12. KAPITEL

„Danke für die Blumen.“ David richtete sich in seinem Krankenbett auf und lächelte Zoe erschöpft an.

„Nichts zu danken.“ Sie stellte die Margeriten, die sie im Blumengeschäft im Krankenhaus gekauft hatte, in eine Vase auf seinen Nachttisch. „Ich bin froh, dass du noch da bist.“

„Ich auch. Ohne dich wüsste ich jetzt, ob es den Himmel oder die Hölle gibt.“

„In deinem Fall die Hölle“, meinte Zoe und lächelte ihn an. Nachdem sie den bewusstlosen Tom mühsam in Megans Ford getragen hatte und mit Vollgas Richtung Barstow gefahren war, hatte sie bei Davids Chevrolet gehalten – weil sie David auf der Straße hatte liegen sehen. Jason hatte sich geirrt, David hatte sich zum Chevrolet geschleppt. Als Zoe ihn in den Ford gehievt hatte, war sein Blackberry aus der Hosentasche gefallen. Endlich hatte Zoe einen Krankenwagen rufen können.

Im Krankenhaus waren David und Tom sofort operiert worden. David hatte Glück im Unglück gehabt, weil bei dem Schuss in die Brust keine lebenswichtigen Organe verletzt worden waren. Toms Arm war mehrfach gebrochen, und seine Beine hatten Quetschungen erlitten. Zimmer an Zimmer lagen sie beide auf der Intensivstation.

Zoe hatte die ganze Nacht lang Toms Hand gehalten. Nachdem Zoe sie angerufen hatte, war ihre Mom sofort zu ihr gekommen und hatte sie getröstet. Sie war überglücklich, weil Zoe überlebt hatte und mit ein paar Prellungen und Blutergüssen davongekommen war. Im Morgengrauen hatte Zoe sie jedoch nach Hause geschickt. Kurz darauf hatte der behandelnde Arzt sie aus Toms Zimmer gebeten.

Zoe hatte sich einen Kaffee geholt und sich auf dem Weg bei einer Krankenschwester nach Davids Zustand erkundigt. Zoe durfte ihn kurz besuchen.

Und nun saß sie, nachdem sie den Kaffeebecher und die Vase auf den Tisch gestellt hatte, an Davids Bett und freute sich, dass er lebte.

„Ich bin ein schrecklicher Mensch“, sagte David. „Ich habe mich wie ein Tyrann aufgeführt. Es tut mir leid. Ich möchte mich bei dir entschuldigen.“

„So schlimm war es nun auch nicht. Du bist halt launisch und … Warte!“ Sie stand auf und tastete seinen Kopf ab. „Nein, ich finde keine Teufelshörner. Also bist du doch nur ein Hitzkopf.“

David lachte, hörte jedoch sofort wieder auf. Er legte sich die Hand auf die bandagierte Brust. „Lachen geht noch nicht“, murmelte er, und Tränen schimmerten in seinen Augen. „Dann vergibst du mir?“

„Sieht so aus.“

Eine Träne rann über seine Wange. Er wischte sie unwillig weg. „Wenn meine New Yorker Konkurrenten sehen, dass ich flenne, bekomme ich als Modelagent keinen Fuß mehr auf die Erde. Die würden mich fertigmachen.“ Er schniefte. „Aber das mit dem Fertigmachen habe ich selber übernommen. Ich habe mich mit ‚Model Inc.‘ total verschuldet.“

„Ich weiß von deinem misslungenen Börsengang und dass ‚Model Inc.‘ vor dem Aus steht. Tom hat es mir erzählt.“

„Oh Gott! Die ganze Welt weiß es schon.“ David seufzte resigniert. „Ich wollte die Agentur nicht verlieren und habe dich deshalb als mein bestes Model so unter Druck gesetzt. Als du meintest, du würdest vielleicht aufhören, bin ich durchgedreht. Mein Ausraster hat mir schon kurz danach leidgetan. Ich bin nach Kalifornien gereist, um dir das persönlich zu sagen. Eine Entschuldigung am Telefonat wäre wie eine Ohrfeige gewesen. Außerdem möchte ich dich um etwas bitten: Komm nach New York zurück! Brich deine Karriere nicht ab!“

Er lächelte. „Und das sage ich nicht, weil ich ohne dich Konkurs anmelden muss. Das Problem ist längst gelöst. Erinnerst du dich an Page Colby?“

Zoe nickte. „Sicher. Sie ist die Prada-Repräsentantin. Das Shooting war mein Durchbruch.“

„Nun, Page und ich … na ja, wir sind ein Paar.“

„Echt?“ Zoe freute sich aufrichtig für ihn. Sie hatte gedacht, David lebte nur für seine Arbeit. „Herzlichen Glückwunsch.“

„Vielen Dank.“ Er sah verlegen zur Seite. „Als Page von meiner finanziellen Katastrophe gehört hat, hat sie sofort angeboten, mir aus der Patsche zu helfen. Sie ist – und das wusste ich nicht – eine Millionenerbin. Sie arbeitet aus reiner Freude an der Arbeit und weil Mode ihre Leidenschaft ist. Jedenfalls gibt sie mir die nötige Finanzspritze, um ‚Model Inc.‘ zu retten, und wird dafür meine Teilhaberin.“

„Das ist großartig!“ Zoe drückte Davids Hände.

„Ich weiß. Page kommt heute nach Barstow. So viel Aufwand, um ein Wrack wie mich zu sehen.“ Er deutete auf seine Brust. „Mein gutes Aussehen ist ruiniert. Ich werde eine Narbe zurückbehalten.“

Zoe lächelte. „Ich habe gehört, Narben sind in der nächsten Modesaison groß im Kommen.“

David schmunzelte. „Wenn du das sagst, wird es wohl stimmen. Apropos nächste Saison. Um noch mal auf meine Bitte zurückzukommen: Mach weiter! Du bist das beste Model, das ich je auf dem Laufsteg gesehen habe.“

„Danke, David. Das ist ein schönes Kompliment. Aber ich kann noch nicht zusagen. Ich werde es mir überlegen.“

„Ich werde mich auch ändern. Ich schwöre es! Du bleibst doch bei ‚Model Inc.‘, oder?“

Zoe schüttelte lachend den Kopf, stand auf und küsste ihn auf die Stirn. „Übers Geschäft reden wir ein anderes Mal. Ich muss zu Tom zurück.“

Sie nahm den Becher, verließ das Zimmer und ging langsam wieder zum Kaffeeautomaten im Wartebereich. Während das dampfende braune Getränk in den Plastikbecher lief, fiel Zoes Blick auf die aktuelle Ausgabe eines Boulevardblatts, die auf einem Stuhl lag.

Auf dem Cover prangten Jackie und Rip. Sie waren in eindeutiger Pose auf der Toilette des Broadway-Kinos abgelichtet worden. Die körnige Aufnahme verriet, dass ein Paparazzo das Foto aus großer Entfernung, vermutlich durch ein offenes WC-Fenster, geschossen hatte. „Karriere-Aus für Topmodel Jackie und Rocker Rip Rocket?“, lautete die Überschrift. In dem anschließenden Text zitierte der Klatschreporter Rips Management und einige Topdesigner, die sich sehr negativ über die Fotos äußerten. Zoe war klar, dass sie das damit verbundene Schmuddelimage fürchteten. Die Modemacher wollten Jackie nicht mehr buchen. Und Rips Agent ließ ihn fallen.

Zoe lächelte und überlegte, ob sie die Zeitschrift Tom zeigen sollte. Schließlich entschied Zoe sich dagegen. Rip und Jackie gehörten ihrer Vergangenheit an … und die zählte nicht mehr.

Sie nahm ihren Kaffee, stellte sich ans offene Fenster im Wartebereich und hob das Gesicht der Morgensonne entgegen. Gedankenverloren spielte Zoe mit dem Sternenkettchen ihres Dads, das sie wieder trug, und dankte ihrem, Toms und Davids Schutzengeln. Sie hatten alle drei Glück gehabt.

Wie die Nacht wohl verlaufen wäre, wenn Detective Abraham sie früher angerufen hätte?

Inzwischen hatte Zoe mit ihm gesprochen. Die Barstower Polizei hatte Abraham über die Vorfälle und Jasons Tod informiert. Er hatte aber bereits gewusst, dass Jason der Mörder war. Das Säureattentat und Phoebes Tod hatten Abraham keine Ruhe gelassen. Er hatte noch mal alle Personen aus Zoes Umkreis und deren Verwandte überprüfen lassen. Dabei war herausgekommen, dass Jasons Großvater Chemiker und seine Großmutter herzkrank gewesen waren … Zudem hatte Abraham Jasons Konto überprüfen lassen und die Abbuchungen für die New-York-Flüge entdeckt.

Zoe seufzte. Jason … Sie hatte so gut wie nichts über ihn gewusst. Zumindest nichts, was ihn tatsächlich ausgemacht hatte. Er tat ihr leid, trotz allem, was er getan hatte. Denn trotz allem hatte er sich nur nach Anerkennung und Liebe gesehnt.

Sie trank den Kaffee aus und machte sich auf den Weg zu Toms Krankenzimmer.

Als sie den Gang betrat, standen Megan und Cassidy vor seiner Tür.

Zoe war wie erstarrt. Sie dachte daran, dass Jason behauptet hatte, die beiden würden sie hassen.

Cassidy kratzte sich verlegen am Kopf, als er sie sah.

Megan machte einen Schritt auf sie zu und brach das unangenehme Schweigen. „Wir waren gemein zu dir.“ Sie senkte den Blick. „Wir haben uns total danebenbenommen, dich beleidigt und schlecht über dich geredet. Und wir haben dich allein gelassen, als du in Gefahr geschwebt hast. Das ist unverzeihlich!“

„Aber du musst uns glauben, es tut uns furchtbar leid“, fügte Cassidy hinzu.

„Weißt du, ich habe dir deinen Erfolg schon gegönnt“, fuhr Megan fort. „Aber ich war auch neidisch. Ich wollte es mir nicht eingestehen, allerdings habe ich mir gewünscht, auch ein bisschen Ruhm zu bekommen. Ich war keine gute Freundin.“

„Das Gleiche gilt für mich“, gab Cassidy verzagt zu. „Ich hatte Rockstar-Allüren, ohne echtes Talent zu besitzen. Ich hab mir meine Aufnahmen noch mal angehört. Und ich bin wirklich schlecht. Es reicht mal gerade für unsere Dorfdisco.“

„Sind wir noch Freunde?“ Megan sah Zoe vorsichtig an.

„Wir werden immer Freunde sein.“ Zoe ging auf die beiden zu und nahm sie in die Arme. „Neidisch zu sein ist kein Verbrechen. Nur wenn der Neid bleibt und alle anderen Gefühle verdrängt, hat man ein Problem.“ Sie küsste erst Megan, die zu weinen begann, und dann Cassidy auf die Wange. „Ich werde zukünftig auch mehr für euch da sein. Großes Ehrenwort!“

„Ich bin so froh.“ Megan drückte Zoe fest an sich und schniefte.

„Ich auch“, sagte Cassidy. „Ich kann nicht fassen, was Jason dir angetan hat.“

„Ich auch nicht. Aber lasst uns später über ihn reden“, meinte Zoe. „Habt ihr Zeit, um zu meiner Mom zu fahren? Ich komme in ein, zwei Stunden nach. Aber jetzt möchte ich den Mann meines Lebens nicht länger warten lassen.“

„Das ist aber nicht Rip, oder?“, fragte Cassidy besorgt.

„Um Gottes willen!“ Zoe lachte. „Nein. Es ist jemand, der Musiker aus Dorfdiscos zu schätzen weiß.“

„Wir sehen uns bei dir zu Hause.“ Meg lächelte.

Zoe lächelte zurück und betrat Toms Zimmer. Er lag still in seinem Bett. Sein Kopf war bandagiert, der Arm eingegipst. Doch Tom lächelte, als er sie sah.

„Du warst die ganze Nacht bei mir“, meinte er. „Ich war zwar ausgeknockt, aber ich habe deine Anwesenheit gespürt.“

„Ich hatte solche Angst um dich“, flüsterte Zoe und spürte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. „Ohne dich hätte ich nicht weiterleben wollen.“

„Ich ohne dich auch nicht“, antwortete Tom und streckte den gesunden Arm nach ihr aus.

Zoe setzte sich zu ihm aufs Bett und schlang ihre Arme um ihn. Sie bedeckte sein Gesicht mit sanften Küssen. „Habe ich dir schon gesagt, dass ich dich liebe?“

„Letzte Nacht bestimmt sechshundert Mal.“

„Du hast doch tief geschlafen. Hast du etwa telepathische Fähigkeiten?“

„Nein. Aber so oft habe ich es in meinem Traum zu dir gesagt.“

– ENDE –