Sechstes Kapitel
Eathscott hatte Garling nie persönlich kennengelernt, doch er wusste einiges vom Hörensagen über ihn. Er koordinierte die Dienste in den heiklen Aufgaben, die ihnen die Zusammenarbeit mit ihren westlichen Freunden und Verbündeten bescherte:
Fingerspitzengefühl vor allem, Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten waren dabei gefragt. Kleinliche Lamentos wegen mangelnder Informationsbereitschaft mußte er über sich ergehen lassen; Gerangele wegen Zuständigkeiten; misstrauische Anwandlungen und Zweifel an der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Seite.
Jedenfalls war das Garlings offizielle Aufgabe.
Inoffiziell lag der Fall etwas anders. Geradezu entgegengesetzt. Wenn auch nicht, was die heikle Arbeit und das Fingerspitzengefühl anbelangte …
Eathscott lieferte seine Berichte auf dem normalen Dienstweg ab. Von dort gingen sie verschlungene und für ihn undurchschaubare Wege. Die Antwort, wenn sie denn kam, verwarf meist irgendein Konzept, sie war niemals Lob oder Tadel. Tadel, das hatte Eathscott inzwischen herausgefunden, war vollständig ersetzt durch Ablösung, sozusagen stellvertretend und ohne Zwischenstufen.
Er sah keine Möglichkeit der Rechtfertigung. Sicher gab Garling dabei nur das Risiko seines eigenen Schleudersitzes weiter.
Dass jetzt er zu ihm gerufen wurde und nicht sein älterer Kollege Whyler, deutete auf Whylers Degradierung. Offenbar hatte man seine Fehleinschätzung des Falles in London mit wenig Begeisterung aufgenommen. Er bedauerte das, ja, es war ihm sogar peinlich.
Als er, den Mantelkragen hochgeschlagen, gegen den eiskalten, von Abgasen geschwängerten Londoner Wind anrannte, wünschte er sich einen Moment lang in ihr geheimes Quartier an die in diesen Tagen mildere schottische Küste zurück. Selbst um den Preis, es Whyler bei einem ihrer gewohnten Spaziergänge über der Steilküste so schonend wie möglich beibringen zu müssen: dass er verloren hatte.
Keine leichte Aufgabe, sagte er sich immer wieder, während er zweimal das Taxi wechselte, wie es die Vorschrift verlangte, und das letzte Stück zu Garlings Haus zu Fuß ging. Aber sicher hatte man richtig entschieden.
Die Adresse war einer jener alten grauen Kästen mit Milchglasscheiben, in denen ein argloser Besucher am ehesten Anwälte oder Ärzte vermutet hätte. Und tatsächlich besagte das Messingschild neben dem Eingang, dass hier einmal Anwälte praktiziert hatten. Jetzt war es mit zwei roten Klebestreifen außer Kraft gesetzt. Die neue Adresse stand auf einem Pappschild darunter.
Er streifte die Schuhsohlen am Rost ab, um das Wasser der Eispfützen auf dem Gehsteig loszuwerden, und läutete. Eine verhärmte Frau öffnete, wohl die Hausverwalterin. Seltsamerweise griff sie sich an das hochgeschlossene Kleid bei seinem Anblick. «Eathscott ...?», fragte er vorgebeugt, als sei er sich seiner selbst nicht sicher. «Darf ich eintreten?»
Sie schüttelte abweisend den Kopf. Einen Augenblick – ehe sie zu sprechen begann – fühlte er sich als Hausierer oder ungebetener Gast. Doch dann verstand er, dass es nur eine weitere Vorsichtsmaßnahme war. «Nicht hier. Dies ist die Adresse.» Sie streckte einen Zettel durch den Türspalt. «Er erwartet sie dort.»
Eathscott wollte fragen, ob «er» auch wirklich Philip Garling war, der Mann mit den Sonderaufgaben, von dem es keine Fotos gab. Doch wenn man seine Ankunft so gründlich vorbereitet hatte, erübrigte sich das. Außerdem hatte sich die Tür längst wieder geschlossen.
Westminster Abbey, St. George‘s Chapel, 17 Uhr
stand in sauberer Schrägschrift auf dem Zettel. Warum in aller Welt in der Kirche? dachte er. Dazu auch noch eine, die so von Touristen heimgesucht wurde. Gab es keine unauffälligeren Treffpunkte?
Nun gut, Garling würde wissen, was er tat. Seine Geheimniskrämerei bewies, dass man dem Ganzen noch mehr Bedeutung beimaß, als er geglaubt hatte.
Man konnte es auch als Hinweis darauf ansehen, dass Garling ebenso wie die Amerikaner eine härtere Gangart bevorzugte und Karga lieber aus der Welt geschafft hätte. Obwohl niemand es offen aussprach.
Natorp war ein Risiko, aber ein kontrollierbares. Karga würde in ihren Augen immer ein unkontrollierbares Risiko darstellen – jemand, der sich plötzlich seiner Vergangenheit erinnerte, weil ihm das Essen auf Hannibal Island nicht schmeckte oder weil ihm die Gesichter seiner internierten Kollegen missfielen.
Oder weil er plötzlich den paradoxen Wunsch verspürte, ins offene Meer hinauszuschwimmen …
Eathscott lächelte versonnen bei dem Gedanken.
Garling brauchte sich keine Sorgen zu machen. Wenn er ihm an Stelle von Whyler den Fall überließ, würde er Mittel und Wege finden, alles zu ihren Gunsten zu wenden. Diese Auffassung hatte er auch in seinem Bericht für Garling vertreten. Er war jung und voller Tatkraft. Er scheute nicht das Risiko.
Gewissermaßen als Zugabe, um seine eigene Befähigung und Vorsicht vor unsichtbaren Beschattern unter Beweis zu stellen, wechselte er bis Westminster Abbey noch zweimal das Taxi. St. George‘s Chapel, auch «Warriors‘ Chapel» genannt, weil dort der Gefallenen der beiden Weltkriege gedacht wurde, lag in der rechten vorderen Ecke des Kirchenraumes.
Es war zwei Minuten nach siebzehn Uhr, als er die Kirche betrat. Noch eine Stunde, bis die Tore geschlossen wurden, also genügend Zeit. Garling hatte an alles gedacht. Eathscott nahm an, dass er sein Aussehen von irgendeinem Foto kannte, andernfalls würden sie sich nämlich verpassen.
Es herrschte das übliche Kommen und Gehen. Keine Ruhe zur Andacht. Kinder rissen an den Kapellengittern. An Poets‘ Corner im südlichen Querschiffumringte eine Schulklasse das Denkmal Shakespeares und ließ sich mit einem Blitzlichtgewitter ablichten.
Eathscott schlenderte wie ein Besucher von der linken zur rechten Ecke. Er mochte den Kirchenraum nicht. Diese Mischung aus drei Epochen englischer Gotik – Early English, Decorated und Perpendicular – strahlte ihm zuviel Künstlichkeit und aufgeblasene Feierlichkeit aus.
An der Kriegerecke hielt er inne und blickte sich unauffällig um. Nichts. Dass Garling sich verspätet haben könnte, erschien ihm unwahrscheinlich. Es war zehn nach fünf.
Trotzdem wartete er eine Weile: den linken Arm waagerecht vor dem Brustansatz, den rechten Ellenbogen darauf gestützt und seine Hand das Kinn umspannend wie ein Besucher, der in den Anblick der Inschriften versunken war.
In den Betbänken des eigentlichen Kirchenraumes saßen oder standen nur wenige Besucher. Das Gros der Touristen bewegte sich auf den Gängen.
Einer der Anwesenden ganz hinten in seiner Nähe, ein weißhaariger kleiner Mann mit schwarzumrandeter Brille, hielt die Hände nicht betend, aber andächtig übereinandergeschlagen und betrachtete ihn stehend. Als er seinen Blick bemerkte, wandte er sich wieder dem Altarraum zu. Das konnte unmöglich Philip Garling sein. Er trug eine amerikanische Uniform; hoher Rang, wie er auf diese Entfernung ehrfürchtig erkannte. Drei-Sterne-General.
Eathscott verharrte regungslos, wie im Gebet versunken. Entweder war es ein Zufall, oder dieser Mann dort sollte mit ihm Kontakt aufnehmen. Das war seine Sache. Er würde jetzt weder diskret noch mit ausgestreckten Armen auf ihn zugehen, sondern ihn einfach ignorieren.
Man wollte etwas von ihm. Also sollte man sich auch herbemühen. Auf dem Zettel hatte St. George‘s Chapel und nicht «Innenraum» gestanden. Nach fünfzehn Minuten verließ er die Kirche unverrichteter Dinge.
Er war etwa hundert Meter in der von parkenden Wagen gesäumten Nebenstraße gegangen, als hinter ihm die Stimme eines Mannes ertönte.
Sie war so leise, dass ihn ein unbestimmtes Gefühl veranlasste, in Richtung des Themseufers weiterzugehen, noch ehe er die Worte verstanden hatte. Der andere war hochaufgeschossen, Typ des amerikanischen Touristen. Er überholte ihn, ging bis zur Kreuzung und faltete einen Londoner Stadtplan auseinander.
Als Eathscott heran war, sagte er mit immer noch gedämpfter Stimme und einem prüfenden Blick über die parkenden Wagen hinweg wie ein Tourist, der sich nach dem Weg erkundigte:
«Garling erwartet Sie drüben im Haus Nummer acht. An der Hofseite. Gehen Sie über die Straße und durch die Toreinfahrt. Zweite Tür links, erster Stock.»
Eathscott nickte und erklärte ihm lautstark, dass Tate Gailery ein gutes Stück weiter südlich sei. «Ja, bis achtzehn Uhr geöffnet, Eintritt frei», wenn er sich recht erinnere.
Der Hausflur glich einem beleuchteten Sarkophag – so widersinnig Licht in der ewigen Todesnacht auch war; oder einer Grabkammer in der Form eines Sarkophags. Ein Gebäude, das einmal ein Museum oder ähnliches beherbergt haben mußte.
Die oberen Teile der Wände waren angeschrägt, die Deckenmitte bildete ein eingelassenes Gewölbe. Paarweise kleine Strahler mit weit vorstehenden Eisenarmen beleuchteten den Marmor. Am Gangende, wo die Treppe begann, standen Glastheken auf weißlackierten Holzbeinen.
Es bestätigte seinen Eindruck, dass es sich um ein leerstehendes Museum handelte. Er stieg die Treppe hinauf und klopfte an der beschriebenen Seite. Ein Türdrücker ertönte, und auf sein leichtes Schieben sprang die Tür nach innen.
«Keine Sorge, ich bin‘s – Garling», sagte eine tiefklingende Stimme, als Eathscott zögernd ins Zimmer blickte.
Es war ein heller Raum mit kahlen Wänden und ohne größeres Mobiliar. Auf der Kante des Holztisches in der Mitte saß ein weich und gestaltlos wirkender Mann mittleren Alters, das rechte Bein übers Knie gelegt, und nickte ihm wohlwollend zu. Neben ihm stand eine Gegensprechanlage. «Da ist der Stuhl. Nehmen Sie Platz.»
Er fuhr sich durch das schüttere rötliche Haar. Seine fließenden Wangen und fleischig wirkenden Hände waren über und über mit Sommersprossen bedeckt und verliehen ihm etwas von einer gefleckten Füllmasse, die in alle Ritzen sickern und sich dem Erdboden angleichen würde, sobald man sie freigab.
«Danke, Sir.»
Eathscott betrachtete etwas zu lange und zu starr das kleine Doppelkinn des anderen und sah dann verlegen auf seine Hände, als er sich ertappt fühlte. Er hatte sich eine markantere Erscheinung vorgestellt. Nicht unbedingt von der Statur eines Berufsoffiziers, der schon durch sein Aussehen Respekt abverlangte – aber auch nicht diesen quallen- oder gallertartigen Knaben da.
«Entschuldigen Sie das Theater wegen der Kontaktaufnahme. Unsere amerikanischen Freunde sind skeptisch geworden, was unsere Geschicklichkeit anbelangt. Jetzt keine Fehler mehr. Das lässt sie zu Übertreibungen neigen, zugegeben. Dieser Deutsche – Karga, ist offensichtlich doch kein Überläufer, sonst hätte er sich nicht in Ungarn abgesetzt. Wir hatten Whylers Durchblick wohl überschätzt.»
Er machte eine erwartungsvolle Pause. Dann fuhr er fort:
«Man wollte sehen, wie Sie sich in der Kirche verhalten würden, wenn Probleme auftraten und statt meiner ein amerikanischer General an der Betbank stand. Unser Geschäft ist heikel, und die Gegenseite ist zur Zeit ungewöhnlich aktiv. Keine Probleme – mein Kompliment.»
«War das alles?», fragte Eathscott skeptisch. «Der alleinige Grund, meine ich?»
«Nein.» Garling lächelte zufrieden, als sei er auf diese Frage vorbereitet gewesen. «Sie haben recht. Unser amerikanischer Freund in Westminster Abbey wollte sich persönlich ein Bild von Ihnen machen. Whyler war ein grober Fehler, man will keinen zweiten. Wir alle wissen, dass Personalakten oft weniger aussagen als Reaktionen und Gebärden. Sie haben Ihr Pflichtpensum erfüllt, Eathscott – und Ihre Personalakte ist ohne Tadel.»
In der Sprechanlage knackte es leise.
Eathscott ließ seinen Blick nachdenklich durch den Raum wandern. Es gab noch eine zweite weißlackierte Tür wie die zum Flur. Ebenfalls mit Knauf statt Klinke.
«Wer ist nebenan im Zimmer?», fragte er. «Wer hört unserem Gespräch zu? Der Amerikaner?»
Garling rieb seine Sommersprossen mit dem Handballen und schüttelte unwillig den Kopf. «Nein, wie kommen Sie darauf?»
«Ich bin sicher, da ist jemand.»
«Schon möglich, ja. Fragen Sie mich nicht nach seinem Namen. Fragen Sie mich überhaupt nie nach Namen. Reden wir lieber von Karga … Irgendwelche Neuigkeiten?»
«Der alte Stand. Sein Begleiter ist tot. Es soll im Wagen passiert sein, bei der Flucht. Die Ungarn suchen fieberhaft nach ihm. Seit er mit Holler telefonisch Kontakt aufnahm, befindet er sich bei einer ungarischen Familie in Sicherheit.
Ein deutschstämmiges Lehrerehepaar. Kinderlos, in Pécs, dem früheren Fünfkirchen, Sir. Im Großmährischen Reich als Quinque Ecclesiae bezeichnet.»
Es machte ihm Spaß, mit seiner Bildung zu glänzen, obwohl sie erst einen Tag alt war und aus dem Lexikon stammte.
«Er wartet dort auf seine Ausschleusung und wagt sich keinen Schritt vor die Tür. Aber das dürften Sie alles längst wissen, Sir?»
«Ich denke über diese Ausschleusung nach», bestätigte Garling. «Eine heikle Aufgabe. Glauben Sie, dass Hollers Verbindungsleute das bewerkstelligen können? Die ganze Schwierigkeit besteht doch darin, dass wir nicht mit normalen Kontrollen rechnen dürfen. Man wird Himmel und Hölle an den Grenzen in Bewegung setzen, um seine Rückkehr zu verhindern.
Jetzt, nachdem man ihn schon in den Fingern hatte. Ein unglaublicher Schnitzer, Eathscott! Ich frage mich, wie sie überhaupt das Land verlassen konnten?»
«Die Österreicher, Sir. Sie pochen auf ihre Neutralität und lehnen jede über das übliche Maß hinausgehende Zusammenarbeit ab.»
«Hilfestellung nur, was sich in den Anordnungen der Dienstwege formulieren lässt, ja. Gerade das ist auch unser Problem, Eathscott. Die Henne hat ein Ei gelegt, wir haben das Ei, aber nun schlagen wir uns mit der Henne herum.»
«Das Ei des Kolumbus, Sir.»
«Und wir sind wenig gespannt auf die nächsten Eier, die sie legen könnte. Das alles lässt sich nicht in die üblichen Dienstordnungen pressen.» Er verschränkte seine Arme und sah ihn lange an.
«Habe verstanden, Sir.»
«Ich will damit keineswegs sagen, wir sollten uns aufs Glatteis begeben.»
«Natürlich nicht, Sir.»
«Sie verstehen … Glatteis, Eathscott?»
«Habe verstanden.»
«Also nichts, was uns in irgendwelche Schwierigkeiten bringen könnte.»
«Keine weiteren Fehler, Sir. Und keine unnötigen Risiken», fügte er hinzu.
«Ganz recht, keine Risiken.»
«Und später, auf Hannibal Island?»
«Hier ist der Umschlag mit Informationen. Weitere erhalten Sie über Whorf, seine Adresse finden Sie in den Unterlagen. Ein Spirituosenladen oben an der Küste. Wir müssen den Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich halten.
Sie werden den Fall auch in seinem Endstadium betreuen.
Washington will unsere Federführung – weil wir von Anfang an näher am Ball waren. Man setzt auf uns. Natürlich bekommen Sie Hilfestellung. Aber behandeln Sie alles Wesentliche vertraulich. Und wählen Sie selbst den Zeitpunkt, der Ihnen günstig erscheint.»
«Bestimmte Personen im Auge, Sir?»
«Ich dachte an Gart – und Holler. Beteiligung der Verbündeten. Wir wollen doch nicht das ganze Risiko allein tragen, oder?»
«Kann ich hier und drüben in den Staaten mit Ihrer Rückendeckung rechnen?»
«Sie haben für alles meine Rückendeckung, was sich im Rahmen der britischen und amerikanischen Gesetze bewegt. Lösen Sie Ihre Aufgabe.
Sie wissen, dass wir ein Haufen armer kontrollierter Eunuchen sind – irrer Eunuchen, behaupten unsere Kritiker. Eunuchen, die aus langer klinischer Erfahrung gelernt haben, das zurückzuhalten, was sie denken. Von nicht vorhandenen Organen ganz zu schweigen.
Also führen wir uns Blut aus dem noch weniger verdorbenen Apparat zu, der schlafenden Reserve. Ich glaube, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt? Sie wollen doch nicht, dass uns die Parlamente und die Presse endgültig zu Clowns machen, Eathscott? In unserem letzten Refugium – uns sozusagen mit ihren Kontrollen und journalistischen Psychopharmaka ruhigsteilen?»
«Psychopharmaka im übertragenen Sinne, ich verstehe, Sir.»
«Das will doch niemand.» Garling rutschte mit einer fast wehleidigen Gebärde vom Tisch. «Das kann niemand auf die Dauer wollen
Dieses Land verlangt einfach beides: Sicherheit und saubere Methoden. Aus Unverfrorenheit, da dürfen wir uns nichts vormachen lassen. Es schert sich den Teufel um Widersprüche. Es überlässt es ganz einfach uns, Feuer und Wasser miteinander zu verbinden – den irren Eunuchen», betonte er so nachdrücklich, als bereite ihm der Zustand ein gewisses Vergnügen. «Sollen wir doch die Regeln der Logik außer Kraft setzen. Sie behalten eine weiße Weste. Die Logik der weißen Westen ist es, sich aus allem Dreck herauszuhalten. Aber der Dreck existiert nun mal, Eathscott. Alles ist voll davon – und deshalb sind wir hier.»
«Habe vollkommen verstanden, Sir.»
«Ja, ich hoffe.» Garling ging zum Fenster und sah mit übertriebener Beharrlichkeit hinaus. Außer einer hellgestrichenen Backsteinwand in etwa fünf Metern Entfernung gab es nichts zu entdecken. «Das ist alles», sagte er lapidar, als er sich wieder umwandte.
An der Straßenecke gab Eathscott sich einen Ruck. Was nach seiner Rückkehr kam, gehörte nicht gerade zu seinen starken Seiten. Er würde in ihrem Standquartier an der Küste einige personelle Veränderungen vornehmen müssen. Jene Burschen ablösen, die sich zu sehr auf Whylers Regime eingestellt hatten.
Nur auf Sutter aus der psychologischen Abteilung, der Kargas Persönlichkeitsbild erstellt und um eine interessante Diagnose seiner Schwächen bereichert hatte, konnte er nicht verzichten.
Whyler dagegen war ein alter Mann. Er tat ihm leid. Er zog aus seinen Kriegserfahrungen Schlussfolgerungen, die realitätsblind waren. Seine Geschichte mit dem Heizungskeller: einfach lächerlich. Dieses Opfer, das umsonst gewesen wäre. Man mußte gewisse Opfer bringen. Ein Risiko eingehen.
Natürlich konnte man nicht wissen, wie es ausging, und hinterher war man immer klüger.
Whylers Zurückhaltung, was die härtere Gangart anbelangte, mochte ihren berechtigten Grund auch in der immer noch nicht ausgerotteten Überzeugung draußen im Lande haben, dass sie jener 007-Mentalität des Tötens anhingen, wie sie sich der Mann auf der Straße unter Geheimdiensten vorstellte.
Diese Zeiten, wenn es sie je gegeben hatte, waren im großen und ganzen vorüber. In seiner näheren Umgebung jedenfalls war kein derartiger Fall vorgekommen.
Aber trotz aller Berechtigung, die Vergangenheit zu kritisieren, mußte Whyler doch einsehen, dass es gewisse Ausnahmefälle gab – bei denen man immerhin die Frage stellen durfte, wie sich das Gemeinwohl oder das Wohl der freien Welt zu den Interessen einzelner und zum politischen Gegner verhielt.
Das waren seiner Ansicht nach legitime Fragen, bei allem Verständnis. Wenn die da oben sich für Eunuchen hielten: er hielt sich nicht dafür. Trotzdem war er nicht skrupellos. Aber er würde doch seinen Mann stehen, wenn er mit Entscheidungen konfrontiert wurde. Diese Entschlossenheit hatte er Whyler voraus.
Der Gedanke an seine Entschlossenheit gab ihm Kraft. Die Herren Klugscheißer in ihren Verstecken würden schon aufmerken; vor Drecksarbeit fürchtete er sich nicht.
Hatte Garling nun gemeint, dass er «das Wesentliche» allein erledigte? Oder mit Gart und Holler? Wahrscheinlich allein. Es verringerte das Risiko.
Er würde ihren Mann in Athen darauf ansetzen. Athen – Belgrad – und dann über Ungarn zur österreichischen Grenze. Am besten ein Lastzug – ja, ein verplombter Lastzug, Kühlwagen, zum Beispiel.
Walinghouse sprach perfekt Deutsch. War in Heidelberg groß geworden und besaß jetzt einen falschen deutschen Pass, der auf den Namen Ericks lautete.
Weil Briten, wenn sie nahe der bulgarischen Grenze observierten, immer etwas verdächtiger wirkten als Westdeutsche. Die lange Tradition der Denkgewohnheiten …
Gut gelaunt klopfte Eathscott mit den Fingerknöcheln gegen eine Blechtonne neben dem Taxistand, dann winkte er dem Fahrer.
Whyler hatte einen Fehler gemacht und Karga der Zusammenarbeit mit dem Osten verdächtigt. Seine Ablösung war nur folgerichtig. Er selbst würde irgendwann ebenfalls einen Fehler machen und daraus die Konsequenzen ziehen. Damit mußte man leben.