8. Harris

Nach der Arbeit räumte er noch auf und duschte schnell und rief den Hund herein. Fell tappte langsam zu ihm, widerstrebend, denn er wusste, was das hieß. Er kam zu Harris, lehnte sich gegen sein Bein.

»Tja, Kumpel, tut mir leid«, sagte er. »Firma ruft.«

Er überlegte, ob er Fell noch draußen lassen sollte, aber die Kojoten wurden immer größer, fast verdoppelt in den letzten zwanzig Jahren, und es gab auch immer mehr von ihnen. Viele Nachbarn schossen aufs Geratewohl auf sie, und Harris hatte die Kaliber .22250, die vierhundert Meter weit schoss, doch er wollte auf keinen Kojoten schießen. Weil sie edle Tiere waren, deshalb. Weil sie einen Willen hatten und die anderen Tiere dazu zwangen, sie zur Kenntnis zu nehmen. Ob Berglöwen, ob Wölfe, ganz egal. Ein solches Tier konnte man nur töten, wenn man genau wusste warum.

»Du hast die Wahl, Blödmann. Entweder du bleibst drinnen, oder du verteidigst dich allein.«

Aber natürlich würde er nicht ernsthaft seinem Hund diese Wahl überlassen. Vielleicht war das widersprüchlich. Trotzdem. Sachte stupste er Fell in die Hütte, von der Tür weg, die er zumachte.

Und zehn Minuten später war er auf einer Landstraße, unterwegs zu Graces Trailer und nicht so recht sicher, warum er das tat. Beim Anziehen hatte er sein Spiegelbild betrachtet und gedacht, das nächste Mal, wenn du dich ausziehst, ist’s bei ihr, doch jetzt, wo er zu ihr nach Hause fuhr, schwankte er wieder. Was für ein erstaunlicher Zufall, dass sie dich anruft, gerade als ihr Sohn erwischt wird. Harris schüttelte den Kopf. Es war in Ordnung. Solche Dinge unterstellte er den Leuten, aber wen er mochte, dem verzieh er schon im voraus. Grace verzieh er. Aber ihrem Sohn, der immer schon Mist gebaut hatte … Harris hatte für ihn alles getan, was nur möglich war. Er hatte einen milden Deal bei Glen Patacki und bei Cecil Small herausgeholt. Sie hatten Billy auf die Finger geklopft, dazu hatte Harris Cecil überredet, und dann geht der Junge los und bringt jemanden um.

Das war die reine Protektion, sie wollte, dass er Wunder wirkte, dafür war es aber jetzt zu spät, das Räderwerk war schon in Gang, und Billy hing da drin. Er merkte, dass er wütend wurde, beinahe wäre er aufs Bremspedal getreten und hätte den Truck herumgeschleudert, das Leben, das er aufgebaut hatte, war gut, und an der Ausgeglichenheit hatte er lang gearbeitet, er konnte spüren, wie sie aufgestört wurde. Er zwang sich dazu, weiterzufahren, und schnell verflog die Wut. Das meiste, was man fühlt, ist schnell verflogen. Tja, was soll’s, verkündete er seinem Lenkrad. Ich langweile mich.

Da war auch noch die Virgil-Frage. Harris merkte, wie die nächste Welle seiner Wut aufbrandete, Wut und Verletztheit, aber das war auch kein Schandmal, manche Dinge liefen halt so. Virgil Poe war außerstande, einen Job nicht zu verlieren, er war dümmer, als die Polizei erlaubte, fieser auch, und ein geborener Lügner. Trotzdem war Grace zwanzig Jahre lang hinter ihm hergelaufen. Zweimal hatte Harris dem Jagdaufseher dabei geholfen, Virgils Vater zu verhaften, das lag wohl in der Familie. Dann der Zwischenfall mit dem gestohlenen Kupfer. Jeder konnte Virgil gut durchschauen. Bis auf Grace. Nun schau mal, wessen Sohn du da geschützt hast. Ja, dachte er, der hat dich geschlagen. Warum hast du ihn bloß nicht verhaftet? Einmal hatte er die Akte Virgil Poe im Polizeicomputer aufgerufen, zwei offene Haftbefehle, mehr als einen Anruf hätte es da nicht gebraucht. Aber Bud Harris war nicht so ein Mensch.

Fahrt durch die Stadt, vorbei an seinem alten Polizeirevier und an dem neuen. Er hatte den Absturz miterlebt, wie alle Stahlwerke verrammelt wurden und darauf die große Wanderung einsetzte. Wanderung ins Nirgendwo – Tausende Leute zogen um nach Texas, Zehntausende höchstwahrscheinlich, in der Hoffnung, Arbeit auf den Bohrinseln zu finden, aber solche Stellen gab es auch nicht oft. Und so standen die Menschen nachher schlechter da als vorher, pleite, arbeitslos und in der Fremde, wo sie keinen kannten. Und die anderen waren schlicht verschwunden. Was man aber gar nicht merkte. Harris kannte Leute, die von einem Stundenlohn von dreißig Dollar auf vierfünfzehn abgesackt waren, stämmige Stahlarbeiter, die mit steinernem Gesicht die Lebensmittel an der Kasse in Tüten einpackten, es fiel keinem leicht, mit so was umzugehen, leicht, das gab es gar nicht. Er war ursprünglich hier rausgezogen für ein leichtes Leben, lieber Kleinstadtpolizist sein als so einer, der in Philadelphia Kopfnüsse verteilt, aber die Arbeit hatte sich sehr bald verändert, als die Stahlwalzwerke untergingen – schon ging’s wieder los, das Kopfnüsse-Verteilen. Das gehörte nicht zu seinem Wesen, doch er hatte es gelernt, es regelrecht studiert, gelernt, die Züge seines Gegenübers zu beobachten, wenn er es tat. Er hatte einen Fehler gemacht, als er Virgil Poe verschonte. Reiner Stolz war das gewesen.

Diesmal fühlte es sich anders an mit Grace, er wusste nicht warum, es kam ihm wirklich vor, als wär der Bauernrowdy von der Bildfläche verschwunden. Jetzt kommt der Ersatzreifen zum Einsatz. Der Ersatzreifen bist du. Er war sich unsicher, bei allem. Es gab Menschen, die dazu bestimmt waren, allein zu sterben, und vielleicht gehörte er dazu. Jetzt überhol dich mal nicht selber, dachte er.

Da war der Feldweg, der zu Graces Trailer führte. Noch hatte er Zeit zum Umkehren – die Nacht war klar und kalt, er hatte einen Humidor voller Zigarren, eine gute Flasche Scotch, der Hund würde sich freuen, ihn zu sehen. Auf seiner Veranda standen schon die Gartenstühle, heute Nacht könnte er draußen sitzen, Weihnachten hatte er sich etwas gegönnt und seinen alten Schlafsack gegen ein teureres Daunenmodell ausgetauscht, in Colorado hergestellt, den ganzen Winter hatte er sein abendliches Bergpanorama von der Veranda aus bewundert, ganz egal, wie kalt es wurde, selbst nach Eisstürmen, wenn sich nichts rührte, meilenweit die absolute Stille, bis aufs Eis, das in der Kälte knackte. Und dazu die Wärme in dem Schlafsack. Das Gefühl, der einzige Mensch auf Erden zu sein. Demnächst musste er sich mal ein Teleskop besorgen. Nächstes Weihnachten vielleicht.

Die Straße endete an einem Erdwall, und er stellte seinen Wagen neben Graces Trailer. Sie erwartete ihn schon auf der Veranda, und er reichte ihr die mitgebrachte Flasche Wein und küsste sie leicht auf die Lippen, schwacher Parfümduft, sie hatte sich zurechtgemacht.

Er folgte ihr nach drinnen, und ihm war, als sähe er sich von weit oben, wie seine verschiedenen Anteile rauskamen und miteinander konkurrierten, er beschloss, sich das mal anzusehen und zu warten, welcher wohl die Oberhand behalten würde – Häuptling Ruhige Hand oder der geile alte Cop. Im Trailer war es warm, es duftete nach frischem Fisch, mit Knoblauch in der Pfanne, und nach Brot. Statt das zu kommentieren, sagte er:

»Ich weiß nichts Neues über Billy.« Warum sagte er das? War ihm auch nicht klar. Selbstschutz. Der Häuptling Ruhige Hand.

Sie runzelte die Stirn. »Ich dachte, davon müssen wir nicht sprechen.«

»Na, ich bin mir sicher, dass es dich beschäftigt.«

»Tut es, aber …« Nachsichtiges Lächeln. »Ein Glas Wein?«

Er sah sie in der Küche werkeln, nahm ein Stück vom italienischen Brot, das sie warmgemacht hatte, und strich sich Butter darauf. Außen war es knusprig, innen weich, er saß da, kaute und war glücklich, spürte die Entspannung. Wieder schaltete sich Häuptling Ruhige Hand ein:

»Gestern Abend war ich kurz bei Isaac English, nur falls der Staatsanwalt herausfindet, dass er dabei war. Er ist aber weg.«

Sie sah ihn an und hielt den Kopf ein wenig schief. Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte, sie sah aus, als wollte sie tatsächlich nicht darüber reden.

»Sonntagmorgen ist er weggegangen, und seine Familie hat seitdem nichts mehr gehört.«

»Bud«, sagte sie. »Ich bitte dich.«

»Ist gut. Entschuldige.«

»Iss noch was von dem Brot.«

Er nahm sich noch ein Stück, er hatte ein schlechtes Gewissen, warum spielst du so mit ihr, dachte er, für dich ist’s ein Spiel, aber für sie nicht. In ihm widersprach ein anderer Teil, sie ist doch diejenige, die Spielchen spielt, aber er ignorierte das. Er starrte ihren Hintern an, als sie sich umdrehte, um Ausschau nach dem Korkenzieher zu halten, ein wohlgeformter Hintern, etwas hatte sie zwar zugenommen, stand ihr aber gar nicht schlecht, und ihre Sommersprossen, ihre zarte Haut, ihre graublonden Haare, sie sah jünger aus, als sie in Wahrheit war, fand er.

»Weiß nicht, wo der Korkenzieher ist«, sagte sie. »Willst du einen Bourbon?«

Harris nickte, setzte sich an ihren kleinen Tisch, sie schenkte ihnen beiden je zwei Fingerbreit ein. Und das war’s dann. Auch ein Häuptling Ruhige Hand kriegt manchmal einen Pfeil ab.

»Trinken wir auf diesen Abend«, sagte er.

Sie kippte ihn auf ex. »Du wirst mir noch zum Weichei hier, Bud Harris.«

»Sie wird frech, weil sie noch nicht betrunken ist.«

»Das stimmt.« Aber dann setzte sie sich, starrte auf das leere Glas, und ihm war klar, er hatte es vergeigt. In sechs Minuten. Gleichstand, dachte er.

»Wer ist das«, sagte sie.

»Wer ist wer?«

»Der, der ihn beschuldigt hat.«

Ihr das zu sagen würde es nicht besser machen, und er überlegte, ob er sagen sollte, dass er es nicht wisse. Es vielleicht noch aufschieben. Dann dachte er, nein, lieber jetzt als später. Fahr nach Hause, mach ein Feuer, kuschel mit dem Hund.

»Er ist ein Niemand eigentlich, ein arbeitsloser Automechaniker. Immer mal im Knast. Er hat uns zwei Adressen angegeben. Brownsville.«

Sie vergrub das Gesicht in den Händen. »Himmel, Bud. Ich weiß nicht, warum das was ausmacht, tut es aber.«

»Tut mir leid«, sagte er.

»Ich trink noch einen«, bat sie ihn. »Schenk ihn nicht zu knapp ein.«

Harris schob die Flasche weg, von ihnen beiden.

»Bud, die haben ihm ein Messer an die Kehle gesetzt. Die wollten ihn umbringen, er hat sich nur gewehrt.«

»Er sagt nichts, Grace, nichts, das ist das Problem.«

»Dann war es Isaac«, sagte sie. »Sonst wüsste ich keinen Grund, warum Billy nichts sagen würde.«

»Billy ist sein ganzes Leben lang vor keinem Kampf zurückgewichen, und der kleine English wiegt nur fünfzig Kilo. Während das Mordopfer mindestens zwei Meter groß war.«

»Also das denken sie alle?«

»Grace, die Leute sind besorgt, zu was sich unsere Stadt entwickelt. Dass es bald so schlimm hier wird wie in Donora oder in Republic.« Er brach ab. »Das Ganze ist doch sowieso Spekulation, bevor er mit dem Anwalt redet. Sorgen machen können wir uns immer noch.«

Dann war es eine Weile still. Er hörte, wie der Ofen tickte, fragte sich, ob da der Fisch anbrannte, ob er überhaupt was davon essen würde. Grace starrte den Resopaltisch an, als wäre er nicht da.

»Es bringt nichts, sich darum zu kümmern, weil er eigentlich schon weg ist. Selbst sich Sorgen machen bringt nichts, stimmt’s? Das sagst du mir doch gerade.«

»Nein«, meinte er. »Das sag ich dir überhaupt nicht.«

Harris sah, wie sie zu weinen anfing, und berührte sie, aber sie reagierte nicht, sie saß nur da und weinte, lange schaute er sie über den Tisch hinweg an und wusste nicht, was er mit seinen Händen machen sollte, ihn beschlich ein Vorgefühl, als lauerte etwas, ganz nah, dann fingen seine Ohren an zu klingeln, und ihm wurde flau. Ein Teil von ihm wollte den anderen Teil zum Aufstehen und Fortgehen bewegen. Doch stattdessen streckte er die Hände aus und hielt ihr Gesicht fest.

»Es tut mir leid«, sagte sie. »Kann nicht anders.«

»Noch ist nichts verloren.«

»Das wird mich zerstören.«

»Denk doch so was nicht, er hat noch nicht mal mit dem Anwalt geredet.«

»Nein, bitte.«

»Mir geht’s nicht darum, dir Hoffnungen zu machen.«

»Ja, ich weiß, für uns ist es jetzt auch zu spät.«

Er küsste sie, sie wich zurück.

»Tu’s nicht, wenn du nur willst, dass ich mich besser fühle.«

»Das ist nicht der Grund«, sagte er.

Sie ließ sich noch einmal küssen.

»Ein paar Tage musst du dich gedulden. Mit dem Anwalt wird sich alles ändern.«

»Okay«, sagte sie.

Sie griff über den Tisch nach seinen Händen, und dann kam sie zu ihm, setzte sich auf seinen Schoß, umschlang die Taille, küsste ihn am Hals. Er hielt ganz still, blieb einfach sitzen, um all das zu fühlen. Sie küsste ihn weiter. Er berührte ihre Haare, spürte, wie ihr Herzschlag schneller wurde, oder war es seiner, in der Kehle prickelte und rauschte etwas, das sich überallhin ausbreitete.

Grace sagte: »Ich müsste mal für kleine Mädchen.«

Sie verschwand im Bad, er machte keine Anstalten zu gehen. Als sie zurückkehrte, ließ sie sich wieder auf ihm nieder, griff nach seinen Gürtelschlaufen, wie es ein Kind bei seinem Vater tun mochte, und zog ihn an sich, legte ihren Kopf an seine Brust, dass er sie auf den Scheitel küsste, und so blieben sie. Dann sah sie hoch, und ihr Gesicht strahlte für ihn.

»Es tut mir leid«, sagte sie, »dabei hatte ich mir selbst versprochen, nicht daran zu denken, wenn du hier bist.«

Lächelnd rutschte sie auf seinem Schoß herum.

»Ich fühl mich wie ein Teenager. Erst spitz, dann heulen, und dann wieder spitz.«

»Ich finde, erst mal machst du mir ein schönes Abendessen. Damit ich mir nicht wie eine Schlampe vorkomme.« Dann sagte er: »Das war ein Scherz.«

»Ha-ha.«

»Ha.«

Er stand auf, schnallte das Holster mit der Waffe ab und legte beides auf den Kühlschrank.

»Hast du das aus irgendeinem Grund mit reingebracht?«

»Wahrscheinlich, weil ich allein lebe.«

»Früher hast du sie im Auto liegen lassen.«

»Tja, die Zeiten ändern sich.« Er zuckte mit den Schultern. »Was gibt’s denn zu essen?«

»Fisch. Forelle.«

»Aus dem Fluss?«

»Ich lebe ja in einem Trailer«, sagte sie, »aber …«

»Das hatte ich auch nicht gedacht.«

»Jetzt setz dich hin.«

»Ich nehm mir mal den Wein vor.« Nach einer Minute Fummeln kriegte er den Korken raus, mit einem Messer sowie einer Zange. Er beschloss, die andere Flasche auch gleich aufzumachen, wo er schon dabei war.

Die Forelle schmeckte zart, die Haut knusprig und salzig, und dazu hatte sie eine süße Sahnesoße zubereitet, was Französisches. Er wischte mit dem Brot die Soße auf, und von dem Fisch ließen sie nur die Gräten übrig. Kurz dachte er dran, die Bäckchen mitzuessen, wie es ihm Ho mal gezeigt hatte, beschloss dann aber, es zu lassen.

»Das ist wahrscheinlich der beste Fisch, den ich jemals gegessen habe.«

»Kommt von Food Network«, erklärte sie. »Gottes Geschenk an Männer, indirekt.«

Als sie die Soße fertig aufgetunkt und auch die zweite Flasche niedergemacht hatten, sagte sie: »Darf ich dich noch was fragen?«

Harris nickte.

»Wer ist dieser Pflichtanwalt, den du erwähnt hast?«

»Gute Frau, und wahrscheinlich gelingt es mir, dass sie den Fall vertritt, nicht einer von den üblichen Idioten. Sie wird wohl mal richtig Karriere machen irgendwo, doch erst mal macht sie jetzt die Ochsentour, zum Wohle der Gemeinschaft, diese Richtung. Hoffentlich beschämt sie unsere Lebenslänglich-Freunde so sehr, dass die sich ein bisschen mehr anstrengen.«

»Es ist eine Frau.«

Er nickte.

»Das gefällt mir«, sagte sie.

»Dacht ich mir schon.«

Sie tauschten einen langen Blick.

»Es tut mir leid, dass ich es noch einmal erwähnt habe.«

»Du bist doch seine Mutter. Wir können so viel darüber reden, wie du magst.«

»Machst du die dritte Flasche auf?«

»Ach, besser nicht«, sagte er. Und tat es dann doch.

***

Sie saßen auf der Bettkante und küssten sich wieder, berührten sich am ganzen Körper, und er fühlte sich sehr leicht, bis auf die Schwere zwischen seinen Beinen. Da gab’s kein Problem. Nicht dass das eine Überraschung wäre. Eine kleine Überraschung. Ab und zu war er nicht sicher, wegen der Tabletten. Die würde er wegwerfen. Er grinste bei diesem Gedanken.

»Glücklich?«, fragte sie.

Er nickte.

»Ich auch.«

Als sie vor ihm niederkniete, strich er ihr durchs Haar und dachte, guck dich an, du alter Mann, dein Leben ist nicht übel. Und dann rollte er sich auf sie und beschleunigte, sie kannten immer noch den Rhythmus, den der andere hatte. Was sie von sich gab – dieselben Laute, die du selbst im Kopf hörst und für dich behalten könntest, doch sie teilt sie mit und lässt dich wissen, wie gut du’s ihr machst.

Und eine Stunde später lagerten sie auf der Bettdecke, sie strich ihm mit den Fingernägeln über den Rücken. Dann stand sie auf, um ihnen Wein nachzuschenken, sie saßen an das Kopfteil gelehnt, und er sah an sich herunter, dünner wurde er, die Haare grau, doch immer noch hatte er Muskeln auf der Brust und auf dem Bauch, vor ein paar Jahren war da eine Bierwampe gewesen, die er sich schnell wieder abtrainiert hatte. Warum, das war ihm nie ganz klar gewesen. Aber jetzt.

»Hast du dich auch mit anderen getroffen?«, fragte sie.

»Na sicher«, sagte er, die Schultern zuckend. Dabei hatte er’s in Wahrheit nicht getan.

***

Mitten in der Nacht erwachte er, und sie betrachtete ihn. Strich ihm durch die weichen Haare an der Seite seines Kopfes.

»Schschsch«, machte sie.

Er öffnete die Augen ganz.

»Ich schau dich gerne an.«

»Ich schau dich auch gern an.«

Grace zog die Decke runter. Ihre Schultern waren wunderschön, die Linie der Knochen um den Hals, wie weich sie war, ganz genau richtig. Sie war eine wunderschöne Frau, er brachte es kaum über sich, sie anzufassen. Er fühlte sich glücklich und erfüllt, es kam ihm schier unglaublich vor, dass er nicht aus der Haut platzte, es kam ihm vor, als hätte er noch nie im Leben so etwas gespürt. Nein, dachte er, das liegt nur daran, dass du das nicht aufbewahren kannst, du kannst es nur im Augenblick selbst fühlen.

Harris wusste nicht, wie lange er sie so betrachtete, sie leicht berührte, mit den Fingerspitzen. Ihre Haut wurde allmählich spürbar wärmer. Sie spreizte die Beine etwas. Er legte den Finger dorthin, und sie machte weiter auf und sah ihn an.

»Ich dachte, vorhin lag’s vielleicht am Wein.«

Sie schüttelte den Kopf. Dann lächelte sie: »Willst du etwa sagen, dass du mich absichtlich betrunken gemacht hast?«

»Ja, so ungefähr.«

»Das kannst du nächstes Mal einfacher haben.«

Sie rollten sich auf die Seite, und sie schlang ein Bein um ihn, alle Bewegungen besonders langsam, Augen scharfgestellt. Es stimmte, was vom Sex behauptet wurde, dass er einfach immer besser wurde, all das, und mit seinem angeblich erschöpften Körper. Fast hatte er es verschmäht. Ihm war so leicht, er merkte gar nicht, dass er auf dem Bett lag, überall hätten sie sein können, und sein gewöhnliches Gefühl, dass alles schnell vorbeiging und verblasste, warum hatte er das je empfunden? Ich kann das hier fühlen, wenn ich sie berühre, und dann wandelten seine Gedanken sich und wurden vollends unsinnig.