Achtundzwanzig
Es war kurz vor Sonnenaufgang. Keiner von uns beiden hatte ein Auge zugetan, wir hatten die ganze Nacht gequatscht. Irgendwann hatte ich gefragt: »Was hat Solís dazu bewogen, sich ausgerechnet Clive als Supergringo herauszupicken?«
»Clive war Leiter einer kleinen Bank in Oak Grove, einem Vorort von Portland«, sagte sie. »Wir haben Urlaub in Mexiko gemacht und sind irgendwie in Puerta Vallarta hängen geblieben. Eines Abends an der Hotelbar – Clive hatte einen sitzen – hat er sich lang und breit über die wunderbare Welt des Bankgewerbes ausgelassen. Er konnte sehr überzeugend sein. Solís war zufällig anwesend. Er hatte gerade das Cibola-Gebäude gekauft und wollte dort eine Bank eröffnen, um eine eigene Geldwaschanlage zu haben und ins Brokergeschäft einsteigen zu können. Clive war eben der perfekte Gringo, den Solís für sein Unternehmen brauchte. Er hat Clive ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte. Es war der sprichwörtliche Zufall: Wir waren zur rechten Zeit am rechten Ort. Jetzt klingt es merkwürdig, aber damals hatte es den Anschein. Natürlich hatten wir nicht den geringsten Schimmer, welche Funktion die Bank hatte. Clive hielt sich für weltgewandt und erfahren, aber er sah den Wald vor lauter Bäumen nicht.«
»Aber irgendwann seid ihr dahintergekommen.«
»Das war nicht so schwer. Die Eröffnung der Bank wurde von einer gewaltigen PR-Aktion begleitet. Es war überall in der Presse. Es gab Abendessen mit Prominenten und Nachmittagstees für die besseren Hälften der hohen Tiere. Man hatte Politiker gebeten, anlässlich der Einweihung Reden zu halten, im Gegenzug stellte man ihnen Wahlkampfspenden in Aussicht. Keine neue Bank macht auf diese Art und Weise von sich reden. Mit Hilfe von Clive, der das Händeschütteln und Schleimen hatte übernehmen müssen, kaufte sich Fernando in die Machtzentren der Stadt ein. Es dauerte ungefähr ein Jahr, dann war Clive über den wahren Zweck der Bank im Bilde. Der gigantische Bargeldüberschuss am Jahresende war der ausschlaggebende Hinweis. Andererseits konnte er bis zum letzten Jahr seine sexuellen Neigungen vor Solís geheim halten.«
»Und wer hat das Geheimnis gelüftet?«
»Ich hatte mich mit Lenny Trebeaux eingelassen, Clives Vize. Ich habe ihm von Clives sexuellen Problemen erzählt, um meine Affäre mit ihm zu rechtfertigen. Dabei gab es keinen Grund für eine Rechtfertigung, denn die Affäre hatte Clive überhaupt nicht belastet. Im Gegenteil, es turnte ihn eher an. Er liebte es, wenn ich mit Details von meinen Treffen mit Lenny aufwartete. Es war Teil des Bestrafungsszenarios, auf das er so abfuhr. Lenny ist sehr ehrgeizig. Er hat die aus seiner Sicht gute Neuigkeit sofort an Fernando weitergegeben.«
»Solís hatte sicher Bedenken, dass die Sache publik würde.«
»Das kannst du laut sagen. Er hat uns unmissverständlich klar gemacht, dass für uns hier kein Platz mehr sei, sollte etwas nach außen dringen. Und ich glaube kaum, dass er damit gemeint hatte, uns nach Portland zurückzuschicken.«
»Dein Verhältnis mit Trebeaux kann ihm doch auch nicht in den Kram gepasst haben, oder?«
»Davon wusste er nichts, genauso wenig wie von Clara und mir. Fernando tut mir fast ein wenig leid. Für einen Boss seines Kalibers ist er reichlich naiv, ein Spießer mit streng katholischen Ansichten. Mein Abenteuer mit Clara war mehr ein Experiment. Sie ist ja fast ’n halber Kerl, also hab ich für sie das Weibchen gespielt. Es hatte keine Bedeutung. Zumindest nicht für mich.«
Ich fragte mich, ob überhaupt etwas für Jillian Renseller von Bedeutung sei und wenn ja, was.
»Du lügst«, sagte ich.
Sie setzte sich im Bett auf. »Ich und lügen? Verdammt noch mal, nein! Es ist alles wahr, was ich erzählt habe.«
»Bis auf das, was du nicht erzählt hast.«
»Und was soll das sein, du Schlaumeier?«
»Der wahre Grund, weshalb du die Polaroids an Know It All! geschickt hast. Es ergibt keinen Sinn, dass du dein Leben riskierst, um meins zu retten. Du liebst mich nicht. Selbst wenn, du hängst zu sehr am Leben. Hast du selbst gesagt.«
Sie stieg aus dem Bett. »Ich wünschte, ich hätte was zu rauchen«, sagte sie und ging im Zimmer auf und ab. Das Licht der Morgendämmerung sickerte durch die geschlossenen Leinenvorhänge und gab dem gesamten Raum eine schmuddelige Note. In der Ferne erklang das melancholische Signal eines Güterzuges.
»Du weißt nichts über mich«, sagte sie. »Ich könnte dich lieben, nicht wahr?«
»Das glaube ich nicht, Jillian«, erwiderte ich sanft.
»Ich will eine Freundin in Kalifornien besuchen. Warum kommst du nicht mit? Wir könnten eine wunderbare Zeit miteinander verbringen.«
»Da gibt es ein Apartmenthaus, worum ich mich kümmern muss«, sagte ich.
Ich stieg aus dem Bett und zog mich an. Ich küsste sie. Ein Abschiedskuss ohne Leidenschaft. »Ich fahre mit dem Greyhound in die Stadt zurück.«
»Ich möchte, dass du mit mir nach Kalifornien kommst«, sagte sie. »Liebe ist doch keine überkommene Vorstellung, oder? Wenn zwei Menschen es wirklich wollen, dann kann es doch passieren, und du willst es doch auch, oder etwa nicht, Uri?«
Sie sah fast verzweifelt aus, aber sie war zu hart, zu stolz, um sich über den Moment hinaus das Gefühl von Einsamkeit und Angst einzugestehen.