DER LOYALIST

1770

Grey Albion stand an der Zimmertür. James Master lächelte ihm zu. Ab gesehen von der Tatsache, dass Grey wie ein jüngerer Bruder für ihn war, erheiterte es ihn immer, dessen grundsätzlich zerzaustes Haar zu sehen.

»Kommst du nicht raus, James?«

»Ich muss einen Brief schreiben.«

Sobald Grey gegangen war, stieß James einen Seufzer aus. Das würde nicht einfach werden. Zwar fügte er den regelmäßigen Berichten, die Albion seinem Vater James sandte, immer ein paar persönliche Zeilen hinzu, aber jetzt wurde ihm schamvoll bewusst, dass er seinen Eltern seit über einem Jahr keinen richtigen Brief mehr geschrieben hatte. Der, den er gerade aufzusetzen begann, sollte daher möglichst lang ausfallen, und er hoffte, dass er ihnen Freude bereitete. Den eigentlichen Grund für sein Schreiben würde er sich allerdings bis zum Schluss aufsparen.

Und ob der sie erfreuen würde, war zumindest fraglich.

»Meine lieben Eltern«, schrieb er, und dann geriet er auch schon ins Stocken. Wie sollte er anfangen?

*

John Master hatte sich noch nie mit seiner Frau gestritten. Doch an diesem strahlenden Frühlingstag stand er sehr kurz davor. Wie konnte sie nur auf eine solche Idee verfallen? Seine Miene drückte lediglich einen Vorwurf aus, aber tatsächlich war er am Rande eines Wutausbruchs.

»Ich flehe dich an, nicht zu gehen!«, sagte er eindringlich.

»Das kann nicht dein Ernst sein, John«, erwiderte sie.

»Begreifst du denn nicht, dass du mich damit wie einen verdammten Idioten aussehen lässt?«

Wie konnte sie das nicht verstehen? Als man ihm letztes Jahr angeboten hatte, einer der Kirchenvorsteher von Trinity zu werden, hatte er sich geschmeichelt gefühlt. Das Amt brachte Ansehen mit sich; aber auch Pflichten – darunter mit Sicherheit auch die, keine Frau zu haben, die ungeniert ein Treffen von Dissenters besuchte. Noch fünf Jahre früher wäre es vielleicht nicht so schlimm gewesen, doch die Zeiten hatten sich geändert. Dissenters bedeuteten Ärger.

»Fluch bitte nicht, John.«

»Du bist meine Frau!«, stieß er hervor. »Ich verlange, dass du mir gehorchst!«

Sie blickte schweigend zu Boden und wägte ihre Worte sorgfältig ab.

»Es tut mir leid,John«, sagte sie leise, »aber es gibt eine höhere Autorität als dich. Verbiete mir nicht, das Wort Gottes zu hören.«

»Und du willst Abigail mitnehmen?«

»So ist es.«

Er schüttelte den Kopf. Bestimmt würde er nicht versuchen, dem Gewissen seiner Frau mit Argumenten beizukommen – er hatte schon so genügend Sorgen.

»Dann geh eben«, rief er verbittert aus. »Aber meinen Segen hast du nicht.« Oder meinen Dank, fügte er lautlos hinzu, kehrte ihr den Rücken zu und wartete, bis sie gegangen war.

Wenn John Master im Frühjahr 1770 seine Welt betrachtete, dann war er sich einer Sache sicher: Nie zuvor hatte die Kolonie so dringend gute Männer gebraucht, Männer guten Willens und mit kühlem Kopf. Als Livingston und De Lancey fünf Jahre zuvor die Ansicht geäußert hatten, die Gentlemen der Versammlung müssten die Liberty Boys an die Kandare nehmen, hatten sie recht gehabt. Aber gelungen war es ihnen nicht.

Die Hauptfraktionen in der Provinzialversammlung definierten sich schon seit Langem nach mehr oder weniger englischen politischen Kategorien. De Lancey und seine reichen anglikanischen Kumpane wurden allgemein als »Torys« bezeichnet, und sie betrachteten Master, als Kirchenvorsteher von Trinity mit einem Sohn in Oxford, als einen der Ihren. Die von Livingston und einer Gruppe presbyterianischer Anwälte angeführten »Whigs« traten zwar für die Interessen des einfachen Mannes ein und opponierten gegen alles, was sie als einen Missbrauch königlicher Autorität ansahen, waren aber dennoch besonnene Gentlemen. Als gemäßigter, unvoreingenommener Mann hatte John Master auch in ihren Reihen zahlreiche Freunde.

Daher war er eigentlich der Überzeugung gewesen, wenn anständige Männer gleich ihm ihren gesunden Menschenverstand gebrauchten, müssten die Angelegenheiten der Kolonien zufriedenstellend geordnet werden können. Doch es kam anders. Die letzten fünf Jahre waren ein einziges Desaster.

Als das Stempelgesetz aufgehoben wurde, hatte er für kurze Zeit gehofft, die Vernunft könnte sich durchsetzen. Er gehörte zu denjenigen, die an die Provinzialversammlung appellierten, die britischen Truppen wieder mit Proviant zu beliefern.

»Gott weiß«, hatte er einem Whig-Abgeordneten gegenüber argumentiert, »wir brauchen die Soldaten, und sie müssen ihre Verpflegung und ihren Sold bekommen.«

»Geht nicht, John«, lautete die Antwort. »Ist eine Frage des Prinzips. Das ist eine Steuer, der wir nicht zugestimmt haben.«

»Und warum stimmen wir ihr dann nicht einfach zu?«, hatte er entgegnet.

Aber wenn er auch nachvollziehen konnte, warum die Minister in London zunehmend den Eindruck gewannen, dass die Kolonien unnötige Schwierigkeiten machten – warum mussten die Londoner Herren ihrerseits so anmaßend auftreten?

Denn ihre nächste Maßnahme war ein Schlag ins Gesicht Amerikas. Verabreicht von einem neuen Minister namens Charles Townshend in Form einer Reihe neuer Zölle, mit denen 1767 ein breites Spektrum von Waren, darunter Papier, Glas und Tee, belegt wurde. »Neuer Minister, neue Steuer«, hatte Master geseufzt. »Fällt denen denn zur Abwechslung nicht mal was anderes ein?« Doch der Giftstachel kam erst zum Schluss zum Vorschein. Die eingezogenen Gelder sollten nicht nur dem Unterhalt der Truppen dienen. Damit würden auch die Provinzgouverneure und deren Beamten bezahlt werden.

Natürlich schäumten die New Yorker Whigs vor Wut.

»Die Gouverneure sind seit jeher von unserer gewählten Versammlung besoldet worden«, protestierten sie. »Das allein verschafft uns eine gewisse Kontrolle über sie. Wenn die Gouverneure ihr ganzes Geld aus London beziehen, können sie uns vollkommen ignorieren.«

»Es liegt klar auf der Hand, John«, sagte ein anderer Kaufmann zu ihm. »London will uns vernichten.« Und dann fügte er hinzu: »Also zur Hölle mit dem Pack.«

Prompt weigerten sich die Kaufleute wieder, mit London Handel zu treiben. Die Provinzialversammlung, glaubte Master, verrannte sich immer mehr. Aber das schlimmste Problem waren die verdammten Sons of Liberty. Charlie White und seine Freunde. Sie übten praktisch die Kontrolle über die Straßen aus.

Sie hatten auf dem Bowling Green, direkt gegenüber dem Fort, einen riesigen »Freiheitspfahl« aufgestellt, so hoch wie ein Schiffsmast. Dort führten sie einen fortwährenden Kleinkrieg gegen die Rotröcke. Wenn die Soldaten den Mast wegräumten, richteten die Liberty Boys einen anderen, noch größeren auf, einen Totempfahl des Triumphs und des Trotzes. Und die Abgeordneten waren mittlerweile so verängstigt, dass sie ihnen alle möglichen Zugeständnisse machten. Einige dieser Söhne der Freiheit stellten sich sogar selbst zur Wahl. »Wenn wir nicht aufpassen«, warnte Master, »wird die Stadt bald vom Pöbel regiert.«

Als wären die Schwierigkeiten nicht schon groß genug, traten dann auch noch die Dissenters auf den Plan.

Master hatte an sich nichts gegen Dissenters. In New York hatte es von jeher viele davon gegeben: ehrenwerte Presbyterianer, die hugenottische Gemeinde der französischen Kirche und natürlich die Holländer. Außerdem gab es ein paar Lutheraner und Mährische Brüder, Methodisten und Quäker. Ein Mann namens Dodge hatte eine Baptistengemeinde ins Leben gerufen. Und zusätzlich zu all diesen christlichen Abweichlern existierte schon immer eine New Yorker Judengemeinde.

Die Probleme hatten mit einer simplen juristischen Streitfrage begonnen. Die Trinity Church war eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dieser Status brachte eine Reihe juristischer und finanzieller Vorteile mit sich. Daraufhin beschlossen die presbyterianischen Kirchen, dass auch sie als solche Körperschaften anerkannt werden wollten. Das war allerdings nicht so einfach. Der königliche Krönungseid und eine ganze Reihe historisch gewachsener Gesetze verpflichteten die Regierung dazu, die Church of England in besonderem Maße zu fördern. Einer Dissenterkirche den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu gewähren konnte juristische und mit Sicherheit politische Probleme aufwerfen. Sobald die Presbyterianer ihre Forderung gestellt hatten, meldeten sich überdies alle übrigen Kirchen und wollten ebenfalls inkorporiert werden. Die Regierung hatte abgelehnt. Die Dissenters waren enttäuscht.

Doch wie Master leider zugeben musste, hatte seine eigene Kirche Ol ins Feuer gegossen, indem ein streitbarer anglikanischer Bischof öffentlich erklärte, die amerikanischen Kolonisten seien nichts als »Ungläubige und Barbaren«.

Grund genug für die empörten Dissenters, der englischen Staatskirche den Krieg zu erklären. Ehrbare presbyterianische Abgeordnete fanden sich mit einem Mal im selben Lager wie die Liberty Boys wieder. Gerade dann, als kühle Köpfe nötig gewesen wären, begannen einige der besten Männer der Stadt mit einigen der schlimmsten gemeinsame Sache zu machen.

Was die heutige Predigt anbelangte, konnte Master schon verstehen, warum Mercy sie unbedingt besuchen wollte. Der große George Whitefield war wieder in der Stadt. Es hieß zwar, der Prediger sei nicht mehr ganz gesund, aber trotzdem strömte eine riesige Schar zusammen, um ihn zu hören. Darunter zweifellos auch etliche Angehörige der anglikanischen Gemeinde. Menschen, die, wie Mercy sagen würde, allmählich zum Licht fanden.

Doch es war ein Fehler. Diese Versammlungen peitschten nur die Leidenschaften auf. Gütiger Gott, dachte John Master, als Nächstes steckt mir Charlie White das Haus über dem Kopf an und behauptet, er tue ein gottgefälliges Werk!

Dies waren die trübsinnigen Gedanken, die ihn beschäftigten, nachdem Mercy und Abigail das Haus verlassen hatten. Er war deprimiert und fühlte sich alleingelassen.

*

Der Prediger hatte ein breites Gesicht, und wenn er zum Himmel emporschaute, schien die Sonne ihm ein besonderes Strahlen zu verleihen. Als man ihm auf die Plattform hinaufhalf, sah er leidend aus; doch sobald seine melodiöse Stimme über die Volksmenge, die sich auf dem Common eingefunden hatte, hinwegschallte, schien George Whitefield aus der Inspiration des Tages neue Kraft zu schöpfen. Die Menge war verzückt.

Aber Mercy konnte sich nicht konzentrieren.

Abigail stand neben ihr. Mit ihren zehn Jahren war sie alt genug, um die Predigt zu verstehen. Im Augenblick starrte sie den Prediger pflichtbewusst an, wobei Mercy den Verdacht hatte, dass Abby ebenso wenig zuhörte wie sie. Schon mehrmals hatte sie gesehen, wie ihre Tochter sich verstohlen umschaute.

Sie hatte das Kind angelogen und erzählt, ihr Vater könne nicht mitkommen, und die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie vermutete, dass Abby ihr Streit nicht entgangen war. Was mochte dem Kind jetzt durch den Kopf gehen? Mercy wünschte sich fast, sie wäre nicht hergekommen. Aber es war zu spät. Zwar standen sie am Rande der Menschenmenge, konnten jedoch trotzdem die Predigt unmöglich vor dem Ende verlassen. Wie hätte das ausgesehen? Abgesehen davon verbot das sie ihr Stolz.

Minuten verstrichen. Dann zog Abby sie plötzlich am Arm.

»Schau! Papa kommt.«

Er kam mit langen Schritten auf sie zu. Lieber Gott, hatte er jemals herrlicher und schöner ausgesehen? Und er lächelte. Sie konnte es kaum glauben. Dann stand er bei ihr und nahm ihre Hand.

»Wir sind schon einmal zusammen zu einer Predigt gegangen«, sagte er leise. »Also dachte ich, sollten wir das wieder tun.«

Sie erwiderte nichts, drückte bloß seine Hand. Sie wusste, welch eine Überwindung ihn das gekostet hatte. Aber nach ein, zwei Minuten flüsterte sie: »Gehen wir heim, John.«

Während sie Arm in Arm zurückgingen, hüpfte die kleine Abby, glücklich, ihre Eltern wieder vereint zu sehen, vorneweg.

»Ich habe dir etwas zu beichten, John«, sagte Mercy nach einer Weile.

»Was denn?«, fragte er liebevoll.

»Ich glaube, ich bin nur deswegen zur Predigt gegangen, weil ich böse auf dich war, seit Jahren schon.«

»Warum?«

»Weil ich dir übel nahm, dass du James erlaubt hast, in London zu bleiben. Es ist fünf Jahre her, dass ich meinen einzigen Sohn zuletzt gesehen habe. Ich wünschte, er wäre hier.«

John nickte. Dann küsste er ihre Hand.

»Ich werde ihm noch heute schreiben, dass er umgehend zurückkommen soll.«

*

James’ Brief erreichte ihn, zusammen mit einem von Albions Berichten, am selben Abend. Hudson brachte Master die Schriftstücke in die Bibliothek. Mercy und Abigail saßen derweil über Bücher gebeugt im Salon. Er las beide Briefe allein.

 

Wenn es schon in den Kolonien unruhig zugegangen ist, würdet ihr es nicht für möglich halten, was wir hier in London erlebt haben. Ihr erinnert euch vielleicht an diesen John Wilkes, dessen ehrverletzenden Äußerungen über die Regierung und darauf folgender Prozess durchaus unserer berühmten Johann-Zenger-Affäre in New York ähnelte. Nun ließ sich Wilkes, übrigens von hässlichem Ansehen und dennoch ein Frauenheld, noch während er im Gefängnis saß, ins Par lament wählen. Als dies für rechtswidrig erklärt wurde, stachelten die Londoner Radikalen den Pöbel auf, und mittlerweile sind die Straßen der Stadt fast völlig in ihrer Gewalt. Sie schreien »Wilkes und Freiheit«, genauso wie es eure Liberty Boys in New York tun. Wo auch immer Recht und Unrecht liegen mögen – es ist doch beschämend, den Pöbel so leidenschaftlich und enthemmt zu sehen, und die Regierung zeigt sich nicht geneigt, diesen Unruhen nachzugeben, weder hier noch in den Kolonien – und selbst, wenn sie es täte, würden die Gentlemen im Parlament dies nicht akzeptieren. Vernunft und Ordnung müssen obsiegen.

Was die amerikanische Kolonie anbelangt, so ist die Weigerung der dortigen Kaufleute, mit England Handel zu treiben, nicht nur illoyal, sondern sie schadet dem Mutterland weniger, als die Kaufleute annehmen. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens mögen sich die Bostoner und New Yorker an dieses Embargo halten, aber die südlichen Kolonien unterlaufen es. Selbst Philadelphia treibt mit London Geschäfte. Zweitens machen Kaufleute wie Albion ihre Einnahmeverluste durch ihren Handel mit Indien und den europäischen Ländern mehr als wett. Doch wie dem auch sei – ich glaube, dass die Streitigkeiten mit den Kolonien binnen Kurzem ein Ende finden werden. Der neue Premierminister, Lord North, ist der amerikanischen Kolonie wohlgesonnen, und es wird allgemein vermutet, dass er sein Bestes tun wird, um dem Gezänk ein Ende zu machen. Mehr als ein wenig Geduld und etwas Menschenverstand – woran es, wie ich fest überzeugt bin, der besseren Gattung von New Yorkern nicht mangelt – wird es nicht bedürfen.

Und nun, meine lieben Eltern, habe ich eine frohe Botschaft …

 

Als Master den Rest des Briefes las, entrang sich ihm ein Stöhnen. Mehrere Minuten lang starrte er vor sich hin. Dann begann er den Brief noch einmal zu lesen. Endlich legte er ihn beiseite und nahm sich Albions Schreiben vor. Es berührte mehrere geschäftliche Angelegenheiten, be vor es sich dem Thema James zuwandte.

Sie werden von James erfahren haben, dass er bald heiratet. Normalerweise hätte ich ihm niemals erlaubt, solange er unter meinem Dache wohnt, eine solche Verbindung einzugehen, ohne zuerst Ihren Segen einzuholen. Doch ich muss Ihnen offen sagen, dass die Situation der jungen Dame keine solche Verzögerung gestattet. In diesem Sommer wird ein Kind geboren werden. Nun werde ich Ihnen etwas über seine Gemahlin berichten – denn wenn Sie diesen Brief erhalten, wird sie es bereits sein.

Miss Vanessa Wardour – denn so will ich sie nennen, obgleich sie kurzzeitig, bis zu seinem tödlichen Jagdunfall, mit Lord Rockbourne verheiratet war – ist eine sehr vermögende junge Dame. Sie ist außerdem, was Sie interessieren wird, mütterlicherseits eine Cousine von Captain Rivers. Sie besitzt ein schönes Haus in der Mount Street, Mayfair, wo sie und James wohnen werden. Wie Sie wohl schon vermuten, ist sie ein paar Jahre älter als James, aber zusätzlich zu ihrem Reichtum und ihren vielen guten Beziehungen gilt sie allgemein als eine Schönheit.

Ich will nicht behaupten, dass ich keine Vorbehalte in dieser Angelegenheit hätte, und ich habe sie in keiner Weise befördert – soweit ich weiß, lernte James die Dame im Hause Lord Riverdales kennen –, aber die meisten Londoner würden mit Sicherheit sagen, dass Ihr Sohn eine glänzende Partie gemacht hat.

 

Master legte den Brief aus der Hand. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sich dazu durchringen konnte, ihn Mercy zu zeigen.

1773

Niemand konnte sich an einen schlimmeren Winter erinnern. Der East River war steinhart gefroren. Aber das Problem war nicht nur die entsetzliche Kälte, sondern auch das Elend, das mit ihr einherging. Und die Toten.

Es wurde schon dunkel, und Charlie White war fast zu Hause. Er hatte den Hut in die Stirn gezogen, den Schal um das Gesicht gewickelt. Er war mit seinem Wagen über den gefrorenen Fluss nach Brooklyn gefahren, um von einem befreundeten holländischen Farmer einen Zentner Mehl zu kaufen. Zumindest würde seine Familie jetzt für eine Zeit lang Brot haben.

Im Laufe der letzten paar Jahre war Charlie mitunter wütend gewesen, mitunter lediglich mutlos. Wenngleich die Gefühle, die er John Master persönlich entgegenbrachte, nichts von ihrer Intensität eingebüßt hatten, waren sie doch mit einer Empörung und einem Kummer durchsetzt, die allgemeinerer Natur waren.

Er kannte die Leiden der Armen, weil seine Familie sie oft selbst erduldete. Und er meinte, dass es eigentlich möglich sein müsste, die Welt besser einzurichten. Bei einem so riesigen, fruchtbaren Kontinent, der sich schier endlos nach Westen, Süden und Norden ausdehnte, konnte es doch wohl kaum recht sein, dass Arbeiter in New York verhungerten. Und es konnte ebenfalls nicht recht sein, dass reiche Männer wie Master, von der britischen Kirche und der britischen Armee unterstützt, gewaltige Profite erwirtschafteten, während einfache Leute keine Arbeit fanden. Irgendetwas stimmte da nicht.

Wenn anstelle der Reichen freie Männer wie er die Stadt und ihre gewählten Vertreter das Land regierten und nicht die königlichen Gouverneure, die sich um die Wünsche der Kolonisten einen Dreck scherten, dann würde das Leben mit Sicherheit besser werden, glaubte Charlie.

Die Proteste gegen das Stempelgesetz hatten Wirkung gezeigt. Der neue Premierminister, Lord North, hatte Townshends Steuern aufgehoben – außer der Teesteuer, um das Gesicht zu wahren. Und das war nach Charlies Ansicht genau der Zeitpunkt, an dem die Söhne der Freiheit den Kampf hätten fortsetzen sollen. Aber von der alten Garde um John Master beeinflusst, hatte sich die Stadtverwaltung gegen sie gewandt. Auf dem Bowling Green war das Standbild König Georgs errichtet worden. Alle sagten: »Gott schütze den König.« Jetzt gab es einen knallharten neuen englischen Gouverneur namens Tryon und noch mehr englische Soldaten unter dem Kommando General Gages. Man war wieder zur Tagesordnung übergegangen. Ja, Montayne hatte den Liberty Boys sogar untersagt, sich weiterhin in seiner Schenke zu treffen.

Na, zum Teufel mit Montayne. Die Jungs hatten jetzt ihren eigenen Versammlungsraum. Hampden Hall nannten sie ihn, nach dem Helden, der im englischen Parlament gegen den Tyrannen Karl I. aufgestanden war. Und was John Master und seine Bande anbelangte und Tryon und General Gage – die sollten sich besser daran erinnern, wie es König Karl ergangen war. Auf den Straßen mochte es ruhig sein, doch Sears und die Sons of Liberty hatten jetzt in der Versammlung eine große Fraktion, die ihnen zuhörte. »Es wird sich etwas ändern«, sagte Charlie oft grimmig, wenn er mit seinen Freunden in einer Schenke saß. »Und wenn es so weit ist …«

Aber nicht diesen Winter. Letztes Jahr waren die Kredite in London eingebrochen. Schon bald litten alle Kolonien darunter – und da hatte dieser schlimme Winter noch gar nicht richtig angefangen. Die Ärmsten hungerten. Die Stadtverwaltung tat ihr Bestes, um sie mit Lebensmitteln zu versorgen, konnte jedoch mit dem Elend kaum Schritt halten.

Charlie hatte gerade das südliche Ende des Commons erreicht, wo der Broadway anfing, als er die Frau und ihre Tochter aus dem schäbigen alten Armenhaus herauskommen sah.

Die Frau hielt einen Moment inne und warf einen besorgten Blick empor zum finster werdenden Himmel. Wie es aussah, war sie länger im Armenhaus geblieben, als sie eigentlich wollte, und jetzt überraschte sie die Dunkelheit. Dann nahm sie ihr Schultertuch ab und wickelte es um ihre Tochter, denn der Wind fegte schneidend kalt.

Die Straße war fast völlig menschenleer. Er brachte den Wagen neben ihr zum Stehen. Sie schaute auf.

»Fahren Sie den Broadway hinunter?« Sie hatte keine Ahnung, wer er war. Er gab keine Antwort. »Würden Sie uns den Broadway hinunterfahren? Ich zahle gern.«

Sie hatte natürlich recht. Bei den harten Zeiten, die jetzt herrschten, war es auf den Straßen seit ein paar Monaten nicht mehr sicher. Frauen, die er kannte, hatten angefangen, ihren Körper zu verkaufen, um ein bisschen dazuzuverdienen. Er wusste von Männern, die ausgeraubt worden waren. Die Frau und ihre Tochter sollten jetzt, wo es dunkel wurde, nicht allein auf der Straße sein.

»Woher wissen Sie, dass ich Sie nicht ausrauben werde?«, murmelte er durch seinen Schal.

Sie schaute zu ihm auf, konnte nur seine Augen sehen. Sie hatte ein gütiges Gesicht.

»Sie würden uns nichts zuleide tun, Sir, da bin ich mir sicher.«

»Dann steigen Sie mal auf«, knurrte Charlie. Er zeigte auf den Platz neben sich auf dem Bock, dann deutete er mit dem Kopf nach hinten auf die Ladefläche. »Die junge Dame kann sich auf den Sack setzen.«

Er lenkte das Pferd auf den Broadway.

Das also war John Masters Frau. Er hatte sie natürlich sofort erkannt. Ihr sagte sein Gesicht dagegen nichts. Und deswegen glaubte sie, er würde ihr nichts zuleide tun. Na ja, dachte er, wenn ich dir erst mal das Haus über dem Kopf angesteckt habe, brauchst du weiter nichts zu befürchten.

Wahrend sie den Broadway hinunterzuckelten, warf er ihr einen scharfen Blick zu.

»Sie sehen nicht so aus, als würden Sie ins Armenhaus gehören«, bemerkte er in einem nicht sonderlich freundlichen Ton.

»Ich gehe da jeden Tag hin«, sagte sie schlicht.

»Was tun Sie dort?«

»Wir bringen alles, was wir an Lebensmitteln erübrigen können, dort mit unserem Wagen hin. Manchmal auch Decken und andere Dinge. Wir geben den Leuten Geld, damit sie sich Essen kaufen können.« Sie warf einen Blick zurück zum Mehlsack. »Wir tun, was wir können.«

»Sie nehmen immer Ihre Tochter mit?«

»Ja. Sie soll wissen, in was für einer Stadt wir leben. Hier gibt es viel, was ein guter Christ tun kann.«

Sie passierten gerade die Trinity Church. Er warf der Kirche einen feindseligen Blick zu.

»Sie meinen, ein Trinity-Christ?«

»Jeder Christ, möchte ich hoffen. Mein Vater war Quäker.«

Auch das wusste Charlie, aber er sagte nichts.

»Meine Tochter unterhält sich mit den Alten«, fuhr sie ruhig fort. »Es tut ihnen gut, mit Kindern zu reden. Es tröstet sie.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Sind Sie schon mal im Armenhaus gewesen?«

»Kann ich nicht behaupten.«

»Da sind viele Kinder und einige von ihnen sehr krank. Ich habe heute eines gepflegt. Das ist im Augenblick meine größte Angst. Mehr und mehr sterben infolge der Kälte, auch wenn die meisten zu essen bekommen. Sie sind trotzdem schwach. Die Alten und die Kinder fangen an, krank zu werden. Es sind die Krankheiten, die sie dahinraffen.«

»Sie könnten sich selbst was holen, wenn sie da reingehen«, murmelte er.

»Nur wenn Gott es so will. Außerdem bin ich nicht so geschwächt wie sie. Ich mache mir darum keine Gedanken.«

Sie waren gerade weitere hundert Yards den Broadway entlanggefahren, als sie einen Wagen mit einem Schwarzen auf dem Kutschbock sahen, der ihnen schnell entgegenfuhr.

»Ach, da ist ja Hudson«, sagte sie. »Hallo, Hudson!«, rief sie. Als die zwei Wagen auf gleicher Höhe standen, machte Hudson ein erleichtertes Gesicht.

»Der Boss hat mich geschickt, damit ich Sie sicher heimbringe«, sagte Hudson.

»Dieser freundliche Mann hat uns mitgenommen, wie du siehst. Aber jetzt steigen wir zu dir um.« Sie wandte sich zu Charlie. »Ich weiß nicht, wie Sie heißen«, sagte sie.

»Ist egal«, sagte Charlie.

»Nun, gestatten Sie, dass ich Ihnen etwas für Ihre Mühe gebe.«

»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich schätze, Sie haben das Werk des Herrn getan.«

»Nun, dann möge Gott Sie segnen, Sir«, sagte sie, und sie und Abigail stiegen aus.

»Und Gott segne auch Sie«, entgegnete er. Er war auf Höhe der Trinity Church, bevor er sich stumm verfluchte. Verdammt, dachte er, warum musste ich das sagen?

*

Dass John Master nicht selbst losgefahren war, um Mercy abzuholen, lag an einem unerwarteten Besuch. Captain Rivers war an demselben Morgen mit dem Schiff aus Carolina eingetroffen und hatte Master mitgeteilt, dass er sich bereits in der Stadt einquartiert habe. Er war sichtlich gealtert. Er hatte ein paar graue Haare. Doch John konnte die offene, mannhafte Weise, in der Rivers den Grund seines Besuchs erklärte, nur bewundern. Nämlich, dass er pleite war.

Na ja, nicht völlig. Nachdem sich während der letzten zehn Jahre viele Großgrundbesitzer aus dem Süden in England überschuldet hatten, verschlimmerte der jüngst erfolgte Zusammenbruch der Londoner Kreditmärkte die Sache noch erheblich. Captain Rivers hatte immer mit Albion Geschäfte gemacht, und sein Geld war bei ihm sicher angelegt. Anders sah es allerdings mit dem Vermögen seiner Frau aus.

»Sie steht schon seit der Zeit vor unserer Ehe mit anderen Londoner Kaufleuten in geschäftlichen Beziehungen. Ich habe erst vor Kurzem erfahren, wie weit diese Beziehungen gingen. Offenbar sind unsere Schulden weit höher, als ich dachte.«

»Können Sie Einsparungen vornehmen?«, fragte Master.

»Das haben wir bereits getan. Und die Plantagen werfen nach wie vor gute Gewinne ab. Aber die Londoner Gläubiger drängen. Und sie sind weit weg. Sie können sich kein eigenes Bild davon machen, wie wir unser Geschäft führen. Für sie sind wir lediglich eine weitere verdammte Plantage in Übersee, die in Schwierigkeiten steckt. Mein Plan wäre, sie alle auszuzahlen und hier in den Kolonien ein neues Darlehen aufzunehmen. Die Plantagen stellen eine mehr als ausreichende Sicherheit dar. Wenn Sie nach Carolina kämen, könnten Sie mit eigenen Augen sehen, dass wir kreditwürdig sind, und auch einen Beamten bei uns lassen, wenn Sie möchten. Ich habe nichts zu verbergen.«

Alles in allem war John durchaus geneigt, den Vorschlag einer wohlwollenden Prüfung zu unterziehen. Sein Instinkt sagte ihm, dass Rivers vertrauenswürdig sei. Und er hatte gerade zu ihm gesagt: »Bevor ich eine Verpflichtung eingehe, würde ich gern Ihr Angebot annehmen und mir die Ländereien ansehen«, sagte er also zu seinem Besucher, als er seine Frau und seine Tochter ins Haus kommen hörte. Master lächelte. »Wir werden uns gleich zu Tisch setzen«, sagte er. »Ich hoffe, Sie schließen sich uns an.«

*

Das Abendessen verlief in einer gelösten, familiären Atmosphäre. Über Captain Rivers’ geschäftliche Anliegen fiel kein Wort. Mercy, der er schon bei ihrer ersten Begegnung gefallen hatte, war erfreut, ihn wiederzusehen. Dem erfahrenen Causeur gelang es außerdem, Abigail aus der Reserve zu locken. Mit ihren dreizehn Jahren begann sie gerade, zu einer jungen Frau zu erblühen; und während er sie bei ihrer angeregten Konversation mit dem Engländer betrachtete, sagte sich Master mit nicht geringer Befriedigung, dass sie wirklich sehr hübsch war.

John Master nutzte die Gelegenheit, Rivers zu einem anderen Thema zu befragen.

James hatte seit seiner Heirat regelmäßig geschrieben. Er war von Albion als Partner in dessen Firma aufgenommen worden und hatte einen inzwischen zweijährigen Sohn namens Weston. Aus seinem letzten Brief wussten die Masters, dass auch ein kleines Mädchen geboren worden, aber sofort gestorben war. In den Briefen war stets von seiner Frau Vanessa die Rede, und von Zeit zu Zeit ließ sie ihnen pflichtschuldigst etwas ausrichten. »Aber wir wissen sehr wenig über Ihre Cousine«, sagte John zu Captain Rivers. »Was können Sie uns von ihr erzählen?«

Rivers’ Zögern war kaum wahrnehmbar.

»Vanessa? Ich kenne sie natürlich seit ihrer Kindheit, und sie war schon damals eine Schönheit. Nach dem Tod ihrer Eltern wurde sie gewissermaßen von einem Onkel aufgezogen. Sie hat keine Geschwister, und deshalb ein beträchtliches Vermögen allein geerbt.« Er schwieg kurz. »Sie würde sich zwar keine einzige Saison in London entgehen lassen, aber sie liebt auch das Landleben.« Er lachte. »Ich möchte wetten, dass sie James im Handumdrehen zu einem echten Landedelmann erzieht. Er wird noch jagen lernen müssen.«

»Ist sie eine gottesfürchtige Frau?«, fragte Mercy.

»Gottesfürchtig?« Um ein Haar hätte Captain Rivers sein Erstaunen verraten, doch er fing sich rechtzeitig. »Absolut. Eine treue Anhängerin der Kirche, ohne Frage.«

»Nun«, sagte Mercy leise, »ich hoffe, James wird nicht zu lange damit warten, sie heimzubringen.«

»In der Tat«, sagte Rivers unverbindlich.

*

Erst nachdem die Damen sich zurückgezogen hatten und er allein mit dem Captain zusammensaß, kehrte Master zum Thema Vanessa und James zurück.

»Ich muss an das denken, was Sie über Ihre Cousine sagten, und gleichzeitig an meinen Aufenthalt in London«, fing John ruhig an. »Ich könnte mir vorstellen, dass sie sich einen Mann wünscht, der ein Gentleman à la mode ist.«

»Wahrscheinlich«, entgegnete Rivers.

»Dann muss ihr die Tatsache missfallen, dass er Kaufmann ist.«

»Dazu wüsste ich nichts zu sagen.«

»Nach dem zu urteilen, was ich in London erlebt habe«, fuhr Master fort, »betrachten die Engländer einen Kaufmann nicht als Gentleman. Ein Mann kann dem Landadel entstammen und Handel treiben, weil er dazu gezwungen ist – wie unser Freund Albion. Aber sobald ein Engländer im Handel ein Vermögen verdient hat, verkauft er wahrscheinlich seine Firma, kauft sich ein Landgut und lässt sich dort als Gentleman nieder. Handel und Gentleman sein vertragen sich nicht. Aber woran liegt das, was würden Sie sagen?«

»Es stimmt«, sagte Rivers, »dass ein Gentleman in England ins Parlament oder zum Militär geht, aber wenn irgend möglich das Kontor meidet.« Er lachte. »Gentlemen sollen Vertreter des alten Kriegeradels sein. Ritter in strahlender Rüstung, Sie wissen schon. Zumindest theoretisch.«

»In Amerika ist es anders.«

»Ein Mann wie Washington in Virginia beispielsweise – ein Offizier mit einem Herrenhaus und riesigen Ländereien –, der würde in England mit Sicherheit als Gentleman gelten. Selbst Ben Franklin«, fügte Rivers mit einem Lächeln hinzu, »hat sich mittlerweile völlig aus dem Geschäftsleben zurückgezogen. Er ist jetzt ein Gentleman durch und durch.«

»Und was bin dann ich?«, fragte Master ironisch.

Einen flüchtigen Augenblick lang sah er einen Anflug von Besorgnis über das Gesicht des Aristokraten huschen. Mein Gott, erkannte Master, Rivers fragt sich, ob er mich beleidigt hat und ich ihm jetzt das Darlehen verweigern werde!

»In Carolina«, antwortete Rivers schlicht, »arbeite ich in meinem eigenen Lagerhaus und verkaufe in meiner Handelsstation Waren über den Ladentisch. Und wenn ich zu stolz dazu wäre, dürften Sie mir keinen einzigen Penny leihen. Hier in New York, Sir, leben Sie auf weit größerem Fuße als ich. Sie besitzen Schiffe und Unternehmen, die andere für Sie verwalten. Sie haben ausgedehnte Ländereien. Sollten Sie je in Betracht ziehen, nach England zurückzukehren, würden Sie das Leben eines sehr vermögenden Gentleman führen.« Er sah Master neugierig an. »Da Ihr Sohn dort ist, frage ich mich ohnehin, ob Sie nicht tatsächlich mit dem Gedanken daran spielen. Sie hätten dort viele Freunde – nicht zuletzt, wie ich Ihnen versichern kann, die Riverdales.«

Das war geschickt formuliert und freundlich gemeint. Aber es versetzte Master auch einen Schrecken. Eine Rückkehr nach England? Nachdem die Masters über ein Jahrhundert lang in New York reich gewesen waren? Der Gedanke war ihm noch nie in den Sinn gekommen.

Doch als er sich in dieser Nacht die Sache gründlich durch den Kopf gehen ließ, musste er zugeben, dass Rivers eine ganz natürliche Frage gestellt hatte. Sein Sohn lebte dort. Er hatte eine englische Frau und war Engländer. John wäre blind gewesen, das nicht zu sehen. Zumal die englische Ehefrau vermutlich nur darauf wartete, dass James ein Vermögen erbte und sich aus dem Geschäftsleben zurückzog.

Und dann wurde John Master noch etwas anderes klar. Er war fest entschlossen, ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen – er wollte James zurückhaben, hier, in Amerika. Nur wie zum Teufel sollte er das anstellen?

*

Als der Frühling des Jahres 1773 anbrach, beschäftigten Hudson verschiedene Fragen. Er konnte sich glücklich schätzen, dass er und seine Familie in einem der freundlichsten Haushalte von New York lebten, warm untergebracht waren und gut zu essen hatten. Wahrlich ein Segen des Himmels. Dennoch blieb genug, worüber man sich Sorgen machen konnte. An erster Stelle stand Mercy Master.

Anfang März war John Master auf dem Seeweg nach Carolina aufgebrochen mit der Absicht, sich ein eigenes Bild von der Rivers-Plantage zu verschaffen. Er war noch keine drei Tage fort gewesen, als Mercy krank wurde. Hudson nahm an, es müsse etwas sein, was sie sich im Armenhaus geholt hatte. Ein Arzt wurde gerufen, aber sie lag tagelang nur fiebernd im Bett, und auch wenn seine Frau und Hannah sie unermüdlich pflegten, war Ruth, wie sie ihrem Mann anvertraute, nicht sicher, dass ihre Herrin überleben würde. Man schickte John Master einen Brief hinterher, aber wer wusste schon, wann er ihn einholen würde?

In der Zwischenzeit wurde Solomon nach Dutchess County geschickt, um Susan von ihrer Farm in die Stadt zu rufen.

Am bewegendsten jedoch fand Hudson Abigails Verhalten. Obwohl erst dreizehn, war sie so besonnen wie eine Erwachsene. Vielleicht hatten sie die Krankenbesuche, bei denen sie ihre Mutter zu begleiten pflegte, auf derlei vorbereitet. Sie wechselte sich mit Hannah am Krankenlager ab. Als ihre ältere Schwester aus Dutchess County eintraf, hatte Mercys Fieber etwas nachgelassen, und Abigail saß stundenlang bei ihr am Bett, wischte ihr die Stirn ab und redete sanft auf sie ein.

Susan war eine energische, praktische Frau mit zwei Kindern und einem dritten in Aussicht. Sie blieb eine Woche und war eine angenehme Gesellschafterin, aber sobald sie sicher sein konnte, dass ihre Mutter außer Gefahr war, sagte sie, sie müsse zu ihrer Familie zurück. Und wie sie richtig bemerkte, konnte niemand ihrer Mutter besser helfen, als Abigail es bereits tat.

Es verging fast ein Monat, ehe John Master, zutiefst beunruhigt, zurückkehrte – und, als er das Schlafzimmer betrat, eine blasse, indes nicht mehr in unmittelbarer Gefahr schwebende Mercy vorfand, die schon wieder aufrecht im Bett saß und sich lächelnd anhörte, was Abigail ihr vorlas. Trotzdem war Mercy danach noch wochenlang blass und matt, und zusätzlichen Kummer bereitete es Hudson, den angespannten und besorgten Ausdruck in John Masters Gesicht zu sehen.

Doch nicht nur um die Masters grämte sich Hudson: Ihn plagten auch eigene Sorgen. Er wusste nicht genau, wann es angefangen hatte, aber in diesem Frühjahr begann er eine Veränderung bei Solomon zu bemerken. Warum war sein Sohn plötzlich so trotzig ihm gegenüber? Er fragte seine Frau. »Mir macht Solomon keinen Ärger«, erwiderte Ruth. »Doch ich würde mal sagen, bei einem jungen Mann seines Alters ist es wohl normal, dass er seinem Vater gegenüber aufsässig wird.« Das mochte alles stimmen. Nur fing der Junge auch an, einfach zu verschwinden. Anfangs nahm Hudson an, er sei einfach hinter Mädchen her, aber eines Abends hörte er, wie Solomon seiner Schwester Hannah gegenüber mit irgendeinem Streich angab, den er sich zusammen mit Sam White und einer Reihe weiterer junger Liberty Boys in der Stadt geleistet hatte.

Hudson konnte sich schon denken, wo er sie kennengelernt hatte. Master schickte Solomon manchmal ins Lagerhaus am Kai, und im Hafen arbeiteten nun mal alle möglichen Sorten von Leuten.

»Du hältst dich gefälligst fern von diesen Liberty Boys!«, befahl er seinem Sohn. »Was wird Mr Master sagen, wenn er davon erfährt?«

»Vielleicht wird Mr Master eines Tages aus der Stadt gejagt«, antwortete Solomon frech. »Dann ist es ganz egal, was er zu sagen hat.«

»Sag nie wieder so was!«, schärfte ihm sein Vater ein. »Und untersteh dich auch, über Mr Masters Angelegenheiten zu schwatzen!«

Er hatte Master von diesem Zwischenfall nichts erzählen wollen, überlegte sich allerdings, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, Solomon von so gefährlichen Freunden fernzuhalten. Anfang April schlug er Master vor, er könnte Solomon vielleicht nach Dutchess County schicken, damit er eine Zeitlang für seine Tochter Susan arbeitete. Master sagte, er würde sich das durch den Kopf gehen lassen, aber im Augenblick könne er Solomon nicht entbehren.

*

Sehr früh nach seiner Rückkehr hatte John Master einen Brief an seinen Sohn geschrieben. Er informierte James darin über die Krankheit seiner Mutter. Fast täglich fragte sich die noch immer bettlägerige Mercy mit klagender Stimme, wann sie ihren Sohn wohl wiedersehen würde. John schrieb James klipp und klar, dass es nun höchste Zeit sei, zumindest auf einen Besuch heimzukommen. Mehr konnte er nicht tun. Es würden viele Wochen vergehen, ehe eine Antwort aus London eintraf.

Inzwischen ging es in der Kolonie drunter und drüber. Paradoxerweise war es ausgerechnet Ben Franklin, der die nächste Krise auslöste. Obwohl er eigentlich genau das Gegenteil erreichen und die Wogen glätten wollte.

Ein paar Jahre zuvor hatte ein in Massachusetts stationierter königlicher Beamter namens Thomas Hutchinson einem Freund geschrieben. Erzürnt über die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, vertrat er in diesem Schreiben die Ansicht, es wäre besser, in den Kolonien die englischen Grundrechte einzuschränken, um zu gewährleisten, dass Amerika fest in britischer Hand blieb. Durch Zufall bekam Franklin die Briefe 1772 in London zu sehen. Und da er nach wie vor an Großbritanniens imperiale Bestimmung glaubte, schickte er sie vertraulich an Freunde in Amerika – nicht um Unruhe zu stiften, sondern um sie im Gegenteil vor der Reaktion zu warnen, die ihre Halsstarrigkeit auslösen könnte. Es war ein verhängnisvoller Fehler. Noch im selben Sommer veröffentlichten seine Freunde in Massachusetts Hutchinsons Briefe.

In den Kolonien brach ein Sturm der Empörung aus. Hier war der eindeutige Beweis, dass England beabsichtigte, die Grundrechte der Amerikaner aufzuheben. Und fast wie aufs Stichwort lieferte die britische Regierung Munition, um den Volkszorn weiter anzuheizen.

Es betraf einen anderen Teil des Empire. Die mächtige Ostindische Gesellschaft hatte sich in Schwierigkeiten gewirtschaftet.

»Sie haben sich maßlos mit Teevorräten eingedeckt«, schrieb Albion an Master, »und sie werden den jetzt nicht wieder los.« Wie immer, wenn sich riesige Handelsunternehmen verspekulieren, wandte sich die Firma an die Regierung um Hilfe. Die vorgeschlagene Lösung bestand darin, den Tee zu Schleuderpreisen auf den großen amerikanischen Markt zu werfen. »Bis die Speicher wieder leer sind, wird dies für Kaufleute wie Sie, die bei dem Handel unterboten werden, eine Einbuße bedeuten«, schrieb Albion. »Aber es besteht kein Zweifel daran, dass der amerikanische Markt hinreichend aufnahmefähig ist.«

Das Problem war der verhasste Zoll, mit dem der Tee in den Kolonien nach wie vor belegt sein würde.

»Das kann nur wie eine Verschwörung der Regierung aussehen«, seufzte Master seiner Frau gegenüber.

Es gäbe durchaus eine kluge Lösung, erklärte Albion, und die hatte Ben Franklin vorgeschlagen. Verschleudert den Tee ruhig, erklärte er seinen Freunden in London, jedoch unverzollt. Die Lager werden geleert, die Kolonisten bekommen billigen Tee. Kaufleute wie Master würden leiden, aber nur vorübergehend, und alle anderen würden sich freuen.

»Werden sie darauf eingehen, John?«, fragte Mercy ihren Mann.

»Das bezweifle ich. Sie würden es als ein Nachgeben empfinden.« Master hatte den Kopf geschüttelt.

»Ich fürchte, es bleibt uns nichts anderes übrig, als den Tee zu nehmen und für die Zukunft auf klügere Staatsmänner zu hoffen.«

»Glaubst du, es wird Ärger geben?«

»Wahrscheinlich.«

*

Kaum war das neue Teegesetz im Sommer in Kraft getreten, gingen Sears und die Liberty Boys schon auf die Straße. Jeder, der den Tee annehme, erklärten sie, sei ein Verräter, und zu Masters Enttäuschung schlossen sich viele Kaufleute ihrer Ansicht an.

»Das wird zu einer Neuauflage des Stempelgesetzes«, sagte er traurig. Er konnte nur hoffen, dass sich die Teelieferungen möglichst lange verzögern würden.

Ende des Sommers traf ein Brief von James ein. Er ließ seiner Mutter zärtliche Worte ausrichten. Er und Vanessa, schrieb er seinem Vater, überlegten gerade, wann sie eine Reise nach New York einrichten könnten, und er würde damit keinen Augenblick länger als notwendig warten. Der Brief klang insgesamt liebevoll, aber Master fand ihn unbefriedigend. Er hoffte, dass James’ nächstes Schreiben konkretere Pläne enthalten würde.

Im Laufe des Herbstes wurde die Stimmung in der Stadt zunehmend gereizt. Im November drohten die Liberty Boys, wenn die Teeschiffe einträfen, würden sie die Fracht vernichten und dazu noch den Gouverneur töten. Die in der Stadt ansässigen Agenten der Ostindischen Gesellschaft waren so verängstigt, dass sie einer nach dem anderen ihren Dienst quittierten. New York glich einem Pulverfass.

Die entscheidende Nachricht kam schließlich aus Massachusetts. Im Dezember preschte ein Mann die alte Bostoner Straße entlang. Er war ein Silberschmied, der seinen Auftritt als Kurier sichtlich genoss. Sein Name war Paul Revere, und er überbrachte eine aufsehenerregende Nachricht. Die ersten Teeschiffe hatten Boston im November 1773 erreicht, woraufhin eine Gruppe von Männern, darunter einige höchst ehrenwerte Bürger, die Schiffe, als Indianer verkleidet, enterten und den Tee ins Hafenbecken von Boston kippten. Die Sons of Liberty waren entzückt.

»Wir werden das Gleiche tun, wenn die Teeschiffe nach New York kommen«, erklärten sie.

Aber vorerst ließen sich keine Teeschiffe blicken. Das neue Jahr begann. Mercy holte sich einen Schnupfen und musste ein paar Tage das Bett hüten. John Master ärgerte sich, weil James nichts von sich hören ließ, und schrieb ihm einen weiteren Brief. Dann kam aus Philadelphia die Nachricht, Teeschiffe seien eingetroffen, jedoch ohne Anwendung von Gewalt abgewiesen worden. Im März sagte John zu Mercy: »Ich glaube nicht, dass Teeschiffe hier einlaufen werden, Gott sei’s gedankt.«

*

Im April wurde Hudson nach Dutchess County geschickt. Sein Wagen war mit Waren vollbeladen, die John Master seiner älteren Tochter zukommen lassen wollte, sowie einigen schönen alten Stühlen aus Familienbesitz und einer großen Menge Porzellan, über die, wie Mercy meinte, Susan sich vielleicht freuen würde.

Das Wetter war schön, und die Reise verlief angenehm. Die zerfurchten Straßen gestatteten zwar nur ein langsames Vorankommen, aber es war ein Erlebnis, die weite Bucht von New York und die lang gezogenen Hügelketten von Westchester hinter sich zu lassen und nordwärts in die intimere hügelige Landschaft zu gelangen, in der sich die Farm von Susan und ihrem Mann befand.

Die Mauern des Wohnhauses bestanden aus ungeglättetem Kalkstein; es hatte ein Mansardendach, und die Kamine waren mit blauweißen Fliesen umrandet. Kontrakariert wurden diese anheimelnden niederländischen Stilmerkmale durch eine repräsentative Fassade mit einer Doppelreihe von je fünf georgianischen Fenstern, durch eine Eingangshalle sowie hohe Decken und holzverkleidete Wände, die ein Flair von englischer Noblesse ausstrahlten. Hudson verbrachte zwei Nächte bei Susan und ihren Angehörigen, die ihn aufs Freundlichste behandelten, und er sah sich in seiner Annahme bestätigt, dass dies ein hervorragender Ort wäre, um Solomon von schädlichen Einflüssen fernzuhalten.

Kaum dass er nach Manhattan übergesetzt hatte, erfuhr er von den Schiffen.

»Es waren zwei. Das erste hat direkt kehrtgemacht. Aber der Kapitän des zweiten sagte, er werde seinen Tee abladen und zum Teufel mit den Liberty Boys. Die hätten ihn fast aufgehängt.«

»Und dann?«

»Dann haben sie eine Tea Party wie in Boston veranstaltet. War einiges los an dem Tag.«

Es war schon dunkel, als er das Haus der Masters erreichte. Hudson ging in die Küche, wo er Ruth allein vorfand. Sie umarmte ihn herzlich und flüsterte: »Gott sei Dank, dass du wieder da bist!« Als er nach Solomon fragte, legte sie einen Finger an die Lippen.

»Der Boss hat auch schon nach ihm gefragt. Ich hab ihm gesagt, Solomon wäre krank und hätte sich schlafen gelegt. Aber die Wahrheit ist, er ist heut früh aus dem Haus, und ich hab ihn seitdem nicht mehr gesehen. Ach, Hudson, ich hab keine Ahnung, wo er hin ist!«

Fluchend stürmte Hudson aus dem Haus. Wo Solomon sich herumtrieb, konnte er sich denken, und so ging er zum Bowling Green und von dort den Broadway hinauf. Höchstwahrscheinlich saß Solomon in einer dieser Kneipen.

Er hatte in zwei Lokale hineingeschaut, als er eine als Indianer verkleidete Gestalt sah, die eine Querstraße entlanghuschte. Eine Gestalt, die er sofort erkannte. Nur wenige Augenblicke später stand der Indianer mit dem Rücken an der Wand, von einer eisernen Faust festgehalten.

»Wo warst du, Sohn? Was hast du den ganzen Tag getrieben? Vielleicht Tee ins Meer gekippt?«

»Vielleicht.«

Die nächsten paar Augenblicke verliefen für Solomon eher unerfreulich. Doch selbst als Hudson fertig war, zeigte sich sein Sohn keineswegs bußfertig. Was würde Master sagen, fragte Hudson, wenn er davon erführe?

»Was weißt du denn schon?«, schrie Solomon. »Jetzt sind alle auf der Seite der Liberty Boys! Sogar die Kaufleute. Ich hab Sam White gesagt, dass der Boss meint, wir sollten den Tee annehmen«, fuhr er fort. »Und Sam meint, der Boss ist ein Verräter. Die Liberty Boys werden die Rotröcke und die Verräter aus der Kolonie rausschmeißen.«

»Und was wird dann aus dir und mir?«, fragte sein Vater. »Glaubst du etwa, die Liberty Boys werden irgendwas für die Schwarzen tun?« Es stimmte zwar, dass neben kleinen Handwerkern, Seeleuten, Arbeitern und sonstigen ärmeren Leuten das Fußvolk der Sons of Liberty auch etliche Freigelassene umfasste. Aber was bedeutete das schon? »Eines darfst du nie vergessen«, sagte er zu seinem Sohn. »Du bist ein Sklave, Solomon. Wenn der Boss auf die Idee kommen sollte, dich zu verkaufen, kann ihn keiner daran hindern. Also nimm dich in Acht!«

*

Während des Sommers 1774 schien sich der Konflikt zu verselbstständigen. Als die Nachricht von der Boston Tea Party London erreichte, fiel die Reaktion wie erwartet aus. »Eine solche Frechheit und ein solcher Ungehorsam müssen im Keim erstickt werden«, erklärte das britische Parlament. General Thomas Gage wurde von New York nach Boston abkommandiert, damit er das Regiment in der Stadt übernahm. Bereits im Mai war der Hafen von Boston praktisch geschlossen worden. »Zwangsgesetze«, nannte das Parlament diese strengen Verordnungen. Die Kolonien nannten sie die »unerträglichen Gesetze«.

Wieder ritt Paul Revere nach New York, diesmal mit einem Hilfeersuchen. Natürlich waren Sears und die Sons of Liberty ganz auf der Seite der Bostoner. Zudem waren inzwischen auch viele bis dahin zurückhaltende Kaufleute über die harten Maßnahmen Londons empört. Von allen Seiten erhielten die Söhne der Freiheit deshalb Unterstützung. Eines Tages sah Master auf dem Broadway einen großen Demonstrationszug von Frauen, die ein Handelsembargo verlangten. Die Stimmung wurde immer angespannter. Ein britischer Offizier griff Sears auf der Straße auf und traktierte ihn mit der flachen Klinge seines Säbels.

Dennoch stellte Master zu seiner Genugtuung fest, dass es in den Kolonien nach wie vor einflussreiche Stimmen gab, die für Mäßigung eintraten. Gegen Ende des Sommers riefen die anderen Kolonien zu einem Kontinentalkongress in Philadelphia auf, und die New Yorker Provinzialversammlung willigte ein, Delegierte dorthin zu entsenden. Die dazu ausgewählten Männer waren zuverlässige, gebildete Gentlemen: Livingston, der Presbyterianer, John Jay, der Anwalt, ein reicher irischer Kaufmann namens Duane und andere. Der Kongress sollte im September tagen.

In der Zwischenzeit tat John Master sein Bestes, um eine Rückkehr zur Vernunft zu befördern. Sein Haus wurde zu einer Begegnungsstätte für Männer mit gemäßigten Ansichten. Manchmal waren seine Gäste Angehörige der alten, einflussreichen Tory-Familien wie Watts, Bayard, De Lancey Philipse. Oft aber waren es Kaufleute, deren Sympathien unentschieden sein mochten, die er jedoch auf dem rechten Weg zu halten hoffte – Männer wie Beekman oder Roosevelt, der Schnapsbrenner. Trotz bescheidener Erfolge wusste er, dass es ganz andere Männer waren, die den Ausschlag geben würden: scharfsinnige und elegante Redner. Besondere Hoffnung setzte er auf den Anwalt John Jay – groß, gut aussehend, überzeugend und mit vielen bedeutenden alten Familien der Provinz verwandt oder verschwägert.

»Es sind Jay und Männer wie er«, sagte er zu Mercy, »die sie zur Vernunft bringen werden.«

*

Ende August zog eine Gruppe von Reitern in die Stadt ein. Es waren die Abgeordneten von Massachusetts samt ihren Begleitern, die unterwegs, auf der Poststraße, noch die Delegierten von Connecticut aufgelesen hatten. An ihrem zweiten Tag in der Stadt war Master auf der Wall Street unterwegs und unterhielt sich gerade mit einem Provinzialabgeordneten, der am Vorabend mit ihnen gespeist hatte, als eine kleine Gruppe von Männern die Straße entlangkam.

»Sehen Sie den Burschen mit dem großen Kopf und dem leuchtend roten Rock?«, murmelte der Abgeordnete. »Das ist Sam Adams. Und der Bursche mit dem rosigen Gesicht und dem schütteren Haar direkt hinter ihm ist sein Cousin John Adams. Anwalt. Intelligent, heißt es, und gesprächig – obwohl er bei Tisch nicht viel gesagt hat. New York scheint ihm nicht zu gefallen. Ist es wahrscheinlich nicht gewöhnt, unterbrochen zu werden!«

Etwas später, als er schon auf dem Heimweg war, bemerkte Master einen alten Mann. Er bewegte sich mit steifen, aber sehr entschlossenen und zielstrebigen Schritten vorwärts. Sein brauner Rock war fest zugeknöpft. Von ferne kam er John bekannt vor. Er versuchte sich zu erinnern, wo er ihn gesehen haben konnte.

Und dann wusste er es. Es handelte sich um seinen Cousin Eliot. Er wirkte etwas eingefallen, und sein Gesicht war magerer geworden. Aber schließlich, sagte sich John, musste er inzwischen über achtzig Jahre alt sein. Er schritt ihm entgegen.

»Mr Eliot Master? Möglicherweise erkennen Sie mich nicht, aber ich bin Ihr Cousin John.«

»Ich weiß, wer Sie sind.« Er sagte es ohne jegliche Wärme.

»Sind Sie zusammen mit den Bostoner Delegierten gekommen?«

»Ich beabsichtige, die Ereignisse in Philadelphia zu beobachten.«

»Ich erinnere mich an Ihre Tochter Kate.«

»Das kann ich mir vorstellen. Sie ist inzwischen Großmutter.«

John beschloss, das Thema zu wechseln.

»Dieser Kongress ist eine wichtige Sache, Sir. Wollen wir hoffen, dass die Gemäßigten sich durchsetzen werden.«

»Ach?« Der alte Eliot sah ihn scharf an. »Warum?«

Selbst jetzt noch, nach vierzig Jahren, geriet John Master unter dem gestrengen Blick des Anwalts ins Stottern.

»Ich meine … Wir brauchen kühle Köpfe … Kompromissbereitschaft.«

Der Bostoner schnaubte verächtlich. »New York«, sagte er trocken. »Typisch.«

»Einen Moment«, rief John. Gottverdammt, dachte er, ich bin kein betrunkener Junge mehr, und mein Bostoner Cousin kann mir nichts anhaben. »Der Streit geht doch um Besteuerung ohne Vertretung, richtig?«

»Richtig.«

»Nun, wir sind nicht gänzlich ohne Vertretung.«

»Ach ja? Unsere Provinzialversammlung ist sämtlicher Kompetenzen entkleidet worden.« Der alte Eliot schwieg kurz. »Oder spielen Sie auf die Doktrin der virtuellen Vertretung an?« Er sprach die letzten Worte mit vollendeter Verachtung aus.

John Master war durchaus bekannt, dass in London einige argumentiert hatten, da dem britischen Parlament die Interessen der Kolonisten am Herzen lägen, seien diese, wenngleich ohne eigentliche Vertretung in der britischen Legislative, doch virtuell vertreten. Er konnte sich bestens vorstellen, wie leicht der Bostoner Anwalt diese These in der Luft zerreißen würde.

»Ich spiele nicht auf diese alberne Doktrin an«, erklärte er. »Aber zumindest wird unsere Stimme in London gehört. Wäre es nicht klüger, nach einem besseren Einvernehmen mit den Ministern des Königs zu streben, als sie lediglich weiter zu provozieren?«

Ein, zwei Augenblicke lang blieb der Bostoner stumm, und John glaubte beinahe schon, er habe einen Punkt erzielt.

»Als wir uns das letzte Mal sahen«, sagte der Anwalt und ließ keinen Zweifel daran, dass er sich nur ungern daran erinnerte, »war es die Zeit des Johann-Zenger-Prozesses.«

»Ich erinnere mich an den Fall.«

»Das war damals eine Frage des Prinzips.«

»In der Tat.«

»Nun, das ist es diesmal auch.« Eliot Master wandte sich schon ab.

»Werden Sie uns besuchen, bevor Sie die Stadt verlassen?«, versuchte John sein Glück. »Meine Frau würde sich …«

»Ich glaube nicht«, sagte er.

*

Der Kongress von Philadelphia machte sich zügig an die Arbeit. Aber Johns Hoffnungen auf einen besonnenen Kompromiss wurden schmählich enttäuscht.

»Die sind verrückt geworden!«, rief er, als er erfuhr, was die Delegierten beschlossen hatten. »Boston soll die Waffen gegen das Mutterland erheben? Was ist aus Mäßigung und gesundem Menschenverstand geworden?« Und als die Männer, die den Kongress unterstützten, sich als Patrioten bezeichneten, sagte er: »Wie kann man ein Patriot sein, wenn man seinem König und Vaterland die Loyalität aufkündigt?«

Und da begann er, einen anderen Begriff, den er gehört hatte, bewusst auf sich zu beziehen.

»Wenn die Patrioten sind«, erklärte er, »dann bin ich Loyalist!«

Mit dieser Haltung schwamm er gegen den Strom. Anständige Männer wie Beekman und Roosevelt schlugen sich auf die Seite der Patrioten. Selbst John Jay, ein durch und durch verständiger Mann, der immer erklärt hatte, wer das Land besitze, solle es auch regieren, hatte sich umstimmen lassen. »Das passt mir ebenso wenig wie Ihnen«, sagte er zu Master nach seiner Rückkehr, »aber ich glaube nicht, dass uns etwas anderes übrig bleibt.«

In der Stadt verlor die Provinzialversammlung immer mehr an Macht. Die Sons of Liberty triumphierten. Die kleinen Handwerker hatten ein eigenes Komitee gegründet, und Master erfuhr, dass Charlie White zu ihnen gehörte. Und jetzt erklärten sie und die Liberty Boys der Versammlung: »Wir werden dafür sorgen, dass man in New York dem Kongress gehorcht und nicht euch!«

»Wollen Sie wirklich ein – zugegebenermaßen unfähiges – Parlament gegen einen illegalen Kongress und die Tyrannei des Pöbels eintauschen?«, fragte Master entsetzt John Jay. »Sie können doch nicht zulassen, dass die Stadt von Leuten wie Charlie White regiert wird!«

Abgesehen davon galt es eine ganz offensichtliche Gefahr zu bedenken: Wenn die Kolonien sich in Richtung Rebellion bewegten, würde London reagieren müssen. Mit Gewalt.

*

Eines Tages ging John Master den Broadway entlang, als er einen Kleriker sah, den er kannte. Der Geistliche war ein gelehrter Gentleman, der am King’s College unterrichtete. Erst vergangene Woche hatte dieser Theologe eine entschiedene, aber besonnene Darstellung des loyalistischen Standpunkts veröffentlicht, die John bewundernswert fand, und so schritt er auf ihn zu, um ihm zu danken. Der Geistliche, sichtlich erfreut, nahm John beim Arm und sagte zu ihm: »Sie sollten aber auch Ihr Teil tun.«

»Und wie?«

»Sie müssen die Führung übernehmen, Master. Sie genießen in der Stadt hohes Ansehen. Jay und seinesgleichen kommen allmählich unter die Räder. Wenn nicht vernünftige Männer wie Sie die Führung übernehmen, wer soll es dann tun?«

»Außer als Kirchenvorstand von Trinity habe ich bisher keinerlei öffentliches Amt bekleidet.«

»Umso besser. So können Sie als aufrechter Privatmann auftreten, der ausschließlich von seinem Pflichtgefühl geleitet wird. Sagen Sie mir eines: Wie viele von den größeren Kaufleuten der Stadt würden Sie gegenwärtig als loyal einstufen?«

»Vielleicht die Hälfte.«

»Und von den kleineren Händlern und besseren Handwerkern?«

»Das ist schwerer zu sagen. Weniger als die Hälfte – aber von den anderen ließen sich vielleicht einige überzeugen.«

»Ganz genau. Jemand muss ihnen den Rücken stärken. Sie könnten das tun – wenn Sie den Mut dazu haben.« Und als er Masters unentschlossene Miene sah, fuhr er mit größerem Eifer fort: »Es gibt Farmer weiter oben am Fluss und drüben auf Long Island, die sich der Sache anschließen würden. Die meisten Männer von Queens County sind meines Wissens Loyalisten. Selbst der ärmere Anteil der Stadtbevölkerung könnte wieder zur Vernunft gebracht werden. Es ist noch nicht alles verloren. Ich beschwöre Sie, Master, erforschen Sie Ihr Gewissen und tun Sie Ihre Pflicht!«

John kehrte ziemlich geschmeichelt, wenngleich unentschlossen heim. Er besprach die Sache mit Mercy.

»Du musst tun, was dich dein Gewissen heißt«, sagte sie. »Und ich werde an deiner Seite stehen.«

Er dachte eine Woche lang darüber nach. Dann machte er sich ans Werk. Er lud nicht mehr nur Kaufleute zu sich ein, sondern warf das Netz weiter aus nach jedem anständigen Händler und Handwerker, der seiner Einschätzung nach eine Rückkehr zur Ordnung für wünschenswert halten könnte. Er fuhr mit der Fähre nach Brooklyn und suchte ehrbare holländische Farmer auf, die nichts für die Radikalen übrighatten. Er wagte sich sogar in die Schenken der Stadt und diskutierte mit Arbeitern und Seeleuten. Bei einer dieser Gelegenheiten sah er Charlie White in der Nähe stehen, der ihn angewidert musterte, sich aber nicht einmischte.

*

Und vielleicht weil er mit all diesen Dingen so sehr beschäftigt war, übersah er anfangs, dass seine Frau anfing, müde auszusehen.

Er dachte zunächst, es sei ein unbedeutendes Unwohlsein. Auch Abigail nahm das an. Mercy hatte ja kein Fieber. Sie führte weiter ihr gewohntes Leben. Vor einigen Jahren hatte sie bereits begonnen, nachmittags ein bisschen zu ruhen, jetzt aber sagte sie zu Abigail häufiger: »Ich glaube, ich werde heute Nachmittag ein wenig länger ruhen.« Als im November die Tage immer kürzer wurden, schien mit dem schwindenden Licht auch ihre Kraft mehr und mehr zu versiegen. Doch sobald ihr Mann heimkam, raffte sie sich aus ihrer Lethargie auf und ließ sich von ihm erzählen, was er alles unternommen hatte. Wenn er sie liebevoll fragte, ob ihr unwohl sei, antwortete sie stets: »Aber nein, John. Ich glaube, es liegt am Wetter, dass ich heute ein bisschen gedrückt bin.« Und wenn er, was er häufig tat, am Morgen vorschlug, er könnte den Tag bei ihr zu Hause verbringen, wollte sie nichts davon hören.

Sie schrieben ihre Blässe dem Wetter zu. Immer wenn morgens die Sonne schien, überredete Abigail sie, mit ihr einen Spaziergang zum Bowling Green zu unternehmen oder sogar hinunter ans Meer, und ihre Mutter sagte, diese Spaziergänge würden ihr große Freude bereiten. Mittags servierten Ruth und Hannah ihr Brühe oder Koteletts in der Hoffnung, sie würde dadurch wieder etwas zu Kräften kommen – eine Diät, die der Arzt die paar Male, als er ins Haus gerufen worden war, als förderlich gepriesen hatte. »Mittags ein Glas Rotwein und am Abend Brandy«, lautete darüber hinaus seine Empfehlung.

Ende November schickte John, da trotz des Winterwetters ein Schiff nach London fuhr, seinem Sohn einen Brief, in dem er ihm mitteilte, es bestehe zwar kein Grund zur Besorgnis, aber seine Mutter sei seelisch ermattet, und im Übrigen sei es allerhöchste Zeit, dass er sich endlich einmal wieder blicken lasse.

Mitte Dezember, als er gerade dabei war, im Obergeschoss einer Schenke seine erste öffentliche Rede zu halten, erschien Solomon an der Tür und trat rasch zu ihm.

»Sie sollten besser schnell kommen, Boss«, flüsterte er. »Die Herrin ist krank. Es geht ihr wirklich schlecht.«

*

Sie hatte etwas Blut gespuckt, war dann ohnmächtig geworden. Jetzt lag sie im Bett und sah sehr erschöpft aus. Offenbar hatte sie schon früher Blut gespuckt, dies aber verschwiegen. Der Arzt wurde gerufen, legte sich in seiner Diagnose jedoch nicht fest.

Fast einen Monat lang hoffte John, Mercys Zustand würde sich bessern. Vielleicht weil sie das behauptete, vielleicht weil er sich wünschte, es sei so. Ja, sie würde wieder gesund werden. Doch als Ende Dezember ein weiteres Schiff Richtung London in See stach, schickte er James einen Brief. »Deine Mutter liegt im Sterben. Ich kann dir nicht sagen, wie lange sie noch durchhält, aber ich flehe dich an: Wenn es dir irgend möglich ist, dann komm!« Seine ältere Schwester Susan hatte Mercy schon besorgt besucht.

Er selbst schränkte seine politischen Aktivitäten drastisch ein. Abigail pflegte ihre Mutter, doch er konnte ihr nicht die ganze Arbeit aufbürden. Er bestand darauf, dass Abigail jeden Tag für ein, zwei Stunden ausging, und setzte sich dann selbst zu Mercy. Manchmal bat sie ihn, ihr etwas vorzulesen, hauptsächlich aus den Evangelien. Und der Klang dieser herrlichen Sprache, ihre Wucht und ihr Frieden spendeten auch ihm etwas Trost. Aber nicht genug. Manchmal, wenn Mercy Schmerzen hatte, litt er fast ebenso sehr wie sie.

Obwohl sie immer blasser und dünner wurde, verfolgte er natürlich noch die politischen Ereignisse. Im Februar errangen die Gemäßigten einen Sieg, und die New Yorker Versammlung weigerte sich, Delegierte für einen zweiten Kongress in Philadelphia zu bestimmen. Die Patrioten reagierten darauf mit Kundgebungen auf den Straßen und stellten ein eigenes, neues Komitee auf. Außerstande, die Ereignisse zu steuern, versank die Provinzialversammlung allmählich in Bedeutungslosigkeit.

Es wurde März, und John Master schien es, als ob es nicht mehr lange dauern könnte, bis Mercy ihn verlassen würde. Doch eine kleine Flamme der Entschlossenheit hielt sie am Leben.

»Glaubst du, James kommt noch?«, fragte sie manchmal.

»Ich habe im Dezember geschrieben«, sagte er ihr wahrheitsgemäß. »Aber die Überfahrt braucht ihre Zeit.«

»Ich werde auf ihn warten, so lange wie ich kann.«

Wenn Abigail bei ihrer Mutter saß, sang sie manchmal für sie. Ihre Stimme war eher dünn, indes melodisch und angenehm. Sie sang sehr leise, und das schien ihre Mutter zu beruhigen.

Die Abendmahlzeit nahm John Master immer zusammen mit Abigail ein. Hudson bediente sie. Master versuchte dann, mit ihr über andere Dinge als das Leiden ihrer Mutter zu reden. Er erzählte ihr vom großen Handelsnetz, das New York mit dem Süden, Westindien und Europa verband. Manchmal sprachen sie über die politische Lage. Sie ließ sich gern von England erzählen und allem, was er dort gesehen hatte, von den Albions und natürlich von James. Manchmal fragte sie ihn nach seiner Kindheit und Jugend. Aber wenngleich er auch sein Bestes tat, um sie zu zerstreuen, merkte er doch bald, dass auch sie ihm diese Fragen ganz bewusst stellte, um ihn von seinen Sorgen abzulenken, und er war ihr dafür dankbar.

Nicht nur Abigail war ihm eine große Stütze. Er musste zugeben, dass auch Hudsons Sohn Solomon mittlerweile zeigte, was wirklich in ihm steckte. Hudson fand ständig Wege, den Jungen im Haus auf Trab zu halten. Als sie nach einem Gewitter feststellten, dass das Dach undicht geworden war, kletterte der junge Bursche im Handumdrehen hinauf und reparierte es, und er machte seine Sache gut. Zweimal hatte Hudson während der ersten Monate des Jahres gefragt, ob Master Solomon nicht für eine Weile auf Susans Farm in Dutchess County schicken könnte. Aber der junge Mann machte sich hier in New York so nützlich, dass Master sich weigerte, darüber auch nur nachzudenken.

Als es auf Mitte März zuging, war Mercy stark abgemagert und ihr Gesicht eingefallen. Doch die gütige Natur schien sie in ein Reich zunehmender Schläfrigkeit zu entführen. Wenn John sich wegen Abigail sorgte, die müde und matt aussah, ahnte er nicht, wie abgekämpft er selbst aussah. Kurz vor Ende des Monats saß er eines Nachts an Mercys Bett, als sie die magere Hand in die seine legte und murmelte: »Länger halte ich nicht mehr aus, John.«

»Geh nicht«, sagte er.

»Es ist Zeit«, antwortete sie. »Du hast genug gelitten.«

Im Morgengrauen dämmerte sie hinüber.

*

Drei Wochen später kam einer der Lagerhausarbeiter mit Neuigkeiten aus Boston angerannt.

»Es hat einen Kampf gegeben. Die britischen Rotröcke haben von den Patrioten bei Lexington eine Abreibung gekriegt.«

John Master eilte sofort aus dem Haus. Eine Stunde lang sammelte er alle Neuigkeiten, die er bekommen konnte. Als er den Kai erreichte, sah er, dass gerade ein Schiff aus England anlegte. Doch was sofort seine Aufmerksamkeit erregte, war eine Gruppe von Männern, die sich an einem anderen Schiff zu schaffen machten, das zum Auslaufen bereit war. Die Männer schickten sich an, unter Gejohle und Geschrei die Fracht zu löschen.

»Was in aller Welt tun die da?«, fragte er einen Fährmann.

»Der Kahn ist mit Proviant für die englischen Truppen beladen. Die Liberty Boys sorgen dafür, dass die es nicht kriegen«, erklärte der Fährmann. »Ein anderer Trupp ist zum Zeughaus rauf, um sämtliche Waffen und Munition zu beschlagnahmen.« Er grinste. »Wenn die Soldaten von Boston anmarschiert kommen, werden die Jungs ihnen einen schönen Empfang bereiten.«

»Aber das ist ja Revolution!«, empörte sich Master.

»Ist wohl so.«

Master fragte sich gerade, was er tun sollte, als der junge Solomon angelaufen kam.

»Miss Abigail sagt, Sie sollen sofort nach Hause, Boss.«

»Ach? Was ist passiert?«

»Mister James ist grade aus London angekommen.«

»James?«

»Ja, Boss. Und er hat ’nen kleinen Jungen dabei.«

»Ich komm sofort«, rief Master. »Und seine Frau?«

»Nein, Boss. Keine Frau. Die sind allein gekommen.«