3. KAPITEL

Die Prada-Kampagne schlug ein wie eine Bombe. Zoes Bild zierte als gigantisches Werbeplakat den Time Square. Dadurch wurde sie innerhalb ihrer ersten zwei Wochen in New York City zum gefragtesten Model der Modewelt.

Davids Handy schien nicht mehr stillzustehen. Innerhalb von einem Monat lief Zoe auf zehn Modenschauen für Größen wie Marc Jacobs, Karl Lagerfeld, Calvin Klein … Sie hielt ihr hübsches Gesicht für Wimperntusche in die Kamera, machte Werbung für Lippenstift und ein neues Parfum. Nach zwei Monaten zierte sie als Shootingstar der Modelszene das Cover der Vogue und drehte einen TV-Spot.

Zoe wusste gar nicht, wie ihr geschah. Ihr Name wurde in einem Atemzug mit Supermodels wie Agyness Deyn, Kate Moss und Karlie Kloss genannt, und sie lernte die Mode-Ikonen bei Fashion Shows sogar persönlich kennen und zog mit ihnen durch New Yorks Clubs.

David trieb Zoe stetig an und hütete sie gleichzeitig wie seinen Augapfel. Jackie hatte dem gegenüber stark an Aufmerksamkeit verloren. Entsprechend angespannt war die Stimmung in der Model-WG. Jackie nutzte jede Gelegenheit, um Zoe zu kränken und zu beleidigen, und intrigierte gegen sie. Das wusste Zoe von Phoebe, die inzwischen eine echte Freundin geworden war und zu ihr hielt. Aber in der Model-Szene fand Jackie Gleichgesinnte. Denn viele Models, die seit Jahren an ihrem Durchbruch arbeiteten oder versuchten, den internationalen Markt zu erobern, neideten Zoe den plötzlichen Ruhm.

Doch Neid, Missgunst und üble Nachrede versuchte Zoe, an sich abprallen zu lassen. Denn auch wenn sie noch nicht lange dabei war, hatte sie in der kurzen Zeit in der Fashion-Industrie viel gelernt. Und Zoe fand, dass sie sich zu einer selbstsicheren und selbstbewussten jungen Frau entwickelt hatte. Das musste sie allerdings auch sein, wollte sie in dem harten Business bestehen. Denn nicht nur Menschen wie Jackie machten ihr das Leben schwer. Auch mit den Designern und deren Mitarbeitern zurechtzukommen, konnte sehr anstrengend sein. Und dann die Fans! Zoe hatte es nicht für möglich gehalten, aber sie bekam hunderte Briefe und E-Mails von wildfremden Menschen.

Die meisten Briefe waren nett. Die Absender drückten ihre Bewunderung für Zoes Schönheit aus und baten meistens um ein Autogramm. Einige Verehrer machten ihr sogar Heiratsanträge. Andere schickten ihr Geschenke, vom Kuscheltier bis zum Herzchenarmband. Aber es gab auch Menschen, die ihr anonym oder unter falschem Namen obszöne Fotos oder Drohungen schickten, in denen sie detailliert beschrieben, was sie mit ihr machen würden, wenn sie mit ihr allein wären.

Jedes Mal, wenn sie so einen Brief las, bekam Zoe Angst. Dann erinnerte sie sich immer an ihren ersten Tag in New York, an dem ihr der finstere Typ vor dem Apartmentgebäude aufgelauert hatte. Manchmal fragte sie sich, ob eine der E-Mails von ihm stammte. Dass er gefährlich war, bezweifelte Zoe nicht. Auch Phoebe, die ihn trotz seines aggressiven Auftretens als harmlosen Spinner bezeichnete, konnte sie nicht vom Gegenteil überzeugen.

Zoe war ihm zwar nie wieder begegnet. Aber jedes Mal, wenn sie ihr Wohnhaus verließ, hielt sie nach ihm Ausschau und atmete erleichtert auf, wenn sie keinen Mann mit Kapuze und Sonnenbrille sah.

In solchen Momenten sehnte sie sich nach ihrer Familie und ihren Freunden – und bekam ein schlechtes Gewissen. Denn sie hatte sich schon länger nicht bei ihrer Mom, Megan, Jason und Cassidy gemeldet. In den ersten Wochen hatte sie jeden Tag zu Hause in Barstow angerufen. Doch der Kontakt war mit der Zeit immer sporadischer geworden. Mit ihrer Mutter sprach Zoe noch am häufigsten. Nachdem Zoes erstes hohes Gehalt überwiesen worden war, hatte ihre Mutter ihr eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen und sich zweifellos sehr gefreut.

Aber auch wenn Zoe sich kaum bei ihnen meldete, bedeuteten sie ihr natürlich nach wie vor sehr viel. Nur dadurch, dass sie oft lange arbeitete und dann zu müde war, rief sie kaum noch bei ihnen an. Nach den Shootings oder Modenschauen ging sie meistens mit David oder den anderen Models aus. Das tat sie nicht nur, weil David sie drängte, sondern auch weil sie ihre Zeit in New York nutzen wollte. Schließlich wusste sie nicht, wie lange sie hier noch erfolgreich sein würde. Und wenn sie mal im Apartment in SoHo war, simste oder telefonierte sie meist mit Rip, der auf seiner letzten Tourneestation Asien war und es kaum noch erwarten konnte, sie wiederzusehen.

Eine Weile hatten ihre Freunde ihr hinterhertelefoniert und ihr E-Mails gesendet. Die letzte hatte Zoe vor wenigen Wochen bekommen. Damit sie ihre Freunde nicht ganz verlor, hatte sie sich eine Überraschung für sie ausgedacht. Im nächsten Monat sollte sie bei den Music-Awards einen Preis überreichen. Sie hatte David gebeten, für Meg, Cassidy und Jason VIP-Tickets zu besorgen. Als kleines Dankeschön für die Geduld und Nachsicht, die ihre Freunde mit ihr zeigten.

Dennoch war Zoe bewusst, dass Phoebe und David für sie im Moment mehr und mehr die Stelle von Zoes Familie und Freunden einnahmen. Phoebe war für sie fast wie eine Schwester, die Zoe nie gehabt hatte. Denn mit ihr konnte sie Pferde stehlen, und Konkurrenz schien für Phoebe ein Fremdwort zu sein. David vertraute Zoe im Vergleich nicht so sehr. Er spielte den Models gegenüber oft die Rolle des überstrengen Vaters. Aber trotz seiner Macken – Herrschsucht, Eitelkeit und Kontrollwahn – gehörte er zu den Netten. Wenn er nicht gestresst war, was selten vorkam, konnte er charmant, liebevoll und großzügig sein. Schwierig war nur, dass er schnell sein Verhalten änderte. Die Wechsel von verbindlich-freundlich zu professionell-kühl waren oft sehr abrupt. Aber damit musste sie leben. Schließlich sorgte er dafür, dass ihre Karriere weiterging.

„Hast du Lust, mit mir joggen zu gehen?“ Zoe band sich im Flur ihre Sportschuhe zu.

„Ich hab keine Lust. Es regnet“, rief Phoebe aus ihrem Zimmer. „Außerdem habe ich heute frei. Ich verbringe den Tag im Bett und gucke meine Lieblingsserien.“

„Faules Stück!“ Zoe stand auf und lugte durch den Türspalt. „Soll ich dir auf dem Rückweg was mitbringen? Einen Bagel oder einen Caffé Latte?“

„Nein, danke. Heute ist mein Obsttag. Ich hab gestern gesündigt und war Pasta essen. Verrat mich nur ja nicht bei David!“

Zoe lachte. „Warum sollte ich? Mit seinen Röntgenaugen sieht er eh sofort, wenn du drei Gramm zugenommen hast. Apropos Fett …“

„Ich bin nicht fett!“ Phoebe setzte sich kerzengerade in ihrem Bett auf.

Zoe lachte noch lauter. Sie liebte es, Phoebe zu ärgern. „Also noch mal zurück zum Fett … Joggen hilft dagegen.“

Phoebe antwortete nicht, sondern griff nach einem ihrer Kopfkissen und warf es in Zoes Richtung.

Schnell zog Zoe die Tür zu und hörte den dumpfen Aufprall des Kissens auf dem Holz. „Soll das heißen, du kommst nicht mit?“

„Hau ab!“, hörte sie Phoebe genervt rufen.

Vergnügt verließ Zoe das Apartment. Sie wusste, dass Phoebe ihr den kleinen Spaß nicht übel nahm. Im Gegenteil. Wahrscheinlich überlegte sie sich in diesem Moment schon, wie ihre Retourkutsche aussehen könnte.

Im lockeren Laufschritt bewegte Zoe sich quer durch SoHo in Richtung Hudson River. Auf der Uferpromenade bog sie in Richtung Central Park ab. Wegen des Nieselregens waren nur wenige Spaziergänger unterwegs. Doch ein Pärchen erkannte sie, blieb stehen und zeigte mit dem Finger auf sie.

„Ist das nicht das nackte Mädchen vom Time Square?“, hörte Zoe die Frau ihren Mann fragen.

Bevor die Leute auf die Idee kommen konnten, sie aufzuhalten und anzusprechen, legte Zoe einen Schritt zu und holte ihren iPad aus dem schmalen Hüfttäschchen, in dem sie beim Joggen ein paar Dollar und ihren Hausschlüssel aufbewahrte. Sie steckte sich die Stöpsel in die Ohren und lief im Rhythmus zu einen Song der Chemical Brothers. Sie genoss, den warmen Sommerregen auf der Haut zu spüren, dachte daran, dass Rip schon bald aus Japan zurückkehrte und sie sich endlich richtig kennenlernen konnten. Sie fand ihr Leben einfach perfekt – bis sie auf eine Fensterfront blickte, auf der sich etwas spiegelte.

Für einen Augenblick glaubte sie, den Kapuzenmann zu erkennen.

Abrupt presste Zoe die Lippen aufeinander, lief langsamer und drehte sich um. Doch vor der Fensterfront, die zu einem Restaurant gehörte, stand nur ein Kellner, der missmutig zum grauen Himmel starrte und zu überlegen schien, ob es bei dem Wetter sinnvoll war, den Außenbereich des Lokals für das Mittagsgeschäft zu öffnen.

Ich sehe schon Gespenster, dachte Zoe verärgert.

Ihre gute Laune war verflogen. Wie so oft, wenn sie sich unsicher oder hilflos fühlte, berührte sie das Sternenkettchen ihres Dads, das sie um den Hals trug. Sie fiel wieder in ihren zügigen Laufstil und versuchte, den Gedanken an einen Verfolger zu verdrängen. Das gelang ihr jedoch nicht. Immer wieder blickte sie über ihre Schulter, ohne allerdings den furchteinflößenden Fremden zu sehen.

Sie durchquerte Greenwich Village und steuerte das „Gizzi’s“ an, um ausnahmsweise eine Pause in ihrem Lieblingscafé einzulegen und zur Beruhigung einen Zen-Tee zu trinken. Nachdem Zoe den Tea-to-go bezahlt hatte, bedankte sie sich und eilte zum Ausgang, um nicht ganz abzukühlen.

Doch sobald sie das Café verlassen wollte, entdeckte sie ihn auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er lehnte in einem Hauseingang. Er trug die gleiche Kleidung wie bei ihrer ersten Begegnung, und wieder verdeckte die Sonnenbrille sein Gesicht. Er starrte Zoe über den Brillenrand unverwandt an und grinste. Dann hob er seine rechte Hand und winkte.

Vor Schreck ließ Zoe ihren Pappbecher fallen. Das heiße Getränk spritzte über den Boden und an ihren nackten Beinen hoch.

„Haben Sie sich verbrannt, Miss?“ Die Bedienung eilte besorgt hinter dem Tresen hervor.

„Nein … Alles okay“, antwortete Zoe, obwohl sie stechende Schmerzen an den Beinen verspürte.

„Nehmen Sie das und kühlen Sie Ihre Haut.“ Die Bedienung war zu ihr gelaufen und reichte ihr ein nasses Tuch.

„Danke.“ Zoe nahm das Tuch an und betupfte sich vorsichtig die geröteten Stellen an ihren Beinen. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viel Arbeit mache. Ich wische gern den Boden.“

„Aber nicht doch! So was kommt eben vor“, entgegnete die junge Frau und drehte sich um.

Zoe hörte ihr schon nicht mehr zu. In den Sekunden, in denen sie der Kellnerin ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatte, war der Kapuzenmann verschwunden. Zoe starrte aus dem Ladenfenster. Wohin hatte sich der Kerl verkrochen? Lauerte er ihr auf? Was wollte er von ihr? Unwillkürlich erinnerte sie sich an seine Worte. „Ich krieg dich noch, du kleines Miststück!“, hatte er gerufen.

Auf einmal wollte Zoe nur noch nach Hause, in die Sicherheit ihres Apartments und zu Phoebe, die bestimmt die richtigen Worte fand, um sie zu beruhigen. Oder sie würde Rip anrufen und sich von seinen Witzen und Konzertanekdoten ablenken lassen.

Hals über Kopf stürzte sie aus dem Café und rannte los. Der Nieselregen hatte sich während ihres Aufenthalts im „Gizzi’s“ in einen Schauer verwandelt. Binnen Sekunden war Zoe bis auf die Haut nass. Aber sie achtete nicht darauf. Sie nahm den kürzesten Weg nach SoHo. Dabei sah sie regelmäßig nach rechts und links und drehte sich immer wieder um. Aber sie sah ihn nicht. Innerlich schalt sie sich für ihre Panik und lief gleichmäßig weiter.

Nach einer Weile musste sie an einer roten Fußgängerampel warten. Da sah sie ihn keine zwanzig Meter von sich entfernt stehen.

Im ersten Moment war Zoe vor Schreck wie gelähmt. Wie hatte er es geschafft, sie ungesehen zu verfolgen?

Er schaute sie an und bedeutete ihr, zu ihm zu kommen.

Zoe schüttelte den Kopf und wandte sich an den erstbesten Passanten. „Entschuldigen Sie, Sir. Bitte helfen Sie mir! Dieser Mann dort verfolgt mich.“

„Was geht das mich an?“, antwortete der große Mann. „Hier sind genug andere Leute auf der Straße. Fragen Sie die. Oder gehen Sie gleich zur Polizei.“

„Aber …“, setzte Zoe an. Doch der Mann war bereits weitergegangen. Sie schaute sich suchend um.

Der Fremde hatte sich nicht von der Stelle gerührt, sondern beobachtete sie.

„Madame“, sprach Zoe eine Passantin an. „Ich werde verfolgt. Können Sie mir bitte Ihr Handy leihen, damit ich die Polizei anrufen kann?“

„Du hältst mich wohl für komplett naiv“, entgegnete die Frau. „Denkst du, ich weiß nicht, dass du mit meinem Handy abhauen willst?“ Sie holte mit ihrer Handtasche aus und schlug nach Zoe. „Verzieh dich! Sonst rufe ich die Cops!“

Schon hatte sich die Frau entfernt.

Zoe blieb hilflos zurück. Sie traute sich nicht mehr, jemand anzusprechen. So viel Gleichgültigkeit wäre ihr in Barstow nicht begegnet. Dort halfen die Menschen einander. In New York hingegen war jeder auf sich allein gestellt. Offenbar verdiente die Stadt den Ruf, das härteste Pflaster der Welt zu sein.

Ängstlich hob Zoe den Blick.

Er stand immer noch da. Offensichtlich hatte er ihre zwecklosen Versuche, Hilfe zu bekommen, verfolgt und zuckte nun spöttisch grinsend die Schultern. Dann rannte er plötzlich auf sie zu.

Zoe dachte keine Sekunde nach. Aus dem Augenwinkel sah sie zwar, dass die Ampel immer noch rot war. Aber sie ignorierte die Gefahr und lief auf die Straße. Zoe hörte quietschende Bremsen, wildes Hupen und wütendes Geschrei. Nur Zentimeter von ihr entfernt hielt ein Wagen in letzter Sekunde.

Sie sprang auf den Bürgersteig und hastete durch die Menge der ihr entgegenkommenden Passanten. Jetzt drehte sie sich nicht mehr um, sondern lief einfach weiter. Dass sie Seitenstiche hatte, ignorierte sie. In vollem Lauf bog sie in die Greene Street und stieß mit voller Wucht mit einem Typen zusammen. Er trug einen Sweater und hatte die Kapuze tief in die Stirn gezogen.

„Nein!“, schrie Zoe noch und wollte in die Richtung zurücklaufen, aus der sie gekommen war. Aber der Zusammenstoß war so heftig, dass sie nach hinten fiel und auf dem Fußgängerweg landete. „Aua!“

„Hast du dir wehgetan?“ Er schob sich die Kapuze aus dem Gesicht, lächelte sie offen an und half ihr aufzustehen.

„Ich weiß nicht“, antwortete Zoe. Was interessierten sie ein paar Kratzer? Sie war froh, dass er nicht derjenige war, für den sie ihn gehalten hatte.

„Du weißt nicht, ob du Schmerzen hast?“, fragte er verwundert.

„Na ja, vielleicht tut ja was weh. Ein bisschen.“ Zoe tastete sich den aufgeschrammten, blutigen Ellbogen ab und lächelte ihn an. Der Fremde war ziemlich attraktiv: markantes Gesicht, blonde Haare, durchtrainierte Figur. Das bemerkte Zoe trotz Schmerz und Panik.

„Lass mal sehen!“ Er drehte ihren Arm vorsichtig und betrachtete die Schramme.

Er hatte einen festen Griff und weiche Hände. Sexy, dachte Zoe.

„Ist nicht so schlimm“, stellte er nach eingehender Betrachtung ihrer Verletzung fest. „Aber es ist Schmutz in die Wunde gekommen. Du solltest sie auswaschen, sonst infiziert sie sich. Und das kann zu einer Blutvergiftung führen.“

„Bist du Arzt, oder wieso kennst du dich so gut aus?“

„Nein, ich bin kein Doc. Ich habe nur eine übervorsichtige Mutter.“ Als er lachte, zeigten sich zu beiden Seiten seines Munds niedliche Grübchen.

Zoe fand ihn unwiderstehlich und bekam sofort ein schlechtes Gewissen wegen Rip. Es kam ihr fast vor, als würde sie ihn betrügen. Dabei hatte sie ihn seit dem Prada-Shooting nicht wiedergesehen, sondern nur mit ihm telefoniert und E-Mails geschrieben.

„Hast du dir was getan?“, fragte sie ihn.

„Ich? Ähm, nein. Und nass war ich schon, bevor ich mit dir zusammengestoßen bin.“ Er grinste und betrachtete ihr triefnasses Haar und ihre völlig durchweichte Joggingkleidung und Schuhe. „Ich hoffe, du hast keinen weiten Heimweg mehr. Sonst holst du dir noch eine Erkältung.“

„Nein, ich wohne direkt …“ Zoe brach mitten im Satz ab. Dass der Kapuzenmann plötzlich wieder aufgetaucht war, hatte sie so misstrauisch gemacht, dass sie niemandem mehr ihre Adresse nennen mochte. Als sie den irritierten Blick des freundlichen jungen Mannes sah, tat ihr das leid. „Du hast wirklich eine Hypochonderin als Mutter. Oder du willst doch noch Mediziner werden. Sei ehrlich?“, versuchte sie, zu scherzen und ihre abweisende Antwort vergessen zu machen.

Es schien zu funktionieren. Denn er lachte und meinte: „Nun, zumindest was meine Mom angeht, hast du recht. Sie hat uns behandelt, als wären wir aus Zucker. Hat wohl auch auf mich abgefärbt. Tut mir leid.“

„Du musst dich nicht entschuldigen. Ich finde deine Fürsorge süß.“

„Echt?“

Zoe nickte.

Sie sahen einander schweigend an und lächelten verlegen, während der Regen weiterhin auf sie prasselte.

„Also, äh, ich muss dann mal los. Meinen Arm versorgen … und mich abtrocknen“, brach Zoe schließlich das Schweigen. Der Typ machte sie ganz nervös. Er war wirklich heiß!

„Tja, ich auch. Also, natürlich habe ich keine Schrammen zu versorgen. Aber der Regen … äh, du weißt schon“, stammelte er, machte aber keinerlei Anstalten zu gehen.

Sie sahen einander noch eine Weile lächeld an. Dann senkte Zoe den Blick. „Also dann. Bis auf ein anderes Mal.“ Sie hob die Hand zum Abschied und ging langsam weiter.

„Ja, bis dann.“ Er sah ihr nach. „Wie heißt du überhaupt?“

Erfeut sah sie ihn an. „Zoe.“

„Ich bin Tom.“ Er winkte ihr zu, schlenderte zum Ende der Greene Street und bog um die Ecke. Jedoch nicht, ohne sich vorher noch mal nach ihr umzudrehen.

Zoe glühten die Wangen, als sie in ihr Apartmenthaus eilte und den Aufzug in den vierten Stock nahm.

Über ihre Begegnung mit Tom hatte sie den Kapuzenmann fast vergessen. Doch jetzt kehrte die Erinnerung schlagartig zurück. Als die Aufzugtür sich öffnete, stürmte Zoe ins Apartment.

„Phoebe!“, rief sie. „Du ahnst nicht, was mir passiert ist!“ Sie wusste nicht, ob sie ihrer Freundin zuerst von der Horrorbegegnung mit ihrem Stalker oder von der Zufallsbekanntschaft mit Tom erzählen sollte.

„Und du ahnst nicht, wer hier ist“, entgegnete Phoebe, kam aus der Küche und hielt Zoe eine Schüssel Obst entgegen.

Hinter ihrer Freundin entdeckte Zoe einen Mann. Zuerst glaubte sie, es wäre David, der sie mit einem neuen Auftrag für einen Topkunden überraschen wollte. Doch dann wich Phoebe zur Seite, und Rip lächelte Zoe strahlend an. Er streckte seine Arme nach ihr aus.

„Ich hab’s nicht mehr ausgehalten“, sagte er. „Unsere Telefonate haben mir einfach nicht gereicht. Ich musste dich unbedingt wiedersehen. Ich bin direkt nach der letzten Show in Tokio in den Flieger gesprungen und zu dir geflogen.“

Zoe stiegen vor Rührung die Tränen in die Augen. Sie rannte los und warf sich in seine Arme. Er strich ihr die nassen, blonden Strähnen aus dem Gesicht und küsste sie leidenschaftlich. Sein sinnlicher Kuss versetzte Zoe eine Art elektrischen Schlag. Ihre Haut kribbelte von den Zehen bis zu den Ohren. Das Blut rauschte in ihren Ohren, und sie hätte Rip am liebsten in ihr Zimmer gezerrt, ihn aufs Bett geworfen und …

Aber dann hätte er sie für ein Groupie gehalten und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit abserviert. Sie wollte aber einen festen Freund haben. Und seit Wochen träumte sie davon, dass der Rip Rocket hieß. Sie dachte für einen Moment an Tom. Das war doch Quatsch! Tom war ein süßer Typ. Aber sie hatte mit ihm lediglich für ein paar Minuten auf der Straße geflirtet. Vermutlich war er, wenn man ihn näher kennenlernte, gar nicht so nett. Obwohl … das konnte sie sich schwerlich vorstellen.

Zoe schüttelte den Kopf und lächelte Rip zärtlich an. Wer könnte schon mit Rip mithalten?