich rasch bis zu der steinernen Zimmerdecke ausbreitete.

Mit dem Ende des Zaubers öffneten sich ihre Augen, und sie griff nach einem Waschlappen, um ihre Finger zu schützen, als sie den Heißwasserhahn halb zudrehte und die Kaltwasserleitung öffnete, damit das jetzt kochendheiße Wasser sie nicht beide verbrühte.

»Danke«, sagte er und zog sie für einen schnellen Kuß an sich.

Sie legte die Arme um seine Hüften und den Kopf an seine Brust. Ihr herabhängendes langes Haar kitzelte ihn am Bauch. »Zu dumm, daß du heute nachmittag so viel zu tun hast, Held, oder wir könnten es uns richtig gemütlich machen. Richtig gemütlich.«

»Ich habe viel zu tun?« Er hob die Augenbrauen, während er die Hände zu Schalen um ihre Hinterbacken formte. »Das wußte ich nicht.«

»Das ist doch immer so, mit schöner Regelmäßigkeit«, entgegnete sie und stieß ihn sanft zurück. Barfuß tappte sie davon und rubbelte im Gehen mit dem Handtuch die Haare trocken, wobei sie vielleicht etwas mehr mit den Hüften wackelte, als nötig gewesen wäre.

Karl schaute ihr nach, genoß den Anblick und empfand ein vages Schuldgefühl.

Schnell spülte er sich die Seife von der Haut und konzentrierte sich auf einen Gedankenruf: Ellegon?

*Was ist?* ertönte von weit her die Antwort; er vermochte Ellegons Gedankenstimme kaum zu verstehen.

Dann fiel ihm ein, daß der Drache sich in der Nähe der Abdeckerei aufhielt, und ihn schauderte. Auch wenn es sich nicht vermeiden ließ, hatte Karl für Abdecker nichts übrig, und der Gedanke, daß Ellegon sich an den Abfällen gütlich tat, lag ihm schwer auf der Seele.

*Wenn du dich entschließt, Vegetarier zu werden, folge ich vielleicht deinem löblichen Beispiel. Gilt die Wette?*

Karl schüttelte den Kopf und wechselte das Thema. Irgend etwas Wichtiges heute nachmittag?

*Mmm ... nun, da wäre eine Gerichtsverhandlung - dieser Wilderer aus Arondael. Du wolltest dabeisein und zusehen, wie der Junge damit fertig wird.*

Braucht Thomen mich wirklich? Oder denkst du, er schafft es auch solo?

*Er wird schon zurechtkommen - ich habe es dir gesagt, der Wilderer ist schuldig. Das gibt doch einen schönen Rückhalt, oder?*

Nun ...

*Du wirst dich morgen zur Urteilsverkündung einfinden müssen. Vorausgesetzt, Thomen macht heute keinen Blödsinn und spricht ihn frei.*

Also gut, dann streich mich für heute nachmittag aus dem Dienstplan.

*Oh, du Wüstling ...*

Genug.

*Dann wünsche ich viel Vergnügen.* Plötzlich war der Drache aus seinem Bewußtsein verschwunden.

Während er nach einem Handtuch griff und sich abzutrocknen begann, rief er: »He, Andy?«

»Ja?«

»Bist du schon angezogen?«

»Nein ...«

»Hast du es eilig, dich anzuziehen?«

»Eigentlich nicht«, antwortete sie, vielleicht ein wenig zu kokett. »Warum?«

»Ich habe den Nachmittag frei.«

»Nachmittag?«

»Du hast selbst gesagt, ich hätte ein bißchen Spaß verdient, oder nicht?«

»Das habe ich«, gab sie zu. »Großmaul. Nachmittag, also wirklich.«

Er konnte sie grinsen hören.