Als er das prunkvolle Kalksteingebäude betrachtete, stellte Banks fest, dass er die Schule von Braughtmore bisher noch nie gesehen hatte. Sie wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erbaut, nachdem das vorherige Gebäude niedergebrannt war. Im ersten Stock rahmten Ziergiebel die Fenster, die nächsten beiden Etagen besaßen große Schiebefenster, und das mit roten Pfannen gedeckte Dach war mit Erkerfenstern versehen. Die Schule stand an der Öffnung zu einem kleinen Tal, das ein Nebenfluss auf seinem Weg zum Gaiel geschaffen hatte. Um das Gebäude herum waren Rugby- und Cricketplätze angelegt worden.
Banks hielt auf dem Parkplatz auf der anderen Straßenseite, zündete sich eine Zigarette an und drehte sich zu Katie.
»Dann erzählen Sie mal«, sagte er.
»Ich habe es getan«, wiederholte Katie. »Ich habe sie getötet.«
»Wen haben Sie getötet?«
»Bernie und Stephen.«
»Warum?«
»Weil ich ... weil sie ... Es war Gottes Urteil.«
»Gottes Urteil für was, Katie?«
»Meine Sünden.«
»Weil Sie mit Ihnen geschlafen haben?«
Katie starrte ihn mit tränennassen Augen an. »Nur sie mit mir«, korrigierte sie ihn. »Sie wollten mich fortnehmen, weg von hier, fort von meinem Mann.«
»Aber Sie haben mit Bernard Allen geschlafen. Mit Stephen auch?«
»Bernie nahm mich in seinem Zimmer. Das war der Preis. Ich fand keinen Gefallen daran. Er sagte, er würde mich nachkommen lassen, wenn er wieder in Kanada wäre.«
Banks brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass Bernie nach Swainshead zurückkehren und gar nicht in Kanada bleiben wollte. »Und Stephen?«, fragte er.
»Er ... er hat mich geküsst. Ich wusste, dass ich zahlen musste, aber später. Und jetzt ...«
»Haben Sie ihn getötet, um nicht zahlen zu müssen?«
Katie schüttelte den Kopf. »Er wollte mich mitnehmen, wie Bernard. Er musste sterben.«
»Wie haben Sie ihn getötet?«
»Jeder, der mir helfen will, stirbt.«
»Aber wie haben Sie ihn getötet?«
»Ich weiß es nicht, ich erinnere mich nicht.«
»Katie, Sie haben weder Stephen Collier noch Bernard Allen getötet, nicht wahr?«
»Sie sind wegen mir gestorben. Die Rache des Herrn. Auch Nicholas war die Rache des Herrn. Gegen mich. Um mir meine Abscheulichkeit zu zeigen.«
»Nicholas? Was war mit Nicholas?«
»Er hat seine Hände an mich gelegt. Seine widerlichen Hände. Die Hände eines Tieres.«
»Wann war das? Wo?«
»In seinem Haus. Bei der Party, zu der ich mit Sam gehen musste. Ich habe ihm gesagt, ich will da nicht hin. Ich wusste, dass es schlimm werden würde.«
»Was ist passiert?«
»John kam, und sie haben gekämpft.«
»John und Nicholas?«
»Ja.«
Das erklärte immerhin ihren Streit im White Rose, dachte Banks. »Wusste Sam davon? Haben Sie Sam davon erzählt?«
Katie schüttelte den Kopf. »Sam interessiert sich sowieso nicht dafür. Solange seine heißgeliebten Colliers betroffen sind, ist ihm alles andere egal.«
»Aber Sie haben niemanden getötet, oder?«
Sie legte ihren Kopf in die Hände und weinte. Banks wollte einen Arm um sie legen, doch sie machte sich steif und zuckte zurück in Richtung Tür. Sie lehnte ihre Wange gegen die Scheibe und starrte hoch ins Tal.
»Schützen Sie Sam, Katie? Ist es das? Glauben Sie, dass Sam die beiden getötet hat, weil sie Sie mitnehmen wollten?«
»Ich habe Ihnen gesagt, ich habe sie getötet.«
»Vielleicht fühlen Sie sich verantwortlich, Katie, aber Sie haben niemanden getötet. Es ist ein großer Unterschied, ob man sich schuldig fühlt oder jemandem das Leben genommen hat. Sie haben nichts Unrechtes getan.«
»Ich wollte vor meinem Mann fliehen.«
»Er schlägt Sie. Er ist kein guter Mann.«
»Aber er ist mein Ehemann.« Sie fing wieder zu schluchzen an. »Ich muss ihm dienen. Was kann ich sonst tun? Ich kann ihn nicht verlassen und alleine weggehen. Ich weiß nicht, wie man lebt.«
Banks kurbelte sein Fenster runter und warf die Zigarettenkippe hinaus.
»Möchten Sie ein Stückchen gehen?«, fragte er.
Katie nickte und öffnete ihre Tür.
Am Berghang gegenüber der Schule war ein ausgetretener Pfad, den sie langsam in Richtung Bergkamm hinaufgingen. Ungefähr auf halbem Weg setzten sie sich zwischen die Kalksteinfelsen ins warme Gras und schauten hinab auf die Szenerie. Das Schulgebäude schimmerte wie Perlmutt, und die Sonne ließ die roten, gewölbten Dachpfannen hell aufleuchten. Auf einem der gemähten Plätze trainierten einige in weiß gekleidete Schüler Cricket, eine andere Gruppe in Shorts und Unterhemden lief über die Aschenbahn. Eine Menge körperlicher Ertüchtigung und kalter Duschen, dachte Banks. Querfeldeinläufe und unvorbereitete Lateinübersetzungen, um den Schülern den Gedanken an Sex auszutreiben. Dazu vielleicht ein bisschen Masturbation in den Schlafsälen, kleine Sauereien im Unterholz, Sodomie im Fahrradschuppen. So stellte man sich als Uneingeweihter das Internatsleben vor. Wahrscheinlich sah die Realität wesentlich unschuldiger aus. Schließlich wurden diese jungen Menschen darauf vorbereitet, das Land zu lenken, die Regierung zu bilden. Andererseits musste man sich nur mal anschauen, wie viele von ihnen auf den Titelseiten der Boulevardpresse landeten. Vielleicht war die Vorstellung des Uneingeweihten doch gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt.
Katie zupfte Grashalme aus und verstreute sie in der leichten Brise.
»Erzählen Sie mir, was mit Stephen war«, sagte Banks.
»Wir sind hoch zur Quelle gewandert. Da hat er gesagt, dass er fortgehen wollte. Ich dachte, er würde mich mitnehmen, wenn ich mich von ihm küssen lasse. Das ist alles.«
»Was hat er noch gesagt? Sie müssen sich unterhalten haben.«
»Oh, ja.« Katies Stimme klang, als würde sie aus größerer Entfernung kommen.
»Warum wollte er weggehen?«
»Er sagte, er hätte genug, er könnte es nicht ertragen, länger hierzubleiben. Er sagte etwas davon, dass er von seiner Vergangenheit und dem Menschen, der er war, wegwollte.«
»Wovor genau?«
Zum ersten Mal schaute Katie ihn direkt an. Vom Weinen waren ihre Augen rot umrandet, doch im Sonnenlicht leuchteten sie immer noch in warmem Braun. Banks konnte ihre Anziehungskraft spüren. Der Wunsch, sie zu beschützen, verschmolz mit dem Impuls, sie zu berühren. Sie löste in ihm das Verlangen aus, die Hand nach ihr auszustrecken und die blonden Strähnen von ihren Wangen wegzustreichen, dann ihren weißen Hals zu küssen und die zarten Rundungen und Erhebungen ihres Körpers zu erforschen. Und er wusste auch, dass sie sich ihrer Wirkung kaum bewusst war, so als könnte sie die natürlichen sexuellen Instinkte, durch die sich Menschen zueinander hingezogen fühlen, nicht verstehen. Sie wusste, was die Männer wollten, aber sie wusste nicht, weshalb und worum es dabei eigentlich ging. Sie war unschuldig, eine einzigartige und verletzliche, seltene Pflanze, die hier am Rande der Moorlandschaft wuchs.
»Wovor wollte er weg?«, wiederholte sie und durchbrach seine Illusionen. »Von was wir alle wegwollen. Von den Fallen, die wir uns gestellt haben. Die Fallen, die Gott uns gestellt hat.«
»Es ist keine so furchtbare Sache, wenn man einer schlechten Ehe entfliehen will, Katie«, sagte Banks. Aber er spürte, dass er nicht den richtigen Ton fand, dass er nicht wusste, wie er mit dieser Frau reden sollte. Was er sagte, hörte sich herablassend an, obwohl es ganz und gar nicht so gemeint war.
»Es ist die Pflicht einer Frau«, entgegnete Katie. »Es ist das Kreuz, das sie tragen muss.«
»Wovor lief Stephen davon? Vor mir? Hat er mich erwähnt?«
Katie schien überrascht zu sein. »Nein«, sagte sie. »Nicht vor Ihnen. Vor seiner Vergangenheit, vor dem Leben, das er führte.«
»Hat er etwas Bestimmtes erwähnt?«
»Er hat gesagt, er wäre schlecht gewesen.«
»Wie?«
»Ich weiß es nicht. Er erzählte einfach. Ich habe nicht alles verstanden. Ich habe an etwas anderes gedacht. Das Wasser sprudelte aus dem Gras. Das Gras war so grün und schillernd, dort wo das Wasser ständig hinüber- und hindurchfloss.«
»Können Sie sich an irgendetwas erinnern? Egal was?«
»Er erzählte von Oxford. In Oxford ist etwas Schlimmes passiert.«
»Hat er gesagt, was?«
»Ein Mädchen. Ein Mädchen ist gestorben.«
»Das war alles, was er Ihnen erzählt hat?«
»Ja. Damit fing alles an, sagte er. Der Alptraum.«
»Damit, dass in Oxford ein Mädchen gestorben ist?«
»Ja.«
»Was hatte er mit diesem Mädchen zu tun?«
»Das weiß ich nicht. Er hat nur gesagt, dass sie gestorben ist und dass es schlimm war.«
»Und jetzt hatte er genug und wollte weg, um seiner Vergangenheit und den Konsequenzen zu entfliehen?«
Katie nickte und starrte ihn dann eindringlich an. »Aber man kann den Konsequenzen nicht entfliehen, nicht wahr? Bernie konnte es nicht. Stephen konnte es nicht. Ich kann es nicht.«
»War Stephen unglücklich?«
»Unglücklich? Ich glaube nicht. Er war besorgt, aber nicht unglücklich.«
»Glauben Sie, dass er sich selbst etwas angetan haben könnte?«
»Nein. Stephen hätte das nicht getan. Er hatte Zukunftspläne. Er wollte mich mit sich nehmen. Aber seine Zukunft hat ihn getötet.«
»Ich dachte, seine Vergangenheit?«
»Ich war es«, sagte sie ruhig. »Was auch immer Sie sagen, ich weiß, dass ich ihn getötet habe.«
»Das ist nicht wahr, Katie. Ich wünschte, ich könnte Sie davon überzeugen.« Banks holte seine Zigaretten hervor und bot ihr eine an. Sie lehnte ab und zupfte weiter Grashalme aus und zerrieb sie zwischen ihren Fingern.
»Warum ist er nicht schon früher gegangen?«, fragte Banks. »Er hatte viel Zeit und viele Möglichkeiten.«
»Ich weiß es nicht. Er sagte, es wäre schwer für ihn. Der Familienname, das Haus, die Firma. Ihm schien wohl noch der Mut zu einem Ausbruch zu fehlen, genau wie mir. Ich habe ihm nichts erzählt, falls Sie das denken.«
»Was haben Sie ihm nicht erzählt?«
»Dass Sie einen Polizisten geschickt haben, um alle auszuspionieren. Ich habe ihn mal in Eastvale mit Ihnen gesehen.«
»Haben Sie es Sam erzählt?«
Katie schüttelte langsam den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Diesmal nicht.«
Also hatte Stephen mit sich gekämpft, ob er fliehen oder dableiben und die Sache ausstehen sollte. Ihm war wahrscheinlich klar, dass die Polizei keinen stichhaltigen Beweis seiner Schuld haben konnte, sondern sich nur auf Gerüchte verlassen musste. Anne Raistons Wort gegen seines.
»Wenn er gegangen wäre«, sagte Katie, als hätte sie seine Gedanken gelesen, »dann hätte es wie ein Schuldeingeständnis ausgesehen, oder?«
»Vielleicht.« Banks stand auf und strich das Gras von seiner Hose. »Kommen Sie.« Er reichte ihr seine Hand, und Katie nahm sie. Doch sobald sie stand, ließ sie sie los und folgte ihm stumm zurück zum Wagen.
»Was hat sie sonst noch gesagt?«, fragte Sergeant Hatchley, als der weiße Cortina mit Banks am Steuer die M1 hinunterraste.
»Nichts«, antwortete Banks. »Ich habe ihr gesagt, sie soll sich bei uns melden, wenn ihr noch was einfällt, und sie dann nach Hause gefahren. Sie ist ohne ein weiteres Wort ins Haus verschwunden. Um die Wahrheit zu sagen, ich mache mir Sorgen um sie. Sie ist unglaublich zerbrechlich und steht kurz vor dem Zusammenbruch. Die Frau braucht Hilfe.«
Hatchley zuckte mit den Achseln. »Wenn sie die Nase voll hat, dann muss sie eben ihre Zelte hier abbrechen.«
»Manchen Leuten fällt das nicht so leicht. Sie sind gebunden, sie wissen nicht, wohin oder wie sie allein mit dem Leben klarkommen sollen. Katie Greenock ist so eine.«
Bei Sheffield fuhren sie an Kühltürmen vorbei, die sich wie gigantische Walskelette neben der Autobahn abzeichneten. Obwohl die Fenster zu waren und viele der Fabriken geschlossen, sickerte der Schwefelgestank der Stahlwerke in den Wagen.
»Was genau werden wir in Oxford tun?«, fragte Hatchley.
»Wir versuchen, etwas über einen Vorfall herauszukriegen, bei dem vor neun Jahren, vielleicht auch zwei oder drei Jahre später, ein Mädchen zu Tode gekommen ist. Die Kurse an der Uni dauern normalerweise drei Jahre, also haben wir damit einen ziemlich festen Rahmen.«
»Es sei denn, Collier war gar nicht mehr Student, als es passiert ist.«
»Der Einwand hilft uns jetzt wirklich weiter«, sagte Banks gereizt. »Darum können wir uns immer noch kümmern, wenn wir kein Glück haben sollten.«
»Was war das für ein Vorfall?«
»Ich habe den Eindruck, wir müssen nach einem unaufgeklärten Verbrechen oder einem außergewöhnlichen Unfall suchen.«
»Und dann? Wer auch immer das Mädchen war, weiterhelfen kann sie uns jetzt auch nicht mehr.«
»Weiß ich auch nicht«, gab Banks zu. »Wir müssen versuchen, sie mit Stephen Collier in Verbindung zu setzen.«
»Und wenn wir damit kein Glück haben?«
Banks seufzte und nahm sich eine Zigarette. Dann riss er schnell das Lenkrad rum und wich einem holländischen Schwertransporter aus, der auf der mittleren Fahrspur Zickzacklinien fuhr. »Sie sind verdammt negativ heute, Sergeant«, sagte er. »Was ist los, haben Sie heute Abend was vor? Sind Sie vielleicht mit Carol verabredet?«
»Nein. Carol hat Verständnis für meinen Job. Und ich mag es, mal rauszukommen. Ich versuche nur, die Sache von allen Seiten zu betrachten, das ist alles. Mich verwirrt der Fall. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es überhaupt noch ein Fall ist. Schließlich ist Collier tot, egal ob es ein Unfall war oder er sich selbst umgebracht hat.«
»Es ist verwirrend«, stimmte Banks zu. »Aber genau aus dem Grund glaube ich nicht, dass wir der Sache schon auf den Grund gekommen sind. Deshalb fahren wir nach Oxford, um Lösungen zu finden.«
»Aha, verstehe.« Hatchley kurbelte seine Scheibe ein paar Zentimeter herunter. Da beide im Auto rauchten, tränten seine Augen bei dem Qualm. »Ich schätze, Oxford ist voller dämlich aussehender Ärsche mit Roben und Doktorhüten.«
»Kann sein«, sagte Banks. »Ich war noch nie da. Aber angeblich ist es auch eine Arbeiterstadt.«
»Gewesen vielleicht. Aber heutzutage ist nicht mehr viel los mit der Autoindustrie. Immerhin gibt es dort ein paar ganz schöne Häuser. Hab ich im Fernsehen gesehen. Bauten von Christopher Wren und Nicholas Hawksworth.«
»Mein Gott, Jim, haben Sie wieder BBC2 gesehen? Für Besichtigungen werden wir nicht viel Zeit haben. Abgesehen von dem, was uns bei der Arbeit begegnet. Auf jeden Fall heißt er Hawksmoor, Nicholas Hawksmoor.«
Erschrocken bemerkte er, dass er Sergeant Hatchley zum ersten Mal mit seinem Vornamen angesprochen hatte. Ein komisches Gefühl, aber Hatchley sagte nichts.
Banks fuhr stumm weiter und konzentrierte sich auf die Straße. Es war nach fünf Uhr am Nachmittag, die Autobahnabschnitte, die durch Stadtgebiete verliefen, waren vom Feierabendverkehr verstopft. Wenn sie in Oxford angekommen waren, würden sie zu kaum mehr Zeit haben, als sich im Polizeipräsidium zu melden, Ted Folley zu begrüßen und vielleicht vor dem Schlafengehen den Fall bei einem Bier zu besprechen, was Hatchley bestimmt gefallen würde. Banks hatte ihnen Zimmer in einem kleinen Hotel reserviert, das ihm Ted am Telefon empfohlen hatte. Am Morgen würde die tatsächliche Arbeit beginnen.
Banks hielt das Lenkrad mit einer Hand und wühlte mit der anderen durch die Kassetten. »Mögen Sie Musik?«, fragte er. Seltsam, er wusste, dass Gristhorpe kein Gehör für Musik hatte - er konnte Bach nicht von den Beatles unterscheiden -, aber er hatte keine Ahnung, wohin Hatchleys Geschmack tendierte. Seine Wahl würde es allerdings sowieso nicht beeinflussen. Er wusste, was er hören wollte, und fand es bald - die Greatest Hits der Small Faces.
»Ich mag gute Blaskapellen«, sagte Hatchley grübelnd. »Und ab und zu Country.«
Banks lächelte. Er hasste Country und Blaskapellen. Er zündete sich eine Zigarette an und drehte die Lautstärke auf. Die schwirrenden Akkorde von All or Nothing erfüllten den Wagen, als sie in der Nähe von Northampton auf die Straße nach Oxford abbogen. Die Musik erinnerte ihn sofort an den Sommer 1966, kurz bevor er in die sechste Klasse gekommen war. Nostalgie. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er schnurstracks auf die vierzig zuging. Im Augenwinkel sah er, dass Hatchley ihn anschaute, als hätte er sie nicht mehr alle.
Am nächsten Morgen waren auf der High Street in Oxford nicht viele Doktorhüte und Roben zu sehen. Die meisten Leute schlenderten auf diese verlorene, aber entschlossene Art der Touristen über die Straße. Banks und Hatchley suchten nach irgendeinem Lokal, in dem sie ein schnelles Frühstück zu sich nehmen konnten, bevor sie sich im Präsidium an die Arbeit machten.
Hatchley zeigte über die Straße. »Da ist ein McDonald's. Die machen ganz ordentliches Frühstück. Vielleicht ...« Er sah Banks ängstlich an, als befürchtete er, der Chief Inspector wäre nicht nur Londoner und Sixties-Fan, sondern auch noch Feinschmecker. Als könnte Banks trotz der vielen Male, bei denen sie gemeinsam warme Waffeln und Fleischpastete genossen hatten, diesmal vielleicht auf Froschschenkel mit Anchovissauce zum Frühstück bestehen.
Banks schaute auf seine Uhr und machte ein finsteres Gesicht. »Wenigstens geht es dort schnell. Dann mal los. Nehmen wir also ein McMuffin.«
Erstaunt folgte ihm Hatchley durch die goldenen Bögen. In den meisten Lokalen, in denen Banks während seines Aufenthaltes in Toronto gegessen hatte, war der Service so schnell und freundlich gewesen, dass es ihn beeindruckt hatte. Aber offenbar konnte selbst McDonald's nichts an der Faulheit und Muffeligkeit der englischen Gastronomie ändern. Der Blick des uniformierten Mädchens hinter dem Tresen signalisierte ihnen sofort, dass sie mit einer Bestellung eine unglaubliche Belästigung darstellten. Und natürlich mussten sie warten. Selbst als sie ihnen den Fraß hinwarf, sagte sie nicht: »Danke schön, bitte beehren Sie uns bald wieder.«
Sie setzten sich schließlich ans Fenster und beobachteten die Leute, die bei W. H. Smith's ein und aus gingen, um die Morgenzeitungen zu kaufen. Hatchley aß mit herzhaftem Appetit, doch Banks stocherte in seinem Essen herum, ließ es dann stehen und begnügte sich mit schwarzem Kaffee und einer Zigarette.
»Netter Kerl, dieser Ted Folley«, sagte Hatchley und kaute auf seiner Wurst. »Hätte ich nicht erwartet.«
»Was hatten Sie denn erwartet?«
»Ach, wahrscheinlich so einen hochnäsigen Idioten. Aber er ist ja ein ganz trockener Typ. Kleidet sich allerdings wie ein feiner Pinkel. Im Oak würden sie gut zu lachen haben über ihn.«
»Im Queen's Arms wahrscheinlich auch«, meinte Banks.
»Stimmt.«
Bevor sie zum Schlafen ins Hotel zurückgekehrt waren, hatten sie noch Zeit gefunden, um mit Folley ein paar Gläschen zu trinken. Banks fragte sich, ob Ted Hatchley durch seine Großzügigkeit oder seinen Vorrat an Anekdoten für sich gewonnen hatte. Wie auch immer, der Sergeant hatte es fertiggebracht, innerhalb kürzester Zeit eine ansehnliche Menge regionaler Biere runterzukippen (denen er eine »passable« Qualität bescheinigte).
Sie hatten an der Theke eines lauten Pubs an der Broad Street gestanden, und Ted - ein gediegener Mann mit gegeltem Haar und einer Schwäche für dreiteilige Nadelstreifenanzüge und grelle Fliegen - hatte sie mit Geschichten über die privilegierten Studenten Oxfords ergötzt. Besonders amüsiert war Hatchley von der Beschreibung einer kürzlich durchgeführten Razzia auf einer Semesterabschlussparty gewesen. »Und da stand sie«, hatte Folley gesagt, »die Königin der Erstsemester, den Schlüpfer um die Knöchel und weißes Puder über die tapfer zusammengepressten Lippen verteilt.« Der Sergeant hatte so lachen müssen, dass er einen Schluckauf bekommen hatte, der ihn für den Rest des Abends verfolgte.
»Kommen Sie«, sagte Banks. »Beeilung. Das Zeug kann ja wohl nicht so lecker sein, dass Sie es bis zum letzten Bissen auskosten müssen.«
Widerwillig beeilte sich Hatchley mit dem letzten Bissen und schlürfte den Kaffee runter. Zehn Minuten später waren sie in Ted Folleys Büro an der Aldates Street.
»Ich habe die Akten schon rausgesucht«, sagte Ted. »Wenn ihr nicht das findet, was ihr sucht, meldet euch wieder bei mir. Aber ich glaube, ihr werdet was finden. Diese Akten decken alle ungeklärten Verbrechen in den fraglichen drei Jahren ab, inklusive der Unfälle mit Fahrerflucht, an denen Frauen beteiligt waren.«
»Gott sei Dank sind es nicht so viele«, sagte Banks und nahm den schmalen Stapel.
»Nein«, sagte Folley. »Wir haben Glück. Die Studenten halten uns ordentlich auf Trab, aber mysteriöse Todesfälle kommen nicht so oft vor. Wenn, dann sind meistens Drogen im Spiel.«
»Bei diesen auch?«
»Bei manchen. Ihr könnt das Büro dort benutzen.«
Folley zeigte auf eine kleine, mit Glas abgetrennte Zone. »Doug ist im Urlaub, ihr seid also ungestört.«
Die meisten Fälle waren schnell abgehandelt. Wenn in den Akten Telefonnummern angegeben waren, telefonierten Banks oder Hatchley mit Freunden oder Eltern der Verstorbenen und fragten einfach, ob ihnen der Name Stephen Collier etwas sagte. Auf gut Glück fragten sie auch, ob jemand einen Privatdetektiv namens Raymond Addison engagiert hatte, um das ungeklärte Verbrechen zu untersuchen. Waren keine Nummern angegeben oder die Leute umgezogen, machten sie sich eine Notiz und verfolgten diese Fälle später. Manchmal half ihnen dann das Telefonbuch weiter, außerdem erwies sich Ted als hilfsbereit wie immer.
Am frühen Nachmittag, nach einer kurzen Mittagspause, waren nur noch drei Möglichkeiten offengeblieben. Eine davon konnte Folley ausschließen - die Eltern des Mädchens waren weniger als ein Jahr nach dem Tod ihrer Tochter auf tragische Weise bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Also blieben zwei Fälle, die Banks und Hatchley untereinander ausknobelten. Banks zog die Familie ohne Telefon in Jericho und Hatchley den gelähmten Vater in Woodstock.
Eingekeilt zwischen Walton Street und dem Kanal ist Jericho ein Gewirr aus kleinen Reihenhäusern aus dem neunzehnten Jahrhundert, die einmal für die Arbeiter der Gießerei und städtische Bauarbeiter errichtet worden waren. Die meisten Straßen sind nach viktorianischen Schlachten oder Kriegshelden benannt worden. Sowohl im Geiste wie in der Erscheinung ist Jericho genauso weit entfernt von den prachtvollen architektonischen Schönheiten der alten Universitätsstadt wie in Eastvale das Neubaugebiet am östlichen Stadtrand vom Kopfsteinpflaster des Marktplatzes und der normannischen Kirche.
Banks fuhr langsam die Great Clarendon Street hinab, bis er die gesuchte Abzweigung fand. Sein Wagen erregte die Aufmerksamkeit zweier verwahrloster Kinder, die auf dem Gehweg Murmeln spielten und ihn dazu brachten, ihnen fünfzig Penny dafür zu geben, dass sie den Wagen für ihn »bewachten«.
Erst öffnete niemand die rissige blaue Tür, doch schließlich hörte Banks innen Schritte, und als die Tür aufgemacht wurde, starrte ein altes, ausgezehrtes Gesicht heraus. Ob männlich oder weiblich, konnte er nicht sagen, bis ihn eine tiefe Männerstimme barsch fragte, was er wollte.
»Ich komme wegen Ihrer Tochter Cheryl«, sagte Banks. »Darf ich hereinkommen?«
Der Mann blinzelte und öffnete die Tür ein Stückchen weiter. Banks konnte gekochte Rüben und abgestandenen Tabakqualm riechen.
»Unsere Cheryl ist seit sechs oder mehr Jahren tot«, sagte der Mann. »Niemand hat damals etwas unternommen. Warum sollte man sich jetzt darum kümmern?«
»Wenn ich hereinkommen dürfte ...«
Der Mann sagte nichts, machte die Tür aber weiter auf, um Banks hereinzulassen. Es gab keine Diele, die Tür führte direkt in ein kleines Wohnzimmer. Die Vorhänge waren halb zugezogen und ließen kaum Licht herein. Die Luft war heiß und stickig. Soviel Banks sehen konnte, war die Wohnung nicht dreckig, aber auch nicht gerade sauber. In einem Rollstuhl neben dem unbenutzten Kamin saß eine grauhaarige, alte Frau mit einer Decke über den Knien. Als er hereinkam, wandte sie sich ihm zu und lächelte ihn ausdruckslos an.
»Es ist wegen unserer Cheryl«, sagte der Mann und griff nach seiner Pfeife.
»Das habe ich gehört.«
»Hören Sie, Mrs Duggan«, sagte Banks und hockte sich auf die Lehne des Sofas, »ich weiß, dass es lange her ist, aber möglicherweise gibt es neue Erkenntnisse.«
»Haben Sie herausgefunden, wer sie ermordet hat?«
»Möglicherweise. Aber ich weiß noch nicht, ob sie wirklich ermordet wurde. Dabei müssen Sie mir helfen.«
Die Akte war ihm noch völlig gegenwärtig. Vor über sechs Jahren an einem nebligen Sonntagmorgen im November war unweit der Magdalen Bridge und dem St. Hilda's College die Leiche von Cheryl Duggan aus dem Cherwell gefischt worden. Die rechtsmedizinische Untersuchung hatte ergeben, dass der Tod aller Wahrscheinlichkeit nach durch Ertrinken eingetreten war. Mehrere merkwürdige Schwellungen legten damals den Verdacht nahe, dass ihr Kopf wahrscheinlich so lange unter Wasser gehalten worden war, bis sie ertrank. Kurz vor ihrem Tod hatte sie Geschlechtsverkehr gehabt, und der Mageninhalt ließ darauf schließen, dass sie an dem vorangegangenen Abend stark getrunken hatte.
Angesichts all dessen wurde die Entscheidung über die Todesursache offengelassen und eine polizeiliche Untersuchung angeordnet.
Um die Angelegenheit noch komplizierter zu machen, war Cheryl Duggan laut Folley seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr eine stadtbekannte Prostituierte gewesen. Und starb mit siebzehn. Die Untersuchung war, so musste Folley zugeben, äußerst flüchtig verlaufen. Dies war auf andere Zwänge zurückzuführen - besonders auf den Drogentod einer Tochter aus dem Adelsstand, in den der Erbe eines Brauereivermögens als Dealer verwickelt gewesen war.
»Es könnte ein Unfall gewesen sein«, sagte Banks.
»Es war kein Unfall, Mr Banks«, sagte Mrs Duggan bestimmt.
»Sie hatte Wasser in den Lungen«, entgegnete Banks schwach.
Mr Duggan schnaubte. »Glauben Sie, unsere Cheryl war eine Meerjungfrau, so wie sie im Wasser lag?«
»Sie hatte getrunken.«
»Ja, es behauptet auch keiner, sie wäre ein Engel gewesen.«
»Haben Sie jemals gehört, dass sie von einem Mann namens Stephen Collier gesprochen hat?«
Mr Duggan schüttelte langsam den Kopf.
Die Duggans umgab eine Niedergeschlagenheit, die schwer im düsteren und stickigen Zimmer lastete und Banks krank machte. Ihre Stimmen waren matt, als hätten sie ihre Geschichten schon tausendmal wiederholt, ohne dass jemals jemand zugehört hätte. Ihre Gesichter waren ausgetrocknet und gezeichnet wie Pergament, die Augen waren groß und leer und offenbarten zwischen den unteren Wimpern und den Pupillen große weiße Flächen. Banks musste an eine Zeile von Dante denken: »Wer hier eintritt, lässt alle Hoffnung draußen.« Dies war ein Haus der Niederlage, ein Ort ohne Hoffnung.
Banks zündete sich eine Zigarette an, die ihm wenigstens einen konkreten Grund gab, sich krank und schwindelig zu fühlen, und fuhr fort. »Was ich noch wissen möchte«, sagte er, »haben Sie mal jemanden engagiert, der wegen Cheryls Tod Nachforschungen anstellen sollte? Ich könnte mir denken, dass Sie nicht viel Vertrauen in eine polizeiliche Ermittlung hatten.«
Mr Duggan spuckte in den Kamin. Seine Frau sah ihn stirnrunzelnd an. »Was tut das zur Sache?«, fragte sie.
»Es könnte wichtig sein.«
»Wir haben jemanden engagiert«, sagte sie. »Einen Privatdetektiv aus London. Wir haben ihn im Telefonbuch in der Bücherei gefunden. Wir waren verzweifelt. Die Polizei hatte mehr als ein Jahr lang nichts unternommen, außerdem haben sie so schreckliche Sachen über Cheryl gesagt. Wir haben unsere ganzen Ersparnisse zusammengelegt.«
»Was ist passiert?«
»Dieser Mann kam aus London angereist und hat uns über Cheryl ausgefragt. Wer ihre Freunde waren, wohin sie gerne ausging, alles Mögliche. Dann meinte er, er will versuchen herauszufinden, was passiert ist.«
»Er kam nie zurück«, mischte sich Mr Duggan ein.
»Sie meinen, er ist mit Ihrem Geld abgehauen?«
»Nicht mit allem, Alf«, sagte Mrs Duggan. »Er hat nur einen Vorschuss genommen.«
»Er ist mit dem Geld abgehauen, Jesse, machen wir uns doch nichts vor. Er hat uns übers Ohr gehauen. Er hat nie daran gedacht, Nachforschungen über Cheryls Tod anzustellen, er hat einfach genommen, was er von uns kriegen konnte. Und wir haben es ihm gegeben.«
»Wie war sein Name?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Natürlich weißt du das, Alf«, sagte Mrs Duggan. »Er hieß Raymond Addison. Ich jedenfalls habe es nicht vergessen.«
»Und was haben Sie getan?«
»Was sollten wir tun?«, sagte sie. »Er hatte fast unser ganzes Geld, also konnten wir niemand anderen engagieren. Die Polizei war nicht interessiert. Wir haben einfach versucht, zu vergessen, das ist alles.« Sie zog die Schottenkarodecke höher um ihre Hüften.
»Nachdem Sie ihn das erste Mal gesehen haben, hat Mr Addison Ihnen also keinen Bericht abgeliefert?«
»Nein«, sagte Mr Duggan. »Wir haben ihn nur das eine Mal gesehen.«
»Können Sie sich an das Datum erinnern?«
Der alte Mann schüttelte den Kopf.
»Ich kann mich nicht mehr an den genauen Tag erinnern«, sagte seine Frau, »aber es war im Februar, ungefähr fünfzehn Monate, nachdem Cheryl ermordet wurde. Die Polizei schien aufgegeben zu haben, und wir wussten nicht, an wen wir uns wenden sollten. Dann stießen wir auf ihn, und er ließ uns im Stich.«
»Ich weiß nicht, ob es ein Trost für Sie ist, Mrs Duggan, aber ich glaube nicht, dass Mr Addison Sie im Stich gelassen hat.«
»Was?«
»Er wurde selbst ermordet aufgefunden, wahrscheinlich nur einen Tag, nachdem Sie sich mit ihm getroffen hatten. Oben in Yorkshire. Deshalb haben Sie nie wieder von ihm gehört. Nicht weil er mit Ihrem Geld abgehauen ist.«
»In Yorkshire? Was hatte er dort zu suchen?«
»Ich denke, er hat etwas über Cheryls Tod herausgefunden. Eine Spur, die die Polizei übersehen hat. Sie müssen verstehen, dass wir weder genug Leute noch genug Zeit haben, um uns vierundzwanzig Stunden am Tag einem einzigen Fall zu widmen, Mrs Duggan. Ich kenne die Umstände nicht, aber vielleicht war die Polizei hier nicht so aktiv, wie sie es Ihrer Meinung nach hätte sein sollen. Nur in Büchern finden die Polizisten jedes Mal den Mörder. Mr Addison dagegen hatte nur diesen einen Fall. Er muss jeden möglichen Ort abgeklappert haben, den Cheryl in dieser Nacht besucht haben könnte, er muss mit jedem gesprochen haben, der sie kannte, und das, was er erfuhr, führte ihn in ein Dorf nach Yorkshire. Und dort fand er den Tod.«
Mrs Duggan biss auf ihre Knöchel und begann leise zu weinen. Ihr Mann ging zu ihr und tröstete sie.
»Es kommt nie was Gutes dabei raus, wenn man in der Vergangenheit rumwühlt«, schnauzte er Banks an. »Jetzt schauen Sie nur, wie Sie sie durcheinandergebracht haben.«
»Ich kann verstehen, dass Sie wütend sind, Mr Duggan«, sagte Banks, »aber wenn ich mich nicht täusche, dann wissen wir, wer Ihre Tochter ermordet hat.«
Duggan schaute weg. »Was spielt das jetzt noch für eine Rolle?«
»Vielleicht spielt es keine Rolle mehr, zumindest für Sie nicht. Aber ich finde, es sollte Ihnen etwas bedeuten, dass Addison Sie nicht im Stich gelassen hat und nicht mit Ihrem Geld getürmt ist. Er hat eine Spur gefunden, und anstatt Ihnen davon zu berichten, hat er sich aufgemacht, solange die Spur noch heiß war. Ich denke, Sie schulden seinem Andenken eine Art Entschuldigung, wenn Sie ihm all die Jahre Vorwürfe gemacht und schlecht über ihn gedacht haben.«
»Vielleicht«, gab Duggan zu. »Aber was bringt das? Zwei Menschen sind tot. Wofür?«
»Mehr als zwei«, sagte Banks. »Der Mörder musste noch einmal töten, um seine Spuren zu verdecken. Erst Addison, dann jemand anderen.«
»Und das alles wegen unserer Cheryl?«, sagte Mrs Duggan und wischte sich ihre Augen ab.
Banks nickte. »Es sieht so aus, als hätte alles mit ihr begonnen. Können Sie mir noch etwas verraten? Hat Cheryl jemals davon gesprochen, dass sie jemanden aus Yorkshire kannte? Vielleicht einen Studenten, mit dem sie sich traf?«
Beide schüttelten den Kopf. Dann lachte Mrs Duggan bitter auf. »Sie sagte immer, dass sie eines Tages einen Studenten heiraten würde. Den Sohn eines Lords oder eines Premierministers. Sie wusste genau, was sie wollte, unsere Cheryl. Aber sie hatte zu viel Phantasie. Sie war zu flatterhaft. Wenn sie doch nur auf mich gehört hätte und bei ihresgleichen geblieben wäre.«
»War sie häufig mit Studenten zusammen?«
»Sie ging in die gleichen Pubs wie die Studenten«, sagte Mr Duggan. »Die Polizei sagte, sie war eine Prostituierte, Mr Banks, dass sie sich an Männer verkauft hat. Wir wussten nichts davon. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich weiß, dass sie sich gerne zurechtgemacht hat, wenn sie ausging, aber welches Mädchen tut das nicht? Und sie war noch nicht alt genug, um zu trinken, aber was kann man dagegen machen ... ? Man kann sie nicht wie Gefangene halten, oder? Sie hat immer erzählt, wie viel Spaß sie mit den Studenten hatte und dass sie bestimmt bald einen netten jungen Mann kennenlernen würde. Was sollten wir tun? Wir haben ihr geglaubt. Unsere Cheryl konnte einen glauben machen, dass sie alles erreichen kann, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Jeden Morgen wachte sie mit einem Lächeln auf, und das sage ich jetzt nicht einfach so. Sie war die glücklichste Seele, die ich jemals gekannt habe. Was haben wir falsch gemacht?«
Banks wusste keine Antwort. Er warf seine Zigarette in den Kamin und ging zur Tür. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bei der hiesigen Polizei«, sagte er.
»Einen Moment.« Mrs Duggan drehte sich zu ihm. »Wollten Sie es uns nicht erzählen?«
»Was wollte ich erzählen?«
»Wer es getan hat. Wer unsere Cheryl ermordet hat.«
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, sagte Banks. »Es sieht so aus, als wenn auch er tot ist.« Und dann schloss er die Tür vor ihrer Hoffnungslosigkeit und Leere.
»Tut mir leid, Alan«, sagte Ted Folley, nachdem er die Geschichte gehört hatte. »Ich sagte ja bereits, in dem Fall wurde nicht besonders intensiv ermittelt. Wir haben ein paar Untersuchungen angestellt, die aber zu nichts führten. Wir waren uns sicher, dass das Mädchen ertrunken ist. Sie hatte eine Menge Alkohol im Blut, und in ihren Lungen war Wasser. Die Schwellungen hätten von einem Kunden kommen können, schließlich arbeitete sie in einem rauen Milieu. Sie hatte keinen Zuhälter, also konnten wir uns auch nicht gleich auf einen Verdächtigen einschießen.«
Banks nickte und blies Rauchkringel aus. »Mit dem Addison-Fall sind wir auch nicht weitergekommen«, sagte er. »Nichts hat ihn mit Oxford verbunden, außerdem konnten wir nicht rausfinden, warum er in Swainshead war. Auf jeden Fall bis jetzt nicht. Was zum Teufel hat er wohl rausgefunden?«
»Kann alles Mögliche gewesen sein«, erwiderte Folley. »Vielleicht hat er den Pub gefunden, in dem sie zuletzt gewesen war, und einen Dealer aufgespürt, der die Polizei schon hundert Meter gegen den Wind gerochen hätte.«
»Hatte sie Drogen genommen?«
»Nicht als sie starb, nein. Aber sie hatte schon Ärger deswegen gehabt. Nichts Ernsthaftes, hauptsächlich Pillen. Wenn Addison durch all ihre Stammlokale geschnüffelt ist und mit jedem gesprochen hat, den sie kannte, ihr Foto rumgezeigt und mit ein bisschen Geld rumgewedelt hat ... Alan, du weißt so gut wie ich, dass die Kerle, die außerhalb des Gesetzes operieren, bessere Möglichkeiten haben. Er muss irgendwo den Namen deines Mannes aufgeschnappt haben und ist dann losgezogen, um ihn zu befragen.«
»Ja. Es ist eine verdammte Schande, dass er nicht professioneller vorgegangen ist.«
»Wie meinst du das?«
»Wenn er nur erst den Duggans erzählt hätte, was er herausgefunden hat, bevor er nach Yorkshire losgestürmt ist. Wenn er nur eine Art Bericht angelegt hätte ...«
»Er muss ziemlich eifrig gewesen sein«, sagte Folley. »Diese Privatschnüffler sind manchmal so.«
In dem Moment kam Hatchley aus Woodstock zurück. »Beschissene Zeitverschwendung«, brummte er, ließ sich auf einen Stuhl fallen und durchwühlte seine Taschen nach Zigaretten.
»Nichts?«, fragte Banks.
»Nichts. Aber nach Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, haben Sie das große Los gezogen. Habe ich recht?«
»Haben Sie.« Er erzählte Hatchley von seinem Gespräch mit den Duggans.
»Das war's dann also?«
»Sieht so aus. Stephen Collier muss dieses junge Mädchen, Cheryl Duggan, aufgelesen und etwas mit ihr getrunken haben und ist dann mit ihr zu den Wiesen am Fluss gegangen, um Sex zu haben. Für die Jahreszeit war es ungewöhnlich warm. Er wurde ein bisschen grob, sie kämpften, und er ertränkte sie. Oder sie fiel in den Fluss, und er hat versucht, ihr zu helfen. Es könnte ein Unfall gewesen sein, aber er konnte es sich nicht leisten, mit einer solchen Situation in Verbindung gebracht zu werden. Vielleicht hatte er Drogen genommen, wir werden es nie erfahren. Möglicherweise war er nicht mal verantwortlich für die Schwellungen und die gewalttätige sexuelle Behandlung, die sie erdulden musste. Das kann auch ein früherer Kunde gewesen sein. Collier könnte sie sogar getröstet und zu überreden versucht haben, von der schiefen Bahn abzukommen. Ich schätze, die Darstellung wird immer davon abhängen, für was für einen Menschen man Stephen hält. Ein Fehler, ein schrecklicher Fehler, und drei Menschen mussten sterben. Himmel, es könnte sogar ein dummer Studentenstreich gewesen sein.«
»Glauben Sie, er hat Selbstmord begangen?«
Banks schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. In seiner Verfassung, wenn er die ganze Zeit diese Schuld mit sich rumgetragen hat, könnten Selbstmord und Unfalltod auf das Gleiche rauslaufen. Es spielte auch keine Rolle mehr, er wurde einfach unvorsichtig. Katie Greenock sagte, er hätte geplant, Swainshead zu verlassen, und ich nehme an, es war ihm ganz gleich, wie.«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Hatchley.
Banks schaute auf seine Uhr. »Jetzt ist es halb drei«, sagte er. »Ich schlage vor, wir besuchen Stephens früheren Tutor und versuchen herauszufinden, ob es seine Art war, zu jungen Prostituierten zu gehen. Vielleicht finden wir ein paar Hinweise darauf, was wirklich passiert ist, wer für was verantwortlich war. Dann machen wir uns auf den Heimweg. Wir könnten es bis um neun schaffen, wenn wir früh genug losfahren.« Er drehte sich zu Folley und streckte seine Hand aus. »Nochmals danke, Ted. Du hast uns sehr geholfen. Wenn ich mich mal revanchieren kann ...«
Folley lachte. »In Swainsdale? Du machst wohl Witze. Aber trotzdem danke. Lass uns mal privat telefonieren. Eine Bootsfahrt durchs Themsetal mit Frauen und Kindern wäre doch mal was.«
»Ich melde mich«, sagte Banks. »Na los, Jim, wird Zeit, dass wir loskommen.«
Hatchley richtete sich mühsam auf, verabschiedete sich von Folley und folgte Banks hinaus auf die Aldates Street.
»Bitte schön«, sagte Banks, als sie in der Nähe von Blackwell's auf der Broad Street waren. »Doktorhüte und Roben.«
Tatsächlich war die ganze Gegend mit Studenten bevölkert. Sie gingen zu Fuß, fuhren Rad oder standen plaudernd vor den Buchhandlungen.
»Schwule Säcke«, schimpfte Hatchley.
Sie gingen am Pförtner vorbei, überquerten den viereckigen Innenhof und fanden Dr. Barber in seinem Büro in Stephens früherem College vor.
»Sherry, Gentlemen?«, fragte er, nachdem sie sich vorgestellt hatten.
Banks sagte zu, weil er trockenen Sherry mochte; Hatchley nahm ein Glas, weil er noch nie ein Gratisgetränk abgelehnt hatte.
Barbers Arbeitszimmer war mit Büchern, Magazinen und Papieren vollgestopft. Auf dem Schreibtisch lag ein studentischer Aufsatz mit dem Titel »Die Auflösung der Klöster: Aussagen zeitgenössischer Darstellungen«, der aber nicht ganz ein altes, grün eingebundenes Krimitaschenbuch von Penguin verdecken konnte. Banks neigte seinen Kopf und blinzelte auf den Titel: Der wandernde Spielzeugladen von Edmund Crispin. Er hatte nie davon gehört, aber ein Krimi war nicht gerade der Lesestoff, den er im Büro eines Universitätsdozenten von Oxford erwartet hätte.
Während Barber den Sherry einschenkte, stand Banks am Fenster und schaute über den gepflegten, gemähten Innenhof auf die helle Steinfassade des Colleges.
Barber reichte ihnen die Gläser und zündete seine Pfeife an. Der Rauch verströmte einen süßlichen Geruch. Mit Rücksicht auf seine Gäste öffnete er das Fenster ein wenig, und ein frischer Luftzug sog den Rauch nach draußen. Äußerlich umgab Barber der Hauch eines in die Jahre gekommenen Geistlichen, außerdem roch er nach Pears-Seife. Er erinnerte Banks an den Schauspieler Wilfred Hyde-White.
»Das ist lange her«, sagte Barber, als Banks ihn nach Collier gefragt hatte. »Lassen Sie mich einen Blick in meine Akten werfen. Ich habe Unterlagen über die gesamten letzten zwanzig Jahre, müssen Sie wissen. Es zahlt sich aus, wenn man weiß, wen man durch diese heiligen Hallen hat gehen sehen. Als Historiker messe ich der Dokumentation große Bedeutung bei. Wollen wir mal sehen ... Stephen Collier. Genau. Schule in Braughtmore, Yorkshire. Ist das derjenige? Ja? Ich erinnere mich an ihn. Kein schrecklich akademischer, aber ein sehr angenehmer Zeitgenosse. Was ist los mit ihm?«
»Genau das versuchen wir herauszufinden«, sagte Banks. »Er ist vor wenigen Tagen gestorben, und wir wollen wissen, warum.«
Barber setzte sich hin und nahm seinen Sherry. »Mein Gott! Er wurde ermordet, nicht wahr?«
»Wie kommen Sie zu der Annahme?«
Barber zuckte mit den Achseln. »Man bekommt normalerweise nicht ohne Grund Besuch von der Polizei aus Yorkshire. Man bekommt normalerweise überhaupt keine Besuche von der Polizei.«
»Wir wissen es nicht genau«, sagte Banks, »es könnte auch ein Unfall gewesen sein, oder Selbstmord.«
»Selbstmord? Ach, du meine Güte. Collier war ein ziemlich ernsthafter junger Mann, ein bisschen übertrieben ernsthaft sogar, wenn ich mich recht erinnere. Aber Selbstmord?«
»Es ist nicht auszuschließen.«
»In ein paar Jahren kann sich viel verändern«, sagte Barber. Er runzelte die Stirn und zündete wieder seine Pfeife an. Banks erinnerte sich an seine eigenen Kämpfe mit der ständig ausgehenden Pfeife, die nun zerbrochen an der Wand seines Büros im Präsidium von Eastvale hing. »Wie gesagt«, fuhr Barber fort, »Collier schien ein vernünftiger, sensibler Kerl zu sein. Aber wer hat schon Einblick in die Geheimnisse der menschlichen Seele? Fronti nulla fides.«
»Man kann nicht von einem bestimmten Typus sprechen, der für Selbstmord prädestiniert ist«, sagte Banks. »Jeder, der weit genug getrieben wird -«
»Ich nehme an, Sie gehören zu den Polizisten, die glauben, dass bei den entsprechenden Umständen auch jeder Mensch zum Mörder werden kann?«
Banks nickte.
»Ich befürchte, da bin ich anderer Meinung«, sagte Barber. »Ich bin kein Psychologe, aber ich würde sagen, man muss der Typ dazu sein. Nehmen Sie mich zum Beispiel. Ich könnte mir nie vorstellen, so etwas zu tun. Allein der Gedanke ans Gefängnis würde mich abschrecken. Und ich würde glauben, dass mir jeder meine Schuld ansieht. Als Kind habe ich einmal ein Zitronentörtchen aus dem Süßigkeitenladen gestohlen, während Mrs Wiggins sich gerade umgedreht hatte, und ich wurde sofort von Kopf bis Fuß rot. Nein, Chief Inspector, ich könnte nie einen Mörder abgeben.«
»Das freut mich zu hören«, sagte Banks. »Dann brauche ich Sie jetzt wohl nicht mehr nach einem Alibi zu fragen, oder?«
Barber schaute ihn einen Augenblick verunsichert an. Dann begann er zu lachen.
»Stephen Collier«, sagte Banks.
»Ja, ja. Verzeihen Sie mir. Ich werde alt, ich neige zum Abschweifen. Aber zurück zu Stephen Collier. Er war einer derjenigen, die richtig hart arbeiten mussten, um durchzukommen. Viele andere besitzen eine natürliche Begabung, schreiben in der Nacht vor der Abgabe mal eben einen guten Aufsatz. Collier dagegen büffelte wochenlang in der Bücherei, wenn eine umfangreichere Arbeit fällig war. Gewissenhaft.«
»Wie kam er mit seinen Kommilitonen zurecht?«
»Ganz gut, soweit ich weiß. Doch Collier war eher ein Einzelgänger. Er war gern allein. Ich muss Ihnen wohl kaum erzählen, Chief Inspector, dass eine ganze Reihe junger Männer hier einen draufmachen wollen. Das ist immer so gewesen, im Grunde seit im dreizehnten Jahrhundert Studenten in diese Stadt kamen. Zwischen der Universitätsverwaltung und den Leuten von der Stadt hat es immer kleine Gefechte gegeben. Die Studenten sind nicht bösartig, nur heißblütig. Manchmal richten sie mehr Schaden an, als sie beabsichtigen.«
»Und Collier?«
»Ich bin mir sicher, dass er bei solchen Ausschweifungen nicht dabei war. Wenn es unerfreuliche Vorfälle gegeben hätte, dann wären sie in meinen Beurteilungen erfasst worden.«
»Hat er viel getrunken?«
»Ich hatte deswegen nie Probleme mit ihm.«
»Drogen?«
»Chief Inspector Banks«, sagte Barber langsam, »mir ist klar, dass die Universität in letzter Zeit durch Drogen und Ähnliches in Verruf geraten ist, und ohne Zweifel kommen solche Fälle vor. Aber wenn Sie auf die Medien hören, dann werden Sie ernsthaft irregeführt. Ich glaube nicht, dass Stephen Collier auch nur irgendwas mit Drogen zu tun hatte. Ich erinnere mich, dass wir damals einigen Ärger mit einem Studenten hatten, der Cannabis verkaufte, was sehr besorgniserregend war, aber es gab eine gründliche Untersuchung, und Stephen Collier war in keiner Weise in diese Sache verwickelt.«
»Also war Stephen Collier nach Ihren Erinnerungen ein vorbildlicher Student, wenn auch nicht ganz so intelligent wie manche seiner Kommilitonen?«
»Ich weiß, das klingt seltsam und ist sicher nicht leicht zu glauben, aber ja, das war er. Die meiste Zeit fiel seine Gegenwart hier kaum auf. Ich habe große Probleme, zu erraten, worauf Sie hinauswollen. Sie sagen, Stephen Colliers Tod könnte Selbstmord oder aber ein Unfall gewesen sein. Aber, bei allem Respekt, Ihre Fragen scheinen auf Hinweise zu deuten, dass Collier selbst eine Art Rabauke gewesen war.«
Banks runzelte die Stirn und schaute wieder aus dem Fenster. Der Schatten einer Wolke strich über den Innenhof. Er trank den Sherry aus und zündete sich eine Zigarette an. Sergeant Hatchley, der ruhig rauchend auf einem Stuhl in der Ecke saß, hatte sein Glas bereits vor einer Weile geleert und spielte jetzt damit herum, so als hoffte er, dass es Barber bemerken und ihn fragen würde, ob er nachschenken dürfe. Seine Hoffnung wurde erfüllt, und beide Polizisten nahmen dankend an. Banks mochte es, wie die trockene Flüssigkeit seine Geschmacksnerven zusammenzog.
»Er ist ein Verdächtiger«, sagte Banks. »Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen. Wir haben keine Beweise, dass sich Collier eines Verbrechens schuldig gemacht hat, aber es besteht eine starke Wahrscheinlichkeit.«
»Spielt das noch eine Rolle«, fragte Barber, »jetzt, da er tot ist?«
»Ja, das tut es. Wenn er schuldig war, dann ist der Fall abgeschlossen. Wenn nicht, dann haben wir noch einen Verbrecher zu fassen.«
»Ja, ich verstehe. Aber ich kann Ihnen leider keine Beweise anbieten. Soweit ich mich erinnern kann, schien er mir ein angenehmer, hart arbeitender, unauffälliger Mensch zu sein.«
»Was war vor sechs Jahren? Da müsste er in seinem dritten Jahr gewesen sein, in seinem letzten. Ist damals etwas Ungewöhnliches passiert, so im frühen November?«
Barber runzelte die Stirn und schürzte die Lippen. »Ich kann mich an nichts erinnern ... Warten Sie einen Moment ...« Er ging zu seinem altertümlichen Aktenschrank und wühlte durch die Papiere. »Ja, genau, dachte ich mir's doch«, verkündete er schließlich. »Stephen Collier hat keinen Abschluss gemacht.«
»Was?«
»Er hat das Studium abgebrochen. Er war plötzlich zu dem Schluss gelangt, dass Geschichte nichts für ihn war, und hat die Universität nach zwei Jahren verlassen. Soweit ich weiß, wollte er eine Firma leiten. Ich kann das natürlich noch von der Verwaltung bestätigen lassen, aber meine eigenen Berichte sind recht lückenlos.«
»Heißt das, Stephen Collier war im November vor sechs Jahren gar nicht in Oxford?«
»Das stimmt. Könnte es sein, dass Sie ihn mit seinem Bruder Nicholas verwechseln? Er hat damals gerade sein zweites Jahr begonnen, und jetzt, wo ich so in der Vergangenheit wühle, erinnere ich mich auch wieder ganz deutlich an ihn. Nicholas Collier war anders als sein Bruder, er war ein ganz und gar anderer Typ.«