11. KAPITEL

„Bist du sicher, dass ich mit zu deiner Mom fahren soll?“ Tom öffnete den Kofferraum des Mietwagens.

„Ja. Ganz sicher. Und du sollst auch meine Freunde kennenlernen. Falls ich noch welche habe“, fügte sie nachdenklich hinzu. „Ich glaube, Meg und Cassidy haben sich von mir zurückgesetzt gefühlt, nachdem ich in New York als Model durchgestartet bin. Ich habe es nicht so wahrgenommen und wollte sie nicht vernachlässigen. Aber ich hatte so viel zu tun. Ich habe mich nur noch selten gemeldet. Und wenn doch, habe ich wahrscheinlich ausschließlich von mir erzählt.“

„Dann ist es gut, dass du nach Barstow fährst. Sie werden sich bestimmt freuen, wenn du auf sie zugehst.“ Er sah sie an. „Aber bin ich dann wirklich nicht fehl am Platze?“

„Wie oft willst du mich das noch fragen?“ Zoe runzelte die Stirn. „Oder möchtest du nicht mehr mitkommen?“ Sie spürte, dass ihr heiß und kalt wurde. Hatte er sie etwa angelogen? War sie für ihn nur ein One-Night-Stand?

Glücklich lächelte er und umarmte sie. „Ich will unbedingt mitkommen. Ich bin nur schon ein paar Mal von Frauen zurückgewiesen worden, weil ich eine feste Beziehung wollte und keine halben Sachen. Und die Familie der Freundin kennenzulernen ist ein großer Schritt.“

„Ich mag auch keine halben Sachen, sondern meine es ernst mit dir“, antwortete Zoe und schmiegte sich an ihn.

„Gut.“ Er seufzte und drückte sie fest an sich. „Dir ist allerdings schon klar, dass du mich nie mehr loswirst?“

„Das hoffe ich doch.“ Zoe hielt ihn eng umschlungen. „Unglaublich“, murmelte sie, „dass du denkst, ich könnte dich nicht lieben.“

Er lachte verlegen, lehnte sich zurück und sah sie zerknirscht an. „Ich bin ein einsames Kind gewesen. Du weißt das.“

„Meine Mom sagt immer: Jeder hat sein Päckchen zu tragen …“ Zärtlich strich sie ihm über die Wange. „Und da wir gerade beim Thema sind, kannst du meinen verdammt schweren Koffer ins Auto packen.“ Sie grinste.

Tom lachte schallend los. „Du bist unglaublich … Frech! Und süß! Eigentlich muss ich mich bei dem Stalker bedanken. Ohne ihn hätte ich dich nicht kennengelernt.“

„Das wäre tatsächlich sehr, sehr schade gewesen. Du hättest gar nicht gewusst, was du verpasst. Du hättest mich nur auf Plakaten gesehen und gedacht: Ist die heiß!“

„Du bist ja kein bisschen eingebildet“, erwiderte er amüsiert.

„Wieso? Du hast letzte Nacht gesagt, dass ich … heiß, sexy, unwiderstehlich …“

„… und dass du ein böses Mädchen bist! Das habe ich vergessen zu erwähnen.“ Er küsste sie. „Ich muss mit deiner Mutter ein ernstes Wort reden. Ob es noch etwas nützt, dich übers Knie zu legen?“

„Wehe!“ Zoe zog die Tür auf und setzte sich schnell auf den Beifahrersitz. „Außerdem ist für solche zweifelhaften Aktivitäten keine Zeit mehr. Wir sind eh schon spät dran.“

Sie blinzelte gegen das Licht der Nachmittagssonne. Eigentlich hätten sie längst in Barstow sein sollen. Doch sie hatten bis zum Mittag im Bett gelegen. Bei der Erinnerung an die vergangene Liebesnacht lächelte Zoe versonnen.

„Es kann losgehen“, sagte Tom und riss sie aus ihrem Tagtraum. Er schwang sich auf den Fahrersitz und ließ den Motor aufheulen.

Zoe stellte ihre nackten Füße auf das Armaturenbrett und schob sich die Sonnenbrille auf die Nase. „Ich rufe kurz meine Mom an, um ihr Bescheid zu sagen, dass wir erst gegen Mitternacht in Barstow ankommen.“

„Ist Detective Abraham eigentlich sicher, dass der Stalker ein Einzeltäter gewesen ist?“, fragte Tom, als sie durch die nächtliche Wüste auf Barstow zusteuerten.

„Er hat nichts Gegenteiliges gesagt.“ Zoe sah Tom beunruhigt an. „Verdächtigst du etwa jemanden, ihm geholfen zu haben?“

„Ja.“

„Wen?“ Zoe setzte sich kerzengerade in ihrem Sitz auf. „Jackie?“

„Nein.“

„Etwa Rip? Das wäre unlogisch.“

„Kalt … David.“

„David?!“ Zoe verstand nicht, wie Tom auf die Idee kam. „Weil er gesagt hat, er macht mich fertig, wenn ich ‚Model Inc.‘ verlasse?“

„Ist das kein Grund, ihn zu verdächtigen?“

Sie lächelte. „Schon. Aber zu dem Zeitpunkt ist der Stalker bereits lange hinter mir her gewesen. Welches Interesse sollte David daran haben, dass mir etwas zustößt? Ich war der Shootingstar und bin sein bestes Model. Außerdem hat er dich zu meinem Schutz angeheuert.“

„Das kann ein Ablenkungsmanöver sein. Besser ein Bodyguard als ein Polizist. Vielleicht traut er mir nicht so viel zu. Außerdem hat er sich unverdächtig gemacht, indem er mich engagiert hat. Damit wollte er womöglich Abraham ablenken.“

„Ich weiß nicht …“ Zoe schüttelte ungläubig den Kopf. „David nervt oft. Und sein übertriebener Geschäftssinn ist anstrengend. Aber er ist kein schlechter Kerl.“

„Nenn mir einen Grund, aus dem du ihn magst.“

„Durch ihn habe ich dich kennengelernt.“

Tom grinste und warf ihr einen herausfordernden Blick zu. „Okay, das war ein Totschlagargument. Aber ist das alles?“

„Er hat mir das Apartment geschenkt.“

„Das konnte er steuerlich absetzen.“

„Er hat meine Mom und meine Freunde nach L.A. eingeladen.“

„Fällt unter Werbekosten.“

„Ach, hör auf!“ Zoe lachte. „Du kannst David einfach nicht leiden. Und deshalb traust du ihm alles erdenklich Schlechte zu.“

„Stimmt“, gab Tom zu. „Aber es ist möglich, dass er Stephan Brandt über die Arbeit kannte. Brandt war zwar nur ein kleines Licht in der Werbung. Aber er hatte durch seinen Job Kontakt zu den Bossen von Modellabels … und somit auch zu Modelagenten und Agenturchefs. Vielleicht hat David ihn auf den Aufnahmen, die die Securityleute vor deinem Auftritt bei den Music-Awards mitgeschnitten haben, wiedererkannt und hat ihn genauso angeheuert wie mich. Erst nach den Music-Awards sind die Angriffe auf dich gewalttätiger geworden. Oder irre ich mich?“

„Nei…nein“, stammelte Zoe.

„David kann diesem Brandt gedroht haben. Nach dem Motto ‚Entweder arbeitest du ab jetzt als Stalker für mich, oder ich schwärze dich als Zoes Verfolger bei den Cops an.‘“

„Aber warum? David muss an meinem Wohlergehen interessiert sein. Er verdient Unsummen mit mir.“

„Wenn du tot wärst, würde er noch mehr an dir verdienen.“

„Wie bitte?“ Zoe glaubte, sich verhört zu haben.

„Entschuldige, das hätte ich nicht sagen sollen.“ Tom legte seine Hand auf ihre. „Aber Fakt ist, dass Topmodels auch topversichert sind. Sollten sie durch einen Unfall nicht mehr arbeiten können oder gar sterben, kassiert ihre Modelagentur beziehungsweise deren Besitzer eine Versicherungssumme in Millionenhöhe.“

„Phoebe ist tot. Sie war ein angesehenes Model … Dann müsste jetzt also ein Geldregen auf David niederprasseln.“

„Phoebe ist nicht versichert gewesen, genauso wenig wie Jackie. Denn die Versicherungsprämien sind hoch. Ein schlauer Agenturchef schließt sie nur für seine besten Models ab. Und dich hat David versichert. Ich habe es überprüft.“

Zoe sah ihn fassungslos an. „Aber lebend bin ich viel mehr wert. Ich bin jung. Ich kann zehn, zwanzig Jahre als Model arbeiten!“

„Vorausgesetzt, dass sich die Leute immer noch so sehr um dich reißen. Ich persönlich glaube, dass du – falls du in dem Geschäft bleiben willst – eins dieser Supermodels wirst, die sogar noch gebucht werden, wenn sie über vierzig sind. Aber ich weiß auch, dass David jetzt dringend Geld braucht. Und zwar Summen, die du, Jackie und wen immer er noch unter Vertrag hat, erst in ein, zwei Jahren erwirtschaften könnt.“

„Wieso braucht er denn so viel Geld? Hat er Spielschulden?“

„David ist mit ‚Model Inc.‘ an die Börse gegangen, und das zu einem schlechten Zeitpunkt. Durch die Wirtschaftskrise sind die Kurse eingebrochen. Die Zeiten, in denen ‚Model Inc.‘ die Nummer eins auf dem Markt gewesen ist, sind vorbei. Wenn du aufhörst, kann er die Gläubiger nicht mehr vertrösten und seine Agentur dichtmachen.“

„Woher weißt du das?“ Zoe starrte Tom an.

„Ich verfolge die Börsennachrichten. Und abgesehen davon kenne ich Bodyguards, die für andere Modelagenturen arbeiten. Und falls du es noch nicht wusstest: Männer tratschen auch.“ Er lächelte schief.

Zoe erwiderte sein Lächeln nicht. Sie war viel zu geschockt und konnte die niederschmetternden Neuigkeiten nicht glauben. „Vielleicht ist David deshalb immer so angespannt gewesen und hat mich und die anderen Models derart angetrieben. Er dachte, er geht pleite und verliert seinen Lebenstraum.“

„Willst du ihn etwa noch in Schutz nehmen?“ Tom schüttelte unwillig den Kopf.

„Nein. Aber das erklärt sein Verhalten. Er ist mal nett und charmant, dann wieder unmöglich!“ Zoe seufzte. „Wieso hast du mir nicht früher von deinem Verdacht erzählt? Und warum hast du Detective Abraham nichts gesagt?“

Er zuckte die Schulter. „Weil es nur ein Verdacht ist. Ich kann nichts beweisen. Mein Wort stünde gegen Davids. Aber vielleicht packt dieser Brandt aus.“

„Ich bin ganz verwirrt. Deine Geschichte klingt wirklich … Warte! Mein Handy klingelt. Verdammt, wo habe ich es hingesteckt?“ Zoe löste ihren Sicherheitsgurt, kniete sich auf den Beifahrersitz und griff in ihre Handtasche, die auf dem Rücksitz lag. Sie zog das Telefon heraus.

„Hallo? … Mist! Aufgelegt.“ Sie setzte sich wieder auf den Sitz. „Es war Detective Abraham. Was will er um diese Uhrzeit noch? Es ist fast Mitternacht. Ich ruf ihn schnell zurück. Soll ich ihm von deinem Verdacht erzählen?“

„Mach das! Vielleicht findet er meine Theorie nicht so abwegig.“

„Mir gefällt, dass du dich derart um mich sorgst.“ Zoe lächelte ihn an.

„Du bist für mich ja auch das Wichtigste auf der Welt.“ Tom lächelte zurück.

Da ertönte ein lauter Knall.

Tom verriss das Steuer. Zoe schlug hart gegen das Fenster und wurde auf dem Beifahrersitz hin und her geworfen. Sie prallte gegen Tom, der verzweifelt versuchte, den Wagen auf der Fahrbahn zu halten.

„Was ist passiert?“, rief Zoe panisch.

„Ein Reifen ist geplatzt! Halt dich fest! Der Wagen bricht aus!“ Tom versuchte gegenzulenken. Aber der Wagen schoss über die Seitenbegrenzung, und sie sausten eine Böschung hinab.

Zoe schrie sich die Seele aus dem Leib und versuchte, ihren Sicherheitsgurt wieder anzulegen. Aber der Wagen holperte über den unebenen Untergrund und beschleunigte. Sie schlug mit dem Kopf erst gegen das Dach, dann gegen das Seitenfenster. Benommen sank Zoe zusammen und bekam noch mit, dass das Auto sich überschlug. Sie fiel auf das Armaturenbrett und gegen Tom. Die Frontscheibe barst. Abertausende Glasstückchen flogen ihr um den Kopf. Es gelang ihr, die Hände vors Gesicht zu schlagen.

Das Seitenfenster brach. Zoe wurde hinausgeschleudert und fühlte sich für ein paar Sekunden schwerelos – bevor sie auf den Wüstenboden prallte und ihr schwarz vor Augen wurde.

„Au!“ Zögernd fasste Zoe sich an den Kopf und blinzelte. Verschwommen erkannte sie den Mond am Nachthimmel. Sie tastete die Erde ab. Sand. Gestrüpp.

Orientierungslos schaute sie sich um. Wo war sie? Was war geschehen?

Sie richtete sich vorsichtig auf. Ihre Kleidung war zerfetzt. Sie blutete an Händen und Knien und ertastete eine große Schwellung an ihrer Stirn. Ihre Arme, Beine und der Rücken schmerzten. Sie würde üble blaue Flecke bekommen. Aber zum Glück schien sie sich nichts gebrochen zu haben.

Mühsam stand sie auf, und schlagartig erinnerte sie sich. Der geplatzte Reifen. Tom hinter dem Steuer … sein verzweifelter Rettungsversuch. Die Böschung …

„Tom!“ Zoes Herz raste. Wo steckte er? Hatte er den Unfall überlebt? Sie sah sich um.

In einer entfernten Talsohle sah sie ein schwaches Licht. Zoe ließ sich die Böschung hinunterrutschen und entdeckte den völlig zerstörten Sportwagen.

„Tom!“

Sie rannte die restlichen Meter, obwohl ihr die Beine schrecklich wehtaten. Sie stolperte und stürzte. Benommen rappelte sie sich wieder auf und taumelte zum Autowrack. Ein Scheinwerfer brannte noch schwach. Die Corvette war völlig zerbeult, das Dach war eingedrückt. Die Motorhaube war wie eine bizarre Skulptur gebogen.

Durch die zerborstene Frontscheibe konnte sie nicht mehr in den Wagen gelangen.

„Tom“, wimmerte Zoe. Ihr Herz setzte ein paar Schläge aus. Sie rechnete mit dem Schlimmsten und wappnete sich gegen einen fürchterlichen Anblick, als sie sich zu dem Fahrerfenster hinabbeugte.

Tom war auf den Beifahrersitz gesunken. Reglos hing er im Sicherheitsgurt. Blut sickerte aus einer Platzwunde an seiner Stirn. Sein linker Arm stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Seine Beine waren unter dem eingedrückten und zertrümmerten Armaturenbrett eingeklemmt.

„Tom!“

Er antwortete nicht. Zoe griff durch das zerschlagene Fenster und tastete nach seiner Halsschlagader. Sie fühlte seinen Puls. Gott, sei Dank, er lebte!

Fahrig versuchte sie die eingedrückte Tür zu öffnen. Es gelang ihr nicht. Schließlich zwängte Zoe Arm und Oberkörper so weit wie möglich durch das Fahrerfenster. Vorsichtig löste sie, auf dem verbogenen Lenkrad balancierend, seinen Sicherheitsgurt.

Tom fiel tiefer auf den Beifahrersitz und gab keinen Laut von sich. Zoe streichelte seine blassen Wangen. „Ich hole Hilfe“, flüsterte sie.

Sie tastete die Sitze und den Boden vergeblich nach ihrem Handy ab. Vermutlich war es herausgeflogen, als sich der Wagen überschlagen hatte. Zoe durchsuchte Toms Taschen. Verflucht! Wo steckte sein Telefon? Sie musste unbedingt einen Notarzt rufen!

Sie kroch rückwärts und schob sich durch das Fenster hinaus. Zoe wollte ihn nicht allein lassen, aber sie musste ihn retten.

„Ich komme zurück, so schnell ich kann. Ich liebe dich!“, flüsterte sie.

Sie eilte die Talsohle entlang, bis sie einen flachen Aufstieg fand. Wenig später rannte Zoe die menschenleere Straße in Richtung Barstow entlang. Ihr Kopf schmerzte höllisch. Das Blut pochte ihr in den Schläfen. Und die Wunden an den aufgeschlagenen Armen und Beinen brannten wie Feuer. Doch sie musste durchhalten.

„Tom …“, sagte sie immer wieder und versuchte, schneller zu gehen.

Auf dem nächsten Verkehrsschild stand, dass es noch dreizehn Meilen bis nach Barstow waren. Wie sollte sie das schaffen? Lieber Gott, bitte hilf mir, ich muss Tom retten, dachte Zoe.

Tränen rannen ihr über die Wangen. Tom durfte nicht sterben! Sie wollte ihn nicht verlieren. Nein!

Da hörte sie hinter sich einen Wagen, der sich näherte.

Hoffnungsvoll drehte sie sich um und riss die Arme hoch. „Hierher! Ich brauche dringend Hilfe!“

Doch die Worte blieben ihr im Halse stecken. Ein schwarzer Ford fuhr langsam auf sie zu, die Scheinwerfer waren ausgeschaltet. Hinter dem Steuer saß ein Mann. Zoe konnte sein Gesicht nicht erkennen. Aber sie fühlte seinen Blick auf sich.

Panik erfasste sie. Eiligen Schrittes lief sie weiter in Richtung Barstow.

Hinter ihr heulte der Motor auf. Der Wagen beschleunigte und raste auf sie zu.

Zoe schrie und warf sich in letzter Sekunde zur Seite. Sie fiel in den Staub und rutschte die Böschung hinunter. Auf allen vieren kroch sie wieder hoch, sah sich vorsichtig nach dem Verrückten um, erkannte jedoch nur die Rücklichter des Fords in der Ferne.

Eine Weile blieb sie flach auf dem Boden liegen. Ihr Puls raste. Aber der Fahrer wendete nicht. Zoe zweifelte nicht daran, dass es der Stalker war. Die New Yorker Polizisten hatten mit Stephen Brandt bestimmt den Falschen verhaftet. Und der wahre Verfolger machte nun Jagd auf sie. Weshalb sonst hätte Detective Abraham sie anrufen sollen?

Doch gleichgültig, wer in dem Ford saß und es auf sie abgesehen hatte: Sie musste Hilfe finden, um Tom zu retten. Es gab keinen anderen Weg nach Barstow als die Straße. Und im näheren Umkreis lag keine andere Stadt. Zoe hätte nur versuchen können, durch die Wüste nach Barstow zu gelangen. Doch abgesehen davon, dass sie nicht einmal eine Taschenlampe hatte, fehlte ihr der Orientierungssinn. Das Risiko, sich zu verirren, konnte sie nicht eingehen.

Sie rappelte sich auf und lief weiter. Dabei verfluchte sie sich, weil sie weder Toms Waffe noch sein Messer an sich genommen hatte. Sollte sie zum Unfallwagen zurückkehren und sie holen? Nein. Jede verlorene Minute konnte Tom das Leben kosten. Aber wenn sie tot war, half sie ihm auch nicht mehr.

Sie zögerte und starrte die Straße hinunter. Der schwarze Ford war nicht zu sehen.

Mutig ging Zoe weiter. Als sie nach einer Weile aus der Ferne ein Brummen hörte und der schwarze Wagen mit abgeblendeten Scheinwerfern auf sie zugerast kam, warf sie sich hinter das Gestrüpp am Straßenrand. Der Ford schoss an ihr vorbei und verschwand in der Dunkelheit.

„Mieses Schwein!“, schrie Zoe ihm hinterher und schluchzte laut auf. Nahm denn der Horror in ihrem Leben gar kein Ende?

Trotz großer Schmerzen begann sie, nach Barstow zu laufen.

Wieder kam ihr ein Auto entgegen.

Zoe wollte sich gerade in den Graben werfen und sich verstecken, als ihr bewusst wurde, dass die Scheinwerfer eingeschaltet waren. Im nächsten Moment erkannte sie, dass es sich um einen Chevrolet-Truck handelte.

„Oh Gott, danke!“, stieß sie hervor und lief auf das Fahrzeug zu. „Hilfe! Ich brauche dringend Hilfe! Mein Freund und ich hatten einen Unfall!“

In der nächsten Sekunde sah Zoe, wer hinter dem Steuer saß. Wie angewurzelt blieb sie stehen.

Es war David.

Zoe drehte sich auf dem Absatz um und wollte zurück zur Unfallstelle laufen. Das durfte nicht wahr sein! Tom hatte recht gehabt, und sie hatte ihm nicht geglaubt. David steckte hinter den Stalkerangriffen. Und jetzt wollte er sie überfahren! Bestimmt hatte er den Wagen gestohlen. Und sobald er sie überfahren hätte, wollte er Fahrerflucht begehen – und die Versicherungssumme kassieren.

David begann, wild zu hupen. Er blendete die Scheinwerfer auf.

Zoe hielt auf die Böschung zu. Da ertönte ein dumpfer Knall. Glas splitterte. Sie drehte sich um und sah erschrocken, dass der Truck schlingerte.

Dann hielt er geradewegs auf sie zu. Die Frontscheibe war zerborsten. Zoe starrte direkt in Davids weit aufgerissene Augen. Schnell sprang sie zur Seite. Das Fahrzeug verfehlte sie um Zentimeter und krachte in den Graben. Zoe musste mit ansehen, wie David mit dem Kopf auf dem Lenkrad aufschlug und darüber gebeugt liegen blieb.

Sie wartete darauf, dass er sich bewegte. Nichts geschah. War er bewusstlos? Tot? Was, wenn er ihr nur etwas vorspielte?

Es ging nicht anders. Sie brauchte dieses verdammte Auto, um nach Barstow zu fahren und Hilfe zu holen.

Sie sah sich den Truck an. Keiner der Reifen war geplatzt. Seltsam, dachte Zoe, wieso ist David verunglückt? Sicherheitshalber hob sie vom Straßenrand einen Stein auf, den sie notfalls als Waffe benutzen konnte. Dann schlich sie zur Fahrertür. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, hob Zoe den Stein. Aber David hing leblos über dem Steuer.

Zoe zerrte ihn vom Sitz, und er sank auf die Straße. Erst jetzt sah Zoe, dass sich sein Hemd dunkelrot verfärbt hatte. Ein rundes Loch klaffte in seiner Brust. Sie betrachtete es genauer: eine Schusswunde!

Verdammt! Was war hier los?

Hastig stieg sie in den Truck und drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang zum Glück sofort an. Zoe gab langsam Gas, um den Chevy aus dem Graben zu fahren. Der Wagen rollte ein-, zweimal zurück. Sie betete, dass er nicht stecken blieb, und gab etwas mehr Gas. Der Truck machte einen Satz und stand auf der Straße. Sie wendete, um in die Stadt zu fahren.

Ein dunkler Ford kam ihr entgegen.

Geschockt fuhr sie weiter. Vielleicht war es nicht derselbe Wagen, der auf sie zugerast war. Im Dunkeln und vor lauter Angst hatte sie zwar die Automarke, aber weder das Modell noch das Kennzeichen erkannt. Dieses Fahrzeug fuhr in normalem Tempo, die Scheinwerfer leuchteten hell, und Musik drang schwach durch die geschlossenen Fenster.

Der Fahrer hielt und stieg aus.

„Jason!“ Zoe bremste, stieß die Fahrertür auf und sprang aus dem Chevrolet. „Bin ich froh, dich zu sehen! Ich dachte schon … Äh, das ist aber nicht dein Auto, oder? Egal, ich brauche dringend deine Hilfe! Tom und ich hatten einen Unfall …“

„Langsam! Ich versteh dich ja gar nicht.“ Beruhigend legte er ihr die Hand auf die Schulter. „Was machst du mitten in der Nacht hier? Und wie siehst du aus? Bist du verletzt? Ist der Typ da nicht dein Boss?“

Er kniete sich neben David und fühlte dessen Puls. „Er ist tot. Scheiße! Was ist passiert?“

„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Zoe leise. „Angeblich haben sie den Stalker verhaftet. Aber ich glaube, das stimmt nicht. Ich bin sicher, dass er mir hierher gefolgt ist. Tom hat David verdächtigt, den Kerl angeheuert zu haben. Aber jetzt ist David tot … Ich drehe bald durch! Du musst mir helfen! Der Reifen von unserem Mietwagen ist geplatzt. Wir sind eine Böschung runter … Tom liegt schwer verletzt im Wagen.“

„Ich rufe Notarzt und Polizei.“ Jason zog sein Handy aus der Hosentasche. „Steig ein! Wir fahren zur Unfallstelle. Vielleicht können wir Tom helfen.“

„Dich schickt wirklich der Himmel!“ Dankbar darüber, endlich Hilfe gefunden zu haben, stieg Zoe in den Ford.

Jason telefonierte. Dann packte er David unter den Schultern und zog ihn ins Gebüsch. „Wir können ihn nicht auf der Straße liegen lassen. Wir holen ihn später ab“, meinte er, als er auf den Fahrersitz rutschte.

„Ich bin noch nicht allzu weit gekommen. Der Unfallort ist auf der rechten Seite. Du erkennst die Stelle an dem niedergedrückten Gestrüpp.“

„Alles klar.“ Jason gab Gas. „Ich hab gesagt, dass ich ein Warndreieck auf die Straße stelle, damit sie den Unfallort finden. Das wird schon alles wieder!“

„Hoffentlich.“

Zoe lehnte sich zurück und spürte wieder, wie sehr ihr der Kopf und die Beine wehtaten. „Seit wann fährst du denn einen Ford? Du hattest doch diesen tollen Oldtimer“, sagte sie und rang nervös ihre Hände.

Sie hatte solche Angst, Tom nicht mehr lebend vorzufinden.

„Das ist nicht mein Auto. Es gehört Megan. Sie und Cassidy haben sich im letzten Monat jeder einen Ford gekauft.“

„Cassidy fährt jetzt einen Ford?“ Zoe horchte auf. Ihr kam ein irrsinniger Gedanke … Cassidy wusste, dass sie heute Nacht ankommen sollte. Sie hatte ihm eine SMS geschickt und ihn um ein Treffen gebeten. Konnte er wütend genug auf sie sein, um … Nein! Er war aufbrausend, aber er würde sie nicht umbringen wollen. Oder?

Aber wer hatte auf David geschossen? Cassidy war dazu ausgebildet, Waffen zu benutzen … „Welche Farbe hat Cassidys Ford?“, hakte sie nach.

„Anthrazit, fast schwarz. Seiner und Megans Ford waren Schnäppchenangebote bei einem Gebrauchtwagenhändler. Ich habe mir ihren Wagen für eine Spritztour geliehen. Ein echter Zufall, dass ich ausgerechnet diese Strecke gefahren bin. Den Oldtimer habe ich verkauft.“

Er zuckte die Schultern. „Ich brauchte dringend Geld.“

„Läuft denn das Geschäft mit den Hochzeitsfotos nicht mehr so gut?“

„Doch. Das ist es nicht. Ich gebe zu viel aus.“

„Stopp! Hier sind wir den Hang runter!“ Zoe gestikulierte wild.

Jason trat auf die Bremse. Der Ford blieb stehen.

Ohne zu zögern, sprang Zoe aus dem Wagen und hastete rutschend und schliddernd die Böschung hinab.

„Beeil dich!“, rief sie Jason zu.

„Ich komme sofort! Ich stell das Warndreieck auf und hol noch eine Taschenlampe.“

Zoe erreichte den Unglückswagen und beugte sich auf der Fahrerseite hinein. „Tom?!“

Er lag noch in derselben Position da, in der sie ihn zuletzt gesehen hatte.

Er darf nicht tot sein! Lass ihn nicht sterben!, betete sie.

Sie blickte sich um und sah ein flackerndes Licht, das sich ihr näherte. „Hierhin, Jason!“

Zoe wandte sich wieder Tom zu und berührte zärtlich seine Wange. „Wach auf! Bitte!“ Sie glaubte, ein Zucken seines Mundes zu sehen. „Tom?“

Sie robbte so weit wie möglich in den Wagen und schob vorsichtig Toms Hosenbein hoch. Das Messer steckte noch in dem Halfter.

Sie erreichte den Verschluss gerade so mit ihren Fingern, öffnete ihn und zog das Messer heraus. Langsam bewegte Zoe sich zurück, richtete sich auf und stieß das Messer in den Schlitz zwischen Türrahmen und eingedellter Wagentür. Vielleicht gelang es ihr, das Schloss aufzubiegen und die Tür zu öffnen. Dann konnten sie Tom leichter aus dem Wagen befreien.

Als Zoe ein Geräusch hörte, sah sie auf. Das Licht von Jasons Taschenlampe blendete sie. Sie kniff die Augen zusammen und ließ das Messer sinken.

„Lebt er?“ Jason leuchtete in das Wageninnere und beachtete Zoe nicht weiter.

„Ja. Noch. Wie lange braucht der Rettungswagen? Hast du den Notruf noch mal angerufen?“

Jason antwortete nicht. „Geht die Tür auf?“

„Nein. Meinst du, wir sollen Tom durch das Fenster hinausholen? Der Spalt ist sehr schmal, und überall ragt abgebrochenes Metall heraus.“

„Nein. Für das, was ich vorhabe, liegt er perfekt.“ Jason klemmte die Taschenlampe zwischen die Zweige eines Strauchs, sodass das Licht auf Tom fiel.

„Was hast du vor?“, fragte Zoe und blinzelte. Das Licht war so hell, und Jason stand im Dunkeln. Sie konnte ihn kaum erkennen.

Da hörte sie ein metallisches Klicken. Sie sah Jasons Umrisse. Er hielt ein Gewehr in Händen und zielte auf Tom!

„Was …? Wieso …? Nein!“ Geistesgegenwärtig holte Zoe aus und stieß Jason das Messer in den Arm.

Er schrie vor Schmerz auf, riss die Waffe hoch und feuerte in das Dach des Mietwagens.

„Bist du verrückt?“, rief sie. Sie verstand gar nichts mehr. Jason war doch ihr Vertrauter und Freund!

„Verdammt!“, fluchte er. „Du dämliches Miststück!“ Er zog das Messer mit einem Ruck heraus und warf es weit von sich in ein Gebüsch. Die Wunde blutete stark. Doch er ignorierte den Schmerz. Er lud das Gewehr durch und richtete den Lauf auf Zoe. „Dann gehst du eben zuerst. Und dein Typ folgt dir in die Hölle.“

„Jason, was ist mit dir los? Hast du Drogen genommen? Ich verstehe nicht … Gleich kommen Notarzt … Polizei. Leg die Waffe weg!“

„Niemand kommt! Ich habe auf meinen Anrufbeantworter gesprochen.“

„Aber warum? Was habe ich dir ge…tan?“, stammelte Zoe. Sie war so geschockt, dass sie nicht einmal mehr Angst hatte.

„Was du mir getan hast? Das weißt du nicht?“, fuhr Jason sie an. „Du bist ja noch viel dümmer, als ich dachte.“ Seine Augen funkelten vor Zorn. Im Schein der Taschenlampe wirkten seine Gesichtszüge verzerrt. „Ich habe dir zu deiner Karriere verholfen. Und du hast mich in diesem Kaff sitzen lassen! Ich habe dich bei deinem Abschied aus Barstow gebeten, mich nicht zu vergessen. Aber genau das hast du getan. Abgespeist hast du mich und die anderen … mit einer billigen Einladung nach L. A.“ Er spie verächtlich auf den Boden. „Du wusstest, dass mein sehnlichster Wunsch war, Modefotograf zu werden. Und dann sitzt du an der Quelle und rührst keinen Finger. Du hättest mir so leicht einen Job besorgen können … Aber nein! Ich war dein Fußabtreter und darf diese Idioten auf Dorfhochzeiten ablichten!“

„Das stimmt nicht! Du bist mein Freund! Und ich habe versucht, dir einen Job zu besorgen!“

„Du lügst!“

„Nein! Ich habe deine Fotos weitergegeben. Aber …“ Zoe verstummte. Wenn sie ihm die Wahrheit sagte, glaubte er sicher erst recht, dass sie ihn erniedrigen wollte … und wurde bestimmt nur noch wütender.

„Was? Haben dir deine Lügen die Sprache verschlagen?“ Er stieß ihr den Gewehrlauf in den Bauch.

„Ich lüge nicht“, meinte Zoe. Sie war plötzlich ganz ruhig. Und sie wusste eines mit Sicherheit: Egal, was sie sagte oder tat, er würde sie umbringen. „Ich lüge nicht“, wiederholte sie. „Ich habe deine Bilder einem Topfotografen gezeigt und ihn gefragt, ob er einen Assistenten braucht.“

„Und?“ Jason sah sie zweifelnd an. Hoffnung schien in seinen Augen zu schimmern.

„Deine Bilder haben ihm nicht gefallen.“

„Das kann gar nicht sein!“, brüllte er. „Ich habe Talent. Ich bin richtig gut!“

„Das bezweifele ich gar nicht. Aber vielleicht liegt deine Stärke eher in der Alltagsfotografie oder … Naturbilder … Sport.“

„Sag mal, hältst du mich für total dumm? Glaubst du, du kannst mich mit deinem Gerede einlullen? Ich lasse dich nicht laufen. Und deinen Kerl auch nicht.“

Jason trat mit voller Wucht gegen die Wagentür. „Erst machst du mit einem Rockstar rum und jetzt mit diesem Herkules-Verschnitt. Ich hätte niemals gedacht, dass du so eine oberflächliche Schlampe wirst. Was haben die Typen, was ich nicht habe? Für mich hast du dich nie interessiert! Hast du nicht gemerkt, dass ich dich liebe? Dass ich alles für dich getan hätte? Klar, mit Rip Rocket und seinem Jet-Set-Leben kann ich nicht mithalten. Und der Typ in der Karre stinkt bestimmt auch vor Geld.“

„Tut er nicht. Und du weißt genau, dass mir Geld nie viel bedeutet hat. Ich habe nicht gewusst, dass du in mich verliebt bist.“ Immer weiterreden, dachte Zoe. „Vielleicht wären wir unter anderen Umständen und zu einem anderen Zeitpunkt sogar zusammengekommen. Aber es hat sich nicht ergeben. Und ich habe dich immer als meinen Freund geschätzt. Auch jetzt denke ich, dass wir auch immer noch beste Kumpel sein können. Leg das Gewehr weg, Jason! Und wir vergessen, was vorgefallen ist.“

Er sah sie ungläubig an. Für einen Moment ließ er die Waffe sinken. „Das meinst du nicht ernst?“

„Doch. Ich schwöre es dir. Leg die Waffe weg. Wir reden über alles und suchen gemeinsam eine Lösung. Ich kenne genug Leute aus der Modeszene in New York. Vielleicht gibt dir jemand anders einen Job. Möglicherweise nicht als Fotograf, aber …“

„Zu spät“, unterbrach Jason sie und zielte mit dem Gewehr erneut auf sie. „Ich kann keinen neuen Weg mehr beschreiten. Nicht nach dem, was ich getan habe.“

„Das ist doch Quatsch“, entgegnete sie und merkte, dass sie leicht zu zittern begann. „Ich sage niemandem ein Wort. Ich verspreche es.“

„Sogar wenn du dein Versprechen halten würdest – was ich bezweifle –, gibt es für mich kein Zurück.“ Er stützte das Gewehr auf seine Hüfte und griff mit der linken Hand in seine Hosentasche. Nachdem er einen Gegenstand herausgezogen hatte, hielt er ihn in das Licht der Taschenlampe.

Es war ihr Sternenkettchen.

Zoe fehlten die Worte. Ihre Gedanken rasten. Doch es gelang ihr nicht, die Puzzlestücke zusammenzufügen. „Du kennst den Stalker? Woher? Hast du ihn angestiftet, mich zu beschatten und zu bestehlen? Und Phoebe? Bist du schuld an ihrem …?“

„Halt die Klappe! Mein Gott, du kapierst auch gar nichts!“, herrschte er sie an. „Der Stalker, der Stalker! Ich kenne den Idioten nicht! Das ist irgendein kranker Spinner. Mit solchen Verlierern würde ich mich nie abgeben!“

Zornig trat er einen Stein aus dem Weg. „Na ja, immerhin hat der Trottel mir einen großen Gefallen getan. Dadurch, dass er dich verfolgt hat, haben du und die Polizei nur auf ihn geachtet. Dabei bin ich der wirklich böse Junge.“

Seine Augen funkelten dunkel. „Ja, da staunst du, was? Mir ist schnell klar geworden, dass ich nur dein Kummerkasten war. Du wolltest deinen Erfolg in New York nicht mit mir teilen.“

Er trat einen Schritt auf sie zu. „Aber das lasse ich mir nicht bieten! Ich habe alles verkauft, was ich besaß. Mein Auto, das von Grandma geerbte Haus … einfach alles, um regelmäßig nach New York reisen zu können und mich an dir zu rächen! Ja, ich habe dich nachts angerufen und beschimpft. Ich habe dir die Droh-SMS geschickt. Ich bin in deine WG eingedrungen und habe mir dieses Souvenir geholt.“ Er hob die Hand und ließ das Kettchen vor ihrer Nase hin und her schwingen. „Ich bin nämlich nicht der Idiot, für den du mich hältst! Ich kann alle Codes und Türschlösser knacken, ohne dass jemand es auch nur bemerkt. Alle! Verstehst du?“

„Ich weiß, dass du intelligent bist.“

„Ach ja? Aber das hast du mir nicht zugetraut! Und es kommt noch besser. Ich war auch in deinem Apartment und habe es verwanzt. Ich habe auch ein paar Sachen umgeräumt. Und ich habe eine Minikamera in deine Stehlampe eingebaut. Ich habe dich gehört und beobachtet und weiß alles über dich. Wann du wo welche Auftritte hast, mit wem du wann wohin fährst … Zu blöd, dass ich dein Handy nicht abhören konnte, sonst hätte dich der Säureanschlag erwischt, und Phoebe hätte nicht sterben müssen.“

„Du Schwein! Du elendes …!“ Zoe ballte die Fäuste. Sie wollte auf ihn losgehen. Doch er drückte den Gewehrlauf in ihren Bauch.

„Tz, tz, tz. Denkst du, du hast gegen mich eine Chance? Du hattest NIE eine Chance!“ Er lachte heiser. „Du hast mich nicht mal im Ballsaal des Broadway-Kinos bemerkt, als ich dir den Champagner kredenzt habe! Du warst auf der Tanzfläche und hattest nur Augen für den da.“ Er trat gegen die Fahrertür der Corvette. „Ein gefälschter Presseausweis und eine gute Perücke bringen einen verdammt weit. Lass dir eins sagen: Es ist ein Zufall, dass du noch lebst.“

Er klopfte gegen das Gewehr. „Ich habe euren Reifen zerschossen. Und ich habe deinen Boss plattgemacht. Dieser arrogante Wichtigtuer! Er ist früher als du und Tom in Los Angeles gelandet. Ich habe auf euch gewartet. Ich wollte sehen, was ihr so treibt. Mir war ja klar, dass ihr zusammenkommt. So wie du schon in New York mit ihm geflirtet hast. Eigentlich wollte ich euch auf dem Parkplatz des ‚Beachcombers‘ töten, aber ich hätte nicht unerkannt entkommen können. Es haben zu viele Leute in dem Laden gesessen.“

„Ich habe gewusst, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber dass du uns die ganze Zeit …!“

„Tja. Heute Morgen bin ich nach Barstow vorgefahren. Ich war mir nicht sicher, ob dein Boss zufällig in L. A. einem Job nachging oder dich sprechen wollte. Also habe ich überprüft, ob er sich hier ein Hotelzimmer gemietet hat. Und tatsächlich, im ‚White Creek‘ hatte er reserviert.“

Er verzog den Mund zu einem wilden Lächeln. „Ich wusste, dass ihr Stress habt. Aber ich dachte nicht, dass er herkommt. Ich habe noch überlegt, ob ich ihm die Morde an dir und Tom in die Schuhe schieben soll. Dann habe ich mich dagegen entschieden und habe am Highway auf euch gewartet. Dass du den Unfall überlebst, konnte ich ja nicht ahnen … Tja, und als dein Boss mir entgegengekommen ist, habe ich schnell gehandelt. Bevor er die Polizei rufen konnte, habe ich ihn abgeknallt.“

Er sprach immer ruhiger. „Und jetzt werde ich euch töten. Für die Taten in New York muss der Stalker herhalten, hier werden die Spuren zu Megan und Cassidy führen. Die beiden sind seit neuestem übrigens ein Paar und hassen dich sowieso. Schon bald wird es heißen: Junges Paar rächt sich brutal an der einstigen Freundin. Optimal! Und dann bin ich über alle Berge.“

„Du … du … Psychopath!“

„Danke für das Kompliment!“ Jason lachte. „Und nun auf Wiedersehen, teure Freundin.“ Er krümmte den Finger um den Abzug des Gewehres.

Da traf ihn ein Faustschlag gegen die Schläfe. Tom war vom Fahrersitz hochgeschossen und hatte Jason niedergestreckt. Bewegungslos lag Jason im Sand. So schnell sie konnte, stürzte sich Zoe auf ihn, um ihm das Gewehr zu entreißen. Tom drängte sich währenddessen mühsam durch das Seitenfenster.

Zoe zerrte an der Waffe. Doch Jason hielt sie fest umklammert. Tom hatte ihn hart getroffen, aber er war nur benommen. Jason gelang es, Zoe das Gewehr blitzschnell zu entwenden und abzudrücken. Der Schuss sauste haarscharf an ihrem Kopf vorbei. Ein zweiter Schuss zerriss die Luft …

Und Jason sank zusammen.

Zoe schrie und drehte sich um. Tom kniete auf dem Boden und hielt seine Pistole in der Hand. Er lächelte Zoe schwach an, fiel nach vorn und rührte sich nicht mehr.