Vier

Der große, nackte Mann hatte Haltung angenommen. June Cleaver – die dunkle Seite von June Cleaver – schlug ihm heftig ins Gesicht. Er hatte ein ausdrucksvolles, nahezu edles Gesicht, ein Gesicht, dem sogar Selbstherrlichkeit gut stünde, aber jetzt, nach der dritten Ohrfeige, fing er an zu schluchzen. June Cleaver griff sich unter den Rock, zog ihr Höschen herunter und stieg heraus. Ein delikater Akt, der mich ein wenig erregte. Ich atmete tief durch und zwang mich, an andere Dinge zu denken.

Mit der einen Hand hielt sie dem Mann die Nase zu, und während er nach Luft rang, stopfte sie ihm mit der anderen Hand das Höschen in den Mund. Dann legte sie ihm ein Hundehalsband um, befestigte eine Hundeleine daran und sagte: »Bei Fuß!« Der Mann hockte sich hin, hockte auf allen vieren, und fing an, wie ein Hund an ihren Füßen zu schnuppern. Sie versetzte ihm einen Tritt und er jaulte auf wie ein geschlagener Köter. Sie zog ihren Rock hoch, setzte sich rittlings auf ihn und zerrte dabei fest an der Leine. Dann langte sie nach hinten und versetzte ihm einen Schlag auf die blassen Arschbacken. »Auf geht’s!«, befahl sie, und der Mann kroch durch den Raum, das rosafarbene Höschen im Mund. Er war grauhaarig, um die fünfzig und fett, und offenkundig war er eingeschüchtert. Ich konnte mir die Aufregung vorstellen, die seinen Herzschlag beschleunigte bei dem Gefühl von einem nackten, feuchtwarmen Hinterteil geritten zu werden.

Irgendwo da draußen, in einem Park, unter einem unschuldigen blauen Himmel, spielten Kinder, warfen munteren kleinen Hunden Frisbees zu, während ihre normalen Mütter und Väter sie beobachteten. Etwas in mir wollte das glauben; etwas in mir wusste es besser. Frei nach einem dieser abgedroschenen Witze: ›Normal‹ ist eine Einstellung an der Waschmaschine. Und ›unschuldig‹ ist ein Begriff, der vor Gericht gebräuchlich ist.

Die Ausstattung des Kellers sollte an einen Kerker erinnern. Rundum standen oder lagen Folterinstrumente – eiserne Jungfrauen, Stühle mit Daumenschrauben, Peitschen, Ketten, Käfige. Genau wie ich war alles nur Staffage, um eine Atmosphäre der Einschüchterung zu schaffen. An der Wand neben mir lehnte ein Henkersbeil.

Auf dem Weg hinunter zum Kerker hatte Mona mir erklärt, worum es bei ›Mind Me!‹, so der Name ihres Unternehmens, ging. Sie war eine Domina mit über hundert wohlhabenden Kunden, die bereit waren, bis zu tausend Dollar pro Sitzung zu zahlen, um von ihr erniedrigt zu werden. ›Mind me!‹ bewegte sich völlig im Rahmen der Legalität. Sie zahlte sogar Gewerbesteuer an die Stadt. Als ihr vor fünf Jahren die Idee zu ›Mind Me!‹ gekommen war, hatte sie sich vom City Attorney beraten lassen. Der habe gemeint, sie könne jegliche Art von Dienstleistung anbieten. Wenn es Männer gebe, die dafür bezahlen, erniedrigt zu werden, dann habe auch die Stadtverwaltung keine Einwände. Allerdings unter einer Bedingung: Keine Penetration. Penetration würde den Geschäftszweck neu definieren und ein Bordell könne die Stadt nicht billigen.

Sie betrieb eine Website, eine 0190-Nummer und schaltete Anzeigen im hiesigen Blätterwald. Die Anzeigen in den Tageszeitungen waren diskret und verschlüsselt, so dass nur Eingeweihte sie verstanden. In anderen Publikationen hingegen waren die Anzeigen eindeutig zweideutig:

Bad Boys! Was Ihr jetzt braucht, ist echte Disziplin! Ihr wisst doch, wer Ihr seid, oder? Ihr wisst, was Ihr getan habt! Ihr müsst bestraft werden, und zwar sofort. Ihr sehnt Euch danach! Ein Leben ohne Bestrafung ist nichts als Täuschung! Hört auf, die Unschuldigen zu spielen! Kommt zu mir, meine Lieben, Mama kennt Praktiken, die Euch zum Quieken bringen!

Mein Job, erklärte sie mir, bestehe darin, im Hintergrund zu stehen, das Henkersbeil locker in den Händen. Auf ein Zeichen ihrerseits sollte ich das Beil in die Höhe heben und einen Schritt auf den Kunden zugehen. »Versuche, angespannt zu bleiben«, sagte sie. »Ich will, dass diese Muskeln aussehen wie Folterinstrumente.« Ich machte fünfzig Liegestütze und ein paar isometrische Übungen, um den Effekt zu erzielen, den sie wollte. Ich denke, ich sah ziemlich gut aus. Zur Hölle, vielleicht könnte ich bei einem Bodybuildertreffen der Senioren noch was reißen. Vielleicht langt es sogar zu einem Mister Irgendwer.

Nach zehn Minuten begann Monas Programm mich zu langweilen. Anfangs war es noch interessant, aber nach einer Weile lebte das Ganze nur noch von Wiederholungen. Ich träumte vor mich hin und verpasste prompt ihr Signal. Also musste sie auf sich aufmerksam machen. »Strobe!«, schrie sie, und ich war voll da. »Strobe, heb dein Beil! Zeig ihm, dass wir nicht spaßen!«

Ich hob das Beil in die Höhe und ging auf den Kunden zu. Er fing an zu schreien: »Mein Gott, bitte nicht!« Ich schwang das Beil über meinem Kopf und er zuckte zusammen. Mona sah ihn drohend an. Ich knurrte, er wimmerte. Wir alle agierten in dieser perversen kleinen Farce. Es widerte mich an.

Dann aber ging es mit mir durch. Ich war niemals so reich gewesen wie dieser Idiot, der seinen Reichtum einsetzte, damit ihm in einem Pseudo-Folterkeller einer abging. »Du Fettarsch von einem Hurensohn«, stieß ich hervor und ging mit dem Beil auf ihn los. Ich holte aus, das Beil sauste an seinem Kopf vorbei und landete in der Wand dahinter, hatte seinen Schädel nur um wenige Zentimeter verfehlt. Putz bröckelte von der Wand. »Stirb, Motherfucker!«, schrie ich. Er krabbelte weg von mir und zitterte vor Angst. Mona sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, eine perfekte Imitation echter Furcht. »Strobe!«, sagte sie. »Um Gottes willen, beherrsche dich!«

Der Kunde begriff, dass das nicht Teil des Spiels war, und wollte aufstehen. Doch Mona ohrfeigte ihn und befahl ihn wieder hinunter auf den Boden, vielleicht zu seiner eigenen Sicherheit. »Und du reißt dich jetzt zusammen«, zischte sie mir zu. »Sonst war es das für dich, Mister!« Sie stopfte dem Kunden den Slip zurück in den Mund und ich verzog mich ans andere Ende des Kellers. Mir schlug das Herz bis zum Halse. Ich nutzte diesen Moment, um in mich zu gehen. Mein Gott, ich hätte diesem reichen Wichser tatsächlich am liebsten den Kopf abgeschlagen. Hatte Mona das gemeint, als sie gesagt hatte, ich könne vielleicht noch etwas lernen?

Das Schmierentheater ging weiter: Sie ritt ihn, schlug ihn, ließ ihn den Boden lecken. Während sie ihm Hintern und Beine mit seinem eigenen Gürtel versohlte, ließ sie ihn eine Jig tanzen und dabei Love is A Many Splendored Thing singen. Ab und an warf sie mir einen nervösen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass ich die Fassung behielt. Ich zuckte nicht einmal mit der Wimper, diese Genugtuung gab ich ihr nicht. So wie ich das Henkersbeil hielt, verkörperte ich mehr als nur Gleichgültigkeit.

Das arme Schwein war vor Anstrengung ganz rot im Gesicht. Er keuchte vor Erschöpfung und Erregung und sah überhaupt nicht gut aus. Unter der Haut seines geröteten Halses sah man das Pochen in der Halsschlagader. »Herrin, dürfte ich Euer göttliches Wasser anbeten?«, bettelte er. Eine Gefühlsaufwallung, die aus dem tiefsten Innern an die Oberfläche strebte. Sie verlieh seinem Mienenspiel zwei widerstreitende Züge: den des zu Unrecht bestraften Kindes und den des erwachsenen Mannes, der dem Paradies entgegensieht. Er kniete vor Mona. Sie platzierte einen ihrer spitzen Absätze auf seiner Schulter und stieß ihn auf den Rücken. Anschließend zog sie den Rock hoch und hockte sich dicht über sein Gesicht. »Sag bitte, du unwürdiges Schwein.« Er tat es. Sie bedachte ihn mit einem Golden Shower. Er kam.

Das Spiel war zu Ende. Erschöpft wankte der Kunde in das angrenzende Badezimmer, um sich zu säubern und anzuziehen. Mona und ich gingen nach oben. Irgendwie stand ich ein wenig neben mir. Ich zog mir die Henkersmaske vom Kopf. Das Material war nicht unbedingt atmungsaktiv und mein Haar somit schweißnass. Es sah aus, als hätte ich meinen Kopf unter einen Wasserhahn gehalten. Mona schob mich in das Badezimmer, das neben der Garderobe lag. Meine Sachen hingen bereits an der Tür. Ich duschte, zog mich an und fand mich anschließend in der Küche ein, wo die gesamte Familie Farnsworth saß und Jerry – noch immer in seinem Fummel – einen Imbiss für Harry und Babs zubereitete. In Speck gerollte Hot Dogs und Pommes frites. Mona nippte an einem Eistee.

»Was ist da unten eigentlich in dich gefahren?«, fragte sie.

Ich zuckte die Achseln. »Ich hab nur meine Rolle gespielt.«

»Das kannst du wohl laut sagen. Du hast den Kunden richtig in Panik versetzt. Ich habe mich schon gefragt, ob ich mit dir den größten Fehler meiner Karriere begangen habe. Für mich hat es so ausgesehen, als wolltest du ihn wirklich umbringen.«

Ich lachte. »Offenbar bin ich ein ganz guter Schauspieler, wenn selbst ein Profi mir auf den Leim geht.«

»Das war kein Schauspielern.«

»Wir schauspielern alle. Vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, meinst du nicht?«

Sie sah mich lange an, dann wechselte sie das Thema. »Willst du was essen, Killer?«

»Nicht diesen Junk.« Ich setzte mich zu ihnen.

Jerry brachte mir ein großes Glas Eistee. »Zucker?«, fragte er.

»Süßstoff, wenn ihr habt.«

»Haben wir.«

Ich konnte nicht anders, ich musste ihn fragen. »Warum trägst du diesen Fummel, Jerry? Gehört das zum Geschäft?«

»Er wechselt gern mal die Seiten«, sagte Mona. »Das ist sein Hobby. Jeder sollte ein Hobby haben.«

»Hat nichts mit dem Geschäft zu tun«, erklärte Jerry. »Es ist einfach mein Ding, verstehst du.« Mein Blick blieb kurz an Harry hängen. Jerry bemerkte es. »Die Kinder kommen damit klar, Uri. Hey, du bist doch nicht etwa einer von diesen bescheuerten Moralaposteln?«

»Kann ich noch einen Hot Dog haben?«, fragte Harry. Er war ganz der Vater, ein pummeliger Optimist ohne jegliches Schuldgefühl. Babs hingegen ähnelte Mona. Sie hatte die Hab-ich-alles-schon-gesehen-Augen ihrer Mutter. War sie erst einmal erwachsen, würde sie begehrenswert und furchteinflößend zugleich sein.

Jerry versorgte Harry mit einem weiteren in Speck eingewickelten und unter einer Velveeta-Käsetunke begrabenen Hot Dog. Offensichtlich hatten diese Leute noch nie etwas von Nitraten und gesättigten Fettsäuren gehört oder es war ihnen total egal. Hatten sie wirklich keine Ahnung, was sie ihren Kindern antaten, indem sie ihnen so einen Mist vorsetzten? Ich wollte sie gerade daran erinnern, dass Hot Dogs aus Abfällen hergestellt werden, die man in Schlachthäusern vom Boden fegt, und dass Velveeta alles andere ist, nur kein richtiger Käse, doch ich besann mich eines Besseren. Wie miserabel die Ernährung ihrer Kinder auch war, es blieb ihre Sache.

Mona – noch immer in June-Cleaver-Kostümierung – sah auf ihre Uhr. »Mr. Renseller lässt sich heute aber Zeit«, sagte sie. »Vielleicht sollten wir mal nach ihm sehen.«

Laut Mona war Clive Renseller ein stadtbekannter Banker. Seinerzeit war er einer ihrer ersten zahlungskräftigen Kunden gewesen und inzwischen Stammkunde. Für die wöchentliche Sitzung berappte er tausend Dollar. Renseller war ein hochangesehener Bürger, ein führendes Mitglied der Gemeinde. Er war mit dem Gouverneur befreundet und hatte mit dem Präsidenten Golf gespielt. In diversen Zeitschriften waren Features über ihn erschienen. »Clive Renseller und die Zukunft im Zeichen des Optimismus« lautete der Titel eines Interviews, das im Money Magazine veröffentlicht worden war.

Renseller bevorzugte die Sitzungen um sechs Uhr abends, am Ende von Monas Arbeitstag. Sollte er nämlich mal den Wunsch verspüren, eingefahrene Gleise zu verlassen, konnte die Sitzung ruhig eine halbe Stunde länger dauern, ohne dass spätere Termine dadurch verzögert wurden. Mona war es egal, zumal die Überzeit – ob nun zehn Minuten oder eine volle Stunde – weitere tausend Dollar einbrachte. Sie arbeitete grob geschätzt acht Stunden am Tag. Ich überschlug das kurz: Mal angenommen, sie arbeitete fünf Tage die Woche und es handelte sich ausschließlich um 1000-Dollar-Kunden, dann kam sie auf mindestens hundertsechzigtausend im Monat. Selbst wenn ein paar Sitzungen à fünfhundert Dollar darunter waren, würde sich ihr monatliches Einkommen immer noch im sechsstelligen Bereich bewegen. Und die 0190-Nummer und Dienstleistungen, die sie über ihre Website anbot, waren in dieser Rechnung nicht mal enthalten.

Mona ging hinunter in den Keller. Kurz darauf kam sie zurück und sagte: »Wir haben ein Problem.«