* Anna

Eine Inspector-Banks-Geschichte

 

* 1

 

»Das gefällt mir ganz und gar nicht, mein Junge«, sagte Dr. Glendenning und schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht.«

  »Hat mir der Superintendent bereits erzählt«, entgegnete Banks. »Um was geht's denn?«

  Sie saßen an einem Tisch mit gehämmerter Kupferplatte im Queen's Arms. Glendenning hatte ein Glas Glenmorangie vor sich, Banks ein Pint Theakston's. Es war Februar, ein bitterkalter Abend. Banks wollte schnell nach Hause, er hatte Sandra versprochen, mit ihr essen zu gehen, aber Dr. Glendenning hatte ihn um Hilfe gebeten, und der Pathologe des Innenministeriums war zu wichtig, als dass Banks ihn hätte abwimmeln können.

  »Möchten Sie?« Glendenning bot Banks eine Senior Service an.

  Banks verzog das Gesicht. »Nein, danke. Ich bleibe bei Filter. Will sowieso aufhören.«

  »Ja«, sagte Glendenning und zündete seine Zigarette an. »Ich auch.«

  »Also, was ist los?«

  »Sie hätte nicht sterben dürfen«, sagte der Arzt, »aber das nur am Rande. So was passiert halt.«

  »Wer hätte nicht sterben dürfen?«

  »Ach, Entschuldigung. Hab vergessen, dass Sie's ja noch gar nicht wissen. Anna, Anna Childers heißt die Frau. Sie wurde heute Morgen gebracht.«

  »Gibt es Grund zu der Annahme, dass es ein Verbrechen war?«

  »Nein, nicht auf den ersten Blick. Deshalb wollte ich erst mal einfach nur so drüber sprechen.« Regen prasselte gegen das Fenster. Der Geräuschpegel in der Kneipe stieg und fiel regelmäßig.

  »Was ist denn passiert?«, fragte Banks.

  »Ihr Freund hat die Frau heute Morgen gegen zehn ins Krankenhaus gebracht. Er sagte, sie hätte sich die ganze Nacht übergeben. Sie hätten erst gedacht, es sei eine Magen-Darm-Grippe. Dr. Gibson behandelte die Symptome nach bestem Wissen und Gewissen, aber leider ...« Glendenning zuckte mit den Schultern.

  »Todesursache?«

  »Sie ist erstickt. Ohne ihr Asthma hätte sie vielleicht eine Chance gehabt. Dr. Gibson gelang es immerhin, die Krämpfe unter Kontrolle zu bringen. Aber was die Todesursache angeht - fragen Sie mich nicht! Ich habe noch keine Ahnung. Könnte eine Lebensmittelvergiftung gewesen sein. Oder sie hat etwas geschluckt, ein Selbstmordversuch. Sie wissen doch, wie sehr ich diese Ratespiele verabscheue.« Glendenning schaute auf die Uhr und trank aus. »Ich mache mich jetzt an die Autopsie. Danach müsste ich ein bisschen schlauer sein.«

  »Was soll ich tun?«

  »Sie sind der Ermittler, mein Junge. Ich sage Ihnen doch nicht, wie Sie Ihre Arbeit zu machen haben. Ich sage nur, die Umstände sind verdächtig genug, dass sie mir Sorgen bereiten. Vielleicht könnten Sie mal mit dem Freund reden?«

  Banks zog seinen Block hervor. »Wie heißt er, und wo wohnt er?«

  Glendenning nannte Name und Anschrift und verschwand. Banks seufzte und ging zum Telefon. Sandra würde nicht begeistert sein.

 

 

* 2

 

Banks hielt vor Anna Childers' großer Doppelhaushälfte im Süden von Eastvale, nahe dem großen Kreisverkehr, und stellte die Kassette mit Beethovens Neunter, dirigiert von Furtwängler, ab. Es war die Liveaufnahme aus Bayreuth aus dem Jahr 1951, noch mono, aber großartig. Noch immer regnete es heftig. Banks meinte, Hagelkörner auf seinen Wagen prasseln zu hören, als er mit aufgestelltem Kragen zur Haustür lief.

  Der Mann, der ihm öffnete, sah mitgenommen aus. Unter anderen Umständen war John Billings bestimmt ein gut aussehender, athletischer Typ, der auf dem Tennisplatz zu Hause war, vielleicht auch auf Skipisten, aber jetzt war seine Haut blass von Schlafmangel und Trauer, sein Gesicht aufgequollen. Banks folgte der geknickten Gestalt ins Wohnzimmer. Dort sah es aus wie im Möbelprospekt einer Zeitungsbeilage. Banks setzte sich auf einen damastbezogenen Sessel und fröstelte.

  »Tut mir leid«, murmelte Billings und stellte den Gasofen an. »Ich hab nicht ...«

  »Das kann ich verstehen«, entgegnete Banks, beugte sich vor und rieb sich die Hände.

  »Stimmt irgendwas nicht?«, fragte Billings. »Ich meine, weil Sie von der Polizei sind ...?«

  »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, antwortete Banks. »Ich habe nur ein paar Fragen.«

  »Gut.« Billings ließ sich aufs Sofa fallen und schlug die Beine übereinander. »Natürlich.«

  »Es tut mir leid, was passiert ist«, begann Banks. »Ich würde mir nur gerne eine Vorstellung machen, wie alles genau ablief. Die Ärzte können sich das nicht so recht erklären.«

  Billings schniefte. »Das können Sie wohl laut sagen.«

  »Ab wann fühlte sich Anna krank?«

  »So ab vier Uhr morgens. Sie klagte über Kopfschmerzen, ihr war schwindelig. Den Rest der Nacht lief sie pausenlos zur Toilette. Ich dachte, es wäre ein Virus oder so. Ich meine, man rennt ja nicht sofort wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt, oder?«

  »Aber dann wurde es schlimmer?«

  »Ja. Es hörte einfach nicht auf.« Billings barg das Gesicht in den Händen. Banks hörte das Zischen des Feuers und das Prasseln von Hagelkörnern gegen die Fensterscheibe. Billings holte tief Luft. »Entschuldigung. Irgendwann erbrach sie Blut, zitterte am ganzen Körper und konnte nicht mehr richtig atmen. Dann ... Na ja, das wissen Sie ja.«

  »Wie lange kannten Sie sich?«

  »Wie bitte?«

  Banks wiederholte seine Frage.

  »Schon seit mehreren Jahren. Aber nur beruflich. Anna ist selbstständige Steuerberaterin, und ich habe eine kleine Unternehmensberatungsfirma. Sie hat unsere Bücher geprüft.«

  »Dadurch haben Sie sich kennengelernt?«

  »Ja.«

  Banks sah sich um: Sein Blick fiel auf die Stereoanlage und den gerahmten Van-Gogh-Druck. »Wem gehört das Haus?«

  Falls Billings die Frage überraschte, ließ er sich nichts anmerken. »Anna. Dass ich hier wohne, war nur eine vorübergehende Lösung. Ich hatte auch eine Wohnung, bin aber ausgezogen. Wir wollten heiraten und uns irgendwo im Tal ein Haus kaufen. Vielleicht in Helmthorpe.«

  »Seit wann waren Sie ein Paar?«

  »Seit sechs Monaten.«

  »Und seit wann wohnten Sie zusammen?«

  »Seit drei.«

  »Verstanden Sie sich gut?«

  »Ja, ich sagte doch gerade, wir wollten heiraten.«

  »Sie sagen, Sie hätten Anna seit zwei Jahren gekannt, seien aber erst seit sechs Monaten mit ihr zusammen gewesen. Warum hat das so lange gedauert? Gab es einen anderen?«

  Billings nickte.

  »Bei Ihnen oder bei ihr?«

  »Bei Anna. Bis vor sieben Monaten hat sie noch mit Owen zusammengelebt. Owen Doughton heißt er.«

  »Und dann trennten sie sich?«

  »Ja.«

  »Kam er damit klar?«

  Billings nickte. »Doch. Es ging alles sehr zivilisiert über die Bühne. Die beiden waren ja nicht verheiratet. Anna meinte, sie hätten sich einfach auseinandergelebt. Sie waren gute fünf Jahre zusammen und hatten das Gefühl, keine gemeinsame Zukunft zu haben, deshalb trennten sie sich.«

  »Wie haben Sie den letzten Abend verbracht?«

  »Wir waren essen bei dem Chinesen in der Kendal Road. Sie glauben doch nicht, dass es von da kam?«

  »Das weiß ich nicht. Was haben Sie gegessen?«

  »Das übliche. Frühlingsrolle, Chow mein mit Huhn, Garnelen nach Szechuan-Art. Wir haben uns alles geteilt.«

  »Alles?«

  »Ja, das machen wir immer. Anna isst nicht besonders gern scharf, aber sie probiert ein bisschen, mir zuliebe. Ich bin ganz verrückt nach Curry. Je schärfer, desto besser. Zuerst dachte ich, ihr wäre vielleicht davon schlecht geworden, von diesen Chilischoten, verstehen Sie? Falls es keine Grippe war.«

  »Danach sind Sie sofort nach Hause gegangen?«

  »Nein. Wir haben noch was im Red Lion getrunken. Kurz nach elf waren wir dann wieder hier.«

  »Fühlte Anna sich da schon schlecht?«

  »Nein. Da ging's ihr noch gut.«

  »Was haben Sie zu Hause gemacht?«

  »Nichts Besonderes. Dies und das, dann sind wir ins Bett gegangen.«

  »Das war alles?«

  »Ja. Ich muss zugeben, dass mir nachts selbst ein bisschen schlecht wurde. Ich hatte Kopfschmerzen, und mein Bauch tat weh, aber nach einer Alka-Seltzer war es wieder besser. Ich kann es einfach nicht glauben. Ich stelle mir die ganze Zeit vor, sie kommt gleich ins Zimmer und sagt, es ist nichts passiert.«

  »Hat Anna vor dem Schlafengehen noch etwas getrunken?«, fragte Banks nach einer kurzen Pause. »Ein Glas Horlicks zum Einschlafen oder so was?«

  Billings schüttelte den Kopf. »Sie konnte Horlicks nicht ausstehen. Nein, nach dem Pub haben wir nichts mehr getrunken.«

  Banks erhob sich. Es war jetzt wärmer im Raum, sein fleckiger Regenmantel war bereits ein wenig getrocknet. »Vielen Dank«, sagte er und gab Billings die Hand. »Noch einmal Entschuldigung, dass ich Sie in Ihrer Trauer belästigt habe.«

  Billings zuckte mit den Schultern. »Was glauben Sie, was es war?«

  »Ich weiß es noch nicht. Aber ich muss Sie noch etwas fragen. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel.«

  Billings schaute ihn an. »Bitte!«

  »War Anna vielleicht aus irgendeinem Grund durcheinander? Depressiv?«

  Entschieden schüttelte Billings den Kopf. »Nein, nein. Ganz im Gegenteil. Sie war glücklicher denn je. Hat sie mir jedenfalls gesagt. Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Inspector - der Arzt hat auch schon so eine Andeutung gemacht -, aber das können Sie vergessen. Anna hätte niemals versucht, sich das Leben zu nehmen. So war sie einfach nicht. Sie war voller Energie und Lebenslust.«

  Banks nickte. Hätte er jedes Mal ein Pfund bekommen, wenn er das über einen Selbstmörder hörte, wäre er längst reich. »Schon gut«, sagte er. »Nur der Vollständigkeit halber: Wo wohnt dieser Owen?«

  »Das weiß ich leider nicht. Aber er arbeitet in dem großen Gartencenter an der North Market Street, gegenüber vom Rathaus.«

  »Das kenne ich. Vielen Dank, Mr Billings.«

  Banks schlug den Kragen hoch und lief zum Auto. Der Hagel war wieder in Regen übergegangen. Auf der Fahrt ließ Banks das Gespräch mit John Billings Revue passieren. Die Trauer des Mannes wirkte echt, er hatte kein erkennbares Motiv, Anna Childers etwas anzutun; doch wusste Banks bisher nur das, was ihm erzählt worden war. Dann gab es noch Owen Doughton, den Exfreund, mit dem Anna zusammengelebt hatte. Vielleicht war die Trennung doch nicht so zivilisiert abgelaufen, wie Anna Childers behauptet hatte.

  Als gerade der wunderbare vierte Satz der Symphonie begann, bog Banks in seine Straße ein. Er blieb im Wagen sitzen und lauschte dem prasselnden Regen und der Musik. Als Otto Edelmann mit O Freunde, nicht diese Töne ... einsetzte, stellte er die Kassette ab und ging ins Haus, sonst hätte er sich noch die vollständige Symphonie angehört, und davon wäre Sandra bestimmt nicht begeistert gewesen.

 

 

* 3

 

Früh am nächsten Morgen suchte Banks Owen Doughton im Gartencenter auf, wo er gerade Säcke mit Düngemitteln umpackte. Doughton war ein kleiner, traurig wirkender Mann von Anfang dreißig mit ungepflegtem dunklem Haar und einem herunterhängenden Schnurrbart. Über Nacht hatte es aufgehört zu regnen, nun trieb ein frischer Wind neue Wolken heran. Banks fragte, ob sie im Gebäude reden könnten. Doughton führte ihn in ein kleines, vollgestopftes Büro, in dem es schwach nach Paraffin roch. Doughton setzte sich auf den Schreibtisch, Banks auf den Drehstuhl.

  »Ich habe leider eine schlechte Nachricht für Sie, Mr Doughton«, begann Banks.

  Doughton musterte seine schmutzigen Fingernägel. »Ich hab heute Morgen in der Zeitung von Anna gelesen, wenn Sie das meinen«, sagte er. »Das ist furchtbar, eine schlimme Sache.« Er schob sich eine Locke aus dem rechten Auge.

  »Haben Sie sie in letzter Zeit oft gesehen?«

  »Nein, nicht oft. Seit der Trennung nur noch selten. Hin und wieder haben wir mal zusammen mittaggegessen, wenn wir beide Zeit hatten.«

  »Sie kamen also noch miteinander aus?«

  »Doch. Anna fand, es sei einfach an der Zeit, sich weiterzuentwickeln, wir hätten uns auseinandergelebt. Wir brauchten beide mehr Raum zum Wachsen.«

  »Und, stimmte das?«

  Doughton zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Aber sie bedeutete mir noch was. Nicht dass Sie meinen, Anna wäre mir egal gewesen. Ich kann das einfach nicht glauben.« Zum ersten Mal sah er Banks in die Augen. »Was ist eigentlich los? Warum interessiert sich die Polizei dafür?«

  »Reine Routine«, erwiderte Banks. »Ich nehme nicht an, dass Sie wissen, in welcher Stimmung Anna in letzter Zeit war?«

  »Eher nicht.«

  »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«

  »Vor ein paar Wochen. Sie machte einen guten Eindruck.«

  »Kannten Sie ihren Neuen?«

  Doughton widmete sich wieder seinen Fingernägeln. »Nein. Sie hat mir natürlich von ihm erzählt, aber wir haben uns nicht kennengelernt. Hörte sich an, als sei er nett. Wahrscheinlich passte er besser zu ihr als ich. Ich hab ihr alles erdenklich Gute gewünscht. Sie glauben doch wohl nicht, dass sie es selbst getan hat, oder? Dafür war Anna nicht der Typ. Sie hatte genug, für das zu leben sich lohnte.«

  »Es war wahrscheinlich eine Lebensmittelvergiftung«, erklärte Banks und klappte seinen Block zu, »aber wir müssen alle Eventualitäten in Betracht ziehen. Hat mich jedenfalls gefreut, Sie kennenzulernen. Ich denke nicht, dass ich Sie noch mal belästigen muss.«

  »Kein Problem«, sagte Doughton und stand auf. Banks nickte und ging.

 

 

* 4

 

»Wenn wir uns trennen würden«, überlegte Banks laut bei einem frühen Abendessen im neuen McDonald's, »wärst du dann am Boden zerstört?«

  Sandra kniff ihre strahlend blauen Augen zusammen. Sie bildeten einen starken Gegensatz zu ihren dunklen Augenbrauen und dem blonden Haar. »Willst du mir irgendetwas sagen, Alan? Muss ich irgendetwas wissen?«

  Banks stoppte den Big Mac auf halbem Weg zu seinem Mund und lachte. »Nein, nein, nichts. Ist eine rein theoretische Frage.«

  »Na, Gott sei Dank!« Sandra biss von ihrem McChicken-Sandwich ab und zog ein Gesicht. »Bah! Und dir schmeckt dieser Fraß?«

  Banks nickte. »Doch, manchmal schon. Sehr nahrhaft, das Ganze.« Wie zum Beweis nahm er einen großen Bissen.

  »Tja«, sagte sie, »auf jeden Fall verstehst du es, eine Frau groß auszuführen, das muss man dir lassen. Wovon redest du da überhaupt?«

  »Von Trennungen. Ich hab nur drüber nachgedacht, mehr nicht.«

  »Ich bin schon mein halbes Leben lang mit dir verheiratet«, sagte Sandra. »Zwanzig Jahre. Natürlich wäre ich fertig, wenn wir uns trennen würden.«

  »Und du kannst dir nicht vorstellen, dass wir einfach nur getrennte Wege gehen, uns auseinanderleben, uns mehr Raum geben?«

  »Alan, was ist denn mit dir los? Hast du so ein Selbsthilfebuch gelesen?« Sandra sah sich um, musterte die Plastikeinrichtung. »Ich mache mir langsam Sorgen um dich.«

  »Brauchst du nicht. Ist wirklich ganz einfach. Natürlich kann man zwanzig Jahre nicht mit fünf Jahren vergleichen, aber glaubst du, dass zwei Menschen ihr gemeinsames Leben einfach so auflösen und mit einem neuen Partner weitermachen können, als wäre nichts gewesen?«

  »1967 vielleicht«, gab Sandra zurück. »Vielleicht können das manche auch noch heute, aber ich glaube trotzdem, dass es einen sehr tief verletzt, auch wenn die Leute was anderes behaupten.«

  »Anna hat gesagt, es war kein Problem«, murmelte Banks vor sich hin. »Aber jetzt ist Anna tot.«

  »Ist das diese Ermittlung für Dr. Glendenning, deretwegen du mich gestern Abend versetzt hast?«

  »Ich habe dich nicht versetzt. Ich habe angerufen und abgesagt. Aber du hast recht. Irgendwie lässt mir das keine Ruhe. Irgendetwas stimmt da nicht.«

  »Was meinst du damit? Glaubst du, sie wurde vergiftet oder so?«

  »Das könnte sein, aber ich kann es nicht beweisen. Ich wüsste nicht mal, wie.«

  »Dann irrst du dich ja vielleicht.«

  »Hm.« Banks biss in seinen Big Mac. »Wäre nicht das erste Mal, was?« Er rekapitulierte seine Gespräche mit John Billings und Owen Doughton. Sandra überlegte eine Weile, trank Cola mit dem Strohhalm. Sie aß ihre Pommes, das Sandwich blieb auf dem Tablett liegen.

  »Hört sich an, als ob sie eine energische Frau war, diese Anna. Könnte natürlich sein, dass sie nahtlos von einem zum anderen gewechselt hat, aber ich wette, dass mehr dahintersteckt. Ich würde noch mal mit den beiden reden, wenn ich du wäre.«

  »Hm«, machte Banks. »Dachte mir schon, dass du das sagen würdest. Willst du was Süßes?«

 

 

* 5

 

»Die Untersuchungen werden noch etwas dauern«, sagte Glendenning am Telefon, »aber soweit ich sehen konnte, sind Leber, Nieren, Herz und Lunge stark geschädigt, vom zentralen Nervensystem ganz zu schweigen.«

  »Kann das von einer Lebensmittelvergiftung herrühren?«, fragte Banks.

  »Sieht auf jeden Fall nach einer Vergiftung aus, welcher Art auch immer. Ein gesunder Mensch stirbt normalerweise nicht einfach so. Im Zweifelsfall war es Botulismus«, sagte Glendenning. »Einige Symptome passen auf jeden Fall. Ich sorge dafür, dass das Gesundheitsamt den Chinesen überprüft.«

  »Gibt's noch andere Möglichkeiten?«

  »Viel zu viele«, grummelte Glendenning. »Das ist ja das Problem. Es gibt genug Zeug, das einen so richtig krank macht, wenn man das Pech hat, es zu schlucken: Reinigungsmittel, Pestizide, Chemikalien und so weiter. Deshalb müssen wir die Testergebnisse abwarten.« Mit diesen Worten legte er auf.

  Alter Miesepeter, dachte Banks und musste grinsen.

  Glendenning ließ sich nicht festnageln. Das Problem war nur: Wenn Anna vergiftet worden war - von Owen, John oder einem unbekannten Dritten -, wie hatte derjenige es angestellt? John Billings hätte ihr Essen beim Chinesen oder ihr Getränk im Pub manipulieren können, vielleicht hatte sie auch noch etwas anderes gegessen, von dem er nichts erzählt hatte. Gelegenheit dazu hatte er auf jeden Fall gehabt.

  Aber John Billings war am wenigsten verdächtig: Er hatte Anna geliebt, wollte sie heiraten. Behauptete er jedenfalls. Anna Childers war relativ wohlhabend und karrierebewusst, aber es war unwahrscheinlich, dass Billings finanziell von ihrem Tod profitieren würde oder es überhaupt nötig hatte. Dennoch war es eine Überprüfung wert. Anna war erst dreißig gewesen, aber vielleicht hatte sie schon ein Testament zu seinen Gunsten gemacht. Billings' Firma könnte auch eine genauere Untersuchung vertragen.

  Bei Owen Doughton kam Geld als Motiv nicht in Frage. Glaubte man Annas Worten und Owens Aussage, hatten sie sich einvernehmlich getrennt, hatten weiterkommen wollen im Leben. Auch da konnte es sinnvoll sein, ein paar Freunde und Bekannte zu fragen, ob es Anhaltspunkte gab, daran zu zweifeln. Doughton wirkte freundlich, zurückhaltend, reserviert, aber wer wusste schon, was in seinem Kopf vorging? Banks lief den Gang hinunter, um zu sehen, ob Detective Constable Susan Gay oder Detective Sergeant Philip Richmond ein oder zwei Stunden Zeit hatten.

 

 

* 6

 

Zwei Stunden später saß DC Susan Gay vor Banks' Schreibtisch, strich ihren grauen Rock über dem Schoß glatt und schlug den Block auf. Sie sah wie immer sehr gepflegt aus: kleine blonde Locken, dezentes Make-up, silberne Kreolen, ein schwarzes Oberteil mit Rundhalsausschnitt. Ein schwacher Hauch Miss Dior legte sich über den schalen Zigarettengeruch im Zimmer.

  »Ich hab leider nicht viel«, begann Susan, von ihren Notizen aufblickend. »Soweit ich herausfinden konnte, gibt es kein Testament, aber vor einem Monat hat sie den Begünstigten ihrer Lebensversicherung geändert.«

  »Wen hat sie eingesetzt?«

  »John Billings. Sie hat offenbar keine Verwandten.«

  Banks hob die Augenbrauen. »Und wer war vorher begünstigt?«

  »Owen Doughton.«

  »Das ist seltsam, oder?«, überlegte Banks laut. »Eine Frau, die die Freunde wechselt und die Versicherungen gleich mit ändert?«

  »Na, dem Staat wollte sie das Geld bestimmt nicht schenken«, bemerkte Susan. »Und ihren Ex wollte sie auch nicht unbedingt reicher machen.«

  »Stimmt wahrscheinlich«, sagte Banks. »Oft ist es einfacher, eine Police einfach weiterlaufen zu lassen, als sie aufzulösen und noch mal neu zu beantragen. Und die beiden wollten schließlich heiraten. Aber warum hat sie das so schnell geändert? Über welche Summe läuft die Versicherung?«

  »Fünfzigtausend.«

  Banks pfiff anerkennend.

  »Owen Doughton ist arm wie eine Kirchenmaus«, fuhr Susan fort, »aber er bekommt ja nichts.«

  »Wusste er das? Ich glaube nicht, dass Anna Childers ihm das erzählt hat. Was ist mit Billings?«

  Susan kaute an ihrem Kugelschreiber und zögerte. »Der ist nicht arm«, sagte sie. »In der Welt der Unternehmensberater ist er ein aufsteigender Stern. Man kann schon verstehen, warum eine Frau wie Anna Childers mit ihm zusammen sein wollte.«

  »Warum denn?«

  »Er hat eine große Zukunft vor sich. Viel Geld.«

  »Aha«, machte Banks. »Sie glauben also, Anna hatte es aufsein Geld abgesehen?«

  Susan errötete. »Nicht unbedingt. Sie wusste nur, was gut für sie war, mehr nicht. Aber wie viele Firmengründer hat auch Billings ein kleines Problem mit dem Cashflow.«

  »Hm. Gibt es Gerede über die Trennung?«

  »Nicht viel. Ich habe mit ein paar Stammgästen im Red Lion gesprochen. Anna Childers machte eigentlich immer einen fröhlichen Eindruck, aber sie war auch sehr verschlossen, meinten die Leute, sie ließ niemanden an sich heran.«

  »Was ist mit Doughton?«

  »Scheint nicht viele Freunde gehabt zu haben. Sein Chef meint, er hätte keine Veränderung bemerkt, aber Owen wäre immer schon sehr still und verschlossen gewesen. Tut mir leid. Ist keine große Hilfe.«

  »Macht nichts«, sagte Banks. »Hören Sie, ich habe einiges zu erledigen. Könnten Sie Phil holen?«

 

 

* 7

 

»Wussten Sie, dass Anna eine Lebensversicherung hatte?«, fragte Banks Owen Doughton. Sie standen im kalten Hof, Doughton stapelte Säcke mit Torf.

  Doughton richtete sich auf und rieb sich den Rücken. »Jupp«, sagte er. »Und?«

  »Wussten Sie, über welche Summe?«

  Er schüttelte den Kopf.

  »Schon gut«, sagte Banks. »Hat Anna Ihnen gesagt, dass sie den Begünstigten ausgetauscht hat und Sie nicht mehr drinstehen, sondern John Billings?«

  Mit offenem Mund hielt Doughton inne. »Nein«, sagte er. »Hat sie mir nicht gesagt.«

  »Das heißt, bisher wussten Sie nicht, dass Sie nichts bekommen, sondern John alles erbt?«

  Doughtons Gesicht wurde dunkelrot, dann schaute er zur Seite, und Banks hätte schwören können, dass er ein unterdrücktes Lachen oder einen Schrei hörte. »Das glaube ich nicht«, sagte Doughton und sah Banks wieder an. »Ich kann nicht glauben, was Sie mir da erzählen. Glauben Sie etwa, dass ich Anna getötet habe? Wegen Geld? Das ist doch krank! Bitte, gehen Sie! Ich muss nicht mit Ihnen reden.«

  »Nein, müssen Sie nicht«, gab Banks zurück.

  »Dann verziehen Sie sich! Ich hab zu tun. Aber eines können Sie mir glauben.«

  »Was denn?«

  »Ich habe sie geliebt. Ich habe Anna geliebt.«

 

 

* 8

 

John Billings sah noch elender aus als am Tag zuvor. Seine Augen waren blutunterlaufen, darunter hatte er schwarze Ringe, er war nicht rasiert. Sein Atem roch nach Alkohol. Im Flur stand ein Koffer.

  »Wo wollen Sie denn hin, John?«, fragte Banks.

  »Hier kann ich ja wohl nicht bleiben, oder? Zuerst einmal ist es nicht mein Haus, und dann ... diese Erinnerungen.«

  »Wo wollen Sie hin?«

  Er hob den Koffer an. »Weiß ich noch nicht. Einfach weg.«

  »Das glaube ich nicht.« Vorsichtig nahm Banks ihm den Koffer ab und stellte ihn wieder hin. »Wir sind den Dingen noch nicht ganz auf den Grund gegangen.«

  »Was meinen Sie damit? Reden Sie mal Klartext!«

  »Sie kommen besser mit mir, John.«

  »Wohin?«

  »Zum Revier. Wir unterhalten uns dort.«

  Wütend schaute Billings ihn an, dann gab er nach. »Ach, was soll's«, murmelte er. »Was macht das schon.« Er nahm seinen Mantel vom Ständer und folgte Banks. Dabei merkte er nicht, dass Sergeant Philip Richmond ihnen vom Fenster des Cafes auf der anderen Straßenseite aus zusah.

 

 

* 9

 

Es war nach sieben Uhr. Draußen war es dunkel, kalt und windig. Banks beschloss, im Schlafzimmer zu warten, auf dem Stuhl, der in der Ecke neben Kleiderschrank und Kommode stand. Bei offener Tür konnte er von dort die Treppe im Auge behalten, außerdem hörte er jedes Geräusch im Haus.

  Es war ihm gerade noch gelungen, die Meldung in die Lokalnachrichten um sechs zu bringen. Nur wenige Minuten zuvor hatte Dr. Glendenning ihm die neuesten Erkenntnisse durchgegeben. »Vergiftungsverdacht bei Toter in Eastvale. Polizei steht vor einem Rätsel. Bisher keine Verdächtigen.« Natürlich war es möglich, dass der Mörder die Nachrichten nicht gesehen oder seine Spuren bereits verwischt hatte, aber wenn Anna Childers tatsächlich vergiftet worden war - und davon war Glendenning überzeugt -, dann musste die Antwort im Haus zu finden sein.

  Bei seinem Anruf am späten Nachmittag hatte Glendenning erklärt, angesichts der Reaktionszeiten sei die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, dass sie das Gift vor acht Uhr abends zu sich genommen habe. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits mit John Billings essen.

  Im Haus war es still und dunkel, nur die Uhr auf dem Nachttisch tickte, der Wind rüttelte am Fenster. Acht Uhr. Neun Uhr. Nichts geschah, Banks bekam einen Krampf in der linken Wade. Er massierte sie und stand dann in regelmäßigen Abständen auf, um sich zu strecken. Er dachte an Richmond im Zivilwagen unten auf der Straße. Richmond und er, sie würden jeden fassen, der das Haus betrat.

  Gegen zehn Uhr hörte er schließlich etwas, ein Kratzen am Schloss der Eingangstür. Banks lehnte sich weit zurück und verschmolz mit der Dunkelheit. Er hielt den Atem an. Leise öffnete sich die Tür und wurde wieder geschlossen. Banks sah das Licht einer Taschenlampe im Treppenhaus. Der Eindringling stieg die Stufen hoch. Verdammt! Damit hatte Banks nicht gerechnet. Er hatte gehofft, dass der Täter ihn zum Gift führte, aber nicht, dass er in ihn hineinlief.

  Wie festgewachsen saß Banks auf dem Stuhl. Der Lichtstrahl huschte über die Schwelle des Schlafzimmers, sparte Banks in seiner dunklen Ecke gnädig aus. Die Gestalt zögerte keine Sekunde. Sie ging um das Bett herum, nur wenige Zentimeter von Banks' Füßen entfernt, und näherte sich dem Nachtschränkchen. Im Licht der Taschenlampe öffnete die Person die oberste Schublade und nahm etwas heraus. In dem Moment knipste Banks das Licht an. Der Eindringling fuhr herum und erstarrte.

  »Hallo, Owen!«, sagte Banks. »Was führt Sie denn her?«

 

 

* 10

 

»Wenn Anna umgebracht wurde, dann nur von ihm oder von Ihnen, John«, erklärte Banks später in seinem Büro, während Owen Doughton unten belehrt wurde. »Nur Sie beide waren vertraut genug mit Anna, um ihre Angewohnheiten zu kennen. Owen hatte noch bis vor kurzem mit ihr zusammengelebt. Es war gut möglich, dass er noch einen Schlüssel hatte.«

  John Billings schüttelte den Kopf. »Ich dachte, Sie wollten mich festnehmen.«

  »Es stand auf Messers Schneide, das will ich nicht leugnen. Aber ich dachte, ich gebe Ihnen wenigstens eine Chance, unterstelle Ihnen vorerst das Gute.«

  »Und wenn Ihre Falle nicht funktioniert hätte?«

  Banks zuckte mit den Schultern. »Dann wären Sie dran gewesen, denke ich. Das Gift konnte überall sein. In der Zahnpastatube zum Beispiel. Wenn Sie es nicht gewesen waren und der Mörder die Nachrichten hörte, würde er versuchen, die restlichen Beweise zu vernichten. Dazu hatte er bisher keine Möglichkeit gehabt, da Sie im Haus waren.«

  »Aber gestern war ich fast den ganzen Tag im Krankenhaus.«

  »Das war zu früh. Da wusste er noch nicht, dass etwas geschehen war. Dieser Plan war nicht sorgfältig vorbereitet.«

  »Aber warum?«

  Banks schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Der Mann ist krank, besessen. Ich schätze, es war seine verquere Vorstellung von Rache. Sie nagte bereits seit einiger Zeit an ihm. Anna hat ihn nicht sehr nett behandelt, John. Sie nahm keine Rücksicht auf seine Gefühle, als sie ihn rauswarf und sich mit Ihnen einließ. Sie ging einfach davon aus, dass er es schon verstehen würde, so wie immer, weil er sie liebte und ihr Wohl ihm am Herzen lag. Er war tief verletzt, aber er gehört nicht zu den Menschen, die deswegen einen Aufstand machen oder ihre Gefühle zeigen. Er fraß alles in sich hinein.«

  »Anna konnte wirklich ein bisschen tollpatschig sein«, murmelte John. »Sie war sehr zielstrebig.«

  »Ja. Und Doughton fühlte sich mit Sicherheit gedemütigt, als sie ihn sitzenließ und zu Ihnen ging. Schließlich hatte er finanziell keine große Zukunft, anders als Sie.«

  »Aber so war das nicht, nicht mit Anna«, protestierte Billings. »Wir hatten einfach unglaublich viel gemein. Ziele, Wünsche, Vorstellungen. Mit Owen verband sie nichts mehr.«

  »Wahrscheinlich haben Sie recht«, sagte Banks. »Als Anna Owen vor ein paar Wochen mitteilte, sie würde heiraten, gab ihm das den Rest. Er sagte, sie hätte von ihm erwartet, dass er sich für sie freute.«

  »Aber warum hat er sich immer noch mit ihr getroffen, wenn es ihm doch so weh tat?«

  »Er liebte sie immer noch. Für ihn war es besser, sie selbst unter solchen Umständen zu sehen als gar nicht.«

  »Und warum hat er sie dann umgebracht?«

  Banks schaute Billings an. »Liebe und Hass, John«, sagte er, »liegen sehr nah beieinander. Außerdem glaubt Doughton gar nicht, dass er sie umgebracht hat, das war nämlich gar nicht seine Absicht.«

  »Das verstehe ich nicht. Sie sagten, er hätte es getan. Wie denn?«

  Banks schwieg und zündete sich eine Zigarette an. Das würde nicht einfach werden. Der Regen schlug gegen das Fenster, der Wind rüttelte an den Läden.

  »Wie?«, wiederholte Billings.

  Banks sah auf seinen Kalender, wollte den Moment hinauszögern; das Bild zeigte eine Waldlandschaft, blühende Schneeglöckchen in der Nähe von The Strid bei Bolton Abbey. Banks räusperte sich. »Owen verschaffte sich Zugang zum Haus, als Sie und Anna unterwegs waren«, begann er. »Er hatte eine Spritze mit einem starken Pestizid dabei, aus dem Gartencenter. Sie dürfen nicht vergessen, dass er Anna in- und auswendig kannte. Haben Anna und Sie in der Nacht miteinander geschlafen, John?«

  Billings wurde rot. »Was hat denn das -?«

  »Ich will nicht wissen, wie es war, sondern einfach nur, ob Sie Sex hatten. Es ist wichtig, glauben Sie mir.«

  »Na gut«, sagte Billings nach einer kurzen Pause. »Ja, hatten wir.«

  »Owen kannte Anna gut genug, um zu wissen, dass sie Angst hatte, schwanger zu werden«, fuhr Banks fort, »aber wegen der Nebenwirkungen auch nicht die Pille nahm. Er wusste, dass sie Kondome im Nachtschränkchen hatte und auf Sex im Dunkeln stand. Es war nicht allzu schwer, mit der Spritze in mehrere Packungen zu stechen und ein wenig Pestizid reinzuspritzen. Nicht viel, aber das Zeug ist stark, außerdem farb- und geruchlos, so dass selbst eine minimale Dosis ihre Wirkung hat. Die Kondome waren feucht, fühlten sich also eh ölig an, und niemand hätte das kleine Loch in der Packung bemerkt. Ihr Körper hat auch etwas von dem Gift aufgenommen, deshalb fühlten Sie sich krank. Man nimmt es nämlich schnell über die Haut auf. Aber Anna bekam den Löwenanteil ab. Anhand von Gewebeproben hätte Dr. Glendenning irgendwann herausgefunden, wie das Gift verabreicht wurde, aber die Tests hätten noch eine Weile gedauert. Bis dahin hätte Owen ohne weiteres noch einmal ins Haus schleichen und die Beweise vernichten können. Oder wir wären zu dem Schluss gekommen, dass Sie den besseren Zugang hatten.«

  Billings wurde blass. »Sie meinen, es hätte genauso gut ich sein können, der gestorben oder wegen Mordes verhaftet worden wäre?«

  Banks zuckte mit den Schultern. »Es hätte alles dabei herauskommen können, ehrlich gesagt. Er wusste nicht, was passieren würde, und natürlich bestand die Möglichkeit, dass Sie entweder sterben oder die Schuld bekommen würden. Wie sich herausstellte, nahm Anna das meiste Gift auf. Aber sie hatte Asthma. Mit seiner verqueren Logik wollte Owen, dass der Sex Sie beide krank machte. Wenn man so will, war das seine Reaktion auf die Trennung. Vorher hatte er so lange still vor sich hin gelitten und getan, als sei es in Ordnung, dass Anna ohne ihn weiterlebte. Aber mehr tat er nicht. Es war ein schlechter Witz, wenn Sie so wollen. Wir haben drei präparierte Kondome gefunden. Wenn eines nicht die erhoffte Wirkung gehabt hätte, wäre dennoch die Konzentration des Pestizids im Körper gestiegen und hätte chronische Probleme hervorgerufen. Ich habe einmal von einem Fall gelesen, da heiratete ein Mann reiche Frauen und brachte sie aus Geldgier um, indem er seine Kondome mit Arsen präparierte, aber damals waren sie noch aus Ziegenleder. Außerdem war er Franzose. So ein seltsamer Fall ist mir noch nie untergekommen.«

  Langsam schüttelte Billings den Kopf. »Kann ich jetzt gehen?«, fragte er.

  »Wohin?«

  »Keine Ahnung. Vielleicht ins Hotel, bis ...«

  Banks nickte und stand auf. Auf dem Weg nach unten trafen sie Owen Doughton, der mit Handschellen an einen breitschultrigen Constable gefesselt war. Billings erstarrte. Doughton funkelte ihn zornig an. »Er hat sie umgebracht!« Mit dem Kopf wies er auf Billings. »Den sollten Sie verhaften!« Dann sah er Billings ins Gesicht. »Damit musst du jetzt leben, du Geldsack. Du hast sie umgebracht, verstanden, du reicher Schnösel? Du hast sie getötet. Du hast Anna auf dem Gewissen!«

  Banks wusste nicht zu sagen, ob Doughton lachte oder weinte, als der Constable ihn hinunter in die Zelle brachte.