39

Ich schaue auf den Kalender. Zwanzigster Oktober. Wieder ein Tag, wie man ihn nur einmal erlebt. Ich streiche über das Blatt. Ich reiße es nicht ab und zerknülle es auch nicht. Ich will nicht, dass der Tag vorzeitig um ist. Neben dem Kalender liegt ein zugeklebter rosa Briefumschlag. Ich nehme ihn von der Kommode und stecke ihn in die Tasche. Nachher bringe ich ihn zum Briefkasten. Es ist der längst überfällige Brief an meinen Vormund.

Draußen im Flur nähern sich Schritte. Mira streckt den Kopf zur Tür herein. »Frühstück, Des!«

»Bin schon unterwegs, Mira.«

»Ich halte dir den Stuhl zwischen mir und Seth frei!«

»Mira!« Ich gehe auf sie zu, aber dann bleibe ich stehen. Sie hält mir den Platz neben Seth frei. Das ist ja wohl kein Weltuntergang. Wirklich nicht. »Wie gesagt, ich bin schon unterwegs«, sage ich.

Ich stecke mein Laken unter der Matratze fest, schlage die Ecken ordentlich ein, wie es mir Tante Edie … wie es mir Mrs Wicket am ersten Tag hier gezeigt hat. Alltag und Vorschriften, das Allerheiligste in Hedgebrook. Bis gestern jedenfalls. Heute kommt Seth zum Frühstück, und ich sitze neben ihm. Und wer weiß, vielleicht sind heute ja ausnahmsweise mal keine Klumpen im Haferbrei.

»Bin unterwegs«, wiederhole ich leise, und diesmal sage ich es nur zu mir selbst. Dann laufe ich los. Zu den anderen.