8. KAPITEL

„Toller Ausblick!“, meinte Tom anerkennend, als er in Zoes Apartment durch die Fensterfront auf die Skyline von Manhattan blickte.

„David hat mir die Wohnung gekauft. Und ich hasse es, wenn er mich bevormundet. Er ist schlimmer, als meine Mom je war.“

Tom lachte. „Lass ihn reden und tu, was du für richtig hältst. Mein Dad ist beim Militär. Ich schwöre, er ist zehnmal nerviger als dein Boss. Ich habe irgendwann einfach auf Durchzug gestellt, sonst wäre ich durchgedreht. Nach außen hin habe ich den gehorsamen Sohn gespielt. Und sobald er aus dem Haus war, hieß es: Partyalarm!“

Zoe lächelte. „So, so. Dabei siehst du so nett aus.“

„Wieso sollte das ein Widerspruch sein? Man muss nur wissen, wie man klarkommt.“

„Du gehst den Weg des geringsten Widerstands.“

„Manchmal. Aber wenn es sein muss, greife ich auch durch. Das erfordert mein Job.“ David setzte sich aufs Sofa und wippte auf und ab. „Mhm. Darauf lässt sich schlafen.“

„Woher weißt du, dass ich kein Gästezimmer habe?“

Er verdrehte die Augen. „Hallo? Von deinem Wohnzimmer mit der angrenzenden Pantry gehen nur zwei Türen ab: Bad und Schlafzimmer.“

„Gute Beobachtungsgabe. Auch Teil des Jobs?“

Er nickte.

„Möchtest du etwas trinken?“

„Wasser. Danke.“

Wenige Augenblicke später schenkte Zoe sich Wein und ihm Wasser ein. „Wenn dein Dad beim Militär ist, seid ihr bestimmt oft umgezogen.“

„Allerdings. Ich kann es nicht mal mehr zählen. Wir haben in Nevada, Arizona und in den Südstaaten gelebt. Immer auf irgendwelchen Militärstützpunkten im Niemandsland. Die Orte waren so klein, dagegen ist Barstow eine Metropole.“

„Du weißt, woher ich stamme?“ Zoe sah ihn irritiert an.

„Dein Boss hat es mir gesagt.“

„Wieso das denn? Ist das für deinen Job wichtig?“

Tom zuckte die Schultern. „Nein. Vielleicht ist dein Chef nur einfach sehr mitteilsam.“ Er grinste.

„Du meinst, er ist eine Labertasche?“ Zoe lachte.

„Das hast du gesagt.“ Tom nahm sein Wasserglas und stieß mit ihr an. „Ist dir peinlich, dass du aus Barstow kommst?“

„Nein … Ich stehe dazu, dass ich ein Kleinstadtmädchen bin.“

„Das ist gut. Ich bin auch ein Kleinstadtjunge. Oder sollte ich sagen: Stützpunktkind? Vielleicht liege ich falsch, aber meiner Ansicht nach sind Kleinstadtleute solider, nicht so abgehoben wie Großstadttypen. Sie wissen eben, wo sie hingehören.“

„Ja … das stimmt. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass alte Freunde gar nicht damit zurechtkommen, dass ich auf Plakatwänden am Time Square abgebildet bin und sie in einem Wüstenimbiss Burger braten.“

Zögernd erwiderte er: „Neider gibt es überall.“

„Ich glaube nicht, dass es Neid ist, sondern vielmehr die Verzweiflung, das Leben zu verpassen.“

Er schüttelte den Kopf. „Aber sie verpassen nichts. Sie können nur nicht wertschätzen, was sie besitzen, weil sie es jeden Tag um sich haben. Ich wette, deine wahren Freunde sitzen in Barstow und nicht in der Modewelt.“

Lächelnd antwortete sie: „Ja, bis auf eine Ausnahme: Phoebe.“ Als sie den Namen ihrer Freundin aussprach, fiel Zoe auf, dass sie nicht an Rip gedacht hatte.

„Na dann, auf Phoebe!“ Sie stießen erneut an.

„Hast du Lust, mir ein bisschen mehr von dir zu erzählen?“, fragte Zoe. „Ich will gern mal wieder normale Geschichten hören und nicht immer nur Partygerüchte über die Modelwelt.“

„Normal? Du meinst langweilig?“ Er lächelte sie spöttisch an.

„Du bist nicht langweilig.“

„Das sagst du nur so.“

„Aha. Du willst bloß Komplimente hören! Träum weiter!“ Amüsiert sah sie ihn an. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so eitel bist.“

„Eitel. Ich? Niemals!“

In den nächsten Stunden erzählte Tom ihr von seiner Mom, der „allerbesten Mutter auf der ganzen Welt“, wie er behauptete, von seinem strengen, oftmals engstirnigen Dad, seinem jüngeren Bruder Seth, der noch zur Schule ging, und von seiner großen Schwester Jana, die die Familie schockiert hatte, als sie mit sechzehn ein Baby zur Welt gebracht hatte. Er beschrieb ihr seine wenigen Freunde Sam und Butch. Weil Sams Vater bei jedem Umzug von Toms Familie fast zeitgleich auf dieselben Stützpunkte versetzt worden war, waren Sam und Tom enge Freunde geworden. Und Butch war ohnehin sein treuester Kumpel. Er war ein American Staffordshire und lebte derzeit bei Jana, bis Tom in New York ein Apartment fand, in dem er seinen Hund halten konnte.

Zoe hörte Tom gern zu. Er erzählte sehr unterhaltsam, und in seiner Gegenwart fühlte sie sich fast wie zu Hause. Er hat recht mit dem, was er über Kleinstadtmenschen sagt, dachte sie. Man bleibt in einem positiven Sinn normal. Und Tom war das beste Beispiel dafür.

„Wie geht es Nora?“, fragte Zoe David, als sie in seiner Limousine auf dem Weg zu einer Filmpremierenfeier waren.

Zoe hatte versucht, Nora im Krankenhaus zu besuchen. Aber die Familie schirmte sie von jeglichen Kontakten ab. Und dadurch hatte die Krankenschwester Zoe wieder heimgeschickt, nachdem sie versprochen hatte, Nora die Blumen zu geben, die Zoe mitgebracht hatte.

„Nora wird überleben“, meinte David traurig. „Aber ihre Karriere als Model ist beendet. Die Säure hat ihr Gesicht und ihre Arme schlimm verätzt. Die Ärzte versuchen, ihr ursprüngliches Aussehen wiederherzustellen. Doch sie wird Narben zurückbehalten und nie mehr so schön sein wie vorher.“

Zoe schwieg. Sie hatte großes Mitleid und fühlte sich schlecht, weil Nora das Opfer des Stalkers geworden war – der es auf sie abgesehen hatte. Und weil sie froh war, dem Anschlag entgangen zu sein.

„Es ist nicht deine Schuld“, raunte Tom ihr zu, der auf der Rückbank der Limousine neben ihr saß.

„Ich weiß“, flüsterte Zoe. „Aber ich bin der Auslöser dafür, dass Noras Leben eine so schreckliche Wendung genommen hat. Und ich kann nichts tun, um es wiedergutzumachen.“

„Es ist nicht deine Aufgabe, irgendetwas wiedergutzumachen, das du nicht getan hast. Der Typ, der den Säureanschlag verübt hat, ist krank. Aus welchem Grund auch immer er dich ausgesucht hat – du trägst keine Verantwortung dafür!“

Ernst sah Tom sie an. „Stalker leiden unter psychischen Störungen. Sie übertragen Konflikte aus ihrer Vergangenheit auf aktuelle Situationen und Personen. Dabei haben ihre Opfer mit dem ursprünglichen Vorfall oft nichts zu tun. Vielleicht ist dein Stalker früher von einem Mädchen abgewiesen worden, das so ähnlich aussieht wie du. Dann will er sich rächen, fühlt sich als Opfer. Oder er ist neidisch auf dich, missgönnt dir dein gutes Aussehen und den Erfolg.“

„Ja … vielleicht. Ich hoffe nur, dass Detective Abraham und seine Kollegen ihn schnell finden. Bevor noch etwas Furchtbares geschieht.“

„Ich passe auf dich auf.“ Tom drückte ihre Hand.

„Ich will aber nicht, dass noch jemandem meinetwegen etwas zustößt.“ Zoe sah Tom lange in die Augen.

„Hört auf zu tuscheln! Wir sind da.“ David räusperte sich. „Sobald die Wagentür aufgeht und wir über den roten Teppich gehen, will ich nur glückliche Gesichter sehen. Verstanden?“

„Habe ich jemals etwas anderes getan als das, was du sagst, David?“ Zoe warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

Der Chauffeur öffnete die Wagentür. Jackie, die die Fahrt über Musik gehört hatte, – wahrscheinlich damit sie mit Zoe kein Wort wechseln musste –, drängte zuerst aus der Limousine. Dann stieg Phoebe aus, die nun notgedrungen ihr Telefonat beendet und ihr Handy eingesteckt hatte. Zoe stieg als Dritte aus. Sie flanierte den roten Teppich entlang, schenkte den Fotografen ihr strahlendes Lächeln, beantwortete Fragen und gab hier und da ein Autogramm. Tom folgte ihr in gebührlichem Abstand, wie Zoe bemerkte. Aber er ließ sie keine Sekunde aus den Augen und schien stets bereit zu sein, sich im Fall eines Angriffs schützend vor sie zu werfen.

„Ist das dein Bodyguard?“ Mit dieser Frage begrüßte Rip sie, als sie das Foyer des Kinos betrat, in dem die Uraufführung des Films stattfand.

„Ja, das ist …“ Zoe wollte ihn ihrem Freund vorstellen.

Rip winkte ab. „Lass mal, der Typ ist ein Landei. Der hat außer Bodybuilding und Kampfsport nichts im Kopf. Das sehe ich sofort.“

„Wie kannst du so was sagen?“, entgegnete Zoe gekränkt. „Tom ist sehr nett und alles andere als dumm. Und im Übrigen bin ich dann auch ein Landei!“

„Woah! Warum so aufgebracht?“ Rip lächelte sie spöttisch an. „Bist du wütend, weil ich vergessen habe, dich anzurufen? Dir fehlt wohl unser Sex.“ Er schlang seinen Arm um sie, presste sie an sich und streichelte ihren Po.

„Lass das!“ Zoe stieß ihn weg und schaute verlegen zu Tom herüber, der, ohne die Miene zu verziehen, ein paar Meter von ihr entfernt stand.

„Seit wann bist du so prüde?“ Rip kniff sie in die Seite, zog Zoe wieder an sich und biss ihr in den Hals. Sanft flüsterte er: „Lass uns auf der Toilette verschwinden. Du siehst in deinem knappen Outfit so scharf aus. Ich kann mich kaum beherrschen.“

„Spinnst du? Das ist nicht mein Stil. Außerdem wimmelt es hier von Paparazzi. Uns in flagranti zu erwischen wäre für die ein gefundenes Fressen.“

„Dann lass uns ihnen den Gefallen tun. Meinem Rockstarimage würde es nicht schaden!“

„Und ich würde als billige Schlampe dastehen. Nein, danke.“ Zoe wand sich aus seiner Umarmung, zog ihren Rock gerade und ging in Richtung Kinosaal.

„Willst du dir echt den Film ansehen?“ Rip war ihr nachgeeilt. „Ich geh in den Ballsaal. Die Bar ist schon geöffnet. Es ist Happy Hour.“

„Schön für dich. Viel Spaß.“ Zoe ging weiter. Sie wusste nicht, warum sie Rip mit einem Mal so abstoßend fand. Aber ihr gefiel seine Einstellung nicht. Alles musste laufen, wie er es wollte, und wenn nicht, stellte er sich quer.

„Du kannst mich nicht einfach vor allen Leuten so stehen lassen.“ Rip umfasste ihren Arm und zog sie zurück.

„Finger weg!“ Tom packte Rips Handgelenk. Seine sonst freundliche Stimme klang furchterregend. Sein Blick war stahlhart.

„Ich bin ihr Freund, du Idiot!“, rief Rip.

„Das ist mir egal“, entgegnete Tom. „Zoe will ihre Ruhe. Und daran hast du dich zu halten. So wie jeder andere.“ Er löste seinen Griff.

„Wichtigtuer!“ Rip riss seinen Arm weg und rieb sich über die gerötete Stelle am Handgelenk. „Mach doch, was du willst! Wirst schon sehen, was du davon hast“, zischte er Zoe zu und wandte sich dann ab, um zum Ballsaal zu gehen.

„Er kriegt sich wieder ein“, meinte Tom.

„Und wenn nicht, ist das auch egal“, antwortete Zoe trotzig. „Ich sehe mir jedenfalls jetzt den Film an.“

„Der Film war so cool!“ Phoebe nippte an ihrem Champagnerglas. „Und Brad ist vielleicht heiß! Ist er hier noch irgendwo?“ Sie sah sich suchend um.

„Der Mann hat eine Freundin und Kinder“, gab Zoe zu bedenken.

„Na und?“ Phoebe lachte und trank ihren Champagner aus. Sie tänzelte zur Tanzfläche des Ballsaals und verausgabte sich zu treibenden House Beats. Als der Song endete, zwinkerte sie Zoe zu und machte sich auf den Weg zur VIP-Lounge, in der sie Brad offenbar vermutete.

Zoe seufzte. Sie an Phoebes Stelle würde die Finger von Brad lassen. Seine Freundin sah nicht so aus, als ob sie sonderlich viel Spaß verstand, wenn man sich an ihren Mann heranmachte. Aber das war Phoebes Problem.

Zoe hatte ihr eigenes: Rip.

Seit sie vor einer halben Stunde das Kino verlassen hatte, war er ihr noch nicht begegnet. Vielleicht hatte er die Premierenfeier schon wieder verlassen, weil er sich gelangweilt hatte oder ihr eins auswischen wollte. Zoe ärgerte sich über ihn und überlegte, ob sie ihn auf dem Handy anrufen sollte. Aber ihr Stolz verbot es ihr. Wenn er mit ihr zusammen sein wollte, musste er mehr Initiative zeigen. Seine Unzuverlässigkeit und sein Egoismus waren unerträglich. Unter einer guten Beziehung verstand sie etwas anderes. Zum Beispiel, dass man auf einer Premierenfeier auf seine Freundin wartete und ihr zuliebe auch mal einen Film sah, der einen nicht interessierte.

Tom schien der Film sogar gefallen zu haben. Er hatte die Handlung jedenfalls gebannt verfolgt. Nachdem Rip in den Ballsaal gegangen war, hatte Zoe Tom den leeren Platz neben sich angeboten. So war sie nicht allein, und Tom konnte sie beschützen.

„Möchtest du tanzen?“, fragte sie Tom.

„Ich möchte schon. Aber ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier.“

„Ach bitte, nur ein Tanz. Ich erlaube es dir, und ich bin dein Boss.“ Sie streifte ihr Bolerojäckchen ab, legte es auf den Stuhl neben dem ihr zugewiesenen Tisch und streckte die Hand nach Tom aus.

„Nun, eigentlich ist David mein Chef … oder zumindest mein Auftraggeber“, warf Tom ein. „Aber da er gesagt hat, ich soll alles tun, was du willst …“ Er nahm ihre Hand und führte Zoe auf die Tanzfläche.

Sie harmonierten perfekt, als sie miteinander tanzten. Tom hatte Rhythmusgefühl und konnte sich exzellent bewegen. Zoe bemerkte die begehrlichen Blicke der anderen Frauen.

Nach einer Weile dachte sie nicht mehr daran, dass sie Rip suchen wollte. Sie tanzte mit Tom – bis Phoebe neben ihr auftauchte und ihr ins Ohr flüsterte: „Er hat mit mir gesprochen!“

„Wer? Brad?“ Zoe sah sie neugierig an.

„Jaaa! Los, komm! Ich erzähl dir, worüber wir uns unterhalten haben.“ Sie zog Zoe von der Tanzfläche und zu ihrem Tisch.

Zoe schob ihre Jacke zur Seite und setzte sich. Ein frisches Champagnerglas stand an ihrem Platz und perlte verführerisch. Nach dem ausgiebigen Tanzen mit Tom hatte sie Durst und griff nach dem Glas. Doch Phoebe kam ihr zuvor.

„Ich bin vielleicht durstig nach dem vielen Reden!“, meinte Phoebe und setzte sich neben Zoe. „Ich glaube, ich habe Brad ein Ohr abgeschwatzt.“ Sie grinste frech und trank Zoes Glas in einem Zug aus. „Also, Brad hat mir erzählt …“, setzte sie an. Dann verzog sie das Gesicht und rang plötzlich nach Atem.

„Was ist? Hast du dich verschluckt?“, fragte Zoe besorgt.

Phoebe antwortete nicht. Sie fasste sich an die Kehle und riss die Augen weit auf.

„Einen Arzt! Wir brauchen einen Arzt!“, rief Tom.

Phoebe rutschte vom Stuhl und wand sich auf dem Boden. Schaum quoll aus ihrem Mund hervor. Sie verdrehte die Augen, sodass nur noch das Weiße sichtbar war.

„Phoebe!“ Zoe hielt ihre Hand. Phoebe presste die Fingernägel in ihre Handfläche.

Tom versuchte, Phoebe ruhig zu halten. Aber sie zappelte unkontrolliert. Plötzlich hörte sie auf zu zucken, ließ die Hände und den Kopf fallen.

„Ich bin Arzt!“ Ein Mann in einem weißen Dinnerjacket kniete sich neben sie und fühlte nach Phoebes Puls.

„Sie ist tot“, sagte er wenige Augenblicke später tonlos. „Wir sollten die Polizei alarmieren.“

„Nein!“, rief Zoe und warf sich auf ihre tote Freundin. „Nein! Nein! Nein!“

Tom fasste sie um die Taille und zog Zoe sanft auf die Füße. „Du kannst ihr nicht mehr helfen. Komm mit! Du musst von hier fort.“

„Sie hat … aus meinem Glas … getrunken. Ich sollte … statt Phoebe … dort liegen“, stammelte Zoe.

„Pst!“ Tom nahm sie in den Arm und führte sie ins Foyer. „Wir werden hier warten, bis die Polizei kommt. Ich mache mir solche Vorwürfe, dass ich mit dir getanzt habe. Ich hätte den Tisch nicht aus den Augen lassen sollen. Dann hätte ich gesehen, wer das Glas dort abgestellt hat. Oder ob jemand etwas hineingetan hat.“

„Du kannst nichts dafür“, brachte Zoe schluchzend hervor. „Ich bin schuld. Ich habe dich gebeten, mit mir zu tanzen. Und jetzt ist Phoebe tot!“

Tom nahm sie fest in die Arme und streichelte ihr Haar und Rücken. „Hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Vielleicht war der Champagner gar nicht vergiftet, sondern etwas anderes hat Phoebe getötet.“

„Phoebe … meine süße, liebe Phoebe“, jammerte Zoe und wurde plötzlich stocksteif. „Wir müssen Rip suchen! Ich habe Angst, dass ihm auch noch etwas zustößt. Vielleicht hat der Stalker es auf alle meine Freunde abgesehen. Bitte, hilf mir, ihn zu suchen! Ich suche im Foyer und du …“

„Ich lasse dich auf keinen Fall allein.“ Tom nahm ihre Hand, und sie drängten sich durch die Menschenmenge. Tuschelnd standen die Leute da und starrten in Zoes verweintes Gesicht.

„Ist es wahr, dass jemand im Ballsaal gestorben ist?“, hörte Zoe eine Frau ihren Begleiter fragen.

„Ermordet!“, raunte jemand anderes.

Zoe ging schneller. Sie wollte sich das nicht mit anhören müssen.

„Rip ist nicht hier“, stellte Tom nach einer Weile fest. „Vielleicht ist er auf der Toilette.“

Sie gingen zu den WCs. Zoe wartete bei den Waschbecken, zog ihr Handy aus der Tasche und wählte Rips Nummer. Tom öffnete währenddessen die Tür zum Herrenklo und rief nach Rip.

Keine Antwort. In dem Moment ertönte dumpf ein Klingelton: der aktuelle Hit von „Rip Rocket and the Daredevils“.

„Das ist sein Handy“, sagte Zoe aufgeregt. „Er hat seinen Song als Klingelton heruntergeladen.“

„Ziemlich selbstverliebt.“ Tom runzelte die Stirn.

„Wo steckt er nur?“ Zoe lauschte.

Tom deutete auf die angrenzende Damentoilette. Zoe öffnete die Tür. Sie betraten zusammen den Raum, das Klingeln wurde lauter und deutlicher. Sie folgten dem Laut. Er führte sie zu einer geschlossenen Kabine.

Zoe sah Tom ängstlich an. Was, wenn Rip tot hinter der Tür auf dem Boden lag? Vielleicht war er aber auch nur schwer verletzt, und Zoe konnte ihn retten. Mit der Faust stieß sie gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen, sondern schwang auf.

Was Zoe sah, nahm ihr den Atem.

„Rip?!“

Er stand mit heruntergelassenen Hosen da – vor Jackie.

„Ich kann dir alles erklären“, sagte Rip, während Jackie in lautes, höhnisches Gelächter ausbrach.

„Du hast mich allein gelassen“, beschwerte sich Rip. „Du bist einfach in den Film gegangen. Ich habe mich gelangweilt. Außerdem bin ich ein Rockstar … und Rockstars haben mit unzähligen Frauen Sex.“

„Halt die Klappe!“ Tom verpasste Rip einen Stoß, sodass er in die offene Kloschüssel fiel und die kreischende Jackie mit sich riss.

„Wir gehen!“ Tom nahm ihre Hand und zog Zoe zur Tür.

„Ich zeige dich wegen Körperverletzung an!“, rief Rip ihm nach.

„Tu das!“, entgegnete Tom und sagte zu Zoe: „Es tut mir leid, dass du das sehen musstest.“

„Was meinst du?“, fragte sie. „Dass mein Freund Sex mit meiner Erzfeindin hat? Oder dass du ihm eine gescheuert hast?“

„Beides“, antwortete er. Er führte sie in den nicht überdachten Innenhof des Kinos. „Ich hätte ihn nicht schlagen dürfen. Das war absolut unprofessionell. Aber ich konnte nicht ertragen, dass dieser Typ eine so wunderbare Frau wie dich nicht respektiert und vor deinen Augen mit einer anderen rummacht.“

„Danke.“

„Wofür?“

„Für deine hohe Meinung von mir … Und dafür, dass du ihm eine reingehauen hast.“