Gut zwei Monate später hat Schamski recht behalten. Es ist so ziemlich alles schiefgegangen, was schiefgehen konnte. Zwar haben wir einige kleine Internetdienste gekauft, aber unser größter Konkurrent wehrt sich mit Händen und Füßen gegen eine Übernahme. Während Timothys Londoner Firma Kaufangebote macht, die inzwischen deutlich über unserer Kalkulation liegen, versuche ich die beiden Eigentümer zu einer Fusion mit unseren Internetdiensten zu bewegen. Wir haben uns zu dieser Doppelstrategie entschlossen, als abzusehen war, dass die Kaufverhandlungen stocken würden. Aber Karsten und Walther Peters, die Gründer der digitalen Autobörse, beharren darauf, eigenständig zu bleiben. Alle paar Tage stehe ich mit den stiernackigen Peters-Brüdern im Green Meadow, einem sagenhaft hässlichen irischen Pub, dessen Hauptattraktionen ein verstaubter Dudelsack und eine völlig zersiebte Dartscheibe sind, und versuche verzweifelt, durch immer neue Lockangebote doch noch eine sinnvolle Kooperation auf die Beine zu stellen. Aber die Antwort ist immer dieselbe.
«Warum sollten wir das tun, Paul? Der Karsten und ich können prima von unserem kleinen Internetservice leben.» Walther Peters hält mir sein Handgelenk hin. «Hier. Rolex. Zwölf große Scheine. Der Beweis dafür, dass bei |161|uns alles super läuft. Der Karsten hat auch eine. Zeig mal, Karsten.»
Karsten hebt den Arm, um mir seine Rolex zu zeigen, der Wirt missdeutet das als Bestellung: «Noch drei?» Walther nickt.
«Ja. Momentan läuft bei euch alles rund», unke ich. «Aber falls euch jemand Konkurrenz macht, dann ist es besser, einen starken Partner an der Seite zu haben.»
«Aber ihr seid kein starker Partner», stellt Walther nüchtern fest und nimmt einen großen Schluck Bier.
Da hat er recht. Während die Autobörse der Peters-Brüder wächst und gedeiht, rauschen unsere Umsatzzahlen weiter in den Keller.
«Das stimmt so nicht», lüge ich. «Wir haben gute Rücklagen und traditionell eine enge Kundenbindung. Saisonale Auflagenschwankungen sind völlig normal. Unser Kerngeschäft läuft tadellos.»
«Aber dann ist doch alles in Ordnung», sagt Walther mit dreckigem Grinsen. «Euch geht’s gut. Uns geht’s gut. Warum müssen wir da noch kooperieren?»
Die ehrliche Antwort wäre, weil der Verlag finanziell auf dem Zahnfleisch geht. Ich habe Timothy dazu bewegen können, drastische Kostenreduktionen erst im neuen Jahr vorzunehmen, um die Mitarbeiter nicht kurz vor Weihnachten in Panik zu versetzen. Es blieb uns aber nichts anderes übrig, als sämtliche Jahresgratifikationen zu streichen, weshalb im Verlag trotzdem die Angst vor einer Entlassungswelle umgeht. Engelkes hat mir unter vier Augen ein Konzept zum Personalabbau vorgestellt, das mich an die Schlacht bei Trafalgar erinnert. Er will mehr als ein Drittel unseres Personals einsparen und nebenbei die komplette Marketingabteilung dichtmachen. Dass er derart |162|schnell zum eiskalten Sanierer mutieren würde, hätte ich nicht gedacht. Eigentlich ist er mir nun sogar ein bisschen unheimlich.
Schamski hat für seine Verkäufer höhere Umsatzziele definiert und eine Reihe von Werbepaketen geschnürt, um den Anzeigenverkauf anzukurbeln. Die Ergebnisse sind alles andere als zufriedenstellend.
«Selbst meine besten Leute haben Probleme damit, die Produkte am Markt durchzusetzen.» Schamski wirkt zerknirscht.
«Was sollen wir machen? Wir können mit den Preisen nicht noch weiter runter», erwidere ich mit leichter Verzweiflung.
«Schon klar. Aber genau deshalb wandern die Kunden ins Internet ab. Die Resonanz ist ähnlich gut wie in unseren Printprodukten, und die Kosten sind wesentlich geringer. Gibt es denn Fortschritte mit den Peters-Brüdern?»
Ich schüttele den Kopf. «Wäre schön, wenn der Teufel sie holen könnte, aber ich fürchte, sie würden sich auch da querstellen.»
Burger hat es immerhin geschafft, durch eine Marketingaktion die Auflage unserer Tageszeitung zu stabilisieren. Das hat viel Geld gekostet, trotzdem verflüchtigt der Effekt sich bereits wieder. Wahrscheinlich liegt Engelkes mit seiner Idee, ganz aufs Marketing zu verzichten, also gar nicht so falsch.
Am meisten frustriert mich, dass sämtliche Sparmaßnahmen uns nicht in die Gewinnzone bringen werden. Unser Schiff wird weiter sinken, selbst wenn wir sämtlichen Ballast über Bord werfen, Dr. Burger eingeschlossen.
Die Banken halten noch eine Weile still, allerdings bestehen sie darauf, kurzfristig Sicherheiten zu bekommen. |163|Wie ich mit Erschrecken von Timothy erfahren habe, ist das Verlagsgebäude bereits beliehen. Görges sah sich offenbar vor seiner Demission zu diesem Schritt gezwungen, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Ich wusste zwar von seinen Plänen, zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe auf unsere stillen Reserven zurückzugreifen. Dass er aber gezwungen war, den Laden quasi als letzte Amtshandlung noch bis an die Halskrause zu verschulden, hat mein Vorgänger mir klugerweise verschwiegen.
Die Entwicklung im Verlag ist an mir nicht spurlos vorübergegangen. Ich habe wieder mit dem Rauchen angefangen und bringe es an schlechten Tage auf zwei Packungen. Und praktisch alle Tage sind schlecht. Mein Weinkonsum beläuft sich auf zwei bis drei Flaschen pro Abend, ich schlafe nicht gut, esse unregelmäßig, saufe zu viel Kaffee, und meine sportlichen Aktivitäten beschränken sich darauf, schnaufend die paar Treppenstufen zu meiner Wohnung zu erklimmen. Schaffe ich es mal, mit Fred in den Park zu gehen, verbringe ich die meiste Zeit damit, auf einer Bank zu sitzen und zu telefonieren.
Normalerweise lasse ich Fred aber sowieso zu Hause. Bronko kümmert sich um ihn. Als die chinesische Mafia über Wochen nichts von sich hören ließ, beschloss Bronko, sein Leben wiederaufzunehmen und sich einen Job zu suchen. Nach einem Intermezzo als Telefonverkäufer, bei dem er aufgrund nicht vorhandener Umsätze kein Gehalt erhielt, versuchte er sich als Pizzalieferant. Bedingt durch seine Sehschwäche, zuckelte Bronko mit dreißig Stundenkilometern von Kunde zu Kunde und erledigte nur einen Bruchteil der Bestellungen. Noch vor Ende der Schicht bekam er die Kündigung und zum Trost obendrein eine ofenfrische |164|Pizza Margherita. Als er damit heimkam, war auch die kalt.
Danach bot ich Bronko an, sich um Fred zu kümmern und Besorgungen für mich zu erledigen. Gegen Bezahlung, versteht sich. Bronko zierte sich zunächst, doch dann war er einverstanden. Da sich im Haus herumgesprochen hat, dass er weiß, welche Läden das beste Angebot haben, ist er inzwischen auch als Einkäufer für zwei ältere Damen tätig. Das ist nicht ganz unproblematisch, denn die beiden besitzen einen Pudel, und Fred hat Bronko schon einige Male nicht in meine Wohnung gelassen, weil er zu intensiv nach Pudel roch.
Iggy ist inzwischen aus Kansas zurückgekehrt. Nur einen Tag nach Günthers spektakulärer Flucht rief sie bei mir an und wollte wissen, ob ihr Mann gut angekommen sei und die Strapazen der langen Reise unbeschadet überstanden habe.
«Aber du hast ihr nicht gesagt, dass ich hier bin, oder?»
«Klar hab ich ihr das gesagt. Und ich hab ihr auch gesagt, dass dir alles sehr leidtut und du einfach die Nerven verloren hast.»
«Na toll!», maulte Günther und wechselte für den Rest des Tages kein Wort mehr mit mir.
Drei Wochen lang versuchten Iggy und Günther ihre Eheprobleme telefonisch zu lösen. Sie sprachen fast täglich miteinander, manchmal stundenlang. Die Telefongesellschaft verlieh mir daraufhin den Titel Platinkunde und schenkte mir obendrein ein Filofax mit einem Einband aus Kalbslederimitat, verbunden mit den besten Wünschen für ein erfolgreiches und gesundes neues Jahr. Angesichts meines Lebenswandels und meiner beruflichen Situation klang der Brief reichlich zynisch.
|165|Inzwischen wohnt Iggy bei einer Freundin und hat sich einen Job als Kellnerin gesucht. Eigentlich wollte sie wieder im Pan Tao anfangen, wo sie gearbeitet hat, als sie Günther kennenlernte. Aber der Laden ist jetzt ein Szenetreff und stellt nur noch Studentinnen mit Modelmaßen ein, die in adretten blauen Schürzen bunte Drinks durchs hippe Publikum jonglieren.
Iggy ist Ende dreißig und sieht ein bisschen verlebt aus. Sie verkörpert also eher den Typ der schlechtgelaunten traditionellen Kellnerin. Ich habe ihr empfohlen, im Green Meadow nachzufragen, weil ich wusste, dass dort Personal gesucht wurde. Sie wurde mit Kusshand genommen.
Günther und Iggy treffen sich fast täglich und reden darüber, wie es mit ihnen weitergehen soll. Ihre Ehe ist zwar noch nicht am Ende, aber ein neuer Anfang ist auch nicht in Sicht.
Günther hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Tageweise lässt er sich als Programmierer anheuern. Seiner miesen Laune nach zu urteilen, ist er mit den Aufträgen hoffnungslos unterfordert. Weil er den Job bei der CIA vor Vertragsende geschmissen hat, haben die Amerikaner ihm den Laufpass gegeben. Zusammen mit seinem letzten Scheck hat Günther einen indignierten Brief aus Kansas bekommen. Das Schreiben klingt zwar höflich, macht aber trotzdem unmissverständlich klar, dass Günther selbst dann keinen Job mehr bei einer amerikanischen Bundesbehörde bekäme, wenn er sich für die Reinigung der Spucknäpfe bewerben würde.
Die Sache mit dem Job nimmt Iggy ihm besonders übel.
«Der Vertrag war gut dotiert, und die Arbeit hat dir gefallen, oder etwa nicht?» Iggy und Günther sitzen in meiner Küche und diskutieren wieder mal. Ab und an muss ich |166|dabei den Schiedsrichter spielen, obwohl ich meine Feierabende lieber mit einer Flasche Wein vor dem Fernseher verbringe.
Günther nickt.
«Und du hast den Job vor Vertragsende erledigt. Man hätte dir also wahrscheinlich ein neues Projekt anvertraut, richtig?», setzt Iggy nach.
Wieder nickt Günther.
«Und vielleicht wäre dir sogar eine Festanstellung angeboten worden», mutmaßt Iggy.
Günther wiegt den Kopf hin und her. «Ja. Vielleicht», murmelt er.
«Und spätestens dann hätten wir uns problemlos ein Haus in Kansas leisten können», schlussfolgert Iggy.
Günther schweigt schuldbewusst.
«Na ja», mische ich mich ein, weil Günther mir gerade leidtut. «Trotzdem kann ich ihn verstehen. Hätte ich die Perspektive, meinen Lebensabend auf einer Veranda in der Prärie zu verbringen, wäre ich wahrscheinlich auch auf einen anderen Kontinent geflüchtet.»
Iggy sieht mich wütend an, dann springt sie unwirsch auf, schnappt sich ihre Jacke, und verlässt türenschlagend die Wohnung.
«Danke», sagt Günther. «Das hätte ich nicht besser formulieren können.»
Während Günther und Iggy also noch diskutieren, ob sie überhaupt eine Familie gründen wollen, sind Schamski und Melissa bereits hingebungsvoll dabei, diesen Plan in die Tat umzusetzen. Schamskis Wochenendtrips nach London haben dazu geführt, dass er sein Leben völlig auf den Kopf gestellt hat. Um den mit Melissas Kinderwunsch verbundenen sexuellen Strapazen körperlich gewachsen zu |167|sein, raucht er nur noch höchstens fünf Zigaretten am Tag, hat seinen Weinkonsum drastisch reduziert und durch Yoga und Schwimmen ein paar Pfund abgenommen. Melissa und sein Hausarzt sind jedenfalls gleichermaßen begeistert von seiner physischen Konstitution. Obwohl ich nicht weiß, wie die beiden es bewerkstelligen wollen, ein Familienleben über den Ärmelkanal hinweg zu führen, und ich mir deshalb auch Sorgen mache, dass Schamski in naher Zukunft seinen Job an den Nagel hängen und nach London ziehen wird, gönne ich den beiden ihr Glück von ganzem Herzen. Und dass Schamski glücklich ist, ist unübersehbar. Während Günther die Vorstellung, Vater zu werden, in eine Angststarre versetzt, wird Schamski von dieser Aussicht beflügelt. Er hat sogar schon mit dem Gedanken gespielt, seinen Sportwagen zu verkaufen und einen familientauglichen Pkw anzuschaffen. Einen größeren Liebesbeweis kann ich mir bei Schamski kaum vorstellen. Inzwischen ist der Plan wieder vom Tisch, weil Porsche glücklicherweise versichert hat, dass man Schamskis Boliden problemlos mit einem Kindersitz ausstatten kann. Gleichzeitig hat man ihm gesagt, dass die Nachrüstung keine fünf Minuten dauert. Schamski habe also noch genügend Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wenn sein Kind wenigstens schon mal gezeugt wäre.
Gewöhnlich treten Schamski und Timothy freitags nach Büroschluss gemeinsam die Fahrt zum Flughafen an. Da beide das gleiche Ziel haben, hat sich das so ergeben. Eine Weile habe ich versucht, mir einzureden, dass solche Wochenendbeziehungen mir persönlich viel zu anstrengend wären. Die Wahrheit ist, dass ich die beiden beneide, wenn sie freitags mit ihrem Handgepäck vorm Verlagsgebäude aufs Taxi warten. Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre an |168|Timothys Stelle und würde jetzt zu Iris fliegen. Der Gedanke an sie gibt mir zwar immer noch einen leichten Stich, aber es wird stetig besser. In dieser Hinsicht ist es gut, dass ich sie seit Mallorca nicht mehr gesehen habe. Sie ist tatsächlich kein einziges Mal nach Deutschland gekommen, um Timothy zu besuchen.
Anfangs habe ich meine Wochenenden damit verbracht, eine Kiste Wein in mich hineinzuschütten und wie besessen zu arbeiten. Auf Dauer ist das aber zermürbender als französische Kunstfilme. Außerdem werden miese Umsatzzahlen nicht dadurch besser, dass man sie immer und immer wieder durchrechnet.
Auf der Suche nach Zerstreuung bin ich vor ein paar Wochen in einer Bar gestrandet, wo ich Nela kennengelernt habe. Sie ist eine fünfundzwanzigjährige Deutschtschechin, die wohl mehr wegen ihres makellosen Körpers und weniger aufgrund ihrer schauspielerischen Fähigkeiten als Nebendarstellerin in einer TV-Soap mitwirkt.
«Kenne ich die Serie?», fragte ich Interesse heuchelnd.
Nela lächelte charmant und zuckte mit den Schultern. «Keine Ahnung. Sie heißt Geliebte Leidenschaft und läuft im Vorabendprogramm. Ich spiele eine blinde Krankenschwester, die Depressionen hat.»
«Das hört sich nach einer sehr traurigen Geschichte an», erwiderte ich.
Nela nickte ernst. «Ja. Die Frau ist depressiv, weil sie von ihrem im Rollstuhl sitzenden Mann mit einer bulimischen Metzgersfrau betrogen wird, die ihren Gatten mit einem Bolzenschussgerät ins Jenseits befördert hat.»
«Oh», sagte ich leicht fassungslos. «Das klingt … ähm … ziemlich … wie soll ich mich ausdrücken? Ehrlich gesagt, es klingt ziemlich bescheuert.»
|169|Nela lachte auf. «Es ist total bescheuert!» Und mit einem verführerischen Augenaufschlag fügte sie hinzu: «Aber du würdest nicht glauben, wie viele Typen mir dafür Komplimente machen, nur um mich ins Bett zu kriegen.»
«Doch», erwiderte ich prompt. «Würde ich sofort.»
Sie sah mich an, und das Eis war gebrochen.
Ich habe mir inzwischen eine Folge von Geliebte Leidenschaft angesehen und war bestürzt darüber, wie viele menschliche Tragödien man in eine halbe Stunde pressen kann. Nela hat mir erzählt, dass dem Zuschauer im Minutentakt Inzestfälle, zerrüttete Ehen, Mordversuche oder seltene Krankheiten vorgesetzt werden müssen, weil die Leute sonst aus lauter Langeweile einfach umschalten. So weit zumindest der Stand der Marktforschung.
Jedenfalls sagen die Schauspieler so Sätze wie: «Ich schäme mich. Glaub mir, mein Liebling, wenn ich diese fürchterliche Sache ungeschehen machen könnte, ich würde alles, wirklich alles, dafür tun.» Ich vermute, so lautet auch die Antwort des Regisseurs, wenn seine Frau ihn abends fragt: «Hallo, Schatz, wie war dein Tag?»
Nela ist jung, schön und unkompliziert. Genau das sind die drei Gründe, warum ich mit ihr eine Affäre angefangen habe. Sie dürfte das ähnlich pragmatisch sehen, denn unsere Verbindung basiert nicht auf Liebe, sondern auf einer stillen Übereinkunft. Ich verbringe gern Zeit mit ihr, möchte aber im Moment keine feste Beziehung. Sie genießt es, dass ich ihr ein wenig Luxus biete, will aber sicher nicht ihr Leben an der Seite eines fast zwanzig Jahre älteren Mannes verbringen, der ständig telefoniert. Wir sind also eine Art wechselseitige emotionale Zwischenfinanzierung. Zwei Trostpreise, die im Regal des Lebens zufällig nebeneinanderstanden.
|170|Ich bin alles andere als stolz auf die Affäre mit Nela, aber momentan fehlt mir die Kraft, etwas daran zu ändern. Immerhin schleppt sie mich gelegentlich in ein Theater oder Kino, was nicht nur dazu führt, dass ich zumindest an diesen Abenden meinen Alkohol- und Nikotinkonsum einschränke, sondern auch für ein paar Stunden meine beruflichen Probleme vergessen kann. Außerdem haben wir guten Sex, was ja auch nicht zu verachten ist. Sollte mir aufgrund der desaströsen Entwicklung im Verlag mein berufliches Waterloo bevorstehen, so werde ich wenigstens nicht ungevögelt zu Boden gehen. Momentan versuche ich also, die Situation so zu nehmen, wie sie ist, ohne in Selbstmitleid zu zerfließen. Das passiert mir zwar trotzdem gelegentlich, wenn ich ein paar Flaschen Wein gekippt habe und Fred mein einziger Zuhörer ist, aber ich bemühe mich, diesem Gefühl nicht zu viel Raum zu geben. Schlimmer als ein Mann in der Krise ist nur einer, der obendrein jammert.
Ich habe mich deshalb entschlossen, dem neuen Jahr optimistisch entgegenzusehen. Weihnachten werde ich allein verbringen, vielleicht ein Konzert besuchen oder ein gutes Buch lesen. Ich könnte zwar zu Schamski und Melissa nach London fliegen, möchte aber deren Familienplanung nicht behindern. Ich kann mir schon denken, wie die beiden das Fest der Liebe interpretieren werden. Da störe ich nur. Auch Iggy und Günther haben mich eingeladen. Bei ihnen müsste ich mich als ehrenamtlicher Paartherapeut betätigen, worauf ich ebenfalls verzichten kann. Bronko wird Weihnachten bei seiner Schwester Kathrin und deren Mann Rüdiger verbringen. Mit Kathrin hatte ich mal eine kurze Affäre. Damals hat sie mich verlassen, um Rüdiger zu heiraten. Moralisch gesehen steht mir für diese |171|Schmach zwar eine Entenkeule mit Rotkohl zu, aber ich will keine alten Wunden aufreißen. Schon gar nicht am Heiligabend.
Dass Nela über die Feiertage ihre Familie in Prag besuchen würde, war schon länger klar. Sie ist aber am zweiten Weihnachtstag wieder da, um mit mir in ein hübsches Hotel am Meer zu fahren, wo wir Silvester feiern wollen. Ich habe mir fest vorgenommen, die Arbeit zwischen Weihnachten und Neujahr komplett auszublenden.
Derart motiviert durch meine guten Vorsätze, beschließe ich, einen detaillierten Plan für die Feiertage zu erstellen, um die Zeit garantiert sinnvoll zu nutzen. Ausgiebige Spaziergänge mit meinem Hund gehören ebenso zum Programm wie ein Weihnachtskonzert und die Zubereitung eines mehrgängigen Festessens, zu dem ich mir die streng limitierte Menge von einem halben Liter Wein gönnen werde. Fred bekommt an diesem Abend Markknochen, dafür würde er sein anderes halbes Ohr geben. Ich beschließe, meinen Zigarettenkonsum über die Feiertage schrittweise zu reduzieren, um an Silvester ganz aufzuhören. Der Höhepunkt meines Planes ist, dass ich mein neues Filofax hervorkrame und auf der Seite für den ersten Januar eintrage: Nichtraucher.
Das war’s. Ich bin vorbereitet. Zumindest auf die nahe Zukunft.