»Gibt's Probleme, Gentlemen?«, fragte Nicholas Collier, als er aus dem White Rose kam und sah, wie Banks und Gristhorpe deprimiert den Berg hinaufstarrten.
»Nicht im Geringsten«, entgegnete Gristhorpe. »Wir bewundern nur die Aussicht.«
»Darf ich einen Weg vorschlagen, der Ihre Schuhsohlen etwas schont?«
»Sehr gern.«
»Sehen Sie die schmale Linie, die den Berg diagonal durchkreuzt?« Nicholas deutete Richtung Hang und verfolgte den Verlauf der Linie mit dem Zeigefinger.
»Ja«, sagte Gristhorpe. »Sieht aus wie irgendein alter Weg.«
»Stimmt genau. Da oben am Hang lag früher mal ein Gehöft. Es gehörte meinem Vater, bis er es an Archie Allen vermietete. Mittlerweile ist es vollständig verfallen, doch die Straße hinauf existiert noch. Sie ist natürlich in keinem guten Zustand und möglicherweise zugewachsen, aber bis auf halbem Weg müsste man mit dem Wagen noch hochkommen, wenn Ihnen das eine Hilfe ist.«
»Vielen Dank, Mr Collier«, sagte Gristhorpe. »Bei meiner Figur ist jede gesparte Anstrengung ein Segen.«
»Sie müssen diese Straße drei Kilometer weiterfahren bis zur nächsten Brücke, um auf den Weg zu kommen, aber er ist kaum zu verfehlen«, erklärte Nicholas und machte sich mit einem Lächeln auf den Heimweg.
»Komischer Vogel, oder?«, bemerkte Banks. »Ganz anders als sein Bruder.«
Während Stephen das elegante, weltmännische Äußere eines Dandys besaß, wirkte Nicholas mit seinem bleichen Teint, der langen Nase und den hervorstehenden Vorderzähnen etwas tölpelhaft. Die einzige Ähnlichkeit lag in ihren ungewöhnlich leuchtenden, blauen Augen.
»Nicholas kommt nach seinem Vater«, sagte Gristhorpe. »Und Stephen nach seiner Mutter - eine der schönsten Frauen, die ich jemals in der Gegend gesehen habe. Nicht wenige Männer ertranken ihren Kummer im Suff, als Ella Dinsdale Walter Collier heiratete. Hielt allerdings nicht lange. Armes Mädchen.«
»Was ist passiert?«
»Kinderlähmung. Bevor die Schutzimpfung eingeführt wurde. Komm, lass uns losgehen und einen Blick auf diese Leiche werfen, bevor sie aufsteht und abhaut.«
Problemlos fand Banks die Brücke und den Weg, und obwohl die alte Straße holprig war, schafften sie es ohne ernsthafte Schäden am Wagen bis zu dem verfallenen Gehöft.
Ein wenig weiter links sahen sie den Pfad, den Neil Fellowes genommen hatte, und folgten ihm den Hang hinauf. Obwohl sie den größten Teil des Weges gefahren waren, kam Banks auf dem steilen Pfad schnell außer Atem und wünschte, er wäre Nichtraucher. Auch wenn sein Gesicht rot anlief, schien der Anstieg dem schweren Gristhorpe leichter zu fallen. Banks vermutete, dass ihm die Landschaft vertrauter war. Immerhin lag auch sein eigenes Häuschen auf halber Höhe eines Talhanges.
Schließlich standen beide schnaufend und schwitzend auf dem Gipfel, von wo Fellowes ein paar Stunden früher die Szenerie betrachtet hatte. Nachdem sie wieder zu Atem gekommen waren, zeigte Gristhorpe auf das herbstliche Tal unter ihnen.
»Sieht bezaubernd aus, oder?«, sagte er, als sie den Hang hinunter in Richtung Wald liefen. »Sieh mal, da ist der Rucksack.«
Wie beschrieben überquerten sie den Bach und suchten den Frauenschuh bei den heruntergefallenen Zweigen. Als sie die Leiche rochen, sahen sie sich an. Beide kannten diesen Gestank, er war untrüglich.
»Kein Wunder, dass Fellowes in einer solchen Verfassung war«, sagte Banks. Er holte ein Taschentuch hervor und hielt es sich vor die Nase. Vorsichtig zog Gristhorpe weitere Zweige beiseite.
»Lieber Himmel, daran wird Glendenning seine wahre Freude haben«, sagte er und wich dann zurück. »Bei der Sauerei unterhalb der Rippen können wir von einem Mordfall ausgehen. Wahrscheinlich eine Stichwunde. Männlich, würde ich sagen.«
Banks stimmte zu. Obwohl Kleingetier an Teilen der Leiche gewesen war und sich Maden eingenistet hatten, hob sich der dunkle Fleck genau links unterhalb des Brustkorps deutlich von dem weißen Hemd ab, das der Mann trug. Fellowes hatte recht, was die Bewegung anbetraf. So wie sich die Maden unter den Kleidern entlangschlängelten, entstand der Eindruck, die Leiche würde gekräuselt wie Wasser in einer Brise.
»Beweglicher Verfall«, brummelte Gristhorpe vor sich hin. »Ich frage mich, wo der Rest seiner Ausrüstung ist. So wie die Stiefel aussehen, war er garantiert Wanderer.«
Banks musterte so genau wie möglich das Gummiprofil. »Außerdem sehen sie neu aus«, sagte er. »Kaum abgenutzt.«
»Er muss noch mehr Zeug bei sich gehabt haben«, sagte Gristhorpe und rieb sich sein stoppeliges Kinn. »Die meisten Wanderer haben wenigstens einen Rucksack mit ein paar getrockneten Datteln, Kompass, Landkarten, Taschenlampe und Wechselklamotten dabei. Irgendjemand muss ihn mitgenommen haben.«
»Oder vergraben.«
»Ja.«
»Er trägt auch keine wasserdichten Sachen«, stellte Banks fest.
»Das könnte bedeuten, dass er wusste, was er tat. Nur Amateure tragen die ganze Zeit wasserdichte Sachen. Erfahrene Wanderer wechseln je nach Wetter ihre Klamotten. Wenn das alles war, was er trug, als er ermordet wurde, dann geben vielleicht die Wetteraufzeichnungen Aufschluss über die grobe Todeszeit.«
»Das Wetter war ziemlich beständig während der letzten paar Wochen«, stellte Banks fest. »Frühlingsende, aber jetzt sieht es aus wie Sommeranfang.«
»Stimmt. Trotzdem, womöglich findet die Spurensicherung doch noch was heraus. Wir sollten das Team hier hochschaffen, Alan.«
»Auf dem Weg, den wir genommen haben ? Das wird nicht einfach.«
Gristhorpe dachte für einen Moment nach. »Vielleicht gibt es einen besseren Weg«, sagte er schließlich. »Wenn mich meine Ortskenntnisse nicht täuschen.«
»Und zwar?«
»Wenn ich mich nicht irre, ist dies der Bach, der in Rawley Force an der Straße nach Helmthorpe endet, ungefähr anderthalb Kilometer östlich von Swainshead. Dies ist ein Hängetal.«
»Wie bitte?«
»Ein Hängetal«, wiederholte Gristhorpe. »Ein Seitental, das im rechten Winkel ins Haupttal Swainsdale mündet. Der Gletscher war hier zu klein, um das Tal genauso zu vertiefen wie der größere Gletscher, der das ganze Haupttal ausgefräst hat, deshalb hängt es wie ein Quereinschnitt über der Haupttalsohle. Das Wasser erreicht den Hauptfluss normalerweise über Wasserfälle, Rawley Force ist so einer. Ich dachte, du hättest dich in die regionale Geologie eingelesen, Alan.«
»So weit bin ich noch nicht gekommen«, brummte Banks. Tatsächlich hatte er das Geologiebuch zugunsten eines neuen Geschichtsbuches über Yorkshire, das ihm seine Tochter Tracy empfohlen hatte, nach nur zwei Kapiteln beiseitegelegt. Sein Problem bestand darin, eine Menge wissen und lernen zu wollen, aber kaum Zeit zum Lesen zu finden, so dass er von einem Thema zum anderen sprang, ohne wirklich etwas im Gedächtnis zu behalten.
»Wie auch immer«, fuhr Gristhorpe fort, »Rawley Force ist nur ungefähr dreißig Meter hoch. Wenn wir uns an die Bergwachtstation in Helmthorpe wenden und sie dazu kriegen, eine Seilwinde aufzubauen, dann können wir das Team hier ohne Probleme rauf- und runterschaffen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Glendenning hier so hochkraxelt wie wir. Es wird ein unglaubliches Hin und Her geben. Außerdem müssen wir auch die Leiche irgendwie runterkriegen. Eine Winde könnte die Lösung sein. Müsste problemlos funktionieren. Die Höhlenforschervereine aus Craven und Bradford bauen für die Touristen jedes Jahr eine am Gaping Gill auf - und der ist um einiges tiefer.«
»Klingt gut«, sagte Banks skeptisch. Er erinnerte sich an die Schaukelpartie hundert Meter den Gaping Gill hinab, der sich zu einer Höhle öffnete, so riesig wie das Innere der Kathedrale von York. Ein Erlebnis, das er ungern wiederholen wollte. »Aber wir sollten lieber loslegen, sonst ist es dunkel, bevor alle hier sind. Brauchen wir Sergeant Hatchley?«
Gristhorpe nickte.
»Richmond auch?«
»Noch nicht. Warten wir erst mal ab, was wir rausfinden, bevor wir hier das ganze Personal anrücken lassen. Richmond kann solange auf der Wache die Stellung halten. Ich werde hier bleiben, während du zum Auto zurückgehst und über Funk die Leute rufst. Sag dem Doc lieber gleich, in welchem Zustand die Leiche ist. Vielleicht braucht er besondere Ausrüstung.«
Banks blinzelte hinab auf die Leiche, dann schaute er Gristhorpe an.
»Bist du sicher, dass du hierbleiben willst?«
»Das ist keine Frage des Wollens«, sagte Gristhorpe. »Jemand muss hierbleiben.«
»Sie hat hier lange genug allein rumgelegen. Auf eine halbe Stunde mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an.«
»Jemand muss hierbleiben«, wiederholte Gristhorpe.
Banks wusste, wann man besser den Mund hielt. So verließ er den wie Buddha unter einer Esche am Bach sitzenden Superintendent und begab sich zurück durch die Wälder zu seinem Wagen.
»Was ist los?«, fragte Katie Greenock, als Sam und Stephen mit Fellowes in ihrer Mitte hereinwankten.
»Er hat ein bisschen über den Durst getrunken, das ist alles«, sagte Sam. »Mach Platz, Frau. Ist Nummer fünf noch frei?«
»Ja, aber -«
»Keine Angst, er wird schon nicht auf deine kostbaren Laken kotzen. Er braucht nur Schlaf.«
»Na gut«, sagte Katie und biss sich auf die Lippe. »Dann bringt ihn lieber hoch.«
Als sie an ihr vorbeigingen und sich die Treppen hochkämpften, lächelte Sam sie entschuldigend an. Schließlich luden sie ihre Last auf der Tagesdecke ab und ließen Katie allein mit ihm im Zimmer. Zuerst rührte sie sich nicht vom Fleck. Sie stand am Fenster und schaute Fellowes erschrocken an. Sam wusste ganz genau, wie sehr sie Betrunkene hasste und fürchtete. Und wie sehr sie sich vor ihnen ekelte. Und dabei hatte Mr Fellowes einen so netten und vernünftigen Eindruck gemacht.
Sie hatte kein klares Bild mehr von ihrem Vater, denn er starb gemeinsam mit ihrer Mutter bei einem Feuer, als Katie erst vier Jahre alt war, aber er war Alkoholiker gewesen, und sie zweifelte nicht daran, dass daher ihre Abneigung kam. Das einzige, undeutliche Bild, das sie von ihrem Vater im Kopf hatte, war das eines großen, ordinären Mannes, der sie mit seiner lauten Stimme, seinen Bartstoppeln und seiner Grobheit verängstigte. Einmal, als ihre Eltern sich unbeobachtet wähnten, hatte sie beobachtet, wie er ihrer Mutter im Schlafzimmer weh tat und sie derart zum Stöhnen und Strampeln brachte, dass es Katie Schauer über den Rücken jagte. Später wurde ihr natürlich klar, was ihre Eltern wohl in Wahrheit getan hatten, trotzdem war diese frühe Erinnerung so fest in ihr verankert und so tief verwurzelt wie ein Krebsgeschwür. Außerdem erinnerte sie sich daran, wie ihr Vater einmal hinfiel und sie Angst hatte, dass er sich verletzt haben könnte. Doch als sie zu ihm ging, um ihm zu helfen, stieß er sie um und beschimpfte sie. Sie hatte schreckliche Angst, dass er ihr das Gleiche antun könnte, was er mit ihrer Mutter getan hatte. Doch sosehr sie sich auch bemühte, mehr war ihr von dem Vorfall nicht in Erinnerung geblieben.
Auch die Erinnerung an das Feuer hatte sie verdrängt, nur hin und wieder suchte das Prasseln und Knistern züngelnder Flammen sie noch in ihren Alpträumen heim. Laut ihrer Großmutter war auch Katie damals im Haus gewesen, doch hatte die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle, bevor das Feuer auf ihr Zimmer übergegriffen hatte. Katie sei durch die Gnade Gottes gerettet worden, sagte ihre Großmutter, während ihre Eltern, die Sünder, von den Flammen der Hölle verschluckt worden seien.
Eine brennende Zigarette im Bett war die Brandursache, was ihre Großmutter mit besonderer Befriedigung zu erfüllen schien. In dieser Ironie sah sie ein Zeichen der göttlichen Macht, eine Antwort auf ihre Gebete. Es war Gottes Wille gewesen, Seine Gerechtigkeit, und Katie war dazu verpflichtet, ihr Leben in Dankbarkeit und demütiger Diensteifrigkeit zu verbringen.
Katie atmete tief ein, rollte Fellowes vorsichtig zur Seite und zog die Laken zurück. Die konnten einfach gewaschen werden, die gesteppte Tagesdecke dagegen nicht. Dann schnürte sie seine Wanderstiefel auf und stellte sie auf einen Zeitungsbogen vor das Bett. Sie waren zwar nicht schlammbeschmiert, aber in dem Profil der Sohle steckte jede Menge Erde.
»Sauberkeit kommt gleich nach Frömmigkeit«, hatte ihre Großmutter ihr eingeschärft. Und sie ist weit leichter zu erzielen, hätte Katie hinzugefügt, wenn sie sich getraut hätte. Abgesehen von einer unglaublich langen Liste von Pflichten und »Du sollst nicht«-Sätzen, die ungefähr alles einschlossen, womit sich die meisten normalen Menschen gern die Zeit vertrieben, lag Frömmigkeit für Katie in unerreichbarer Ferne. In letzter Zeit hatte sie häufig darüber nachgedacht und sich die strengen Worte und »notwendigen« Bestrafungen ihrer Großmutter in Erinnerung gerufen: das Mundauswaschen mit Seife für eine Lüge; eine Weile im Kohlenkeller für »schamlose Bewegungen« zu einem Stückchen Musik, das aus dem Radio des Nachbarhauses herübergeweht war. Und jede dieser Strafmaßnahmen begleitet von den Worten: »Das tut mir mehr weh als dir.«
Fellowes regte sich wieder und holte Katie aus ihren Träumereien. Für einen Augenblick öffneten sich seine grauen Augen, und er griff nach ihrer Hand. Sie spürte, wie Angst und Verwirrung von seinen knochigen Fingern durch ihr Handgelenk flossen.
»Sie bewegt sich«, nuschelte er vor sich hin, dann fiel er wieder in einen trunkenen Schlaf. »Bewegt sich ...«
Speichel sammelte sich in seinen Mundwinkeln und tropfte auf sein Kinn. Katie schreckte zurück. Sie ließ ihn allein und eilte die Treppen hinab. Sie hatte noch das Abendessen vorzubereiten, außerdem musste der Garten gejätet werden.
Banks beugte sich über die Kante von Rawley Force und beobachtete, wie Glendenning mit der Seilwinde nach oben gezogen wurde. Ein amüsanter Anblick. Der große, weißhaarige Rechtsmediziner saß aufrecht und versuchte so viel Würde zu bewahren, wie er konnte. Wie üblich baumelte eine Zigarette in seinem linken Mundwinkel, seine braune Tasche hatte er fest gegen seinen Bauch gepresst.
Glücklicherweise hatte es während der letzten Wochen kaum geregnet, so dass der Wasserfall rechts vom Doc zu einem Rinnsal verkümmert war. Die Belegschaft der Bergwacht war mehr als hilfsbereit gewesen und sofort ausgezogen, um innerhalb kürzester Zeit die Winde aufzubauen. Jetzt konnte das Polizeiteam langsam, einer nach dem anderen, heraufkommen. Gemäß seiner Stellung war Glendenning als Erster an der Reihe.
Schnaufend befreite er sich aus den Gurten, nickte Banks kurz zu und zog die Bügelfalte seiner Anzugshosen gerade. Banks führte ihn einen halben Kilometer durch das bewaldete Tal zum Tatort, wo Gristhorpe immer noch allein dasaß.
»Danke, dass du so schnell gekommen bist«, sagte der Superintendent zu Glendenning, stand auf und staubte sich den Hosenboden ab. Jeder im Präsidium der regionalen Kriminalpolizei von Eastvale erachtete es als angemessen, dem Doktor höflich, ja sogar respektvoll zu begegnen. Denn obwohl er ein ruppiges, altes Arschloch war, war er einer der besten Rechtsmediziner im Land, und alle waren froh, dass er sich Eastvale als Heimat ausgesucht hatte.
Mit dem Stummel der alten zündete sich Glendenning eine neue Zigarette an. »Und wo ist sie?«, fragte er.
Gristhorpe zeigte auf den Zweighaufen. Als er auf den wackeligen Steinen den Bach überquerte, fluchte der Doktor vor sich hin. Gristhorpe wendete sich an Banks und zwinkerte. »Sind alle da, Alan?«
»Sieht so aus.«
Als Nächstes kam Peter Derby, der junge Fotograf, auf sie zugeeilt und versuchte Glendenning zu überholen, bevor der Doktor mit seiner Arbeit beginnen konnte. Banks fand,'dass er viel zu unerfahren und unschuldig für seinen Job wirkte, doch nach allem, was er wusste, hatte Derby niemals auch nur mit der Wimper gezuckt, egal was es zu fotografieren gab.
Nach ihm kam Sergeant Hatchley, dem der kurze Weg von Rawley Force durch das Tal bereits das Gesicht gerötet hatte. Wie Gristhorpe war der blonde Sergeant ein kräftiger Mann, doch obwohl zwanzig Jahre jünger, hatte sich seine Muskelmasse schnell in Fett umgewandelt. Er sah aus wie ein Rugbystürmer und war in seinem Lokalverein auch tatsächlich mal einer gewesen, bis Zigaretten und Bier ihren Tribut an seiner Kondition zollten.
Banks versorgte ihn mit den Einzelheiten, während Gristhorpe sich mit den Leuten von der Spurensicherung beschäftigte.
Glendenning kniete neben der Leiche und verscheuchte die anderen wie einen Schwarm Fliegen. Schließlich packte er seine Tasche und balancierte wie ein Seiltänzer mit ausgestreckten Armen zurück über den Bach. Mit der einen Hand umklammerte er seine braune Tasche, in der anderen hielt er ein Reagenzglas.
»Verdammt ungünstiger Ort, um eine Leiche aufzuspüren«, brummte er, als wäre der Superintendent persönlich dafür verantwortlich.
»Tja, nun«, entgegnete Gristhorpe, »leider können wir uns das in unserer Branche nicht aussuchen. Ich nehme nicht an, dass du uns vor der Autopsie schon viel sagen kannst?«
Der Qualm seiner Zigarette stieg Glendenning in die Augen, er verzog das Gesicht. »Nicht viel«, sagte er. »Sieht mir nach einer Stichwunde aus. Wahrscheinlich durchdrang die Klinge das Herz von unterhalb des Brustkorbs.«
»Das bedeutet, dass der Täter sehr dicht bei ihm stand«, sagte Gristhorpe. »Also muss es jemand gewesen sein, den er kannte und dem er vertraute.«
Glendenning rümpfte die Nase. »Wenn du nichts dagegen hast, überlasse ich euch solche Spekulationen. Außerdem gibt es Fleischwunden und Schlagmale im Gesicht. Im Moment kann ich noch nicht sagen, wodurch es passiert ist. Nur dass der Tod vor ungefähr zehn Tagen eingetreten ist. Frühestens vor zwölf.«
»Wie können Sie sich da so sicher sein?«, fragte Banks, erstaunt über die Information.
»Ich bin ja eben nicht sicher, mein Junge«, sagte Glendenning, »das ist das Problem. Zwischen zehn und zwölf Tagen ist für mich alles andere als eine genaue Zeitangabe. Vielleicht gibt's nach der Obduktion präzisere Informationen, versprechen kann ich allerdings nichts. Diese Jungs da drüben verpacken ihn in einen Sack. Er muss für ein, zwei Tage in einem Lysolbad einweichen.« Glendenning lächelte und hielt sein Reagenzglas hoch. »Maden«, sagte er. »Calliphora erythrocephalus, wenn ich mich nicht irre.«
Die drei Ermittler schauten auf die weißen, sich langsam bewegenden Kleckse und tauschten verdutzte Blicke aus.
Glendenning seufzte und sprach wie zu einer Gruppe zurückgebliebener Kinder. »Ganz einfach. Larven der Schmeißfliege. Die Schmeißfliege legt ihre Eier tagsüber, normalerweise, wenn die Sonne scheint. Wenn es warm ist, wie in den letzten Tagen, dann schlüpfen sie am ersten Tag. Heraus kommt das sogenannte >erste Madenstadium<. Nach acht bis vierzehn Stunden häutet sich diese winzige Schönheit wie eine Schlange, es entsteht das zweite Stadium, das sich nach zwei oder drei Tagen häutet. Das dritte Stadium, dasjenige, das man zum Fischen benutzt« - und an dieser Stelle schaute er Gristhorpe an, der ein begeisterter Angler war -, »frisst fünf oder sechs Tage wie ein Scheunendrescher, ehe es sich verpuppt. Schaut euch diese hier an, Gentlemen.« Er hielt erneut das Reagenzglas hoch. »Das hier sind, wie man sehen kann, fette Maden. Faul. Reif. Noch sind es keine Puppen. Deshalb müssen sie vor neun oder zehn Tagen gelegt worden sein. Wenn man bedenkt, dass die Schmeißfliege vielleicht einen Tag oder so gebraucht hat, um die Leiche zu finden und die Eier zu legen, dann kommt man auf zwölf Tage, die die Maden draußen sein müssen.«
Das war die wortgewaltigste und längste Rede, die Banks jemals von Glendenning gehört hatte. Ganz offensichtlich schlummerte in dem schroffen, ketterauchenden Schotten, auf dessen Weste sich der Milchstraße gleich eine Aschespur entlangzog, ein potentieller Lehrer.
Der Doktor lächelte sein Publikum an. »Simpson«, sagte er.
»Wie bitte?«, fragte Banks.
»Simpson. Keith Simpson. Ich habe bei ihm studiert. Der Sherlock Holmes meines Fachbereichs sozusagen, nur dass es Simpson wirklich gab.«
»Verstehe«, sagte Banks, der nach so langer Zeit in Yorkshire gelernt hatte, wie man jemanden auf den Arm nahm. »Sie meinen so eine Art lebensechten Quincy, oder?« Sofort spürte er, dass ihn Gristhorpe in die Rippen knuffte.
Glendenning machte ein finsteres Gesicht, von seiner Zigarette fiel ein Zentimeter Asche ab. »Wahrscheinlich«, sagte er und verstaute das Reagenzglas in seiner Tasche. »Ich hoffe, diese bessere Seilschaft da drüben bringt mich heil wieder runter.«
»Keine Sorge«, versicherte Gristhorpe. »Das wird sie. Und vielen Dank.«
»Ja. Jetzt weiß ich wenigstens aus erster Hand, wie es sich anfühlt, meinen Arsch in der Schlinge zu haben«, sagte Glendenning, als er fortging.
Banks lachte, drehte sich um und beobachtete die Fachleute bei der Arbeit. Die Fotos waren im Kasten, jetzt war das Team damit beschäftigt, den Boden im Umkreis der Leiche abzusuchen.
»Wir müssen das ganze Gebiet noch gründlicher absuchen«, sagte Gristhorpe zu Hatchley. »Können Sie das organisieren, Sergeant?«
»Ja, Sir.« Hatchley holte sein Notizbuch und einen Stift hervor. »Ich werde ein paar Leute aus Helmthorpe und Eastvale abziehen.«
»Sie sollen besonders darauf achten, ob hier kürzlich etwas vergraben oder verbrannt wurde. Der Mann muss einen Rucksack bei sich gehabt haben. Außerdem suchen wir die Waffe, ein Messer oder so was in der Art. Und, Hatchley«, fuhr Gristhorpe fort, »es wäre besser, Richmond mit einzubeziehen. Er soll im zentralen Computer alle Vermisstenmeldungen überprüfen.«
Vic Manson, der Experte für Fingerabdrücke, kam zu ihnen und schüttelte den Kopf. »Das wird nicht leicht werden«, klagte er. »Möglicherweise gibt es noch Abdrücke auf drei oder vier Fingern, aber ich kann nichts versprechen. Ich werde versuchen, die Haut mit Wachsinjektionen zu entfalten, wenn das nicht hinhaut, nehme ich Formaldehyd und Kaliumaluminiumsulfat.«
»Das wird ein Höllenjob, seine Identität herauszufinden«, sagte Banks. »Selbst wenn wir Abdrücke haben, gibt es keine Garantie, dass sie irgendwo gespeichert sind. Und jemand hat sich größte Mühe gegeben, damit wir ihn nicht am Gesicht identifizieren können.«
»Die Kleidung kann uns Anhaltspunkte geben«, sagte Gristhorpe. »Oder die Zähne. Obwohl ich damit nie viel Glück hatte.«
»Ich auch nicht«, stimmte ihm Banks zu. Er fand es immer amüsant, wenn er sah, wie Kriminalbeamte im Fernsehen Leichen durch zahnärztliche Befunde identifizierten. Wenn die wüssten, wie lange es dauert, bis jeder Zahnarzt im Land sämtliche Akten seiner Kartei durchsucht hat! Die Polizei müsste schon eine Ahnung haben, wer die Leiche war, damit die Befunde die Identität entweder bestätigen oder widerlegen konnten.
»Er könnte sogar Deutscher sein«, meinte Hatchley. »Oder Amerikaner. Um diese Zeit wandern eine Menge Ausländer durch die Berge.«
Jenseits des Baches ließen zwei Männer mit Gesichtsmasken die Leiche in den großen Sack gleiten, den sie mitgebracht hatten. Banks verzog das Gesicht, während er zusah, wie sie die in alle Richtungen ausströmenden Maden wegwischten, bevor sie schließlich den Reißverschluss zumachen konnten. Dann gingen sie los und trugen ihre Last durch das Tal bis zur Winde.
»Gehen wir«, sagte Gristhorpe. »Es wird spät. Bis wir mit der Suche anfangen, können wir hier nichts mehr tun. Aber wir sollten ein paar Männer hier postieren. Falls der Mörder mitkriegt, dass wir die Leiche entdeckt haben, und er wichtiges Beweismaterial in der Nähe vergraben hat, kommt er vielleicht im Schutz der Nacht zurück.«
Hatchley nickte.
»Wir werden veranlassen, dass jemand hochgeschickt wird«, fuhr Gristhorpe fort. »Bleiben Sie besser hier, Hatchley, bis sie da sind. Versuchen Sie die Leute von der Bergwacht zu überreden, solange mit der Winde zu warten. Wenn nicht, müssen sie eben den langen Weg nehmen, so wie wir.«
Banks sah, wie Hatchley zu der Stelle schaute, wo die Leiche lag und sich kräuselte wie Wellen im Wind. Er beneidete niemanden um die Aufgabe, im Dunkeln in diesem bezaubernden Tal ausharren zu müssen.
In dieser Nacht nahm Sam Katie so grob wie immer. Und wie immer lag sie da und gab vor, selbst ihren Spaß daran zu haben. Wenigstens tat es nicht mehr so weh wie am Anfang. Es gab ein paar Dinge, die man tun musste, ein paar Sünden, die man begehen musste. Männer waren nun einmal so, und man brauchte einen Mann, um in der Welt beschützt zu sein. Das Wichtigste war, so hatte Katie von ihrer Großmutter gelernt, dass man diese Sache nicht genießen durfte. Beiß die Zähne zusammen und gib ihnen, was sie wollen, ja, spiel ihnen ruhig vor, dass es dir gefällt - besonders wenn sie dich schlecht behandeln, solange du nicht genug Begeisterung zeigst -, aber finde unter keinen Umständen Genuss daran.
Es dauerte nie lange. Das war ein Trost. Bald begann Sam heftiger zu atmen, und sie klammerte sich fester an ihn und gab die Töne und Worte von sich, die er hören wollte. Schließlich stöhnte er und machte sie ganz nass. Dann rollte er sich auf die Seite und fing in null Komma nichts zu schnarchen an.
Doch Katie konnte in dieser Nacht nur schwer einschlafen. Sie dachte an die Leiche auf dem Berg und zog die Decke enger um ihr Kinn. Beim letzten Mal war es schrecklich gewesen: die ganzen Fragen und der ganze Ärger - besonders als die Polizei versuchte, eine Verbindung zwischen dem toten Mann und Anne Ralston, dem vermissten Mädchen, herzustellen. Sie verhielten sich, als könnte Stephen oder einer seiner Freunde beide ermordet haben. Und was hatten sie herausgefunden? Nichts. Raymond Addison schien aus dem Nirgendwo gekommen zu sein.
Sie und Sam hatten noch nicht lange in Swainshead gelebt, als vor fünf Jahren der ganze Ärger losging, daher hatte sie auch Anne kaum gekannt. Überhaupt hatte sie Anne nur kennengelernt, weil Sam die »besten Leute« des Dorfes ausfindig machen wollte und sich damals gleich an die Colliers hängte. Und Anne Ralston war zu der Zeit eben mit Stephen zusammen.
Sie war nicht Katies Typ gewesen, deshalb sind sie auch nie gute Freundinnen geworden. Sie erinnerte sich, dass sie Anne viel zu frei und ungebunden fand. Wahrscheinlich war sie einfach mit einem anderen Mann getürmt. Ohne ein Wort abzuhauen, egal ob sich andere um sie sorgen, hätte ihr ähnlich gesehen.
Als sich Katie auf ihre Seite drehte, um ein paar Kleenex vom Nachttisch zu nehmen, zog sie die Decke mit sich. Sam brummelte was vor sich hin und zerrte seine Hälfte wieder zurück, ohne aufzuwachen. Behutsam wischte Katie sich sauber. Sie hasste die warme Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen. Sie hasste es von Mal zu Mal mehr, genauso wie sie mittlerweile ihr Leben mit Sam in Swainshead verabscheute.
In der letzten Zeit war alles schlimmer geworden. Seit einem Monat oder länger litt sie unter schweren Depressionen. Sie wusste, dass es die Pflicht einer Frau war, ihrem Ehemann zu folgen, im Guten wie im Schlechten bei ihm zu bleiben, seinen Forderungen im Bett nachzugeben und ihn den ganzen Tag im Haus zu bedienen. Aber mit Sicherheit, dachte sie, sollte das Leben nicht derart trostlos sein. Falls sich irgendeine Chance bieten sollte, der stumpfsinnigen Plackerei, zu der ihr Leben geworden war, und den Schlägen zu entfliehen, wäre es dann wirklich eine so große Sünde, sie am Schopfe zu packen?
Es war nicht immer so schlimm gewesen. Als sie sich kennengelernt hatten, hatte Katie als Zimmermädchen im Queen's Hotel in Leeds gearbeitet. Sam hatte eine Lehre als Elektriker gemacht und war eines Tages aufgetaucht, um die Leitungen zu überprüfen. Liebe auf den ersten Blick war es sicherlich nicht. Liebe, die gab es für Katie nur in den romantischen Taschenbüchern, bei deren Lektüre sie rot wurde und immer aufpassen musste, dass ihre Großmutter sie nicht erwischte. Aber Sam konnte sich einigermaßen sehen lassen - ein großspuriger, hagerer Jüngling mit lockigen, kastanienbraunen Haaren und einem herzlichen, knabenhaften Lachen. Ein echter Charmeur.
Dreimal hatte er sie zu einem Drink ausführen wollen, dreimal hatte sie nein gesagt. Sie hatte noch nie einen Fuß in einen Pub gesetzt. Ihre Großmutter hatte sie gelehrt, dass es allesamt Lasterhöhlen waren. Außerdem machte Katie den Alkohol für die Boshaftigkeit ihres Vaters und das Elend ihrer Mutter verantwortlich. Ihr war damals nicht klar, dass Sam ihre Ablehnung eines Drinks als Ablehnung seiner Person auffasste. Wenn er mich nur zu einem Spaziergang einladen würde, hatte sie gedacht, oder vielleicht zu einem Kaffee ins Kardomah oder zu einem kleinen Essen nach der Arbeit.
In aller Verzweiflung hatte er schließlich einen Samstagsausflug nach Otley vorgeschlagen. Obwohl Katie bereits volljährig war, fiel es ihr immer noch schwer, ihre Großmutter zu überreden, sie gehen zu lassen, erst recht, weil sie auf Sams Motorrad mitfahren sollte. Doch letztlich hatte die alte Frau nachgegeben und mürrisch vor der Schlange im Paradies und Wölfen in Schafspelzen gewarnt.
In Otley waren sie dann unweigerlich in einen Pub eingekehrt. Sam hatte sie praktisch ins Red Lyon zerren müssen, wo sie schließlich ihren Schutzwall eingerissen hatte und damit herausgeplatzt war, warum sie sich zuvor geweigert hatte, sich zu einem Drink einladen zu lassen. Er hatte gelacht und sanft ihre Schulter berührt. Sie trank ein Bitter Lemon, und keinem von beiden passierte etwas Schreckliches. Danach ging sie häufiger mit ihm in Pubs, lehnte aber weiterhin jeden Alkohol ab und fühlte sich nie richtig wohl dabei.
Doch jetzt, dachte sie und drehte sich wieder um, war das Leben unerträglich geworden. Früher, kurz nach ihrer Hochzeit und nachdem Katie gelernt hatte, Sams sexuelle Forderungen hinzunehmen, hatte es noch Hoffnung gegeben. Sie hatten mit seinen Eltern in einem kleinen Bergarbeiterhaus in Armley gewohnt und jeden Penny gespart, den sie verdienten. Sams Traum war ein Gästehaus in den Dales, und damals hatten sie gemeinsam daran gearbeitet, ihn zu verwirklichen. Trotz der Überstunden, des beschränkten Wohnraumes und der fehlenden Privatsphäre waren es glückliche Zeiten gewesen, denn sie hatten ein gemeinsames Ziel gehabt. Inzwischen hatten sie es erreicht und Katie hasste es. Sam hatte sich verändert: Er war versnobt, gefühllos und grausam geworden.
Wie jede andere Nacht in den vergangenen Monaten schrie sie innerlich bei dem Versuch, Sams Schnarchen zu ignorieren und stattdessen der Brise zu lauschen, die dort draußen durch die Weiden am namenlosen Strom fauchte. Sie würde warten und sich ruhig verhalten. Wenn nichts passierte, wenn aus ihrer einzigen Fluchthoffnung nichts wurde, dann würde sie sich eines Nachts so leise wie ein Dieb aus dem Haus schleichen und niemals zurückkehren.
In Zimmer fünf kniete Neil Fellowes vor dem Bett und betete.
Er war gerade noch rechtzeitig aus seinem Vollrausch erwacht, um sich ins Waschbecken zu erbrechen. Danach hatte er sich wesentlich besser gefühlt. Auf jeden Fall so gut, dass er hinuntergegangen war und die Lammkoteletts mit Minzsoße gegessen hatte, die Mrs Greenock so vorzüglich zubereitet hatte. Denn Rest des Abends hatte er lesend in seinem Zimmer verbracht.
Und jetzt, als er wie immer versuchte, in seinen Gebeten die Wörter mit seinen Gedanken und Gefühlen in Einklang zu bringen, merkte er, dass er nicht dazu in der Lage war. Das Bild der Leiche kehrte immer wieder zurück und verdrängte die Vorstellung von Gott, die er sich aus der Kindheit erhalten hatte: ein alter Mann mit einem langen, weißen Bart, der mit einem Buch auf seinem Schoß auf einer Wolke saß. Plötzlich hatte er auch den Geruch wieder in der Nase, es kam ihm vor, als versuchte er, auf dem Grund einer stickigen Kloake einzuatmen. Und er sah wieder den blutigen, madenübersäten Brei, der einmal ein Gesicht gewesen war, das weiße, sich im Verfall kräuselnde Hemd, das ganze, sich in einer widerlichen Parodie von Atmung hebende und senkende Ding.
Er wollte seine Gedanken mit aller Macht wieder auf das Gebet konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. In der Hoffnung, dass Gott Verständnis zeigen und ihm die Ruhe schenken würde, die er benötigte, gab er es auf, legte seine Brille auf den Tisch und ging ins Bett.
Kurz vor dem Einschlafen schaffte er es immerhin, den Verlauf der Ereignisse im Geiste zu rekonstruieren. Während er das alles erlebt hatte, war er zu verzweifelt, zu verwirrt gewesen, um irgendetwas zu bemerken. Und bald darauf hatte sich vom Alkohol alles in seinem Kopf gedreht. Doch er erinnerte sich, in den Pub gestürmt und um Hilfe gebeten zu haben. Er erinnerte sich, wie Sam Greenock und die anderen am Tisch beschwichtigend auf ihn eingeredet und ihm Ratschläge erteilt hatten, was er tun sollte. Aber da war noch etwas anderes, etwas, das nicht ins Bild passte. Es war nur ein undeutliches Gefühl. Bevor er es sich vollständig ins Bewusstsein rufen konnte, wurde er vom Schlaf übermannt.