Kapitel 3

Fachkommissariat Aurich, Ostfriesland

Marga wickelte sich fest in ihre Jacke. Es war saukalt, sie hätte eine Mütze vertragen können. Mit großen Schritten betrat sie das Gebäude, grüßte rechts und links und nahm die Treppe in den zweiten Stock. Ihr Kollege Johann war schon da, seine knautschige Lederjacke hing über seinem Schreibtischstuhl. Montags kam Johann gerne früh, holte sich Kaffee und die Neuigkeiten des Wochenendes brühwarm bei den Kollegen ab. Der Raum war hell mit mehreren Fenstern. Zwei Schreibtische, eine Ostfrieslandkarte an der Wand, ein Wimpel der Polizei Niedersachsen auf Johanns Schreibtisch, ein Foto seiner Enkelkinder. Margas Schreibtisch war aufgeräumt. Außer dem PC, ein paar Meldungen vom Wochenenddienst und dem hellbraunen Kringel eines Kaffeebechers gab es nichts zu sehen. Bei Johann stapelten sich die Akten zu einem schiefen Turm. Da wurde schließlich gearbeitet, verteidigte er sein Chaos. Eine frische Tageszeitung, ein angetrunkenes Glas Wasser. Das Schmerzmittel hatte Johann wieder eingesteckt, doch der kleine Fetzen Silberpapier verriet Marga, dass er es genommen hatte. Marga reagierte von Haus aus allergisch auf Tabletten. Ihre Mutter hatte Pillen geknuspert wie Smarties, angeblich gegen Schmerzen. Tat sie es eigentlich noch? Sie sahen sich selten, seit Marga auf dem Festland wohnte. Obwohl das Telefon natürlich schon erfunden war. Aber ihre Schwester Beate hatte schon immer einen besseren Draht zur Mutter gehabt. Der Duft von frischem Kaffee wehte durch die Luft, und sie hörte Johanns leicht hinkenden Gang; da halfen auch keine Luftpolstersohlen an den Schuhen, auf die er so schwor. Der Kerl hatte ernste Probleme mit seinem Knie.

»Moin, mien Wicht!« Eine lautstarke Begrüßung und ein Pott Kaffee, nur mit Milch, so wie Marga ihn immer trank, wurde ihr von seiner Pranke gereicht. Wenn Johann vor dem Fenster stand, wurde es dunkel. Marga mochte Johann. Er erinnerte sie irgendwie an Ludger. Bullig, gutmütig und mit sandfarbenem Haar. Nur, Ludgers waren dichter und die Haut schimmerte nicht durch. ›Drittes Knie‹ nannte Johann seine Halbglatze, und Marga verkniff sich einen Spruch. Er hatte eben auch große Knie. Dankbar nahm Marga den Kaffee an und spürte, wie sich ihre Stirn glättete. »Moin, Joki. Wochenende gut überstanden?«

»Alles bestens. Wir haben Samstagabend gegrillt. So ’n lecker Stück Grillfleisch nach dem Winter ist doch was Feines.« Johann grinste über beide Ohren und ließ sich steifbeinig in den Stuhl fallen.

Noch eine Übereinstimmung mit Ludger. Beide brauchten Fleisch, sonst wurden sie nicht satt. Marga nahm einen Schluck und griff sich die Meldungen. »Was Besonderes dabei?« Sie ging die Blätter durch. »Schlägereien in der Innenstadt, Sachbeschädigung, mehrere Widerstandsdelikte. Das Übliche nach dem Wochenende. Noch eine Sachbeschädigung durch Inbrandsetzung und eine Vermisstenmeldung aus Pewsum.«

Johann rieb sich die Bartstoppeln gegen den Strich, dass es schubberte. »Hariasses. Dass die nicht ohne Klopperei saufen können.«

Marga setzte sich halb auf ihren Schreibtisch und nahm einen Zettel genau unter die Lupe. »Bei der vermissten Person handelt es sich um eine 82-jährige Frau aus Pewsum. Ist gestern Nachmittag aus dem Garten ihrer Pflegeeinrichtung verschwunden.«

»Nicht gut«, Joki schüttelte den Kopf, »heute Nacht hat es in Oldersum noch gefroren. Hoffentlich hatte die ’ne dicke Jacke dabei.«

»Sitzt im Rollstuhl und ist dement, die Dame. Die Kollegen in Pewsum haben mit einem Trupp der freiwilligen Feuerwehr den ganzen Ort auf den Kopf gestellt, bis in die Nacht hinein. So weit kann die mit ihrem Rolli doch nicht gekommen sein.« Margas Stirn bekam wieder ein Gewinde.